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Psychogene Rückentwicklung

Anmerk 

 

190-210

Eines der am wenigsten verständlichen Phänomene beim Studium der Geschichte der Kindheit ist, wie Eltern­schaft über Jahrtausende gleich bleiben oder sogar schlechter werden kann. Wie kann eine Mutter am Balkan des 20. Jahrhunderts, ebenso wie in der Antike, ihr Neugeborenes ohne Gewissensbisse umbringen, oder ihr Baby eng an eine Wiege fesseln und es für ein Jahr oder länger in einem verdunkelten Zimmer isolieren und seine oder ihre Schreie nicht bemerken?68) Wie können heutzutage Väter immer noch ihre kleinen Kinder verprügeln? Ist Empathie für Kinder so zerbrechlich? 

Warum findet psychogene Evolution in so vielen Gebieten nicht statt, oder geht sogar zurück? Warum ist ein Teil der Eltern in jeder Gesellschaft im Infantizid- oder Verstoßungsmodus verblieben? Was ist bei vorangegangenen Generationen passiert, das die Evolution elterlicher Liebe eingefroren oder so gründlich ausgelöscht hat?

Über die Geschichte hinweg wehren sich Menschen gegen ihre Verzweiflung und Scham durch das Auffinden von Giftcontainern, um ihre frühen Traumata wieder aufzuführen und die Ursache für ihre innere Agonie zu beseitigen. Männer machen dies hauptsächlich, indem sie Opfer bekriegen, foltern, versklaven oder töten. Aber Frauen haben nur ihre Kinder, die sie foltern, versklaven und töten können. Eines ist klar: Die Ursache ist nicht bloß ökonomischer Natur, da die Reichen ihre Kinder genauso häufig wie die Armen verstießen, folterten und umbrachten. Nur in wenigen Fällen kann dieser »Krieg gegen Kinder« als Ergebnis von zuviel Veränderung bis ins kleinste Detail dokumentiert werden.

 

Eine dieser Perioden ist die, als um 1840 in Ungarn die Leibeigenschaft abgeschafft wurde und Frauen in städtischen Gebieten auf die Aussicht reagierten, sie hätten zumindest ein Recht auf Freiheit. Aber Frauen können nicht frei sein, wenn sie zu viele Kinder haben, also »gab es eine panische Reaktion und eine brutale, drastische Reduktion der Familiengröße wurde eilends umgesetzt, erst durch einfachen Infantizid, dann durch grobe Abtreibungstechniken und später durch das Ein-Kind-System«.69 

Obwohl Armut in der Gegend nicht das Problem war, galten für ein volles Jahrhundert »Ein-Kind-Familien« als die Norm und die meisten Mütter steigerten das Umbringen ihrer Babys. Als Ergebnis »schrumpften Familien bis zur Nichtexistenz und hinterließen Haus und Hof leer stehend«, um an einer Norm festzuhalten, die »irrational wurde und, für viele Familien, Dörfer und ethnische Gruppen jedenfalls, selbstmörderisch war«.70 In der als »schreckliches Matriarchat« bezeichneten Periode bildeten tötende Mütter einen »finsteren Gürtel von Ein-Kind-System-Dörfern«,71 indem sie grobe Abtreibungstechniken unter Verwendung scharfer Gegenstände und in Wasser getränkter Seile anwandten, die eng um den Körper der Mutter gebunden wurden, Neugeborene erwürgten oder erfrieren ließen; selbst Schwiegermütter griffen ein, die »beim jungen Paar schliefen und sicherstellten, diese würde keinen Geschlechtsverkehr haben«.72

Wachstumspanik vor zu schnellem Fortschritt, die gegen Kinder gerichtet wird, ist ein alltägliches Phänomen, nur sieht das niemand, weil Kinder selten als Giftcontainer für die Ängste von Erwachsenen betrachtet werden. Zeiten des Wohlstandes und des Fortschritts sind vielfach Zeiten, in denen arme Kinder als Giftcontainer verwendet und für den Wohlstand der Erwachsenen bestraft werden. Als, zum Beispiel, das durchschnittliche Einkommen der Reichsten 1 Prozent der Amerikaner zwischen 1977 und 1994 um 72 Prozent und das Einkommen der höchstverdienenden 20 Prozent um 25 Prozent anstieg, schrumpfte das der 25 Prozent Ärmsten um 16 Prozent und warf Millionen mehr Kinder unter die Armutsgrenze, während die Regierung und die Bundesstaaten eifrig Kinder aus der Sozialhilfe ausschlossen.73

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Dennoch bleibt die zentrale evolutionäre Frage: Warum sind einige Gesellschaften bei der Kindererziehung so weit zurück? Zu Beginn der Antwort auf diese entscheidende Frage folgt eine Analyse davon, wie Kindererziehung bei primitiven Gesellschaften tatsächlich aussieht.

 

Die Idealisierung von Kindheit bei primitiven Gesellschaften

 

Zum Nachteil für die psychogene Theorie sind sich gegenwärtig fast alle Sozialwissenschaftler darin einig, dass ein umgekehrtes Verhältnis zwischen Kindererziehung und sozialer Evolution besteht, wobei die Eltern bei der Entwicklung von einfachen zu komplexen Gesellschaften weniger liebevoll und missbrauchender werden.74)

In Übereinstimmung mit Rousseau und Freud sehen die meisten Anthropologen heute Zivilisation als Errungenschaft auf Kosten der Freiheit und Ernährung von Kindern, bei der die Fürsorge für Kinder gerade den Bach hinuntergeht und strafender und weniger erziehend wird, wenn Gesellschaften komplexer werden. Rohner etwa schließt aus seiner kulturübergreifenden Rezension über Elternschaften aus den Human Relations Area Files, dass praktisch so gut wie alle Mütter in einfachen GeseUschaften »ihren Kindern gegenüber warm und fördernd«75 wären, sodass »je komplexer ein kulturelles System ist, umso weniger warm Eltern im Allgemeinen zu sein scheinen«.76 

Whiting fasst die Ergebnisse anthropologischer Studien wie folgt zusammen: »Kinder in simplen Kulturen besitzen einen hohen Grad an Pflege und wenig Egoismus, wohingegen Kinder, die in komplexen Kulturen großgezogen werden, egoistisch und wenig gepflegt sind.«77 Stephenson fasst den gegenwärtigen Stand der anthropologischen Meinung zusammen: »Liest man einen ethnographischen Bericht über Kindererziehung in einer Primitivgesellschaft, findet man gewöhnlich Aussagen des Inhalts, dass die Menschen >ihre Babys lieben< ... der Ethnograph scheint erstaunt zu sein über die Menge von Zuneigung, Pflege, Aufmerksamkeit, Verwöhnung und dem generellen Wirbel, mit dem Säuglinge und junge Kinder überhäuft werden.«78

 

Als ich vor vier Jahrzehnten das erste Mal im Rahmen eines Kurses mit Margaret Mead an der Columbia Universität entdeckte, dass Anthropologen einheitlich der Meinung wären, Kindererziehung hätte sich von einer fördernden und liebevollen zu einer vernachlässigenden und missbrauchenden Art und Weise entwickelt, während der Grad der Zivilisation anstieg, war ich verblüfft darüber, wie irgendjemand gleichzeitig annehmen konnte, Kindheit hätte überhaupt Auswirkungen auf die Erwachsenenpersönlichkeit, da dies bedeutete, dass die Kannibalen, Kopfjäger und Krieger, die ich untersuchte, wahrscheinlich liebende, pflegende Kindheiten hatten. 

Bald fing ich an, mich über die Genauigkeit all dieser kulturübergreifenden Studien von Kindererziehung zu wundern und fing zu forschen an, ob diejenigen, die Techniken der Elternschaft klassifizierten,79 den Grad der Verzerrung und der Verleugnung der Ethnographen kodierten, als das, was den Kindern tatsächlich passierte.


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Als ich unter Historikern die gleiche Übereinstimmung betreffend liebender Kindererziehung in der Vergangenheit fand — genauso wenig unterlegt von geschichtlichen Beweisen —, machte ich mich an meine jahrzehntelange Aufgabe heran, primäre Quellen zu kombinieren, um die Wahrheit darüber herauszufinden, wie es sich angefühlt haben muss, ein Kind zu sein, sowohl in der Vergangenheit als auch in anderen Kulturen. 

Mit ethnographischen Darstellungen war ich von den Berichten der Ethnographen abhängig, da ich nicht selbst aus erster Hand die Kindererziehungspraktiken von Hunderten von Kulturen beobachten konnte. Um mich nicht auf die selektiven Karten des Human Relations Area File verlassen zu müssen, habe ich für die nächsten vier Jahrzehnte meine umfangreicheren Akten, bestehend aus Berichten von allen Ethnographen, die irgendetwas über Kindererziehung ausgesagt hatten, angelegt — und trennte dabei sorgfältig ihre glühenden Eigenschaftswörter von ihren Beschreibungen von Ereignissen, die sie wirklich ablaufen gesehen hatten.

Als ich damit begann, meine Forschungsergebnisse über sowohl historische als auch kulturübergreifende Kindheiten zu publizieren, wobei ich dokumentierte, wie Kindheit in der Vergangenheit und in anderen Kulturen massiv idealisiert worden war, dachten Historiker wie auch Anthropologen, dass ich mit Sicherheit verrückt geworden war. Melvin Konner drückte dies in seinem Buch Childhood folgendermaßen aus:

Lloyd deMause, damals Herausgeber von History of Childhood Quarterly, behauptet, alle früheren Gesellschaften hätten ihre Kinder brutal behandelt, und jede historische Veränderung des Umgangs mit diesen wäre eine ziemlich gleichmäßige Verbesserung in Richtung der netten und liebenswürdigen Standards, die wir jetzt setzen und mehr oder weniger befolgen, gewesen. ...

Anthropologen — und ebenso vielen Historikern — blieb der Mund offen stehen und sie waren fast sprachlos. Studien über Eltern, Kinder und die Familie in Kulturen jedes bewohnten Kontinents hatten nicht einen einzigen Fall aufgezeigt — mit ein oder zwei möglichen Ausnahmen —, bei dem bestehende Muster der Kinderfürsorge mit dem brutal vernachlässigendem Ansatz korrespondierten, den diese Historiker allen Eltern der Vergangenheit zuschrieben.

Im Gegensatz dazu haben seriöse Studierende der Anthropologie der Kindheit, angefangen mit Margaret Mead, auf die erfüllte Liebe und Fürsorge, mit der Kinder in vielen traditionellen Kulturen überhäuft werden, hingewiesen. Sie haben sogar befunden, dass so mancher Westliche dies bewundern und dem nacheifern könnte.80)

Der einzige Weg, diese verbreitete Meinung über Elternschaft in traditionellen Kulturen zu widerlegen, liegt in der Prüfung dessen, was Anthropologen geschrieben haben und nachzusehen, ob ihre Beweisstücke eigentlich etwas anderes zeigen, als »erfüllte Liebe und mit Fürsorge überhäufte Kinder«. 

Um die Auswirkungen des Kulturkontakts mit dem Westen auf ein Minimum zu beschränken, konzentriere ich mich hier auf die Kindererziehung in Neuguinea, mit ein paar Abstechern in angrenzende Gebiete, weil der Kontakt mit dem Westen in diesen Gebieten sowohl spät als auch minimal, verglichen mit Afrika und anderen Gegenden, erfolgte.


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Der Infantizidmodus der Kindererziehung in Neuguinea

 

Wie bei den meisten einfachen Gesellschaften können auch die Mütter Neuguineas als im Infantizidmodus befindlich betrachtet werden, da sie ein Drittel oder mehr ihrer Neugeborenen umbringen. Obwohl diese Praxis üblich ist, wird sie von den meisten Anthropologen heruntergespielt. Margaret Mead, zum Beispiel, hat den Infantizid in ihren Veröffentlichungen weggelassen, schreibt aber in ihren Briefen nach Hause von Beobachtungen dessen: »Der Leichnam eines neugeborenen Säuglings trieb an uns vorbei; immer wieder werfen sie hier ihre Säuglinge weg.«81 

Ein Einblick in die Dimensionen dessen kann anhand des Ungleichgewichts von männlichen über weibliche Geburten gesehen werden, Raten, die in der Gegend von 120:100 bis 160:100 liegen.82 Da sowohl männliche als auch weibliche Neugeburten umgebracht werden, reflektiert diese Rate lediglich den Umfang des Überhangs an weiblichem Infantizid, das heißt, die kombinierte Infantizidrate liegt noch höher. Diese hohen Raten sind in dieser Kulturregion üblich. Wie schon erwähnt, vernichten die australischen Aborigines bis zu 50 Prozent ihrer Säuglinge,83 und die ersten Missionare in Polynesien schätzten, dass zwei Drittel der Kinder von ihren Eltern ermordet wurden.84 

Üblicherweise gehen Anthropologen über diese Statistiken schnell hinweg, da hohe Infantizidraten sich nicht gerade gut mit ihrer Behauptung von »erfüllter Liebe« vertragen. Zum Beispiel schreibt Herdt, da »Sambia seine Kinder liebt, ist Infantizid schwer vorstellbar, außer unter verzweifelten Umständen«.85 Er schreibt dann weiter, »überall in Neuguinea sind männliche Geburten weiblichen zahlenmäßig überlegen, in vielfach hohem Verhältnis«. Es ist selbstverständlich biologisch unmöglich, dass soviel mehr männliche als weibliche Geburten auf natürlichem Wege zustande kommen.

Obwohl Anthropologen im Allgemeinen Infantizid als aus der Not geboren entschuldigen — und natürlich wird er zu den Mordraten nicht hinzugerechnet —, berichten ihre Informanten etwas anderes. Wenn gefragt, warum sie ihre Säuglinge umbringen, geben diese regelmäßig an, sie hätten sie umgebracht, weil »Kinder zu viele Probleme bereiten«,86 weil »die Mütter auf ihre Ehemänner wütend waren«,87 weil sie »dämonische Kinder«88 wären, weil das Baby »ein Hexer werden könnte«,89 »weil ihre Ehemänner zu einer anderen Frau gehen«, um mit ihr Sex zu haben, während sie den Säugling stillen müssten,90 weil sie keine Kinder wollten, die sie in ihren Liebschaften einschränken würden,91 weil es weiblich war und deshalb getötet werden musste, weil »sie einen bald verlassen würden«,92 oder weil »sie nicht bleiben werden, um im Alter auf uns zu schauen«.93 Not wird fast nie als Begründung für das Töten eines Kindes zitiert. Jedenfalls kann der Infantizid durch Mütter in einfachen Gesellschaften als Teil dessen gesehen werden, was entwickeltere Mütter als postpartume Depression erleben. Kinder sehen gewöhnlich ihren Müttern dabei zu, wie diese ihre Geschwister umbringen und werden manchmal zur Mittäterschaft gezwungen. 


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Bei vielen Stämmen wird das Neugeborene »zu den Säuen geworfen, die es prompt verschlingen. Die Mutter nimmt dann eines der Ferkel von der Sau, die als erste den Korpus des Säuglings attackiert hat und stillt es mit ihrer Brust.«94 Die Kinder sind oft Zeugen des kindsmörderischen Akts: »Die Mutter ... vergräbt es lebendig in einer flachen Grube, [so] dass man die Bewegungen des Babys in der Grube sehen kann, wie es erstickt und nach Luft schnappt; Schulkinder sahen die Bewegungen eines solchen sterbenden Babys und wollten es herausnehmen und retten. Jedoch stampfte die Mutter es tief in den Boden und blieb mit ihrem Fuß darauf stehen.«95

In einigen Teilen von Neuguinea und Australien sind Mütter sowohl Kindsmörder als auch Kannibalen, die gewöhnlich ihre eigenen Kinder und die von anderen töten und nicht nur selbst verzehren, sondern auch an die Geschwister verfüttern.96 Die vollständigste Beschreibung dieser Praxis stammt von Röheim:

Es war der Brauch gewesen, dass jedes zweite Kind vom vorangegangenen Kind gegessen wurde. ... Wenn die Yumu, Pindupi, Ngali, oder Nambutji hungrig waren, aßen sie kleine Kinder weder aus zeremoniellen noch aus animistischen Motiven. Unter den südlichen Stämmen, den Matuntara, Mularatara oder den Pitjentara, wurde jedes zweite Kind mit dem Glauben verzehrt, die Stärke des ersten Kindes würde so verdoppelt werden. ... [Meine Informanten] hatten, jeder von ihnen, einen ihrer Brüder gegessen. ... Sie essen zuerst den Kopf, dann die Arme, Beine und zuletzt den Rumpf. Die Jankitji, Uluru und Aldinga haben alle ihre Geschwister gegessen. ... Daisy Bates schreibt: »Die zentral-westlichen Völker waren voll von Babykannibalismus. ... Bei einer Gruppe ... hatte jede Frau, die ein Kind zur Welt brachte, dieses getötet und verspeist, und mit den Schwestern geteilt, die wiederum ihre Kinder nach der Geburt umbrachten und das Nahrungsgeschenk zurückgaben, sodass über einige Jahre hindurch die Gruppe kein einziges lebendes Kind erhalten hatte. Wenn der fürchterliche Hunger nach Babyfleisch die Mutter vor oder nach der Geburt überkam, wurde es ohne Rücksicht auf sein Geschlecht getötet und gekocht.«97

Mit großer Überzeugung erklärt Röheim, ohne jedoch Beweise zu liefern, dass die Kinder, die gezwungen wurden ihre Geschwister zu essen, »die Bevorzugten waren, die ihr Leben ohne orales Trauma begannen«,98 dass das Essen der eignen Geschwister »die Entwicklung der Persönlichkeit [dieser Kinder] scheinbar nicht in Mitleidenschaft gezogen hat«,99 und dass »diejenigen gute Mütter sind, die ihre eigenen Kinder essen«.100 Als ich in Foundations of Psychohistory vorgeschlagen habe, es wäre anzuzweifeln, ob die Kinder davon unberührt blieben, wenn sie mit ihren Müttern beim Töten und Verspeisen ihrer Geschwister mitmachten,101 bestand Robert Paul, Herausgeber der Zeitschrift Ethos, darauf, ich dürfe die rosigen Schlussfolgerungen Röheims nicht in Frage stellen: »Es ist daran zu erinnern, dass der Anthropologe, der hier hinterfragt wird, Röheim selbst ist, dem man schwerlich vorwerfen kann, er wäre psychoanalytisch unkultiviert oder er würde etwas bestreiten oder sich widersetzen. Freilich akzeptiert deMause ohne Weiteres seine Berichte über die Fakten. Warum steht er seine Folgerungen in Frage? Röheim war doch niemandes Narr.«102


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Die meisten Ethnologen vermeiden skrupellos die Beschreibung, wie sich die am Töten oder dem Verzehr ihrer Geschwister teilnehmenden Kinder fühlen. Lindenbaum sagt vom Fore-Stamm lediglich: »Kannibalismus war weitgehend auf erwachsene Frauen [und] Kinder beiden Geschlechts beschränkt«,103 erwähnt aber nicht, dass die Mütter die Kinder dazu zwangen, Menschenfleisch zu essen, und sagt nicht, wie sie darauf reagierten. Nur Poole berichtet ebenfalls von der Reaktion einiger Kinder von Neuguinea, die ihren Eltern beim Verzehr ihrer Kinder zusehen:

Als Zeugen der Leichenanthropophagie ihrer Eltern gingen plötzlich viele dieser Kinder ihren Eltern aus dem Weg, kreischten in ihrer Anwesenheit oder drückten ungewöhnliche Angst vor ihnen aus. Nach solchen Erlebnissen erzählten mehrere Kinder von Träumen oder erfanden Fantasien von tiermenschlichen Wesen mit den Gesichtern oder anderen Merkmalen bestimmter Eltern, die mit Blut und Organen verschmiert waren.104

Individuen oder Gruppen, die Babys töten und verzehren, haben jedenfalls schwere schizoide Persönlichkeiten,105 die ihre eigene Wut und die Ängste, verschlungen zu werden, und verzehrendes emotionales Begehren an ihnen auslassen, indem sie Kinder entweder umbringen, damit das in diese projizierte Begehren ausgelöscht wird, oder durch ihren Verzehr, als Ausagieren ihrer Identifikation mit den inneren verschlingenden Eltern-Alter-Egos.

 

Inzest und sexueller Missbrauch von Kindern in Neuguinea

 

Wie auch vom Infantizid berichten Anthropologen häufig vom sexuellen Missbrauch von Kindern, jedoch in positiver Hinsicht. Maternaler Inzest wird als Nachgeben gegenüber den sexuellen Bedürfnissen des Kindes gesehen, orale und anale Vergewaltigung von Jungen wird als von beiden Seiten erwünscht beschrieben und die Vergewaltigung von Mädchen wie Jungen wird als unmotiviertes kulturelles Artefakt präsentiert.

Anthropologen verfechten vielfach die Meinung, »das Inzesttabu ist die erste Grundlage für die Bildung von Kultur«106 und »das Tabu auf Inzest innerhalb der unmittelbaren Familie ist eines der wenigen bekannten kulturellen Allgemeinheiten«.107 Der kulturell genehmigte sexuelle Gebrauch von Kindern muss deshalb überall dort umbenannt werden, wo er als etwas anderes als Inzest bezeichnet wird. Ford und Beachs oft zitiertes Patterns of Sexual Behavior macht diese falsche Unterscheidung klar. Inzest, so sagen sie, »schließt Fälle aus, in denen Müttern oder Vätern erlaubt wird, ihre sehr kleinen Kinder zu masturbieren oder auf irgendeine andere sexuelle Art zu stimulieren«.108 Sie fahren dann fort und nennen Inzest »selten«. Das maßgebliche Growing Up: A Cross-Cultural Encyclopedia behandelt 87 Kulturen, über die berichtet wird, es gäbe dort keinen Inzest — nur Erwachsene, die mit den Genitalien der Babys spielen, sie streicheln, masturbieren und daran saugen:


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»Truk-Erwachsene spielen mit den Genitalien der Säuglinge. ... In China kitzeln Manchu-Mütter die Genitalien ihrer kleinen Tochter und saugen am Penis des kleinen Sohnes. ... In Thailand streichelt eine Banoi-Mutter aus Gewohnheit die Genitalien ihres Sohnes.«109 Aber man bleibt dabei, das dies kein Inzest ist. Davenports kulturübergreifende Studien kommen zu einem ähnlichen Schluss: »Mutter-Sohn-Inzest kommt so selten vor, dass er insignifikant und irrelevant ist, [da] die genitale Stimulation zur Beruhigung eines Kindes als nichtsexuell gelten kann.«110 

Konker untersucht kulturübergreifend die sexuellen Erwachsenen-Kind-Beziehungen und findet, »die ethnographischen Aufzeichnungen beinhalten hauptsächlich ... Beispiele von normativ sexuellem Erwachsenen/Kinder-Kontakt«, und sagt, das sei kein Problem, da Experten finden, es gäbe »keinen Grund zu glauben, sexueller Kontakt zwischen einem Erwachsenen und einem Kind wäre inhärent falsch oder schädlich«.111 Desgleichen Korbio, die findet, ihre Kinder masturbierende Mütter wären in ihren umfangreichen Stichproben weit verbreitet, aber sagt, das sei kein Inzest, da die Gesellschaft selbst es nicht Inzest nennt: »In einigen Gesellschaften werden die Genitalien der Kinder gestreichelt, um diese zu unterhalten und zu erfreuen, zu beruhigen, oder in den Schlaf zu wiegen. ... Dies würde keinen >Missbrauch< darstellen, wenn in dieser Gesellschaft dieses Verhalten nicht geächtet werden würde.«112

 

Da die Verwendung von Säuglingen und Kinder als erotische Objekte kulturübergreifend so alltäglich ist,113 überrascht es nicht, dass in Neuguinea auch andere Erwachsene als die Eltern üblicherweise Kinder sexuell missbrauchen. Babys im Besonderen werden behandelt, als wären sie Brüste, um daran zu saugen und den ganzen Tag zu masturbieren. Wann immer Ethnologen Kindheit in allen Details erwähnen, fangen sie oft mit Kommentaren wie diesen an: »Meinen stärksten Eindruck von den Frauen bekam ich durch deren unablässiges Streicheln der Kinder«,114 oder: »Als Babys und Kleinkinder werden ihre Genitalien gestreichelt.«116 Gillison beschreibt den Prozess des Masturbierens von Säuglingen unter den Gimi:

Die Mutter besteht auf kontinuierlichen Kontakt, unterbricht das Spielen ihres Kleinkindes wiederholt, um ihm die Brust anzubieten. Masturbation ... mit einem weiblichen Baby [ereignet sich, wenn] die Mutter oder Amau ihre Hand auf die Vulva legt und sie energisch schüttelt. Es kann passieren, dass sie die Vagina küsst und sich dann über den mittleren Teil des Körpers bis zu den Lippen hocharbeitet und dann ihre Brustwarze einführt (vielfach, wenn das Kind kein Anzeichen von Unzufriedenheit gemacht hat). Bei einem Jungen küsst sie den Penis, zieht mit ihren Fingern daran und nimmt ihn in den Mund, um eine Erektion herbeizuführen. Mehrere Frauen reichen einen Babyjungen hin und her, wobei sie nacheinander an die Reihe kommen, ihn über ihren Kopf zu halten und den Penis zu saugen oder im Mund zu halten.116

Maternaler Inzest, wie jede andere Perversion auch, gibt vielfach einen Blick auf den Sadismus der Mutter frei, wenn sie das Kind als erotisches Objekt verwendet, um ihre Depression und Verzweiflung zu überwinden, die in ihrer eigenen lieblosen Kindheit wurzeln. Poole meint: »Es sollte festgehalten werden, dass diese erotischen Akte oft ein wenig grob sind. Die Penisstimulation der Mutter kann Ziehen, Zwicken und Verdrehen auf eine Art einschließen, die ein um sich Schlagen und Weinen des Säuglingsjungen hervorruft.«117


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Röheim berichtet, Mütter würden manchmal in der Nacht »auf ihren Söhnen in der [Frau-oben-]Position liegen und sie ungehindert masturbieren«.118 Dass all diese Masturbation von Kindern sozial akzeptiert wird, zeigt der Umstand, dass Mütter dies vor den Anthropologen machen.119

 

Die inzestuöse Verwendung von Kindern in Neuguinea und Australien dehnt sich auf die anderen melanesischen und polynesischen Inseln aus, obwohl bei komplexer werdenden Gesellschaften die Praktiken stärker ritualisiert vorkommen. Auf den Marquesas-Inseln etwa wird, neben der bloßen Masturbation der Säuglinge,120 »der mons Veneris im verlauf der Kindheit und des Mädchenalters massiert ... begleitet von einem Dehnen der Labia, um sie zu verlängern. Dies wurde von der Mutter beim täglichen Bad gemacht. Das Kind wurde bei den Fußgelenken gepackt und die Beine auseinandergehalten, während die Mutter die Labia mit ihren Lippen manipulierte.«121 

Auf Hawaii wird für jeden männlichen Säugling ein »Bläser« bestimmt, angeblich um ihn auf den Unterschnitt der Vorhaut vorzubereiten und »es wurde von Geburt an täglich in den Penis geblasen. Vom Aufblasen sagte man, es würde die Vorhaut lockern und aufblähen [und] fuhr täglich damit fort ... bis der Junge 6 oder 7 war.«122 Weiblichen Kleinkindern auf Hawaü »wird Milch in die Vagina gespritzt und die Labia zusammengedrückt. Der Venushügel wurde mit Nussöl eingerieben und mit der Handfläche gepresst, damit er flacher wird. ... das Formen wurde so lange fortgesetzt, bis sich die Labia nicht mehr trennten. Diese Aufgabe wurde normalerweise von der Mutter ausgeführt.«123 Die Ponape-Insulaner »zogen und zerrten an der Labia der kleinen Mädchen, um sie länger zu machen, während Männer an der Klitoris zupften, rieben und leckten, und sie mit dem Stachel einer großen Ameise stimulierten«.124 Diese orale Manipulation der Labia und Klitoris dehnt sich auf viele andere pazifische Inseln aus.125 Jedenfalls war die Verwendung von kleinen Kindern als sexuelle Objekte im traditionellen Polynesien so verbreitet, dass frühe Europäer zu berichten wussten: »Kleine Kinder werden kaum sieben Jahre alt, bevor sie entjungfert werden.«126

Obwohl von den Vätern in Neuguinea vielfach berichtet wurde, sie hätten ihre Kinder während der Stillzeit gemieden, weil sie sagten, das der Anblick des Stillens sie sexuell erregen würde,127 so verwenden auch sie diese in erotischer Weise. Langness berichtet: »Es gab ein großes Getue der Männer um das Streicheln der Penisse kleiner Jungen. Frauen streichelten Säuglinge, aber keine älteren Jungen. Individuen beider Geschlechter nahmen Säuglinge und nahmen deren Genitalien in den Mund.«128 Wie alle anderen Anthropologen, die über regelmäßiges Masturbieren und Saugen der Genitalien von Kindern berichten, nennt er das »Liebe«.129 Auch Röheim beschreibt ähnlich verbreiteten oral-genitalen Kontakt durch die Väter: »Der Vater ... stimuliert [seine Kinder] sexuell zu einem sehr frühen Zeitpunkt, während diese noch getragen werden müssen. Spielerisch riecht er an der Vagina, oder nimmt sie in den Mund; den Jungen beißt er spielerisch in den Penis.«130 Es ist diese übliche Verwendung des Vaters von Kindern als Brust, die von so vielen Anthropologen in Neuguinea und anderswo als »enges, liebevolles Bevatern« verstanden wird.


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Da Poole der einzige Anthropologe war, der sowohl Mütter als auch Kinder befragte, verschaffte er sich die vollständigsten Berichte von maternalem Inzest.131 Wie Mütter von Infantizidpsychoklassen überall anders auch, betrachten Bimin-Kuskusmin-Mütter ihre Babys als Teil ihres Körpers, »erlaubten dem Kind nie die Trennung des Körperkontakts« und das Stillen des Babys erfolgte »nicht nur auf Verlangen, sondern auch mit Gewalt«, wann immer sich die Mutter depressiv fühlte.132 

Mütter, sagte Poole, masturbierten permanent die Penisse ihrer Babyjungen, trachteten aber danach, ihren Inzest nicht entgleiten zu lassen: »Es wird von ihr erwartet, ihn periodisch zu masturbieren, damit das Wachstum seiner Genitalien gewährleistet ist, aber sie muss auch sorgfältig die exzessive Entwicklung einer >Säuglingslust< verhindern, die seine Finiik [Geist] verletzen könnte. ... Wenn Mütter die Penisse ihrer kleinen Jungen reiben, winden sich diese am Schoß der Mutter und haben Erektionen.«133 Wie dem auch sei, wird der meiste Inzest in der Nacht verübt, wenn die Mütter sich am ganzen Körper ihrer Kinder reiben können, weil sie nackt bei ihnen schlafen, »ineinander verschlungen« und sie auch »regelmäßig« den Penis ihres Jungen zu einer Erektion »reiben« können.134

Dass diese Säuglinge und Kinder, die als erotische Objekte verwendet werden, als Giftcontainer für die abgespalteten und verleugneten Ängste und Aggressionen der Mutter fungieren, ist ziemlich klar. Poole interviewte einen kleinen Jungen, Buuktiin, der erzählt, wie seine Mutter, wenn sie depressiv oder wütend war, oft »an seinem Penis gezogen, gerieben hat, oder ihm mit dem Fingernagel einen Schnipser gegeben hat«,135 bis er weinte, aus Angst, er könnte abbrechen. »Wenn er um sich schlug, um zu entkommen, hielt sie ihn fest und rieb dann noch härter an seinem Penis.«136

[Seine Mutter] hat ihn früher masturbiert, als Mütter das sonst machen. ... [Aber] jetzt steigerte sie das Tempo und die Rauheit der Episoden ... und er riss sich oft aus ihrer Berührung und kämpfte von ihr loszukommen, schlug sie und beklagte den hämmernden Schmerz in seinem Penis. »Es tut innen weh. Es macht >poch, poch, poch< drinnen. Ich glaube, es blutet dort. Ich mag es nicht mehr angreifen. Es tut weh, wenn ich pinkle.«137

Wie so viele Opfer von maternalem Inzest schnitt sich Buuktiin andauernd selbst, um das »böse mütterliche Blut« aus ihm heraus zu bekommen, weil er sich durch den permanenten Inzest schmutzig fühlte, und auch, um sich selbst zu bestrafen, da sich Kinder regelmäßig selbst die Schuld für den sexuellen Missbrauch der Mutter geben:

Manchmal nach solchen [inzestuösen] Begegnungen fügte er sich selbst an der Hüfte und am Unterleib in langsamer Bedächtigkeit mit einem scharfen Zweig leichte Verletzungen zu, entnahm Blut und betrachtete seinen Penis. »Jetzt tut es hier weh, draußen, nicht im Penis. Schau, Blut. Das fühlt sich gut an. ... Es ist gut ein Mädchen zu sein, kein Penis. ... Mutter verdreht Penis, fest, fest. ... Weh, weh, drinnen. Weinen, sie nicht hören. Warum? Hat sie Vaters Penis abgeschnitten? Hat sie meinen abgeschnitten? Vater sagt ihr, schneide Buuktiins Penis ab? Mutter wütend, verletzt Buuktiins Penis. Mutter traurig, verletzt Buuktiins Penis ... Mutter mag nicht Buuktiins Penis, will abschneiden.«138


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Maternale Ablehnung in Neuguinea

 

Die »Liebe« von Infantizidmoduseltern wird hauptsächlich dann sichtbar, wenn sie das Kind als erotisches Objekt verwenden. Wenn die Kinder von der Brust abgesetzt oder sonst nicht nützlich sind, werden sie als emotional bedeutungslos abgelehnt. Die emotionalen Bande von Infantizideltern anerkennen die eigene Existenz des Kindes nicht, dessen hauptsächliche Funktion darin besteht, »körperliche Stimulation, [die] der Mutter dazu verhilft, lebendig zu werden, und dies erstrebt sie vom Kind ... um ihren Gefühlen von Lethargie, Depression und Leblosigkeit etwas entgegenzusetzen«,139 zur Verfügung zu stellen. Wie bei allen Pädophilen ist das Kind ein »Sexualobjekt ... das die Bereitschaft zu folgen zeigt, sich für Manipulation, Gebrauch, Missbrauch [und] Abgelegtwerden hergibt«.140 Es gibt nie nur Inzest — es ist immer Inzest/Ablehnung.

In vielfacher Art und Weise demonstrieren neuguineische Eltern, dass, wenn das Kind nicht erotisch gebraucht wird, es nutzlos ist. Eine davon besteht darin, dem Säugling keine Aufmerksamkeit zu schenken, sobald er nicht mehr gestillt wird und auch dann ignoriert wird, wenn er sich in Gefahr begibt. Regelmäßig nehmen Anthropologen davon Notiz, dass kleine Kinder in ihren Stämmen mit Messern oder Feuer spielen und dabei von Erwachsenen ignoriert werden. Edgerton kommentiert diese Praxis: »Eltern erlaubten ihren Kindern, mit sehr scharfen Messern zu spielen, mit denen sie sich manchmal schnitten, und unbeaufsichtigt neben dem Feuer zu schlafen. Als Resultat davon haben sich eine Menge von Kindern ernsthaft verbrannt. ... Es war nicht unüblich Kinder zu sehen, die einen Zeh durch Verbrennung verloren hatten, und einige wurden von schwereren Verbrennungen sogar verkrüppelt.«141 

Langness hielt fest, auf den Bena Bena »war es in keinster Weise unüblich, ohne der Intervention der Fürsorgenden auch sehr kleine Kleinkinder mit scharfen Buschmessern spielen zu sehen«.142 Aber das sei gut für Kinder, sagen die Anthropologen, da, wenn »man Kindern mit zwei oder drei Jahren erlaubt mit Gegenständen zu spielen, die Westler als gefährlich einstufen, wie scharfe Messer oder Brandwunden vom Feuer, [dies] tendenziell sich behauptende, selbstsichere und kompetente Kinder erzeugt«.143 Wie auch Whiting sagte, als er einmal ein Kwoma Baby sah, »mit der Klinge eines 30 Zentimeter langen Buschmessers im Mund und die Erwachsenen beachteten es gar nicht«, das sei gut für den Säugling, da das Kind auf diese Weise »lernt zwischen Essbarem und Ungenießbarem zu unterscheiden«.144


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Kinder werden von Müttern als Verlängerung ihrer Körper gesehen und jede Trennung oder Selbstständigkeit als Ablehnung der Mutter, als Erinnernde an die massive Ablehnung in der eigenen Kindheit der Mutter. Mütter erlauben keiner anderen, ihr Kind zu stillen, sagen, deren Milch wäre »Gift«, und erlauben ihren 1- bis 2jährigen nicht einmal, ihre Verwandten zu besuchen, aus Angst, diese könnten sie vergiften.145 Wenn eine Mutter stirbt, wird oft »das Kind mit ihr zusammen begraben, auch wenn es bei bester Gesundheit war«.146 

Wenn Kinder nur ein Anzeichen von Selbstständigkeit äußern, werden sie entweder komplett abgelehnt oder zum Ruhigsein gezwungen. Typisch ist das Wogeo-Kind, von dem Hogbin schreibt, es wurde »in einen Korb gegeben und auf einen praktischen Balken ... oder Baum gehängt« und »vom Laufen abgehalten und durfte nicht krabbeln ... [dazu gezwungen] jedes Mal für Stunden still zu sitzen [und nur] komische Laute von sich zu geben«, wodurch es somit ruhig gestellt war, um die kleinste Bewegung der Selbstständigkeit von der Mutter weg zu verhindern.147 Anthropologen betrachten diese allgegenwärtigen neuguineischen Körbe und Netzbeutel, in denen die Säuglinge eingeschlossen sind und in denen man sie auf Bäume hängt, als »tröstend«, auch wenn das heißt, dass das Kleinkind vielfach in den eigenen Fäkalien und im Urin lebt, weder krabbeln noch mit anderen interagieren kann.

Elterliche Ablehnung in voralphabetischen Kulturen ist vielerorts offenkundig — genannt wurde das, was Boyer herausfand, »das Kind wegwerfen«. Boyer entdeckte, dass »die meisten Mütter die Kinder verlassen, oder sie weggeben, die sie nur Stunden zuvor liebevoll gestillt haben«, als ihm und seiner Frau Babys angeboten wurden, eine Praxis, die er der »seichten Objektbeziehung«148 der Mutter zuschrieb. Nur wenige Anthropologen haben die hohen Adoptions- und Pflegeraten im neuguineischen Gebiet — manche liegen bei 75 Prozent149 — als Ablehnung betrachtet, aber natürlich sind sie das.

Da für die kindsmordende Mutter, wie Hippler es ausdrückt, »das Kind ein unbewusster Repräsentant [ihrer eigenen] Mutter ist, werden seine autonomen Handlungen von der Mutter als Ablehnung wahrgenommen. Die Antwort auf der Seite der Mutter auf diese >Ablehnung< durch ihr Kind ... ist Wut« und Ablehnung.150 Von Müttern im gesamten pazifischen Raum sagt man, dass sie »die Gesichter ihrer Kleinkinder von ihnen abgewandt halten, in die Richtung anderer Leute, während die Mutter für sie spricht und nicht mit ihnen«.151 Offensichtlich ist der Säugling eine Verlängerung des mütterlichen Körpers und in keinster Weise ein unabhängiges menschliches Wesen. »Niemand spricht viel mit Babys«,152 und wenn sie zu gehen anfangen, glaubt man, sie würden die Eltern verlassen und lehnt sie emotional ab.

 

Unterernährung und Entwöhnungskrise in Neuguinea

 

Es ist so schwer für neuguineische Mütter, sich auf ihre Kinder als unabhängige menschliche Wesen zu beziehen, dass sie nicht imstande sind, diese nach dem Abstillen regelmäßig zu füttern. Wie zeitgenössische Pädophile lieben sie ihre Kinder nicht so sehr, wie sie diese als erotische Objekte brauchen.


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Noch an der Brust werden neuguineische Kinder konstant zwangsgefüttert und das Stillen »wird zum Kampf, in dem die Mutter das Kind packt, es herumschüttelt und ihm die Brustwarze in den Mund schiebt, bis es entweder saugt oder erstickt«.153 Sobald abgestillt, haben die Mütter Schwierigkeiten zu verstehen, dass ihre Kinder drei Mahlzeiten pro Tag brauchen. Obwohl Nahrung fast immer in ausreichendem Maß für Erwachsene und auch Kinder vorhanden ist, »betonen einige Autoren, es gäbe von Seiten der Mütter in Papua Neuguinea eine scheinbar nonchalante Haltung gegenüber der Ernährung ihrer Säuglinge und Kinder«,154 sodass »über 90 Prozent der unter fünfjährigen Kinder Merkmale leichter bis geringer Unterernährung aufweisen«.155 

Einer sorgfältigen statistischen Arbeit nach bleiben fast alle Kinder über Jahre hinweg untergewichtig, weil »keines von ihnen, wie Krankenschwestern fordern, drei mal pro Tag gefüttert wird«.156 Im neuguineisch-australischen Kulturgebiet bekommen insbesondere Kinder wenig Fleisch, weil dieses zuerst von den Erwachsenen gegessen wird.157 Hippler berichtet: »Eltern essen die ganze kräftige Nahrung ... bevor die Kinder welche bekommen. Erwachsene ... glauben nicht, dass Todesfälle durch etwas anderes als Hexerei verursacht werden, sie sehen keine Verbindung zwischen diesen Praktiken und Kinderkrankheit und begleitenden Todesfolgen.«158 

In einer genauen Untersuchung der Unterernährung von Kwanga-Kindern fand man heraus, dass abgestillte 2-Jährige nur zwei Mahlzeiten pro Tag erhielten, was eine extrem hohe Kindersterblichkeit zur Folge hatte.159 Schwestern der Klinik sagten den Müttern immer wieder: »Warum sagt ihr mir nicht die Wahrheit? Ihr füttert eure Kinder nicht ordentlich!« Aber die Mütter verstanden anscheinend nicht, warum es notwendig wäre, ihre Kinder täglich regelmäßig zu füttern, daher verloren die entwöhnten Kinder konstant Gewicht und verhungerten gar, während ihnen die Mütter dabei zusahen.160

In ihrem Buch über die Unterernährung von Kindern in Neuguinea zitiert Patricia Townsend alle Studien, die zeigen, dass die Mehrheit der 1-bis 4Jahrigen untergewichtig sind und hebt hervor, die Kleinkinder nach der Entwöhnung würden am schlechtesten ernährt, weil ihre Mütter sie nicht regelmäßig füttern.161 Über kleine Kinder berichtet man ständig, dass sie beim Versuch, Nahrung zu bekommen, »über Stunden« einen Koller kriegen, »in der Mitte des Hauses stehen und einförmig vor sich hin schreien, bis jemand zu arbeiten aufhört und etwas für sie kocht«.162

Eltern scheinen auch nicht in der Lage zu sein, mit ihren Kinder mitzufühlen, wenn sie diese allen möglichen Folterungen aussetzen, was Anthropologen als bloße »kulturelle Praxis«, und daher als unmotiviert abtun. Zum Beispiel werden Babys in vielen Gebieten die Schädel deformiert, indem sie über Monate mit täglich erneuerten schmerzhaft engen Bandagen extrem verlängert werden.163 Es ist auch üblich, Babys über tote Körper krabbeln zu lassen und kleine Kinder mit schrecklichen Masken zu ängstigen und mit verschlingenden Hexen zu drohen.164 


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Obwohl die Beschreibungen von Kindern regelmäßig lauten, diese würden »angebrüllt, heftig gebeutelt, geohrfeigt, geschüttelt, gebissen und mit Stöcken geschlagen«,165 behauptet die Standardstudie über Kindesmissbrauch in Neuguinea, sie würden »selten missbraucht«, weil obwohl »es nicht unüblich für Erwachsene ist, auf Kinder einzuschlagen ... gibt es nicht so etwas wie formales Hinternversohlen«.166 Da nur formales disziplinierendes Hinternversohlen, so wie wir das im Westen ausüben, als Kindesmissbrauch gilt, schlössen Anthropologen daraus, »Kindesmissbrauch ... ist so gut wie unbekannt« in Neuguinea.167

Primaten besitzen bei all diesen missbrauchenden Kindeserziehungspraktiken eine starke Ähnlichkeit mit menschlichen Infantizidmoduseltern. Sie geben ihre Säuglinge oft weg — eine Praxis, genannt »alloparenting«,168 deren Resultat oft der Missbrauch, der Verstoß, oder die Tötung des Säuglings ist.169 Primaten sind ebenso kindsmörderisch, kannibalisch und inzestuös.170 Jedenfalls scheint nur ein relativ kleiner Grad der Evolution der Kindererziehung zwischen unseren nächsten Vorfahren und der Infantizidmoduselternschaft in Neuguinea zu liegen. Lovejoy171 zitiert die hohe Säuglingssterblichkeit bei Primaten während der Entwöhnungsphase (er platziert sie bei etwa 40 Prozent) als Beweis dafür, frühe Hominiden (mit einer geschätzten Säuglingssterberate von über 50 Prozent)172 hätten Schwierigkeiten gehabt, ihre Kinder nach dem Abstillen zu füttern, genau wie die heutigen neuguineischen Müttern.

 

Die Vergewaltigung von Jungen als Wiederaufführung des maternalen Inzests

 

Wenn neuguineische Jungen ungefähr mit 7 Jahren mit der Individuation beginnen, führen erwachsene Männer an den Jungen ihr eigenes maternales Inzesttrauma wieder auf. Hauptsächlich in den weniger entwickelten südlichen und östlichen Ebenen nimmt diese Wiederaufführung die Form oraler und analer Vergewaltigung der Jungen an, wenn Männer auf dieselbe Weise ihre Penisse in die Münder oder Ani zwingen, wie die Mütter sie früher verwendet hatten, sowohl durch Inzest als auch Zwangsfütterung. 

Die Jungen werden zu sexuellen Objekten ohne ängstigende Konfigurationen der Mutter. Die Jungen und Männer nehmen die Vergewaltigung als Stillen wahr, erachten sie als notwendig für das Wachstum seiend und erzählen den kleinen Jungen: »Ihr alle würdet nicht von selbst wachsen; wenn du mit einem Mann schläfst, wirst du ein STARKER Mann. ... Wenn du den Penis eines Mannes hältst, musst du ihn in deinen Mund stecken — er kann dir Samen geben. ... Es ist das Gleiche, wie die Milch deiner Mutter.«173 Unter vielen Gruppen wird die Fellatio von Männern an Jungen bis zur Pubertät täglich vollzogen, bis diese selbst kleine Jungen vergewaltigen können.


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Die Vorstellung, man müsse Jungen Samen verabreichen, damit sie aufhören, sich in Frauen zu verwandeln, hat bei neuguineischen Männern eine bestimmte Logik. Wie alle maternalen Inzestkinder glauben sie, der sexuelle Gebrauch durch die Mutter hätte »ihr Blut vergiftet« und — da sich die Jungen für ihre Vergewaltigung verantwortlich machen — fühlen sich »durch Frauen vollständig verschmutzt« und brauchen Samen, um »Mutters Gift« aus sich raus zu bekommen. Weil sie als Säuglinge durch das ständige Reiben am Körper der Mutter erotisch missbraucht wurden, waren sie mit deren Menstruationsflüssigkeiten vertraut, wenn sie in die Menstruationshütten mitgenommen wurden,174 und so entsteht eine explizite Assoziation zwischen Menstruationsflüssigkeiten und Gift. 

Jeder glaubt deshalb, Frauenblut wäre so giftig, dass Geschlechtsverkehr zur falschen Zeit einen Mann töten könne und Ehefrauen seien in der Lage, ihren Ehemann und ihre Kinder umzubringen, indem diese ihnen mit Menstruationsblut verschmutzte Mahlzeiten vorsetzen würden.175 Da Angriffe von Hexen und Geistern »dem Pfad des Menstruationsblutes folgen«,176 sind Jungen, die durch Mutters Blut »verschmutzt« bleiben, offen für den Tod durch Hexenkräfte und müssen deshalb ihr ganzes Leben lang dieser inzestuösen »maternalen Verschmutzung« mit der Einnahme von Samen und blutigen Ritualen, bei denen Männer Einschnitte in die Körper der Jungen vornehmen und dann Sperma in die Schnitte reiben,177 entgegenwirken.

 

Folter und Verstümmelung als Strafe für Wachstum

Selbst in Hochlandgebieten, die keine ritualisierte Päderastie kannten, wird Wachstum als für Erwachsene psychologisch gefährlich eingestuft, deshalb werden überall ältere Kinder als Strafe für ihre Individuation und Selbstständigkeit gefoltert und verstümmelt. Obwohl diese Foltern von den Anthropologen Initiationsrituale genannt werden, sind sie weniger Initiationen in irgendetwas, als Bestrafungen für das Heranwachsen. Sie dramatisieren eine Reinigung von maternalen Giften, damit die Jungen dann von den Männern als Projektionsfläche benutzt werden können. Die meisten von ihnen führen maternale Traumata in der einen oder anderen Weise wieder auf. Ein Ritual beginnt damit, die Mütter als »böse Verschmutzer« der Jungen zu beschuldigen, die »ihre Söhne [mit ihrem bösen Menstruationsblut] verschmutzt und geschwächt haben«.178 Ein anderes beschreibt, wie vorpubertäre Gahuka-Gama-Jungen vom »verschmutzten maternalen Blut« gesäubert werden:

Die Jungen werden in der ersten Reihe der riesigen Menge platziert und sehen eine Anzahl von Männern, die in einem Fluss stehen, ihre erigierten Penisse zu Schau stellen und masturbieren. Dann schreiten einige von ihnen weiter in den Fluss, wo einer zwei Rollen mit messerscharfen Blättern nimmt, sie dann dem anderen in die Nasenlöcher und dort rauf und runter schiebt, bis das Blut ins Wasser strömt. ... Jeder Initiant ... wird fest von seinem Sponsor gehalten, während ein anderer Mann die Blätter in seinen Nasenlöchern rauf und runter schiebt, bis der Junge stark in den Fluss blutet. Nachdem alle Initianten blutend gemacht wurden, verdoppelt [ein Mann] die Länge eines Stocks und schiebt ihn, wie ein Schwertschlucker, seine Speiseröhre hinunter und zieht ihn rauf und runter, bis er in das Wasser erbricht.179


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Das Ritual demonstriert sowohl »wir alle sind hier blutende, vergiftete Mütter«, als es auch versucht, das Gefühl, verschmutzt zu sein, rückgängig zu machen, indem man den Jungen mit rasiermesserscharfen Blättern ihre Nasenlöcher aufschneidet und ihnen das Stockschwert in den Hals steckt. Verständlicherweise »zittern, urinieren und defäkieren [die Jungen] vor Angst« während ihrer Folter.180 Es ist der Läuterungskreuzzug einer einfachen Gesellschaft und diesem, wie Läuterungskreuzzügen in entwickelten Nationen auch, folgt normalerweise ein reinigender Krieg, der die Scham der Kindheit durch die Verschmelzung mit dem Täter aufhebt. Doch das Gefühl, immer noch durch Inzest geschändet, verschmutztes maternales Sexobjekt zu sein, bleibt, und Viele fahren ihr Leben lang damit fort, periodisch ihre Nasen, Zungen oder Penisse zum Bluten zu bringen.181

Genitale Verstümmelung, die immer eine Bestrafung für Heranwachsen darstellt, kommt auch in Neuguinea vor. Dies ist nicht, wie Reik behauptet, »eine Strafe für inzestuöse Wünsche«,182 sondern vielmehr eine Selbstbestrafung für realen maternalen Inzest, dessen sich die Kinder selbst bezichtigen. Genitale Verstümmelungsrituale korrelieren kulturübergreifend mit exklusiven Mutter-Kind-Haut-zu-Haut-Schlafarrangements, wobei die Väter separat schlafen und die Mutter mit einer höheren Wahrscheinlichkeit das Kind inzestuös missbraucht.183 Im Neuguineagebiet sind sie manchmal so brutal wie der infame australische Unterschnitt, wobei der Penis entlang der Unterseite aufgeschnitten wird, bis er »wie ein gekochtes Wienerwürstchen aufplatzt«.184 Die lange Wunde des Penis wird dann die »Vagina«185 des Jungen genannt, mit der Männer Geschlechtsverkehr haben.186

 

Andere Bestrafungen während Initiationen für heranwachsende Kinder schließen brutales Schlagen mit Stöcken und stechenden Nesseln mit ein, manchmal über Monate und Jahre hindurch über einem Feuer verbrannt oder ausgehungert und gefoltert zu werden, Kalk schlucken zu müssen, was den Mund und den Hals des Jungen verätzt, das Abschießen eines zugespitzten Miniaturpfeiles in die Harnröhren von kleinen Mädchen bis Blut kommt, das Schieben von Gras mit Widerhaken in Harnröhren, das Aufschneiden der Peniseichel mit einer Krabbenschere etc.187 

Obwohl ein Anthropologe erwähnt, »zweifelsohne sind diese Rituale überaus schmerzhaft«,188 geht man normalerweise nicht von einer Traumatisierung der Kinder aus. Da Empathie mit den Gefühlen der Kinder nicht vorhanden ist, ist die freiwillige Verstümmelung der Kinder üblich, wie etwa das monatelange Einbinden der Köpfe von Neugeborenen, damit ihre Schädel länger werden und das Abschneiden oder Abbeißen von Fingern des Säuglings während der Trauer.189 Diese Arten von täglichen Missbräuchen, zusammen mit den verschiedenen Typen von ritueller Päderastie, Folter und Verstümmelung sind so weit verbreitet, dass die Schlussfolgerung im Standardwerk der Anthropologie über kulturübergreifenden Kindesmissbrauch — »es steht so gut wie fest, dass es keinen Kindesmissbrauch in Neuguinea gibt«190 — total unerklärlich erscheint.


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Die Wiederherstellung des sich aufspaltenden Selbst bei Kannibalismus

Wenn sie, nach all diesem Kindesmissbrach, in ihre gewalttätigen Alter Egos wechseln, versammeln sich die neuguineischen Männer regelmäßig in einer sozialen Trance, die ihr Bedürfnis zu töten ausagiert. Harrison schreibt über die Gewalt bei neuguineischen Stämmen:

Kopfjagende Überfälle erforderten eine spezielle Magie, welche die Krieger in einen tranceartigen Zustand der Dissoziation versetzte, der sie von der Verantwortlichkeit ihrer Handlungen entband; er sollte sie in die Lage versetzen, selbst ihre eigenen Frauen und Kinder zu töten. ... Solange der magische Zustand aufrecht blieb, war die Fähigkeit zu töten wahrlich nicht sehr wählerisch und machte aus den Kriegern eine gefährliche Bedrohung für alle anderen Menschen, die eigenen Familien miteingeschlossen.191

Dass es bei Krieg unter den neuguineischen Eingeborenen nicht um Zorn, sondern um die Wiederherstellung des durch Wachstumspanik sich aufspaltenden Selbst geht, liegt bei Kannibalismus auf der Hand, bei dem oftmals der Penis, die Zunge und die Muskeln des Feindes gegessen wurden, »um die Stärke des Opfers zu absorbieren«.192 Es ist gut, mächtige Feinde zu haben, sagen sie, weil sie gut zu töten und zu essen sind.193 Zugleich führt jeder Krieg frühe Traumata, inklusive Infantizid, wieder auf — wie ein sambischer Mythos erzählt: »Numboolyus Gattin, Chenchi, tötete ihr erstes männliches Kind. ... Und weil sie ihr erstes männliches Kind tötete, führen wir jetzt — Krieg.«194 

 

Wie zeitgenössische Kulte, die Babys töten und essen,195 beginnt in Neuguinea das Training zum Töten von Kindern früh. Mead berichtet: »Es wurde als notwendig erachtet, dass jeder Tchambuli in der Kindheit ein Opfer töten sollte und zu diesem Zweck wurden Opfer, zumeist Säuglinge oder Kinder, von anderen Stämmen erworben. ... Die kleine Speerhand des Jungen wurde vom Vater gehalten und das Kind, abgestoßen und entsetzt, wurde in den Kult des Kopfjagens eingeführt.«196 Die Genitalien waren für Kannibalen die Leckerbissen, der Penis des Opfers wurde von den Frauen gegessen und die Vagina von den Männern; die Kinder, so wird berichtet, hätten nach der Ansicht solcher Feste entsetzliche Albträume gehabt.197 Das perverse Ritual war so sexualisiert, dass Berndt berichtet, während des Kannibalenfests würden manchmal Männer mit dem toten Körper einer Frau, die man essen wollte, kopulieren und Frauen so tun, als ob sie mit dem Penis eines Toten kopulieren wollten, bevor sie diesen aßen.198 Die Vorstellung der Internalisierung durch Kannibalismus ist so stark, dass Meigs über die Hua sagt, »man fürchtet, dass wenn es einer Person nicht gelingt, den Leichnam seines gleichgeschlechtlichen Elternteils zu verzehren, diese Person ... verkümmert und schwach wird«.199 Offensichtlich ist das Essen des Körpers eines Elternteils oder eines Freundes eine extrem primitive Form, emotionalen Verlust wieder gutzumachen: »Wenn ein guter Mann starb, schmerzten unsere Leiber vor Hunger. Wir aßen ihn und der Schmerz linderte sich.«200)


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Die psychogene Pumpe und Evolutionsstufen in Neuguinea

Die 700 unterschiedlichen Kulturen in Neuguinea zeigen eine eindeutige, wenn auch komplexe Variations­breite von Evolutionsstufen von Kindererziehung, Psyche und Gesellschaft. Die Evolutionsleiter — rangierend vom Frühen bis Mittleren Infantizidmodus — verläuft im Allgemeinen vom südlicheren und östlicheren »Samengürtel« maternalen Inzests und Päderastie zum entwickelteren Norden und den westlichen »Big Man«-Hochland-gebieten.201 

 

Über das Jahrtausend wanderten die fortgeschritteneren Eltern nach Norden und Westen und diejenigen, welche sich nicht entwickelten und welche die gewalttätigeren, päderastischeren und weniger organisierten südlichen und östlichen Gebiete bevorzugten, blieben dort, oder sind von den fortgeschritteneren Gruppen zurück gewandert. Kindererziehungsmuster zeigen eine eindeutige Gebietsverteilung, konzentriert darauf, wie sehr die Mütter ihre Kinder umklammern: »Bei den östlichen Hochlandgesellschaften, wo Initiation am längsten dauert und am sorgfältigsten ausgearbeitet ist, scheinen die Jungen länger bei ihren Müttern und in den Frauenhäusern zu verbleiben, als in den westlichen Hochländern, wo Initiation fehlt. ... [Vielfach hatten im Osten] Männer wenig Kontakt zu ihren Söhnen, bis sie etwa zehn Jahre oder älter waren, [aber] bei einigen westlichen Hochlandgesellschaften verließen die Jungen ihre Mütter früher und eher nach und nach. ... Die Jungen übersiedelten im Alter von fünf Jahren in die Männerhäuser.«202 Dieses Muster folgt Richmans kulturübergreifenden Erkenntnissen, dass »wenn sich Kulturen entwickeln, die Mutter das Halten und den physischen Kontakt mit den Kindern verringert und mehr mit ihnen spricht«.203 Mütter in den westlichen Hochländern haben ein bisschen weniger Angst vor der Selbstständigkeit ihrer Babys, so lässt man sie öfter herumkrabbeln und weniger in Schlingen oder Krippen eingeschlossen sein.

 

Die Kulturen dieser zwei Gebiete werden wie folgt beschrieben: »Die Herstellung von <Männern> [durch Päderastie und Einübung zum Krieger] wird als Fokus der kulturellen Aufmerksamkeit unter den Tieflandgruppen gesehen, so wie die Herstellung von <bigmen> [Statusführern] in den Hochländern.«204

Die Ersterwähnten sind auf der Evolutionsleiter zwischen Jagen und Sammeln und primitivem Gartenbau steckengeblieben, während die Letzteren genug Innovation besaßen, um bessere Formen der Bewässerung und der Schweinehaltung zu entwickeln. Feil beschreibt, welch »archetypische soziale Struktur, wirtschaftliches Muster und soziales Umfeld, in dem männliche Initiation und sexuelle Feindseligkeit florieren ... am östlichen Ende [existieren], die in den westlichen Hochländern völlig fehlen, oder nur abgeschwächt vorkommen«.205 Da Mütter in den westlichen Hochländern weniger umschlingend sind, gibt es weniger Angst vor Verschmutzung durch diese und weniger Hass gegen Frauen; deshalb werden Frauen auch weniger ausgebeutet als im Osten oder Süden.206 Auch überrascht nicht, dass »in den östlichen Hochländern Frauen das Ziel feindlicher Zusammenstöße waren; in den westlichen Hochländern waren sie das nicht«.207


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Diese entwickelteren nordwestlichen Big-Man-Gruppen sind in der Lage, organisiertere politische und ökonomische Strukturen aufzubauen, die weit weniger hierarchisch als die im Osten und Süden sind, da sie mehr Innovation aushalten, ohne Wachstumsangst auszulösen, und so einen Überschuss an Schweinen und anderen Handelsgütern anhäufen können, um die es sich bei ihren komplexeren Gesellschaften dreht. Es ist jedenfalls möglich, einem Big Man beim Tausch oder bei rituellen Festen zu vertrauen, weil der inzestuöse und päderastische Gebrauch von Kindern reduziert und Verstoßung durch die Anfänge von Toleranz gegenüber Individuation ersetzt wurden. Auch die Kriegsführung ist bei Big-Man-Gesellschaften organisierter und deshalb eingeschränkter,208 tritt manchmal, verglichen mit den permanent kopfjagenden, menschenfressenden und andere Überfälle begehenden weniger entwickelten Gruppen, spärlich, etwa einmal in zehn Jahren, auf.209

 

Psychogene Haft in Neuguinea

Obwohl sich Neuguineas Eingeborene in den letzten 10.000 Jahren ein bisschen entwickelt haben, sind sie sicherlich den Jäger/Sammler- und den frühen Gartenbaukulturen unserer Vorfahren näher als die »friedlichen« (eigentlich befriedeten) Gruppen in Afrika, die so oft als Modell für frühe Menschengruppen herangezogen werden. 

Doch die unbeantwortete Frage über Neuguinea bleibt: Warum haben sie sich in den letzten 10.000 Jahren so wenig entwickelt? Sie hatten keinen späten Start, da bereits vor 6.000 Jahren in Neuguinea mit Landwirtschaft begonnen wurde, früher als in den meisten anderen Gebieten der Erde, von denen sie seitdem in psychologischer und kultureller Evolution überholt wurden.210 

Jedenfalls, die ersten Jäger und Sammler kamen vor 40.000 Jahren nach Neuguinea211) und man geht davon aus, dass die Landwirtschaft sich dort unabhängig entwickelte und sie so ausreichende und förderliche ökologische Bedingungen für Landwirtschaft vorfanden. Es ist wahr, dass sie keine Getreideeinträge oder größere domestizierbare Tiere (obwohl sie Schweine und Kängurus besaßen)212 hatten, aber sie teilten diesen Mangel mit anderen pazifischen Gebieten, wie Hawaii, und anderen polynesischen Inseln, die weit höhere Niveaus von Zivilisation als Neuguinea entwickelten. Diamond stellt die entscheidende Frage: »Warum verwendeten die Neuguineer weiter Steinwerkzeuge anstatt Metallwerkzeuge, blieben ungebildet und scheiterten an der Bildung von Königtümern und Staaten?«

Diamonds Antworten sind (1) zu wenig Menschen (1.000.000), (2) zu schwieriges Terrain (Sümpfe und Dschungel), und (3) zu viele Kriege (wegen zersplitternder Gruppen).213 Jedoch sind dies alles Umstände, die kulturelle Evolution bewältigt, zumal innovative Eingeborene anderswo den Dschungel rodeten, Bewässerung einführten und größere Populationen durch fortgeschrittenere politische Institutionen herstellten. 


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Wenn Neuguinea nie den komplexen Stand der Königtümer der hawaiischen und mayanischen Zivilisation erreicht hat — beide mit ähnlichen Ökologien —, dann deshalb, weil die Kindererziehung sich nicht ausreichend entwickelte, um neue Psychoklassen, die innovativ genug zur Erfindung neuer kultureller Formen wären, zu erzeugen.

 

Diamond schließt a priori jede Variation in der Eigenschaft der Menschen für Innovation aus und meint »alle menschlichen Gesellschaften enthalten erfinderische Menschen«.214) Wenn aber, worauf hier bestanden wurde, die Evolution der Kindererziehung der Schlüssel zu kultureller Evolution und Innovation ist, liegt die Krux der neuguineischen Probleme in der Unfähigkeit, bessere Mütter und hoffnungsvolle Töchter zu entwickeln, die erfinderischere Menschen großziehen. Natürlich bestätigen Infantizid­modus­elternschaft, die daraus resultierende Tiefe des Hasses und die Angst vor Frauen diesen Zustand laufend. 

Aber wie ist es den Neuguineern gelungen, Psychogenese für so lange zu unterdrücken und warum haben sie so wenige innovative, entwickelnde Mütter und hoffnungsvolle Töchter? Unglücklicherweise fehlt eine Untersuchung über Kindheit in Neuguinea total. Archäologie und Ethnogeschichte erwähnen Kinder nie,215 deshalb fehlt schlicht das Basismaterial, um die Frage zu beantworten. Ein paar informierte Vermutungen sind das Einzige, was man im Moment wagen kann.

 

Zum Einen, als die Menschen nach Neuguinea emigrierten, gehörte dieses zu Australien, daher entwickelten sich die eigentlichen Vorfahren in einem der trockensten Gebiete der Erde,216) waren periodischen Dürren ausgesetzt, was eine Auswirkung auf die Rückentwicklung von Elternschaft gehabt haben musste. Aus Dürren resultiert schlechte maternale Ernährung, was ein Enzym in der Plazenta reduziert, das Kortison deaktiviert; daher gelangt mehr Kortison in die Gehirne der Föten, was die Anfälligkeit für Stress bei Erwachsenen sowie die Weitergabe dessen an die nächste Generation erhöht.217 

Die Dürren könnten streng genug gewesen sein, um den genetischen Bestand er Eltern zu verändern, und könnten so die Elternschaft sowohl genetisch als auch epigenetisch über Generationen zurückentwickelt haben. Zusätzliche erhärtende Beweise für die Auswirkungen von Hungersnöten auf die Vernetzung des fötalen Gehirns zeigen die Erkenntnisse, dass Babys, die im holländischen Hungerwinter gegen Ende 1944 pränatal Hungersnöten ausgesetzt waren, höhere Raten schizoider Persönlichkeitsstörungen aufwiesen,218 weil die Wanderung von Gehirnzellen durch die neuronale Unterplatte unterbrochen wurde, was die fehlerhaften Verbindungen verursacht, die man normalerweise bei Schizophrenen findet.219)

Zweitens hat die kleine Größe der neuguineischen Insel den psychogenen Pumpeneffekt verhindert und Wanderungen so weit limitiert, dass frühe Infantizidmutterschaft das Aufkommen von innovativen Müttern überschwemmte (Biologen bezeichnen kleine Inseln manchmal als »Evolutionsfallen«) — obwohl es zugegebenermaßen anderen, noch kleineren Inseln im Pazifik gelungen ist, die evolutionäre Leiter viel weiter hinaufzuklettern.

Drittens und vielleicht am Wichtigsten, die am Wenigsten entwickelte Elternschaft findet man in Neuguinea Richtung Süden, die entwickeltsten hingegen im Norden, wo es den Trobriandern gelang, das Niveau eines Königtums zu erreichen. Anthropologen geben ihr Erstaunen darüber zu, »warum die Trobriandinsulaner Könige haben. Sie besitzen weder eine außergewöhnliche Populationsdichte, noch landwirtschaftliche Produktivität«.220) Relevant für diese Frage ist, dass, während die meiste neuguineische Population vom australischen Kontinent in den Süden kam und keine austronesische Sprachen beherrschten, die Trobriander und einige andere nahe gelegene Gruppen später hauptsächlich aus Taiwan kamen und austronesische Sprachen beherrschten. Taiwan war kulturell fortgeschrittener — und man kann dies auch für die Elternschaft annehmen —, als Menschen von dort vor 4.000 Jahren nach Neuguinea wanderten, die Kornernten hatten, echtes Weben, Metalle, Pfeil und Bogen und sogar Wasserbüffel kannten.221) Vermutlich hatten ihre Nachkommen bei der Kindererziehung einen Vorteil gegenüber den Eingeborenen weiter im Süden.

Doch beruhen diese evolutionären Spekulationen hauptsächlich auf Schlussfolgerungen, die noch realer archäologischer Feldstudien bedürfen. Um also die Fragen nach den verhältnismäßigen Raten der Evolution von Kindheit und Kultur beantworten zu können, muss man sich dem einzigen Gebiet auf der Welt zuwenden, in dem die Geschichte der Kindheit angemessener beforscht wurde: Europa. Die Beweise, die ich für die Evolution von Kindheit in Europa, von den frühesten Tagen an bis heute, gefunden habe, werden in Kapitel 8 und 9 vorgestellt.

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