T3.    Anmerk   Start    Weiter 

Die Geschichte des Schlagens von Kindern

 

239-268

Trotz gegenteiliger Annahmen schlagen heute Mütter ihre Kinder »bis zu zweimal so häufig wie Väter«,285) und Mütter in der Vergangenheit waren mit noch größerer Wahrscheinlichkeit die Verprüglerinnen der Kinder. Die typische Mutter wurde als eine ihre Kinder permanent schlagende beschrieben:

Sie war eine merkwürdige Frau, meine Mutter. Kinder schienen sie zu einer rachsüchtigen Feindseligkeit zu inspirieren, mit einem Zorn diese zu schlagen und zu stoßen, gegen Wände, gegen Stühle, auf den Boden.286  
Meine Mutter ... befolgte strikt Salomons Rat, nie die Rute zu schonen; insofern, als ich häufig dafür ausgepeitscht wurde, an einem frostigen Morgen traurig ausgesehen zu haben; und, ob ich es nun verdiente oder nicht, ich konnte an jedem Tag in meinem Leben der Bestrafung sicher sein.287)  
Mama schlug uns wegen jeder Kleinigkeit. ... Manchmal müsste man die Züchtigung eher eine Verprügelung nennen. ... Wir behielten die Spuren über viele viele Tage.288)  
Ich wurde oft gepeitscht. Meine Mutter sagte, man dürfe sein Kind nicht verwöhnen und peitschte mich jeden Morgen; wenn sie in der Früh keine Zeit hatte, tat sie es zu Mittag, selten später als um vier Uhr.289)

 

Fig. 8-4 
An der Wand hängendes Baby.

 


240

Wenn die Mutter keine Zeit fand, ihr Kind zu schlagen, oder wenn sie klagte: »Mir tut heute der Rücken weh, weil ich mich beim Auspeitschen von Susan verrenkt habe, da sie so gezappelt hat«,290 konnte sie immer noch einen »professionellen Auspeitscher« engagieren, der seine Kinderschlagendienste in Zeitungen annoncierte,291 oder, wie eine Mutter, einen »garde-de-ville [engagieren], der ihre drei Kinder einmal wöchentlich peitschte, ob sie nun schlimm waren oder nicht«.292 

Alle Experten rieten, Mütter sollten »ihren Kindern ab dem ersten Lebensjahr die Angst vor der Rute beibringen und leise zu weinen. ... Mache, dass er tut, was man ihm sagt, indem du ihn zehnmal schlägst, wenn er damit anfängt.«293 Da »Gott jeder Mutter die Kraft gegeben [und] ihr ein hilfloses Kind in die Arme gelegt hat. ... Alles was du tun musst, wenn es dir nicht folgt, ist ... körperliche Schmerzen so durchgehend und gleich bleibend zuzufügen, dass Unfolgsamkeit und Leiden im Kopf des Kindes unauflöslich miteinander verbunden sind.«294 Und da deine Kinder dich so sehr brauchen, »hegen sie keinen Groll gegen die, welche ihnen weh getan haben. ... Wie sehr ihn seine Mutter auch verdrischt, sucht er nach ihr und schätzt sie mehr als jeden anderen.«295

 

Über die Geschichte hinweg wurden Kinder bereits vor der Geburt geschlagen. Schwangere Mütter in der Vergangenheit wurden normalerweise von ihren Männern geschlagen, die bis zum 20. Jahrhundert dafür ein legales Recht hatten,296 und auch heute noch leben über ein Drittel der schwangeren Frauen in physisch misshandelnden Beziehungen — wobei die physischen Übergriffe während der Schwangerschaft eskalieren.297 Nach der Geburt beginnen die Hälfte oder auch mehr der amerikanischen Mütter — abhängig vom Gebiet —, ihre Säuglinge im ersten Lebensjahr zu schlagen.298 Typisch für die frühere Praxis waren die Kinder von Susanna Wesley:

[Ich würde] ihren Willen brechen ... bevor sie sprechen können. ... [Bevor sie] ein Jahr alt wurden, lernten sie die Rute fürchten. ... Dieser widerlichste Lärm des Weinens der Kinder konnte nur selten im Haus gehört werden, aber die Familie lebte gewöhnlich in solcher Stille, als ob da gar kein Kind unter ihnen gewesen wäre.299

Auch wenn das Kleinkind nicht weinte und dem flüchtigsten Blick der Mutter gehorchte, mussten die frühen Verprügelungen ernsthaft begonnen werden, wie bei dieser Mutter und ihrem 4 Monate alten Säugling: »Ich peitschte ihn jedenfalls bis er schwarz und blau war, und bis ich ihn nicht mehr weiter peitschen konnte, und er hatte nicht einen Millimeter nachgegeben.«300 

 

Fig. 8-5 
Mutter schlägt ihr Kind.


  241

Auch wenn das Kind weinte, weil es krank war, musste die Rute zur Anwendung kommen, da die Mutter die Schreie des Kindes als Kritik an ihr verstand: »Bevor sie fast ein Jahr alt war, begannen wir ... unsere kleine Tochter ... für ihr Weinen zu bestrafen. ... Es hat ihr beigebracht, ihre Gefühle zu beherrschen. ... Auch wenn ihr etwas fehlt und sie ein lautes Weinen ausstößt, bestrafen wir sie, bis sie es unterdrückt, [unter Verwendung] einer Rute.«301)

Kinder, so sagte Locke, müssen immer totale »Unterwürfigkeit und steten Gehorsam [zeigen]. ... Es muss früh passieren, ansonsten kostet es Schmerzen und Hiebe, sie wieder herzustellen.«302 Eine irische Mutter formuliert es kürzer und knapper: »Du musst sie schlagen, solange sie noch zu klein sind, um sich daran zu erinnern und dir Vorwürfe machen können.«303)

In der Antike konnte man Kinder steinigen, wenn sie »unkontrollierbar« waren. Philo schrieb: »Es ist rechtens, dass Eltern ihre Kinder rügen ... sie schlagen, sie schänden und sie einsperren. ... Das Gesetz erlaubt sogar, sie mit dem Tod zu bestrafen.«304)

Seneca beschrieb den VoUzug öffentlicher Prügelstrafen in Sparta, wo Jungen oftmals von älteren Leuten zu Tode geprügelt wurden. Brutale Prügelstrafen dauerten über das gesamte Leben der meisten Kinder in der Geschichte an, sodass Tagebücher bis vor nicht allzu langer Zeit mit Eintragungen gefüllt sind, wie: »die Hundepeitsche über der Tür«, und: »der Teppichklopfer in der Ecke. Mutter musste ihn nicht verwenden. Wenn wir schlimm waren, folgten wir ihrem Blick in die Ecke.«306

Der Prügelvorgang war ritualisiert, um den Eltern Schuldgefühle zu nehmen und den Vorgang zu sexualisieren. Vielfach wurden die Kinder gezwungen, »Gottes Segen für die Prügel« zu erbitten; »dann entkleidet die Frau mit Vergnügen den Hintern für die Prügel«. »Das Kind muss darum bitten, geschlagen zu werden ... (der Theologe Bartholomeo Batty schwärmte von Gottes Weisheit, Kinder mit solchen Hintern auszustatten, damit sie wiederholt ohne bleibende Schäden versohlt werden können).«306 Nach der Prügel zwang man die Kinder vielfach dazu, das Prügelgerät oder den Ausübenden zu küssen oder sich für das Schlagen zu bedanken, so wie sich der englische Schriftsteller Roger North erinnert, »ich musste zu weinen aufhören und >der guten Bahn, von der [Mutter] sagte, sie würde unsere Einstellung brechen<, danken«.307 Beschrieben werden die Eltern so, als wären sie außer Kontrolle geraten, »wild und begierig auf das Kind, es schlagend, werfend, tretend, wie es die normale Art ist«.308 Selbst Mütter, die schrieben, sie wären nett zu ihren Kindern gewesen, betonen die Notwendigkeit zu verprügeln, bis »der Pflug der Bestrafung tiefe Furchen auf ihrem Rücken hinterlässt«.309 Professionelle, die von den Eltern angeheuert wurden, verwendeten mit mehr Offenheit eine sexuell sadistische Ausrüstung:

Die Vorbereitungen bestanden darin, einen starken schmalen Tisch, Gurte (verstellbare Bänder für die Taille, die Knöchel und Handgelenke), Kissen und eine gute, lange, biegsame Birkenrute bereit zu haben und ihr zu sagen, sie solle ihr Kleid ausziehen. ... Für Schreie müssen weitere Schläge verabreicht werden. Wenn ein Mädchen sich wirklich sehr bemüht, es tapfer zu ertragen, dann, vielleicht, teile ich zehn anstatt zwölf aus.310


242

Kinder reicher Eltern wurden zumeist noch stärker verprügelt als andere, und zwar sowohl von ihren Aufpassern als auch von ihren Eltern. Louis XIII. wurde routinemäßig »gnadenlos verprügelt. ... Beim Aufwachen morgens ... ist er von seinem Kindermädchen mit einer Birkenrute oder einer Gerte auf die Gesäßbacken geschlagen worden. ... Sein Vater peitschte ihn selbst aus, wenn er in Rage war.«311 Am Tag seiner Krönung im Alter von 8, nachdem er ausgepeitscht worden war, sagte er, er »würde gerne auf soviel Huldigung und Ehrerbietung verzichten, wenn sie mich dafür nicht auspeitschen ließen«.312 Noble Eltern verlangten von den Kindermädchen, ihre Kinder zu schlagen; Henri IV. schrieb: »Ich habe eine Klage anzuführen: Ich erhalte von ihnen kein Wort darüber, dass sie meinen Sohn gezüchtigt hätten. ... Als ich so alt war wie er, wurde ich oft gepeitscht. Darum will ich, dass sie ihn versohlen.«313 Die Prügel endeten gewöhnlich blutig: »Katharine blutete sehr stark aus der Nase, von einem Schlag, den ihr die Mutter aufs Ohr gegeben hat. ... Nach einer Stunde ist sie nach Haus gekommen, sie blutete wieder, sehr wund, von herausspritzendem und pulsierendem, sehr frischem gutem Blut, woraufhin ich es als Blut der Arterie begriff.«314)

 

Gesetze schützten Kinder bis zur Moderne nicht vor Grausamkeit, außer sie wurden zu Tode geprügelt; so lautet ein Gesetz aus dem 13. Jahrhundert: »Wenn jemand sein Kind schlägt, bis es blutet, dann wird es sich erinnern, aber wenn es jemand zu Tode prügelt, kommt das Gesetz zur Anwendung.«315 Da man Kinder mit denselben Werkzeugen wie Kriminelle oder Sklaven schlug, konnten Bestrafungen mit Peitschen, Schaufeln, Ruten, Eisenstangen, neunschwänzigen Gerten, Bündeln von Stäben, was immer gerade zur Hand war, erteilt werden.316 Die Eltern könnten vermeiden, sie umzubringen, sagte Bartolomeo Batty, indem sie ihre Kinder nicht »in ihr Gesicht und auf den Kopf schlagen und ohrfeigen, und über sie wie auf Malzsäcke herfallen, mit Knüppel, Dauben, Gabeln oder Kohleschaufeln ... [anstatt dessen] ihn an den Seiten mit der Rute zu schlagen, wovon er nicht sterben würde«.317

 

Wenn die Kinder in die Schule kamen, gingen die Verprügelungen mit verstärkter Heftigkeit weiter. Prügel wurden für die Basis des Lernens gehalten, weil, wie es ein Erzieher sagte, »Angst gut dafür ist, Kinder in eine Stimmung des Zuhörens und Verstehens zu versetzen«.318 Augustinus erinnert sich an die regelmäßigen Prügel, die er in der Schule kassierte und beschrieb die Verwendung von »Folterbänken und Haken und anderen Qualen«.319 Kinder wurden für jeden Fehler geschlagen, wie »dafür bestraft zu werden, den Ablativ nicht markiert zu haben«,320 und da unter den Lehrern über Jahrhunderte der Sadismus grassierte, wurden die verabreichten Bestrafungen der Kinder vielfach als »ausgezogen vor der ganzen Gemeinschaft und geschlagen bis sie bluteten«321 beschrieben, und die prügelnden Lehrer taten dies mit »einem hämischen Blick sinnlicher Grausamkeit«.322 Über Schulmeister wurde geschrieben, sie hätten »die hübschesten und lieblichsten Jungen ... mit zu ihrem Haus [genommen,] um sich nach einem oder zwei Hieben [mit einer Rute oder einer Peitsche] in ihre privaten Dinge einzumischen«.323


Die Evolution der Kindererziehung  243

Es sind viele Bücher und Artikel verfasst worden, welche die »erotische Bestrafung« in britischen Schulen detailliert ausmalten,324 doch war der erotische Inhalt von schulischen Verprügelungen überall seit frühen Zeiten bestens bekannt.325 Die Kinder wunderten sich: »Während der ersten fünf oder sechs Jahre wird uns beigebracht, unser Gesäß und unsere schamhaften Körperteile zu verstecken; dann ... kommt ein Lehrer daher und zwingt uns die Hosen aufzuknöpfen, sie hinunter zu ziehen, unser Hemd hochzuziehen, alles herzuzeigen und inmitten der Klasse die Peitsche zu empfangen.«326 

Mädchen wurden gleich bestraft. Hannah Lynchs Prügel im 19. Jahrhundert waren typisch: »Die Oberin spannte meinen Kopf eng unter ihren Arm und die muskulöse Laienschwester geißelte meinen Rücken mit einer dreistrahli-gen Peitsche, bis das Blut aus den langen Streifen schoss und ich in Ohnmacht fiel.«327

Man findet in der Antike und im Mittelalter kein Kind, das schwerem physischen Missbrauch entkam - zu Hause, in der Schule, in der Lehre; alle litten vom Kleinkindalter bis zur Adoleszenz unter dem »Geschlage-nen-Kind-Syndrom«. Das Alte Testament verlangt nicht nur das Schlagen von Kindern; es sagt, Kinder, die ihre Mutter oder ihren Vater verfluchen, »sollten mit Sicherheit des Todes sein«.328 Chinesische Eltern straften ihre Kinder durch »hundert Hiebe mit einem Bambusrohr, ... Strangulierung [oder] sie zogen ihnen mit rot glühenden Zangen das Fleisch vom Leibe«.329 St. Ambrose lobte Hauslehrer dafür, »mit der Peitsche freizügig umzugehen«330; Augustinus »lebte in der Furcht vor der Peitsche seines Lehrers«; und kriegerische »Witze über die Beschwerden von Nachbarn einer Schule: Der Lärm von den geschlagenen Schülern lässt sie früh jeden Morgen verärgert aufwachen«.331 Mounteer beschreibt die römische Erziehung als routinemäßig brutal: »Stöcke, Peitschen, getrocknete Aalhaut, oder Bündel von getrocknetem Schilf wurden mit solcher Heftigkeit an den Händen der Kinder angewendet, dass diese anschwollen und die Kinder Probleme hatten, ihre Bücher zu halten.«332 Abbildungen zeigen Mütter, die ihre Kinder zur Schule bringen und verlangen, dass diese geschlagen würden, und Beschreibungen von Verprügelungen mit der Ferula, einem Stock mit darauf angebrachten Knoten, erzählen, wie »die Hände der Kinder von diesem Instrument derartig geschwollen waren, dass sie kaum ihre Bücher halten konnten«.333

Im Mittelalter begannen vereinzelt Reformer wie Sankt Anselm zu hinterfragen, ob das Auspeitschen von Kindern »Tag und Nacht« klug wäre334: »Sie auf den Boden zu werfen [und] sie wie Hunde zu treten [ist eine] Art der Bestrafung, die ich als verabscheuenswürdig verurteile«.335 Dennoch änderte sich für die meisten Kinder wenig, außer, dass bis zum 17. Jahrhundert manchmal, wenn sie während der Lehrzeit totgepeitscht wurden, der Lehrherr wegen Totschlag verurteilt werden konnte.336 Kleine Säuglinge wurden als erste von den Peitschungen ausgenommen: »Ein sechs Monate altes Kind schreit, wenn seine Mutter es in die Arme einer anderen Person gibt. ... Das Kind sollte dafür nicht gezüchtigt werden.«337 


244

Im 18. Jahrhundert, zur Zeit der Sozialisierungsmoduselternschaft, fand ich die ersten Kinder in der Geschichte, von denen man sagen kann, sie wurden überhaupt nicht geschlagen338 - speziell in Amerika, wobei sich europäische Besucher einig waren, »alle amerikanischen Kinder waren arg verdorben«.339 Obwohl Pecks umfangreiche Studie über Gewalt in amerikanischen Familien befindet, alle Kinder im 18. Jahrhundert, die sie untersuchte, wurden »mit Gegenständen geschlagen, ... die vom Gürtel bis zur Pferdepeitsche reichten«,340 fand sie im 19. Jahrhundert doch einige, die überhaupt nicht geschlagen wurden. 

Das erste Mal in der Geschichte entdeckten Mütter, sie könnten »eine tiefe, unstillbare Liebe für ihren Nachkommen«341 empfinden und allem »Peitschen, Rohrstockprügeln, Ohrfeigen, Bei-den-Ohren-Ziehen oder An-den-Haaren-Reißen« entsagen,342 und bevorzugten stattdessen scharf tadelnde Worte oder das Einsperren in ein Zimmer. Im frühen 20. Jahrhundert behaupten 12 Prozent der weißen Amerikaner in einer Studie, ihnen wäre nie der Hintern versohlt worden.343 In den Schulen stimmten jedoch die meisten Amerikaner dem Lehrer zu, der sagte, »moralisches Zureden ist meine Überzeugung, aber Prügeln meine Praxis«,344 und Schulen in Boston befanden 1850, es brauchte »65 Verprügelungen pro Tag, um eine Schule mit 400 Schülern betreiben zu können«.345 Obwohl 23 Bundesstaaten das Schlagen in der Schule billigen und drei Millionen Kinder jährlich346 in amerikanischen Schulen immer noch gewatscht werden, ist die Prügelstrafe in den Vereinigten Staaten nichts gegen die infamen britischen Schulbestrafungen, die ohne abzuklingen über das gesamte 20. Jahrhundert hindurch weiter gingen, wo die Prügel oft von flagelloma-nischen Lehrern in öffentlichen Zurschaustellungen von Grausamkeit vollzogen wurden.347

Umfragen über die Züchtigungspraktiken amerikanischer Eltern zeigen, etwa ein Viertel würden ihre Kinder immer noch mit irgendeinem harten Gegenstand schlagen, Mütter mehr als Väter, und Kleinkinder wären diejenigen, die am häufigsten geschlagen würden.348 1992 schlugen über 90 Prozent amerikanischer Eltern ihre kleinen Kinder; und diese Rate fiel bis 1999 auf 57 Prozent.349  Es konnte keine Verbindung zwischen dem Grad an Reichtum und der Ausübung der Prügelstrafe gefunden werden.350 1979 war Schweden das erste Land der Welt, das die Prügelstrafe generell verbot und obwohl Eltern, die ihre Kinder schlagen, nicht bestraft werden, ist es alleine die Missbilligung, plus das Trainieren von Mittelschülern in Alternativen zum Schlagen, was die Zahl der geschlagenen Kinder auf unter 30 Prozent gedrückt hat.361)

 

Fig. 8-6 
Kind wird 
von einem Lehrer verprügelt.

 


  245

Es gibt, während dies geschrieben wird, acht weitere europäische Staaten, die Antiprügelgesetzesvorlagen eingebracht haben, und selbst Deutschland und England erwägen die Einführung — obwohl die Praxis selbst von den Vorlagen noch nicht berührt wurde.362 Die meisten europäischen Länder besitzen gegenwärtig Prügelraten, die etwas über denen Amerikas liegen, während außerhalb Westeuropas die meisten Raten beträchtlich höher sind.353

 

Frieren, Werfen und Foltern von Kindern 

 

Die Anzahl von Kindern in der Vergangenheit täglich routinemäßig zugefügten Folterungen erscheint jenseits des Begreiflichen. Von Geburt an mussten die Kinder konstant Frierungspraktiken ertragen, Eiswasserbäder und die Taufe inkludiert:

Kinder wurden getauft, indem man sie in ein großes Loch, das ins Eis [des Flusses] Neva geschlagen wurde, das zu der Zeit fünf Fuß dick war, eintauchte. ... Dem Priester passierte, dass ihm ein Kind aus den Händen glitt. »Gib mir ein anderes«, schrie er. ... Ich sah den Vater und die Mutter in einer Ekstase der Freude. ... Das Baby ist direkt in den Himmel aufgestiegen.354

Die Mutter nahm das Baby und einen Topf mit heißem Wasser mit in den Garten ... leerte das Wasser auf den Schnee, schmolz in so und machte ein Becken, das für einige Tage als Waschbecken genutzt werden konnte; alles, was sie am nächsten Tag zu tun hatte, war, das Eis zu brechen.356

Eiswasserbäder waren historisch von Antike bis in moderne Zeiten eine weit verbreitete Praxis - »je kälter das Bad, umso besser ... wiederhole es täglich«356 -, sodass »der Schock schrecklich war, das Entsetzen des armen Kindes davor, jeden Morgen, wenn es aus dem Bett genommen wurde, umso mehr so«.357 Die Ausrede, die man gab, war, es wäre zur »Abhärtung« des Kindes nötig, »ihre Körper zu stärken, indem man sie in kaltes Wasser wie ein weiß glühendes Bügeleisen taucht«,358 damit, wenn der »kleine Säugling in kaltem Wasser [gewaschen wird] ... selbst ununterbrochen schreiend, sich [die] Mutter ihre Ohren mit dem Bettzeug bedeckte um sich durch die Schreie nicht sorgen zu müssen«,359 es gegen die Grausamkeiten des Lebens abgehärtet wäre. 

John Locke empfahl Eltern nicht nur, die Füße ihrer Kinder täglich mit kaltem Wasser zu waschen, sondern diese auch »so dünne Schuhe [tragen zu lassen], die löchrig waren und Wasser einließen« und Kleider und Schlafräume benutzen zu lassen, die es ihnen erlaubten, immerzu zu frieren.360 Die meisten Gesellschaften wandten diese spartanischen Abhärtungstechniken an. Russen beklagten traditionelle Abhärtungen, wie in eiskalte, nasse Tücher gewickelt zu Bett gelegt zu werden361, und koloniale Neu-England-Kinder mussten »mehr als die halbe Zeit«362 mit nassen Füssen dasitzen. Alternativ dazu waren Mütter so unfähig mit ihren Kindern mitzufühlen, dass diese vielfach »keine Notiz davon nehmen, welche Schmerzen sie verurSachen und Bäder für Kinder so heiß zubereiten«, dass diese sich schwer verbrühten.363


246

Jahrhundertelang beklagten viele Menschen Eltern, die Säuglinge umher warfen, eben wie der Bruder von Henri IV. zum Vergnügen von Fenster zu Fenster gereicht, fallen gelassen und getötet wurde.364 Kinder wurden häufig mit zusammengebundenen Händen ins Bett gelegt, mussten Korsette mit knöchernen Versteifungen, eiserne Mieder und Halsbänder aus Stahl tragen, wurden gezwungen, täglich stundenlang, an ein Rückenbrett gebunden, in Lagerräumen zu sitzen, angeblich um ihnen Beherrschung beizubringen.365 Berichte über das stundenlange Wegsperren von kleinen Kindern in Schränken waren legendär.366

Schmerzhafte Einlaufe wurden oftmals täglich verabreicht, da »man annahm, Kinder sollten speziell vor den Mahlzeiten gereinigt werden, >aus Angst, die Milch würde sich mit etwas Kot vermischen^«367 Oft wurden Kinder zu Bett gebracht und man sagte ihnen, sie sollten über ihren Tod und das Elend, das sie in der Hölle erwarten wird, nachdenken.368 Kinder wurden gewissenhaft mitgenommen, um öffentlichen Hinrichtungen beizuwohnen, dann, »nach Hause zurückgekommen, ausgepeitscht, ... damit sie sich an das Exempel erinnern werden«.369 Kinder in der Antike hatten unendliche Angst davor, sie würden aufgegessen, entführt, oder von Geistern zerhackt werden, so wie von Lamia, »dem schwarzen Mann, der schlimme Kinder holt«, »dem Kobold im Keller«, »den Schneider mit riesigen Scheren«, und »Striga, die Kinder angreifen, ihre Körper schänden und mit ihren Schnäbeln Säuglingen das Fleisch zerreißen«.370) Um den Terror realer zu machen, haben die Fürsorgenden sich verkleidet, was die Kinder ängstigen sollte, oder bemalten sich wie ein Werwolf oder ein blutrünstiges Monster und »grölten und brüllten das Kind an [und] taten so, als würden sie den Säugling verschlucken wollen«.371

 

Das Verlassen von Kindern 

 

Das Verlassen von Kindern mag weniger traumatisch als sie zu fesseln, zu schlagen und zu terrorisieren erscheinen, jedoch lassen Biographien von Erwachsenen selten weg, den tiefen Schmerz zu erwähnen, den sie als Kind spürten, wenn sie von ihren Eltern weggegeben wurden. Neugeborene, die am Straßenrand liegen gelassen wurden, verstarben fast immer,372 aber selbst die Babys, die, beginnend mit der Moderne, in Findlingsheime kamen, starben in der Regel durch schlechte Behandlung in den Institutionen.373 Besucher solcher Findlingsheime beschrieben die Kinder dort als...

...verkümmerte Kreaturen, weder kindähnlich noch menschlich. ... Sie sitzen eng gepackt an der Wand oder waren ineinander verknotet, dumpf und verblödet. ... Nie wurde mit ihnen gespielt oder gekuschelt. ... Es ist ein Feiertag, wenn man mit ihnen durch den Raum spaziert. ... Es ist ein Raum des Drecks, gefüllt mit unaufhörlichem Weinen, wo ihr Mangel an anständiger Bekleidung, ihr Elend und die daraus sich ergebenden Schwäche in Kombination in wenigen Tagen ihren Tod herbeiführen wird.374


  247

Die meisten in Findlingsheimen abgegebenen Kinder waren ehelich geboren375 — mehr Mädchen als Jungen376 —, und bis zu 90 Prozent der Findlinge starben entweder im Krankenhaus oder nachdem sie zu einer Amme kamen. Es ist so kein Wunder, wenn der Vorschlag kommt, man möge folgendes Motto über der Tür eines Findlingsheims eingravieren: »Hier werden Kinder mit öffentlichen Mitteln umgebracht«.377 Es ist unwahrscheinlich, wenn Historiker zu dem Schluss kommen, diese Massenvertreibung würde »nicht so sehr den Mangel an Zuwendung reflektieren, sondern eine tiefe Angst davor, sie zu lieben«.378

 

Babys, die nicht Findlingsheimen überlassen wurden, konnten von ihren Eltern fast während der gesamten Geschichte als Sklaven verkauft werden; jedenfalls gibt es in der Welt heute immer noch Hunderttausende Sklaven in Form beweglichen Eigentums, noch viel mehr in der Schuldleibeigenschaft.379 Öffentliche Auktionen von Kindern waren überall in Europa und auch in Asien bis in moderne Zeiten gang und gäbe.380 Ein amerikanischer Kolonist beschreibt den Verkauf von Kindern in Leibeigenschaft, der anlässlich des Landens von Schiffen in Philadelphia stattfand: »Viele Eltern müssen ihre Kinder verkaufen oder gegen ebenso viele Rinder eintauschen; denn wenn die Kinder die Schuld auf sich nehmen, können die Eltern das Schiff frei und unbehelligt verlassen.«381

 

Die einzige Institution, bei der die Eltern ihre Kinder abgeben konnten und wussten, sie hätten eine höhere Wahrscheinlichkeit zu überleben, waren religiöse Orden. Die Eltern wussten, dass auch die Mönchs- und Nonnenklöster missbrauchend waren — »Es gibt eine Einschrift über dem Tor zur Hölle: <Nimm Abschied von jeder Hoffnung, der du eintrittst> über den Toren der Klöster sollte dieselbe erscheinen.«382 —, aber sie zahlten viel Geld dafür, sie dort permanent abzuladen.383 Laienbrüder waren normalerweise keine Kinder von Armen, daher gibt es kein Argument für eine ökonomische Notwendigkeit - die Eltern übergaben den religiösen Orden gewöhnlich große Geschenke, damit diese ihre Kinder annahmen.384 

Die Kinder wurden zur Katastrophe, zum Opfer an Gott, und die Klöster »wurden zu einem grausamen Leben in harter Arbeit, langweiliger Routine, Verprügelungen und der Angst vor sexueller Sünde und Übergriffen«.385 Im Gegenzug konnten die Eltern »klerikale Gebete und, letztendlich, die Erlösung«386 erwarten - z. B., ein wenig Frieden vor ihrem strafenden maternalen Alter Ego. In den Klöstern besaßen die Kinder den rechtlichen Status von Sklaven und wurden endlos ausgepeitscht, nackt ausgezogen, durch schwere Fastenzeiten ausgehungert, durften in der Nacht nur fünf Stunden schlafen und wurden von Klerikalen und älteren Jungen sexuell missbraucht.387 Im 12. Jahrhundert begann die Leibeigenschaft abzunehmen, als reiche Eltern entschieden, sie zögen vor, Diener zu beschäftigen, die ihre Kinder zuhause peitschen, aushungern, foltern und sexuell missbrauchen würden.388

 


248

Das Entsenden von Kindern in Pflege, Lehre und Dienerschaft  

 

Eine weitere weit verbreitete Verstoßungspraxis in der Geschichte war die Pflege:

Pflege fand man hauptsächlich unter dem Adel und anderen besserverdienenden Eltern [und] diese war so üblich, dass die Bemerkung, »alle Kinder würden zuhause aufwachsen«, als ungewöhnlicher Vorfall bezeichnet wurde. ... Söhne erhielten ein neues Netzwerk an Verwandtschaftsverhältnissen, aber die Bindung an die Mutter war meistens ausgeschlossen, und — zur Überraschung des modernen Lesers — diese schien den Umgang mit ihrem Sohn auch nicht zu wünschen.389

Kinder mochten aus Gründen »der Zuneigung oder für Geld«, sobald sie von der Amme kamen, in die Pflege gegeben worden sein, üblicherweise zu anderen Familienmitgliedern, und blieben dort bis zur Adoleszenz.390 Da so viele Familien ihre Kinder einfach untereinander austauschten, erstaunt dieser Brauch, es sei denn, man zieht in Betracht, dass Erwachsene Pflegekinder emotional missbrauchender behandeln konnten — man ließ sie wie Sklaven arbeiten, schlug sie, missbrauchte sie sexuell —, als wenn diese ihre eigenen Kinder behielten.391 

Eltern, die heutzutage ihre Kinder in Pflege geben, erklären, sie könnten »ihre Nachkommen nicht effektiv disziplinieren«, wenn sie diese behalten würden.392 Bei archaischen Gesellschaften war die Pflegeaufzucht so verbreitet, dass der Bruder der Mutter oft der »Aufzieher« oder »Pflegebruder« genannt wurde, und »unter den Hethitern, Griechen, Römern, Kelten und Germanen [würde] der Bruder der Mutter die Initiation überwachen und ... sein Mündel rituell sodomieren«.393 Die Pflegepraxis kommt in allen komplexen Gesellschaften bis weit in moderne Zeiten vor.394 Die Eltern fragten einfach die Onkel oder Großeltern, ob sie »ein Kind brauchten«,395 und verfrachteten eines zu ihnen hinüber. Wenn jemand sein Kind Adeligen sandte und es durch Missbrauch ums Leben kam, wurde erwartet, den Pflegeltern zu danken und ein weiteres Kind vorbeizubringen.396

Es gab nur geringe Unterschiede zwischen Pflege, Adoption, Lehre und Dienerschaft. Alle zogen praktisch Sklaverei ohne Rechte für die Kinder nach sich. Eine oft zitierte Überzeugung der Italiener gegen Ende des 15. Jahrhunderts besagt: »Das Bedürfnis nach Zuwendung bei den Engländern gegenüber ihren Kinder ist stark manifestiert. ... Sie geben sie hinaus, männliche wie weibliche, zu harter Dienerschaft in den Häusern anderer Leute. ... Nur wenige werden geboren, die von diesem Schicksal ausgenommen wären, da jedermann, wie reich er auch sein möge, seine Kinder in die Häuser anderer schickt; während er, im Gegenzug, solche von Fremden bei sich empfängt.« In Wahrheit gaben die Italiener dieser Zeit ihre Kinder genauso in Pflege oder in die Lehre.397 Man war sich darin einig, dass »es gut ist, die Kinder dem Anblick des Vaters und der Mutter zu entziehen und sie Freunden zu geben, damit sie nicht streitsüchtig werden; und auch sind sie, wenn sie in einem fremden Haus sind, ängstlicher und wagen es nicht, fröhlich zu sein, und haben Angst vor Schelte«.398


  249

Die Hälfte aller Personen, die in die südlichen Kolonien Amerikas kamen, waren Kinder mit Lehrverträgen.399 Bis weit ins 20. Jahrhundert hörte England nicht auf, Hunderttausende von Kindern zur Pflege nach Kanada und Australien zu schicken; ein kanadischer Minister beschwerte sich über die Praxis Englands, Kanada als »Ablagerungsplatz für den Abfall der Straßen ... Heimatlose, Streuner und Kinder mit brutalen und kriminellen Tendenzen«400 zu verwenden. Für Millionen von Kindern in vielen Gebieten dieser Welt ist das heute noch gängige Praxis.401)

 

Lehre und Dienerschaft waren das Schicksal praktisch aller Kinder, gleich ob arm oder reich.402 Ein Meister »mag ein Tiger der Grausamkeit sein, er mag schlagen, missbrauchen, sie nackt ausziehen, hungern lassen oder mit dem unschuldigen jungen Kerl tun was er will, wenige Leute schenkten dem Beachtung«.403 Auch Mütter schlugen Lehrmädchen. Eine typische Beschreibung aus dem 18. Jahrhundert liest sich so: »Elisabeth fing an, sie zu schlagen und dann hinaus zu treten und schleppte sie unter Verwendung der schrecklichsten Ausdrücke die Stiegen rauf und runter. Sie hatte immer eine in einer Lake getränkte Rute parat, mit der sie auf sie einschlug, wenn sie ausgezogen waren, um zu Bett zu gehen. ... Sie fesselte das Mädchen häufig nackt und schlug es mit einem Kaminbesen, einer Pferdepeitsche oder einem Stock, bis das Kind absolut sprachlos war.«404 

Die Vergewaltigung dieser Kinder war weit verbreitet — da diese sich so einsam und zurückgewiesen fühlten, war es für sie leichter, sich für die Illusion von ein wenig Aufmerksamkeit sexuell missbrauchen zu lassen. In der Antike war das Vergewaltigen von Dienern Routine, da man meinte, Treue gelte nur »für die Mauern ums Haus und wäre nicht ans Hochzeitsbett selbst gebunden«.406 Einträge in Tagebüchern in der gesamten Geschichte, wie »mein Meister kam in mein Bett um 2 Uhr morgens und schändete meine Person«406, waren üblich und Verwandte, die ihre Kinder als Diener wegschickten, hätten dem neuen Meister versichert, »[sie] wird deinem Schwanz entsprechen«.407 Häufig schliefen Meister nächtens mit ihren Jungen- und Mädchendienern und vergewaltigten diese.408

Die selbst von kleinen Kindern, welche zu anderen geschickt wurden, verrichtete Arbeit zählte zu der schwersten und gefährlichsten, die gemacht werden musste.409 Ob es tägliche 12stündige Feldarbeit war,410 oder die riskante Arbeit der »kletternden Jungen«, die beständig »gestochen, geschlagen, erfroren, gezwickt und missbraucht«411 wurden — selbst kleine Kinder konnten in der Obhut anderer nicht auf Empathie zählen:

 

Fig. 8-7 
Mutter schlägt eine Magd

 


250

Kleine Jungen mussten als Kaminfeger dienen und blieben dabei stecken oder erstickten vom Ruß, oder wurden sogar geröstet. ... Ihre Angst vor der Dunkelheit und das oftmalige Ersticken durch das Rauchgas mussten irgendwie durch noch mehr ängstigenden Druck von unten bewältigt werden. ... Die Meister drohten ihnen mit Schlägen [oder] legten Stroh ins Feuer darunter oder stießen Nadeln in ihre Füße. ... Kein Wunder, dass Kindermädchen schlimmen Kindern damit drohten, sie dem Rauchfangkehrer zu übergeben und die Kinder bei seinem Anblick Entsetzensschreie ausstießen.412

Selbst als sich die Schulen im 18. Jahrhundert verbreiteten, besuchten die Kinder diese nur wenige Jahre und wurden dann in die Lehre geschickt. Ein englisches Mädchen erinnerte sich: »Am Tag, an dem ich acht Jahre alt wurde, verließ ich die Schule und fing an, zusammen mit vierzig bis fünfzig anderen Kindern, 14 Stunden am Tag auf den Feldern zu arbeiten. ... Den ganzen Tag folgte uns ein älterer Mann, der eine lange Peitsche in seinen Händen hielt und auch nicht vergaß, sie einzusetzen.413

Über das formale Verlassen, wie Pflege und Lehre, hinaus, gaben Mütter in der gesamten Geschichte ihre Kinder aus allen möglichen Rationalisierungsgründen weg: »Weil die Mutter ein weiteres Kind erwartete« (Ju-hannes Butzbach), »um sprechen zu lernen« (Disraeli), »zur Heilung von Ängstlichkeit« (Clara Barton), für die »Gesundheit« (Edmund Burke), »als Schuldpfand« (Madame d'Aubigne), oder einfach deshalb, weil man diese nicht wollte (Richard Baxter, Richard Savage, Augustus Hare, Swift). Hares Mutter brachte die Lockerheit dieser Verstoßungen zum Ausdruck: »Ja natürlich, das Baby kommt weg, sobald es abgestillt ist; und wenn jemand anderer auch gerne eines hätte, möchte ich diesen gerne daran erinnern, dass wir auch noch andere haben.«414 Wenn niemand das Kind haben wollte, wurde es meistens älteren Kindern, Kindermädchen oder anderen zur Pflege zugeteilt (Autobiographen erinnern sich regelmäßig: »Ich sah Vater und Mutter nie, außer für einen kurzen Moment am Morgen.«),415 und sehr oft verschwanden sie im Feuer oder fielen in den Brunnen.416 Selbst in modernen Zeiten, als Mütter anfingen, ein wenig Interesse für ihre Säuglinge zu zeigen, hatten sie die Pflegearbeit bald satt und schickten ihre Kinder fort. Am 7. Juni 1748 bekam Madame d'Epinay ihren 20 Monate alten Sohn von der Amme zurück und fing an, in ihr Tagebuch zu schreiben:

Mein Sohn ist zurück. ... Er schreit, wenn ich ihn allein lasse. Er hat jetzt schon Angst vor mir, was mir gar nicht leid tut, weil ich ihn nicht verwöhnen will. Manchmal denke ich, wenn er mich so anlächelt und anschaut und er in seiner Freude mich zu sehen in die kleinen Hände schlägt, dass es keine gleichkommendere Befriedigung gibt, als das eigene Mitgeschöpf glücklich zu machen.4"

Aber bald findet sie das Aufziehen deprimierend, schreibt über die »Apathie und Gleichgültigkeit«, die sie fühlt, weil ihre Kinder »nur Arbeit machen, eine Pflicht für mich sind und mein Herz überhaupt nicht erfüllen«, übergibt sie dem Kindermädchen und nimmt sich selbst einen Liebhaber. 


Die Evolution der Kindererziehung  251

Dieses Weggeben an andere ging bis vor kurzem in osteuropäischen Nationen, wie der Sowjetunion, weiter, wo Behörden vielfach über »Kuckucksmütter [klagen, die] keineswegs notwendigerweise unter finanziellen Nöten leiden, doch selbstsüchtig entscheiden, es wäre leichter, ihr Kind in staatlicher Pflege aufziehen zu lassen, anstatt sich selbst um ihr Baby zu kümmern«.418)

 

Maternaler Inzest: das Kind als Brust 

 

Im vorangegangenen Kapitel wurde der weit verbreitete maternale Inzest — mit der Mutter, die das Kind als erotischen Brustersatz verwendet, indem sie es masturbiert oder an seinen Genitalien saugt — bei zeitgenössischen analphabetischen Stämmen dokumentiert. Obwohl man wegen des Mangels an detaillierten Beobachtungen früher Mutterschaft in der Vergangenheit nur schwer an klare Zeugnisse herankommt, ist es wahrscheinlich, dass der sexuelle Missbrauch durch Mütter und Ammen bis in moderne Zeiten angehalten hat.

Maternaler Inzest war für Menschen wahrscheinlich die erste Form von Bindungsverhalten. Über Primatenmütter wird vielfach berichtet, sie würden mit ihren Kindern kopulieren; jedenfalls könnten viele Reproduktion nicht lernen, wenn sie nicht in der Kindheit Geschlechtsverkehr mit Erwachsenen hatten.419 Viele noch unreife Primaten »kopulieren mit ihren Müttern ... erforschen die Genitalien der Erwachsenen und erfahren die Manipulation ihrer eigenen«.420 Unsere nächsten Vorfahren, die Bonobo-Schimpansen - sie erhielten den Titel »Erotikchampions« der Primaten -verbringen viel Zeit mit dem Saugen und Masturbieren der Genitalien und »genitogenitalem Reiben« der Jugendlichen beider Geschlechter, »um Spannungen abzubauen«.421 Junge Primaten werden regelmäßig dabei beobachtet, wenn man ihnen beibringt, gegen den Genitalbereich der Mutter zu stoßen.422

Diese »Sexualisierung des Säuglings« wurde wahrscheinlich ausgeweitet, als die menschlichen Nachkommen größere Köpfe bekamen, was zur Folge hatte, dass menschliche Säuglinge durch den engen Geburtskanal mussten, bevor der Kopf zu groß wurde und sie deshalb »fötal geboren« wurden, äußerst unreif und zunehmend hilflos, wodurch bei frühen Menschen »die maternale Aufmerksamkeit für hilflosere Säuglinge nicht ausreichte«.423 Dies wiederum bedeutete eine Selektion der Babys, welche die erotischen Bedürfnisse der Mutter am ehesten befriedigen konnten - zum Beispiel durch die Vergrößerung haarloser, erotischer Hautflächen - und die dann am besten gestillt und als erotisches, Spannungsreduzierendes Objekt gepflegt wurden. Ähnlich wurden diejenigen menschlichen Mütter selektiert, welche die größten und erotischsten Brüste entwickelten, damit ihre Kinder diese erreichen könnten424 und deren Genitalbereich sich nach vorne verschob, wo sie ihn an ihren Kindern rieben.426)


252

Die psychogene Evolution der zentralen Motivation der Mutterschaft von Inzest zu Empathie dauerte viele Jahrtausende, und Inzest ist viel vorherrschender, als man realisiert. Da sowohl Täter als auch Opfer im Leugnen seines Vorkommens kolludieren, geht man bei aktuellen Zahlen für den sexuellen Missbrauch durch Frauen - 13 Prozent an Mädchen und 24 Prozent an Jungen - wahrscheinlich von zu niedrigen Annahmen aus.426 (Einige Studien belegen jedenfalls eine doppelt so hohe Wahrscheinlichkeit des Missbrauchs von Mädchen durch Frauen als von Männern.427) Dieses Verleugnen ist deshalb möglich, weil Frauen ihre Kinder in einem viel früheren Alter als Männer sexuell missbrauchen und so die Vorfälle von den Opfern wahrscheinlicher verdrängt werden.428 Weithin wird anerkannt, maternaler sexueller Missbrauch »bliebe unerkannt«429 und sei deshalb schwer »unterdokumentiert. ... außer wenn Zwang im Spiel war ... [weil] der sexuelle Missbrauch von erwachsenen Frauen an Kindern normalerweise gewaltlos und zeitweise recht subtil Geschlechtsverkehr, Cunnilingus, Analverkehr, Fellatio, genitales Berühren, Fingerpenetration ... und direktes Aussetzen sexueller Aktivitäten Erwachsener [einschließt]«.430 Noch verbreiteter ist der genitale Kontakt mit der Mutter; in Amerika »berührten mehr als 50 Prozent der acht- bis zehnjährigen Töchter ... [und] mehr als 40 Prozent der acht- bis zehnjährigen Söhne die Genitalien ihrer Mutter«.431 Klinische Studien zeigen die weit verbreitete Masturbation von kleinen Kindern durch ihre Mütter, »um deren Gefühlen von Lethargie, Depression und Abgestumpftheit entgegen zu wirken«, da »dies der einzige Weg für sie war, schlafen gehen zu können«, oder »schmerzhafte Manipulationen der Genitalien durch die Mutter [mit] dem Wunsch, die Sexualität des Kindes zu zerstören«.432

 

Sexueller Gebrauch von Kindern ist weithin von Außenbeobachtern in Ländern außerhalb des Westens dokumentiert worden. Danach begann die Kindheit in Indien etwas früher im letzten Jahrhundert mit der Masturbation durch die Mutter, »hohe oder niedere Kaste, das Mädchen >damit es besser schlafen würde<, den Jungen, >um ihn männlich zu machen.<«433 Wie bei den meisten traditionellen Familien ist das Baby unter der erweiterten Familie als Schlafpartner wie eine Bettdecke herumgereicht worden. Ein Soziologe, der Interviews machte, berichtet: »Es gibt eine Menge Inzest. ... Er wird wie andere Geheimnisse der Familie gehütet und erhält selten eine Chance ans Tageslicht zu kommen, wie auch die Verführung durch Hände von vertrauenswürdigen Freunden der Famüie. ... Eine passable Schätzung von Inzestfällen vornehmen zu wollen, wäre wie in ein Hornissennest zu stoßen.«434 In der gesamten Geschichte Indiens, sagte Spencer, »stimulierten Mütter die Penisse ihrer Säuglinge und gaben ihren Töchtern eine >tiefe Massage< als eine Art liebevollen Trost«.435 Von arabischen Müttern sagt man, sie würden »den Penis lange und energisch reiben um ihn zu vergrößern«; »in China kitzeln Manchu-Mütter die Genitalien ihrer kleinen Töchter und saugen am Penis eines kleinen Sohns«; »in Thailand streicheln Mütter habituell die Genitalien ihrer Söhne«.436

Westliche Beobachter nehmen auch heute noch oft Notiz davon, wie japanische Mütter ihre jungen Kinder tagsüber in der Öffentlichkeit masturbieren und in der Nacht im Familienbett — um sie, wie sie sagen, »einzuschläfern«.437 


  253

Die durchschnittliche japanische Mutter schläft bei ihren Kindern, bis diese 10 oder 15 Jahre alt sind, traditionell »Haut an Haut« {da-kine) und hält ihr Kind dabei umarmt, weil der Vater — wie in der traditionellen Gynarchie — normalerweise abwesend ist, und über zwei Drittel der japanischen Ehemänner außerehelichen Geschlechtsverkehr pflegen.438 Japanische Mütter bringen ihren Söhnen vielfach bei, wie man masturbiert und helfen ihnen, in der gleichen Weise wie beim Sauberkeitstraining, ihre erste Ejakulation zu erreichen.439 

Kitahara schreibt, Jungen berichten oft, dass, »als er 14 war und mit seiner Mutter ein Bad nahm, er versehentlich eine Erektion bekam. Die Mutter sagte: <Es ist besser es zu entladen> und brachte ihn zur Ejakulation. ... Mütter bringen ihren Söhnen im Alter von 10 bis 14 Jahren das Masturbieren bei, helfen ihren Söhnen zu ejakulieren und sagen ihnen, wie oft sie masturbieren dürften.«440 

Eine Hotline für psychische Gesundheit in Tokio berichtete kürzlich, mit Anrufen über Inzest überflutet worden zu sein, 29 Prozent davon Beschwerden etwa darüber, dass die Mutter ihren Körper für Sex anbieten würde und dem Sohn dabei sagt: »Du kannst nicht lernen, wenn du keinen Sex hast. Du darfst meinen Körper nehmen«, oder: »Ich möchte nicht, dass du Probleme mit einem Mädchen bekommst. Mach lieber Sex mit mir.«441 

Ein japanischer Gynäkologe berichtet, »japanische Mütter legen, die Penisse ihrer Söhne betreffend, oft eine Obsession an den Tag. ... [Sie werden] üblicherweise von den Müttern hereingebracht, die befürchten, der Penis ihres Sohnes wäre zu klein«,442 mit dem Resultat, dass japanische Eheberatungen befinden, »60 Prozent ihrer Patienten würden unter dem >Keine-Berührung-Syndrom< leiden, was heißt, sie können aus Angst davor, es würde zu Sex führen, keinen physischen Kontakt mit ihren Frauen aushalten. ... [genannt] der >Ich liebe Mami<-Komplex«.443 Adams, Hill und Rosenman haben die gewöhnlich aus japanischem maternalen Inzest stammenden Kastrationsängste ausführlich dokumentiert.444

Maternaler Inzest ist historisch schwierig zu dokumentieren. Ärzte empfahlen Müttern und Kindermädchen vielfach, »täglich sanft das Ende der Vorhaut zu dehnen« und »das Scrotum zu massieren«, ebenso wie später die Vorhaut zu infibulieren.445 Rabbinische Quellen erachteten »das >Reiben< einer Frau an ihren minderjährigen Sohn« als alltäglich genug, um ein Gesetz damit zu befassen.446 Mythen und Dramen bildeten endlos maternalen Inzest ab,447 und Traumbücher wie das von Artemidorus interpretierten Träume von maternalem Inzest als Zeichen für viel Glück.448 In der Antike war maternaler Inzest weder illegal,449 noch wurde davon als Miasma gesprochen, einer Unreinheit,450 und in frühen Zivilisationen von Ägypten und Iran bis Peru und Hawaii existierten Bruder-Schwester-Ehen, bei denen die Eltern ihre inzestuösen Bedürfnisse austobten, indem sie ihre Kinder zur Heirat zwangen - ein Drittel oder mehr Ehen waren im Fall des römischen Ägyptens inzestuös.451


254

Doch man kann nur schwer direkte Hinweise auf den maternalen sexuellen Gebrauch von Kindern in der Geschichte erwarten, wenn er sogar heute überall geleugnet wird. Es ist schon wahr, dass Ärzte von Soranus bis Fallopius Müttern den Rat gaben, »jeden Schmerz im Säuglingsalter in Kauf zu nehmen, um den Penis des Jungen [durch Massieren und das Auftragen von Stimulianzien] zu vergrößern«.452) Aber normalerweise findet man den einzigen Hinweis auf maternalen Inzest in Bußbüchern, so etwa in den Kanons des Theodorus erwähnt wird, dass »eine Mutter, die mit ihrem kleinen Sohn sexuellen Verkehr simuliert, sich für drei Jahre dem Fleisch zu enthalten hat«,453 oder bei Dominici und Gearson, so dem Kind gesagt wird, es dürfe seiner Mutter nicht erlauben, es zu berühren.454) 

Man kann auch verschiedene Berichte von Klerikalen über maternalen Inzest zitieren und die vielen Illustrationen, auf denen Mütter und Großmütter abgebildet wurden, die ihre Hände auf oder neben den Genitalien des Kindes halten; oder man kann die schier endlosen Einträge in Tagebüchern und anderen direkten Berichten im Detail ausführen, wo Kinder von Kindermädchen und anderen weiblichen Dienern sexuell missbraucht wurden, diese ihre Schützlinge masturbiert haben und mit ihnen Geschlechtsverkehr hatten, »um sie still zu halten«, »aus Lust«, oder »um sie einzuschläfern«.455 Freuds Patienten berichteten, »Kindermädchen, Gouvernanten und Hausdiener [hätten sich des schweren sexuellen Missbrauchs] schuldig gemacht«456 und »Verführung [wäre bei] Kindermädchen üblich, die weinende Kinder einschläfern, indem sie deren Genitalien streicheln«.457

Alternativ dazu könnte man verschiedene andere routinemäßige Praktiken von Müttern dokumentieren, die auf die erotische Verwendung ihrer Kinder hindeuten, wie etwa die Gewohnheit von Großmüttern und Müttern, »es mit ihrer <fettigen Zunge> [den ganzen Tag] abzuschlecken«, an seinen Lippen, Gesichtern und Brüsten zu saugen, als ob das Kind selbst eine Brust wäre458; oder man könnte das inzestuöse Verhalten in den öffentlichen Bädern beschreiben — viele davon hatten eine doppelte Funktion auch als Bordelle —, wo Mütter und Kinder gemeinsam badeten.459

Es giu ein indirektes Maß internaler inzestuöser Praxis, das darauf hinweisen kann, dass Mütter ihre erotischen Bedürfnisse ausagierten, um die Genitalien ihrer Töchter zu schänden. Mütter in China und Indien sind dabei beobachtet worden, wie sie »die Geschlechtsorgane ihrer kleinen Kinder während der täglichen Waschungen ... so gewissenhaft wuschen, dass die Mädchen keine Spur eines Jungfernhäutchen aufwiesen. ... Selbst chinesische Ärzte wissen nichts von der Existenz einer Jungfernhaut.«460 Auch von arabischen Müttern ist berichtet worden, sie würden »das >tiefe Reinigen< an ihren sehr jungen Töchtern praktizieren und absichtlich die Jungfernhaut des Mädchens zerreißen«.461 

 

Fig. 8-8 

Christus' Genitalien werden von seiner Großmutter gestreichelt......................   

 


   255

Eine sorgfältige Studie über Ärzte von der Antike bis in die Moderne zeigt, dass keiner von diesen bei irgendeiner von den von ihnen untersuchten kleinen Mädchen in der Lage gewesen wäre, ein Jungfernhäutchen zu entdecken.462 Offensichtlich zerrissen Mütter und Ammen während dieser Periode routinemäßig die Jungfernhaut während unzüchtiger Handlungen an der Vagina kleiner Mädchen. Selbst der französische Arzt Ambroise Pare aus dem 16. Jahrhundert meinte, als er unzählige kleine Mädchen, manche nur 3 Jahre alt, sezierte: »Ich konnte es nie wahrnehmen.«463 

Ein Arzt wie Soranus fand bei seinen Untersuchungen gelegentlich eine Jungfernhaut, betrachtete dies aber als Aberration.464 Wenn jemand in Griechenland bestimmen wollte, ob ein Mädchen jungfräulich war, griff man zu magischen Jungfrauentests, etwa sie in eine Höhle mit einer giftigen Schlange zu stecken, und »wenn sie gebissen wurden, war das ein Zeichen dafür, dass sie nicht mehr keusch waren«.465 Im 15. Jahrhundert erkannte man endlich die Existenz des Jungfernhäutchens und das Durchstoßen beim Akt der Entjungferung,466 was darauf hindeutet, dass die Praxis der unzüchtigen Handlung an den Genitalien der Mädchen weniger als universell wurde.467 Im 16. Jahrhundert begannen die riesigen gemeinschaftlichen Familienbetten, »mit Menschen wie Sardinen zwischen die Decken geschlichtet«,468 inklusive »Großeltern, Eltern, Kindern, Dienern und Besuchern«469, weniger zu werden, sodass die nächsten drei Jahrhunderte hindurch mehr und mehr Leute einander nostalgisch fragten: »Erinnerst du dich nicht an diese großen Betten, in denen alle zusammen ohne Probleme schliefen? ... In diesen Zeiten wurden die Männer beim Anblick einer nackten Frau nicht erregt, [aber jetzt] hat jeder sein eigenes separates Bett.«4™ Der Wechsel war komplett psychogen, weil er sich bei reichen und armen Familien gleichermaßen vollzog. Die zu arm waren, sich separate Betten zu leisten, drehten die Kinder

einfach um, damit ihre Köpfe am gegenüberliegenden Ende lagen, und es wurden Nachthemden getragen, anstatt des »Haut-an-Haut«-Schlafens in früheren Zeiten, sodass selbst »Kinder der Arbeiterklasse selten einen nackten Körper sahen, weil die meisten ihrer Eltern angezogen schliefen«.471 1908 wurde Inzest endlich kriminalisiert; in den meisten Nationen heute ist er ein kleineres Verbrechen und wird selten gerichtlich belangt.472

 

Fig. 8-9 Mütter mit ihren Kindern im Badehaus 

 


256

Die Allgegenwart der sexuellen Belästigung von Kindern

 

Die besten Untersuchungen über Vorkommnisse sexueller Belästigung von Kindern sind die über amerikanische Erwachsene, ausgeführt von Wyatt und Russell,473 beide basierend auf direkten Interviews, die zwischen einer und acht Stunden dauerten, sodass genügend Zeit für den Aufbau einer Vertrauensbasis, die notwendig für akkurate Erinnerungen ist, vorhanden war. 

38 Prozent der interviewten Frauen bei Russell — und 45 Prozent bei Wyatt — berichteten über Erinnerungen an sexuellen Missbrauch während ihrer Kindheit. In meinem Aufsatz »The Universality of Incest«474 habe ich diese Zahlen korrigiert, um die hauptsächlichen Vorurteile ihrer Studien zu reflektieren, da ihre Population Gruppen, die durchschnittlich wesentlich höhere Erfahrungen mit sexueller Belästigung aufweisen, wie Kriminelle, Prostituierte und geistig Kranke, nicht mit einschloss. Das durchschnittliche Alter des belästigten Kindes war nur 7 Jahre,475 die durchschnittliche Dauer des Missbrauchs betrug 5 Jahre,476 und Jungen wurden öfter von weiblichen, hingegen Mädchen öfter von männlichen Personen belästigt.477 Die einzigen vergleichbaren Untersuchungen aus Interviewgesprächen in anderen Ländern sind eine kanadische Gallup Studie, eine New Yorker Untersuchung und zwei britische Forschungsarbeiten; alle vier kommen zu gleichen oder höheren Vorkommnisraten wie die U. S. Studien.478

Mit so vielen Kindern, die heute immer noch sexuellem Missbrauch ausgesetzt sind, ist es wahrscheinlich, dass in der Vergangenheit noch mehr Kinder von den Erwachsenen rund um sie herum routinemäßig als sexuelle Objekte missbraucht wurden. Obwohl intimes historisches Material über früheren sexuellen Missbrauch in der Familie offensichtlich selektiv ist, können einige flüchtige Blicke auf die weit verbreitete Frequenz derartiger Belästigung freigegeben werden. 

Wenn etwa Beatrice Webb und andere aus dem 19. Jahrhundert berichten, sexueller Missbrauch von Mädchen durch deren Väter und Brüder wäre so normal gewesen, dass die Mädchen oft über ihre Kinder als Resultat von Inzest scherzten,479 oder wenn Anthropologen berichten, Inzest zwischen Vätern und Töchtern wäre in den ländlichen Dörfern von Griechenland bis Japan ziemlich üblich gewesen,480 kann man diese Berichte als vielleicht nicht repräsentativ für eine ganze Nation zurückweisen. 

Aber als Karen Taylor 381 Fälle von Geschlechtskrankheiten bei Kindern im 19. Jahrhundert untersuchte und herausfand, Ärzte hätten Kinder in Amerika und Europa des 19. Jahrhunderts regelmäßig bei Geschlechtskrankheiten, hauptsächlich an den Genitalien, Ani und Mündern, behandelt, musste sie mit den meisten von denen übereinstimmen, die berichteten, »zweifellos ist der Vater dieser Familie die Quelle, von der alle anderen die Infektion erhielten«.481 Nachdem die Geschlechtskrankheiten sich außer durch sexuellen Kontakt mit offenen Wunden nicht ausbreiten können, musste Inzest der Grund dafür gewesen sein, da Ärzte in derselben Familie, in der auch die Kinder Geschwüre an ihren Genitalien, Anus, oder Mund hatten, Väter mit Geschwüren am Penis fanden. Berichte aus europäischen Spitälern weisen ähnliche Muster von Geschlechtskrankheiten auf, die von Inzest mit Kindern stammten.482)


 257

Eine Methode, die gewohnheitsmäßige Natur des sexuellen Missbrauchs von Kindern aufzudecken, ist die Untersuchung eines ausreichend dokumentierten Lebens eines Kindes, um zu sehen, dass jeder in der Umgebung dieses fallweise sexuell missbrauchte. Das am besten dokumentierte Leben eines Kindes in der Vergangenheit ist das von Louis XIII. (geboren 1601) im täglichen Tagebuch von Jean Heroard, seinem Arzt.483 Die unzüchtigen Handlungen an den erotischen Zonen des kleinen Louis begannen nach seiner Geburt mit täglichen Einlaufen und Zäpfchen. Das hatte nichts mit Sauberkeitstraining oder Hygiene zu tun - man beließ ihn schmutzig, und er war fast 7 Jahre alt, als er sein erstes Bad bekam. Da Ärzte dies für alle Kinder regelmäßig empfahlen,484 dienten häufige Einlaufe oder gar Finger, die routinemäßig tief in den Anus eingeführt wurden, der Beseitigung des Bösen im Inneren des Kindes - projizierte Inhalte als Giftcontainer der sie umgebenden Erwachsenen.

Das Streicheln, Saugen und Küssen des Penis und der Lippen des kleinen Louis war gängige Praxis eines jeden seiner Umgebung - seiner Eltern, seines Kindermädchens, seiner Diener -, fing im Säuglingsalter an und dauerte die gesamte Kindheit fort. Dies wurde öffentlich und ohne Schuldgefühl getan. 

Detailliert von Heroard aufgezeichnet, wurde das sexuelle Spiel mit anderen zum Hauptinhalt der Konversation Louis. Als er ein Säugling war, konnten sich alle Frauen kaum zurückhalten, unter sein Gewand zu greifen. Im Alter von einem Jahr, noch unfähig zu laufen, reihte sich der gesamte Hof auf, »seinen Penis zu küssen«.485 Gleichzeitig machte man ihm Schuldgefühle für seine eigenen Handlungen, indem man sagte: »Monsieur, lassen Sie nie jemanden ihre Brustwarzen oder den Penis berühren, da sie ihn sonst abschneiden würden«. Seine Eltern zogen ihn oft mitten am Tag aus und nahmen ihn mit ins Bett und »spielten frei miteinander«, während sie Geschlechtsverkehr hatten.486 Nachdem sein Vater seinen Penis herausstreckt und sagt: »Siehe, was dich zu dem gemacht hat, was du bist«, erzählt Louis: »Papas Penis wäre viel größer als seiner, er wäre so lang, und zeigte auf seine halbe Armlänge«. »Die Königin berührt seinen Schwanz und sagt ihm: >Sohn, ich halte dein Rohr.< ... Er und auch [seine Schwester] wurden ausgezogen und dem König nackt ins Bett gebracht, wo sie sich küssten und schnatterten und dem König eine große Freude bereiteten. Der König fragte ihn: >Sohn, wo ist des Säuglings Bündel?< Er zeigte es ihm und sagte: >Da ist kein Knochen drin, Papa.< Dann, als es sich leicht aufblähte, fügte er hinzu: >Jetzt ist es, es ist manchmal.<«487 Um sein viertes Lebensjahr herum wurde er auch routinemäßig von seinen Hofdamen und Kindermädchen ins Bett mitgenommen und ermutigt, ihre Genitalien zu erkunden und sexuelle Spiele zu treiben, etwa ihre Pobacken zu peitschen, um später öffentlich zu kommentieren: »>Mercier hat eine Mose so groß<, zeigt seine beiden Fäuste und sagt, da wäre >viel Wasser drinnen. ... Die Mose von Saint-Georges ist so groß wie diese Kiste [und] die Mose von Dubois ist so groß


258

wie mein Bauch<.«488 Sein Kindermädchen, Mercier, schlief normalerweise bei ihm und missbrauchte ihn sexuell. Auf die Frage: »Was von Mercier hast du gesehen?«, antwortete er: »Ich hab ihr Loch gesehen.« »Ist es wohl hübsch?« »Nein, es ist ziemlich fett.«

 

Die Vergewaltigung von Mädchen in der Geschichte

 

Die Haltung der meisten Erwachsenen bis zum 20. Jahrhundert gegenüber der Vergewaltigung von Mädchen wird in den Kommentaren eines britischen Journalisten zusammengefasst, der 1924 schrieb: »Fälle von Inzest sind in allen Schichten erschreckend üblich. [Normalerweise] gehen die Kriminellen straffrei aus. ... Zufällig hörte man zwei Männer aus einer Verhandlung kommend zu einer Frau, die sich beklagte, dass es keine Verurteilung gegeben hatte, sagen: >Was für ein Unsinn! Männer sollten für so etwas nicht bestraft werden. Es tut dem Kind nichts.<«489) 

Die Überzeugung, Mädchen würden, wenn sie älter sind, »vergessen«, vergewaltigt worden zu sein, geht bis auf Maimonides zurück, der uns versichert, die Vergewaltigung von Mädchen unter 3 wäre kein Grund zur Aufregung, einmal älter als 3, »wird sie ihre Jungfräulichkeit wiedererlangen und wie andere Jungfrauen sein«.490 Immer noch idealisieren heute Historiker die Vergewaltigung von Mädchen in frühen Gesellschaften, wo diese zum Dienst als »heilige Prostituierte« gezwungen wurden.491 Schuldgefühle wegen Vergewaltigung existierten in der Vergangenheit nicht, weil die Männer nur zwei sexuelle Kategorien kannten: Vergewaltiger und Vergewaltigte, Beherrschende und Beherrschte. Socarides pädophiler Patient erzählt ihm, warum er kleine Mädchen vergewaltigt:

Frauen sind schmutzig. Sie haben die Menstruation, Blut. ... Kinder sind sauberer. ... Ich habe Sex mit Kindern, damit ich nicht sterbe. Es hält mich jung und jugendlich. Wenn man mit Frauen verkehrt, heißt das, man ist schon erwachsen. Mit Frauen haben Kinder keinen Sex, nur Erwachsene haben Sex mit Frauen. Wenn ich nicht erwachsen werde, muss ich auch nicht sterben.492

Kindervergewaltiger haben solche Angst vor Individuation, dass Erwachsenensex mit Frauen das Verlassen ihrer vernachlässigenden/destruktiven Mütter bedeuten würde, was für sie heißen würde, zu sterben. Ein Kind zu vergewaltigen bedeutet in Besitz einer guten Brust bar jeder ängstigenden Konfiguration zu sein und ein überwältigendes Gefühl von Leere, Verstoßung und Tod zu überkommen. Immer und immer wieder haben Vergewaltiger erzählt, wie verjüngend die Vergewaltigung eines Kindes sein kann. Epictetus erteilt diesen Rat jenen, die anderen bei der Bewältigung von Todesangst helfen wollen: »Was, wenn du ihm ein kleines Mädchen anbietest? Und wenn es in der Dunkelheit geschieht?«493 Die traditionelle Welt war voll von Kindern - Sklaven, Dienern, Schwestern, Strassenmäd-chen, Kinderprostituierten -, sie alle standen zur Abwehr von Tod und Einsamkeit zur Verfügung und um sich an der lieblosen Mutter rächen.


  259

Mitgefühl für vergewaltigte Mädchen fehlte in traditionellen Gesellschaften. Auch wenn der Vergewaltiger bestraft wurde - und das war selten -, gab es das nur, weil »Vergewaltigung oder Verführung ohne elterliche Zustimmung die souveräne Autorität des Vaters über seine Tochter unterminierte«.494 Ein Mädchen war ziemlich ungeschützt, wenn es nicht tatsächlich unter der Obhut ihres Vaters lebte. Darüber hinaus war dieser Schutz nicht auf Mädchen der Unterschicht ausgedehnt und wenn der Schuldige von höherem Rang war, wurde er niemals verurteilt.496 Es war die generelle Praxis, ein Mädchen brutal zu bestrafen, wenn es vergewaltigt wurde, daher erzählten so wenige davon.496 Vives schreibt: »Ich weiß, dass viele Väter ihren Töchtern die Gurgel durchgeschnitten haben [wenn sie vergewaltigt wurden]. ... Hippomenes, ein großer Mann Athens, sperrte, wenn er von seiner Tochter erfuhr, sie wäre unsittlich gewesen, diese zu einem wilden, fleischlos gelassenen Pferd in den Stall, [das] die junge Frau zu seinem Verzehr auseinander riss.«497 Mädchen in der Vergangenheit wurden - wie noch in vielen arabischen Ländern heute - umgebracht, wenn sie vergewaltigt wurden.498 Selbst heute noch berichten Anthropologen von griechischen ländlichen Gemeinden, dass »es manchmal zu Inzest kommen kann, mit dem Vater, oder beiden, dem Vater und den Brüdern, die das heranwachsende Mädchen ausbeuten. ... Sollte das Mädchen schwanger werden ... würden ihre Brüder oder ihr Vater sie [in] einem >ehrenvollen< Tötungsakt umbringen.«499 Oder, in der Antike, »konnte der Vater seine Macht ausspielen, indem er das vergewaltigte Mädchen zum Verkauf anbot«.500

Männer fingen an, die Mädchen zu vergewaltigen, die noch extrem jung waren. Sogar heute noch beträgt das durchschnittliche Alter bei Vergewaltigung 7 Jahre, 81 Prozent der sexuellen Übergriffe ereigneten sich vor der Pubertät.501 In traditionellen Gesellschaften war inzestuöse Vergewaltigung allgegenwärtig; wie es das indische Sprichwort ausdrückt: »Wenn ein Mädchen mit zehn noch Jungfrau ist/Hat sie weder Brüder noch Cousins noch einen Vater«.602 

Im babylonischen Talmud erzählt eine Frau einem gefeierten Rabbi, sie wäre vergewaltigt worden als sie weniger als drei Jahre alt war und er sagt zu ihr, das würde nichts ausmachen, weil sie »letztendlich die Erfahrung genoss«.503 Regelmäßig wurden kleine Mädchen in der gesamten Geschichte sexuell missbraucht. Bis weit in die Moderne dachten viele Menschen, die Vergewaltigung kleiner Mädchen wäre eigentlich eine gute Idee, weil es lehrreich für diese sei; eine weibliche Ärztin schrieb 1878:

Kinder im Alter von zwei und drei Jahren werden häufig von Männern aller Altersgruppen vergewaltigt, nicht nur zur momentanen Befriedigung, sondern um Mädchen schon im unreifen Alter mit fleischlichen Genüssen und Erregung vertraut zu machen, damit die Verführung in der Zukunft einfacher sein würde. ... Wir können gegenüber Vätern von Töchtern nicht stark genug ihre Pflicht zum Ausdruck bringen, ihre kleinen Mädchen, ausgehend von der Überzeugung, dies würde sie gegen Vergewaltigung schützen, in der Weise zu instruieren, dass diese seine Hoden anfassen.504


260

Obwohl in Amerika heute nur 3 Prozent der Frauen Inzest mit den Vätern angeben,505 fand Gordon in den amerikanischen Familien des 19. Jahrhunderts weit mehr verbreiteten Inzest, wobei die biologischen Väter für fast die Hälfte der Fälle, die das Bostoner Gericht erreichten, verantwortlich zeichnen.506 Lowndes berichtete, der einzige Grund dafür, dass britische Gerichte nicht von paternalen Inzestfällen überschwemmt wurden, hätte daran gelegen, dass man den Opfern einfach nicht glaubte. 

Die Society for Prevention of Cruelty to Children war davon ausgeschlossen, Inzestfälle aufzugreifen.507 »Fälle wurden vertuscht; die Vergewaltiger bestachen die Eltern, sie nicht anzuzeigen; und Ehefrauen weigerten sich zu glauben, ihre Männer wären zu so einer Ungeheuerlichkeit in der Lage und wandten sich gegen ihre Töchter, wenn diese sich beklagten.«508 Es gibt zahlreiche Aufzeichnungen von Müttern, welche sich mit der Vergewaltigung des Vaters in stülem Einverständnis befanden, wie in einer kolonialen amerikanischen Familie, in der die Mutter »ihre Tochter dazu gezwungen hat, mit dem Stiefvater ins Bett zu gehen und, als das Mädchen zu Gericht ging, >hielt mich meine Mutter an den Händen fest, während mein Vater mich missbrauchte und sich an mir verginge«509 Viele, wenn nicht die meisten »straffälligen« Mädchen in der Vergangenheit waren einfach Opfer von Inzest:

Eine Chicagoer Untersuchung von straffälligen Mädchen aus 1917 inkludierte auch viele Anekdoten von Fällen [sexuellen] Misshrauchs durch Verwandte oder Nachharn einschließlich »eines Mädchens, das im Alter von 10 von ihrem eigenen Vater vergewaltigt wurde, eines vom Onkel, zwei von Gästen«. Bei derartigen Darstellungen kehren Phrasen wie »Inzest mit dem Vater« und »vom Untermieter vergewaltigt« wie in einer kühlen Litanei wieder. Jane Addams notierte 1913, dass »eine überraschende Anzahl von kleinen Mädchen oftmals zum ersten Mal durch die Männer aus dem eigenen Haushalt in Vergehen verwickelt waren«, vielfach als Resultat von unzüchtigen Handlungen, die sich vor Vollendung des achten Lebensjahres der Opfer zutrugen.510

Die gesamte Gynarchie befand sich oft in stillem Einverständnis mit den Vergewaltigungen. Eine von Madame Du Barrys hauptsächlichen Aufgaben bestand darin, »das Land nach den schönsten Mädchen abzusuchen, die für Louis XV [als] »Babymätressen« gekauft oder entführt wurden: »Und mit jeder von ihnen pflegte er vor ihrer Schändung am Rande des Betts, wo ihre Entjungferung vollzogen wurde, im Gebet zu knien.«511 Selbst Queen Elizabeth wurde zu sexuellen Spielen im Bett ihres Pflegevaters, wohin sie als Teenager geschickt wurde, gezwungen512 - was der Grund dafür sein könnte, warum sie nie geheiratet hat.

Wenn der Vater keine Tochter hatte, konnte er die Kinderbraut seines Sohnes benutzen:

Väter verheiraten ihre Söhne schon im sehr frühen Alter mit einem blühenden Mädchen aus dem Dorf und schicken die jungen Männer zur Arbeitssuche entweder nach Moskau oder St. Petersburg. ... Wenn der Sohn in sein Cottage zurückkehrt, findet er sich als nominaler Vater von etlichen Kindern wieder, den Nachkommen seiner eigenen Eltern. ... Das wird überall in Russland so gemacht.513


Die Evolution der Kindererziehung  261

Nicht überraschend sind die Berichte von Duby über mittelalterliche Familien, die

eine Brutstätte sexueller Abenteuer [waren] ... Bußbücher verboten einem Mann, die Schwester seiner Frau, seine Tochter oder die Frau des Bruders zu kennen. ... Mägde, weibliche Verwandte, Frauen, die noch »zu haben« waren oder über die noch nicht verfügt wurde, waren eine offene Einladung für männliche Ausschweifungen. In diesem kleinen abgeschlossenen Paradies war jeder Mann ein Adam: der junge, der nicht mehr so junge und an erster Stelle das Familienoberhaupt, alle waren sie konstanter Versuchung ausgesetzt.514

Speziell Großväter mussten von den frühen Psychoanalytikern davor gewarnt werden, ihre Finger nicht in die Vagina ihrer Enkelin zu stecken.515) Die traditionelle Familie der Vergangenheit war ähnlich Familien in weniger entwickelten Gegenden heute. So berichtete zum Beispiel eine kürzlich erschienene Untersuchung über Frauen aus dem Mittleren Osten, vier von fünf würden sich an erzwungene Fellatio im Alter zwischen 3 und 6 mit älteren Brüdern oder anderen Verwandten erinnern.516 

Die Belästigung fängt mit Masturbieren und Fellatio an und geht weiter bis zum Geschlechtsverkehr: »In den meisten Fällen gibt das Mädchen auf und hat Angst sich zu beklagen, da, wenn irgendeine Bestrafung zugemessen wird, diese immer sie treffen würde.«517 Die Einwilligung des Mädchens zum Geschlechtsverkehr ist eine derart fremde Vorstellung, dass das Alte Französisch gar kein Wort für »Vergewaltigung besaß, obwohl die mittelalterliche französische Literatur voll mit Comicabbildungen von gewaltsamen sexuellen Handlungen an jungen Mädchen ist«.518 Die Vergewaltigung von Mädchen wurde selten beachtet und bis weit ins 18. Jahrhundert auch selten bestraft, weil, wie es Anna Clark ausdrückt, »Männer Vergewaltigung scheinbar als triviale Angelegenheit betrachten«.519

Sexuelle Versklavung - ob von wirklichen Sklaven oder Pflegekindern, Dienern oder Lehrlingen - war in der Vergangenheit sehr verbreitet. Selbst heute sind noch über 100 Millionen sexuelle Sklaven überall auf der Welt zu finden, die meisten davon nehmen ihre sexuellen Dienste als Kinder auf.620 Der Verkauf wird nicht immer durch Armut erzwungen: »Eine kürzlich in Thailand durchgeführte Erhebung ergab, von den Familien, die ihre Töchter verkauften, hätten zwei Drittel sich leisten können, das nicht zu tun, hätten aber stattdessen den Kauf von Farbfernsehern und Videoausrüstung bevorzugt.«521 Die Vergewaltigung von weiblicher Dienerschaft war in der Vergangenheit beinahe üblich:

Herren schienen zu glauben, sie hätten ein Anrecht auf sexuelle Gefälligkeiten von Seiten ihrer Diener oder Lehrlingen, ein Anrecht, das sie mit Gewalt einforderten, wenn diese nicht einwilligten. ... 1772, als Sarah Bishop sich im Alter von 16 bei ihrer Herrin darüber beklagte, von ihrem Herrn vergewaltigt worden zu sein, teilte ihr diese mit, »er bediente immer alle seine Diener in der Nacht in der sie ins Haus kamen.« ... Vergewaltigung ist wahrscheinlich fast eine rituelle Geltendmachung der Autorität des Herrn gewesen. ... Er glaubte kein Verbrechen begangen zu haben.522


262

Die meisten Vergewaltigungen von Mädchen wurden mit einer Art stillem Einverständnis der Eltern verübt. Mütter vermieteten üblicherweise Zimmer an Gäste und zwangen ihre Töchter mit ihnen zu schlafen.523 Im ganzen mittelalterlichen Europa »wurden Töchter an Gäste als eine Geste der Gastfreundschaft verliehen«.624 Im viktorianischen London »gingen Kinder <mit dem Einverständnis der Mutter> auf die Straßen, kamen in der Nacht nach Hause und leisteten ihren Beitrag zum <Nutzen des Haushalts>«526 

 

In den meisten europäischen Städten wurden Kinder, bis zu 6 Jahre jung, in Inseraten öffentlich zum Verkauf oder sexuellen Gebrauch angeboten.526 Ein britischer Kaplan erklärte, der Versuch, Kinder von der Prostitution abzuhalten, wäre wie »einen Löffel zu nehmen und zu versuchen, den Mer-sey River zu leeren«.527 Im viktorianischen London war schätzungsweise jedes sechzigste Haus ein Bordell (insgesamt 6.000) und jede sechzehnte Frau eine Prostituierte.528 Praktisch alle Prostituierten fingen mit ihrem Geschäft entweder nach ihrer Vergewaltigung zuhause als Kinder an, oder weil sie von ihren Eltern in die Prostitution verkauft wurden.629 In der Antike war entweder »heilige« Prostitution - in vielen Tempeln waren bis zu 6.000 Prostituierte verfügbar - oder sexuelle Versklavung das Los der Mehrzahl neugeborener Mädchen.530 Väter verkauften oder vermieteten ihre Töchter ohne das leiseste Schuldgefühl zum sexuellen Gebrauch.531 Wenn der Genesis zu glauben ist, übergab Lot seine zwei Töchter sogar ohne Gegenleistung zum sexuellen Gebrauch.632 Chinesische Oberhäupter stellten ihren Gästen Haremsmädchen zur Vergewaltigung zu Verfügung.533 Griechische Schauspiele schildern den sexuellen Gebrauch von Sklavenmädchen als Routine.534 Griechischen Ehefrauen war vielfach nicht erlaubt, Feldarbeit zu machen, um sie vor Vergewaltigung zu bewahren.535 Der byzantinische Autor Johannes Chrysostom teilte Eltern mit, sie sollten ihren Kindern Angst davor machen, auf die Straßen zu gehen, weil sie »riskierten, von Pädophilen, die Süßigkeiten und Nüsse anboten, sexuell attackiert zu werden«.536 Das Christentum änderte wenig am Gebrauch von jungen Mädchen für Vergewaltigung. Klöster waren offene Bordelle, wo »Mönche und Beichtväter Nonnen und junge Novizinnen gleichermaßen wie Ehefrauen behandelten, jedoch waren die >Münder der Opfer durch die Androhung der Exkommunikation von ihren spirituellen Vätern versiegelt^«537 In vielen Städten »waren Nonnenkloster kaum besser als Hurenhäuser, die Unzucht zwischen Nonnen und ihren Gentleman-Besuchern [anboten]«.538 Über Klerus - früher wie heute - wird vielfach berichtet, kleine Kinder für die Vergewaltigung zu bevorzugen: »Bei Papst Alexanders VI. Siegesfeier des Katholischen Spanien über die Mooren wurden unter dem Klerus Kinder in einer veritablen >sexuellen Bacchana-lie< herumgereicht.«539

Mädchen, die alleine in den Straßen gingen, trugen Messer als Schutz vor Vergewaltigung mit sich.540 Da Vergewaltigung als »bloße Lappalie (paulum quiddam) betrachtet wurde, wurden Vergewaltiger bis vor gar nicht langer Zeit selten angeklagt und noch seltener schuldig gesprochen (da es andere geben musste, welche die Vergewaltigung bezeugen konn-


Die Evolution der Kindererziehung 263

ten),541 und auch wenn schuldig gesprochen, kamen sie mit einer milden Geldstrafe davon.642 Eine der häufigsten Ausreden für die Vergewaltigung von Mädchen war der weit verbreitete Glaube, die Vergewaltigung einer Jungfrau könne Geschlechtskrankheiten heilen; wenn man dies als Grund für die Vergewaltigung angab, wurde man in der Regel freigelassen.543 Dieser Glaube war die typische »Giftcontainer«-Theorie, wonach Geschlechtsverkehr mit einem Reinen ein Gegengift gegen das Unsaubere ist. Selbst Beulenpest, so dachte man, könne durch die Vergewaltigung von Mädchen geheilt werden.544 Viele Bordelle in der Vergangenheit und Gegenwart sind spezialisiert auf die Beschaffung von »Jungfrauen« für Männer, die unter Geschlechtskrankheiten leiden, als »Behandlung« der Krankheit.545

Die wahrscheinlich populärste Art in der Vergangenheit, Mädchen zu vergewaltigen, waren die vergewaltigenden Banden, die in nahezu jedem Land von der Antike bis in die Moderne existierten. Umherstreifende Jugendbanden - die sich den Älteren unter ihnen sexuell unterwarfen546 -übten nächtlich kollektive Vergewaltigungsangriffe auf ungeschützte Frauen aus, »brachen die Tür des Hauses einer Frau auf und, ohne dabei ihre Identität zu verbergen und Brutalität mit Schmeicheleien, Drohungen und Beleidigungen vermischend, vergewaltigten sie ihre Beute auf der Stelle [und] schleppten ihr Opfer durch die Straßen, um sie schließlich in ein Haus zu zerren, deren Bewohner Verbündete sind, wo sie machten was sie wollten, die ganze Nacht lang«.547 In manchen Gegenden machten Vergewaltigungen durch Banden bis zu 80 Prozent aller begangenen sexuellen Übergriffe aus,548 und gewaltsame Bandenvergewaltigung »konstituierte [für Jugendliche in der Vergangenheit] eine wahre Initiation«.549 Nachbarn schritten nicht ein; vielmehr betrachtete man die Vergewaltigungen als »öffentliche Aufführungen« und die Gruppenvergewaltigungen als ganz normal, von Vätern und anderen Kommunalbeamten als jugendliche »sportliche« Aktivitäten bezeichnet.550 Über die Hälfte der Jugendlichen in den Städten nahm an den Bandenvergewaltigungen teil, und über die Jahre war eine große Minderheit der jungen Mädchen der Stadt vergewaltigt worden, um der Schlussfolgerung Glauben zu schenken, Bandenvergewaltigung wäre in traditionellen Gesellschaften ein Initiationsritual gewesen, eine Vorbereitung auf die harte Wirklichkeit der Gesellschaft.551

Wenn das Mädchen schließlich verheiratet wurde, erfolgte die Heirat normal in sehr frühen Jahren mit einem Mann, der von den Eltern ausgesucht wurde. Heute würde man dazu Kindervergewaltigung sagen. In der Antike wurden üblicherweise die Mädchen zwischen 12 und 14 mit Männern in ihren 30ern verheiratet552; »es war nicht unüblich für griechische Mädchen«, bemerkte der bekannte Historiker Hugo Blümner, »mit ihren Puppen bis zum Zeitpunkt ihrer Heirat zu spielen, da sie sehr früh verheiratet wurden, und diese knapp vor der Hochzeit zu einem Tempel zu bringen ... um diese da als frommes Opfer darzubringen«.553 Die christlichen kanonischen Regeln verboten angeblich die Kinderheirat, jedoch war das legale Alter für Mädchen 12, und im Mittelalter »war es für Mäd-


264

chen überhaupt nicht unüblich, mit zehn eine Braut zu werden, [da] eine im weichen Alter mit einem Siebzigjährigen verheiratet werden konnte, während >Kirchengesetze die Trauungen nicht aufhoben.<«554 Bis zur Moderne war die Eheschließung deshalb bloß die letzte Vergewaltigung für die meisten Mädchen.

 

Die Universalität historischer Päderastie

Frühere und heutige Päderasten verwenden Jungen zu sexuellen Zwecken, um die Traumata ihrer eigenen Kindheit zu kompensieren, »wobei das männliche Kind deren ideales Ich repräsentiert, dessen Jugendlichkeit sie vor Vernichtung schützt (Todesangst)«.555 Der Junge ist die glatte, mater-nale Brust, der Penis die Brustwarze und die Vergewaltigung eines Jungen ein Akt der Rache an der Mutter, der zeigen soll, dass der Päderast die totale Kontrolle hat, den Jungen dominiert, damit er sein Gefühl von Leere und Verstoßung überwinden kann. So gab ein Päderast an: »Ich möchte ihn in meinen Armen halten, ihn kontrollieren, ihn beherrschen, ihm gebieten, dass ich allmächtig bin«.666 Die sexuellen Ziele des Päderasten sind so austauschbar, dass diese in ihrem Leben oftmals Hunderte von Jungen verführen. Man darf bei der sexuellen Verwendung von Jungen nicht von der Idee eines »Mangels an Impulskontrolle« ausgehen oder gar von einer »bloß anderen Objektwahl«, wie die meisten Historiker behaupten; Päderasten werden nicht von ihren sexuellen Instinkten getrieben, sondern von ihren überwältigenden Ängsten.

Dominanz statt Zärtlichkeit war zumeist das zentrale Ziel der männlichen Sexualität bis zur Moderne. Das Vergewaltigen von Jungen war die bei weitem bevorzugte sexuelle Aktivität von Männern; es wäre »naturgemäßer« als Heterosexualität, »ein Befehl eines göttlichen Gesetzes«.557 Py-thagoras antwortete auf die Frage, ob man eher mit Frauen als mit Jungen Sex haben sollte: »Wenn du die Kraft, die du hast, verlieren willst.«558 Ein Sexualhistoriker weiß: »Die Welt war unterteilt in Ficker - alle Männlichen - und Gefickte - sowohl Männliche als auch Weibliche«.559 Weil der Junge das Ichideal repräsentierte, mit dem der Vergewaltiger verschmolz, musste er haarlos sein: »Ich mag die glatte Haut des Körpers des Jungen, ich will keine Haare auf ihm, das kann ich nicht ausstehen.«560 Mit dem Erreichen des Pubertätsalters meinte man deshalb, die Burschen wären jetzt für sexuelle Zwecke nicht mehr geeignet, und päderastische Literatur erwähnt vielfach, mit den ersten Haaren würde die Attraktivität des Jungen enden.

Gemäß Wandmalereien und Dichtungen wird der Junge zumeist anal vergewaltigt.561 Lucilius vergleicht die sexuellen Beziehungen zu Jungen mit solchen zu Frauen: »Sie beschmiert dich mit Blut, er andererseits mit Scheiße.«662 Während die Vagina »in Schmähungen als stinkend, dreckig, nass, weit, laut, behaart, usw. scharf kritisiert wird ... wurden anscheinend keine dieser Gefühle den Ani der Pueri zugeschrieben«.563 


Die Evolution der Kindererziehung 265

Die Ani der Jungen wurden »Rosenknospe [genannt], manchmal mit der süßesten Frucht, der Feige, verglichen, und ein anderes Mal mit Gold gleichgesetzt«.564 Die einzige Vorkehrung bestand darin, den Anus des Jungen zu depilieren, sagen Martial und Suetonius.565 Männer dürften nur den Anus von Jungen penetrieren, so Martial, der einen Mann warnt, der den Penis eines Jungen stimulierte: »Die Natur hat das männliche Geschlecht zweigeteilt: einen Teil für Mädchen, den anderen für Männer. Benutze deinen Teil.«566 

Jungen wurden Mädchen bei weitem vorgezogen; Proprius beschwor: »Mögen sich alle meine Feinde in Frauen verlieben und meine Freunde in Jungen.«567 Wichtig war, dass der Junge keine Lust verspürte, sondern lediglich »Schmerz und Tränen. ... Vergnügen hat er keinesfalls«.568 Die Vergewaltigung des Anus des Jungen führte auch das übliche schmerzhafte Einführen von Fingern, Einlaufen und Zäpfchen durch Mütter und Kindermädchen wieder auf. Speziell initiatorische Päderastie verlief immer anal und hatte mit einer Fantasie des »intrinsisch spirituellen Werts des Spermas« zu tun, die — wie im vorhergehenden Kapitel gezeigt wurde — gebraucht wird, um aus dem Jungen »einen Mann zu machen«669, indem in den Anus ejakuliert wird. In der Antike brachten Eltern ihren Jungen bei, »sich damit abzufinden: nicht als Vergnügen, sondern als Pflicht«.570) Eltern wurden belehrt, dass »alle, die ihre Sache edel tun«, ein Recht darauf hätten, jeden Jungen - wann immer sie wollten - sexuell zu benutzen.571 Von Ärzten erwartete man regelmäßige Bereitstellung von Salben und anderen Gleitmitteln zur analen Penetration von Jungen und bat diese, die rektalen Einrisse und andere Verletzungen, die als übliche Resultate von Vergewaltigungen auftreten, zu reparieren.572

 

Alle frühen Kulturen praktizierten die Vergewaltigung von Jungen und besaßen auch Jungen, die als Prostituierte in Tempeln dienten, die antiken Hebräer, Sumerer, Perser, Mesopotamier, Kelten, Ägypter, Etrusker, Karthager, Chinesen, Japaner, Inder usw. eingeschlossen.573 Päderastie, schließt Spencer, »war unter den Azteken allgegenwärtig und betraf auch Kinder im sechsten Lebensjahr«.574 Von der Vergewaltigung von Jungen erwartete man, diese würde gewalttätig verlaufen; von Männern, die auf die Straße gingen, erwartete man, dass sie »Scheren [mitführten], um ein Loch in die Hosen des Jungen zu schneiden [und] ein kleines Kissen, um es ihm in den Mund zu stopfen, sollte er schreien«.575 Tutoren und Lehrer vergewaltigten ihre Schüler oft während sie diese schlugen; wie Quintili-an warnte: »Ich erröte vor Scham, wen ich den schamlosen Missbrauch erwähne, den einige Schurken sich aus dem Recht der Verabreichung der Prügelstrafe herausnehmen.« Ein Vater in Griechenland wählte den Pene-trierer seines Jungen aus und bekam als Gegenleistung dafür oft Geschenke oder Gefälligkeiten.576 In Die Vögel zeigt Aristophanes einen Vater, der sich bei einem anderen beschwert: »Na, das ist ja ein schöner skandalöser Zustand. ... Du triffst meinen Sohn, wie er eben aus dem Gymnasium kommt, frisch aus dem Bad und du küsst ihn nicht, du sagst kein Wort zu ihm, du umarmst ihn nicht, du greifst ihm nicht an die Hoden! 


266

Und dennoch sollst du ein Freund von uns sein?«577 Es wurden Pädagogen angeheuert, welche die Jungen vor der Vergewaltigung durch unerwünschte Männer schützen sollten, doch es kam vor, dass der Pädagoge selbst den Jungen vergewaltigte.578 Jungen in Griechenland wurden beschimpft, wenn sie für sich keinen Päderasten fanden; jeder sollte einen haben.579 Griechische und römische Soldaten nahmen sie zum sexuellen Gebrauch auf ihre Feldzüge mit.580 Gäste wurden für sexuelle Zwecke mit Sklavenjungen beliefert.581 Arzte verschrieben Sex mit Jungen als Therapie.582 Bordelle und Vermietungsagenturen für Jungen waren weit verbreitet und ein vom Vater auserwählter Päderast konnte auch sein Recht auf die Vergewaltigung eines speziellen Jungen an einen anderen Mann verkaufen.583 Die Vergewaltigung von Jungen, auch wenn offensichtlich Gewalt im Spiel war, wurde nie als ein Verbrechen am Kind betrachtet - nur als eines gegen die Eltern -, und es wurden keinerlei Bedenken darüber geäußert, welcher Schaden dem Jungen dabei entsteht.584

Bei der weltweit noch immer in die Millionen gehenden Anzahl von jugendlichen männlichen Prostituierten585 wundert es nicht, dass jede Stadt der Antike ihre Knabenbordelle hatte. In Rom konnten Jungen beim Barbier oder am Ausgang eines jeden Aufführungsortes aufgelesen werden.586 Von allen Männern erwartete man, auch wenn sie verheiratet waren, dass sie Sex mit Knaben hätten. »Fast alle großen demokratischen Führer im archaischen Athen waren ... päderastisch.«587 Frauen hatten es schwer, mit den Knaben ihrer Männer zu konkurrieren. Juvenal sagte, Ehefrauen wären »immer streitlustig ... und keiften herum ... wegen seiner Freunde«,588 und Martial beschreibt eine Frau, die schreit: »Bumst wieder einen Jungen! Hab ich nicht genauso einen Hintern?«689

Einige wenige frühe Christen fingen an, den sexuellen Gebrauch von Knaben abzulehnen. Johannes Chrysostom beanstandete Väter, die ihre Knaben auf Bankette mitbrachten, wo sie an den Männern unter den Tüchern Fellatio vollziehen mussten, und empfahl, dass Knaben im Alter von 10 in die Obhut von Mönchen gegeben werden sollten, damit sie nicht verführt würden.690 Doch die meisten mittelalterlichen Autoren gaben den propäderasten Rat der Antike, als in medizinischen Büchern Sex mit Knaben als »weniger schädlich [als] die sexuelle Vereinigung mit Frauen, [die] zu frühzeitigem Altern führt«591 gepriesen wird. Der Grund dafür, dass Männer im Mittelalter mit dem Heiraten bis zu ihren 30ern warteten, liegt in ihrer bis dahin ausschließlichen sexuellen Benutzung von Knaben. In Florenz etwa war im 15. Jahrhundert nur ein Viertel der Männer bis zum Alter von 32 verheiratet.592 Da ein Drittel der Haushalte Diener oder Lehrlinge hatte, entwickelten sich sexuelle Beziehungen zwischen dem Herrn und männlichen Bediensteten häufiger als zwischen Herrn und Dienerinnen und waren akzeptierter.693 Von Tutoren und Lehrern in Schulen erwartete man, sie würden ihre Schüler sexuell missbrauchen und von denjenigen, die protestierten, dies wäre »ein so hartnäckiges Laster [und] ein so starker Brauch« und dass »davon abzuhalten nur schwer gelänge«, dachte man, sie wären komisch.694


Die Evolution der Kindererziehung 267

Die Knaben aber als Laienbrüder in die Klöster zu stecken, machte sie nur für die Vergewaltigung durch Mönche verfügbar, die ihre Finger nicht von ihnen lassen konnten. Ein Abt schrieb über einen Säugling, der von seinem Vater ins Kloster gebracht wurde:

Der Mann übergab mir das Kind als Ganzes und ich nahm das Baby mit Vergnügen und Freude und einem reinen Herzen entgegen. [Aber] als der Junge älter wurde und er etwa 10 Jahre alt war ... quälte und überkam mich ein obszönes Verlangen und das Biest von purer Lust und dem Verlangen nach Vergnügen brannte in meiner Seele. ... Ich wollte mit dem Jungen Sex haben.596

Sex mit Knaben war die zentrale Obsession von Mönchen, beginnend mit den ersten Einsiedlern, die in die Wüste zogen; Macarius hat so viele Mönche gesehen, die in der Wüste Sex mit Knaben hatten, dass er Mönche strikt anwies, diese nicht aufzunehmen.596 Aber das Begehren war zu stark, und selbst derartige Regeln, wie die verpflichtende Begleitung eines Jungen, wenn er ins Bad ging, hinderte Mönche nicht daran, ihre Laienbrüder sexuell zu missbrauchen.697 Es vergewaltigten derart viele Mönche ihre Novizen, dass es einen geläufigen Spruch gab: »Mit Wein und von Knaben umgeben, brauchen die Mönche den Teufel der Versuchung nicht fürchten.«598 Priester benutzten gemeinhin auch Glaubensbekenntnisse, um Sex mit Knaben zu erbitten, doch die Bußbücher früher Christen kannten Bußen bloß für die Jungen, da diese für ihre eigene Vergewaltigung verantwortlich gemacht wurden. Im 11. Jahrhundert sagte Peter Da-mian, Sex mit Knaben in Klöstern »wütet in dreister Freiheit wie ein blutrünstiges Biest inmitten des Hirtenstabes Christi«, und schlug vor, dass beide, der Mann und der Junge, als Komplizen einer »Sünde gegen die Natur«599 bestraft werden sollten.

Päderastie war im Mittelalter so akzeptiert, dass Eltern weiterhin ihre Buben zum sexuellen Missbrauch an Freunde oder andere, von denen sie sich Gefälligkeiten erwarteten, aushändigten.600 Bernardino von Sien-na verfluchte Eltern als »Zuhälter« ihrer eigenen Söhne und meinte, die Väter, selbst Päderasten, die Geld oder Geschenke von den Vergewaltigern annahmen, wären die eigentlich Verantwortlichen.601 Jungen wurden mit solcher Wahrscheinlichkeit in den Straßen vergewaltigt - »ein Junge kann gar nicht vorbeigehen, ohne einen Sodomiten in seinem Rücken zu haben« -, dass Bernardino die Mütter aufforderte: »Schickt stattdessen die Töchter raus, die unter solchen Leuten keiner Gefahr ausgesetzt sind. ... Das ist weniger böse.«602 Auch die Mütter kolludierten bei der Verführung ihrer Söhne: »Wenn ein Junge sexuell zu reifen begann ... gab ihm seine Mutter ein eigenes Schlafzimmer im Erdgeschoss, >mit einem separaten Eingang und jeder Annehmlichkeit, damit er tun kann, wonach ihm ist und er nach Hause bringen kann, wen immer er will.<«603

Als Anfang des 15. Jahrhunderts einige der gewalttätigeren Fälle von Päderastie von Gerichten behandelt wurden, enthüllte die enorme Anzahl von strafrechtlich verfolgten Fällen, dass jeder Ort, an dem sich Jungen versammelten — von Schulen und Klöstern bis hin zu Tavernen und Konditoreien — »Schulen der Sodomie« waren, wohin Päderasten zur Vergewaltigung von Knaben kamen.604


268

Gemäß den ausführlichen Analysen von Gerichtsakten durch Michael Rocke wurde in Florenz »im späteren 15. Jahrhundert die Mehrheit der lokalen Männer mindestens einmal während ihres Lebens wegen homosexueller Handlungen mit Knaben angezeigt«.605 Da viele Päderasten nie vor Gericht standen, weil Gerichte nur widerwillig - ausgenommen nur besonders gewalttätige Fälle - Knabenvergewaltigung verhandelten, und da in der Gegenwart wie in der Vergangenheit jeder Päderast normalerweise mehrere Dutzend Buben vergewaltigt, enthüllen diese Gerichtsstatistiken wie nichts sonst die Allgegenwart von Päderastie in der Geschichte. Wenn die Mehrheit der Männer für Vergehen in Zusammenhang mit ihrer Päderastie vor Gericht gezerrt wurden, dann muss die tatsächliche Zahl der vergewaltigten Jungen nahezu allumfassend gewesen sein.

Als sich immer mehr Eltern in die aufdringlichen und sozialisierenden Modi der Moderne entwickelten, übergaben diese ihre Jungen immer widerwilliger zum sexuellen Missbrauch an Päderasten. Man wählte Tutoren aus, unter denen man keine Päderasten vermutete, und Reformer begannen davor zu warnen, Diener würden zu häufig »ihre Freiheiten mit einem Kind nutzen, was sie mit einem jungen Mann nicht zu tun riskieren würden«.606 Einige schlugen vor, öffentliche Frauenbordelle als »die beste Option, Männer von Knaben fern zu halten«607, zu forcieren. Die Vergewaltigung von Jungen in öffentlichen britischen Schulen, »bei vollem Mitwissen und Kollusion, sogar Einverständnis ihrer Älteren«,608 ging nichtsdestotrotz bis ins 20. Jahrhundert weiter, als ältere Jungen und auch Lehrer jüngere Buben noch als »Schlampen« hatten.609 In den letzten Jahrzehnten ist es nur langsam zu einer Akzeptanz des Schutzes von Kindern gegen sexuelle Übergriffe gekommen, und nur in psychogen am fortgeschrittensten Nationen ist die Rate des sexuellen Missbrauchs von Kindern auf etwa die Hälfte der zur Welt Gekommenen gefallen.

Trotz der Errungenschaft von empathischer Kindererziehung unter einigen Eltern heute, hat der größere Teil der Menschheit noch immer einen weiten Entwicklungsweg, um schwere Missbräuche aller möglichen Art zu überwinden und ihren Kindern die Liebe und den Respekt entgegenzubringen, die sie verdienen. 

Die Allgegenwart von Kindesmissbrauch und Verwahrlosung in den historischen Quellen macht selbst die schrecklichsten Beschreibungen in gegenwärtigen klinischen und juristischen Berichten nur bedingt vergleichbar. 

Es ist kein Wunder, dass Historiker bevorzugten, die hier enthüllten Belege zu verstecken, verleugnen und weißzuwaschen, um die Konfrontation mit dem elterlichen Missbrauch von Kindern zu vermeiden, der die zentrale Ursache für Gewalt und Elend in der Geschichte war.

268

#

 

 

www.detopia.de     ^^^^