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1.  Grenzüberschreitung

 

»Die Zukunft ist nicht mehr so, wie wir sie uns einst vorgestellt haben und wie sie aussehen könnte, wenn die Menschen ihre Hirne und ihre Möglich­keiten besser genutzt hätten. Dennoch kann die Zukunft noch immer das bieten, was wir vernünftiger­weise brauchen.«  Aurelio Peccei 1981, Gründer des Club of Rome (1)

 

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»Übers Ziel hinausschießen« bedeutet, Grenzen unwissentlich und unbeabsichtigt zu überschreiten. Täglich werden in den verschiedensten Bereichen des Lebens Grenzen überschritten, die eingehalten werden sollten. Da schlittert zum Beispiel auf vereister Straße ein Kraftwagen unversehens über ein Stoppzeichen hinaus.

Man kann die Fangkapazität einer Fischereiflotte so ausbauen, daß sie den Fischbestand ausrottet, der doch die Grundlage ihrer Existenz ist. Immer wieder kommt es vor, daß nach einem Bebauungsplan mehr teuere Eigentumswohnungen hochgezogen werden, als sich dann zahlungsfähige Interessenten finden lassen. Wenn ein Kraftwerk zu groß geplant wird, kann es nach Fertigstellung mehr Strom liefern, als die Wirtschaft und Privatkunden abzunehmen vermögen.

Es gibt sehr unterschiedliche Grenzüberziehungen. Aber die Ursachen dafür sind immer die gleichen. Erstens haben wir es mit rascher Bewegung, rascher Veränderung zu tun. Zweitens gibt es eine Grenze, über die die Bewegung nicht hinausgehen sollte. Und drittens haben wir Schwierigkeiten, die Situation unter Kontrolle zu halten wegen ... Der Fahrer überschätzt die Bremswirkung auf der schlüpfrigen Fahrbahn; die Fangkapazität der Fischereiflotte wird rascher erhöht als verläßliche Daten über die nachwachsenden Fische vorliegen; das Stromversorgungsunternehmen entscheidet zu rasch auf Grund unsicherer Bedarfsabschätzungen über die Größe eines Kraftwerks, dessen Bau dann Jahre erfordert.

In diesem Buch geht es um Grenzüberziehungen in sehr viel größeren Dimensionen. Sie umfassen die gesamte Menschheit: Ihre Wirtschaft entnimmt die benötigten Rohstoffe unserem Planeten und gibt ihm dafür Abfälle und Umweltgifte zurück. Aber der Abbau der Ressourcen und die Vermüllung erfolgen vielfach zu rasch und sind so nicht länger durchzuhalten. Die Umwelt verkraftet das nicht. Die Menschheit hat ihre Grenzen aus den gleichen Gründen überzogen, die allen Grenzüberziehungen zugrunde liegen. Das Wandlungstempo ist zu hoch, aber die Warnsignale stellen sich erst spät ein, sie sind unvollständig und verzerrt, werden mißachtet oder kurzerhand geleugnet. Der Bewegungsschwung ist hoch, aber die Reaktion ist zu langsam.

Im einfachsten Fall kommt es nach einer Grenzüberziehung zu einer direkten Kollision. Aber auch eine bewußte Kehrtwendung, eine Korrektur durch sorgfältig abgewogenes Zurückfahren ist möglich. In diesem Buch werden diese beiden Möglichkeiten näher analysiert, soweit sie für die menschliche Gesellschaft und ihren Planeten von Bedeutung sind. Wir sind überzeugt, daß Korrekturmaßnahmen möglich sind und daß sie zu einer wünschenswerten, ausreichend versorgten, gerechten und nachhaltigen Zukunft führen können. Wenn aber solche Korrekturen nicht erfolgen sollten, so wird eine Art von Kollaps nicht nur wahrscheinlich, sondern unvermeidlich, und dies wohl noch zu Lebzeiten vieler von uns.

Dies sind bislang nur hochgreifende Behauptungen. Wie aber kamen wir darauf? Wie lassen sie sich belegen?

Wir haben die langzeitlichen Folgen der gegenwärtig ablaufenden Prozesse in der Gesellschaft analysiert. Dazu haben wir vier unterschiedliche Instrumente zur Betrachtung eingesetzt, vier verschiedenartige Linsensätze gewissermaßen, die jeweils unterschiedliche Bilder der Welt ergeben, ähnlich wie Mikroskope und Fernrohre Dinge anders zeigen als man sie mit dem unbewaffneten Auge wahrnimmt. Drei dieser »Linsensätze« sind üblicher Art; sie sind leicht zu beschreiben und relativ einfach zu handhaben: Es handelt sich um die klassischen wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Theorien vom Weltsystem; um die statistischen Daten über vorhandene Ressourcen und die Umwelt sowie um unser Computermodell, das derartige Informationen integriert und miteinander in Zusammenhang bringt. Das Buch stellt dar, wie wir diese »Linsensätze« genutzt und was sie uns gezeigt haben.

 

Unser vierter »Linsensatz« aber ist wahrscheinlich der entscheidende: 

Es ist unsere grundsätzliche Art, die Dinge zu sehen, unsere »Weltsicht«, unser sogenanntes »Paradigma«. Jedermann hat eine derartige Weltsicht. Sie entscheidet stets, was man überhaupt wahrnehmen kann. Und es erscheint fast unmöglich, sie anderen Menschen eindeutig zu beschreiben.


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Unsere Weltsicht wurde zunächst von der Industriegesellschaft westlicher Prägung geformt, in der wir aufgewachsen sind, dazu durch unsere wissenschaftliche und wirtschaftswissenschaftliche Ausbildung. Beträchtlich beigetragen hat weiterhin all das, was wir von Kollegen bei der Zusammenarbeit in verschiedenen Gebieten der Erde gelernt haben. Besonders bestimmend für unsere Betrachtungsweise aber ist unser systemwissenschaftlicher Blickwinkel, der nicht von allen geteilt wird.

Diese systemdynamische Betrachtungsweise ist freilich nicht von vornherein besser als andere. Wie jeder Aussichtspunkt, etwa der Gipfel eines Berges, macht sie manche Dinge sichtbar, die man von einem anderen Standort aus nicht erkennen kann; andere Objekte dagegen werden verdeckt. Unsere Systemausbildung hat uns gelehrt, die Welt gewissermaßen als ein Bündel sich dynamisch entwickelnder Verhaltensmuster zu betrachten: Da erkennen wir zum Beispiel Wachstum und Schwund, Zyklen und Grenzüberziehung. Unsere Aufmerksamkeit ist auf gegenseitige Verflechtungen und Wechselwirkungen gerichtet. Die Wirtschaft und die natürliche Umwelt sehen wir in diesem Sinne als ein einheitliches System. Da gibt es Bestandsgrößen, Durchflußmengen, Rückkoppelungen und Grenzwerte. Sie alle beeinflussen unablässig das Verhalten des Gesamtsystems.

Die systemdynamische Betrachtungsweise ist keineswegs die einzig brauchbare zur Analyse dieser Welt. Wir verlassen uns auch nicht allein auf sie. Aber sie vermag besonders aufschlußreiche Informationen zu liefern und macht es möglich, Probleme auf neuartige Weise anzugehen und gleichzeitig unerwartete Möglichkeiten zu erkennen. Wir wünschen uns, daß die Leser diese Betrachtungsweise nachvollziehen, damit sie zu eigenen Schlußfolgerungen über den Zustand dieser Welt gelangen und die sich für die Zukunft bietenden Wahlmöglichkeiten selbst bewerten können.

Die Gliederung dieses Buches entspricht der inneren Logik unserer Analysen des globalen Systems. Man braucht keine höhere Mathematik, um es zu verstehen, und man muß dazu auch kein Computerexperte werden. Wir haben bereits dargestellt, daß es zu Grenzüberziehungen kommt: durch die Kombination von rascher Veränderung, bestehenden Grenzen und unvollständiger Information über die Reaktion auf diese


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