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Die Kindheit Adolf Hitlers

 

Vom verborgenen zum manifesten Grauen

»Meine Pädagogik ist hart. Das Schwache muß weggehämmert werden. In meinen Ordens­burgen wird eine Jugend heranwachsen, vor der sich die Welt erschrecken wird. Eine gewalttätige, herrische, unerschrockene, grausame Jugend will ich. Jugend muß das alles sein. Schmerzen muß sie ertragen. Es darf nichts Schwaches und Zärtliches an ihr sein. Das freie, herrliche Raubtier muß erst wieder aus ihren Augen blitzen. Stark und schön will ich meine Jugend ... So kann ich das Neue schaffen.« - Adolf Hitler

  Einleitung  

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Der Wunsch, über Adolf Hitlers Kindheit Näheres zu erfahren, tauchte bei mir erst beim Schreiben dieses Buches auf und überraschte mich nicht wenig. Der unmittelbare Anlaß dazu war der Gedanke, daß meine auf Grund der analytischen Behandlungen gewonnene Überzeugung von der reaktiven (und nicht angeborenen) Herkunft der menschlichen Destruktivität am Fall von Adolf Hitler gegebenenfalls eine Bestätigung erführe oder, wenn Erich Fromm u.a. recht behalten sollten, völlig in Frage gestellt werden müßte. 

Das Ziel war für mich wichtig genug, um diesen Schritt zu machen, obwohl ich zunächst sehr daran gezweifelt habe, daß es mir möglich sein würde, diesem Menschen, den ich für den größten mir bekannten Verbrecher halte, mit Empathie zu begegnen.

Die Empathie, d.h. hier der Versuch, ein Kinderschicksal vom kindlichen Erlebnis heraus nachzufühlen und es nicht mit den Augen der erzogenen Erwachsenen zu beurteilen, ist mein einziges Instrument des Verstehens, und ohne sie wäre die ganze Untersuchung sinn- und zwecklos. Ich war froh, als ich merkte, daß es mir gelungen ist, der Sache zuliebe dieses Instrument nicht zu verlieren und Hitler als Menschen zu sehen.

Dabei mußte ich mich von der überlieferten, idealisierenden und auf Abspaltung und Projektion des Bösen beruhenden Kategorie des »Menschlichen« befreien und einsehen, daß Menschsein und »Bestie« einander nicht ausschließen (vgl. Fromm-Zitat S. 208). Kein Tier steht unter dem tragischen Zwang, noch nach Jahrzehnten früh erfahrene, narzißtische Kränkungen rächen zu müssen, wie wir das z.B. am Leben Friedrichs des Großen beobachten können. Jedenfalls sind mir das Unbewußte und die Geschicht­lichkeit des Tieres nicht genug bekannt, um darüber Aussagen zu machen. 

Mir ist die extremste Bestialität bisher nur im menschlichen Bereich begegnet, daher kann ich nur in diesem Bereich ihren Spuren nachgehen und nach den Gründen fragen. Auf dieses Fragen kann ich aber nicht verzichten, solange ich mich nicht zum Instrument der Grausamkeit, d.h. zu ihrem ahnungslosen (und daher zwar schuldfreien, aber blinden) Träger und Vermittler machen lassen will.

Wenn wir dem Unfaßbaren den Rücken kehren und es entrüstet als »unmenschlich« bezeichnen, versagen wir uns dessen Kenntnis. So kommen wir leichter in Gefahr, es beim nächstenmal in aller Unschuld und Naivität wieder zu unterstützen.

 

In den letzten 35 Jahren erschienen unzählige Publikationen über das Leben Adolf Hitlers. Ich habe zweifellos mehrere Male gehört, daß Hitler von seinem Vater geschlagen wurde, habe es auch vor einigen Jahren in der Monographie von Helm Stierlin gelesen, ohne daß mich diese Information näher berührt hätte. Seitdem ich mich aber für die Erniedrigungen des Kindes in den ersten Lebensjahren sensibilisiert habe, bekam die frühere Information ein viel größeres Gewicht für mich. Ich stellte mir die Frage: Wie war die Kindheit dieses Menschen beschaffen, eines Menschen, der sein ganzes Leben vom Haß besessen war und dem es so leicht gelungen ist, andere Menschen in diesen Haß hineinzuziehen? 

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Dank der Lektüre der Schwarzen Pädagogik und den Gefühlen, die in mir dadurch wach wurden, konnte ich mir plötzlich vorstellen und konnte fühlen, was sich in der Wohnung der Familie Hitler abgespielt hat, als Adolf Hitler ein kleines Kind war. Der frühere Schwarzweiß-Film verwandelte sich in einen farbigen, der sich allmählich mit meinen eigenen Erlebnissen des letzten Weltkrieges so verwob, daß er aufhörte, ein Film zu sein, und zum Leben wurde, zu einem Leben, das nicht nur irgendwo und irgendwann einmal stattgefunden hat, sondern in seinen Konsequenzen und der Möglichkeit der Wiederholungen uns alle, so scheint es mir, auch hier und jetzt betrifft. 

Denn die Hoffnung, daß es auf die Dauer gelingen sollte, den nuklearen Untergang der Menschheit mit Hilfe von vernünftigen Abkommen abzuwenden, entspricht im Grunde einem irrationalen Wunschdenken und widerspricht jeglicher Erfahrung. Spätestens im Dritten Reich, wenn nicht schon wiederholt früher, konnten wir erleben, daß die Vernunft nur ein kleiner Teil des Menschen ist und nicht einmal der stärkste. Es genügte der Wahn eines Führers, es genügten einige Millionen gut erzogener Bürger, um in wenigen Jähren das Leben unzähliger unschuldiger Menschen auszulöschen. Wenn wir nicht alles tun, um das Entstehen dieses Hasses zu verstehen, werden uns auch die kompliziertesten strategischen Abkommen nicht retten können. Die Ansammlung von Nuklearwaffen ist nur ein Symbol für die aufgestauten Haßgefühle und die damit zusammen­hängende Unfähigkeit, die echten Bedürfnisse wahrzunehmen und zu artikulieren.

 

Am Beispiel der Kindheit von Adolf Hitler läßt sich die Entstehungsgeschichte eines Hasses studieren, unter dessen Auswirkungen Millionen von Menschen zu leiden hatten. Die Qualität dieses zerstörerischen Hasses ist den Psychoanalytikern längst bekannt, doch wird man von der Psychoanalyse vergeblich Hilfe erwarten, solange diese ihn als Ausdruck des Todestriebes versteht. 

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Auch die Nachfolger von Melanie Klein, die den frühkindlichen Haß zwar sehr genau beschreiben, aber ihn als angeboren (triebhaft) und nicht reaktiv deuten, bilden hier keine Ausnahme. Am ehesten nähert sich Heinz Kohut dem Phänomen dieses Hasses — mit seinem Begriff der narzißtischen Wut, den ich mit der Reaktion des Säuglings auf die Nichtverfügbarkeit des primären Objektes in Zusammenhang gebracht habe (1979).

Aber um die Entstehung eines lebenslangen, unersättlichen Hasses, wie er Adolf Hitler beherrschte, zu verstehen, muß man einen Schritt weiter gehen. Man muß den vertrauten Boden der Triebtheorie verlassen und sich der Frage öffnen, was sich in einem Kind abspielt, das einerseits von seinen Eltern gedemütigt und erniedrigt wird und andererseits unter dem Gebot steht, die Person, die ihm das antut, zu respektieren, zu lieben und seine Schmerzen auf keinen Fall zum Ausdruck zu bringen. Obwohl man etwas dergleichen Absurdes kaum von einem Erwachsenen erwarten würde (außer in ausgesprochen sado-masochistischen Beziehungen), erwarten Eltern gerade das in den meisten Fällen von ihren Kindern, und sie wurden in den früheren Generationen selten in dieser Erwartung enttäuscht.

In diesem ersten Lebensalter ist es noch möglich, die schlimmsten Grausamkeiten zu vergessen und den Angreifer zu idealisieren. Doch die Art der späteren Inszenierung verrät, daß die ganze Geschichte der frühkindlichen Verfolgung irgendwo aufgespeichert wurde, sie entfaltet sich nun vor den Zuschauern mit einer unerhörten Präzision, nur unter anderen Vorzeichen: das einst verfolgte Kind wird in der Neuinszenierung selber zum Verfolger. In der psychoanalytischen Behandlung spielt sich die Geschichte innerhalb der Übertragung und Gegenübertragung ab.

Wenn sich die Psychoanalyse einmal von ihrer Bindung an die Annahme des Todestriebes befreien würde, könnte sie dank dem vorhandenen Material über die frühkindliche Konditionierung sehr viel Wesentliches zur Friedensforschung beitragen.

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Doch leider zeigen die meisten Psychoanalytiker kein Interesse für die Frage, was Eltern mit ihren Kindern taten und überlassen diese Frage den Familientherapeuten. Da diese wiederum nicht mit der Übertragung arbeiten und sich vor allem auf Änderungen in der Interaktion zwischen den Familienmitgliedern konzentrieren, erreichen sie selten den Zugang zu dem frühkindlichen Geschehen, wie er in einer tiefgehenden Analyse möglich ist.

 

Um zu zeigen, wie sich die frühe Erniedrigung, Mißhandlung und psychische Vergewaltigung eines Kindes in seinem ganzen späteren Leben äußern, würde es genügen, die Geschichte einer einzigen Analyse ganz minuziös nachzuerzählen. Doch dies ist aus Diskretionsgründen eher unmöglich. Hitlers Leben wurde indessen bis auf den letzten Tag von sehr vielen Zeugen so genau beobachtet und protokolliert, daß man an diesem Material unschwer die Inszenierungen der frühen Kindheitssituation aufweisen kann. Außer den Zeugenaussagen und den historischen Taten, in denen sich sein Handeln dokumentierte, hat sich sein Denken und Fühlen, wenn auch verschlüsselt, in den zahlreichen Reden und in seinem Buch Mein Kampf artikuliert. 

Es wäre eine ungemein aufschlußreiche und lohnende Aufgabe, Hitlers ganze politische Aktivität im Zusammenhang mit seiner frühkindlichen Verfolgungsgeschichte verständlich zu machen. Doch diese Aufgabe würde den Rahmen dieses Buches sprengen, weil es mir hier nur um Beispiele für die Wirksamkeit der »Schwarzen Pädagogik« geht. Deshalb werde ich mich auf einige wenige Punkte dieser Lebensgeschichte beschränken, wobei ich bestimmten Erlebnissen aus der Kindheit, die bisher von Biographen wenig beachtet wurden, eine ganz besondere Bedeutung beimesse. Da sich die Historiker von Berufs wegen mit äußeren Tatsachen und die Psychoanalytiker mit dem Ödipuskomplex befassen, scheinen sich bisher wenige ernsthaft die Frage gestellt zu haben: Was hat dieses Kind empfunden, was hat es in sich gespeichert, als es von klein auf täglich von seinem Vater geschlagen und erniedrigt wurde?

Aufgrund der vorhandenen Dokumente kann man sich unschwer ein Bild von der Atmosphäre machen, in der Adolf Hitler aufgewachsen ist. Die Struktur seiner Familie ließe sich wohl als Prototyp des totalitären Regimes charakterisieren. Sein einziger, unumstrittener, oft brutaler Herrscher ist der Vater. Die Frau und die Kinder sind seinem Willen, seinen Stimmungen und Launen total unterworfen, müssen Demütigungen und Ungerechtigkeiten fraglos und dankbar hinnehmen; Gehorsam ist ihr wichtigstes Lebensprinzip. Die Mutter hat zwar ihren Bereich im Haushalt, in dem sie, wenn der Vater nicht zu Hause ist, den Kindern gegenüber Herrscherin ist, d.h. sich teilweise für die erlittenen Demütigungen an noch Schwächeren entschädigen kann. Im totalitären Staat kommt diese Funktion etwa der Sicherheitspolizei zu, es sind die Sklavenwächter, die selber Sklaven sind, die die Wünsche des Diktators ausführen, ihn in seiner Abwesenheit repräsentieren, in seinem Namen Angst einflößen, Strafen erteilen, sich zu Herrschern der Rechtlosen aufspielen.

Die Rechtlosen sind die Kinder. Falls nach ihnen kleinere kommen, gibt es da noch ein Feld, wo die eigenen Demütigungen abreagiert werden können. Sobald noch schwächere, noch hilflosere Wesen vorhanden sind, ist man nicht der letzte Sklave. Manchmal aber, wie im Falle von Christiane F., steht man als Kind weit unter dem Hund, denn der Hund braucht nicht geschlagen zu werden, wenn doch schon das Kind dafür da ist.

Diese Rangordnung, wie wir sie z.B. an der Organisation der KZ-Lager (mit Wärtern, Kapos usw.) genau studieren können, von der »Schwarzen Pädagogik« völlig legitimiert, wird vielleicht immer noch in manchen Familien eingehalten. Was sich daraus bei einem begabten Kind ergeben kann, läßt sich am Fall von Adolf Hitler an vielen Einzelheiten verfolgen.

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