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Manchmal muß ich mich fragen, wie viele Kinderleichen die Psychoanalytiker als Beweis benötigen, um das Kindheitsleiden ihrer Patienten nicht zu ignorieren und es ihnen nicht mit Hilfe der Triebtheorie auszureden.

Ein Analytiker wird an der Tatsache der Kindesmißhandlungen kaum etwas ändern können. Aber solange er Theorien vertritt, mit denen die offensichtlichen Mißhandlungen geleugnet und zugedeckt werden können, verhindert er den Prozeß des Bewußtwerdens sowohl bei seinen Patienten als auch in der Öffentlichkeit. Er unterstützt die kollektive Verdrängung eines Phänomens, dessen Konsequenzen jeden einzelnen Menschen direkt betreffen. 

Die Erziehungspraktiken der Eltern lassen sich nicht in einer Generation ändern, weil sie in den Verinnerlichungen der frühen Kindheit wurzeln. Man sollte aber meinen, daß die in der Adoleszenz und noch später im Studium gelernten Theorien aufgegeben werden können, wenn man mit Erfahrungen und einem neuen Wissen konfrontiert wird, die diesen Theorien widersprechen. Das wäre zweifellos auch der Fall, wenn nicht sowohl der Inhalt dieser Theorien als auch der Glaube an die Unfehlbarkeit der großen Autoritäten, von denen diese Theorien stammen, in der Ideologie der Schwarzen Pädagogik gründen würden.

Gerade die Unempfindlichkeit und Indifferenz der Fachleute gegenüber dem neu ermittelten Wissen über den Mißbrauch des Kindes, die, wie ich vermute, nicht ihre persönliche Härte, sondern lediglich ihre Treue zur Theorie spiegeln, zeigen zugleich sehr deutlich die Gefahren dieser Theorie. Diese bestehen in der einfachen Tatsache, daß der Psychoanalytiker in das System der Schwarzen Pädagogik zurückgedrängt wird, aus dem er sich mit Hilfe der psychoanalytischen Ausbildung zu befreien hoffte, und daß er auch seinen Patienten dahin zurückdrängt. Denn wenn die Freudsche Theorie vorschreibt, daß die Berichte des Patienten über seine Kindheit als seine Phantasien zu betrachten seien, die dessen Triebkonflikten und nicht realen Erlebnissen entstammen, dann bleibt der Psychoanalytiker weiter für das kindliche Leiden unempfindlich. 

Das hat mehrere Konsequenzen:

1. Der Analytiker muß sein eigenes Kindheitsleiden bagatellisieren, kann seinem Patienten keine Sensibilisierung für dessen Leiden vermitteln, sondern wird es im Gegenteil so bagatellisieren, wie er es bei sich selber tut, wie es alle gut erzogenen Kinder tun. Doch hier können die emotionalen Gründe dieser Bagatellisierung zusätzlich mit der Triebtheorie legitimiert und mystifiziert werden. 27) Wenn der Patient vage und ängstlich versucht, das Klima der Demütigung, Mißhandlung oder der seelischen Vergewaltigung zu schildern, werden ihm seine einstigen Wahrnehmungen als Triebphantasien oder Projektionen seiner eigenen Wünsche gedeutet. Damit wird erreicht, daß der Patient a) seine Klage aufgibt, b) sich ihrer schämt, c) Schuldgefühle entwickelt und d) seine Traumatisierungen nochmals und tiefer als früher verdrängt. 

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Diese Prozedur verstärkt weitgehend die Selbstentfremdung. Es kann keine Autonomie entstehen, und die Erziehungsbemühungen des Analytikers werden daher oft folgsam und unbemerkt aufgenommen. Durch diese Form der Psychoanalyse wird die eigene Wahrheit begraben, was zwar die Abwehr der Traumen vorübergehend, meistens mit Hilfe des Intellektualisierens, verstärken kann; doch gerade dadurch wird die Tendenz zur Entwicklung neuer Depressionen unterstützt.

/T) Wenn der Patient aber gar nicht die Möglichkeit hat, sich über seine Eltern und Erzieher zu beklagen, was ja viel häufiger vorkommt als das Gegenteil, so muß der Prozeß des Ausredens gar nicht erst erfolgen, es kann direkt auf der Basis der guten Erziehung aufgebaut und dem Patienten in Kürze beigebracht werden, wie er seine Eltern »besser verstehen und ihnen verzeihen könne«. Die religiöse Idee, daß die »Geste der Verzeihung« den Menschen besser mache, ist auch in die psychoanalytische Behandlung durchgedrungen. Als ob die Geste etwas aufheben könnte, was seit der Kindheit tief im Menschen schlummert und sich nur in der Neurose artikulieren kann. Wer könnte das besser wissen als Psychoanalytiker, wenn sie sich nicht darüber geeinigt hätten, daß die Realität des Kindes nicht Gegenstand ihrer Betrachtungen sein könne.

Die Konsequenzen der Triebtheorie bestehen also in der Verleugnung der Realität, in der Unempfindlichkeit für das kindliche Leiden, in der Weigerung, den Klagen des Patienten Glauben zu schenken — d.h. schließlich auch: ihn ernstzunehmen — und vor allem in der Verkennung und Verleugnung der Wurzeln der neurotischen Entwicklung. Wie ich schon mehrmals betont habe, liegen diese Wurzeln meiner Meinung nach in der Notwendigkeit der Verdrängung, aber nicht der Verdrängung der Triebwünsche des Kindes, sondern des Wissens von den Traumatisierungen und in dem sehr früh verinnerlich-ten Verbot, diese zu artikulieren. 

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Die Freudsche Triebtheorie unterstützt dieses Verbot in vollem Umfang, weil sie noch im Schema des Beschuldigens befangen ist und meint, die Eltern vor dem Vorwurf des Kindes schützen zu müssen. Da aber in diesem Schema ein Schuldiger gefunden werden muß, sind es die Triebe des Kindes, ist es schließlich, wie in der ganzen Schwarzen Pädagogik, das Kind. Es sind angeblich seine Aggressionen, seine sexuellen Wünsche, deren Nichterfüllung es den Eltern anlastet und die ihm seine Eltern manchmal (in der Projektion) grausam »erscheinen lassen«. Grausamkeit der Eltern ist also immer die Ausgeburt der kindlichen Triebphantasie, der die eigene kindliche Grausamkeit zugrunde liegt. Denn diese ist für den Psychoanalytiker (wie für den Pädagogen) immer real und gegenwärtig. Bezeichnenderweise bin ich aber in den klassischen psychoanalytischen Schriften nirgends der Frage begegnet, was eigentlich mit der Grausamkeit des Kindes später geschieht, wenn es erwachsen ist und selber Kinder hat. Als ob mit der Erlangung der Macht beim Erwachsenen solche Fragen selbstverständlich zu verstummen hätten. Am deutlichsten läßt sich das in der kleinianischen Literatur beobachten. Ich greife einige Definitionen der kleinianischen Begriffe heraus, die Hanna Segal für Studenten zusammengestellt hat.

Angst gilt als Reaktion des Ichs auf das Wirken des Todestriebes. Wird der Todestrieb abgelenkt, nimmt die Angst hauptsächlich zweierlei Gestalt an: i. Paranoide Angst: sie entsteht durch Projektion des Todestriebes in ein Objekt oder in mehrere Objekte, die dann als Verfolger erfahren werden. Das Kind fürchtet, die Verfolger könnten sein Ich und sein Idealobjekt vernichten. Die paranoide Angst hat ihren Ursprung in der paranoid-schizoiden Position. — 2. Depressive Angst: das Kind fürchtet, durch die eigene Aggression sein gutes Objekt zu zerstören oder zerstört zu haben. Diese Angst wird sowohl hinsichtlich des Objekts wie hinsichtlich des Ichs erfahren, das sich durch Identifikation mit dem Objekt bedroht fühlt. Sie hat ihren Ursprung in der depressiven Position, wenn das Objekt als ein Ganzes wahrgenommen wird und das Kind die eigene Ambivalenz erfahrt. — Kastra-

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tionsangst ist überwiegend eine paranoide Angst, die dadurch entsteht, daß das Kind die eigene Aggression projiziert. Sie kann aber auch depressive Elemente enthalten, zum Beispiel die Angst, den Penis als Wiedergutmachungsorgan zu verlieren. Bizarre Objekte sind das Ergebnis pathologischer projektiver Identifikationen, bei denen das Objekt so wahrgenommen wird, als wäre es in winzige Fragmente gespalten, von denen jedes einen projizierten Teil des Selbst enthält. Diese bizarren Objekte werden als sehr feindselig erfahren.

Verfolger sind Objekte, in die ein Teil des Todestriebes projiziert worden ist; durch sie entstehen paranoide Ängste. Früher Neid wird vom Kind überwiegend in Beziehung zur nährenden Brust erfahren und ist möglicherweise die frühste äußere Manifestation des Todestriebes, weil er das als Lebensquell empfundene Objekt angreift.

Neid und Gier können sich verbinden und den Wunsch wecken, das Objekt völlig auszusaugen, nicht nur um all sein Gutes zu besitzen, sondern auch um das Objekt vorsätzlich zu entleeren, damit es nichts Beneidenswertes mehr enthält. Gerade diese Beimengung von Neid macht Gier oft so schädlich und für die analytische Behandlung so schwer erfaßbar. Mit dem Ausschöpfen äußerer Objekte begnügt der Neid sich jedoch nicht. Solange die eingenommene Nahrung als Teil der Brust empfunden wird, ist sie selbst Ziel neidischer Angriffe, die sich auf das innere Objekt ebenso richten. Der Neid bedient sich auch - und oft nur - der Projektion. Wenn der Säugling das Empfinden hat, sein Inneres sei mit Angstgefühlen und mit Bösem angefüllt, die Brust dagegen sei die Quelle alles Guten, möchte er neiderfüllt die Brust verderben und projiziert in sie böse und schädliche Teile von sich selbst; das heißt, in seiner Phantasie greift er die Brust an, indem er sie spaltet, indem er uriniert, defäziert, Winde läßt oder die Brust projektiv durchdringend anstarrt (böser Blick). Mit fortschreitender Entwicklung werden diese Angriffe dann auf den Mutterleib und seine Kinder und die Beziehung der Eltern untereinander ausgedehnt. Der Neid auf die Beziehung der Eltern spielt im Falle einer pathologischen Entwicklung im Ödipuskomplex eine bedeutsamere Rolle als echtes Eifersuchtsgefühl 

(H. Segal, 1974, S. iÖ3f. u. 168).

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Eine solche Theorie kann nur jemand entwickelt haben, der selber den Säugling als böse, gierig, bedrohlich erlebt hat. Diese Haltung kommt häufig vor, weil man im Säugling sehr oft die eigenen Eltern oder Geschwister sieht. Der Säugling kann sich gegen all die Zuschreibungen nicht anders wehren als mit heftigen Gefühlen oder, wenn diese verboten sind, mit Depressionen (depressive Position!) und Symptomen. Aber das sind seine Reaktionen auf Gefühle der Eltern und nicht angeborene Triebäußerungen. Denn es gibt nachweisbar bereits viele Fälle, die man auch beobachten kann, in denen Säuglinge nicht das kleinianische Verhalten aufweisen, weil sie von ihren Müttern nicht als gierige, fordernde Ungeheuer erlebt werden, die ihre Brust aus Neid zerstören wollen, sondern als kleine hungrige Wesen, die noch im Dunkeln tappen und ausprobieren wollen und manchmal schnell die Geduld verlieren, wenn nicht alles sofort klappt und wenn das unentbehrliche Objekt nicht verfügbar ist. Diese unsere Einstellung zum Kind wirkt entscheidend auf sein Verhalten und auf seine Entwicklung. Das gleiche geschieht in der Therapie^ Unsere Haltung konstituiert die Art des Patienten, sie entscheidet darüber, ob er ein (mit seinem Zorn und Haß) leidender Mensch oder ein böser, neidischer, unheilbarer Fall ist. Daher hat der Therapeut immer »recht«, und ein Vertreter der kleinianischen Einstellung wird immer »Beweise« seiner Theorie anbringen können. Es ist ja gar nicht anders möglich. Wenn wir die Definitionen von Hanna Segal auf uns wirken lassen^muß es uns nicht wundern, daß Psychoanalytiker bei Nachrichten über Kindermißhandlungen gewöhnlich ihre Ruhe nicht verlieren und keine Bezüge zwischen diesem Wissen und ihrer Theorie herstellen. Sie haben sich ja des »Bösen« bereits entledigt, indem sie es im kleinen Kind und dessen Trieben untergebracht haben. Die Ruhe, die ihnen ihre Theorie verleiht, wäre ihnen zu gönnen, wenn der Gedanke nicht beunruhigend wäre, daß gerade bei ihnen so viele Menschen Rettung aus der Neurose suchen, die in ihrer Kindheit narzißtisch und oft sexuell mißhandelt, vergewaltigt, mißbraucht wurden

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und Hilfe brauchen, um das in ihren Symptomen angemeldete Wissen eruieren zu können und die ursprüngliche Lebendigkeit wieder zu erlangen. Tragischerweise können sie diese Hilfe nicht von der Triebtheorie bekommen, sie können höchstens eine Verstärkung ihrer Abwehr gegen ihr besseres Wissen und die Betonierung der Anpassung an die Gesellschaft erreichen, die sie von den Wurzeln ihres eigenen Selbst trennen. Dieses Selbst bleibt wie ein Gefangener in der Zelle, dem niemand seine Unschuld glaubt und der daher, um ja nicht mit dieser Wahrheit allein und isoliert zu bleiben, schließlich auch nichts mehr von der Wahrheit weiß (vgl. A. Miller, 1979). Nur um den Preis seines wahren Selbst rettet er die Verbindung zu den anderen.

In den alten Erziehungsschriften wurde regelmäßig empfohlen, so früh wie möglich dem Kind »seinen Willen zu nehmen«, seinen »Eigensinn« zu bekämpfen, und es immer im Gefühl der eigenen Schuldigkeit und Schlechtigkeit zu belassen; man dürfe niemals den Eindruck aufkommen lassen, daß der Erwachsene sich täuschen oder einen Fehler begehen könnte, dem Kind niemals die Entdeckung der Grenzen des Erwachsenen ermöglichen, sondern solle im Gegenteil eigene Schwächen vor ihm verbergen, ihm die göttliche Autorität vortäuschen. 

Es könnte sein, daß dieses Kind später als Patient zum erstenmal beim Analytiker realisiert, daß man ihm etwas Entscheidendes, nämlich seine eigene Art, sich zu artikulieren z.B. »wegnimmt«, wie es einst schon die Eltern getan haben, als es noch zu klein war, um das bewußt zu merken. Das ist eine seelische Kastration, die sich in der Analyse leider auch real wiederholen kann, wenn der Analytiker eine erzieherische Haltung einnimmt. Tut er es nicht, kann ihn der Patient u.U. trotzdem als »kastrierenden Vater« erleben, falls dieser einen solchen Vater wirklich gehabt hat. Erst wenn ihm der Analytiker dieses Recht zugesteht und die Ängste des Patienten nicht als paranoide Einbildungen erlebt, sondern als einen endlich erfolgten Durchbruch seiner längst verdrängten Wahrnehmungen, übernimmt er nicht die kastrierende Haltung der Eltern und ermöglicht es dem Patienten, »neue Erfahrungen« zu machen.

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Ich kann nicht verhindern, daß mein Versuch, die gesellschaftliche (meiner Meinung nach maligne) Funktion der Triebtheorie aufzuzeigen, den einen oder andern Freudianer oder Kleinianer kränken oder verletzen könnte. Auch bei der Aufdeckung der Erziehungsideologie mit Hilfe der Schriften der Schwarzen Pädagogik fühlten sich viele Eltern persönlich angeklagt und reagierten mit Schuldgefühlen, nach dem Muster ihrer eigenen Erziehung, ohne zu realisieren, daß ich nur ein System aufzeige, dessen Opfer auch sie selber waren und weiter bleiben, solange sie das System nicht durchschauen.

Eine ähnliche Aufgabe der Aufklärung übernehme ich mit meiner Kritik an der Triebtheorie, und es liegt mir fern, einzelne Menschen für das Unterrichten und Verbreiten der Triebtheorie verantwortlich zu machen, da ich davon überzeugt bin, daß sie selber einer schwer durchschaubaren, pädagogischen Haltung zum Opfer gefallen sind. Diese Meinung braucht selbstverständlich niemand zu teilen, aber sie erklärt, warum mein Angriff auf die Triebtheorie wie auch auf die Schwarze Pädagogik nicht ein Angriff auf einzelne Kollegen oder Eltern ist. Ich bin darauf angewiesen, Namen von psychoanalytischen Autoren zu nennen, weil ich Beispiele brauche. Aber ich habe gerade Namen von Therapeuten genannt, deren Arbeit und Originalität ich schätze und die es zum Teil auch von mir wissen.

Gegen die von mir vertretene Ansicht, daß psychische Erkrankungen Folgen von verdrängten Traumen und nicht von verdrängten Triebwünschen und Triebkonflikten sind, wird manchmal der Einwand erhoben, man könne in der Analyse die frühkindlichen Traumatisierungen nicht mehr »eruieren«.

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Erstens entspricht diese Meinung nicht meiner Erfahrung, denn ich habe mehrmals das Gegenteil erlebt. Ich zweifle aber nicht daran, daß bestimmte Haltungen des Analytikers das Auftauchen früher Erinnerungen verhindern oder unterdrücken.

Zweitens ist die Frage nach der Ursächlichkeit von psychischen Erkrankungen nicht davon abhängig, ob es dem einen oder anderen Analytiker gelingt, an die frühkindlichen Traumatisierungen heranzukommen. Wenn die grundsätzliche Frage beantwortet ist, geht es darum: welche Methode muß man entwickeln, um Inhalte, die einst im Dienste des Überlebens verdrängt werden mußten, dem Bewußtsein zugänglich zu machen? Unter den Gründen, die Freud gegen die Gültigkeit seiner Verführungstheorie angibt, erwähnt er auch die Tatsache, daß echte Heilungen allmählich viel seltener geworden seien und länger als in der Anfangszeit auf sich warten ließen. 

Wenn es stimmt, daß die ersten Behandlungen in kurzer Zeit erfolgreich waren, dann spricht die Abnahme dieses Erfolges nicht gegen die Verführungstheorie, sondern läßt sich eher damit erklären, daß Freud, unter der Last des Vierten Gebotes und seiner Schuldgefühle, an den entdeckten Zusammenhängen zu zweifeln begann. Das genügte, um es dem Patienten unmöglich zu machen, sein Trauma zu erleben und zuzulassen, weil die begleitende Funktion des Analytikers ausblieb. Diese Situation haben wir in den meisten Fällen auch heute, zumindest da, wo sich die Arbeit des Analytikers auf die Deutung der Triebkonflikte konzentriert und das Gewicht der frühen Traumen übersehen oder bagatellisiert wird. Die in unserer Gesellschaft vom Vierten Gebot geforderte Verdrängung der frühkindlichen Traumatisierungen führt zu einer kollektiven Verdrängungshaltung, die auch im Sprechzimmer des Analytikers wirksam ist. Dies scheint heute nicht anders zu sein als im Jahre 1897, als Freud seinen berühmten Brief an Fließ schrieb und seine Abkehr von der Verführungstheorie begründete. Eine sehr gut begreifliche depressive Note läßt sich in dieser Resignation nicht verkennen.

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Diese Resignation gründet bewußt vor allem in der nun eintretenden Häufung der Mißerfolge, und es ist bezeichnend, daß sich Freud unter anderem auch auf Argumente stützt, die er ein Jahr zuvor in der Studie Zur Ätiologie der Hysterie, die dann auf großen Widerstand stieß, noch sehr überzeugend entkräftet hatte. Aber wir dürfen nicht übersehen, daß in der ausführlichen Argumentation von 1897 der Satz steht: »Dann die Überraschung, daß in sämtlichen Fällen der Vater als pervers beschuldigt werden mußte, mein eigener nicht ausgeschlossen« (S. Freud, 1975, S. 187).*

 

* In der gebundenen Ausgabe aus dem Jahre 1950 ist der Nebensatz »mein eigener nicht ausgeschlossen« durch (...) ersetzt worden. Was könnte die Herausgeber dazu bewogen haben, einen so wichtigen Satz auszulassen, wenn nicht die Schonung einer verinnerlichten »Respektsperson«? In einer Fußnote kommentieren sie Freuds Entschluß folgendermaßen: »Es liegt nahe anzunehmen, daß erst die Selbstanalyse des Sommers den entscheidenden Schritt, die Verwerfung der Verführungshypothese möglich gemacht hat.« Abgesehen davon, daß Freud im Jahre 1896 keineswegs über »Hypothesen«, sondern über empirische Funde berichtete (vgl. oben S. 139 f.) und daß er erst mit der Triebtheorie eine Hypothese aufstellte (die später dogmatisiert werden mußte, weil sie eben nicht empirisch belegbar ist), scheint mir die Vermutung richtig, daß die Verführungstheorie in Freuds Selbstanalyse notgedrungen ein Finde fand, denn man kann die eigenen frühen Traumen ohne die Hilfe einer empathischen, begleitenden und nicht verurteilenden Person (die Freud fehlte) nicht erleben - der Schmerz wäre nicht zu ertragen, und die Angst vor der Rache der gekränkten verinnerlichten Person wäre nicht auszuhalten. Aus zahlreichen Briefstellen läßt sich leicht herauslesen, daß Wilhelm Fliess für diese begleitende Rolle nur sehr beschränkt geeignet war. Sobald die ungekürzten Fliess-Briefe zur Publikation freigegeben werden, wird man sicherlich mehr darüber erfahren (eine erweiterte Ausgabe wird gegenwärtig von J. Masson vorbereitet). Indessen lassen sich jetzt schon verstreute Äußerungen Freuds finden, die ein Licht auf die unbewußten Motive für diesen in seinen Konsequenzen so bedeutsamen Schritt werfen. Doch in diesem Buch sehe ich meine Aufgabe nicht in einer Analyse der frühen Kindheit Sigmund Freuds, sondern vielmehr im Aufweisen der allgemeinen, gesellschaftlichen Ursachen, die nicht nur bei Freud, sondern auch bei C. G. Jung und bei vielen anderen Denkern ausschlaggebend dafür waren, daß sie die Trauma-Theorie aufgaben (vgl. oben S. 25 5 f).

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Marianne Krüll ist in ihrem Aufsehen erregenden Buch (1979) der Freudschen Vaterbeziehung und ihrer Rolle für das Aufgeben der Verführungstheorie sehr genau nachgegangen. Ihre Argumentation ist sehr überzeugend; ich glaube aber, daß es sich hier nicht nur um das individuelle Schicksal von Sigmund Freud handelt, sondern um ein Phänomen unserer Kultur, die im Schatten eines ganz bestimmten Vater- und Gottesbildes steht. Der Gott-Vater ist ein leicht kränkbarer, ehrgeiziger, im Grunde unsicherer Mensch, der daher Gehorsam und Konformität in der Meinungsäußerung verlangt, der keine Götzen neben sich erträgt, und, da »Götzen« für den jüdischen Gott auch die künstlerischen Werke waren, also auch keine Kreativität duldet, der Meinungen vorschreibt und Sanktionen gegen Abtrünnige auferlegt, der die Schuldigen mit allen Mitteln verfolgt, der den Söhnen nur erlaubt, nach seinen Prinzipien zu leben und nach seinen Vorstellungen glücklich zu werden. 

Es ist die Angst vor diesem Gott-Vater, die die Triebtheorie zum Dogma gemacht hat und die mit so vielen neuen Entdeckungen so umgeht, wie Gott mit den Götzen seines Volkes:

Denn das Leitbild der Völker ist ja nur Wahn, ist ja nur Holz, das man im Walde schlug, das Werk von Künstlerhand mit dem Messer . . . Sie (die Götzen) sind wie Vogelscheuchen im Gurkenfeld, zu reden nicht fähig. Sie müssen getragen werden, denn sie können nicht gehen. Fürchtet Euch vor ihnen nicht, denn sie wirken kein Unheil, aber auch Gutes tun können sie nicht. . . Das Erziehungsgut der eitlen Götzen - Holz ist es!. . . Ein Werk aus der Hand des Künstlers und Goldschmieds . . . Das Werk von weisen Männern sind sie alle. Doch der Herr ist wahrer Gott, ein lebendiger Gott und ewiger König! Vor seinem Groll erbebt die Erde, die Völker halten seinen Zorn nicht aus. (Jere-mia, Kap. 10).

Und an einer andern Stelle heißt es:

Ja, ich sende giftige Schlangen unter Euch — kein Beschwören hilft gegen sie, und sie werden Euch beißen - Spruch des Herrn ... So spricht der Herr: »Nicht rühme der Weise sich seiner Weisheit, der Starke rühme sich nicht seiner Kraft, der Reiche rühme sich nicht seines Reichtums! Nein, wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, daß er klug sei und mich erkenne, daß nämlich ich, der Herr, es bin, der auf Erden Gnade,

Recht und Gerechtigkeit schafft, ja, an solchen Leuten habe ich Wohlgefallen.« - Spruch des Herrn (Jeremia, Kap. 8)

In dieser Tradition stand Sigmund Freud, ohne sich aus der durch sie implizierten emotionalen Gefangen­schaft befreien zu können, als er seine große Entdeckung über die sehr frühen Traumatisierungen im Kindesalter aufgeben mußte. 

Wir stehen zwar heute in der gleichen religiösen und kulturellen Überlieferung wie Freud seinerzeit. Aber wir wissen jetzt, zumindest theoretisch, daß nur ein sehr unsicherer und daher sehr kränkbarer Mensch Tyrannei ausübt, auch wenn unsere Angst vor dieser Tyrannei, weil sie in der Kindheit wurzelt, mit diesem intellektuellen Wissen nicht viel anfangen kann. Es wird immer wieder einzelne Menschen geben, die in ihren Analysen der Unsicherheit ihrer Eltern so stark und so entscheidend begegnet sind, daß sie das, was sie wahrnehmen, nicht mehr verleugnen können, und sich auch nicht mehr den Zustand im Paradies wünschen, in dem vom Herrscher Gehorsam und Verzicht auf Erkenntnis verlangt wird. 

 

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Aus dem Buche Hiob  

 

Ein Mann lebte im Lande Uz, sein Name war Hiob; und dieser Mann war fromm und recht, gottesfürchtig und dem Bösen fern. Da sprach der Herr zum Satan: »Hast du meinen Knecht Hiob beachtet? Es gibt ja seinesgleichen keinen auf Erden: fromm und recht, gottesfürchtig und dem Bösen fern!« Der Satan erwiderte dem Herrn und sprach: »Ist es umsonst, daß Hiob Gott fürchtet? Umhegst du nicht ihn und sein Haus und alles, was sein ist ringsumher? Segnest du nicht das Werk seiner Hände, und breitet sich nicht sein Besitz im Lande aus? Aber strecke einmal deine Hand aus und taste alles, was sein ist, an! Ob er dir dann nicht ins Angesicht flucht?« 

Da sprach der Herr zum Satan: »Wohlan, alles, was sein ist, sei deiner Hand überlassen; nur nach ihm selbst strecke deine Hand nicht aus!« Und der Satan ging weg vom Antlitz des Herrn. Da geschah es eines Tages, während seine Söhne und Töchter im Hause ihres erstgeborenen Bruders speisten und Wein tranken, daß ein Bote zu Hiob kam und sprach: »Die Rinder waren beim Pflügen, und die Eselinnen weideten daneben. Da fielen Sabäer ein, nahmen sie weg, und die Knechte erschlugen sie mit scharfem Schwert; nur ich allein bin entkommen, es dir zu melden.« Noch redete dieser, da kam schon ein anderer und sprach: »Feuer Gottes fiel vom Himmel, brannte bei den Schafen und Knechten und vermehrte sie; nur ich allein bin entkommen, es dir zu melden.« 

Noch redete dieser, da kam schon ein anderer und sprach: »Kaldäer stellten drei Heerscharen auf, und diese fielen über die Kamele her und nahmen sie weg, und die Knechte erschlugen sie mit scharfem Schwert;, nur ich allein bin entkommen, es dir zu melden.« Noch redete dieser, da kam schon ein anderer und sprach: »Deine Söhne und Töchter speisten und tranken Wein im Hause ihres erstgeborenen Bruders. Sieh, da kam ein mächtiger Wind von jenseits der Wüste und stieß an die vier Ecken des Hauses; es stürmte über den Kindern zusammen, und sie starben; nur ich allein bin entkommen, es dir zu melden.«

Da erhob sich Hiob, zerriß sein Gewand, schor sein Haupt, fiel zur Erde nieder, beugte sich anbetend und sprach: »Nackt kam ich hervor aus dem Schoß meiner Mutter, und nackt kehre ich dorthin zurück. Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen, der Name des Herrn sei gepriesen!« 

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Bei all dem hat Hiob nicht gesündigt und gegen Gott nichts Törichtes geäußert.

Da sprach der Herr zum Satan: »Hast du meinen Knecht Hiob beachtet? Es gibt ja seinesgleichen keinen auf Erden: fromm und recht, gottesfürchtig und dem Bösen fern. Noch immer hält er fest an seiner Frömmigkeit, und du hast mich vergeblich gegen ihn gereift, ihn S(U verderben.« Der Satan erwiderte dem Herrn und sprach: »Haut für Haut! Es gibt doch der Mensch alles, was er hat, für sein Leben hin! Aber strecke einmal deine Hand aus und taste sein Gebein und Fleisch an! Ob er dir dann nicht ins Angesicht flucht?« Da sprach der Herr ^um Satan: » Wohlan, er sei deiner Hand überlassen; nur sein Leben schone!« Und der Satan ging weg vom Antlit^ des Herrn und schlug Hiob mit bösem Geschwür von der Fußsohle bis %u seinem Scheitel. Da nahm er sich einen Scherben, um sich damit %u schaben, während er mitten in der Asche saß. Da sprach sein Weib %u ihm: »Hältst du immer noch fest an deiner Frömmigkeit? Fluche Gott und stirb!« 

Er aber sprach zu ihr: »Wie eine Törin redet, so redest du. Wenn wir schon das Gute von Gott annehmen, sollen wir das Schlechte nicht auch annehmen?« Bei all dem hat Hiob mit seinen Lippen nicht gesündigt. Da hörten die drei Freunde Hiobs von all dem Unglück, das über ihn gekommen war. Und sie kamen, ein jeder von seinem Heimatort: Eliphas der Temanit, Bildad der Schuchit und Zophar der Naamatit. Sie hatten nämlich gemeinsam ihr Kommen verabredet, ihm Teilnahme zu steigen und ihn t(u trösten. Als sie aber von ferne ihre Augen erhoben, erkannten sie ihn nicht wieder. Da erhoben sie ihre Stimme und weinten laut. Sie zerrissen insgesamt ihr Gewand und streuten Asche über ihre Häupter gen Himmel. Sie saßen bei ihm auf der Erde sieben Tage und sieben Nächte lang. Keiner sprach ein Wort zu ihm; denn sie sahen, daß sein Schmer^ gar groß war. Alsdann öffnete Hiob seinen Mund und verfluchte den Tag seiner Geburt. Und Hiob begann und sprach: » Vertilgt sei der Tag, an dem ich geboren, und die Nacht, welche sprach: Empfangen ist ein Mann! Jener Tag, er werde Finsternis, nicht möge nach ihm fragen Gott da droben, nicht erglänze über ihm ein lichter Strahl!

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Dunkelheit und Düster sollen ihn belegen. Wolkenmassen über ihm sich lagern! Sie sollen ihn erschrecken gleich den Bitternissen Tag für Tag! Und jene Nacht, das Dunkel raffe sie hinweg, nicht soll sie sich gesellen zu des Jahres Tagen, und nicht gelangen in die Zahl der Monde! Ja, jene Nacht sei unfruchtbar, kein Jubel kehre ein in ihr! Verwünschen sollen sie die Tagverflucher, die auch imstande sind, den Drachen aufzuwecken! Dunkel seien ihrer Dämmrung Sterne; sie harre auf das Licht, jedoch umsonst; sie schaue nicht der Morgenröte Wimpern! Weil sie meiner Mutter Leibespforte nicht verschloß und so das Leid perborgen hätte meinen Augen. Warum erstarb ich nicht vom Mutterleibe weg, kam aus dem Schoß hervor und schied dahin? Weshalb nur kamen Kniee mir entgegen, und wozu Brüste, daß ich sog? So läge ich nun still und könnte rasten, ich schliefe, alsdann hätt' ich Ruh bei Königen und Ratsherren der Erde, die Grabeskammern sich erbauten, oder auch bei Fürsten, reich an Gold, die ihre Häuser angefüllt mit Silber. Vielmehr wie die verscharrte Fehlgeburt bestünde ich nicht mehr, wie Kindlein, die das Licht nicht schauten. Dort haben Frevler aufgehört %u toben, dort ruhen Krafterschöpfte aus. Desgleichen sind Gefangene von Sorgen frei; sie hören nicht die Stimme eines Treibers. Klein und groß ist dort beisammen, der Knecht ist ledig seines Herrn. Warum schenkt Er dem Elenden das Licht und Leben den mit Bitternis Erfüllten, denen, die des Todes harren, doch umsonst, und sehnlicher nach ihm als wie nach Schätzen suchen; die Freude hätten bis \um Jubel, frohlockten, wenn ein Grab sie fänden; dem Manne, dessen Lebensweg im Dunkel liegt und den Gott ringsum eingeschlossen hat? Denn meinem Essen geht voran mein Seufzen, und es ergießt wie Wasser sich mein Klageruf. Denn schreckte mich ein Schrecknis, alsdann traf es mich; wovor mir graute, das kam über mich. Noch hatte ich nicht Frieden, noch nicht Ruhe noch keine Rast, da kam schon wieder Ruhelosigkeit.«

Da antwortete Eliphas, der Temanit und sprach: »Wenn man ein Wort an dich versucht, nimmst du es wohl übel? Doch wer vermag das Reden aufzuhalten? Siehe, du hast viele unterwiesen und schlaffe Hände stark gemacht; dem Strauchelnden halfen deine Worte auf und wankenden Knieen gabst du Kraft. Weil es nun an

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dich herankam, wurdest du verdrossen, weil es dich selber traf, warst du entsetzt. Ist deine Gottesfurcht nicht deine Zuversicht? Ist nicht dein frommer Wandel deine Hoffnung? Bedenke doch, wer ging je schuldlos unter, und wo sind Redliche vernichtet worden? Soviel ich sah, mußte, wer Bosheit pflügte und wer Unheil säte, dies auch ernten. Durch Gottes Odem gingen sie zugrunde und schwanden hin durch seines Zornes Hauch. Des Löwen Gebrüll, des Leuen Geheul, des Junglöwen Zähne werden zerschlagen. Der Löwe geht ein aus Mangel an Raub, und die Jungen der Löwin verstreuen sich. 

Zu mir hat sich ein Wort gestohlen, und ein Flüstern davon empfing mein Ohr, in Grübeleien, verursacht durch Nachtgesichte, wenn tiefer Schlaf die Menschen befällt. Schrecken kam über mich und Zittern, Beben erschütterte meine Glieder. Ein Geist schwebte an meinem Antlitz vorüber, es sträubte sich jedes Haar meines Leibes. Er blieb stehen, doch ich konnte sein Aussehen nicht erkennen, eine Gestalt war vor meinen Augen, ich hörte das Flüstern einer Stimme: >Ist wohl ein Mensch gerechter als Gott, oder ist jemand reiner als sein Schöpfer? Sieh, selbst seinen Dienern vertraut er nicht, und an seinen Engeln stellt er Mängel fest. Gar erst an den Bewohnern von Lehmgehäusen, deren Bestand auf Staub sich gründet! Sie werden schneller zermalmt als eine Motte. Zwischen Morgen und Abend werden sie ^erschlagen; ohne daß es jemand beachtet, gehen sie für immer Zugrunde. Wird nicht an ihnen ausgerissen ihr Zeitstrick, daß sie sterben, ohne es zu merken?<

Rufe nur! Ob jemand dir Antwort gibt? An wen von den Heiligen willst du dich wenden? Vielmehr bringt Verbitterung den Toren um, und Leidenschaft tötet den Unerfahrenen. Zwar sah ich den Toren Wurzel schlagen, konnte aber gar schnell seine Stätte verhöhnen. Fern bleiben seine Kinder dem Wohlergehen, sie werden im Tore zermalmt und haben keinen Retter, da seine Ernte ein Hungriger verzehrt und aus den Körben heraus sie wegnimmt, und Durstige lechzen nach seinem Gut. Denn nicht aus dem Staube wächst Unheil hervor, und nicht aus der Erde sproßt Mühsal auf , sondern der Mensch erzeugt die Mühsal, wie junge Adler, die allzu hoch fliegen. Ich aber, ich würde Gott aufsuchen und der Gottheit meine Sache dartun: ihm, der Großes und Unerforsch-

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liches wirkt, Wundertaten ohne Zahl, der Regen spendet über die Erde hin und Wasser sendet über die Fluren. Niedrige setzt er an hohe Stellen, und Trauernde erreichen das Heil. Er zerbricht die Ränke der Schlauen, daß keinen Erfolg ihre Hände erzielen. Weise fängt er trotte ihrer Schlauheit, so daß der Listigen Rat zu voreilig war ...«

Es antwortete der Herr weiterhin dem Hiob und sprach: »Will mit dem Allmächtigen ein Tadler streiten? Der Ankläger Gottes antworte darauf!« Da antwortete Hiob dem Herrn und sprach: »Siehe, ich bin zu gering! Was könnte ich dir erwidern? Ich lege die Hand auf meinen Mund. Einmal habe ich geredet, aber ich werde nicht mehr antworten, und noch ein zweites Mal, aber ich werde nicht fortfahren!«

[undder Herr sprach:] »Umgürte deine Hüften wie ein Held, so frag' ich dich, und kläre du mich auf! Willst du wirklich mein Recht zunichte machen, ins Unrecht mich setzen, damit du recht behältst? Hast du etwa einen Arm wie Gott, und kannst du mit einer Stimme gleich der seinigen donnern? Schmücke dich mit Hoheit und Erhabenheit, gewande dich in Prunk und Pracht! Laß du die Fluten deines Zornes sich ergießen, schau jeden Stollen und demütige ihn! Schau jeden Stollen und zwinge ihn nieder, wirf die Frevler %u Boden! Verbirg sie insgesamt im Staub, schließe sie leibhaftig im Erdinnern ein! Dann werde auch ich dich lobpreisen, daß deine Rechte den Sieg dir verschaffte! . . . Kannst du das Krokodil am Angelhaken hochziehen, mit der Leine seine Zunge niederdrücken? Kannst du ihm eine Binsenschnur an seine Schnauze legen und mit einem Haken ihm die Kinnlade durchbohren? Wird es dich viel um Gnade bitten oder %arte Worte an dich richten? Wird es wohl einen Vertrag mit dir schließen, daß du es dauernd\um Sklaven nimmst? Darfst du mit ihm spielen wie mit einem Vöglein und es anseilen für deine Mägdlein? Verschachern es die fagdgenossen, verteilen sie es unter die Händler? Kannst du seine Haut mit Spießen spicken und seinen Kopf mit einer Fischharpune? Leg nur einmal die Hand daran, entschließe dich zum Kampf! — Du kommst nicht weit! ...«

Da antwortete Hiob dem Herrn und sprach: »Ich habe erkannt, daß du alles vermagst und daß kein Vorhaben dir unmöglich ist! > Wer ist es, der den Weltenplan verschleiert bar der Einsieht^ So habe ich also töricht Dinge vorgebracht, die aÜTu wunderbar für mich sind und die ich nicht begreife! >Hör tu, und ich will sprechen; ich frage dich, und kläre du mich auf!< Nur nach dem Hörensagen hatte ich von dir gehört, nun aber hat mein Auge dich geschaut. Deswegen widerrufe und bereue ich in Staub und Asche.«

Hiob lebte darnach noch 140 Jahre und sah seine Kinder und Enkel, vier Geschlechter. Dann starb Hiob hochbetagt und satt an Lebenstagen. 

 

(Aus dem Buche Hiob) 

286-287

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