1 Ein faustischer Pakt
Das Zeichnen dieses Kreises auf den Boden
weckt Wirbelwinde, Wetter, Blitz und Donner ...
Marlowe, Faustus, Akt 2
27-54
Es gab mehr als einen Faust. Der Name, der im Lateinischen <der Gesegnete, Glückbringende> bedeutet, wurde von deutschen Magiern auf ähnliche Weise benutzt, wie heutige Zauberer sich <der Große> oder <der Unglaubliche> nennen. Aber wir wissen, welcher gemeint ist.
Ein gewisser Conrad Mudt hörte 1513 in Erfurt, wie ein »maßloser, läppischer Aufschneider« sich selbst als »Halbgott von Heidelberg«2 bezeichnete. Sein Name war Georg Faust. 1528 wurde ein Mann namens Jörg Faust aus Ingolstadt verwiesen, und 1532 verweigerte man einem »Dr. Faust, dem großen Sodomiten und Geisterbeschwörer«, den Aufenthalt in der Stadt Nürnberg.3 Die Leute hatten einfach Angst vor ihm.
Als er 1540 oder 1541 in Württemberg starb, behaupteten die Einheimischen, der Teufel habe ihn geholt. Nach seinem Tod begann sich seine Geschichte zu verbreiten, und 1587 veröffentlichte ein anonymer Theologe in Frankfurt eine ausgeschmückte Version.4 Zwei Jahre später wurde sie ins Englische übersetzt und erschien unter dem Titel: <The History of the Damnable Life and Deserved Death of Doctor John Faustus>.
Dies war die Quelle, aus der Christopher Marlowe für sein Stück <The Tragical History of Doctor Faustus> (Die tragische Historie vom Doktor Faustus) schöpfte, das er vermutlich im Jahr 1590 verfasste. Marlowe erzählt die Geschichte eines brillanten Gelehrten, »von den goldnen Gaben der Weisheit übersättigt«,5) der an die Grenzen des menschlichen Wissens stößt. Gelangweilt von der irdischen Gelehrsamkeit, plant er, mithilfe der Geisterbeschwörung in
eine Welt der Wonn' und des Genusses,
der Macht, der Ehre und der Allgewalt (6)vorzustoßen. Wenn er seine dämonischen Kräfte erlangt habe, so glaubt er, würden ihm die Geister jeden Wunsch erfüllen:
Nach Indiens Golde solln sie für mich fliegen,
dem Ozean die hellsten Perlen rauben,
die Winkel all der Neuen Welt durchspähn
nach edlen Früchten, leckern Fürstenbissen. 7)Also zieht Faust einen Kreis und beschwört Mephistopheles, den Diener des Teufels. Er bietet ihm einen Handel an: Wenn der Teufel »ihn 24 Jahre lang in grenzenloser Wollust leben lässt«,8) dann wird Faustus am Ende dieser Zeit seine Seele der Hölle überlassen. Mephistopheles erklärt die Konsequenzen, aber der Doktor will ihm nicht glauben:
Traust du dem Faust die Torheit zu, zu glauben
an eine ewige Pein nach diesem Leben?
Pah, alles Unsinn und Altweibermärchen! 9)
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So wird der Handel abgeschlossen und mit Blut besiegelt, und Faustus erlangt seine magischen Kräfte. Er fliegt in einem »hell umflammten Wagen« über den Himmel und besichtigt Europa. Er vollbringt Wunder. Er zaubert mitten im Winter frische Trauben aus dem Süden herbei.
Nach 24 Jahren kommen ihn die Teufel holen. Er bittet um Gnade, aber es ist zu spät. Sie zerren ihn hinunter in die Hölle.
Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man in dieser Geschichte eine Metapher für den Klimawandel sehen.
Faust ist das Symbol für die Menschheit: rastlos, neugierig, unersättlich. Mephistopheles, der im englischen Text als »ein feuriger Mann«10 geschildert wird, steht für die fossilen Brennstoffe. Die wunderbaren Fähigkeiten des Doktor Faustus sind die Aktivitäten, die uns mithilfe der fossilen Brennstoffe möglich sind. 24 Jahre beträgt der Zeitraum (ungefähr die Hälfte der tatsächlichen Frist), in dem es uns vergönnt ist, in »grenzenloser Wollust« zu leben. Und die Flammen der Hölle — nun, deren Bedeutung ist Ihnen sicher längst schon klar.
Im Jahr 1590 bezog die Wirtschaft ihre Energie überwiegend aus Holz, Wasser, Wind und Pferdestärken. England verfeuerte auch schon eine geringe Menge fossiler Brennstoffe: Wir wissen beispielsweise, dass London 1585 ungefähr 24.000 Tonnen Kohle importierte.11 Aus dieser Kohle hätte man so viel Energie gewinnen können, wie Großbritannien heute in einer halben Stunde verbraucht.*
* short tons:
Das Department of Trade and Industry gab den britischen Kohleverbrauch für 2003 mit 68,7 Millionen short tons an.12)
1 short ton = 2000 lb (britische Maßeinheit pound; 1 lb = 453,5g g; it = 22401b). Die Menge entspricht also 61,3 Millionen t.
Die <US Energy Information Administration> berichtet, dass 15 Prozent des gesamten britischen Energieverbrauchs durch Kohle gedeckt werden.13)
61,3 :15 x 100 = 408,7 Millionen t. 408700000 : 24000 = 17,029. Ein Jahr hat 8760 Stunden. 8760 :17,029 = 0,514.
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Während der nächsten fast drei Jahrhunderte wurden flüssige fossile Brennstoffe nur sehr wenig genutzt. Europa erlebte eine kleine Eiszeit: Die Temperaturen lagen 1 bis 1,5 Grad unter den heute üblichen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, war die Wissenschaft ein Durcheinander von Alchemie, Theologie und Magie. Sofern bis dahin vom Menschen verursachte Klimaveränderungen stattgefunden hätten, wäre man mit den im 16. Jahrhundert verfügbaren Mitteln nicht in der Lage gewesen, sie festzustellen.
Die tragische Historie vom Doktor Faustus ist keine Allegorie auf den Klimawandel.
Aber die Absicht des Dichters hat keinen Einfluss auf die Macht der Metapher. Unsere Art, fossile Brennstoffe zu nutzen, ist ein faustischer Pakt.Um heute noch zu bezweifeln, dass ein vom Menschen verursachter Klimawandel stattfindet, muss man die Wissenschaft ignorieren und wieder zu einer alchemistischen oder gar magischen Weltsicht zurückkehren.
Bohrkerne aus dem antarktischen Eis zeigen, dass die Konzentrationen von Kohlendioxid und Methan in der Atmosphäre (dies sind die beiden hauptsächlichen Treibhausgase) jetzt höher sind als in den letzten 650.000 Jahren.14,15 Während dieses Zeitraums haben sich die globalen Temperaturen stets in direkter Abhängigkeit von den Gaskonzentrationen entwickelt.16
Die Konzentration von Kohlendioxid (CO2) ist im letzten Jahrhundert schneller gestiegen als irgendwann während der letzten 20.000 Jahre.17 Nur durch menschliche Aktivitäten können sich die Treibhausgase in der Atmosphäre so schnell angesammelt haben: Kohlendioxid entsteht durch das Verbrennen von Öl, Kohle und Gas sowie durch das Abholzen der Wälder; Methan wird von landwirtschaftlichen Betrieben, Kohlenminen und Mülldeponien freigesetzt.18
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Beide Gase lassen mehr Sonnenwärme auf die Erde einstrahlen als Erdwärme entweichen. Wenn ihre Konzentration in der Atmosphäre ansteigt, dann steigt auch die Temperatur. Die Konzentration von Kohlendioxid, dem wichtigeren der beiden Treibhausgase, ist von 280 ppm (Teile pro Million Luftpartikel) zu Marlowes Zeiten auf 380 ppm aktuell angestiegen.19 Der größte Anstieg war in den letzten fünfzig Jahren. Als Folge davon ist die durchschnittliche globale Temperatur um 0,6 Grad geklettert.
(In diesem Buch werden alle Temperaturen in Grad Celsius angegeben.)
Die <World Meteorological Organization> erklärt: »Der Temperaturanstieg im 20. Jahrhundert ist wahrscheinlich der größte, den es in irgendeinem Jahrhundert während der letzten tausend Jahre gegeben hat.«20
Wenn Sie diese Erklärung der weltweiten Erwärmung ablehnen, sollten Sie sich die folgenden Fragen stellen:
Enthält die Atmosphäre Kohlendioxid?
Lässt atmosphärisches Kohlendioxid die durchschnittliche globale Temperatur steigen?
Wird dieser Einfluss durch zusätzliches Kohlendioxid verstärkt?
Haben menschliche Aktivitäten zu einer Netto-Emission von Kohlendioxid geführt?
Wenn Sie auf eine dieser Fragen mit »Nein« antworten können, dann sollten Sie sich um einen Nobelpreis bewerben. Denn damit haben Sie die Wissenschaft auf den Kopf gestellt.
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Aber es gibt auch eine direkte Verbindung. Eine Untersuchung über die Erwärmung der Weltmeere beispielsweise, 2005 veröffentlicht im Wissenschaftsjournal <Science>, zeigt eine präzise Übereinstimmung zwischen der Wärmeverteilung und der Intensität der vom Menschen verursachten Kohlendioxidemissionen.21 Der Hauptautor beschreibt seine Ergebnisse so: »Die Beweise sind so stark, dass sie jede Debatte darüber, ob die globale Erwärmung vom Menschen verursacht wird, beenden sollten.«22
Das klingt nach einer gewagten Behauptung, doch er steht damit nicht allein. Im Jahr 2004 berichtete ein anderer Artikel in Science über die Ergebnisse einer Literaturrecherche, bei der Artikel geprüft wurden, welche die Worte »globale Klimaveränderung« enthielten.23 Auf dieser Datenbasis fand die Autorin insgesamt 928 Artikel. »Keiner davon«, so stellte sie fest, »widersprach der gemeinsamen Position ... Politiker, Wirtschaftswissenschaftler, Journalisten und andere mögen zwar bisweilen den Eindruck haben, dass es bei den Klimaforschern Meinungsverschiedenheiten gibt, aber dieser Eindruck täuscht.«24
Als führende wissenschaftliche Institution in Großbritannien veröffentlichte die Royal Society 2001 die folgende Erklärung:
Obwohl in der Wissenschaft zunehmend Einigkeit über die Untermauerung der Vorhersagen zum globalen Klimawandel herrscht, wurden kürzlich Zweifel geäußert, ob es nötig sei, die mit dem globalen Klimawandel verbundenen Risiken zu mindern. Wir halten solche Zweifel für nicht gerechtfertigt.25
Diese Erklärung wurde auch von fünfzehn gleichwertigen Organisationen in anderen Ländern unterzeichnet.* Ähnliche Erklärungen wurden veröffentlicht von der US National Academy of Sciences,26 der American Meteorological Society,27 der American Geophysical Union28 und der American Association for the Advancement of Science.29
* Der australischen Akademie der Wissenschaften, der belgischen Akademie der Wissenschaften und Künste, der brasilianischen Akademie der Wissenschaften, der Royal Society of Canada, der karibischen Akademie der Wissenschaften, der chinesischen Akademie der Wissenschaften, der französischen Akademie der Wissenschaften, der deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, der indischen nationalen Akademie der Wissenschaften, der indonesischen Akademie der Wissenschaften, der Royal Irish Academy, der italienischen Accademia Nazionaie dei Lincei, der malaysischen Akademie der Wissenschaften, dem neuseeländischen Academy Council of the Royal Society sowie der königlich schwedischen Akademie der Wissenschaften.
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Bis 2005 gab es noch ein einziges Indiz, auf das einige Leute ihre Zweifel an dem vom Menschen herbeigeführten Klimawandel gründen konnten.
Bei einer Untersuchung von Satellitenmessungen aus dem Jahr 1992, durchgeführt von den Atmosphärenwissenschaftlern Roy Spencer und John Christy, wurde festgestellt, dass ein Teil der Atmosphäre (die untere Troposphäre) sich in den letzten dreizehn Jahren abgekühlt hatte.30 Das hätte in einer sich erwärmenden Welt nicht möglich sein sollen. 2005 zeigten drei voneinander unabhängige Studien, dass die Daten falsch interpretiert worden waren.31-33 Professor Christy räumte ein, dass seine Ergebnisse nicht korrekt waren und sich die Atmosphäre tatsächlich erwärmt hatte.
Wie der Autor einer der Studien hervorhob, »gibt es jetzt keine Daten mehr, die den Vorhersagen von Modellen der globalen Erwärmung widersprechen«.34) Das Eis auf den arktischen Gewässern ist schon jetzt so weit zusammengeschmolzen wie nie zuvor, seit es entsprechende Aufzeichnungen gibt.35) In der Antarktis beobachteten Wissenschaftler 2002 verblüfft, wie der Larsen-B-Schelf zusammenbrach und ins Meer stürzte.36) Ein Aufsatz in Science kam zu dem Schluss, dass es zu diesem Kollaps gekommen war, weil das Eis im wärmer werdenden Ozean schmolz.37) Der globale Meeresspiegel ist um etwa 2 Millimeter pro Jahr gestiegen,38) zum Teil, weil sich das wärmer werdende Wasser ausdehnt, und zum Teil durch das Abschmelzen von Eis und Schnee.
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Weltweit befinden sich fast alle Gletscher jetzt auf dem Rückzug.39,40 Der Permafrost in Alaska und Sibirien, der seit der letzten Eiszeit existiert, hat inzwischen zu schmelzen begonnen.41,42 Teile des Amazonas-Regenwaldes verwandeln sich in eine Savanne, weil die Temperaturen so weit angestiegen sind, dass die Bäume nicht mehr überleben können.43 Die Korallenriffe im Indischen Ozean und im Südpazifik werden immer stärker zerstört. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass inzwischen 150.000 Menschen jährlich infolge des Klimawandels sterben, weil sich Krankheiten bei höheren Temperaturen schneller ausbreiten.44 All dies geschieht bei einer Erwärmung von gerade einmal 0,6 Grad.
Das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), ein Komitee von Klimaspezialisten, die wissenschaftliche Erkenntnisse bewerten und zusammenfassen, schätzte 2001, dass die globalen Temperaturen in diesem Jahrhundert zwischen 1,4 und 5,8 Grad steigen werden.45 Seitdem sind einige Klimawissenschaftler zu der Überzeugung gelangt, dass diese Vorhersage zu niedrig liegt. Eine 2005 veröffentlichte Untersuchung geht beispielsweise davon aus, dass der maximal mögliche Temperaturanstieg, der durch eine Verdoppelung der Kohlendioxidkonzentrationen verursacht werden könnte, bei 11,5 Grad liegt.46 Ein so hoher Anstieg ist jedoch sehr unwahrscheinlich.
Aber auch ein wesentlich geringerer Anstieg wird wahrscheinlich den Menschen in einigen Regionen erheblichen Schaden zufügen. Professor Martin Parry vom britischen Meteorological Office schätzt, dass ein Anstieg von nur 2,1 Grad für 2,3 bis 3 Milliarden Menschen mit dem Risiko einer Wasserknappheit verbunden sein wird.47
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Das Verschwinden der Gletscher in den Anden und im Himalaja wird die Menschen gefährden, die von deren Schmelzwasser abhängig sind, besonders in Pakistan, Westchina, Zentralasien, Peru, Ecuador und Bolivien.48,49 Wenn weniger Regen fallt, wird es im südlichen Afrika, in Australien und den Mittelmeerländern wahrscheinlich häufiger zu länger anhaltenden Dürreperioden kommen.50 Im nördlichen Europa werden Dürrephasen im Sommer und Überschwemmungen im Winter öfter auftreten. Sehr nasse Winter, die uns bisher nur etwa alle vierzig Jahre Sorgen gemacht haben, könnten nun beispielsweise alle acht Jahre vorkommen.51 Die Welternährungsorganisation FAO warnt, dass
in ungefähr vierzig armen Entwicklungsländern, in denen insgesamt etwa zwei Milliarden Menschen leben ... durch den Klimawandel verursachte [Ernte-]Ausfälle die Zahl der unterernährten Menschen drastisch erhöhen könnten, sodass Fortschritte im Kampf gegen Armut und Hunger ernsthaft behindert würden.52
Der Grund dafür: In vielen Teilen der Tropen stoßen die Nahrungspflanzen jetzt schon an ihre physiologischen Grenzen. Wenn die Temperaturen beispielsweise während der Reisblüte eine Stunde lang über 35 Grad liegen, dann macht die Hitze die Pollen unfruchtbar.53 Das International Rice Research Institute hat festgestellt, dass die Erträge beim Reis mit jedem Grad Temperaturanstieg um 15 Prozent sinken.54
Als ich das zum ersten Mal gelesen habe, dachte ich, das käme einer Formel für weltweiten Hunger gleich, und schrieb auch entsprechend im <Guardian>. Doch ich hatte mich geirrt.
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Klimawissenschaftler waren zuversichtlich, so fand ich später heraus, dass geringere Ernteerträge in einigen Teilen der Tropen durch höhere Erträge in den gemäßigten Zonen ausgeglichen würden.55 In den kühleren Teilen der Welt würde sich die produktive Saison verlängern, und bei höheren Temperaturen und einer zugleich höheren Kohlendioxidkonzentration könnten die Nahrungspflanzen schneller wachsen.
Doch jetzt muss ich leider sagen: Es sieht so aus, als hätte ich doch recht gehabt, wenn auch aus den falschen Gründen. Ende 2005 behaupteten die Autoren einer Studie, die in den <Philosophical Transactions ofthe Royal Society> veröffentlicht wurde, die Ertragsprognosen für gemäßigte Zonen seien »zu optimistisch«.56 Die Forscher hatten Kohlendioxid und Ozon in Konzentrationen, wie man sie im weiteren Verlauf des Jahrhunderts erwartet, im Freiland über Felder mit Nahrungspflanzen gesprüht. Sie stellten fest, dass die Pflanzen nicht so reagierten, wie man angenommen hatte: Das zusätzliche Kohlendioxid befruchtete sie nicht in dem vorhergesagten Ausmaß, und das Ozon verringerte die Erträge um 20 Prozent.57
In den reichen Nationen steigen die Ozonkonzentrationen um 1 bis 2 Prozent jährlich, weil es zu Wechselwirkungen zwischen dem Sonnenlicht und der Luftverschmutzung kommt, die durch Autos, Flugzeuge und Kraftwerke verursacht wird. Am höchsten sind die Konzentrationen dort, wo man mit steigenden Ernteerträgen rechnet: in Westeuropa, im Mittleren Westen und Osten der USA sowie im östlichen China. Der erwartete Anstieg der Ozonkonzentration in China wird dazu führen, dass die Produktion von Mais, Reis und Soja bis 2020 um über 30 Prozent sinkt. Wenn es tatsächlich zu diesem Rückgang der Erträge kommt, dann bleibt von den positiven Effekten steigender Temperaturen und Kohlendioxidkonzentrationen nichts mehr übrig.58,59
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In einem anderen Aufsatz in derselben Zeitschrift wurde hervorgehoben, dass die Pflanzen bei steigenden Kohlendioxidkonzentrationen weniger Wasser über die Blätter verdunsten.60 Dadurch sinkt die Regenmenge, die in manchen Regionen ohnehin schon durch den Klimawandel geringer wird. Die Folge, die in den üblichen Klimamodellen bisher nicht berücksichtigt war, könnte ein weiterer Rückgang der Erntemengen sein. Nun scheint es also doch möglich, dass wir auf eine weltweite Hungersnot zusteuern.
Die Folgen der Ernteausfälle werden wahrscheinlich durch weitere Probleme verschärft. Die Prognose ist zwar kontrovers, aber einige Wissenschaftler gehen davon aus, dass bei steigenden Temperaturen das Risiko einer Infektion mit Malaria zunimmt. In einer Studie heißt es, dass bei einer Temperatur, die um 2,3 Grad über der heutigen liegt, 180 bis 230 Millionen Menschen zusätzlich gefährdet sind, an Malaria zu erkranken.61 Auch Durchfallerkrankungen und Cholera werden bei steigenden Temperaturen voraussichtlich häufiger auftreten.62'63
Wenn sich die Erde auch nur mäßig erwärmt und die Meeresspiegel um ungefähr 40 Zentimeter ansteigen (ein grober Mittelwert der Annahmen für dieses Jahrhundert), dann könnte die Zahl der Menschen, die durch von Sturmfluten verursachte Überschwemmungen bedroht sind, von 75 Millionen (heute) auf ungefähr 200 Millionen anwachsen.64 Mit steigendem Meeresspiegel wird das Salzwasser die Trinkwasserspeicher verseuchen, von denen einige der größten Küstenstädte — Shanghai, Manila, Jakarta, Bangkok, Kolkata, Mumbai, Karachi, Lagos, Buenos Aires und Lima — abhängig sind.65 In einigen Fällen, so warnt die International Association of Hydrogeologists, könnte dieses Problem so gravierend sein, dass die Städte aufgegeben werden müssen.66
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Die Eisdecke der westlichen Antarktis enthält so viel Wasser, dass der Meeresspiegel bei ihrem Abschmelzen um weitere 3 Meter steigen könnte,57 genug, um Teile von New York, London, Tokio, Mumbai, ja eigentlich die meisten großen Städte der Welt zu überschwemmen. Und es sieht so aus, als würde diese Eisdecke anfangen, sich aufzulösen.68 Es gibt eine große Kontroverse darüber, wie lange dieser Prozess dauern wird. Die Decke wird abgestützt durch Schelfe, die sich ins Meer erstrecken, so wie ein Dach auf den Wänden eines Hauses ruht. Wenn diese Schelfe zusammenbrechen, so wie es bei Larsen B geschehen ist, dann könnte die Eisdecke allmählich ins Meer gleiten. Niemand weiß, wie schnell es vielleicht dazu kommt. Doch es ist unwahrscheinlich, dass sich die gesamte Decke in weniger als 300 Jahren auflöst. Aber wenn auch nur 10 Prozent davon noch in diesem Jahrhundert ins Meer fielen, dann hätte das für viele Küstenbewohner katastrophale Folgen.
Als das IPCC seine letzte Übersicht über die wissenschaftliche Untersuchung des Klimawandels erstellte, kam es zu der Einschätzung, es gebe »keine überzeugenden Beweise« dafür, dass die Stürme in den Tropen und den umliegenden Regionen schlimmer geworden wären.69 Aber in zwei Artikeln, die 2005 in Science und Natureveröffentlicht wurden, hieß es, die Intensität von Wirbelstürmen habe sich seit Mitte der siebziger Jahre verstärkt.70,71 Es ist noch nicht klar, ob diese Entwicklung mit dem Klimawandel zusammenhängt. Aber es gibt eine Beziehung zwischen der Temperatur auf der Meeresoberfläche und der Stärke eines Sturms.72 Im März 2004 traf der erste Hurrikan, der je im Südatlantik registriert wurde, die Küste von Brasilien.
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Eine Reihe extremer Wetterereignisse verschiedenster Art scheint sich seit Mitte des letzten Jahrhunderts verfünffacht zu haben — so jedenfalls gibt es die Versicherungsgesellschaft Münchener Rück an.73 Der Sommer 2003 war offenbar der heißeste, den Europa seit 500 Jahren erlebt hat.74 Tausende Menschen in Europa und Indien starben infolge der Hitzewelle. In einem in Nature veröffentlichten Artikel heißt es, der menschliche Einfluss habe die Wahrscheinlichkeit einer erneuten Hitzewelle dieser Art zumindest verdoppelt.75 In Nordeuropa wird die Zahl der Menschen, die infolge extremer Temperaturen sterben, jedoch wahrscheinlich sinken, weil unsere Winter nicht mehr so kalt sind.76
Andere Lebewesen wird es früher und härter treffen als die Menschen. Im Jahr 2004 erstellten Forscher auf fünf Kontinenten eine Übersicht über die Ökosysteme, die 20 Prozent der Erdoberfläche bedecken. Sie stellten fest: Wenn sich der Temperaturanstieg im mittleren Vorhersagebereich bewegt, dann sind 15 bis 37 Prozent der Arten, die es zurzeit auf der Welt gibt, bis 2050 »zum Aussterben verurteilt«.77 Bei einer Erwärmung von nur 1,4 Grad werden die Korallenriffe im Indischen Ozean nicht überleben.78
Bei einer Erwärmung von 2 Grad werden 97 Prozent der Korallenriffe weltweit ausbleichen — was bedeutet, dass die Korallentiere die Algen abstoßen, die sie am Leben erhalten, und deshalb wahrscheinlich sterben werden.79 Wenn die Kohlendioxidkonzentration steigt und sich mehr CO2 im Meerwasser auflöst, dann werden die Weltmeere saurer werden. Ihr pH-Wert könnte bis zum Ende des Jahrhunderts von 8,2 auf 7,7 fallen,80) und bis 2050 könnte das Wasser so sauer werden, dass sich keine Muscheln mehr bilden. Das wäre verheerend für das Meeresleben, denn dabei würde ein großer Teil des Planktons zugrunde gehen, von dem marine Ökosysteme abhängig sind. Bei einer Erwärmung von 2 Grad könnte das gesamte Eis in den arktischen Gewässern während des Sommers schmelzen, was zum Tod der Polarbären, der Walrösser und weiter Teile des restlichen Ökosystems fuhren würde.81
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In einer der deprimierendsten Abhandlungen, die ich je gelesen habe, berichteten Forscher des University College London und des Met Office 2005, dass »der Regenwald am Amazonas sich gegenwärtig nahe an seiner kritischen Belastbarkeitsgrenze befindet«. Bei einer nur geringfügigen weiteren Erwärmung »wird es im Inneren des Amazonasbeckens praktisch keine Vegetation mehr geben«.82
Das Problem besteht darin, dass der Wald in einigen Regionen für bis zu 74 Prozent der örtlichen Regenfälle verantwortlich ist.83 Wenn die Bäume bei einem weiteren Temperaturanstieg zu sterben beginnen, geben die Wälder weniger Wasser in die Luft ab. Das hat drei Auswirkungen: Es gibt weniger Regen, um die verbleibenden Bäume zu erhalten, es gelangt mehr Sonnenlicht auf den Waldboden (trocknet ihn aus und erhöht die Gefahr von Waldbränden), und es wird weniger Wärme durch Verdunstung abgegeben. Bei steigenden Temperaturen und sinkenden Regenmengen sterben immer mehr Bäume, und die Kettenreaktion setzt sich fort. Das könnte bald und schnell geschehen. »Wir gehen davon aus«, so sagen die Forscher, »dass diese Schwelle sehr nah bei den gegenwärtigen klimatischen Bedingungen liegt.«84
Im Amazonasgebiet gibt es die weltweit größte Artenvielfalt, aber das Problem bleibt nicht auf diese Region beschränkt. Hier wird der Regen produziert, der den größten Teil Südamerikas erhält. Und Bäume sind, grob gesagt, Stämme aus nassem Kohlenstoff. Wenn sie verbrennen oder verrotten — also oxidieren —, dann verwandeln sie sich in Kohlendioxid. Die Amazonasregion hat das Potenzial, 75 Jahre lang jedes Jahr 730 Millionen Tonnen Kohlenstoff freizusetzen — das sind ungefähr 10 Prozent der vom Menschen verursachten Emissionen.85
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Dies ist nur eine der Möglichkeiten, wie der Klimawandel den Klimawandel anheizen kann. Ein Artikel, der 2003 in den Geophysical Research Letters veröffentlicht wurde, prognostiziert, dass als Folge der globalen Erwärmung lebende Systeme auf dem Land ungefähr im Jahr 2040 damit beginnen werden, mehr Kohlendioxid abzugeben, als sie aufnehmen. Der Autor geht davon aus, dass die Erdoberfläche etwa 2100 rund 7 Milliarden Tonnen Kohlendioxid pro Jahr freisetzen wird,86 was grob der Menge entspricht, die Menschen heutzutage produzieren. Dies ist ein Beispiel für eine »positive Rückkoppelung«: Der Klimawandel beschleunigt sich selbst. Das IPCC hat die positive Rückkoppelung nicht vollständig berücksichtigt, als es vorhersagte, die Temperatur würde zwischen 1,4 und 5,8 Grad steigen.87)
Einer der Gründe, warum die terrestrische Biosphäre beginnt, mehr Kohlendioxid abzugeben, als sie aufnimmt, liegt, wie wir gesehen haben, darin, dass Pflanzen in den Tropen und sogar einige Arten in den gemäßigten Klimazonen88 bei steigenden Temperaturen verkümmern oder sogar aussterben könnten. Aber es gibt noch weitere Gründe: Bei steigenden Temperaturen wird der Boden beispielsweise zu einer Nettoquelle für Kohlenstoff, weil sich der Stoffwechsel der Bodenbakterien beschleunigt.
Damit hat man mehrere Jahrzehnte lang nicht gerechnet,89 aber 2005 berichteten britische Wissenschaftler, dass die Böden in England und Wales schon Kohlenstoff abgaben.90 Das hier freigesetzte Kohlendioxid wog alle Einsparungen auf, die man in Großbritannien seit 1990 erreicht hatte. Noch bevor dieses Jahrhundert zu Ende geht, werden die Böden überall auf der Welt den von Menschen erzeugten Kohlenstoff abgeben, den sie während der letzten 150 Jahre aufgenommen haben.91
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Während der Permafrost im hohen Norden schmilzt, beginnt er, Methan abzugeben. Allein das westsibirische Moor, das 2005 zu schmelzen begann, soll 70 Milliarden Tonnen von diesem Gas enthalten,92 dessen Freisetzung dieselben Folgen hätte wie 73 Jahre von Kohlendioxidemissionen im gegenwärtigen Ausmaß. (Methan hat einen erwärmenden Effekt, der 23-mal so hoch ist wie der von Kohlenstoff.93 Die vom Menschen verursachten Kohlendioxidemissionen liegen zurzeit bei etwa 22 Milliarden Tonnen pro Jahr [3667-mal das Gewicht des Kohlenstoffs, den sie enthalten]).94
Das National Center for Atmospheric Research in den USA schätzt, dass 90 Prozent der obersten 3 Meter des Permafrostbodens in der Arktis bis zum Jahr 2100 tauen könnten.95 Diese positiven Rückkoppelungen — und davon gibt es noch sehr viel mehr — erhöhen das mögliche Ausmaß des globalen Temperaturanstiegs. Und indem sie das tun, lassen sie eine echte Katastrophe wahrscheinlicher werden.
Eine solche Möglichkeit macht den Menschen im nördlichen Europa zunehmend Sorgen: Während des Winters bleibt es hier — gemessen an anderen Regionen auf demselben Breitengrad — relativ warm, weil der so genannte Golfstrom Wasser aus der Karibik nach Norden transportiert. Der Golfstrom ist Teil einer allgemeinen Meeresströmung, die überwiegend dadurch angetrieben wird, dass im fernen Nordatlantik Wasser von der Meeresoberfläche nach unten sinkt. Während es sich über den Meeresboden nach Süden bewegt, erzeugt es Strömungen, die nach einer langen Reise wieder in Nordeuropa ankommen und tropische Wärme mit sich führen.
Das Oberflächenwasser sinkt, weil es kalt und zugleich salzig ist, und das bedeutet, dass es dichter ist als das Wasser in der Tiefe. Dieses Phänomen bezeichnet man als »thermohaline Zirkulation« oder THC. Während der letzten zwanzig Jahre haben mehrere Ozeanographen gewarnt, dieses Absinken und die dadurch bedingte »umwälzende Zirkulation« (die tiefen Meeresströmungen, die das gesamte System antreiben) könnten sich entweder abschwächen oder ganz aufhören, weil das Schmelzwasser, das in die arktischen Meere fließt, den Salzgehalt des Oberflächenwassers verdünnt.
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Wenn das geschähe, würde Nordeuropa sich in eine Tundra verwandeln, während es in den Tropen, wo die Hitze dann nicht mehr abtransportiert wird, noch sehr viel heißer werden könnte. Das ist früher schon einmal geschehen. Als sich die nördliche Hemisphäre nach der letzten Eiszeit zu erwärmen begann, brach der Eisdamm, der einen riesigen See in Nordamerika staute. Das Süßwasser, das sich anschließend in den Nordatlantik ergoss, hat offenbar die Meeresströmungen zum Erliegen gebracht, was dazu führte, dass die Temperaturen in Europa um 5 Grad sanken. Sie haben sich 1300 Jahre lang nicht erholt.
Viele Klimawissenschaftler glauben nicht, dass die Meeresströmungen vollständig aufhören werden: Es gibt einfach nicht genügend Süßwasser im hohen Norden, um das Absinken des Oberflächenwassers zu verhindern.96 Allenfalls würde eine etwas geschwächte Strömung die Erwärmung Nordeuropas mindern. Im Juli 2005 prüfte das britische House of Lords die Beweise für die möglichen Auswirkungen des Klimawandels und kam zu dem Schluss, dass es »in den nächsten hundert Jahren nach unserer Einschätzung wahrscheinlich nicht zu Veränderungen in der THC kommen wird«.97 Das war eine vernünftige Zusammenfassung der damals vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse.
Fünf Monate später berichtete Nature über »den ersten beobachtbaren Beweis, dass ... eine Abschwächung der umwälzenden Meeresströmung bereits im Gange ist«.98
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Forscher des britischen National Oceanography Centre behaupteten, sie hätten festgestellt, dass die Strömung bereits seit fünfzig Jahren schwächer würde, aber das sei bisher noch nicht entdeckt worden.99) Es sieht so aus, als habe sich die Strömung um 30 Prozent verlangsamt.
Gleichzeitig hat sich der Salzgehalt des Oberflächenwassers und infolgedessen auch der tieferen Gewässer des Nordatlantiks signifikant verringert... Eine erhöhte Frischwasserzufuhr in die nördlichen Meere wird zunächst die Strömung nur langsam schwächen. Aber wenn eine bestimmte Schwelle erreicht ist, kann die Strömung abrupt eine neue Qualität annehmen, bei der dann nur noch sehr wenig oder gar keine Wärme mehr nach Norden gelangt.100)
Wenn das geschähe, hätte es »verheerende Auswirkungen auf die sozioökonomische Situation der Länder, die an den östlichen Nordatlantik grenzen«.101
Das mögliche Umschlagen von einem stabilen Zustand (ein langsam fließender Golfstrom) in einen anderen (gar kein Golfstrom mehr) ist ein Beispiel für das, was Klimawissenschaftler als »Nichtlinearität« bezeichnen. Sie heben hervor, dass einige Systeme der Erde wahrscheinlich nicht allmählich auf Klimaveränderungen reagieren, sondern sehr plötzlich von einem Zustand in einen anderen springen.102
Ich habe mich bisher auf die Auswirkungen konzentriert, zu denen es im Rahmen der vom IPCC angegebenen globalen Erwärmung zwischen 1,4 und 5,8 Grad kommen könnte. Wie schon erwähnt gibt es aber auch einige Klimawissenschaftler, die darauf beharren, dass die Temperatur in diesem Jahrhundert weitaus stärker ansteigen könnte.
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Unter Berücksichtigung der geringer werdenden Konzentration von Teilchen, welche durch die Aktivitäten der Schwerindustrie in die Atmosphäre gelangen und die uns bisher vor einem Teil der Sonnenhitze geschützt haben, kommt Nobelpreisträger Paul Crutzen zu der groben Schätzung, dass der Temperaturanstieg zwischen 7 und 10 Grad betragen könnte.103 Im Jahr 2005 veröffentlichten britische Wissenschaftler die Ergebnisse einer Computersimulation, die umfassender und detaillierter war als alle vorherigen. Sie offenbarte, dass eine Verdoppelung der Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre zu Temperaturen fuhren könnte, die irgendwo zwischen 1,9 und n,5 Grad über den vorindustriellen Werten liegen.104 Das bedeutet nicht, dass alle Temperaturen innerhalb dieses Spektrums gleich wahrscheinlich sind — die Extremwerte sind sehr viel unwahrscheinlicher als die mittleren Temperaturen —, aber die Forscher stellten fest, dass keiner dieser Werte auszuschließen ist.105
Was wird also geschehen, wenn die durchschnittlichen globalen Temperaturen um mehr als 6 Grad steigen? Dafür könnte es einen historischen Präzedenzfall geben.
Das Zeitalter des Perm fand vor 251 Millionen Jahren ein abruptes Ende. In China, Südafrika, Australien, Grönland, Russland und Spitzbergen hat das Gestein dieselbe Abfolge von Ereignissen aufgezeichnet, die fast gleichzeitig stattfanden.100 Die Sedimente, die sich zu dieser Zeit am Meeresboden ablagerten, zeigen zwei plötzliche Veränderungen. Das rote oder grüne Gestein, das sich in Anwesenheit von Sauerstoff ablagert, wird durch schwarzen Schlamm ersetzt, der in Abwesenheit von Sauerstoff sedimentiert. Ein plötzlicher Wechsel im Verhältnis der Isotopen (andere Formen) von Kohlenstoff innerhalb des Gesteins legt die Vermutung nahe, dass eine sehr rasche Veränderung der Konzentration atmosphärischer Gase stattgefunden hat. An Land werden sanft abgelagerte Tonsteine und Kalksteine von großen Halden aus Kieseln und Felsbrocken abgelöst.
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Die Periode des Perm war eine der biologisch vielfältigsten. Reptilien mit Säbelzähnen jagten Pflanzenfresser von der Größe eines Rhinozeros durch Wälder aus baumhohen Farnen und blühenden Bäumen. Zwischen den Korallenriffen lebten riesige Haie, Fische aller Art und Hunderte verschiedener Schalentiere. Zu dem Zeitpunkt, wo sich die Sedimente ändern — vor 251 Millionen Jahren —, findet man plötzlich fast keine fossilen Zeugnisse mehr. Die Riffe sterben auf der Stelle ab und kehren in den nächsten zehn Millionen Jahren nicht mehr zurück. Alle großen und mittelgroßen Haie verschwinden, ebenso die meisten Arten von Schalentieren und sogar der größte Teil des Planktons. Von der Vielfalt der Meerestiere überleben nur jene Arten, die fast ohne Sauerstoff auskommen können.107
Pflanzliches Leben verschwand fast vollständig von der Erdoberfläche. Die vierfüßigen Tiere, jene Gruppe, zu der auch die Menschen gehören, wurden fast ausgelöscht: Bisher fanden sich weltweit nur zwei fossile Reptilienarten, die das Ende des Perm überlebt haben. Die Erde wurde von einer dieser Arten beherrscht, die ungefähr die Größe und Gestalt eines Schweins hatte. Sie wurde allgegenwärtig, weil sie keine natürlichen Feinde hatte. Insgesamt wurden offenbar ungefähr 90 Prozent aller Arten auf unserem Planeten ausgelöscht:108,10° Dies war das bei weitem größte Massensterben. Die Produktivität der Welt (die gesamte Masse biologischer Materie) brach zusammen.
Diese Ereignisse fielen zusammen mit einer Reihe von Vulkanausbrüchen in Sibirien, aus denen die sibirischen Senken hervorgingen. Die Vulkane produzierten zwei Gase in großen Mengen: Schwefeldioxid und Kohlendioxid. Offenbar haben diese Gase das Massensterben verursacht. Schwefel und andere Abgase lassen sauren Regen entstehen, doch sie hätten sich nicht lange in der Atmosphäre halten können.
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Das Kohlendioxid löste sich jedoch nicht auf. Der von diesem Gas verursachte Temperaturanstieg hat die Welt offenbar ausreichend erwärmt, um eine hochkonzentrierte Form von Methan zu destabilisieren, die es damals in großen Mengen in den Sedimenten unter den Polarmeeren gab (und heute noch gibt). Die Freisetzung von Methan in die Atmosphäre könnte die plötzliche Veränderung bei den Kohlenstoffisotopen erklären. Der Temperaturanstieg betrug zwischen 6 Grad110) und 8 Grad.111)
Aus Gründen, die Ihnen mittlerweile vertraut sein dürften, sind die Meeresströmungen damals offenbar auf ein Zwanzigstel der heutigen Werte zurückgegangen,112 wodurch es in den tieferen Gewässern an Sauerstoff fehlte. Als die Pflanzen an Land starben, konnten ihre Wurzeln die Erde und das lockere Gestein nicht mehr zusammenhalten, sodass die Bodenerosion erheblich stärker wurde.
Das bedeutet nicht, dass wir einen direkten Vergleich zwischen den Ereignissen, die das Ende des Perm herbeiführten, und den möglichen Auswirkungen des heute vom Menschen verursachten Klimawandels ziehen können. Viele Pflanzen an Land starben zweifellos eher durch den sauren Regen als durch die hohen Temperaturen. Auch wenn einige Länder ihr Bestes zu tun scheinen, um beide Zustände erneut herbeizuführen, liegen die Schwefelemissionen heute wesentlich niedriger als vor 251 Millionen Jahren. Aber was damals geschah, gibt uns eine Vorstellung vom möglichen Ausmaß der ökologischen Veränderungen, die ein Temperaturanstieg dieser Größenordnung auslösen könnte.
Es werden auch noch verschiedene andere Folgen des Klimawandels diskutiert, wobei einer meiner Leser die faszinierendste ins Gespräch gebracht hat:
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Vielen Dank, dass Sie uns auf die Bedrohung durch die globale Erwärmung aufmerksam machen. Ich wünschte, die Welt würde aufwachen und erkennen, wie ernst die Lage ist. Wenn wir nicht bald etwas dagegen tun, könnte unser gesamter Planet in ein Dessert* verwandelt werden.
Diese Aussicht hat durchaus ihren Reiz, aber ich muss leider darauf hinweisen, dass es dafür keine wissenschaftlichen Beweise gibt.
Den Klimawandel zu begrenzen muss mit anderen Worten zu einem Projekt werden, das höchste Priorität hat. Wenn wir bei dieser Aufgabe versagen, dann versagen wir auch bei allen anderen. Aber ist das überhaupt noch zu schaffen? Oder ist es, wie James Lovelock manchmal befürchtet,113) schon zu spät?
Das glaube ich nicht. Wir haben noch eine kurze — eine sehr kurze — Frist, in der wir verhindern können, dass der Planet uns abzuschütteln beginnt. Unser Ziel muss sein, dafür zu sorgen, dass die globalen Temperaturen um nicht mehr als 2 Grad über vorindustrielle Werte steigen, also um nicht mehr als 1,4 Grad über das gegenwärtige Niveau.
2 Grad sind gelegentlich als ein »ungefährliches« Ausmaß der Erwärmung bezeichnet worden, weil viele Klimawissenschaftler sie eine kritische Schwelle114,115) nennen. Ich hoffe, dieser Überblick hat gezeigt, dass die Situation unterhalb jenes Schwellenwerts nur weniger gefährlich ist als das, was danach kommt.
* Im englischen Original heißt es: »... could turn into a dessert« (= Nachtisch) statt desert (= »Wüste«; A.d.Ü.)
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Auf einer Konferenz von Wissenschaftlern, die im britischen Met-Office zusammengekommen waren, wurde gewarnt, dass die Ernteerträge in Ländern mit kontinentalem Klima schon bei einer Erwärmung von weniger als 1 Grad über den vorindustriellen Werten zu sinken beginnen,116 dass sich die Dürren in der afrikanischen Sahelzone ausbreiten,117 die Wasserqualität sinkt und die Korallenriffe zu sterben beginnen.118
Bei 1,5 Grad oder weniger werden weitere 400 Millionen Menschen unter Wassermangel und weitere fünf Millionen unter Hunger leiden,119 18 Prozent der Artenvielfalt gehen weltweit verloren,120 und »das vollständige Abschmelzen der Grönlandgletscher« wird einsetzen.121 Dies sind, so fürchte ich, einige Auswirkungen des Klimawandels, die sich nicht mehr verhindern lassen.
Die globale Erwärmung auf 2 Grad über vorindustriellem Niveau zu begrenzen ist deshalb wichtig, weil an diesem Punkt vermutlich einige der gravierenderen Auswirkungen auf die Menschen und die kritischen positiven Rückkoppelungseffekte beginnen. Wenn wir unsere Emissionen nicht enorm reduzieren, erreichen die Temperaturen diesen Punkt wahrscheinlich 2030.122)
Mein Leser und Briefpartner Colin Forrest, der kein professioneller Klimawissenschaftler ist, aber offenbar seine Hausaufgaben gemacht hat, argumentiert folgendermaßen: Forscher vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung in Deutschland haben geschätzt, dass der Temperaturanstieg nur dann unter 2 Grad bleiben kann, wenn die Konzentration von Treibhausgasen nicht über 440 ppm steigt.123) Da die Kohlendioxidkonzentration gegenwärtig bei 380 ppm liegt, erhöhen die anderen Treibhausgase die Gesamtbelastung auf 440 bis 450 ppm. Mit anderen Worten: Wenn sonst alles gleich bliebe, dann müssten wir dafür sorgen, dass die Konzentration von Treibhausgasen 2030 ungefähr genauso hoch ist wie jetzt.
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Aber leider bleibt sonst nicht alles gleich. Wissenschaftler des Met Office haben ein Papier veröffentlicht, in dem es heißt, die totale Kapazität der Biosphäre, Kohlenstoff aufzunehmen, würde sich bis dahin von 4 Milliarden Tonnen pro Jahr auf 2,7 Milliarden Tonnen pro Jahr verringert haben.124)
Anders gesagt: Um zu diesem Zeitpunkt das Gleichgewicht zu halten, dürfte die gesamte Weltbevölkerung 2030 nicht mehr als 2,7 Milliarden Tonnen Kohlendioxid pro Jahr in die Atmosphäre entlassen. Da wir gegenwärtig rund 7 Milliarden Tonnen jährlich produzieren, bedeutet das eine globale Reduktion von 60 Prozent.
Im Jahr 2030 wird die Weltbevölkerung aber voraussichtlich auf 8,2 Milliarden Menschen angewachsen sein. Wenn wir die gesamte Aufnahmekapazität der Biosphäre (2,7 Milliarden Tonnen) durch die Zahl der Menschen teilen, dann kommen wir zu dem Ergebnis, dass wir die Stabilität nur wahren können, wenn die Emissionen pro Person 0,33 Tonnen nicht übersteigen. Will man mit diesem Problem fair umgehen, dann müsste jeder Mensch dasselbe Recht haben, und keiner dürfte mehr als 0,33 Tonnen Kohlendioxid pro Jahr produzieren.
In den reichen Ländern bedeutet das eine durchschnittliche Reduktion um 90 Prozent bis zum Jahr 2030. In Großbritannien werden gegenwärtig beispielsweise 2,6 Tonnen pro Kopf freigesetzt,125)* sodass die erforderliche Reduktion 87 Prozent betragen würde. Deutschland muss seine Emissionen um 88 Prozent senken, in Frankreich sind es 83 Prozent, in den Vereinigten Staaten, Kanada und Australien 94 Prozent.126 (Dabei geht man von der Annahme aus, dass die Emissionen anderer Treibhausgase wie Methan, Stickoxid, Fluorchlorkohlenstoff und Schwefelhexafluorid im selben Maße gesenkt werden.) Im Vergleich dazu verpflichtet das Kyoto-Protokoll zur Klimakonvention der Vereinten Nationen — die einzige internationale Vereinbarung, die es bisher gibt — die Unterzeichnerländer, ihre Kohlendioxidemissionen bis 2012 um insgesamt 5,2 Prozent zu senken.
* Dieser Wert gilt lediglich für den Kohlenstoff im Kohlendioxid. Um das Gewicht von CO2 zu erhalten, muss man diese Zahl mit 3667 multiplizieren, womit die britischen Emissionen auf einen Wert von 9,5 Tonnen kommen.
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Diese Werte könnten zu niedrig angesetzt sein. Nach Berechnungen des Potsdam-Instituts gibt es bei einem Äquivalent von 440 ppm Kohlendioxid in der Atmosphäre eine Chance von 67 Prozent, den Temperaturanstieg unter 2 Grad zu halten.127) In einer anderen Studie heißt es, für eine Chance von 90 Prozent, den Temperaturanstieg unter 2 Grad zu stabilisieren, müsste die Kohlendioxidkonzentration unter 400 ppm liegen — also 40 bis 50 ppm niedriger als zurzeit.128) Da aber das Kohlendioxid, das wir jetzt freisetzen, etwa 200 Jahre lang in der Atmosphäre bleibt129) und dort noch lange Zeit den Klimawandel anheizen wird, besteht eine Chance von etwa 30 Prozent, dass der Zug schon abgefahren ist und es uns nicht mehr gelingen kann, die Erwärmung unter 2 Grad zu halten.
Doch ich schreibe dieses Buch voller Optimismus, und deshalb weigere ich mich, das zu glauben.
Unabhängig davon, ob es schon zu spät ist, die globalen Temperaturen unterhalb der kritischen Schwelle zu halten oder nicht, eins ist jedenfalls klar: Je größer die Einschnitte sind, die wir jetzt vornehmen, desto geringer wird der Temperaturanstieg ausfallen. Bei einer Reduzierung der Treibhausgase um 90 Prozent sollte eine Erwärmung, wie sie am Ende des Perm stattgefunden hat, ausgeschlossen sein. Klar ist auch: Je früher wir handeln, desto effektiver werden sich die Einschnitte auswirken. Dafür gibt es verschiedene Gründe, aber der offensichtlichste ist in den beiden Grafiken auf Seite 52 zu erkennen: In beiden Fällen erreichen wir bis 2030 eine Reduktion um 90 Prozent, doch in der zweiten Abbildung, wo die Einschnitte erst später beginnen, sind unsere Emissionen insgesamt höher.
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Zwei Jahrhunderte nachdem Christopher Marlowe <Die tragische Historie vom Dr. Faustus> veröffentlicht hatte, schrieb Johann Wolfgang von Goethe seine Version der Geschichte des Magiers. In seiner Tragödie — Faust — sieht der Handel des Doktors mit Mephistopheles anders aus: Er bietet Mephistopheles seine Seele an, aber unter einer weiteren Bedingung: Die Hölle kann ihn nur dann bekommen, wenn er aufhört, nach weiteren Erkenntnissen zu streben, so »dass ich mir selbst gefallen mag«:130)
Du hörest ja: von Freud ist nicht die Rede.
Dem Taumel weih ich mich, dem schmerzlichsten Genuss,
verliebtem Hass, erquickendem Verdruss. 131)Faust erlangt seine Kräfte und vollbringt seine Wunder, aber er kann sich nie entspannen. Im weiteren Verlauf der Geschichte verliert er immer mehr das Interesse daran, in »grenzenloser Wollust« zu leben, und beginnt, seine dämonischen Energien auf andere Ziele zu richten. Gegen Ende seines Lebens will er ein Entwicklungsprojekt beginnen:
Eröffn ich Räume vielen Millionen,
nicht sicher zwar, doch tätig-frei zu wohnen.
...
Im Innern hier ein paradiesisch Land,
da rase draußen Flut bis auf zum Rand. 132)Er will die Wasserkraft nutzen, um Energie zu erzeugen, und menschlicher Erfindungsgeist soll dem Meer Land entreißen. Er stirbt, während er daran arbeitet, und Mephistopheles sieht sich um seine Beute betrogen. Engel schweben herab und tragen Fausts Seele hinauf in den Himmel. Faust wird, mit anderen Worten, durch seine Arbeit erlöst, im Taumel und mit schmerzlichstem Genuss (und leider auch mit einer beachtlichen Brutalität), mit dem Ziel, eine bessere Welt für die Menschen zu schaffen.
Zwar besitzt er immer noch seine dunklen Kräfte — seine Herrschaft über Technologie und Arbeitskraft, seine Fähigkeit, politischen und ökonomischen Wandel herbeizuführen —, aber er benutzt sie jetzt, um eine Welt zu schaffen, in der eine freie und wohlhabende Gesellschaft dauerhaft existieren kann. Die Gaben, die ihn zu zerstören drohten, hat er stattdessen zu seiner Rettung eingesetzt. Dieses Buch versucht zu erklären, wie sich das am besten bewerkstelligen lässt.
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George Monbiot 2006 Heat Hitze Burning