Klimaoptimist Flannery: nicht lügen Start Weiter
2. Die Industrie der Leugner Monbiot 2006
Sie kommen gleisnerisch, die Laffen! So haben sie uns manchen weggeschnappt,
bekriegen uns mit unsern eignen Waffen. Es sind auch Teufel, doch verkappt.
(Goethe, Faust 2, Akt 5)
55-89
Doch erst einmal will ich untersuchen, warum wir bisher nicht schneller gehandelt haben. — Bei fast jedem ernsthaften Thema scheinen die Akademiker besser informiert zu sein als der Rest der Bevölkerung. Wenn es um den Klimawandel geht, gilt anscheinend das Gegenteil. Unter den Leuten, die ich in den letzten drei Jahren getroffen habe, hatten lediglich die Akademiker nicht die geringste Vorstellung, was es mit dem Klimawandel auf sich hat oder wie wir Menschen ihn verursachen.
2004 musste ich beispielsweise einem Pressereferenten des britischen Verkehrsministeriums erklären, was Kohlendioxid ist. Und 2005 hörte ich einen leitenden Versicherungsmitarbeiter sagen, es gelinge ihm nicht, die Finanzmärkte davon zu überzeugen, dass der Klimawandel ernst zu nehmen sei, weil die führenden Manager ihn entweder nicht verstanden hätten oder nicht daran glaubten.2
2006 sprach ich mit einem Journalisten, der immerhin auf zwanzig Jahre Berufserfahrung zurückblicken konnte, über das Problem der steigenden Kohlenstoffemissionen und wurde gefragt: »Was sind Kohlenstoffemissionen und warum sind sie problematisch?« Aber während eben dieser Jahre — und vielleicht liegt es daran, dass ich nicht genug herumkomme — habe ich keinen einzigen Verkäufer, Taxifahrer, Barkeeper oder Landstreicher getroffen, der nicht wenigstens eine vage Vorstellung davon gehabt hätte, was der Klimawandel bedeutet und warum es dazu kommt.
Das veranlasst mich zu der Schlussfolgerung: Das Problem besteht nicht darin, dass die Leute nichts darüber hören, sondern dass sie es nicht wissen wollen.
Die Akademiker haben die größten Freiheiten zu verlieren, und sie gewinnen am wenigsten bei dem Versuch, den Klimawandel in Grenzen zu halten. Die Bemühungen, die globale Erwärmung einzuschränken, leiden unter geteilten Anreizen: Diejenigen, die am wenigsten dafür verantwortlich sind, werden wahrscheinlich am stärksten davon heimgesucht.
Bangladesh und Äthiopien gehören zu den Ländern, die es am härtesten treffen wird. Ein Anstieg des Meeresspiegels um 1 Meter könnte dazu führen, dass 21 Prozent der Fläche von Bangladesh — einschließlich des besten Ackerlandes — dauerhaft überflutet werden, wodurch ungefähr fünfzehn Millionen Menschen obdachlos würden.3) Sturmfluten, wie das Land sie 1998 erlebt hat, treten dann wahrscheinlich häufiger auf. In diesem Fall könnten 65 Prozent der Fläche von Bangladesh vorübergehend unter Wasser stehen; Landwirtschaft und Infrastruktur wären ruiniert.4) Schon im Jahr 2004 war von Bhola, der größten Insel des Landes, auf der 1,6 Millionen Menschen leben, bereits fast die Hälfte der Fläche weggespült. Klimawissenschaftler gaben dem steigenden Meeresspiegel die Schuld daran; die Erosion hat sich seit den sechziger Jahren erheblich beschleunigt.5
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Äthiopien hat unterdessen schon mehrere Dürreperioden erlebt, die mit dem Klimawandel in Zusammenhang gebracht werden. Eine in den <Philosophical Transactions of the Royal Society> veröffentlichte Abhandlung6) zeigt, dass die Regenfälle im Frühling seit 1996 von Jahr zu Jahr weniger ergiebig sind. Verantwortlich dafür sind nach Ansicht der Autoren die tendenziell steigenden Wassertemperaturen an der Oberfläche des Indischen Ozeans.7) Zum Teil als Folge der Trockenheit, die durch die fehlenden Regenfälle verursacht wurde, waren 2005 zwischen acht und zehn Millionen Äthiopier vom Hungertod bedroht.
Die meisten reichen Länder liegen in Regionen mit gemäßigtem Klima und werden deshalb, zumindest in der ersten Phase der globalen Erwärmung, weniger unter den ökologischen Auswirkungen zu leiden haben. Außerdem können sie mehr Geld investieren, um ihre Einwohner vor Überschwemmungen, Dürreperioden und extremen Temperaturen zu schützen. Und innerhalb dieser Länder werden es wieder die reichsten Leute sein, die sich von Problemen freikaufen können und als Letzte Schäden erleiden. Die Tabelle8) zeigt, dass das Verhältnis zwischen den Schuldigen und denen, die unter den Folgen leiden müssen, umgekehrt proportional ist.9
Land
Kohlendioxidemissionen 2003
in Tonnen pro Kopf und JahrLuxemburg
24,3
USA
20,0
Großbritannien
9,5
Bangladesh
0,24
Äthiopien
0,06
Quelle:
US Energy Information Administration
57
Die Kohlendioxidemissionen eines Äthiopiers betragen im Durchschnitt ein Vierhundertstel der Menge, die ein Luxemburger produziert — Luxemburg ist das Land mit den weltweit höchsten Pro-Kopf-Emissionen.10
Wenn man also von den Menschen in den reichen Ländern verlangt, etwas gegen den Klimawandel zu unternehmen, dann verlangt man von ihnen, auf vieles, was ihnen wichtig ist — ihre schnellen Autos, ihre Flüge in die Toskana, nach Thailand oder Florida —, zugunsten anderer Leute zu verzichten. Das Problem wird dadurch verschlimmert, dass uns der Zusammenhang zwischen Ursache und Folgen so unwahrscheinlich vorkommt. Indem wir das Licht einschalten, Wasser kochen, die Kinder zur Schule bringen oder mit dem Auto zum Supermarkt fahren, verurteilen wir andere Leute zum Tod. Wir entscheiden uns nicht bewusst dazu. Wir sehen uns selbst nicht als Mörder. Wir tun das ohne Leidenschaft oder Absicht.
Außerdem müssen wir vieles, was wir bisher für gut gehalten haben — sogar für moralisch notwendig —, nun für schlecht halten. Die vielleicht heikelste Ursache der globalen Erwärmung sind die »Liebesmeilen«, die wir zurücklegen müssen, um Freunde, Partner oder Verwandte auf der anderen Seite des Planeten zu besuchen. Die Welt könnte durch Liebe zerstört werden.
Noch schwieriger wird die Sache dadurch, dass die frühen Auswirkungen des Klimawandels für diejenigen von uns, die in den gemäßigten Zonen der reichen Welt leben, im Allgemeinen angenehm sind. Unsere Winter werden milder und enden früher. Gelegentlich gibt es zwar eine Überschwemmung, eine Phase der Trockenheit oder eine Hitzewelle, aber es überwiegt der Eindruck, dass wir von den Folgen unserer Luftverschmutzung profitieren — und das gerade zu einem Zeitpunkt, wo wir ganz dringend etwas dagegen unternehmen müssten.
58
Die ambivalenten Anreize in den reichen Ländern werden auch von deren Regierungen so wahrgenommen. Wie Tony Blair einmal anmerkte, gibt es »ein Missverhältnis der Zeitpläne im Hinblick auf den Klima- und Umweltschutz einerseits und den nächsten Wahltermin andererseits«.11 Wenn die Entscheidungen, die ein Politiker getroffen hat, Früchte tragen, ist er selbst schon lange nicht mehr im Amt. Falls die Regierung beispielsweise eine weitere Zunahme des Luftverkehrs gestattet, zeigen sich die Folgen mit erheblicher Verspätung und so diffus, dass man im Nachhinein kaum einen einzelnen Schuldigen dafür verantwortlich machen kann. Wenn die Regierung dagegen den Luftverkehr einschränkt, dann können die Folgen direkt auf diese Entscheidung zurückgeführt werden. Jeder weiß, wer dafür verantwortlich ist, dass wir nicht mehr nach Thailand fliegen dürfen.
Aber es ist nicht nur eine Frage des mangelnden Engagements. Unser Zögern wird auch durch eine Kampagne der Abwehr unterstützt. Das wurde mir zum ersten Mal bewusst, nachdem ich eine Reihe wirklich blödsinniger Artikel in der britischen Presse gelesen hatte. Die folgenden Beispiele lassen den Verdacht aufkommen, dass auch der vollständige Mangel an Sachkenntnis kein Hindernis für eine Veröffentlichung ist:
George W. Bush hat recht. Das Kyoto-Protokoll ist reine Zeitverschwendung. Wahrscheinlich existiert der Treibhauseffekt gar nicht. Bisher gibt es jedenfalls keine Beweise dafür (Peter Hitchens, Mail on Sunday).12
Wenn es tatsächlich eine Klimaerwärmung gibt, dann heißt das nicht unbedingt, dass unsere Emissionen daran Schuld haben. Das ist sogar extrem unwahrscheinlich, denn Kohlendioxid macht nur einen relativ kleinen Teil der Atmosphäre aus, die überwiegend aus Wasserdampf besteht (Melanie Phillips, Daily Mail).13
Der Treibhauseffekt, erstmals beobachtet Mitte des 19. Jahrhunderts, ist ein Phänomen, das diesen Planeten warm genug hält, um Leben zu ermöglichen. Peter Hitchens hat ihn offenbar mit dem von Menschen verursachten Klimawandel verwechselt. Aber das hat ihn nicht davon abgehalten, sich qualifiziert genug zu fühlen, um seinen Artikel so fortzusetzen:
Verursacht wird die globale Erwärmung wahrscheinlich — kaum zu glauben — durch die Sonne. Die von der NASA gemessene Temperatur der Atmosphäre ist in den vergangenen 22 Jahren nicht gestiegen. Es gab eine globale Erwärmung zwischen 1870 und 1940, als die Konzentration von Treibhausgasen noch wesentlich geringer war als jetzt.
Der einzige Grund, warum diese Fakten so wenig bekannt sind, liegt darin, dass eine selbstgerechte Liebe zur »Umwelt« heute die Religion als eine neue Orthodoxie ersetzt... Warum haben wir gegenüber diesen Lügen solche Scheuklappen?14Wenn der größte Teil der Atmosphäre aus Wasserdampf bestünde, würden wir Kiemen brauchen. Aber Melanie Phillips ist sich ihrer Atmosphärenphysik so sicher, dass sie behauptet:
Die Theorie, die globale Erwärmung sei die Schuld der Menschheit, ist ein massiver Betrug, der auf falschen Computermodellen, schlechter Wissenschaft und einer antiwestlichen Ideologie beruht...
Die meisten wohlmeinenden Menschen in der westlichen Welt glauben einen Haufen von Lügen und Propaganda.15
59-60
Anfangs hielt ich das einfach für angeborene Dummheit, und zum Teil hat es zweifellos damit zu tun. Aber nachdem ich auf weitere Behauptungen dieser Art gestoßen war, erkannte ich, dass solche Aussagen ihren Ursprung nicht in den Zeitungen haben.
Anders als die meisten Leute, die in den Medien darauf beharrten, es gebe keinen Klimawandel, ist oder war David Bellamy ein Wissenschaftler, der früher leitender Dozent für Botanik an der University of Durham war. Er engagierte sich auch als Umweltschützer und war zudem ein bekannter und ziemlich eindrucksvoller Fernsehmoderator. Anfang 2000 beschloss er, der Klimawandel existiere nicht. Hier seine Ausführungen in einem Artikel, der 2004 unter der Überschrift <Global Warming? What a Load of Poppycock!> veröffentlicht wurde:
Der Zusammenhang zwischen dem Verbrauch fossiler Brennstoffe und der globalen Erwärmung ist ein Mythos. Es wird Zeit, dass die politischen Führer der Welt, ihre wissenschaftlichen Berater und viele Umweltgruppen diese Tatsache zur Kenntnis nehmen.16
Im April 2005 las ich einen Brief von ihm im <New Scientist>:
Außerdem sollte man zum Thema Klimawandel und dem Abschmelzen der Gletscher im Himalaja deutlich darauf hinweisen, dass in vielen Teilen der Welt die Gletscher nicht kleiner, sondern größer werden ... Ja, wenn man alle Beweise zusammenträgt, die von den Kyoto-Befürwortern kaum je erwähnt und berücksichtigt werden, dann sind 555 von den insgesamt 625 Gletschern, die der <World Glacier Monitoring Service> in Zürich/Schweiz beobachtet, seit 1980 größer geworden.17
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Ich staunte über diese Behauptung. Sie widersprach allem, was ich bisher über die <Glacier Mass Balance> — das Ausmaß, indem sich Gletscher ausbreiten oder zurückziehen — gelesen hatte. Also rief ich beim <World Glacier Monitoring Service> an und las ihnen Bellamys Brief vor. »Das ist kompletter Blödsinn«,18) erklärten sie mir. Die neuesten Studien zeigen ausnahmslos, dass sich die meisten Gletscher der Welt zurückziehen.19
Aber Bellamy musste seine Zahlen ja irgendwo herhaben, und so fragte ich ihn per E-Mail nach seiner Quelle. Nach mehreren Anfragen erklärte er mir, er habe sie auf der Webseite IceAgeNow.com gefunden. Ich kann Ihnen nur dringend raten, diese Seite zu besuchen, denn es handelt sich dabei um eine außergewöhnliche Produktion. Und dort fand ich tatsächlich das Material, das Bellamy in seinem Brief zitiert hatte, einschließlich der von ihm genannten Zahlen — oder besser gesagt etwas, was an diese Zahlen erinnerte: »Seit 1980 haben sich 55 Prozent der 625 Gebirgsgletscher, die unter Beobachtung der World Glacier Monitoring Group in Zürich stehen, vergrößert.«20
Wahrscheinlich ist es Ihnen aufgefallen: Bellamys Quelle behauptet, dass 55 Prozent von 625 Gletschern größer werden, während er behauptet hat, dass es 555 Gletscher — oder 89 Prozent — sind. Diese Zahl scheint sonst nirgendwo existiert zu haben. Aber auf dem Computerkeyboard liegen »5« und »%« auf derselben Taste. Ein kleiner Flüchtigkeitsfehler reicht schon, um aus 55% die Zahl 555 zu machen. Das ist die einzige Erklärung, die mir zu dieser Zahl einfallt. Als ich Bellamy noch einmal ausdrücklich danach fragte, gab er zu, es habe eine »Störung der Elektronik« gegeben.21)
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Die Quelle, die Bellamy außerdem in seiner E-Mail an mich erwähnte, war »die letzte Ausgabe von <21st Century Science and Technology>«.
Wie ich feststellte, ist dies eine Publikation, die dem amerikanischen Millionär Lyndon Larouche gehört. Larouche hat behauptet, die britische königliche Familie betreibe ein internationales Drogensyndikat,22-24) Henry Kissinger sei ein kommunistischer Agent,25) die britische Regierung werde von jüdischen Bankleuten kontrolliert26) und die moderne Wissenschaft sei eine Verschwörung gegen das menschliche Potenzial.27) 1989 wurde er wegen Konspiration, Verletzung des Postgeheimnisses und Steuerhinterziehung zu fünfzehn Jahren Haft verurteilt.28,29)
<21st-Century-Science-and-Technology> gab keine Quelle für seine Zahlen an, aber dieselben Daten fanden sich überall im Internet. Sie waren erstmals online veröffentlicht worden vom <Science and Environmental Policy Project>, das ein Umweltwissenschaftler namens Dr. Fred Singer betreibt. Nachdem sie auf seine Webseite sepp.org gepostet worden waren, hatten mehrere andere Gruppen sie übernommen, beispielsweise das <Competitive Enterprise Institute>,30) das <National Center for Public Policy Research>31) und <The Advancement of Sound Science Coalition>.32) Außerdem hatten sie ihren Weg in die <Washington Post> gefunden.
Aber woher kamen sie? Fred Singer erwähnte eine halbe Quelle: »ein Papier, das 1989 in Science veröffentlicht wurde«.34)
Ich durchforstete sämtliche Ausgaben von Science aus dem Jahr 1989, von Hand wie auch elektronisch. Aber keine einzige enthielt irgendetwas, was Ähnlichkeit mit diesen Zahlen gehabt hätte. Außerdem war während des gesamten Jahres in diesem Journal kein einziger Artikel über den Rückzug oder die Ausbreitung von Gletschern veröffentlicht worden. Befriedigt kam ich zu dem Schluss, dass die Zahlen Unsinn waren, und verschwendete keinen Gedanken mehr daran.
* (d-2015:) wikipedia Lyndon_LaRouche *1922
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Aber nachdem ich diese Ergebnisse im Guardian veröffentlicht hatte,35) schrieb einer meiner Leser an Dr. S. Fred Singer:
Sehr geehrter Herr Professor Singer,
was antworten Sie George Monbiot, der am Dienstag im Guardian schrieb, Sie hätten einen nicht existierenden Artikel in einer nicht näher benannten Ausgabe von Science aus dem Jahr 1989 als einzige Quelle für Ihre Behauptung angegeben, dass sich die Gletscher weltweit ausbreiten?36)Singers Antwort war ebenso interessant wie überraschend:
Monbiot ist verwirrt — oder er lügt ganz einfach ... Er hat eine lebhafte Phantasie, die an Verleumdung grenzt... Ich weiß nichts von einem 1989 in Science erschienenen Artikel. Dies ist derselbe Monbiot, der zusammen mit anderen »Klima-Aktivisten« in Nature (31.03.2005) darüber klagte, einige von uns würden den Eindruck erwecken, dass die »Klimaforscher tief gespalten« sind, während es — seiner Meinung nach — einen »soliden« Konsens über die anthropogene globale Erwärmung gibt. Offensichtlich steht er unter Drogeneinfluss.37)
Mein Leser schrieb zurück:
Sehr geehrter Herr Professor Singer,
vielen Dank für Ihre rasche Antwort auf meine Anfrage. Ihre Aussage fand ich jedoch sehr verwirrend. Bei meiner Google-Recherche nach sepp.org stieß ich auf zwei Seiten, auf denen genau die Behauptung aufgestellt wurde, die Monbiot Ihnen zuschreibt. Es scheint so, als sei er weder ein Lügner noch verwirrt. Könnten Sie sich bitte genauer über diesen Aufsatz aus dem Jahr 1989 in Science äußern? Es kommt mir sehr unwahrscheinlich vor, dass die WGMS das gesagt hat, was Sie behaupten.38)
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Diesmal antwortete Singer weniger aggressiv: Die Behauptung, so erklärte er, sei von der »ehemaligen SEPP-Mitarbeiterin Candace Crandall« auf seine Seite gepostet worden. Die Angaben »scheinen nicht korrekt zu sein und sind aktualisiert worden«.39) Er vergaß zu erwähnen, dass Candace Crandall seine Frau war. Fast ein Jahr später, als ich an diesem Buch schrieb, prüfte ich seine Webseite und fand diesen Absatz:
Der World Glacier Monitoring Service in Zürich gab in einem 1989 in Science veröffentlichten Artikel an, zwischen 1926 und 1960 hätten sich mehr als 70 Prozent der 625 Berggletscher in den Vereinigten Staaten, der Sowjetunion, Island, der Schweiz, Österreich und Italien zurückgezogen. Nach 1980 würden sich jedoch 55 Prozent derselben Gletscher wieder ausbreiten.40
Es war also nicht geändert worden. Was ich auf der SEPP-Seite und anderen, die Zahlen über Gletscher veröffentlicht hatten, ebenfalls fand, waren die meisten Behauptungen, so unsinnig oder irreführend sie auch immer sein mochten, die später in der Presse von David Bellamy, Peter Hitchens und Melanie Phillips, von Thrillerautor Michael Crichton sowie den meisten anderen prominenten Leugnern eines vom Menschen verursachten Klimawandels aufgestellt wurden.
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Die von mir genannten Gruppen haben anscheinend die von den Autoren verwendeten Fakten und Zahlen gesammelt und verbreitet. Und diese Gruppen verbindet noch eine weitere Gemeinsamkeit: Sie alle wurden von Exxon finanziert.19) (Damit will ich nicht sagen, dass Bellamy, Hitchens, Phillips oder Crichton selbst Geld von Exxon genommen haben.)
ExxonMobil ist der weltweit profitabelste Konzern. Im Herbst 2005 meldete er einen Quartalsgewinn von fast 10 Milliarden Dollar, den höchsten Profit, den ein Konzern je angegeben hat.41) Exxon verdient das meiste Geld im Ölgeschäft und hat bei den Klimaschutzbemühungen mehr als jeder andere Konzern zu verlieren. Wie die Firma mit dem Thema umgeht, könnte man so zusammenfassen:
Sollte die Öffentlichkeit zu der Überzeugung gelangen, dass die wissenschaftlichen Fragen geklärt sind, wird sie ihre Ansichten über die globale Erwärmung entsprechend ändern. Deshalb kommt es darauf an, in dieser Debatte zu betonen, dass die Forschungsergebnisse weiterhin nicht eindeutig sind.
Diese Worte stammen nicht von mir. Sie stammen auch nicht von Exxon. Sie wurden von einem politischen Berater namens Frank Luntz während des ersten Halbzeit-Wahlkampfes in der Amtszeit von George W Bush für Aktivisten der Republikanischen Partei geschrieben.42 Wie wir sehen werden, gibt es viele Orte, an denen sich Exxon zu Hause fühlt. Aber in anderer Hinsicht hat die Firma Probleme: Sie muss einem wissenschaftlichen Konsens entgegentreten, der genauso stark ist wie die Gewissheit, das Rauchen die Ursache für Lungenkrebs ist und HIV die Ursache für Aids.
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Die Webseite exxonsecrets.org , die Daten veröffentlicht, die in den offiziellen Dokumenten des Konzerns gefunden wurden, listet 124 Organisationen auf, die Geld von Exxon genommen haben oder eng mit anderen zusammenarbeiten, die das getan haben. Sie vertreten eine einheitliche Linie zum Klimawandel und behaupten: Die Forschungsergebnisse sind widersprüchlich, die Wissenschaftler gespalten, Umweltschützer sind Scharlatane oder Traumtänzer; und wenn die Regierungen etwas gegen die globale Erwärmung unternähme, dann würden sie grundlos die globale Ökonomie in Gefahr bringen. Die Forschungsergebnisse, die diesen Organisationen nicht gefallen, werden als »wissenschaftlicher Müll« bezeichnet. Die Ergebnisse, die ihnen willkommen sind, erhalten das Etikett »solide Wissenschaft«.Zu den Organisationen, die von Exxon finanziert worden sind, gehören einige bekannte Webseiten und Lobbygruppen wie beispielsweise <TechCentralStation>, das <Cato-Institute> und die <Heritage-Foundation>. Einige Namen auf der Liste erwecken den Eindruck, es würde sich um basisdemokratische Bürgerinitiativen oder akademische Körperschaften handeln, beispielsweise das <Center for the Study of Carbon Dioxide and Global Change>, die <National Wetlands Coalition>, das <National Environmental Policy Institute> oder das <American Council on Science and Health>.43
Ein oder zwei von ihnen wie etwa der <Congress of Racial Equality> und das <George Mason University's Law and Economics Center> sind tatsächlich Bürgerinitiativen oder akademische Körperschaften, aber ihre Position zum Klimawandel liegt ziemlich auf einer Linie mit den anderen gesponserten Gruppen. Diese Gruppen haben ihre Basis zwar alle in den USA, aber ihre Veröffentlichungen werden weltweit gelesen und erwähnt, und auch ihre Mitarbeiter werden überall interviewt und zitiert.
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Indem Exxon so viele Organisationen finanziell unterstützt, fördert die Firma den Eindruck, dass es im Hinblick auf den Klimawandel noch weitverbreitete Zweifel gibt. Für Leute, die nicht verstehen, dass Forschungsergebnisse nur dann vertrauenswürdig sind, wenn sie in Journalen veröffentlicht werden, bei denen sie vorher einer Prüfung durch Fachkollegen unterzogen wurden, verstärken die Namen dieser Institute den Eindruck, dass seriöse Forscher den Konsens infrage stellen.
Damit will ich nicht behaupten, dass die gesamte Wissenschaft, die von diesen Gruppen verfochten wird, der reine Schwindel ist. Alles in allem wird hier jedoch eine gezielte Auslese betrieben: Man findet beispielsweise eine widersprüchliche Studie — wie etwa die von mir im letzten Kapitel erwähnte Entdeckung, dass sich die Troposphäre abkühlt, die dann von Peter Hitchen in entstellter Form verwendet wurde — und verbreitet diese Information unablässig. Und das tut man auch noch, lange nachdem sie durch andere Forschungsergebnisse widerlegt wurde. Obwohl beispielsweise John Christy, der Autor des Troposphärenartikels, im August 2005 zugab, dass seine Zahlen nicht korrekt waren,44) zeigt eine kurze Internetrecherche, dass seine ursprünglichen Ergebnisse von vielen dieser Gruppen immer noch verbreitet und verfochten werden.
Aber damit nicht genug.
Der Vorsitzende von Fred Singers <Science and Environmental Policy Project> (Singer ist der Präsident) ist ein Mann namens Frederick Seitz. Er ist Physiker und war in den sechziger Jahren Präsident der <US National Academy of Sciences>. 1998 verfasste er ein Dokument, das als »Oregon Petition« bekannt wurde und seitdem von fast jedem Journalisten erwähnt wird, der behauptet, der Klimawandel sei ein Mythos. — Die Petition liest sich so:
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Wir fordern die Regierung der Vereinigten Staaten auf, die Vereinbarung über die globale Erwärmung, die 1997 in Kyoto, Japan, getroffen wurde, und alle ähnlichen Vorschläge abzulehnen. Die vorgeschlagene Begrenzung der Treibhausgase würde die Umwelt schädigen, Fortschritte in Wissenschaft und Technologie behindern sowie die Gesundheit und das Wohlergehen der Menschheit bedrohen. Es gibt keine überzeugenden wissenschaftlichen Beweise, dass die vom Menschen verursachten Emissionen von Kohlendioxid, Methan oder anderen Treibhausgasen eine katastrophale Erwärmung der Erdatmosphäre und eine Störung des globalen Klimas verursachen oder in absehbarer Zeit verursachen werden. Außerdem gibt es solide wissenschaftliche Beweise, dass eine erhöhte Konzentration von Kohlendioxid in der Atmosphäre sich positiv auf die Pflanzen- und Tierwelt der Erde auswirkt.45
Jeder Akademiker konnte diese Petition unterzeichnen. Sie wurde als Anlage mit einem Brief von Seitz verschickt, der mit »Überblick über die wissenschaftlichen Beweise zur globalen Erwärmung« überschrieben war:
Nachfolgend finden Sie einen achtseitigen Überblick über Informationen zum Thema »Globale Erwärmung« und eine Petition in Form einer Antwortkarte. Bitte prüfen Sie das Material sorgfältig.
Die Vereinigten Staaten stehen kurz davor, eine internationale Vereinbarung zu unterzeichnen, welche die Nutzung von Energien und Technologien einschränken würde, die von Kohle, Öl, natürlichem Gas und einigen anderen organischen Stoffen abhängig sind.
Diese Vereinbarung basiert unserer Meinung nach auf falschen Vorstellungen. Die Forschungsergebnisse über den Klimawandel lassen nicht den Schluss zu, dass die Nutzung von Kohlenwasserstoff durch den Menschen schädlich ist. Im Gegenteil, es gibt solide Beweise, dass eine erhöhte Konzentration von Kohlendioxid sich günstig auf die Umwelt auswirkt.
... Frederick Seitz, ehemaliger Präsident der National Academy of Sciences.46
Der Hauptautor der »Übersicht«, die dem Brief von Frederick Seitz folgte, ist ein christlicher Fundamentalist namens Arthur B. Robinson. Er hat nie als Klimawissenschaftler gearbeitet.47 Die Übersicht wurde gleichzeitig von <Robinsons Organisation> — dem <Oregon Institute of Science and Medicine> — veröffentlicht und ebenso vom so genannten <George C. Marshall Institute>, das seit 1998 630.000 Dollar von ExxonMobil erhalten hat.48 Die anderen drei Autoren waren Arthur Robinsons 22-jähriger Sohn49 sowie zwei Angestellte des <George-C.-Marshall-Institute>.50-51
Der Vorsitzende des George C. Marshall Institute war Frederick Seitz.52 In dem Papier wurde erklärt:
Da Kohle, Öl und natürliche Gasvorkommen genutzt werden, um viele Menschen weltweit zu ernähren und von Armut zu befreien, wird noch mehr Kohlendioxid in die Atmosphäre entlassen werden. Das wird dazu beitragen, die Gesundheit, eine hohe Lebenserwartung, den Wohlstand und die Produktivität aller Menschen zu erhalten. Wir leben in einer zunehmend üppigen Umgebung voller Pflanzen und Tiere, gerade weil die Konzentration von Kohlendioxid steigt. Unsere Kinder werden eine Welt genießen können, in der es sehr viel mehr Pflanzen und Tiere als heute gibt. Das ist ein wunderbares und unerwartetes Geschenk der industriellen Revolution.53
69-70
Schrift und Format sahen genauso aus wie bei den <Proceedings of the National Academy of Sciences>, dem Journal der Organisation, deren Präsident Frederick Seitz — wie er seinen Lesern gerade in Erinnerung gerufen hatte — einmal gewesen war.
Kurz nach der Veröffentlichung der Petition gab die <National Academy of Sciences> eine Stellungnahme heraus:
Das <Council der National Academy of Sciences> ist besorgt wegen der Verwirrung, die durch eine Petition verursacht wird, welche zusammen mit einem Brief eines ehemaligen Präsidenten dieser Academy kursiert... Die Petition wurde mit einem Editorial aus dem <Wall Street Journal> und einem Manuskript verschickt, dessen Format fast identisch ist mit dem der wissenschaftlichen Artikel, die in den <Proceedings of the National Academy of Sciences> veröffentlicht werden. Das NAS-Council möchte klarstellen, dass diese Petition nichts mit der <National Academy of Sciences> zu tun hat und das Manuskript nicht in den <Proceedings of the National Academy of Sciences> oder irgendeinem anderen Journal mit kollegialer Überprüfung veröffentlicht wurde. Die Petition drückt nicht die Schlussfolgerungen von Expertenberichten der Academy aus.54
71
Aber es war zu spät.
Seitz, das Oregon Institute und das George C. Marshall Institute hatten schon mehrere zehntausend Kopien auf den Weg gebracht, und die Petition war überall im Internet zu finden. Sie wurde von ungefähr 17.000 Akademikern unterzeichnet, deren überwiegende Mehrzahl nicht die geringste Ahnung von Klimaforschung hatte. Gleichwohl wurde sie häufig — von David Bellamy, Melanie Phillips und vielen anderen — als eine Petition von Klimawissenschaftlern erwähnt. Von Exxon gesponserte Webseiten nennen sie immer wieder als Beweis, dass es keinen wissenschaftlichen Konsens über den Klimawandel gibt.
All dies ist Klimaforschern und Umweltschützern inzwischen wohlbekannt. Aber das interessanteste Ergebnis meiner Recherchen zu diesem Thema ist die Erkenntnis, dass die Unternehmenskampagne zur Leugnung des vom Menschen verursachten Klimawandels nicht von Exxon initiiert wurde, ja nicht einmal von irgendeinem anderen Konzern, der direkt im Geschäft mit fossilen Brennstoffen engagiert ist. Begonnen wurde sie vielmehr vom Tabakkonzern Philip Morris.
Im Dezember 1992 veröffentlichte die US-Umweltbehörde EPA (Environmental Protection Agency) einen 500 Seiten starken Bericht unter dem Titel <Respiratory Health Effects of Passive Smoking>. Sie stellte fest, dass
... die weit verbreitete Belastung durch Tabakrauch (ETS) in der Umwelt eine ernste Bedrohung der öffentlichen Gesundheit darstellt.
Bei Erwachsenen: ETS erregt beim Menschen Lungenkrebs und ist für jährlich etwa 3000 Lungenkrebstote unter Nichtrauchern in den USA verantwortlich.
Bei Kindern: Die ETS-Belastung wird ursächlich in Verbindung gebracht mit einem erhöhten Risiko für Infektionen der unteren Atemwege wie Bronchitis und Lungenentzündung. Dieser Bericht schätzt, dass 150.000 bis 300.000 Fälle jährlich bei Säuglingen und Kleinkindern bis zu achtzehn Monaten auf das Konto von ETS gehen.55)
72
Wäre es dabei nicht um einen großen Schlag gegen die Tabakkonzerne der Vereinigten Staaten gegangen, hätten wir nie erfahren, was anschließend passierte. Aber 1998 wurden sie gezwungen, ihre internen Dokumente zu veröffentlichen und ins Internet zu stellen.
Binnen zwei Monaten hatte Philip Morris, der größte Tabakkonzern der Welt, eine Strategie für den Umgang mit dem Bericht über die Gefahren des Passivrauchens gefunden. Im Februar 1993 schickte Ellen Merlo, die leitende Vizepräsidentin für Konzernangelegenheiten, einen Brief an William I. Campbell, den Hauptgeschäftsführer und Präsidenten von Philip Morris, um ihm ihre Absichten zu erklären:
»Unser maßgebliches Ziel besteht darin, den EPA-Bericht zu diskreditieren ... Gegenwärtig wollen wir vor allem verhindern, dass Staaten, Städte und Geschäftszweige Maßnahmen gegen das Passivrauchen ergreifen.«56
Zu diesem Zweck hatte sie eine PR-Agentur namens APCO engagiert, deren Rat sie im Anhang übermittelte. APCO warnte: »Ganz gleich, wie gut ihre Argumente sein mögen, gelten Industriesprecher als solche doch nicht immer als glaubwürdige oder geeignete Botschafter.«57
Also musste der Kampf gegen Rauchverbote mit anderen Leuten und anderen Themen in Verbindung gebracht werden. Philip Morris, so meinte APCO, müsse den Eindruck einer »basisdemokratischen« Bewegung hervorrufen — einer spontanen Gruppierung besorgter Bürger, die sich gegen »Überregulierung« wehren.58 Die Gefahren des Rauchens sollten dabei als nur eine »unbegründete Angst« unter anderen wie etwa der Furcht vor Pestiziden oder Handy-Strahlung dargestellt werden.59
73
APCO schlug vor,
eine nationale Koalition zu bilden, welche die Medien, Funktionäre und die Öffentlichkeit über die Gefahren von »wissenschaftlichem Müll« unterrichtet. Die Koalition wird die Glaubwürdigkeit von wissenschaftlichen Studien der Regierung, Techniken der Risikobewertung und den Missbrauch von Steuergeldern ansprechen. Nachdem sich die Koalition gebildet hat, werden führende Persönlichkeiten Kontakt mit den Medien aufnehmen, das heißt, sie werden die Herausgeber von Zeitungen besuchen, Meinungsartikel veröffentlichen und gewählte Funktionäre in ausgesuchten Staaten informieren.60
APCO würde die Koalition gründen, ihre Aufgaben formulieren und »Meinungsartikel vorbereiten und in wichtigen Medien platzieren«. Dafür forderte die Agentur 150.000 Dollar als eigenes Honorar und 75.000 Dollar für die Kosten der Koalition.61
Ein anderes Memo von APCO an Philip Morris zeigt, dass die angebliche Bürgerinitiative im Mai 1993 schon einen Namen hatte: <The Advancement for Sound Science Coalition>, abgekürzt TASSC.62
Es sei wichtig, so hieß es in weiteren Briefen, »sicherzustellen, dass TASSC eine gewisse Themenvielfalt abdeckt«,63) und »das Tabakthema mit anderen Produkten zu verknüpfen, die <politisch korrekter> sind«.
Außerdem sollten wissenschaftliche Studien, die Rauchen in einem schlechten Licht erscheinen lassen, mit »breiteren Fragen über die Forschung und die Gesetzgebung der Regierung« in Zusammenhang gebracht werden, beispielsweise:
74
die globale Erwärmung,
die Lagerung von Atommüll und
die Biotechnologie. 64
APCO würde sich einsetzen für eine »intensive Rekrutierung hochrangiger Repräsentanten aus Wirtschaft und Industrie, bekannter Wissenschaftler und politischer Funktionäre sowie anderer Personen, die ein Interesse daran hatten, die Nutzung solider Wissenschaft zu fördern«.65
Im September 1993 hatte APCO einen Plan für die »öffentliche Vorstellung von TASSC« entwickelt.66,67 Die entsprechende Pressekonferenz würde nicht in
Washington, D. C, oder einem der führenden Medienmärkte des Landes stattfinden. Wir schlagen stattdessen eine Reihe aggressiver dezentraler Einführungen in verschiedenen ausgewählten lokalen und regionalen Märkten vor, die über das Land verteilt liegen. Dieser Ansatz ... schützt vor zynischen Reportern der größeren Medien: Das bedeutet weniger Überprüfung der TASSC-Botschaften und weniger Widerspruch.68
Die Berichte in den Medien, so hoffte die PR-Agentur, würden TASSC in die Lage versetzen, »das Image einer nationalen basisdemokratischen Koalition zu vermitteln«.69) Für den Fall, dass die Medienvertreter kritische Fragen stellen würden, ließ APCO ein Blatt mit Antworten kursieren, die Philip Morris entworfen hatte.70) Die erste Frage/Antwort lautete:
75
F: Ist es nicht so, dass Philip Morris TASSC geschaffen hat, damit diese Gruppe als Stoßtrupp handeln kann?
A: Absolut nicht. Als großer Konzern gehört PM vielen Organisationen an, nationalen und regionalen, wirtschaftspolitischen, allgemeinen politischen und auch legislativen. PM hat etwas zu TASSC beigetragen, aber das haben wir auch bei vielen anderen Gruppen und Organisationen überall im Land getan.71
Die fünfte lautete:
F: Um welche Bereiche der öffentlichen Politik sollte sich TASSC Ihrer Meinung nach kümmern?
A: Wir können TASSC nicht vorschreiben, sich mit bestimmten Themen zu beschäftigen; es handelt sich hier um eine unabhängige Organisation, die zweifellos ausgezeichnete eigene Entscheidungen treffen wird.72
Inzwischen sollte deutlich geworden sein, dass die Sprache und der Denkansatz von Philip Morris und den Organisationen, die Exxon finanziert, recht ähnlich sind. Beide Lobbys benutzen dieselben Ausdrücke, die offenbar von den Beratern von Philip Morris erfunden wurden.
»Wissenschaftlicher Müll« steht für kollegial überprüfte Studien, die zeigen, dass es einen Zusammenhang zwischen Rauchen und Lungenkrebs sowie anderen Krankheiten gibt.
»Solide Wissenschaft« bezeichnet dagegen Untersuchungen, die von der Tabakindustrie gesponsert wurden und diesen Zusammenhang für nicht schlüssig erwiesen halten.73 Beide Lobbys haben erkannt, dass sie gesetzliche Regelungen am besten vermeiden können, indem sie den wissenschaftlichen Konsens infrage stellen.
Wie es beispielsweise in einem Memo des Tabakkonzerns Brown and Williamson heißt:
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»Zweifel ist unser Produkt, denn dieses Mittel eignet sich am besten zum Wettstreit mit den <Fakten>, die in den Köpfen der Öffentlichkeit herumgeistern. Außerdem lässt sich dadurch eine Kontroverse erzeugen.«74)
Beide Industriezweige haben auch versucht, sich von ihren eigenen Kampagnen zu distanzieren und den Eindruck zu erwecken, es würde sich dabei um ein spontanes Engagement von Experten oder gewöhnlichen Bürgern handeln, eine »basisdemokratische« Initiative.
Aber die Verbindung reicht noch sehr viel weiter. TASSC, die von Philip Morris geschaffene »Koalition«, war die erste und wichtigste der unternehmensfinanzierten Organisationen, die leugneten, dass der Klimawandel stattfindet. Sie hat den Versuchen, der globalen Erwärmung Einhalt zu gebieten, mehr Schaden als jede andere zugefügt.
TASSC tat genau das, was seine Gründer bei APCO vorgeschlagen hatten, und machte sich auf die Suche nach anderen Geldgebern. Zwischen 2000 und 2002 erhielt die Organisation 30.000 Dollar von Exxon.75) Die von der Koalition finanzierte Webseite76) — junkscience.com — war das Haupteinfallstor für fast jede Art von Leugnung des Klimawandels, über die in den Massenmedien berichtet wurde. Fred Singer hat die Gletscherzahlen zwar als Erster ins Internet gesetzt, aber populär wurden sie durch JunkScience.com. Man konnte sie sogar im Mai 2006 noch dort finden.77
Umweltschützer wurden auf dieser Seite mit Nazis, Kommunisten und Terroristen verglichen. Sie schleuderte uns die Vorwürfe entgegen, die man mit voller Berechtigung gegen die Urheber selbst richten könnte: Die Webseite behauptete beispielsweise, ihre Betreiber würden eine Kampagne gegen »fehlerhafte wissenschaftliche Daten und Analysen [führen], die benutzt werden, um bestimmte und oft verheimlichte Ziele zu verfolgen«.78 Ich kann die Hinweise nicht mehr zählen, die mich immer wieder auf diese Seite führten, wenn irgendjemand die vom Menschen verursachte Klimaerwärmung infrage stellte.
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Der Mann, der die Seite betrieb, heißt Steven Milloy.
1992 begann er, für APCO zu arbeiten — die PR-Berater von Philip Morris.79 Während er dort war, setzte er die JunkScience-Seite ins Netz.80'81 Die Dokumente belegen, dass er im März 1997 zum geschäftsführenden Direktor von TASSC ernannt wurde.82) 1998 hat er in einem Memo an die Mitglieder des Boards erklärt, dass seine JunkScience-Seite von der TASSC gegründet worden war.83) Sowohl er als auch die »Koalition« erhielten weiterhin Geld von Philip Morris. Ein internes Dokument vom Februar 1998 offenbart, dass TASSC im Vorjahr 200.000 Dollar vom Tabakkonzern bekam.84 Im Budget von Philip Morris aus dem Jahr 2001 wird eine Zahlung von 90.000 Dollar an Steven Milloy ausgewiesen.85 Altria, die Muttergesellschaft von Philip Morris, gibt zu, dass Milloy mindestens bis Ende 2005 bei der Tabakfirma unter Vertrag stand.86)
Er hat dort gute Arbeit geleistet. Man findet seinen Namen in Briefen und Artikeln, in denen versucht wird, Studien über die Gefahren des Passivrauchens im gesamten Internet und in akademischen Kreisen zu diskreditieren. Er hat es sogar bis ins British Medical Journal geschafft: Ich fand dort einen Brief von ihm, in dem er behauptet, dass die Studien, über die das Journal berichtet hatte, »nicht die Hypothese bestätigen, dass mütterliches Rauchen oder Passivrauchen das Krebsrisiko von Säuglingen erhöht«.87)
Im Jahr 2004 zahlte ihm TASSC 126.000 Dollar für wöchentlich fünfzehn Stunden Arbeit.88) Zwei weitere Organisationen sind unter seiner Adresse registriert: das Free Enterprise Education Institute und das Free Enterprise Action Institute.89) Sie haben von Exxon jeweils 10.000 bzw. 50.000 Dollar erhalten.90) Der Sekretär des Free Enterprise Action Institute ist ein Mann namens Thomas Borelli.91) Borelli war jener Mitarbeiter, der bei Philip Morris die Zahlungen an TASSC überwachte.92)
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Milloy schreibt außerdem für Fox News eine wöchentliche Kolumne über »wissenschaftlichen Müll«. Ohne über seine Interessen Auskunft zu geben, benutzt er diese Kolumne, um Studien zu verunglimpfen, welche die medizinischen Auswirkungen des Passivrauchens dokumentieren und zeigen, dass der Klimawandel stattfindet.93"97 Sogar nachdem Fox News erfahren hatte, dass er Geld von Philip Morris und Exxon bekam,98 beschäftigte man ihn dort weiter, ohne die Öffentlichkeit über seine persönlichen Interessen zu informieren. Er wird immer noch so beschrieben: »Steven Milloy betreibt JunkScience.com und csrwatch.com . Er ist Experte für wissenschaftlichen Müll, ein Befürworter der unternehmerischen Freiheit und Privatdozent am Competitive Enterprise Institute.«99)
Auf den Briefbögen von TASSC ist ein Beirat von acht Mitgliedern verzeichnet.100 Drei von ihnen arbeiten nach Angaben von exxonsecrets.org für Organisationen, die Geld von Exxon erhalten. Einer davon ist Frederick Seitz, der die Oregon Petition schrieb und Vorsitzender von Fred Singer's Science and Environmental Project ist.
Im Jahr 1979 wurde Seitz permanenter Berater beim Tabakkonzern RJ Reynolds.101 Er arbeitete bis mindestens 1987 für die Firma102 und erhielt ein jährliches Honorar von 65.000 Dollar.103 Er war verantwortlich für die Entscheidungen, welche Forschungsprojekte der Konzern sponserte,104 und verteilte jedes Jahr Millionen Dollar an die amerikanischen Universitäten.105 Ein Memo des Vorsitzenden von RJ Reynolds zeigt, dass der Zweck dieser Finanzierung darin bestand, »die Kritik an Zigaretten zu widerlegen«.106 Ein nicht datierter Vermerk aus dem Archiv von Philip Morris zeigt, dass die Firma mithilfe von TASSC ein Seitz-Symposium plante, auf dem Frederick Seitz vor »vierzig bis sechzig Behördenvertretern« sprechen sollte.107-108
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S. Fred Singer hatte ebenfalls Kontakte zur Tabakindustrie. Im März 1993 schickte APCO ein Memo an Ellen Merlo, die Vizepräsidentin von Philip Morris, die der Agentur gerade den Auftrag erteilt hatte, gegen die amerikanische Umweltbehörde EPA vorzugehen.
Wie Sie wissen, habe ich mit Dr. Fred Singer und Dr. Dwight Lee zusammengearbeitet, die Artikel über Junk Science bzw. die Luftqualität in Innenräumen (IAQ) geschrieben haben. Als Anlage finden Sie Kopien der betreffenden Artikel, die von Dr. Singer und Dr. Lee gebilligt wurden ... Mit Dr. Singer haben wir Ellens Vorschlag diskutiert, dass der Artikel über Junk Science eine persönlichere Einleitung haben sollte, aber er besteht darauf, dass dies nicht seinem Stil entspricht. Bitte prüfen Sie die Artikel und teilen Sie uns möglichst bald mit, ob es irgendwelche Anmerkungen oder Fragen dazu gibt.100)
In Singers Artikel <Junk Science at the EPA> wurde behauptet: »Die jüngste <Krise> — Tabakrauch in der Atemluft — wurde weithin kritisiert als die schockierendste Verzerrung wissenschaftlicher Beweise, die es bisher gab.«110
Er behauptete, die EPA habe in ihrem Bericht über Passivrauchen die »Zahlen frisieren« müssen. Dies war genau der Bericht, den Philip Morris und APCO, einen Monat bevor Singer seinen Artikel schrieb, zur Diskreditierung ausgewählt hatten.
In einem anderen Vermerk offenbart APCO, man habe mit Fred Singer darüber diskutiert, wie sich eine internationale Bewegung zur Unterstützung der Ziele von TASSC organisieren ließe.111
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Mir liegen keine Beweise vor, dass Fred Singer oder seine Organisation Geld von Philip Morris erhalten haben. Aber viele andere Gruppierungen, die von Exxon gesponsert wurden und versucht haben, den Klimawandel zu leugnen, haben ebenfalls Geld von diesem Tabakkonzern bekommen.112 Dazu gehören einige der weltweit bekanntesten »Denkfabriken«: das <Competitive Enterprise Institute>, das <Cato Institute>, die <Heritage Foundation>, das <Hudson Institute>, das <Frontiers of Freedom Institute>, die <Reason Foundation und das Independent Institute wie auch das George Mason University's Law and Economics Center.113
Zwangsläufig stellt sich da die Frage, ob es irgendeinen Aspekt »konservativen« Gedankenguts in den Vereinigten Staaten gibt, der nicht von den Konzernen hervorgebracht und finanziert wurde.
Bevor ich auf dieses Material stieß, glaubte ich, die Beschuldigungen, Beleidigungen und Schmähungen, mit denen solche Leute uns Umweltschützer bedachten, seien persönlicher Art. Ich meinte, sie würden uns wirklich hassen und hätten irgendjemanden gefunden, der ihnen finanziell helfen würde, diese Gefühle auszudrücken. Jetzt ist mir klar, dass sie sich einfach haben kaufen lassen.
Aber in den englisch sprechenden Medien werden sie ernst genommen. Mit den folgenden Worten leitete BBC eine Online-Debatte ein, die der Sender im Juli 2004 veranstaltete: »Fragen Sie die Experten: Welche Klimaveränderungen hält die Zukunft für uns bereit? ... Ihre Fragen beantworten der frühere Umweltminister Michael Meacher und der Experte für globalen Klimawandel, Dr. S. Fred Singer.«114
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Die BBC-Debatte stellt einen Nichtwissenschaftier einem Wissenschaftler gegenüber, und das bedeutet mit anderen Worten: Die Autorität scheint bei Dr. Singer als dem Experten für globalen Klimawandel zu liegen, obwohl seine Veröffentlichungen in den letzten zwanzig Jahren recht spärlich waren. Die BBC gab ihm den Vorzug vor Tausenden anderer Umweltwissenschaftler, die einen besseren Ruf haben, weil die Redakteure glaubten, dass es bei dieser Auseinandersetzung um eine Kontroverse ging: die Frage, ob der Klimawandel stattfindet oder nicht. Sie glaubten das, obwohl die Royal Society mehrmals das Gegenteil erklärt hatte, weil Fred Singer, Steve Milloy und andere durch ihre Auftritte in den Medien diesen Eindruck zu erwecken wussten. Die Geschichte war zum Perpetuum mobile geworden.
Bis Mitte 2005 war die BBC anscheinend nicht fähig, eine Diskussion über den Klimawandel zu veranstalten, ohne dass daran irgendein von Exxon gesponserter Leugner teilnahm, der behauptete, der Klimawandel finde nicht statt. Nur bei einer einzigen Gelegenheit wurden die Zuhörer informiert, dass der ausgewählte »Experte« Geld von einem Ölkonzern erhalten hatte.115 Man könnte argumentieren, dass der Sender durch das Verschweigen der kommerziellen Interessen dem Konzern inoffizielle Sendezeit zur Verfügung stellte.
Jetzt sieht es so aus, als seien die Verantwortlichen endlich aufgewacht und hätten erkannt, in welchem Ausmaß man (so drückte es ein leitender Angestellter aus, mit dem ich gesprochen habe) »von diesen Leuten zum Narren gehalten« wurde. Aber in den Vereinigten Staaten und in Australien werden die von Exxon finanzierten Experten der Öffentlichkeit immer noch als seriöse Wissenschaftler präsentiert. Steve Milloy ist beispielsweise bei CNN, ABC, MSNBC, National Public Radio und in den meisten größeren Programmen von Fox News Network zu Wort gekommen.116)
Auch von Politikern werden diese Leute ernst genommen.
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James Inhofe, der republikanische Senator von Oklahoma, hielt 2003 vor dem Senat eine Rede über »die Wissenschaft vom Klimawandel«. Hier ein Auszug:
Die Behauptung, die globale Erwärmung würde durch vom Menschen hervorgerufene Emissionen verursacht, ist einfach falsch und basiert nicht auf solider Wissenschaft. Kohlendioxid verursacht keine Katastrophen — es ist vielmehr nützlich für unsere Umwelt und unsere Wirtschaft. ... Bei aller Hysterie und Furcht, dass der Mensch die globale Erwärmung verursacht: Könnte die pseudo-wissenschaftliche Behauptung der größte Bär sein, der den Amerikanern je aufgebunden wurde? Es sieht ganz danach aus.117
Woher wusste er das? Weil er mit den »national führenden Klimawissenschaftlern« gesprochen und sie dann gebeten hatte, sich in die Liste einzutragen. Die Liste begann mit Dr. S. Fred Singer, gefolgt von Frederick Seitz, den beiden Angestellten des George C. Marshall Institute, welche die »Rezension« geschrieben hatten, die Seitz kursieren ließ, sowie acht anderen Mitarbeitern von Organisationen, die von Exxon gesponsert wurden.118) Alarmierend ist, dass Inhofe weiterhin den Vorsitz im Senate Committee on Environment and Public Works führt.
Das Magazin <Harper's> veröffentlichte 2004 ein vertrauliches Memo von Myron Ebell vom <Competitive Enterprise Institute> an Phil Cooney, den Stabschef des White-House-Council-on-Environmental-Quality. Das Competitive Enterprise Institute hatte 2 Millionen Dollar von Exxon erhalten.119) 1997, im einzigen Jahr, für das Aufzeichnungen existieren, erhielt es 125.000 Dollar von Philip Morris.120)
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Ebells Memo zeigte, dass das Weiße Haus und das Institut zusammengearbeitet hatten, um den Bericht der damals von Christine Whitman geleiteten Umweltbehörde EPA über den Klimawandel zu diskreditieren:
Lieber Phil,
danke für Deinen Anruf und die Bitte um unsere Hilfe ... Wie gesagt haben wir heute Morgen entschieden, unser Möglichstes zutun, Kritik zu verlagern, indem wir die EPA des eigenmächtigen Handelns beschuldigen. Ich habe den Eindruck, dass die EPA-Leute sich gut als Prügelknaben eignen, und wir können nur hoffen, dass unser Prügelknabe (oder -mädchen) einen möglichst hohen Rang hat. Ich habe in mehreren Interviews betont, der Präsident müsse dafür sorgen, dass alle am selben Strang ziehen. Morgen werden wir vielleicht fordern, Whitman zu feuern.121)Die New York Times fand später heraus, dass Phil Cooney, der Rechtsanwalt ohne eine naturwissenschaftliche Ausbildung ist, vom American Petroleum Institute ins Weiße Haus entsandt worden war, um dort die Präsentation der Klimaforschung zu kontrollieren.122) Er redigierte wissenschaftliche Berichte, indem er daraus die Beweise für einen Rückzug der Gletscher entfernte, während er gleichzeitig Sätze einfügte, die den Eindruck erweckten, es gebe ernsthafte wissenschaftliche Zweifel an der globalen Erwärmung.123) Als diese Enthüllungen veröffentlicht wurden, trat er zurück und übernahm einen Posten bei Exxon.124) Der Ölkonzern hat außerdem direkten Zugang zum Weißen Haus.
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Am 6. Februar 2001, siebzehn Tage nach der Vereidigung von George W Bush, schickte A. (Randy) Randol, der leitende Umweltberater von ExxonMobil, ein Fax an John Howard, einen Sachbearbeiter für Umweltfragen im Weißen Haus.125) Es begann mit der Diskussion der Rolle von Robert Watson, dem Vorsitzenden des IPCC. Ihm wurde unterstellt, er habe »persönliche Interessen«, und es folgte die Frage: »Kann Watson jetzt auf Antrag der USA ersetzt werden?«126)
Weiter wurde dann darum ersucht, als Vertreter der USA im Panel einen Dr. Harlan Watson zu berufen.127) Beide Wünsche wurden erfüllt. Der eine Watson wurde abserviert, der andere benannt, und er sorgt weiterhin für Chaos bei den internationalen Klimakonferenzen.
Zwar haben die von Exxon und Philip Morris gesponserten Leugner des Klimawandels in den USA am effektivsten gearbeitet, aber die Auswirkungen ihrer Aktivitäten sind überall auf der Welt zu beobachten — ich habe erlebt, wie ihre Argumente in Australien, Kanada, Indien, Russland und Großbritannien endlos wiederholt wurden.
Indem sie die Mediendebatte über den Klimawandel seit sieben oder acht Jahren, in denen dringende internationale Gespräche hätten stattfinden sollen, dominieren, indem sie ständig Zweifel über Forschungsergebnisse säen, die doch höchst überzeugend hätten sein sollen, haben sie die finanziellen Investitionen ihrer Sponsoren mehr als gerechtfertigt.
Ich denke, es ist fair zu sagen, dass die Industrie der Leugner effektive Maßnahmen gegen den Klimawandel um mehrere Jahre verzögert hat.
Mit alldem will ich keineswegs den Eindruck erwecken, dass die Wissenschaft nicht einer ständigen skeptischen Überprüfung bedarf oder dass Umweltschützer nicht zur Verantwortung gezogen werden sollten. Die Wissenschaft macht nur Fortschritte, wenn ihre Erkenntnisse immer wieder infrage gestellt werden.
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Klimaschützer haben kein größeres Recht, sich zu irren, als irgendjemand sonst:
Wenn wir die Öffentlichkeit in die Irre führen, sollten wir damit rechnen müssen, dass wir bloßgestellt werden. Und natürlich müssen wir auch wissen, dass wir nicht unsere Zeit verschwenden: Es wäre ziemlich sinnlos, unser Leben dem Kampf gegen ein Problem zu widmen, das überhaupt nicht existiert.
Aber die Leute, die von Exxon bezahlt werden, sind nicht die »Klimaskeptiker«, als die sie sich ausgeben. Ihr Verhalten passt nicht zur üblichen Definition eines »Skeptikers«: »Ein Sucher nach der Wahrheit; ein Fragender, der noch keine endgültige Antwort gefunden hat.«128 Sie sind Teil einer Public-Relations-Industrie, die mit einer Antwort beginnt und dann Argumente zur Unterstützung dieser Antwort entwickelt.
Ich will damit auch nicht sagen, dass der gesamte politische Widerstand gegen Maßnahmen zum Klimaschutz ausschließlich auf das Konto dieser Leute geht. Die US-Regierung braucht beispielsweise keine Hilfe von Exxon, um die internationalen Klimaverhandlungen zu sabotieren. Einer der Gründe, warum professionelle Leugner des Klimawandels sich so erfolgreich in den Medien breitmachen konnten, ist die Tatsache, dass die Leute die Geschichte hören wollen, die sie zu erzählen haben.
In einer Hinsicht ist fast jeder — die Klimaschützer eingeschlossen — ein Leugner des Klimawandels. Wir alle möchten gern glauben, dass die Ziele, die sich einige der progressiveren Regierungen gestellt haben, realistische Mittel sind, die globale Erwärmung zu verhindern. Großbritannien beabsichtigt beispielsweise, die Kohlendioxidemissionen bis 2050 um 60 Prozent zu reduzieren. Dies ist weltweit eins der ehrgeizigsten Ziele. Und doch ist es nahezu nutzlos, wie ich hoffentlich mit meinen bisherigen Ausführungen zeigen konnte.
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Aber die meisten Berichte der größeren Umweltschutzorganisationen über den Klimawandel versuchen zu demonstrieren, dass dieses Ziel ohne größere ökonomische Verluste erreicht werden kann. Ob das gelingt oder nicht, ist aber völlig irrelevant, denn dieses Ziel ist falsch. Nur hat keine Umweltschutzorganisation bisher gesagt, dass wir eine Reduktion von Treibhausgasen erreichen müssen, wie sie von der Wissenschaft gefordert wird.
Der Chefwissenschaftler der britischen Regierung, Sir David King, war so heroisch, die Aufmerksamkeit auf die Gefahren des Klimawandels zu lenken, und er ist deswegen heftig kritisiert worden. Im Oktober 2004 erklärte er in einer Rede:
An welchem Punkt wird also das Grönlandeis zu schmelzen beginnen? Nach neuesten Angaben wird dieser Punkt erreicht sein, wenn die Temperatur rund um die Landmasse von Grönland um 2,7 Grad über dem vorindustriellen Niveau liegt... Über welche Konzentration von Kohlendioxid dürfen wir folglich nicht hinausgehen, wenn wir diese Theorie über das Abschmelzen der grönländischen Eisdecke nicht auf die Probe stellen wollen? ... Früher habe ich gesagt, es sind 550 ppm, aber jetzt denke ich, das könnte noch zu viel sein. Also reden wir über eine Konzentration von 500 ppm als den Grenzwert, den wir nicht überschreiten sollten.129
Im September 2005 nahm ich an einer Konferenz in London teil, auf der Sir David einen Vortrag hielt. Er sagte den Teilnehmern, ein vernünftiges Ziel für die Stabilisierung der Kohlendioxidemissionen sei ein Grenzwert von 550 ppm. Dies entspricht zufällig dem Grenzwert, den die britische Regierung genannt hat. Eine geringe Konzentration zu fordern sei »unrealistisch«, erklärte er.130)
Simon Retallack vom <Institute for Public Policy Research> stand auf und erinnerte Sir David daran, dass seine Pflicht als Chefwissenschaftler nicht darin bestehe, die politische Realität zu repräsentieren, sondern die wissenschaftliche Realität. Retallacks eigene Arbeit zeigt, dass wir bei 550 ppm nur eine Chance von 10 bis 20 Prozent haben, eine globale Erwärmung von mehr als 2 Grad zu verhindern.131) Sir David antwortete, wenn er einen tieferen Grenzwert empfähle, dann würde er seine Glaubwürdigkeit bei der Regierung verlieren.
Ich denke, viele Leute empfinden so wie er: Niemand würde sie ernst nehmen, wenn sie die Position der Wissenschaft und nicht die Position der Politik verträten.
Aber der Gedanke, der mir die meisten Sorgen macht, ist dieser:
Wenn die Menschen in den reichen Ländern — Akademiker eingeschlossen — aufwachen und beginnen, die Aussagen der Wissenschaft ernst zu nehmen, dann wird eine Leugnung des Klimawandels genauso unsinnig erscheinen wie eine Leugnung des Holocaust oder das Beharren darauf, dass man Aids mit Rote Bete heilen kann.
Doch unsere Reaktion wird darin bestehen, dass wir die Regierung zwar zum Handeln auffordern, aber insgeheim hoffen, dass sie nicht aktiv wird. Wir werden uns wünschen, dass unsere Regierungen nur so tun, als würden sie handeln. Das gibt uns die moralische Befriedigung, zu sagen, was wir als richtig erkannt haben, ohne die Unbequemlichkeit der konsequenten praktischen Umsetzung ertragen zu müssen.
Ich fürchte, die politischen Parteien in den meisten reichen Nationen haben das schon erkannt. Sie wissen, dass wir restriktive Ziele wollen, uns aber gleichzeitig wünschen, dass diese Ziele nicht erreicht werden. Sie wissen, dass wir murren werden, weil die Politik darin versagt, dem Klimawandel Einhalt zu gebieten, dass wir deswegen aber nicht auf die Straße gehen werden. Sie wissen, dass noch nie irgendjemand für selbst auferlegte Entbehrungen demonstriert hat.
Das ist ein düsterer Gedanke. Aber er bestärkt mich in meiner Überzeugung, dass wir die notwendigen Veränderungen so schmerzlos wie möglich gestalten müssen.
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George Monbiot 2006 Heat Hitze Burning