Klimaoptimist  # Industrie der Leugner (Monbiot) #  Start    Weiter

26   Wer im Treibhaus sitzt, sollte nicht lügen 

Flannery-2005

Die Öl-Achse des Bösen - Fred Palmers Dünger erfreut Bush senior - Fälscher im Weißen Haus -  Bush oder Attila - Koalitionen gegen das Klima mit 60 Millionen Dollar.
Hegel’sche Dialektik und die getürkte Leipziger Erklärung - Von den Mühen der Einstimmigkeit - DuPont und der wundersame Lord Browne of Madingley retten die Welt - Klare Worte in Davos

Der Teufel kann sich auf die Schrift berufen. Ein arg Gemüt, das heil'ges Zeugnis vorbringt, Ist wie ein Schalk mit Lächeln auf der Wange, 
Ein schöner Apfel, in dem Herzen faul.  O wie der Falschheit Außenseite glänzt!   (Shakespeare, Der Kaufmann von Venedig)

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In den USA und besonders bei der zweiten Regierung Bush und ihren Förderern aus der Industrie regt sich der Widerstand gegen die Reduktion von Treib­haus­gasen am heftigsten. Der amerikanische Energiesektor wird dominiert von etablierten, finanziell bestens ausgestatteten Firmen, die ihren Einfluss dazu nutzen, ...

Dass die USA in den siebziger Jahren bei der Energieeinsparung, der Photovoltaik und der Windkraftnutzung die innovativen Weltmarktführer waren, heute aber Nachzügler sind, bezeugt den Erfolg der Kampagnen. 

Man kann kaum überschätzen, welche Rolle diese Industriebetriebe dabei gespielt haben, im Lauf der letzten beiden Jahrzehnte die Welt von ernsthaften Maßnahmen gegen den Klimawandel abzuhalten.

Diese Kämpfe werden ebenso sehr auf dem Schlachtfeld der öffentlichen Meinung und der politischen Manöver hinter verschlossenen Türen ausgetragen wie an der Börse, und die Industriepropaganda ist größtenteils sehr clever. Im öffentlichen Bewusstsein sind die Gefahren eines Klimawandels nun schon seit mehreren Jahrzehnten präsent. Bereits 1977 titelte die <New York Times>: »Wissenschaftler befürchten, dass vermehrter Kohleverbrauch das Klima nachteilig verändert.«41  

Doch erst Ende der achtziger Jahre — als das Protokoll von Montreal zeigte, dass man schädliche Emissionen reduzieren kann, und die Notwendigkeit der Reduktion von Treibhausgasen klar wurde — begann die Industrie mit ihrem Propagandakrieg. Mit als Erste zogen die amerikanischen Kohleproduzenten in die Schlacht.

Fred Palmer, damals Chef von Western Fuels (heute Vizepräsident von Peabody, dem weltgrößten Kohleproduzenten), startete eine Kampagne, bei der er — offensichtlich aus persönlicher Überzeugung — behauptete, dass es der Erdatmosphäre »an Kohlendioxid mangelt« und mehr davon zu produzieren in ein Zeitalter des ewigen Sommers führen würde. Nicht viel anders, als würde der Vorstands­vorsitzende einer Rüstungsfirma argumentieren, ein Atomkrieg wäre gut für den Planeten, wollte Western Fuels dazu beitragen, eine Welt zu erschaffen, deren Atmosphäre rund 1000 Teile CO2 pro Million enthält.42

Palmers Ansichten bildeten die Grundlage für das Propagandavideo <The Greening of Planet Earth>, dessen Produktion eine viertel Million Dollar kostete und das den Plan verbreitete, die Welt mit CO2 zu »düngen«, um die Ernteerträge um 30 bis 60 Prozent zu steigern und damit dem Hunger global ein Ende zu machen.

Während Wissenschaftler über so absurde und schamlose Behauptungen nur lachen konnten, wurden große Teile der Öffentlichkeit in die Irre geführt. <The Greening of Planet Earth> zirkulierte 1992 im Vorfeld des Rio-Umweltgipfels in Washington, und zu den Zuschauern zählten der erste Präsident Bush und sein Stabschef John Sununu.

Ross Gelbspan, ehemaliger Herausgeber des <Boston Globe> und Autor eines Buches über die Motive und die industrielle Unterstützung der Klimawandel-Skeptiker, fand heraus, dass das Video in Washington deutliche Wirkung zeigte. Es sei, behauptet er, Sununus »Lieblingsfilm« gewesen, und James Watkins, Energieminister von Bush senior, zitierte es in Interviews über den Klimawandel als glaubwürdige Quelle.43

* (d-2015:)  Ross Gelbspan bei detopia      wikipedia  Information_Council_on_the_Environment  *1991 in den USA, Lobbyorganisation

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Mit der Wahl von George W. Bush bekamen die Lobbyisten der fossilen Brennstoffe noch mehr Einfluss, und sie schafften es, Vorgänge innerhalb der Bundes­bürokratie und auch die Auswahl wissenschaftlicher Berater zu beeinflussen. Im Juni 2005 enthüllte die <New York Times>, auf welche Weise das unter anderem geschieht. 

Philip A. Cooney, Berater Bushs und ein die Reglementierung von Treibhausgasen bekämpfender Ölindustrie-Lobbyist, entfernte oder veränderte Ergebnisse der Klimaforschung, die Regierungswissenschaftler und ihre Vorgesetzten (einschließlich höherer Vertreter der Regierung Bush) bereits gutgeheißen hatten. Viele von Cooneys Änderungen tauchten in den abschließenden Berichten auf, und alles in allem bewirkten sie, dass die Besorgnis wegen des Klimawandels beschwichtigt wurde.44

Laut der jüngsten Zählung waren es ein Dutzend wichtiger Berichte über den Klimawandel, die vom Weißen Haus verändert, unterdrückt oder verworfen wurden; dazu zählten eine zehnjährige, wissenschaftlich überprüfte Untersuchung des IPCC, die noch von Bush senior in Auftrag gegeben worden war, Studien der National Academy of Sciences, der National Oceanic and Atmospheric Administration und der NASA.45 Im September 2002 veröffentlichte das Weiße Haus einen Jahresbericht der Umweltschutzbehörde, in dem der gesamte Abschnitt über den Klimawandel getilgt worden war.

Dass in der US-Regierung so viele mit dem Unsinn sympathisieren, den Fred Palmer und seinesgleichen in die Welt setzen, spiegelt nicht notwendigerweise die Intelligenz der Beteiligten, sondern vielmehr deren Käuflichkeit wider. Im Jahr 2000 spendeten Kohlefirmen 20 Millionen Dollar für die Republikaner, und seither haben sie noch einmal 21 Millionen draufgelegt, was sicherstellt, dass die Industrie zu Vizepräsident Cheney und seinem geheimen Energieausschuss Zugang hat wie nie zuvor.46

Quin Shea, ein Lobbyist des Edison Electric Institute, berichtete 2001 hinter verschlossenen Türen, die Regierung Bush versuche, »auf Biegen und Brechen mehr Kohle zu verbrennen ... Die Kohle ist unser Freund«, und um das tun zu können, würde sie die Vorgaben des Gesetzes über saubere Luft und sauberes Wasser kippen. Darin sei diese Regierung so gut, wie die Industrie sich nur wünschen könne, witzelte Shea, denn es könne ja einige Zeit dauern, ehe sie wieder einmal einen Präsidenten wie »Bush oder Attila, den Hunnen« bekommt.47

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Versuche der Wirtschaft, die Politik zu beeinflussen, beschränken sich nicht auf die USA. 

Australien ist der weltweit größte Kohleexporteur, und auch in diesem Land waren die Geschäftemacher aktiv. Rio Tinto, die weltgrößte Bergbau­gesellschaft, besitzt australische Kohlegruben und verbraucht auch unendliche Mengen Energie für die Erzverarbeitung. Der Cheftechniker von Rio Tinto, Dr. Robert Batterham, wurde von der Regierung Howard zum australischen Chefwissenschaftler ernannt, und in dieser Funktion beriet er sie in Fragen wie beispielsweise dem Klimawandel. 

Was die Antipathie der australischen Regierung gegenüber der Reduktion von Emissionen angeht, war vielleicht die Ernennung von Senator Warwick Parer zu Howards Bergbau- und Energieminister im Jahr 1996 von noch größerer Bedeutung. Ehe er in die Politik ging, führte Parer die Geschäfte von Utah Mining, einem der größten Kohleproduzenten Australiens. In den australischen Senat kam er 1984, blieb aber Vorsitzender des Queensland Coal Mine Management, bis er Minister wurde.  

Im März 1998 kam heraus, dass er für zwei Millionen Dollar Aktien von drei Kohlegruben in Queensland besaß. Das war ein Verstoß gegen den Verhaltens­kodex für Minister, aber Parer (der seinen Pressereferenten feuerte, weil dieser Aktienbesitz nicht angegeben hatte) durfte seinen Stuhl behalten. Erst im Oktober desselben Jahres trat er still als Minister zurück, und im Februar 2000 verabschiedete er sich auch aus dem Senat.48 Seinen Einfluss behielt er aber nach wie vor, denn die Regierung Howard beauftragte ihn anschließend, den Energiesektor zu überwachen.

Aber nicht allein die Kohleindustrie hat die Gefahren des Klimawandels verzerrt dargestellt. Den größten Schaden richtete vielleicht die <Global Climate Coalition> an, eine Industrielobby, die 1989 von 50 Öl-, Gas-, Kohle-, Auto- und Chemiefirmen gegründet worden war. Während der elf Jahre ihrer Existenz spendete die Organisation 60 Millionen Dollar für politische Zwecke, und noch viel mehr Millionen gab sie für Propaganda aus. Der erklärte Zweck der Global Climate Coalition bestand darin, »Zweifel an der Theorie der globalen Erwärmung zu erwecken«.49

Sie streute Skepsis und falsche Informationen, wo immer sie konnte, und zu den erfolgreich von ihr verbreiteten Schreckensmeldungen zählte die Behauptung, dass Maßnahmen gegen den Klimawandel den Benzinpreis in den USA um 50 Cent pro Gallone (knapp vierzehn Cent pro Liter) hochtreiben würden. Ihre Glanzleistung war jedoch ihr Beitrag dazu, dass 1992 beim Umweltgipfel in Rio keine effizienten Maßnahmen beschlossen wurden, um alle Menschen vor den Auswirkungen des Klimawandels zu schützen.

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Als sich die wissenschaftlichen Beweise für den Klimawandel zu häufen begannen, überdachten einige Mitglieder den Daseinszweck der Global Climate Coalition. DuPont trat 1997 aus: Vermutlich hatte die Firma aus den Erfahrungen mit dem Montreal-Protokoll gelernt, dass Umweltschutzvorschriften gut fürs Geschäft sein können. Ein paar Monate später verabschiedete sich auch BP. Kurz nach dieser Entscheidung sagte der BP-Vorstandsvorsitzende Lord Browne of Madingley: »Was den Klimawandel angeht, sind wir sozusagen aus der Kirche ausgetreten. Und es ist fast unglaublich, wie viel Unterstützung wir innerhalb der Firma für die von uns eingenommene Position erhalten haben.«50

Als auch noch Texaco die Global Climate Coalition verließ, brach sie im März 2000 auseinander; es waren nur noch so wenige Mitglieder verblieben, dass sie nicht mehr effizient arbeiten konnte. Bis zum bitteren Ende blieben unter anderem Exxon, Mobil, Chevron und General Motors. 

Die Webseite der Organisation ist jedoch immer noch aktiv, und sie ist mit irreführendem Material voll gestopft wie eh und je. Wenn ich sie aufsuche, verblüfft mich ihre Ähnlichkeit mit einem Dinosaurier, dessen Gehirn irreparabel geschädigt ist, der aber noch immer weitertaumelt und auf dem Weg zu seinem Grab Verwüstungen anrichtet.

Wie gespalten die Industrie in der Frage des Klimawandels ist, zeigte sich Anfang 2000 im schweizerischen Davos, als Weltwirtschaftsführer erklärten, der Klimawandel sei die größte Bedrohung für die Welt. Später im selben Jahr ergab eine Umfrage unter Chefs der »Fortune 500«, dass 34 Prozent eine Ratifizierung des Kyoto-Protokolls befürworteten und nur 26 Prozent dagegen waren.51 Allmählich zeigt auch die Industrie positive Reaktionen, so etwa eine Koalition sieben großer amerikanischer Energie- und Industrieunternehmen, die die Partnership for Climate Action ins Leben riefen, die sie alle dazu verpflichtet, ihre Emissionen unter die nationalen Zielvorgaben von Kyoto zu senken. 

Das sind ermutigende Nachrichten. Gleichzeitig sind aber weltweit reaktionäre Gruppen aus dem Boden geschossen, die die Lücke füllen, welche die Implosion der <Global Climate Coalition> hinterlassen hat.

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Eine der einflussreichsten ist die in Australien ansässige <Lavoisier Group>; sie wurde im April 2000 gegründet und hielt einen Monat später ihre erste Konferenz unter der Leitung von Peter Walsh ab, ehemals Finanzminister der Regierung Hawke. Die Eröffnungsrede hielt Hugh Morgan, damals Vorstands­vorsitzender der Western-Mining-Corporation, einer der größten Bergbaugesellschaften Australiens und jetzt Teil von BHP. 

Zu den zahlreichen ungeheuerlichen Behauptungen der <Lavoisier Group> zählt, dass es sich beim IPCC um eine trickreiche Verschwörung Hunderter von Klima­forschern handele, die ihre Ergebnisse fälschten, um ihre Forschungsgelder zu behalten. (Diese auf einzigartige Weise verlogene Behauptung scheint, nebenbei gesagt, ihren Widerhall bei Michael Crichton gefunden zu haben, in dessen Roman <Welt in Angst> sie ein wichtiges Thema darstellt.)

 

Zu den diversen anderen Gruppierungen, die den Klimawandel anzweifeln, zählen Fred Palmers Greening-Earth-Society, Frontiers-of-Freedom (gegründet von dem republikanischen Senator Malcolm Wallop aus Wyoming), die Cooler-Heads-Coalition (die für die Webseite globalwarming.org  verantwortlich ist), das Institute-of-Public-Affairs (eine rechtslastige Denkfabrik in Melbourne) und das US-amerikanische Science-and-Environment-Policy-Project, das lange Zeit Kontakte zu Fred Singer unterhielt, einem Mitglied von Sun-Myung-Moon's Sekte. 

Eine kurze Google-Suche unter dem Stichwort »Klimawandel« fördert weitere Beispiele zu Tage, unter anderem »Mythen von der globalen Erwärmung« von biblebelievers.org.au  und »Vergloballhornung Erwärmung« von Liberty-Australia.52 Bei beiden erfahren wir, dass die globale Erwärmung eine Ente sei, an die die meisten Wissenschaftler nicht glaubten, und dass »die dahinter stehenden Kräfte ... diesen Mythos im Sinn der Hegel'schen Dialektik« einsetzen.53

So ein Kauderwelsch wird häufig benutzt, um den Laien, der das liest, zu verwirren, manchmal treiben es diese Gruppen aber noch viel wüster.

Die <Leipziger Erklärung> ist dabei ein besonders interessanter Fall. Dieses von Fred Singer verfasste Dokument tauchte 1995 auf und trug angeblich die Unterschriften von 79 Wissenschaftlern führender Universitäten, die die Ansicht verträten, dass der Klimawandel keine Bedrohung darstelle. 

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Nachforschungen ergaben jedoch, dass die Mehrheit der Unterzeichner gar keine Wissenschaftler waren oder sie die Erklärung gar nicht unterzeichnet hatten.54 Skepsis ist ein unverzichtbares Element der Wissenschaft, wenn dahinter aber die Absicht steckt, in die Irre zu führen statt aufzuklären, haben wir es nicht mit Skepsis zu tun, sondern mit Betrug.

Einige Industrieunternehmen, die Maßnahmen gegen den Klimawandel ablehnen, bedienen sich einer Taktik, die an jene der Asbest- und Tabakfirmen erinnert, die ständig Forschungsergebnisse über den Zusammenhang zwischen ihren Produkten und Krebs in Zweifel zogen oder verheimlichten und sich damit erfolgreich ein paar weitere Jahrzehnte fetter Profite sicherten.

Asbest und Zigaretten können Menschen töten, CO2-Emissionen aber bedrohen unseren Planeten. Die Fred Palmers dieser Welt haben sich bereits zwei Jahrzehnte fetter Profite gekauft, aber die Kosten sind für den Rest der Menschheit astronomisch. Ein weiteres Jahrzehnt solcher Profite könnte uns die Erde kosten.

Verabschieden wir uns von diesem Katalog der Unverschämtheiten und wenden wir uns der Arbeit des Intergovernmental Panel on Climate Change zu.

 

Das IPCC ist keine industrielle Interessengruppe oder Lobby. Es wurde 1988 gegründet und ist eine gemeinsame Tochter des UN-Umweltprogramms (UNEP) und der Weltorganisation für Meteorologie (WMO). An seiner Arbeitsweise zeigt sich, wie die Industrie mit Hilfe von Delegierten die lebenswichtige Tätigkeit der Organisation bremst und behindert. Der Third Assessment Report (TAR, »3. Lagebericht«) des IPCC wurde 2001 veröffentlicht; er beruht auf der Arbeit von 426 Experten, deren Schlussfolgerungen (zweifach) von 440 Gutachtern kontrolliert und von 33 Herausgebern überwacht wurden, ehe sie schließlich von Delegierten aus 100 Ländern gutgeheißen wurden. Wie Sie vielleicht vermuten, ist der Bericht so fade wie Spülwasser und beschränkt sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner.

Um zu begreifen, warum das so ist, muss man den modus operandi und die Mitglieder des IPCC kennen. Letztere setzen sich aus Wissenschaftlern, anderen Experten und Regierungsvertretern zusammen, und obwohl die Industrie selbst nicht direkt vertreten ist, verschafft sie sich mit Hilfe der Regierungsvertreter aus von fossilen Brennstoffen abhängigen Ländern wie etwa den USA oder jenen des Nahen Ostens effizient Gehör.

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Die einzigartige Struktur des IPCC ermöglicht es diesen Delegierten, ungebührlich großen Einfluss zu nehmen, denn die Organisation verlangt Einstimmigkeit. Ende 2004 traf ich am Hadley Centre Wissenschaftler, die Mitglieder des IPCC waren. Sie berichteten von nervtötenden Tagen, an denen über vereinzelte, offensichtlich unwichtige Wörter oder Sätze gestritten wurde. Jedes Wort in den Mammutberichten dieser Organisation, versicherten sie mir, war diskutiert worden: Mit Saudi-Arabien, den USA und China — jeweils dem größten Ölexporteur, Ölverbraucher und Kohleverheizer der Welt —, die alle geflissentlich den Text zu verwässern und den Fortschritt zu bremsen versuchten.

Jeremy Leggett, Zeuge der Verhandlungen, die zum Bericht von 2001 führten, berichtet, dass auf die Frage nach den Gründen für die verlangten Abänderungen der Vorsitzende der saudi-arabischen Delegation, Mohammed al-Sabban, antwortete: »Saudi-Arabiens Öleinnahmen machen 96 Prozent unserer Gesamtexporte aus. Solange es keinen eindeutigeren Beweis dafür gibt, dass Menschen etwas mit dem Klimawandel zu tun haben, werden wir nichts unterschreiben, was auf eine Besteuerung von Öl hinausläuft.«55

Solche Einstellungen demoralisieren die engagierten Experten, die wissen, dass das Schicksal unseres Planeten auf dem Spiel steht. Im Endergebnis stellen die Erklärungen des IPCC keine Mainstream-Wissenschaft dar, noch nicht einmal gute Wissenschaft, sondern bloß die Wissenschaft des kleinsten gemeinsamen Nenners — und natürlich werden sie auch noch im Gletschertempo verkündet.56  

Doch trotz dieser Mängel haben die Berichte des IPCC, die alle fünf Jahre herauskommen, bei den Medien und Regierungen Gewicht, eben weil sie widerspiegeln, worüber Einigkeit besteht. Wenn das IPCC etwas verkündet, glaubt man es besser und denkt sich dabei, dass in Wirklichkeit die Lage höchst­wahrscheinlich noch viel schlimmer ist.

Was ist mit den Industrieunternehmen, die aktiv etwas gegen den Klimawandel tun? 

Als eines der Ersten brach BP mit der Global-Climate-Coalition, und Lord John Browne vertritt seit langem beim Klimawandel eine hellsichtige, leidenschafts­lose Ansicht. Unter seiner Führung ist BP »Beyond Petroleum« gegangen. Das Unternehmen hat seine eigenen CO2-Emissionen um 20 Prozent reduziert — und damit Profit gemacht. BP zählt heute auch zu den weltweit größten Herstellern von Solarzellen. Lord Browne glaubt: »Die Reduktion von Treibhausgas-Emissionen ist ein lösbares Problem, und es ist jetzt an der Zeit, über die Debatte von Kyoto hinauszugehen.«57

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Diese Entschlossenheit, dem Klimawandel deutlich die Stirn zu bieten, muss im umfassenderen Kontext des britischen Engagements für die Umwelt gesehen werden, und das beginnt mit James Lovelock.  

Als erfolgreicher, unabhängiger Gelehrter und Wissenschaftler nötigte Lovelock jenen Respekt ab, die die ganze Welt als freien Markt betrachten, und er war es, der Premierministerin Margaret Thatcher davon überzeugte, das Thema ernst zu nehmen. Lange bevor viele Umweltschützer sich des Klimawandels überhaupt bewusst wurden, riet Mrs. Thatcher zu einer Reduktion der CO2-Emissionen.

Ihr Nachfolger Tony Blair gehört zwar zum anderen Flügel des politischen Spektrums, ist aber sogar noch aktiver geworden. Faktisch hat er von allen gegenwärtigen Politikern die wissenschaftlichen Zusammenhänge am besten begriffen. Kürzlich stellte er in einer Rede vor der britischen Industrie fest:

Die Emission von Treibhausgasen ... führt zur globalen Erwärmung in einem Tempo, das zu Anfang signifikant war, dann alarmierend geworden ist und langfristig unerträglich wird. Und mit langfristig meine ich nicht kommende Jahrhunderte. Ich meine damit, bestimmt innerhalb der Lebensspanne meiner Kinder, möglicherweise innerhalb meiner eigenen. Und mit <unerträglich> meine ich nicht ein Phänomen, das Anpassungsprobleme aufwirft. Ich meine eine Herausforderung, die so weitreichende Folgen hat und deren zerstörerische Kraft so irreversibel ist, dass sie die menschliche Existenz radikal verändert... Es kann keinen Zweifel geben, dass jetzt die Zeit zum Handeln ist.58 

Im Jahr 2003 waren die britischen CO2-Emissionen um 14 Prozent unter den Wert von 1990 gefallen, sodass die geforderte Reduktion von 20 Prozent bis 2010 in Reichweite gerückt ist. Darüber hinaus ist die British Royal Commission on Environmental Pollution in ihrem Report on Energy zu dem Schluss gekommen, dass das Vereinigte Königreich seine Emissionen bis 2050 um 60 Prozent reduzieren muss, und das wird ernst genommen. Tony Blair sagte: »Im nachhaltigen Wachstum und im Übergang zu einer den Kohlenstoff reduzierenden Wirtschaftsweise liegen unermessliche geschäftliche Möglichkeiten.«

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Diese Ansicht bestätigen die 36 Prozent britischen Wirtschaftswachstums in derselben Zeit, in der die Emissionen um 15 Prozent zurückgingen.59 Wichtige Meilensteine dieser Entwicklung waren unter anderem die Einrichtung des Carbon Trusts (der Unternehmen hilft, ihren Energieverbrauch zu senken), die Verpflichtung der Stromversorger, 15,4 Prozent ihrer Energie aus erneuerbaren Quellen zu liefern, und erhebliche Investitionen in die Entwicklung von Wellen- und Gezeitenkraftwerken.

Großbritannien denkt auch darüber nach, seine Kernkraftkapazitäten auszubauen, und da das Land Anfang 2005 den Vorsitz bei den G8 übernommen hat, hofft man, dass es weitere Initiativen zur Bekämpfung des Klimawandels geben wird. Im Januar 2005 gab Blair in Davos dem Weißen Haus zu verstehen, dass Bush, wenn er auf weitere Unterstützung für seinen Krieg gegen den Terror hoffen wolle, auch den Krieg gegen den Klimawandel unterstützen müsse.

Überall auf der Welt nimmt die Mehrheit der Industrieunternehmen und Regierungen eine mittlere Position zwischen Bush und Blair ein, und eine große, wenn auch informelle Gruppe von Firmen verändert langsam ihre Einstellung. Selbst Unternehmen, die mit fossilen Brennstoffen Geschäfte machen, bestreiten nicht länger — wenigstens öffentlich — die Richtigkeit der Klimavorhersagen.

Stattdessen aber versuchen sie die Öffentlichkeit zu beruhigen, dass das Thema nicht so dringlich sei. Es blieben der Welt noch mindestens 20 Jahre - behaupten sie - ehe man etwas ändern müsse, und bis dahin werden die Dinge schon begonnen haben, »sich von selbst zu bereinigen«.

Einige argumentieren sogar, die Welt könne den Kuchen essen und ihn trotzdem behalten: Wir könnten all unsere fossilen Energieträger verbrennen und noch immer einen Klimawandel vermeiden. Von dieser Behauptung hängt viel ab, denn wenn sie sich als falsch herausstellt, dann ist jedes Kilo Kohlenstoff, das aus dem Boden geholt wird, angesichts des heutigen Technologiestands ein unwiderruflicher Schritt in Richtung auf ein feindseliges geologisches Zeitalter — eines, in dem die Zivilisation um ihr Überleben kämpfen wird. 

Jetzt ist es an der Zeit zu prüfen, wie sich die Industrie vorstellt, dass unser Kuchen zugleich gegessen und behalten werden kann, ohne dass wir vor einem Teller Mist sitzen bleiben.

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Prof. Tim Flannery 2005