Teil 2/1970        Start    Weiter 

7 - Massenproduktion und menschliche Automation

Mumford-1970

 

 Das Pentagon der Macht (523)   Mechanische Mobilisierung  (529)   Aufhebung der Grenzen  (532)   Der Triumph der Automation (535) 

Sand im Getriebe  (539)   Das Paradoxon der Automation  (541)   Zwänge und Nötigungen (547)   Endstadium: Das große Gehirn  (550)    Vorwärts nach <Nirgendwo>  (557)

 

    Das Pentagon der Macht  

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Bis jetzt habe ich versucht, das Zusammenwirken menschlicher Interessen und technologischer Eigendynamik aufzuzeigen, die sich nach dem sechzehnten Jahrhundert verbündeten, um die westliche Zivilisation zu beherrschen. Mit der Zeit verschmolzen diese Kräfte im Unbewußten zu einem wiederbelebten Mythos der Maschine. Wie beim frühen Mythos ließe sich dieser soziale und technologische Wandel als massiver praktischer Versuch rechtfertigen, menschliche Bedürfnisse zu erfüllen und den materiellen Reichtum zu vermehren; unterschwellig aber war es ein zutiefst subjektiver und eher zwanghafter Trieb zur »Eroberung der Natur« und zur Beherrschung des Lebens, zur »Verwirklichung aller Dinge, die möglich sind«.

Ich will nun zeigen, wie die neuen Ideen von Ordnung, Macht und Vorhersagbarkeit, die das neue mechanische Weltbild beherrschten, in jeden Bereich menschlicher Tätigkeit eindrangen. Im Laufe der letzten vier Jahrhunderte wurde die alte Tradition der Polytechnik durch ein System ersetzt, das der Maschine mit ihren repetitiven Bewegungen, ihren entpersönlichten Prozessen und ihren quantitativen Zielen den Vorrang gab. Die spätere Erweiterung dieser technischen Möglichkeiten durch die Elektronik hat nur die Reichweite und den Zwang des Systems vergrößert.

Ein Teil dieser Geschichte ist heute so gut bekannt, daß man zögert, auch nur ihre wichtigsten Züge zu rekapitulieren. Nach dem sechsten Jahrhundert wurden in Westeuropa einige der unerträglichsten Charakteristika der alten Megamaschine eliminiert, hauptsächlich durch die Vergeistigung der Machtmotive in der römisch-katholischen Kirche und durch die Verwandlung lebenslangen Dienens in einen freiwilligen Akt des demütigen Christen. Diese teilweise Transformation, die auch die lebenslange Arbeitsteilung lockerte, wurde zunächst im Benediktinerkloster vollzogen.

Die asketischen Regeln der Mönchsorden förderten die Entwicklung der Maschine, ihre strenge Zeiteinteilung und die sorgfältige Kontrolle über Geld und Güter griff schrittweise auf andere bürokratische Organisationen, private wie öffentliche, vom Handel bis zur Steuereintreibung, über, bis sie im sechzehnten Jahrhundert den Stil der Handelsfirma und der Staatsverwaltung bestimmte.


Schließlich wurde das grundlegende Modell aller drei Arten von Reglementierung — der militärischen, der klösterlichen und der bürokratischen — durch das Fabriksystem in die Großindustrie eingeführt. Auf diese kumulative mechanische Organisation, nicht auf die Dampfmaschine, war das schnelle Anwachsen der industriellen Kapazität nach 1750 zurückzuführen.

Obwohl ein beträchtlicher Teil dieser Transformation in rein technischen Kategorien interpretiert werden kann, darf man nicht übersehen, daß die zunehmende Übersetzung sowohl der politischen als auch der ökonomischen Macht in rein quantitative Begriffe — hauptsächlich in Begriffe von Geld — eine Veränderung der Motivation zur Folge hatte. Physische Macht, als Zwang auf andere Menschen angewandt, stößt bald auf natürliche Grenzen: Wenn man zuviel Zwang ausübt, stirbt das Opfer. Das gleiche gilt für materielle Güter oder Sinnesfreuden. Ißt man zuviel, dann leidet man an Verdauungsstörungen oder ist durch Korpulenz überfordert; gibt man sich der Sinnenlust zu ausgiebig hin, nimmt die Genußfähigkeit ab und erlischt schließlich.

Wenn aber menschliche Funktionen in abstrakte, gleichförmige Einheiten, letztlich in Einheiten von Energie oder Geld, verwandelt werden, dann gibt es keine Grenzen für das Maß an Macht, die angeeignet, umgewechselt und gehortet werden kann. Die Eigenart des Geldes besteht darin, daß es keine biologischen Grenzen und keine ökologischen Einschränkungen kennt. Als der Augsburger Financier Jakob Fugger der Ältere gefragt wurde, wann er soviel Geld haben würde, daß er kein Verlangen nach mehr Geld verspürte, antwortete er, wie es alle großen Geldleute stillschweigend oder offen tun, er glaube nicht, daß dies jemals der Fall sein würde.

So war die Umwandlung der traditionellen Polytechnik in eine einheitliche, allumfassende Monotechnik zugleich die Trans­formation einer begrenzten Güterwirtschaft, die auf einer Vielfalt natürlicher Funktionen und menschlicher Lebens­bedürfnisse beruhte, in eine Machtwirtschaft, deren Symbol und Mittelpunkt das Geld ist. Diese Transformation hatte Tausende Jahre erfordert, und doch gibt es heute noch Milliarden Menschen, die außerhalb dieses Systems stehen und deren Tätigkeiten vor anderen Motiven bestimmt sind. Gemünztes Geld, ein großer Schritt zm quantitativen Abstraktion, war eine relativ späte Erfindung (siebentes vorchristliches Jahrhundert), und normierte, umwechselbare Geldeinheiten' entstanden noch viel später; indessen waren Papiergeld und Kreditwesen in dem heute praktizierten Ausmaß unvorstellbar, solange es keine schnellen Verkehrs- und Nachrichtenmittel gab.

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Dieser historische Prozeß kann in einer kurzen Formel zusammengefaßt werden: Manuelle Arbeit wird zu Maschinenarbeit: Maschinenarbeit zu Papierarbeit; Papierarbeit zu elektronischer Simulierung von Arbeit, die sich fortschreitend von allen organischen Funktionen und menschlichen Zwecken loslöst, mit Ausnahme jener, die das Machtsystem fördern.

Eine abstrakte Bewertung von Gütern und Dienstleistungen in feststehenden Geldeinheiten — Gewichten und Hohlmaßen, wenn nicht schon Münzen — hatte in der frühesten Machtwirtschaft eine Rolle gespielt und war sogar von noch primitiveren Gemein­schaften, mit deren Kaurimuscheln, Wampumen und ähnlichen Tauschmitteln, übernommen, wenn nicht unabhängig erfunden worden. Folglich wurde die stetig wachsende Bedeutung des Geldmotivs vom sechzehnten Jahrhundert an für gewöhnlich als bloße Erweiterung einer existierenden Institution angesehen. Dies würde stimmen, wäre Geld der einzige Faktor gewesen. Aber an dieser Entwicklung waren stärkere Motive als die herkömmlichen materiellen Beweggründe beteiligt — Gier, Habsucht und Luxus.

Es war eine viel zwingendere und vollständigere Umwandlung: die .Geburt eines neuen Machtkomplexes, vergleichbar mit jenem, der die kolossalen konstruktiven Transformationen des Pyramidenzeitalters in Ägypten und in Mesopotamien hervorgebracht hatte. Was ich bis jetzt bewußt vage als den Mythos der Maschine bezeichnet habe, möchte ich nun genauer als Machtkomplex definieren: eine neue Konstellation von Kräften, Interessen und Motiven, die schließlich die alte Megamaschine wiederbelebte und ihr eine vollendetere technologische Struktur gab, die planetarischer und sogar interplanetarischer Ausdehnung fähig ist.

Im Englischen beginnen die Hauptkomponenten des neuen Machtkomplexes zufällig alle mit dem gleichen Buchstaben P, angefangen von Macht (power); deshalb nenne ich ihn — in Anspielung auf das heutige Amerika — Pentagon of Power (Pentagon der Macht). Der wesentliche Bestandteil ist die Macht selbst, die im Pyramidenzeitalter mit einer so kolossalen Vereinigung von Menschenkraft begann, wie keine frühere Gruppe sie hatte herbeiführen können. Im Laufe der Jahrtausende kamen Pferdekraft, Wasserkraft, Windkraft, Holzkraft, Kohlenkraft, elektrische Kraft, Ölkraft hinzu, und als Krönung in jüngster Zeit Kernkraft, die höchste Form von Energie aus chemischen Reaktionen, die den Benzinmotor und die Rakete möglich machten.

Organisierte politische Macht, unterstützt durch Zwangsmittel, ist die Quelle von Eigentum und Produktivität: zuerst durch die Kultivierung des Bodens unter Nutzung der Sonnenkraft, und dann in den späteren Entwicklungsstadien durch jede andere Produktionsweise. Mechanische Produktivität, in Verbindung mit der Erweiterung der Märkte, bedeutet Profit; und ohne den dynamischen Profitanreiz — das heißt, ohne Geldmacht — könnte das System nicht so rasch expandieren.

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Dies erklärt vielleicht, warum primitivere Formen der Megamaschine, die eher der Kriegerkaste als dem Kaufmann und dem Produzenten zugute kamen und sich auf Tribute und Plünderung stützten, stagnierten und schließlich unproduktiv und unprofitabel wurden — bis zum wiederholten Bankrott. Schließlich ist Ansehen (Prestige, panache) ein nicht unwichtiger Bestandteil des Machtsystems, durch den die auch nur menschlichen Führer des Machtkomplexes — die militärische, bürokratische, industrielle und wissenschaftliche Elite — sich zu übermenschlicher Größe aufblähen, um ihre Autorität besser aufrechtzuerhalten.

Diese einzelnen Komponenten des Machtsystems leiten sich aus dem viel umfangreicheren ökologischen Komplex ab — Ökosystem in der wissenschaftlichen Sprache —, in dem alle Organismen, einschließlich des Menschen, leben, sich bewegen und sich entwickeln. In diesem Ökosystem, das die menschliche Kultur einschließt, hatten ursprünglich alle diese Komponenten des Machtkomplexes ihren Platz und erfüllten ihr unerläßlichen Funktionen. Der Machtkomplex aber entriß die einzelnen Komponenten ihrem organischen Nährboden und kapselte sie in einem isolierten Subsystem ab, das sich nicht auf die Erhaltung und Intensivierung des Lebens, sondern auf Machterweiterung und persönlichen Aufstieg orientierte.

Die Komponenten des Machtkomplexes sind so eng miteinander verknüpft, daß sie faktisch austauschbare Funktionen erfüllen: nicht nur in dem Sinne, daß jeder Vorgang auf Geldwerte reduzierbar ist, sondern daß Geld selbst ebenso in Macht, Besitz, Prestige oder Persönlichkeit übersetzt werden kann. Diese Austauschbarkeit der Machtkomponenten war Heraklit bereits in dem entscheidenden Augenblick klar, als die neue Geldwirtschaft sich herauszubilden begann. »Alle Dinge können auf das Feuer zurückgeführt werden«, sagte er, »und Feuer auf alle Dinge, so wie Güter in Gold und Gold in Güter verwandelt werden können.«

Wenn irgendeine dieser Komponenten schwach ist oder fehlt oder nicht eng genug mit den benachbarten Prozessen verbunden ist, kann das Machtsystem nicht auf vollen Touren oder mit maximaler Effizienz arbeiten. Aber sein Endziel ist eine quantitative Abstraktion — Geld oder dessen vergeistigtes und potentiell unbegrenztes Äquivalent, der Kredit. Dieser ist, wie das »Vertrauen« der musikalischen Banken in Erewhon (Titel eines utopischen Romans von Samuel Butler), im Grunde nur der fromme Glaube, daß das System ewig weiter funktionieren wird.

Die Verbundenheit mit dem Machtkomplex und die rücksichtslose Jagd nach materiellem Gewinn, sowohl in direkter als auch in indirekter Form, definieren das Machtsystem und schreiben ihm das einzige Ziel vor, das es akzeptieren kann. Dieses Ziel fügt sich in die Reihe einprägsamer Alliterationen ein: Progress — Fortschritt. Im Sinne des Machtsystems bedeutet Fortschritt einfach mehr Macht, mehr Profit, mehr Produktivität, mehr Eigentum, mehr Publizität — die alle in quantitativen Einheiten konvertierbar sind.

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Selbst Publizität läßt sich in der Länge von Zeitungsartikeln und in der Zahl der Stunden, die einem Mann im Fernsehen gewidmet werden, quantitativ ausdrücken. Jede neue Errungenschaft des Machtsystems, sei es im Bereich der wissenschaftlichen Forschung, der Erziehung oder der Medizin, der Antibiotika oder des Weltraums, wird von diesen Medien zur Verherrlichung der Institutionen und zur Aufblähung des Ego verwendet. Schule, Kirche, Fabrik, Museum — sie alle blasen heute ins gleiche Horn, marschieren im gleichen Takt, grüßen die gleichen Fahnen und schließen sich den gleichen Kolonnen an, die sich bereits in den Seitenstraßen gesammelt haben, um die neuen Führer der Parade zu werden, die einst Könige, Despoten, Konquistadoren und die Finanzleute der Renaissance aufgeboten hatten.

Obgleich die Konstellation, die das Machtsystem hervorgebracht hat, nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt bewußt geschaffen wurde, so waren doch viele ihrer aktiven Komponenten, die in früheren Zivilisationen entstanden waren, faktisch niemals verschwunden. Waren die hemmenden Regeln und die Ideale einer eher auf den Menschen zugeschnittenen Ideologie erst einmal vernichtet, so entfaltete sich das Machtsystem, von der Konkurrenz solcher Institutionen befreit, sehr rasch.

Das Machtsystem wurde fälschlich mit Feudalismus, Absolutismus, Despotismus, Kapitalismus, Faschismus, Kommunismus und sogar mit dem Wohlfahrtsstaat gleichgesetzt. Aber diese Gleichsetzung weist auf ein wichtigeres Merkmal hin: auf die Tatsache, daß der Machtkomplex allen diesen institutionellen Strukturen in zunehmendem Maße zugrundeliegt; und indem er stärker zusammenwächst, mehr Macht an sich reißt und größere Gebiete beherrscht, tendiert er dazu, ursprüngliche Kulturunterschiede zu unterdrücken, die früher, unter schwächeren politischen Institutionen, sichtbar waren.

Neben unbegrenzter Machtfülle, wachsendem Geldprofit und hemmungsloser Genußsucht ist das Auffälligste an diesem Machtkomplex dessen beflissene Gleichgültigkeit anderen menschlichen Bedürfnissen, Normen und Zielen gegenüber; er funktioniert am besten in einer, historisch gesprochen, ökologischen, kulturellen und persönlichen Mondwüste, über die nur Sonnenstürme hinwegfegen.

Was seine Isolierung und seine Gleichgültigkeit gegenüber den Grunderfordernissen aller organischen Tätigkeit betrifft, weist das Machtsystem des Geldes eine verblüffende Ähnlichkeit mit einem neu entdeckten Zentrum im Gehirn auf — mit dem, das als Lustzentrum bezeichnet wird. Soweit bekannt ist, erfüllt dieses Lustzentrum keine nützliche Funktion im Organismus, es sei denn, daß es in noch unbekannter Weise eine Rolle in funktionalen Lustreaktionen spielt.

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Bei Versuchsaffen kann man in dieses lokalisierte Zentrum Elektroden einsetzen, die es ermöglichen, das Nervengewebe durch Mikrostrom in solcher Weise zu reizen, daß der Stromzufluß — und damit die Intensität der Lust — vom Tier selbst reguliert werden kann. anscheinend ist dieser Lustreiz so stark, daß das Tier fortwährend auf den Stromregulator drückt, ohne Rücksicht auf andere Impulse oder physiologische Bedürfnisse, selbst nach Nahrung, sogar bis zum Verhungern. Die Intensität dieses abstrakten Reizes produziert so etwas wie eine totale neurotische Gefühllosigkeit für Lebensbedürfnisse. Der Machtkomplex scheint nach dem gleichen Prinzip zu funktionieren. Der magische elektronische Reiz ist das Geld.

Was die Ähnlichkeit zwischen dem Geldmotiv und dem zerebralen Lustzentrum noch vergrößert, ist der Umstand, daß beide, im Gegensatz zu praktisch allen organischen Reaktionen, keine quantitativen Grenzen kennen. Was immer schon für das Geld zutraf — bei denen, die für seinen Einfluß empfänglich sind —, gilt gleichermaßen für die anderen Komponenten des Machtkomplexes: Die Abstraktion ersetzt die konkrete Realität; daher wissen jene, die immer mehr haben wollen, nie, wann sie genug haben. Jeder dieser Triebe nach Macht, nach Gütern, nach Ruhm, nach Lust, kann — das versteht sich von selbst — in der normalen Ökonomie einer Gemeinschaft eine ebenso nützliche Rolle spielen wie im menschlichen Körper. Ihre Verselbständigung, ihre Isolierung, ihr Übermaß und ihre gegenseitige Verstärkung aber machen sie pervers und lebenszerstörend.

Noch ein verhängnisvoller Wesenszug des Geld-Macht-Komplexes muß jedoch festgestellt werden; denn er unterscheidet die neueren Erscheinungen vom alten Mythos der Maschine und erschwert die weitere Entwicklung noch mehr. Während in der Vergangenheit der Macht-Lust-Kern ausschließlich der herrschenden Minderheit zu Gebote stand und somit nur diese sehr kleine Gruppe zu verführen vermochte, breitete sich mit der Entfaltung der Megatechnik sein Einfluß nach den Regeln der Massen­gesellschaft (demokratische Partizipation) auf eine weit größere Bevölkerungsgruppe aus.

Über die ungeheure Vermehrung der Erfindungen in den letzten zweihundert Jahren, die Massenproduktion von Gebrauchs­artikeln und die Ausbreitung aller technologischen Faktoren, die die lebende Umwelt verschmutzen oder zerstören, zu sprechen, ohne auf den immensen Einfluß des Profitfaktors einzugehen, der in jedem technologischen Bereich ständig wirksam ist, würde bedeuten, die entscheidende Ursache der scheinbar automatischen und unkontrollierbaren Dynamik des ganzen Systems zu ignorieren. In dem Bestreben, jenes gefühllose Lustzentrum einzuschalten, läuft der technologische Mensch heute Gefahr, sein Leben abzuschalten. Geld hat sich als das gefährlichste Halluzinogen des modernen Menschen erwiesen.

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  Mechanische Mobilisierung  

 

Die Erfolge der Mechanisierung und der Massenproduktion in einem Industriezweig nach dem anderen, von der Buchdruckerei bis zur Waffenproduktion, stehen außer Debatte. Und wenn das archetypische Modell für das neue Denksystem die Uhr war, so war das Modell für die standardisierte Massenproduktion, mit schrittweiser Eliminierung des verantwortungsbewußten, werkzeug­verwendenden Arbeiters, die Druckerpresse; denn das Drucken mit beweglichen, ersetzbaren, standardisierten Lettern demonstrierte die Vorzüge rascher, mechanisierter Prozesse gegenüber der ebenso standardisierten, aber ermüdenden Handarbeit des Kopierens. Dies geschah lange vor der Erfindung der Feinspinnmaschine und des automatischen Webstuhls. Wenn man von der sogenannten industriellen Revolution, im herkömmlichen Sinne, sagen kann, sie habe an einem bestimmten Punkt begonnen, dann war dieser Punkt die Massenproduktion von gedruckten Worten und Bildern, waren es die neuen Künste des Drückens, des Radierens und der Lithographie. Die späteren Entwicklungen der Massenproduktion im Textil-, Töpferei- und Metallgewerbe waren, wenngleich wichtiger für das physische Wohl, dennoch von sekundärer Bedeutung.

Die Entwicklung der Massenproduktion ist leicht zu verfolgen. Von Smiths Darstellung der Art und Weise, wie ein Arbeiter, unter der Drohung des Verhungerns zu einer fügsamen Arbeitskraft herabgewürdigt, durch Spezialisierung auf eine einzige repetitive Aufgabe oder sogar eine einzige Bewegung den Ausstoß pro Arbeitsstunde vergrößern konnte, kommt man auf direktem Wege zur Übertragung dieser mechanisierten Fertigkeiten auf Maschinen, die zunehmend von zentralen Kraftmotoren — Wassermühlen, Dampfmaschinen, Dynamos — betrieben werden, und von da weiter bis zum neuesten Typus automatisierter Erdölanlagen, Stahlwalzwerke oder Textilfabriken, in denen nur noch wenige Arbeiter, wenn überhaupt, erforderlich sind, um die automatischen Arbeitsgänge zu überwachen, die ansonsten von einem Computer wirksam kontrolliert werden.

Die mechanische Leistungsfähigkeit und die Lukrativität dieses Systems sind unbestreitbar; es kann auch keinen Zweifel daran geben, daß zumindest ein Teil dieser Gewinne an eine begrenzte Zahl von Nutznießern weitergegeben wurde: zuerst nur an bestimmte Klassen oder Gruppen, Kaufleute, Fabrikanten, Financiers, Rentiers oder an den alten, aber immer noch reichen Landadel. Das Wachstum der europäischen Mittelklassen, deren Wohlstand vom sechzehnten Jahrhundert an zunahm, war direkt oder indirekt ebenfalls ein Nebenprodukt der Mechanisierung.

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Nimmt man aber die Gesamtbevölkerung eines beliebigen Landes und untersucht, wie es der Gemeinschaft als Ganzes erging, dann sind die Fortschritte keineswegs so großartig: Denn die Verbesserungen wurden durch Vergeudung von Ressourcen, Raubbau an der natürlichen Umwelt, künstliche Aufrechterhaltung überfüllter Slums und, was am allerschlimmsten ist, durch die Entwürdigung und Unterdrückung ganzer Generationen von Menschen erkauft.

Über die Bilanz der Gewinne und Verluste eine objektive, auch nur ganz grobe statistische Schätzung zu liefern, ist unmöglich. Die Mechanisierung galt nur deshalb als reiner Segen, weil das mechanische Weltbild die Menschen dazu verführte, ausschließlich physikalische Veränderungen, mechanische Leistung und absetzbare Produkte in Betracht zu ziehen. Aber man beachte: Für die oberen Einkommensgruppen lagen die Hauptgewinne in erster Linie nicht in der größeren Menge maschinell erzeugter Güter, sondern darin, daß sie über die niedrigsten wie über die qualifiziertesten Dienstleistungen in fürstlichem Stil verfügen konnte.

Über die Mechanisierung, sowohl in ihren Anfängen, wo sie den Arbeiter zu einem beweglichen Bestandteil reduzierte, als auch in ihrem Endstadium, wo sie ihn völlig ausschaltet, läßt sich zumindest eines mit Sicherheit sagen: Sie hat sich nicht nur kraft ihrer eigenen Vorzüge durchgesetzt, so beträchtlich diese auch sein mochten. Auf jeder Stufe waren die Kosten für den Menschen hoch, und es kam zu vielen negativen Reaktionen, von Gewalttätigkeit bis zu hemmungsloser Trunksucht. Mit Protesten, Demonstrationen, Streiks und Boykotten versuchten die bedrohten Arbeiter, jenen letzten Rest von Autonomie zu bewahren, der selbst dem bereits der kapitalistischen Ausbeutung unterworfenen Handwerk geblieben war. Aber lange Zeit waren alle diese Bemühungen vergeblich.

Um für ihre großen Investitionen in Maschinenausrüstung ein Monopol zu erlangen, brauchten die Industriekonzerne von Anfang an staatliche Hilfe — Zölle, Subventionen, militärische und polizeiliche Unterstützung. Um die Produktion weiter zu monopolisieren, schalteten die auf Megatechnik beruhenden Industrien systematisch die Konkurrenz des unabhängigen Handwerks aus, nicht nur .durch Preisunterbietung auf dem Markt, sondern auch durch Steuern und Zwangsarbeit in Afrika, Asien und Polynesien, wo die Bevölkerung, hätte man sie sich selbst überlassen, mit einer Lebensweise zufrieden gewesen wäre, die weder britischer Textilien noch deutscher Teerfarben zur Verschönerung bedurfte.

Wir können hier nicht im einzelnen die ganze Entwicklung der Mechanisierung verfolgen, von Industrie zu Industrie, von Land zu Land, wie sie neue Erfindungen an sich riß, neue Energiequellen erschloß, neue Bedürfnisse und neue Moden schuf. Diese Umwandlung führte zu einem enormen Anwachsen des Einkommens der herrschenden Minderheiten, die nie mehr als fünf Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachten, zu mäßigen Fortschritten für die sogenannten Mittelklassen, etwa ein Drittel der Bevölkerung, und schließlich zu sehr sporadischen Vorteilen, oft mit großen Nachteilen und Opfern verknüpft, für die niedrigeren Einkommensgruppen, während das unterste Zehntel oder sogar das unterste Viertel schierem Elend und psychischer Aushungerung ausgeliefert wurde.

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Es ist nicht meine Absicht, mich in diesem Buch mit diesen historischen Auswirkungen der Industrialisierung zu befassen, die schon von Owen, Marx, Engels, Ruskin und Mill aufs schärfste kritisiert worden ist. Es ist nicht nur eine alte Geschichte, sondern es wurden auch viele der schlimmsten Übel gemildert, manche sogar ganz überwunden. Nicht mit den Übelständen, sondern mit den scheinbar wohltätigen Resultaten für den Menschen, mit denen, die von den meisten immer noch als unbestrittene Errungen­schaften und soziale Fortschritte betrachtet werden, werde ich mich hauptsächlich beschäftigen.

Zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts waren in solchen Produktionsprozessen wie Spinnen und Weben die Probleme der Mechanisierung bereits gelöst. War eine ausreichende Kraftquelle vorhanden, dann führten lange Reihen rotierender, surrender, klappernder Mechanismen alle Phasen des Prozesses ohne Hilfe menschlicher Hände aus, die nur eingreifen mußten, einen gerissenen Faden zu knüpfen oder Defekte im Mechanismus zu beheben.

Diese automatischen Maschinen wurden zu Teilen eines größeren Systems, mit Ergebnissen, die bereits sehr früh von Karl Marx charakterisiert wurden: 

»Als gegliedertes System von Arbeitsmaschinen, die ihre Bewegung nur vermittelst der Trans­missions­maschinerie von einem zentralen Automaten empfangen, besitzt der Maschinen­betrieb seine entwickeltste Gestalt. An die Stelle der einzelnen Maschine tritt hier ein mechanisches Ungeheuer, dessen Leib ganze Fabrikgebäude füllt und dessen dämonische Kraft, erst versteckt durch die fast feierlich gemessene Bewegung seiner Riesenglieder, im fieberhaft tollen Wirbeltanz seiner zahllosen eigentlichen Arbeitsorgane ausbricht.«

In Zweigen wie der Textilindustrie, wo bereits das Handwerk ein hohes Niveau an Standardisierung erreicht hatte — die Textilien des alten Damaskus oder Perus wurden an Dauerhaftigkeit und Schönheit nie mehr übertroffen —, ist die Spezialisierung automatischer Maschinen keine Schwierigkeit. Hat ein Prozeß erst einmal dieses Stadium technischer Perfektion erreicht, dann ist die Notwendigkeit weiterer Veränderungen gering. Hier müssen wir jedoch zwischen der automatischen Einheit und dem automatischen System unterscheiden, das viele verschiedene Komponenten enthalten kann, die nicht alle mechanisiert oder, bevor sie in das System eingehen, gar automatisiert sind. Die automatische Maschine und das automatische System verstärken einander. Jede Maschine muß individuell, nach ihrer Leistung und in bezug auf ein bestimmtes menschliches Bedürfnis, beurteilt werden. Es ist nicht die Maschine selbst, sondern es sind die grundlegenden Prämissen der Automation, die einer Untersuchung bedürfen.

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  Aufhebung der Grenzen  

 

Jedes frühere Produktionssystem, ob in der Landwirtschaft oder im Handwerk, entwickelte sich als Reaktion auf menschliche Bedürfnisse und war abhängig von der Energie, die hauptsächlich aus Pflanzen bezogen und durch tierische sowie Wind- und Wasserkraft ergänzt wurde. Die Produktivität war begrenzt, nicht nur durch die verfügbaren natürlichen Ressourcen und die menschliche Leistungsfähigkeit, sondern auch durch die Vielfalt nicht-utilitärer Anforderungen. Ästhetische Formgebung und hohe Qualität hatten Vorrang vor rein quantitativem Ausstoß und hielten die Quantifizierung in für den Menschen erträglichen Grenzen.

In dem mechanisierten, hochenergetischen System, das sich in den letzten zweihundert Jahren entwickelt hat, haben diese Bedingungen sich von Grund auf geändert; und die Überfülle an Energie hat unter anderem dazu geführt, daß gerade jene Teile unserer Technologie entwickelt wurden, die am meisten Energie erfordern; nämlich jene, die von Kraftmaschinen den stärksten Gebrauch machen. Dieser neue industrielle Komplex beruht auf einer Reihe von Postulaten, die jenen, die das System hervor­gebracht haben, so selbstverständlich erscheinen, daß sie kaum kritisiert oder angefochten, ja fast nie überprüft werden, da man sie völlig mit der neuen Lebensweise identifiziert. Ich möchte diese Postulate noch einmal anführen, obgleich ich sie bei der Untersuchung des mechanischen Weltbilds bereits erwähnt habe.

Zunächst: Der Mensch hat nur eine alles überragende Aufgabe im Leben: die Natur zu erobern. Unter Eroberung der Natur versteht der Technokrat, abstrakt gesprochen, Zeit und Raum zu beherrschen; konkreter gesagt, die Geschwindigkeit jedes natürlichen Prozesses zu erhöhen, Wachstum zu beschleunigen, das Tempo des Transports zu steigern und Kommunikationswege entweder mit mechanischen oder mit elektronischen Mitteln zu verkürzen. Die Natur erobern heißt im wesentlichen, alle natürlichen Hindernisse und menschlichen Normen beseitigen und an die Stelle natürlicher Prozesse künstliche technische Äquivalente setzen, die unermeßliche Vielfalt der Naturschätze durch gleichförmigere, stets verfügbare Maschinenprodukte ersetzen.

Aus diesen allgemeinen Postulaten leitet sich eine Reihe untergeordneter ab: Es gibt nur eine erwünschte Geschwindigkeit: schneller; nur ein verlockendes Ziel: weiter weg; nur ein erstrebenswertes Maß: größer; nur ein rationales quantitatives Ziel: mehr.

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Unter diesen Voraussetzungen ist der Zweck des menschlichen Lebens, und damit des gesamten Produktionsmechanismus, Grenzen zu beseitigen, Veränderungen zu beschleunigen, jahreszeitliche Rhythmen auszugleichen und regionale Unterschiede zu reduzieren — kurz, mechanische Neuerungen zu fördern und organische Kontinuität zu zerstören. Kulturelle Mannigfaltigkeit und Stabilität werden daher als Zeichen menschlicher Rückständigkeit und Unzuläng­lichkeit gebrandmarkt. Gleicherweise droht jede Institution oder Lebensweise, jedes Erziehungs- oder Produktions­system, das Grenzen setzt, Veränderungen verzögert oder den ungestümen Willen zur Eroberung der Natur in ein Verhältnis gegenseitiger Hilfe und rationaler Anpassung verwandelt, das Pentagon der Macht und die aus ihm abgeleitete Lebensform zu untergraben.

Nun ist diese angebliche Notwendigkeit, die Natur zu erobern, nicht ganz so harmlos in bezug auf ihren Ursprung oder ihre Intentionen, wie es scheinen mag. Zum Teil wenigstens überträgt sie die alten Ambitionen militärischer Eroberung und imperialistischer Ausbeutung bedenkenlos auf die Natur; zum anderen Teil aber entspringt sie leider einem entscheidenden Fehler der christlichen Theologie, die die Erde als alleiniges Eigentum des Menschen betrachtet, ihm von Gott zu Nutzung und Genuß verliehen, und alle anderen Lebewesen als seelenlos und unbelebten Dingen gleichwertig ansieht. (Die Hinwendung der heutigen Jugend zu hinduistischen und buddhistischen Konzeptionen kann bei einigem Optimismus als ein Versuch gedeutet werden, diesen ökologischen Irrtum zu überwinden. Denn nicht der Stolze, sondern der Sanfte und Bescheidene ist berufen, die Erde zu erben.)

Da diese traditionelle Einstellung zu Mensch und Natur dem Machtstreben der nachmittelalterlichen Gesellschaft entgegenkam, fehlte es dem neuen Produktionssystem an jedweder Methode, Bedürfnisse zu normalisieren oder Quantitäten zu kontrollieren; es besaß nicht nur keine solche Methode, sondern zerstörte vorsätzlich alle früheren Methoden, wie beispielsweise das Interesse an guter Handwerksarbeit oder ästhetischer Form.

Dank der Leistungsfähigkeit der Maschine war das Problem früherer Gesellschaften, Knappheit und Mangel — zumindest theoretisch — gelöst; doch es erhob sich ein neues Problem, ebenso schwerwiegend, aber das entgegengesetzte Extrem: das Problem der Quantität. Es hat viele Aspekte: nicht nur die Frage, wie man den potentiellen Überfluß an Gütern gerecht 'Verteilen kann, so daß die ganze Gemeinschaft daraus Nutzen zieht, sondern auch, wie man in Maschinerie investieren soll, ohne die vielen menschlichen Tätigkeiten und Funktionen, die durch Automation mehr geschädigt als gefördert werden, zu negieren oder zu zerstören. Das erste Problem ist in vielen primitiven Gemeinschaften weitaus erfolgreicher gelöst worden als in irgendeinem industrialisierten System.

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Der bittere Vorwurf, der in Amerika während der Wirtschaftskrise der dreißiger Jahre allgemein verbreitet war: »Hunger inmitten von Überfluß«, widerspiegelte den Zusammenbruch eines Verteilungssystems, das auf Mangel zugeschnitten war. Aber eine ebenso quälende Form des Hungers ist jene, die durch die Einführung mechanischer Lebensgewohnheiten und automatischer Maschinen, durch den Druck überwältigenden Überflusses verursacht wird. Man könnte es das Mastgans-Syndrom nennen: Mit Stopfen und Schoppen mästet man ein Automationssystem, das weit über die normalen Konsumbedürfnisse hinaus produziert.

Obwohl ich erst später ausführlicher auf dieses Problem eingehen kann, ist es nun angebracht, die Auswirkung der Automation auf eine Gesellschaft zu untersuchen, die Quantität und materielle Expansion als die höchsten Güter ansieht. Und da der zu analysierende Zustand heute in nahezu jeder Phase der Automation gegeben ist, von der Nahrungsmittelproduktion bis zu den Atomwaffen, werde ich mich weitgehend auf jenes Gebiet beschränken, das ich am besten kenne: auf die Automatisierung des Wissens. In diesem Bereich hat die herkömmliche mechanische Automation bis jetzt nur eine geringe Rolle gespielt.

Der entscheidende Schritt, der zur allgemeinen Automation geführt hat, wurde mit der Organisierung des Wissens unternommen, ehe noch geeignete automatische Maschinen erfunden worden waren. Der Prozeß ist, Stufe um Stufe, von einem Historiker der Wissenschaft, Derek Price, in Science since Babylon datenmäßig festgehalten und erklärt und in einem späteren Essay mit gewissen notwendigen Korrekturen zusammengefaßt worden.

Lange bevor die automatischen Maschinen des neunzehnten Jahrhunderts erfunden waren, hatte die Wissenschaft in ihrem eigenen Bereich ein System der Arbeitsteilung entwickelt, das mit standardisierten Teilen operierte, auf begrenzte Bewegungen und Prozesse beschränkt war und in seiner Wirkungsweise dem von Adam Smith gerne angeführten Beispiel der Madelerzeugung ähnelte.

Der Weg zur praktischen Verwertung dieses mächtigen Stroms von standardisiertem Wissen, meint Price, war eine neue Methode der Vervielfältigung und Verbreitung wissenschaftlicher Information mit Hilfe einer kleinen Standardeinheit, der wissenschaftlichen Abhandlung — in dieser Form konnten Berichte über einzelne Beobachtungen und Experimente sofort in wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht werden. Diese praktische Einrichtung, durch die Erfindung der Druckerpresse möglich gemacht, erwies sich als der wirksame Ausgangspunkt der systematischen Automatisierung von Wissen.

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Heute kann die Produktivität auf diesem Gebiet es mit allem aufnehmen, was in der Industrieproduktion erreicht wurde. Periodische Publikation ist an sich eine Phase der Automation: Ist eine Zeitschrift erst einmal gegründet, dann ist der regelmäßige Fluß von Material und seine regelmäßige Veröffentlichung nicht mehr der spontanen Fluktuation des Informationseinlaufs oder der unberechenbaren publizistischen Nachfrage unterworfen: Der Prozeß fördert das Produkt und verteilt das Resultat — ganz automatisch.

Man beachte die Wechselwirkung zwischen der Massenproduktion von Waren und der Massenpublikation von wissenschaftlichen Erkenntnissen. Wie Price feststellt, begann es 1665 mit einer einzigen wissenschaftlichen Zeitschrift, Anfang des neunzehnten Jahrhunderts gab es deren bereits hundert, Mitte des Jahrhunderts tausend und 1900 zehntausend. In weiteren hundert Jahren werden es hunderttausend Zeitschriften sein. Selbst wenn man den großen Bevölkerungszuwachs in Betracht zieht, ist dies ein gigantischer Fortschritt. In der Zwischenzeit hat die Massenerzeugung von Vervielfältigungsapparaten jeder Art, vom Hektographen bis zum Mikrofilm und zum Xerographen, auch zu einer Vervielfachung der Produktion geführt. Und hier ist wiederum das Resultat typisch für das ganze System: Ehe irgendein Teil dieses Prozesses, abgesehen vom Rotationsdruck, mechanisch automatisiert war, wies bereits das ganze System alle Vorzüge und Mängel jeder vollständig automatisierten Einheit auf — expandierende Produktivität in Mengen, die nicht assimilierbar sind, ohne daß der Mensch wieder die Möglichkeit erhält, zu wählen und abzulehnen, eine Möglichkeit, die aus dem System ausgeschlossen wurde.

 

  Der Triumph der Automation 

 

Es ist bereits möglich, den Endpunkt des gesamten Prozesses der Mechanisierung und der Massenproduktion auf vielen Gebieten zu erkennen: die totale Automation. Nun gehören weder die Idee der Automation noch der Prozeß selbst ausschließlich unserem Zeitalter an; und — noch wichtiger — weder dieser noch jene hing allein von mechanischen Erfindungen ab. Wachsende Pflanzen sind natürliche Transformatoren, die Sonnenenergie automatisch in Blattgewebe umwandeln; und die synthetische Reproduktion dieses Prozesses in einer automatisierten chemischen Fabrik würde ihn um keine Spur automatischer machen. So war auch die auf der Schwerkraft beruhende Methode, Wasser aus einer Gebirgsquelle durch ein Rohr heranzuleiten, wie etwa im antiken Palast zu Knossos, nicht weniger automatisch und effizient — und sogar zuverlässiger — als die Arbeitsweise einer elektrisch betriebenen Wasserpumpe von heute.

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Wenn Aristoteles den Begriff der Automation verwendete, dann tat er es, um jene natürlichen Veränderungen zu beschreiben, die, wie in einer chemischen Reaktion, ohne einen bestimmten Zweck vor sich gehen. Doch lange bevor der Mensch wissenschaftliche Einsichten in die Rolle des organischen Automatismus im Körper besaß, hatte die Idee ihn gepackt; und sie war von Anfang an mit drei magischen Zielen verbunden: übermenschlicher Kraft, materiellem Überfluß und Fernwirkung.

Im Mittelpunkt dieser magischen Bestrebungen stand, aus einleuchtenden Gründen, der materielle Überfluß; er erwies sich in der Tat als der verlockende Köder, in dem der Angelhaken der äußeren Macht und der zentralisierten Kontrolle steckte.

Schon 446 vor Christus beschrieb der griechische Dichter Telekleides, der wahrscheinlich viele vorher nicht aufgezeichnete Fabeln wiederholte, das Goldene Zeitalter als eine Zeit, da »die Erde weder Furcht noch Krankheit trug und alle Dinge sich ganz von selbst darboten; in jedem Strom floß Wein, und der Gerstenkuchen wetteiferte mit dem Weizenkuchen, um als erster in den Mund des Menschen zu gelangen«. Zwar spielte die Maschine bei diesem magischen Wunsch keine Rolle, aber die Phantasie hält an jenen Geschmacksfreuden und an jener mühelosen Existenz fest, die die Menschen immer noch mit dem Begriff der Automation verbinden. Was das so geschilderte Leben betrifft, war es nichts anderes als die Lebensweise, deren Könige, Adelige und Reiche sich lange Zeit erfreuten.

Hand in Hand mit dieser Verheißung von Überfluß ging ein anderer beharrlicher Wunsch: die Vorstellung, man könnte ein mechanisches Mittel finden, das dem Menschen die Last mühsamer Arbeit abnehmen würde. Während babylonische Legenden es so darstellen, als hätten die Götter die Menschen nur geschaffen, um für sie die schwersten Aufgaben zu erfüllen, schilderten die selbstbewußten Griechen, wie ihr Schmiedegott Hephaistos sein Können damit bewies, daß er einen lebensähnlichen Automaten aus Bronze schuf — historisch gesehen der erste in einer langen Reihe gespenstischer Roboter, die immer noch in den Köpfen moderner Konstrukteure herumspuken.

Auch Aristoteles, der die Notwendigkeit der Sklaverei mit dem Argument begründete, es sei nicht vorstellbar, daß automatische Maschinen für Weben oder Bauen erfunden würden, bewies gerade damit, daß die Griechen an die Möglichkeit produzierender Automaten dachten; so ist es auch nicht überraschend, wenn Hero von Alexandrien einige Jahrhunderte später einen komplizierten Automaten, den einer Schiffswerft, beschrieb, wo Marionetten Holz schnitten und sägten. Das war, in spielerischer Form, das früheste Kleinmodell einer automatisierten Fabrik.

Da die Automationsphantasien und die absolute Macht historisch zusammenhängen, ist es kaum erstaunlich, daß absolute Monarchen sich zu allen Zeiten für Automaten begeistert haben, als symbolische Zeugen der unbeschränkten Macht, die sie selbst auszuüben trachteten.

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Marco Polo hat uns zum Glück die Prahlerei des Großkhans überliefert, der die Christen als »unwissende, unfähige Personen« betrachtete, weil sie nicht die Begabung hätten, Wunder zu wirken, während er behauptete: »Wenn ich bei Tisch sitze, fliegen die Becher, mit Wein und anderen Getränken gefüllt, mir aus der Mitte des Saales zu, ganz von selbst, ohne von menschlicher Hand gelenkt zu werden.« Dieses technische Kunststück, meinte Kublai Khan schlicht, sei der Beweis seiner eigenen Macht und totalen Kontrolle. Er ging sogar so weit, im gleichen Atemzug die Erweiterung dieser Behauptung durch die Wissenschaftler unserer Zeit vorwegzunehmen; denn er prahlte, seine Magier besäßen die Macht, schlechtes Wetter unter Kontrolle zu bringen und es zu zwingen, sich in einen anderen Teil des Himmels zurück­zuziehen. Marco Polo unterließ es leider, diese Behauptung zu verifizieren.

Keines dieser Motive fehlte in den späteren Entwicklungen der Mechanisierung; doch wenn es Jahrhunderte dauerte, bis sie realisierbar wurden, so deshalb, weil jene starken subjektiven Impulse nicht nutzbar gemacht werden konnten, solange die notwendigen mechanischen Komponenten nicht erfunden waren. Sklaven und Diener, die behandelt wurden, als wären sie solche mechanische Teile, mögen tatsächlich die Automation verzögert haben; denn bis zum heutigen Tag ist der menschliche Organismus immer noch der beste Universalautomat, billiger herzustellen, leichter instandzuhalten und reaktionsfähiger als der raffinierteste mechanische Roboter.

Wir kommen wieder auf die mechanische Uhr zurück. Abgesehen von der Rückkopplung war die Erfindung und Vervollkommnung der Uhr der entscheidende Schritt zur Automation. Sie lieferte das Vorbild für viele andere automatische Geräte und erreichte schließlich im Chronometer des achtzehnten Jahrhunderts einen Grad an Perfektion, der eine Norm für andere technologische Verfeinerungen setzte. Das einzige Element, das bis zur Erfindung der elektrischen Uhr fehlte — eine automatische Kraftquelle — wurde schon früh für gröbere Verwendungszwecke von der Wassermühle geliefert: Die automatische Grubenpumpe, die von Agricola in De Re Metallica gezeigt wird, und die ebenfalls automatische Seidenspulmaschine mit mehreren Spulen, die Zonca 1607 in seinem Werk Novo Teatro dei Machine e Edifici beschrieb, waren nur späte Beispiele aus einer Reihe früherer automatischer Maschinen, denen nur ein kybernetischer Regler fehlte, um die Produktion völlig automatisch zu machen. Wer immer noch glaubt, die Automation habe erst in den vierziger Jahren unseres Jahrhunderts begonnen und sei vor der Erfindung des Computers unmöglich gewesen, hat noch eine Menge nachzulernen.

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Als Maschine blieb die Uhr — bis zum Computer — allen anderen Automaten an Feinheit der Konstruktion und Genauigkeit der Leistung ebenbürtig; und lange bevor auf irgendeinem anderen Gebiet ein solcher Fortschritt erzielt wurde, setzte die Verkleinerung der Uhr des fünfzehnten Jahrhunderts, mit ihrem plumpen, rasselnden Werk, zur handlichen Taschenuhr ein Vorbild für spätere Miniaturisierung. Was also bis zum siebzehnten Jahrhundert fehlte, waren nicht Automaten, sondern ein voll entwickeltes System der Automation, und dazu waren zwei Dinge notwendig: die Durchsetzung des neuen mechanischen Weltbildes und eine Steigerung der Nachfrage, die ausreichte, um die Einführung kostspieliger Antriebskräfte und ganzer Batterien komplizierter Maschinen, die ständig in Verwendung stehen, zu rechtfertigen. Sporadische Bedürfnisse, ungleichmäßige Nachfrage, Anpassung an regional vorhandene Mittel oder an persönliche Wünsche — alles Charakteristika kleiner Gemeinschaften und handwerklicher Arbeitsweise — waren kein Ansporn für völlige Automatisierung, sondern vielmehr Hindernisse.

Hier stoßen wir auf das große Paradoxon sowohl der frühen Mechanisierung als auch ihres in der Automation erreichten Endstadiums: Sie war keineswegs die Antwort auf Massennachfrage, die der Unternehmer faktisch erst schaffen mußte; und um die großen Kapitalinvestitionen für automatische Maschinen und für Fabriken, in denen diese Maschinen zu größeren Anlagen vereinigt waren, zu rechtfertigen, mußte man in weit entfernte Märkte vorstoßen, Geschmack und Kaufgewohnheiten standardisieren, die Wahlmöglichkeiten verringern und kleinere Konkurrenten, die mehr auf den persönlichen Kontakt mit dem Konsumenten angewiesen und in der Erfüllung der Kundenwünsche flexibler waren, zugrunderichten.

Siegfried Giedion weist in seiner klassischen Analyse der Rationalisierungs- und Automatisierungsprozesse (in seinem Buch Mechanization takes Command) nach, daß das Ergebnis der Automation nicht unbedingt ein besseres Produkt ist; sie ermöglicht nur, daß das gleiche Produkt mit größerem Profit Massenabsatz findet. Das Anwachsen der automatischen Broterzeugung hat Tausende Bäcker um ihre Existenz gebracht; aber das Resultat ist weder, ein billigerer noch ein besserer Laib Brot. Was die Automation getan hat, war, die vorhandenen Energien in Ferntransport, Werbung, höhere Bezüge und Profite sowie in neue Investitionen für Betriebserweiterung zu eben jenen Zwecken zu schleusen. Das gewünschte Ergebnis dieser Zauberei ist nicht nur Überfluß, sondern auch absolute Kontrolle. Wo die Industriearbeiterschaft gut organisiert ist, erstreckt sich dieses System der Massenkontrolle selbst auf die Gewerkschaften unter pseudodemokratischer Selbstverwaltung.

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  Sand im Getriebe  

 

Der Prozeß der Automatisierung ist in den letzten anderthalb Jahrhunderten stetig fortgeschritten. In den Anfangsstadien der Mechanisierung verringerte sich die Zahl der Arbeiter, die für die Herstellung einer gegebenen Warenmenge nötig war, desgleichen die Anzahl der Verrichtungen, die der einzelne Arbeiter auszuführen hatte, was zur Abnahme seines Interesses am Gesamtprozeß und seiner Initiative führte. Doch der Erfolg der Mechanisierung wurde an der Verkürzung der notwendigen Arbeitszeit je Produkteneinheit gemessen, bis schließlich, mit der vollständigen Automatisierung und der kybernetischen Kontrolle, nur die minimale Beaufsichtigung der gesamten Anlage übrig blieb; während die restliche Arbeit fast nur noch in Überprüfung und Reparatur bestand. Obgleich man Computer und kybernetische Kontrolle braucht, wenn die gesamte Einheit eine komplexe Anlage ist, besteht doch kein Wesensunterschied zwischen einem automatischen Webstuhl und einem elektrischen Computer. Denn auch dieser braucht den Menschen, der ihn entwirft, programmiert und überwacht.

Gibt es keine Überwachung durch den Menschen, dann kann es zu schweren Pannen kommen — dafür lassen sich manche komische Beispiele anführen. Siehe den Fall einer schadhaften Maschine in einem vollautomatischen englischen Atomwerk, die darauf programmiert war, unter solchen Umständen automatisch bei einer Londoner Stelle um Hilfe anzusuchen. Unglücklicher­weise wurde die Tonbandstimme, die sagte: »Schicken Sie sofort einen Mechaniker«, von einem gleichfalls automatisierten Telephon beantwortet, das erwiderte: »Die Nummer, die Sie rufen, wurde geändert«, und eine neue Nummer angab. Aber das Rufsystem war nicht darauf programmiert worden, mit neuen Nummern umzugehen, und so wählte es, da es nicht die richtige Antwort erhielt, solange die ursprüngliche Nummer, bis das andauernde Versagen einen Menschen auf die Szene rief, der fähig war, einzugreifen und Abhilfe zu schaffen.

Doch nicht um ihre Funktionsschwächen hervorzuheben, habe ich die Tendenz von Mechanisierung und Automatisierung, geschlossene Systeme zu bilden, aufgezeigt; Reste von Unzulänglichkeit und Fehlfunktionen sind bei jedem Produkt von Menschenhand zu erwarten; und wo es sich um ein angemessenes Ziel handelt, mögen die Vorteile der Automation die gelegentlichen Unzulänglichkeiten bei weitem aufwiegen. Es geht vielmehr darum, daß die schwersten Defekte der Automation jene sind, die nicht ihrem Versagen, sondern ihren unbestreitbaren Erfolgen entspringen, vor allem auf den Gebieten, wo die optimistischsten Hoffnungen und Erwartungen völlig gerechtfertigt waren.

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Ich möchte betonen: Die Arbeit in allen ihren Aspekten hat bei der Ausweitung des menschlichen Geistes und der Bereicherung seiner Kultur eine entscheidende, maßgebende Rolle gespielt, nicht weil der Mensch nur als werkzeugverwendendes Tier zu definieren ist, sondern weil Arbeit eine der vielen Tätigkeiten ist, die seine Intelligenz stimuliert und seine körperlichen Fähigkeiten gesteigert haben. Doch gesetzt, wir akzeptieren die immer noch fortlebende anthropologische Auffassung, wonach Werkzeuggebrauch und Werkzeugherstellung das Grundkriterium des Menschen bilden, was sollen wir dann über die kumulativen Folgen von Mechanisierung und Automation sagen, die die adaptative Intelligenz des Menschen schwächen?

Welchen Vorzug hat eine überentwickelte Technologie, die den ganzen Menschen vom Arbeitsprozeß isoliert, ihn auf eine geschickte Hand, einen starken Rücken oder auf ein geschärftes Auge reduziert und ihn schließlich ganz aus dem Prozeß ausschaltet, außer er ist einer der Fachleute, die die automatische Maschine entwerfen, zusammensetzen und programmieren? Welche Bedeutung hat das Leben eines Arbeiters, wenn er schließlich bloß als billiger Servomechanismus dient, nur darauf trainiert, Schäden zu melden oder Fehler zu korrigieren, in einem Mechanismus, der ihm ansonsten übergeordnet ist? Bestand der erste Schritt zur Mechanisierung vor fünftausend Jahren darin, den Arbeiter zu einem gelehrigen, gehorsamen Arbeitstier herabzuwürdigen, so ist das letzte Stadium, das die Automation heute in Aussicht stellt, die Schaffung eines selbständigen mechanisch-elektronischen Komplexes, der nicht einmal mehr solcher sklavischen Niemande bedarf.

Während die automatischen Prozesse allmählich vervollkommnet wurden, betonten seltsamerweise die führenden Denker des neunzehnten Jahrhunderts mehr als je zuvor den menschlichen Wert der Arbeit als ein Mittel, die Sorgen der Menschen zu vermindern und das menschliche Glück insgesamt zu steigern. Eine solche Anerkennung von Würde und Wert der Arbeit hatte es sporadisch schon lange gegeben. Die alte Tradition des Handwerksstolzes wurde durch das Credo des Benediktinerordens bestärkt, das lautete: »Arbeiten heißt beten«; und er fand institutionellen Rückhalt in den mittelalterlichen Gilden, die in Werkstatt und Innung ein ganzes Netz sozialer Beziehungen geschaffen hatten. So sah man mit der Zeit die Arbeit in allen ihren Formen als die entscheidende Lebensfunktion an: Verachteten nicht gerade deshalb die Fabrikanten ebenso wie die Arbeiter den faulen, müßigen Landadel, der, weil er keine nützlichere Beschäftigung fand, sich der Fuchs- und/oder Schnepfenjagd, dem Polospiel, Kriegs- und Liebesabenteuern zuwandte. Ersatzformen, die nicht weniger anstrengend sind als richtige Arbeit?

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Gewiß ist die Zeit gekommen, die Abschaffung der Arbeit neuerlich zu überdenken. Wenn die Arbeit mindestens eine halbe Million Jahre lang ein integraler Bestandteil der menschlichen Kultur und damit ein bestimmender Faktor der menschlichen Natur gewesen ist — und vielleicht sogar schon anderthalb Millionen Jahre früher ansatzweise begonnen hat, bei dem kleinen hominoiden Affen, den viele Anthropologen voreilig als Menschen identifiziert haben —, was wird vom Leben des Menschen übrigbleiben, wenn diese gestaltende Tätigkeit durch allgemeine Kybernetik und Automation verdrängt wird?

Obwohl die Automation schon seit längerem stetig an Boden gewinnt, ist seltsamerweise erst in jüngster Zeit das Problem aufgetaucht, welche Bedeutung es hätte, wenn der Großteil des menschlichen Arbeitslebens ausradiert würde. Auch heute erkennen nur wenige, daß dieses Problem, einmal ehrlich ausgesprochen, das Endziel der Automation ernsthaft in Frage stellt. Was die mögliche Schaffung einer vollautomatisierten Welt betrifft, so können nur Ahnungslose ein solches Ziel als den höchsten Gipfel menschlicher Entwicklung ansehen. Es wäre eine Endlösung der Menschheitsprobleme nur in dem Sinne, in dem Hitlers Vernichtungsprogramm eine Endlösung des Judenproblems war.

 

  Das Paradoxon der Automation  

 

Hier stehen wir dem großen Paradoxon gegenüber, das für alle Zeiten in Goethes symbolischem Gedicht vom Zauberlehrling dargestellt ist. Unsere Zivilisation hat eine Zauberformel gefunden, um sowohl industrielle als auch akademische Besen und Wasserkübel selbständig arbeiten zu lassen, in immer größerer Zahl und mit immer größerer Geschwindigkeit. Aber wir kennen nicht mehr die Formel des Zaubermeisters, die das Tempo dieses Prozesses vermindern oder ihn ganz aufhalten könnte, wenn er einmal aufhört, menschlichen Funktionen und Zwecken zu dienen, obgleich diese Formel (Voraussicht und Rückkopplung) aus jedem organischen Prozeß deutlich abzulesen ist.

Infolgedessen beginnen wir bereits, wie der Zauberlehrling in der Flut zu ertrinken. Die Moral sollte klar sein: Wenn man nicht die Macht hat, einen automatischen Prozeß aufzuhalten — und nötigenfalls umzukehren —, sollte man ihn lieber gar nicht erst beginnen. Um uns das Eingeständnis unserer Unfähigkeit, die Automation unter Kontrolle zu halten, zu ersparen, behaupten heute viele von uns, der Prozeß entspreche genau unseren Zwecken, nur er befriedige alle unsere Bedürfnisse; genauer gesagt, wir entledigen uns jener modifizierenden menschlichen Züge, die den Prozeß behindern würden. Und in dem Maße, als unsere Kenntnis einzelner Teile und Fragmente sich unendlich verbessert und mikroskopisch, genau wird, schwindet unsere Fähigkeit, die Teile zueinander in Beziehung zu bringen und sie in rationaler Tätigkeit zu verbinden.

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Selbst auf einem eng begrenzten Wissensgebiet — sagen wir, auf dem der Viruskrankheiten im Magen-Darm-Trakt älterer Regenwürmer — ist es für den gewissenhaften Gelehrten schwierig, seinen Kopf über Wasser zu halten. Um mit der Flutwelle rasch verarbeiteten Wissens fertigzuwerden, hat die akademische Welt heute den letzten Schritt zur Automation gemacht: Sie greift zu neuen mechanischen Hilfsmitteln, die bloß den ursprünglichen Zustand verschlimmern, weil man sich nur mit den Resultaten beschäftigt und gar nicht daran denkt, die Ursachen anzutasten — nämlich die eigenen Vorurteile und Methoden. Die Exponenten der Massenproduktion von Wissen haben Hunderte Fachzeitschriften geschaffen, die nur Auszüge aus Abhandlungen abdrucken, und nun wird ein weiterer Auszug aus all diesen Auszügen vorgeschlagen. Im Endstadium dieser Lösung wird alles, was von der ursprünglichen wissenschaftlichen oder gelehrten Abhandlung übrig geblieben ist, ein kleines, unbestimmbares Geräusch sein, bestenfalls ein Titel und ein Datum, um anzuzeigen, daß irgendjemand irgendwo irgendetwas gemacht hat — niemand weiß, was, und der Himmel weiß, warum.

Obwohl dieses Programm für die automatische Massenproduktion von Wissen ihren Ursprung in der Wissenschaft hat und den Stempel des siebzehnten Jahrhunderts trägt, wurde es in den Geisteswissenschaften, besonders an amerikanischen Universitäten, als eine Art Statussymbol nachgeahmt, um Budgetforderungen im Wettkampf zwischen Natur- und Sozialwissenschaften zu stützen und einen quantitativen Maßstab für berufliche Beförderungen zu schaffen. Wie groß auch früher einmal die Kluft zwischen den Naturwissenschaften und den Geisteswissenschaften gewesen sein mag, in der Methode sind sie heute eins geworden. Obwohl sie auf verschiedenen Fließbändern laufen, gehören sie zur selben Fabrik. Das Kennzeichen ihrer gemeinsamen Unzulänglichkeit ist, daß keine von ihnen ernsthaft die Folgen ihrer unkontrollierten Automatisierung bedacht hat.

Noch vor einer Generation gab es einen großen Spielraum für freie Tätigkeit und unabhängiges Denken an den Hochschulen. Heute aber sind die meisten unserer größeren akademischen Institutionen so gründlich automatisiert wie ein Stahlwalzwerk oder ein Telephonsystem: Die Massenproduktion von wissenschaftlichen Abhandlungen, Entdeckungen, Erfindungen, Patenten, Studenten, Doktoren, Professoren und Publizität — nicht zuletzt Publizität! — geht ebenso schnell vor sich; und nur jene, die sich mit den Zielen des Machtsystems, wie absurd sie für den Menschen auch sein mögen, identifizieren, haben Aussicht auf Beförderung und große Forschungssubventionen, denn politische Macht und finanzielle Mittel werden denen zugebilligt, die sich systemkonform verhalten.

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Der breite Strom von Konzernkapital, das aus der Wirtschaft in den akademischen Betrieb einfließt, mit entsprechender Steigerung der finanziellen Anreize für die Forschung, erweist sich als letzter Schritt der Integrierung der amerikanischen Universität in das neue Machtsystem.

Indessen wird eine Unmenge wertvollen Wissens zusammen mit einer noch größeren Menge von Trivialität und Unsinn auf einen gewaltigen Abfallhaufen geworfen. Da es an einer Methode fehlt, die qualitative Maßstäbe anlegt, zu ständiger Bewertung und Selektion anregt und mit Verarbeitungsprozessen, wie im Verdauungsapparat, sowohl den Appetit als auch die Nahrungs­aufnahme reguliert, wird die oberflächliche Ordnung des individuellen Wissens durch den Charakter des Endergebnisses zunichte gemacht; denn mehr und mehr über immer weniger zu wissen, heißt letztlich einfach nur immer weniger zu wissen.

Als ein Mittel, eine geordnete und verständliche Welt zu schaffen, kommt die Automatisierung des Wissens bereits dem völligen Bankrott nahe; und die jüngsten Revolten der Universitätsstudenten, zusammen mit dem vielleicht noch gefährlicheren Rückfall in totalen Nihilismus, sind Symptome dieses Bankrotts.

Ich bitte, diese sachliche Beschreibung der Automatisierung des Wissens nicht als eine boshafte Satire zu mißverstehen; noch weniger soll sie als Angriff auf Wissenschaft, Gelehrsamkeit oder auf die vielen hervorragenden Leistungen der elektronischen und kybernetischen Technologie gewertet werden. Nur ein Narr kann die immensen praktischen Vorteile und die berauschenden Perspektiven für den menschlichen Geist geringschätzen, welche die Wissenschaft, unterstützt von der Technik, eröffnet hat. Ich will nur sagen, daß die Automation der Automation heute überall dort, wo sie Fuß gefaßt hat, nachweislich irrational ist: in den Natur- und Geisteswissenschaften ebenso wie in der Industrie und in der Armee. Und ich behaupte, daß dies keine Zufalls­erscheinung ist, sondern ein Gebrechen, das jedem vollautomatisierten System anhaftet.

Diese Irrationalität wurde von Derek Price mit simulierter Exaktheit humorvoll demonstriert: Er errechnete, daß bei der gegen­wärtigen Wachstumsrate der wissenschaftlichen Produktivität in ein paar Jahrhunderten auf jeden Mann, jede Frau, jedes Kind und jeden Hund unserer Erde Dutzende Wissenschaftler kommen würden. Glücklicherweise lehrt uns die Ökologie, daß unter solchen Bedingungen der Übervölkerung und Überforderung der Großteil der Menschheit noch vor Erreichung dieses Punktes ausgestorben sein würde.

Doch man muß nicht auf den endgültigen Zusammenbruch des Systems warten, um seine Konsequenzen zu erkennen. Schon lange bevor das theoretische Ende naht, lassen die Symptome Böses ahnen.

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Die großen öffentlichen und Universitätsbibliotheken sind bereits am Ende ihrer Weisheit, nicht nur, was die Unterbringung der bereits erworbenen Bücher betrifft — obgleich der Bücherankauf stets selektiv war —, sondern sogar schon in bezug auf die Katalogisierung des jährlichen Ausstoßes von Büchern, wissenschaftlichen Abhandlungen und Zeitschriften. Ohne an die Folgen zu denken, spielen viele Bibliothekare heute mit dem verzweifelten Gedanken, die Aufbewahrung von Büchern als veraltet abzuschaffen und deren Inhalt sofort auf Mikrofilme und Computer zu übertragen.

Leider ist »Abberufung von Information«, so schnell sie auch gehen mag, kein Ersatz dafür, durch direkten persönlichen Augenschein Wissen zu entdecken, von dessen Existenz man möglicherweise nie gewußt hat, und es mit der eigenen Arbeits­methode in der einschlägigen Literatur weiterzuverfolgen. Aber selbst wenn die Bücher nicht abgeschafft werden, sondern in ihrer gegenwärtigen Produktionsrate weitererscheinen, verschärft die Vervielfachung der Mikrofilme in Wirklichkeit das Hauptproblem — das der Bewältigung der Quantität — und schiebt die richtige Lösung, die nach ganz anderen als rein mechanischen Prinzipien gefunden werden muß, nur hinaus: Es geht darum, die menschliche Selektivität und moralische Selbstdisziplin wiederherzustellen und zu einer zurückhaltenderen Produktivität zu gelangen. Ohne selbstauferlegte Beschränkung wird die Überproduktion von Büchern einen Zustand intellektueller Schwächung und Erschöpfung herbeiführen, der kaum noch von massiver Ignoranz zu unterscheiden ist.

Je mehr die Menge der Informationen auf jedem Gebiet anwächst, bis zu einem Punkt, wo eine individuelle Beurteilung und Verarbeitung gar nicht mehr möglich ist, ein desto größerer Teil davon muß durch offizielle Agenturen verbreitet werden. Wenn auch ein schmales Bächlein frischen und unorthodoxen Wissens in Form von Druckwerken eine winzige Minderheit erreicht, wird doch nichts weitervermittelt, das nicht den jeweiligen Maßstäben der Megamaschine entspricht. Das hat sich besonders deutlich in den Vereinigten Staaten in der Vietnamkrise erwiesen, als das Fernsehen den Sprechern, die die offizielle Politik einer militärischen Lösung unterstützten, ebensoviel Zeit einräumte wie jenen, die eine Lösung durch Verhandlungen verlangten; sie unterließen es aber geflissentlich, jene zur Darlegung ihres Standpunkts einzuladen, die, so wie ich, für den bedingungslosen Abzug der amerikanischen Truppen eintraten — zu einer Zeit, da dies noch möglich war, ohne daß man eine demütigende Niederlage einstecken mußte.

Sowohl die alten als auch die modernen Herrschaftssysteme beruhen im wesentlichen auf zentral gelenkter Einbahn-Kommun­ikation. Im persönlichen Kontakt kann auch der Unwissendste widersprechen und hat außer der Sprache auch andere Mittel zur Verfügung — Mimik, Körperhaltung und sogar Gewaltandrohung. Telekommunikationen dagegen müssen von der öffentlichen Hand installiert werden und unterliegen daher in der Regel einer äußeren Kontrolle.

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Der Versuch, dieser Schwierigkeit durch Meinungsumfragen zu begegnen, ist nur eine heimtückischere Art, die Kontrolle zu behalten. Je komplexer der Vermittlungsapparat, desto wirksamer unterdrückt er jede Information, die das Pentagon der Macht herausfordert oder angreift.

Obwohl die totale Beherrschung der Kommunikationsmedien der modernen Megamaschine einen großen Vorteil gegenüber dem primitiven früheren Modell zu bieten scheint, ist es wahrscheinlich, daß ihre Expansion schließlich ihren Zusammenbruch beschleunigen wird, weil es ihr an Informationen mangelt, die sie für ihr eigenes Funktionieren braucht. Die Weigerung, solche Informationen aufzunehmen, selbst wenn sie angeboten werden, wird in dem Maße hartnäckiger, als das System engmaschiger wird.

Heute kann die wachsende Zahl von Massenprotesten, Sitzstreiks und Unruhen — mehr physische Akte als Worte — als ein Versuch interpretiert werden, die automatische Isolierung der Megamaschine zu durchbrechen, mit ihrer Tendenz, die eigenen Fehler zu bemänteln, unwillkommene Botschaften zurückzuweisen oder die Übermittlung von Informationen zu blockieren, die dem System schaden könnten. Eingeschlagene Fensterscheiben, brennende Häuser und blutige Köpfe sind Mittel, um dem widerwilligen Medium menschlich wichtige Botschaften aufzuzwingen und so, wenn auch in rohester Form, zweiseitige Kommunikation und gegenseitigen Meinungsaustausch wiederherzustellen.

Ist die automatische Kontrolle einmal hergestellt, dann kann man sich nicht weigern, ihre Aufträge zu akzeptieren oder neuen Instruktionen Raum zu geben, denn theoretisch kann die Maschine niemandem gestatten, von ihren eigenen perfekten Maßstäben abzuweichen. Und dies bringt uns sogleich zum größten Fehler jedes automatischen Systems: Um reibungslos funktionieren zu können, braucht dieses unterdimensionierte System ebenso unterdimensionierte Menschen, deren Werte dem Funktionieren und der unaufhörlichen Expansion des Systems dienen. Die Menschen wurden so konditioniert, daß sie sich kein anderes System vorstellen können. Da sie sich für die Automation entschieden haben, sind sie gezwungen, auf jede subjektive Reaktion zu verzichten und jede Autonomie zu unterdrücken — ja, jeden organischen Prozeß, der sich über die Regeln des Systems hinwegsetzt.

Hier, im innersten Kern der Automation, liegt ihre. prinzipielle Schwäche, sobald das System einmal Universalität erlangt hat. Seine Exponenten, selbst wenn sie imstande sind, seine Unzulänglichkeiten zu erkennen, sehen keinen Weg zu deren Überwindung, außer durch weitere Ausdehnung von Automation und Kybernetik. Deshalb wird jetzt im großen Maßstab obligatorische Freizeitgestaltung produziert, um profitbringenden Ersatz für die geschwundene Freude an der Arbeit zu finden, die einst in der Werkstatt, auf dem Marktplatz oder auf dem Bauernhof unmittelbare menschliche Befriedigung gewährte, sowohl an sich als auch durch die vielen Möglichkeiten menschlichen Kontakts, die sie erschloß.

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Tatsächlich kann jedoch ein einmal etabliertes automatisches System keine menschliche Rückkoppelung akzeptieren, die ein Zurückschalten verlangt; darum akzeptiert es keine Feststellung seiner schädlichen Folgen, und noch weniger ist es bereit, die Notwendigkeit einer Korrektur seiner Postulate zuzugeben. Quantität ist alles. Den Wert seiner rein quantitativen Steigerung als Beitrag zur Erhöhung menschlichen Wohlergehens anzuzweifeln, heißt Ketzerei begehen und das System schwächen.

Hier stehen wir schließlich einer weiteren Schwierigkeit gegenüber, die unmittelbar aus der Automation entspringt. Während die technische Ausstattung unserer Lehranstalten mit Kernreaktoren, Computern, Fernsehapparaten, Tonbandgeräten, Lernmaschinen und Klassifizierungs­automaten zunimmt, nimmt die Bedeutung der menschlichen Inhalte zwangsläufig ab. Überall, wo die Automation sich durchgesetzt hat, ist das wechselseitige Geben und Nehmen, das bis dahin zwischen den Menschen und ihrer Umwelt bestanden hatte, schwieriger und in vielen Fällen sogar unmöglich geworden; denn der ständige Dialog, der zur Selbsterkenntnis, zur sozialen Zusammenarbeit und zur moralischen Wertung und Berichtigung notwendig ist, hat in einer automatisierten Lebensordnung keinen Platz.

Als Hiobs Leben scheiterte, konnte er, zumindest in seiner Phantasie, sich an Gott wenden und mit ihm hadern. In einer automatisierten Wirtschaft jedoch ist die Unterdrückung der Persönlichkeit bereits so vollständig, daß die ehrenwerten Häupter unserer Gesellschaft ebenso außerstande sind, ihre Ziele zu ändern, wie der kleinste Kanzleibeamte. Das System selbst ist es, das, einmal etabliert, die Befehle erteilt. Man wird vergeblich versuchen, den Chef persönlich zu Gesicht zu bekommen; unser automatischer Apparat ist so undurchsichtig und unzugänglich wie die Obrigkeit, die Franz Kafka in seinem erschreckend prophetischen Alptraum Der Prozeß gezeichnet hat. Vom menschlichen Standpunkt gesehen, wäre also die richtige Bezeichnung für die Automation — Selbstentmachtung. Das ist die andere Seite der totalen Kontrolle.

Während unsere Techniker den von ihnen konstruierten Maschinen und automatisierten Systemen mehr Eigenschaften lebender Organismen verleihen, entdeckt der moderne Mensch, daß er, um in dieses Schema hineinzupassen, die Gesetze der Maschine akzeptieren muß und nicht nach jenen qualitativen, subjektiven Attributen streben darf, die das mechanische Weltbild von vornherein negierte und die keine Maschine besitzen kann.

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Ein ebenso ernstes Problem besteht darin, daß in dem Maße, als das System der Automation differenzierter und damit selbständiger und geschlossener wird, die Möglichkeiten schwinden, in den Prozeß einzugreifen, sein Tempo zu verändern, seine Richtung zu beeinflussen, seine weitere Ausdehnung aufzuhalten oder ihm ein anderes Ziel zu geben. Die Teile mögen flexibel und reaktionsfähig sein, wie einzelne Computer, die Schach spielen können, bewiesen haben; aber das automatisierte System als Ganzes wird zunehmend starrer. Die Automation weist also einen qualitativen Mangel auf, der unmittelbar ihrer quantitativen Leistungsfähigkeit entspringt: Kurz gesagt, sie vermehrt die Wahrscheinlichkeiten und vermindert die Möglichkeiten. Obwohl die einzelne Komponente eines automatischen Systems programmiert sein kann wie eine Lochkarte an einem Auto-Fließband, ist das System als solches fixiert und unelastisch — so sehr, daß es kaum mehr ist als ein exaktes mechanisches Modell einer Zwangsneurose und letztlich vielleicht sogar die gleichen Ursachen hat — Angst und Unsicherheit.

 

  Zwänge und Nötigungen 

 

Wohl kann eine neue technische Vorrichtung den Bereich menschlicher Freiheit vergrößern, doch ist das nur der Fall, wenn die Nutznießer dieser Freiheit auch frei sind, sie zu akzeptieren, zu modifizieren oder abzulehnen; sie zu verwenden, wo, wann und wie sie immer sie ihren Zwecken dient, in dem Maße, das diesen Zwecken entspricht.

Gewiß ist das Problem der Bewahrung der menschlichen Freiheit angesichts umweltbedingter, institutioneller und technologischer Zwänge nicht erst mit der automatischen Maschine entstanden. Brauch, Gesetz, Tabu, religiöses Dogma, militärischer Zwang — sie alle haben in der Vergangenheit menschlichen Gemeinschaften repetitives Verhalten und harte Leistungsbedingungen auferlegt. Dies war zum Teil notwendig, um grundlegende Übereinstimmung und Kohärenz zu sichern, die als Schutz gegen spontane abweichende Impulse und zerstörerische Handlungen dienen sollten. Doch es besteht kaum ein Zweifel, daß diese Gleichförmigkeit oft die menschliche Entwicklung gehemmt hat, sicherlich in Stammesgemeinschaften, aber in beträchtlichem Maße auch in den offeneren Gesellschaften. In fast jedem Zeitalter waren daher kluge Köpfe bemüht, an strenge Sitten und erstarrte Institutionen selektive rationale Maßstäbe anzulegen, um auf diese Weise überholte Zwänge abzuschwächen, wenn nicht gänzlich aufzuheben.

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Aber solche Hemmungen, solche Vorsicht, solche Unterscheidungen fanden noch keine Anwendung auf die vielen Erfindungen und Entdeckungen, die sich auf allen Gebieten einstellten. Die westliche Gesellschaft hat einen technologischen Imperativ als unanfechtbar akzeptiert, der ebenso willkürlich ist wie das primitivste Tabu: nicht bloß die Pflicht, Erfindungen zu fördern und fortlaufend technologische Neuerungen herbeizuführen, sondern ebenso die Pflicht, sich diesen Neuerungen bedingungslos zu unterwerfen, nur weil sie angeboten werden, ohne Rücksicht auf ihre Folgen für den Menschen. Man kann heute ohne Übertreibung von einer technologischen Zwanghaftigkeit sprechen: ein Zustand, bei dem die Gesellschaft jeder neuen technologischen Forderung nachgibt und jedes neue Produkt ungeprüft verwendet, ob es nun eine wirkliche Verbesserung ist oder nicht; denn unter diesen Umständen stellt die Tatsache, daß das angebotene Produkt das Resultat einer neuen wissenschaftlichen Entdeckung oder eines neuen technologischen Verfahrens ist oder neue Möglichkeiten zu Investitionen bietet, den einzigen erforderlichen Beweis seines Wertes dar.

Diese Situation wurde von dem Mathematiker Johann von Neumann folgendermaßen charakterisiert: »Technologische Möglichkeiten sind für den Menschen unwiderstehlich. Wenn der Mensch zum Mond fliegen kann, tut er es. Wenn er das Klima beherrschen lernt, wird er es tun.« Obwohl Neumann selbst darüber mit Recht besorgt war, schrieb er allzu leichtfertig dem Menschen Eigenschaften zu, die nur für dieses Zeitalter der westlichen Kultur Geltung haben, ein Zeitalter, das seine Energien und seine Hoffnungen so völlig an die Maschine geknüpft hat, daß es sich selbst aller Ideen, Institutionen und Gewohnheiten beraubt, die in der Vergangenheit andere Zivilisationen befähigten, solche Wahnideen und Zwangsvorstellungen zu überwinden. Im Gegensatz zu unserer Zeit widersetzten sich frühere Gemeinschaften energisch — und manchmal vernunftwidrig — technologischen Neuerungen und verzögerten sie, bis sie anderen menschlichen Erfordernissen entsprachen und ihren Wert erwiesen hatten, oder sie lehnten sie gänzlich ab.

Heute besteht kein Zweifel daran, daß der »unwiderstehliche« Impuls, den Neumann beschrieben hat, tatsächlich die wissen­schaftliche und technologische Welt von heute beherrscht. Der amerikanische Genetiker Herrmann Muller benützte Neumanns Diktum als Argument für eine von Wissenschaftlern durchgeführte genetische Kontrolle der Fortpflanzung. Muller sprach von der Möglichkeit, Vorräte tiefgekühlter menschlicher Spermazellen von Genies anzulegen, so wie man heute Samen von preisgekrönten Zuchtstieren konserviert, und sagte mit alarmierender Naivität: »Ihre bloße Existenz wird schließlich ein unwiderstehlicher Ansporn sein, sie auch zu verwenden.«

Psychologen kennen diesen »unwiderstehlichen Ansporn« in vielen Formen: Denn in dem Augenblick, da ein Impuls, auch ein normaler, unwiderstehlich wird, bloß weil er existiert, wird er krankhaft; und daß seine Krankhaftigkeit nicht von Wissenschaftlern erkannt wird, deren Disziplin angeblich als Schutz gegen irrationale Entschlüsse oder Handlungen dient, ist nur ein weiterer Beweis für jene Krankhaftigkeit.

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Es gibt ein einfaches Mittel, zu demonstrieren, wie völlig absurd — oder genauer, wie gefährlich irrational — es ist, solche technologische Zwanghaftigkeit zu akzeptieren; und zwar, indem man Neumanns Diktum logisch zu Ende führt: Wenn der Mensch die Macht hat, alles Leben auf Erden auszurotten, wird er es tun. Da, wie wir wissen, die Regierungen der Vereinigten Staaten und Sowjetrußlands bereits nukleare, chemische und bakterielle Waffen in ausreichenden Mengen hergestellt haben, um die Menschheit auszurotten, welche Aussichten bestehen dann, daß der Mensch überlebt, wenn diese Unterwerfung unter zügellose und entmenschte technologische Imperative »unwiderstehlich« bis zur letzten Konsequenz weitergeübt wird?

Im Lichte dieser Tatsachen muß das Hauptproblem der Technik neu formuliert werden: Es handelt sich um das Problem, Menschen heranzubilden, die ihr eigenes Wesen genügend verstehen, um die Kräfte und Mechanismen, die sie erzeugt haben, kontrollieren und nötigenfalls unterdrücken zu können. Kein automatisches Warnsystem kann dieses Problem für uns lösen.

Aber zuerst müssen wir tiefer in unser Innerstes eindringen, um die Grundlagen dieser zwanghaften Versuchungen zu entdecken. Wir müssen uns fragen: Warum verwandelt sich jede Möglichkeit in einen Zwang? Warum ist das geheime Motto unserer machtorientierten Gesellschaft nicht einfach »Du kannst, deshalb darfst du«, sondern »Du darfst, deshalb mußt du«? Ist das die Freiheit, die die Wissenschaft uns einst versprach? Was man unter der Oberfläche dieses wissenschaftlichen Determinismus entdeckt, ist ein noch bedrohlicherer Wesenszug: ein primitiver, subjektiv konditionierter Fatalismus.

In unserem Zeitalter hat ein Wissenschaftler nach dem anderen mit Besorgnis darauf verwiesen — oder auch stolz proklamiert —, daß wissenschaftliche Entdeckungen und ihre technischen Anwendungen schneller fortschreiten als unsere Fähigkeit, sie zu assimilieren und auf wertvolle Ziele zu lenken. Doch der professionelle Zwang, unfertiges, ungenügend überprüftes Wissen unmittelbar anzuwenden, ist so stark, daß immer noch bleibender Schaden an der Umwelt und allen Organismen, nicht zuletzt am Menschen, angerichtet wird. Heute sollte schon klar sein, daß jene Methodologie, die vorgibt, alles Subjektive aus ihrem Weltbild eliminiert zu haben, keine Möglichkeit bietet, ihre eigenen subjektiven Eitelkeiten, Entstellungen und Perversionen zu erkennen.

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Ist die Übertragung organischer und menschlicher Fähigkeiten auf systembeherrschte mechanische Automaten erst einmal zu Ende geführt, dann wird der Mensch die freie Verfügung über seine physischen Organe verloren haben. Es gibt in den Vereinigten Staaten bereits Gegenden, wo Menschen das Recht verloren haben, frei ihre Beine zu benutzen: In vielen kalifornischen Vorstädten werden Fußgänger von der Polizei selbst am hellen Tag als verdächtige Gestalten verhaftet. Der nächste Schritt wird darin bestehen, jeden einzusperren, der seine Stimme zum Singen benützt, anstatt sein tragbares Transistorradio einzuschalten; und selbst die Möglichkeit, sich selbständig Tagträumen hinzugeben, ist weitgehend vom zentral gelenkten Fernsehen und Radio übernommen worden. Der Große Bruder wartete nicht bis 1984, um seine Herrschaft anzutreten: Eine Menge Kleiner Brüder vom gleichen Schlag machen sich bereits überall breit. Mit diesen äußersten Formen der Freiheitsberaubung werde ich mich später eingehender beschäftigen.

Hier will ich nur eine Frage stellen: Wenn das Leben des Menschen an sich so wertlos ist, welcher Zauber bewirkt, daß es wertvoller wird, wenn man es in eine kollektive Maschine einfüttert? Und wenn die Welt, die wir mit Hilfe der Wissenschaft erbaut haben, erklärtermaßen eine Welt ist, in der es keine Werte gibt, welcher Logik zufolge können wir der Wissenschaft oder der Automation Werte zugestehen? Wenn man das wirkliche Leben des Menschen entleert, dann ist, vom Menschen aus gesehen, alles, was übrig bleibt, Leere. Will man eine rationale Antwort auf das Problem finden, wie Mechanisierung und Automation mit den Bedürfnissen des Menschen verbunden werden können, dann müssen wir all die ausgesparten subjektiven Flächen ausfüllen, die im mechanischen Weltbild freigelassen wurden.

 

  Endstadium: Das große Gehirn  

 

»Wir sind bereits völlig daran gewöhnt, daß sowohl Muskeln als auch Dampfmaschinen Arbeit leisten, aber wir fühlen uns nicht wohl bei der Vorstellung, daß sowohl Gehirne als auch Rechenmaschinen denken.« Wie Professor J. Z. Young, der diesen Gedanken aussprach, klar erkennt, ist der Unterschied zwischen diesen beiden Feststellungen ebenso groß wie ihre Ähnlichkeit, denn obwohl Computer manche der schwierigsten und anstrengendsten Operationen des abstrakten Denkens mit unglaublicher Schnelligkeit vollziehen, führen sie nur automatisch Instruktionen aus, die ihnen von einem denkenden Gehirn erteilt werden.

Experimente haben gezeigt, daß Maschinen, die aus soliden beweglichen Teilen bestehen, nur sehr einfache geistige Operationen ersetzen können, so wie etwa die altmodische Addiermaschine.

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Als Charles Babbage seinen ersten kühnen Versuch machte, seine Rechenmaschine zu bauen, wollte er die Plage jener erleichtern, die dazu verdammt waren, mühselige astronomische Berechnungen anzustellen: aber Konstruktion und Bau dieser Maschine erwiesen sich als so schwierig, daß das ursprüngliche Modell nie fertiggestellt wurde — doch die damit verbundenen Anforderungen an größere Präzision förderten die Heranbildung einer neuen Mechanikergeneration, die imstande war, andere komplizierte Maschinen, nach denen bereits Nachfrage bestand, zu bauen. Dieser einfache Denkvorgang erforderte ein elektronisches System, das noch schneller funktionieren konnte als das Gehirn.

Der elektrische Computer war — wenn auch ganz unbewußt — dem menschlichen Gehirn nachgebildet; und mit seiner vereinfachten und reduzierten Nachahmung der Gehirnfunktionen schuf er seinerseits mehr Klarheit über die organische Elektrochemie der Aufzeichnung, Entschlüsselung und Zusammensetzung von Botschaften. Und während das Verhalten gewöhnlicher Maschinen von der Physik adäquat analysiert werden kann, ist es nicht erstaunlich, daß für das Funktionieren eines Computers nicht nur Physiker und Elektronentechniker, sondern auch Gehirnphysiologen, Linguisten und Logiker gebraucht werden. Je lebensähnlicher die Computer werden, desto zahlreicher und verschiedenartiger werden diese zusätzlichen Fachkräfte sein.

Mit den — zum Großteil negativen — gesellschaftlichen Konsequenzen der Ausdehnung des Einsatzes von Computern auf Gebieten, die bisher direkt von Menschen ausgeübt wurden, werde ich mich befassen, wenn wir die neue Megamaschine untersuchen; hier aber möchte ich nur ihre unmittelbare Wirkung erörtern, die sich aus der Vollendung des Prozesses, der mit der mechanischen Uhr begann, ergibt. Es ist wichtig, zu erkennen, daß die Automation in dieser höchsten Form einen Versuch darstellt, Kontrolle auszuüben nicht nur über die mechanischen Prozesse, sondern auch über den Menschen, der sie einmal gelenkt hat: Sie verwandelt ihn aus einer aktiven in eine passive Kraft und schaltet ihn schließlich ganz aus.

Der Wissenschaftler, der die Kontrollfunktion unterstrich, indem er der Computersteuerung den Namen Kybernetik gab, war Dr. Norbert Wiener; und vermutlich gab es niemanden, der mehr als er zur Entwicklung dieser Reihe von Erfindungen beigetragen hat. Wiener half den Computer mit einigen spezialisierten Attributen der menschlichen Intelligenz ausstatten, einschließlich der Fähigkeit, neue Informationen zu absorbieren und die eigenen Fehler zu berichtigen (Rückkopplung).

Doch niemand erkannte besser als er die Probleme, die die Unabhängigkeit des Computers vom menschlichen Eingreifen aufwerfen würde; und niemand war mehr besorgt als er über die besondere Faszination, die die Automation auf Autokraten ausüben würde, die bestrebt sind, menschliche Reaktionen auf das zu beschränken, was den begrenzten Daten, die sie zu programmieren vermögen, entspricht.

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Techniker, denen es an anderen Zwecken und Werten, Erinnerungen und Gefühlen mangelt, sehen keine menschliche Unzulänglichkeit in ihrer scheinbar übermenschlichen Maschine oder in der Art der Anforderungen, die sie an die Maschine stellen.

Norbert Wiener hingegen respektierte die Autonomie, die Spontaneität und die moralische Verantwortung des Menschen — eben die Eigenschaften, die jene bewußt ausschalten wollen, die heute den Bereich der Automation in jeder Richtung ausdehnen, jene »Priester der Macht«, wie Wiener sie nannte. Darum wollen wir hier Wiener ausführlich zitieren.

»Wenn wir, um unsere Zwecke zu erreichen, ein mechanisches Mittel anwenden, dessen Funktionsablauf wir, sobald wir es einmal in Gang gesetzt haben, nicht wirksam unterbrechen können, weil der Vorgang so schnell und unwiderruflich ist, daß wir nicht die Daten haben, um einzugreifen, ehe er abgeschlossen ist, dann sollten wir lieber erst ganz sicher sein, daß der Zweck, zu dem wir die Maschine bestimmt haben, jener ist, den wir tatsächlich anstreben, und nicht nur eine farbenprächtige Nachahmung davon.

Der einzelne Wissenschaftler muß als Teil eines Prozesses arbeiten, dessen Zeitskala so groß ist, daß er als einzelner nur einen sehr begrenzten Abschnitt erfassen kann. Auch hier ist die Kommunikation zwischen den beiden Teilen einer Doppelmaschinerie schwierig und begrenzt. Selbst wenn der einzelne glaubt, daß die Wissenschaft zu den menschlichen Zielen, die ihm am Herzen liegen, beizutragen vermag, bedarf sein Glauben der wiederholten kritischen Überprüfung und Neubewertung, die bloß teilweise möglich ist. Denn der einzelne Wissenschaftler muß, selbst bei einer Teileinschätzung der Relation zwischen dem Menschen und dem Prozeß, sich eine Vorstellung von der Weiterentwicklung der Geschichte machen können, was schwierig, anstrengend und nur begrenzt möglich ist. Und wenn wir uns einfach der Meinung des Wissenschaftlers anschließen, daß unvollständiges Wissen über die Welt und über uns selbst besser ist als gar kein Wissen, so können wir doch keinesfalls die naive Annahme verteidigen, daß es um so besser sei, je schneller wir daran gehen, die neuen Kräfte, die sich uns anbieten, in Gang zu setzen. Wir müssen stets unsere ganze Vorstellungskraft aufwenden, um zu überprüfen, wohin uns der volle Gebrauch unserer neuen Möglichkeiten führen kann*.«

In der verständlichen Begeisterung über die Entdeckung, wieviele lebensähnliche Funktionen durch Abstraktion auf den Computer übertragen werden können, wird dessen Leistungsfähigkeit in einer realen Lebenssituation oft überschätzt und sein relativer Vorteil übertrieben.

*  <Some moral und technical consequences of automation>, in: Science, 6. Mai 1960.

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Ich möchte zwei bezeichnende Beispiele anführen. Die Medizinische Bibliothek in Bethesda, Maryland, verfügt über einen Informationenabrufdienst (MED-LARS), der rund 2800 medizinische Zeitschriften laufend registriert. Dieses System ist seit 1963 in Betrieb, und bis 1968 waren eine halbe Million Artikel gespeichert. Um einen Vergleich zwischen dem Erfolg einer mit Computer und einer auf konventionelle Weise durchgeführten Ermittlung herzustellen, verfertigten zwei Angestellte der Radcliffe Science Library in England ein Stichwörterverzeichnis über die gleichen Themen und für den gleichen Zeitraum wie auf den MEDLARS-Bändern. Neun wichtige Stichwörter von MEDLARS hatten die Bibliotheksangestellten zwar nicht gefunden, doch entdeckten sie dreizehn wichtige Hinweise, die auf den Bändern nicht enthalten waren. In bezug auf Schnelligkeit, Billigkeit und Qualität zeigte sich der Mensch dem Automaten überlegen.

Ein noch dramatischeres Beispiel lieferte die Mondlandung der Apollo 11. In einem kritischen Augenblick der Landung auf dem Mond meldete der Computer der Astronauten wiederholt, daß er die Daten nicht verarbeiten könne; in menschlichen Begriffen ausgedrückt — er geriet in Panik; die Bodenstation war nahe daran, die Mission abzubrechen. Zum Glück traf sie die radikale Entscheidung, den Computer auszuschalten und die Astronauten die Endphasen der Landung allein durchführen zu lassen.

Die Lebenstüchtigkeit und Anpassungsfähigkeit des Computers muß in Frage gestellt werden. Seine zweckmäßige Verwendung hängt von der Fähigkeit seiner menschlichen Auftraggeber ab, im wahrsten Sinne des Wortes nicht den Kopf zu verlieren, nicht nur die Programmierung genau zu überprüfen, sondern sich selbst das Recht der letzten Entscheidung vorzubehalten. Kein automatisches System kann sinnvoll von Automaten betrieben werden — oder von Leuten, die es nicht wagen, menschliche Intuition, menschliche Selbständigkeit und menschliche Zwecke geltend zu machen.

Seltsamerweise war Wieners Besorgnis über die Automation mit ähnlicher Begründung von John Stuart Mill in seinem Essay on Liberty vorweggenommen worden. »Angenommen«, sagte Mill, »es wäre möglich, mit Hilfe von Maschinen — menschen­ähnlichen Automaten — Häuser zu bauen, Getreide zu pflanzen. Schlachten zu schlagen, Gerichtsverhandlungen durchzuführen und sogar Kirchen zu errichten und Gebete zu sprechen, so wäre es ein beträchtlicher Verlust, diese Automaten an die Stelle der Männer und Frauen zu setzen, die heute die zivilisierten Teile der Welt bewohnen und die ganz gewiß nur kümmerliche Beispiele dessen sind, was die Natur erzeugen kann und wird.«

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Was Mill so früh erkannte und was Wiener später unterstrich, war, daß die Gesamtsumme menschlicher Möglichkeiten in jeder Gemeinschaft unendlich größer ist als die begrenzte Anzahl, die in einem geschlossenen System untergebracht werden kann — und alle automatischen Systeme sind geschlossen und begrenzt, selbst jene Computer, die imstande sind, aus der weiteren Verwendung des bereits gegebenen Materials zu lernen. Dem Wesen nach kann kein Computer so reich an Lebenserfahrung und erprobter Information sein wie eine Großstadt.

Offenkundig können Computer keine Symbole erfinden und keine Gedanken begreifen, die nicht bereits in ihrem Programm enthalten sind. Innerhalb dieser engen Grenzen kann ein Computer logische Operationen richtig ausführen und sogar — bei einem Programm, das Zufallsfaktoren einschließt — Kreativität simulieren; unter keinen Umständen aber kann er von einer anderen Organisationsweise als seiner eigenen auch nur träumen. Mit dem Problem der Übersetzung aus einer Sprache in die andere konfrontiert — einer Aufgabe, die man einmal versuchsweise einem Computer übertrug —, wählte dieser die Wörter so sinnlos und brachte die Bedeutungen so durcheinander wie ein Mensch mit Gehirnschaden.

Im Gegensatz dazu ist der Mensch seiner Veranlagung nach ein offenes System, das auf ein anderes offenes System, die Natur, reagiert. Nur ein unendlich kleiner Teil beider Systeme kann vom Menschen interpretiert oder unter Kontrolle gebracht werden, und ein noch kleinerer Teil fällt folglich in den Bereich des Computers. Jeden Augenblick können neue und unerwartete Faktoren subjektiven Ursprungs die zuverlässigsten Voraussagen des Computers umstoßen, wie es bei Wahlprognosen schon häufig geschehen ist. Eine Ordnung, wie der Mensch sie durch seine Gesetze und Bräuche, seine Ideologien und moralischen Regeln erreicht hat, hat sich — so schwach sie auch sein mag — als wertvoll erwiesen, weil sie dazu beiträgt, beide organischen Systeme offenzuhalten, und verhindert, daß die Fähigkeit des Menschen zur Integration durch maßlose Steigerung der Quantität oder durch irrelevante Neuerungen zerstört wird.

Heute sollte es bereits klar sein, daß viele übertriebene Hoffnungen auf eine vom Computer beherrschte Gesellschaft subjektive Ausstrahlungen des Geld-Lust-Zentrums sind. Selbst die Hoffnungen auf völlig Eliminierung des Arbeiters haben sich als einigermaßen voreilig herausgestellt. Es zeigt sich, daß für jeden manuellen Arbeiter, der aus einem alten Handwerk vertrieben oder vom Fließband entfernt wurde, ein bürokratischer Ersatz notwendig wird, um den riesigen kybernetischen Pseudo-Organismus, der in Entstehung begriffen ist, zu füttern und zu versorgen — wenn schon nicht unmittelbar in der Produktion, so in Konzernbüros und Regierungsämtern, Universitäten und Forschungsinstituten, Sanatorien und Krankenhäusern, die alle an der Erweiterung der geistigen und materiellen Herrschafts­methoden beteiligt sind. Die denkbar sterilste Arbeitsform, die Papierarbeit, die weniger Muskelkraft erfordert als manuelle Arbeit, hat sprunghaft zugenommen, und die daraus folgende Entartung der reaktiven und verantwortungs­vollen Intelligenz ist ebenso deutlich. Die Auffassung, die Automation bedeute eine Garantie für die Befreiung des Menschen, ist Wunschdenken.

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Auf alle Fälle liegt die ernsteste Gefahr der von Computern beherrschten Automation nicht so sehr in der Verdrängung des Arbeiters aus dem Produktionsprozeß wie in der Verdrängung des menschlichen Geistes und in der allmählichen Unterhöhlung des Vertrauens in dessen Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, die im Gegensatz zum System stehen oder über dieses hinausgreifen. Vor mir liegt The Systemation Letter, ein Rundbrief, der von der Zweigstelle eines Konzerns herausgegeben wird, der in der Erzeugung und Entwicklung von Computern eine Spitzenposition einnimmt; hier zeigt sich, wie die Automation von der Maschine auf die Organisationen, die Systemmethoden — mit oder ohne Computer — anwenden, und von dort wieder auf den einzelnen Menschen zurückwirkt. Das Hauptargument dieses Rundbriefs ist: »Abweichung vom System kann die Kontrolle vereiteln.«

Das verheerendste Ergebnis der Automation besteht also darin, daß ihr Endprodukt der automatisierte oder Organisationsmensch ist — der Mensch, der seine Weisungen vom System erhält und sich als Wissenschaftler, Ingenieur, Fachmann, Verwalter oder schließlich als Konsument und Bürger ein Abweichen vom System nicht vorstellen kann, nicht einmal im Interesse der Effizienz, und noch weniger, um eine vernünftigere, lebendigere, zweckvollere und menschenwürdigere Lebensweise zu finden.

Wie tief verwurzelt der Glaube an die Automation bereits ist, zeigt eine kleine traurige Geschichte, die ich von Dennis Gabor, ehemals Professor für Maschinenbau am Imperial College of Technology in London, einem hervorragenden Fachmann in einem der höchstentwickelten Zweige der modernen Technologie, gehört habe:

»Ich glaube nicht, daß ich Ihnen über die große Hoffnung berichtet habe, die ich vor drei Jahren hegte. Ich hörte, daß IBM-Frankreich ein bemerkenswertes Experiment gemacht hatte. In ihrem großen Werk in Corbeil-Esconnes hatte man mit der Arbeitsteilung Schluß geniacht. Ein Techniker konstruierte ein großes Computerelement, wobei er Hunderte von Werkzeugen benutzte, überprüfte es selbst und signierte es — wie ein Künstler! Ich hörte auch, daß Interesse und Verständnis der Arbeiter sagenhaft gestiegen waren. Daraufhin schrieb ich einen enthusiastischen Brief an IBM-Frankreich und bat, sie besuchen zu dürfen. Ich erhielt die kleinlaute Antwort, bis jetzt sei es tatsächlich so gewesen — aber ihre neue Fabrik werde vollautomatisch sein!« 

IBM war einfach nicht daran interessiert, das menschliche Verständnis zu steigern oder den Maschinenarbeitern die Lebens­qualität wiederzugeben, die früher einmal vom qualifizierten Handwerk gepflegt worden war.

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Diese Geschichte faßt zusammen, was ich zu erklären versuchte. Der Prozeß der Automation hat beschränkte Geister produziert, die außerstande sind, die Ergebnisse ihrer Tätigkeit zu beurteilen, außer nach den archaischen Kriterien von Macht und Prestige, Eigentum, Produktivität und Profit, losgelöst von irgendwelchen wichtigen menschlichen Zielen. Das Pentagon der Macht. Auf Grund ihrer eigenen Logik zielt die Automation auf ein System totaler Kontrolle über jeden Naturprozeß und letztlich über jede organische Funktion und jeden menschlichen Zweck ab. Es ist nicht verwunderlich, daß der einzige Teil der Zivilisation, der sich dem Prinzip der totalen Kontrolle entzieht, die Automation selbst ist. Dem Land, in dem diese Form kollektiver Sklaverei am weitesten fortgeschritten ist, wurde von seinen Informations­manipulatoren (Public-Relations-Spezialisten) beigebracht, dieses System freies Unternehmertum zu nennen. Kein Wunder, daß der unbotmäßige Angestellte, der mir den Systemation Letter schickte, aus dem ich zitiert habe, eine IBM-Lochkarte beilegte, auf der ein einziges Wort stand: »Hilfe!«

Doch an diesem Punkt, wo der automatische Prozeß nahe daran ist, ein ganzes Geschlecht ergebener, gehorsamer menschlicher Automaten zu schaffen, haben die Kräfte des Lebens, teils heimlich, teils ostentativ, begonnen, sich in der einzigen Form, die ihnen geblieben ist, wieder durchzusetzen: in einer explosiven Bejahung der elementaren Energien des Organismus. Wir sind bereits mit einem Rückzug aus der Zivilisation konfrontiert, der verzweifelter ist als jeder andere bisher in der Geschichte verzeichnete — teils eine sehnsüchtige Flucht in bukolische Einfachheit, oft aber in völliger Verzweiflung in einen Zustand, der den primitivsten menschlichen Institutionen voranging — in das, was Shakespeare als Caliban und Freud als die unbewußte Unterschicht der menschlichen Persönlichkeit, das Es, charakterisierte.

Denn man bedenke: Der Automat ist nicht allein auf die Welt gekommen. Er war, wie wir heute sehen können, von einem Zwilling, einem dunklen Schatten-Ich begleitet: trotzig, nicht fügsam; ungeordnet, nicht organisiert oder kontrolliert; vor allem von aggressiver, ja mörderischer Zerstörungslust, die unterdrückten Lebenskräfte in Wahnsinns- oder kriminellen Akten freisetzend. In dem entstehenden Menschentyp droht das Unter-Ich oder das Es die Rolle des Über-Ich zu übernehmen, in einer umgekehrten Rangordnung, die den Einfluß der Vernunft herabsetzt und den Reflexen und den blinden Instinkten die Herrschaft überläßt. Das Ziel dieses subversiven Über-Ich ist es, die höheren Attribute des Menschen zu zerstören, die Fähigkeit zu Liebe, Solidarität, Rationalität, Phantasie und Schöpfertum, die alle Möglichkeiten des Lebens erweitert hat. Gerade im Lichte dieser drohenden Negationen und Zerstörungen muß das ganze Konzept der Unterwerfung der Natur und der Ersetzung der menschlichen Funktionen durch kollektiv fabrizierte, automatisch betriebene, völlig entpersönlichte Äquivalente neu bewertet werden.

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     Vorwärts nach »Nirgendwo«   

 

Nicht dem Wissenschaftler oder Techniker von heute gebührt die Ehre, die volle Bedeutung der Automation begriffen zu haben, sondern dem viktorianischen Satiriker Samuel Butler, einem würdigen Nachfahren Jonathan Swifts, der so viele Absurditäten und offenkundige Trivialitäten unserer heutigen Gesellschaft in seiner Beschreibung von Laputa in Gullivers Reisen vorweggenommen hat.

Butlers erster Brief an The Press in Christchurch, New Zealand, wurde 1863 veröffentlicht und später in seinen Notebooks abgedruckt.

Als junger Schafzüchter, der Zeit hatte, um über Darwins Entstehung der Arten nachzudenken, und mutig genug war, Schlußfolgerungen zu ziehen, wie sie kein junger Doktor der Philosophie heute wagen würde, auch wenn er die Zeit dazu hätte, suchte Butler die weitere Entwicklung der in der Gesellschaft wirkenden Kräfte vorherzusehen. Butler erkannte als erster, daß Darwins Evolutionstheorie, wenn sie stimmte, nicht willkürlich bei der physischen Entwicklung des Menschen haltmachen oder annehmen konnte, daß dieser äonenalte Prozeß nun beendet wäre.

Wie die meisten seiner - und unserer - Zeitgenossen, glaubte er, daß »es wenige Dinge gibt, auf die die gegenwärtige Generation mit mehr Recht stolz ist, als die wunderbaren Verbesserungen, die Tag für Tag an allen möglichen Vorrichtungen vorgenommen werden«. Aber er konnte nicht umhin, zu fragen: »Was soll das Ende dieser gewaltigen Entwicklung sein? In welche Richtung bewegt sie sich? Was wird dabei herauskommen?«

Seine Antwort war: Wie das Pflanzenreich sich aus dem Reich der Minerale entwickelt und das Tier die Pflanze übertroffen hat, ist nun »in den letzten Jahrtausenden ein ganz neues Reich entstanden, von dem wir vorläufig nur das gesehen haben, was eines Tages als die vorsintflutlichen Prototypen der Art betrachtet werden wird« — nämlich das Reich der Mechanik.

Indem der Mensch täglich die Konstruktion der Maschinen verschönerte und verfeinerte, meint Butler, erzeugt er seine eigenen Nachfolger, »denen er mehr Kraft gibt und durch Vorrichtungen aller Arten die Fähigkeit der Selbstregulierung und Selbsttätigkeit verleiht, die für sie das sein wird, was der Verstand für die Menschen war. Mit der Zeit werden wir uns als die unterlegene Rasse erweisen.«

Diese Übertragung von Leben auf mechanische Gebilde wird, so erklärt Butler, die größte Schwierigkeit des Menschen aus dem Weg räumen: die der Entwicklung seiner eigenen Fähigkeit, menschlich zu werden.

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In der moralischen Eigenschaft der Selbstkontrolle würden die Maschinen so überlegen sein, daß der Mensch

»zu ihnen aufblicken wird als dem Gipfel all dessen, was der beste und weiseste Mann je anzustreben wagte. Keine bösen Leidenschaften, keine Eifersucht, kein Geiz, keine unreinen Wünsche werden die ruhige Macht jener herrlichen Wesen stören. Sünde, Schande und Sorge werden keinen Platz unter ihnen haben ... Wenn sie Gefühl wollen (wir geben allein schon mit dem Gebrauch dieses Worts zu erkennen, daß wir sie als lebende Organismen ansehen), werden sie von geduldigen Sklaven bedient werden, deren Pflicht und Aufgabe es sein wird, dafür zu sorgen, daß ihnen nichts fehlt.«

Norbert Wiener vorwegnehmend, schloß Butler sogar die Möglichkeit, daß eine Maschine eine andere Maschine reproduziert, zumindest als entfernte Perspektive nicht aus.

»Tag für Tag«, schloß Butler, »gewinnen die Maschinen uns gegenüber an Boden; Tag für Tag werden wir abhängiger von ihnen; täglich werden mehr Menschen als Sklaven verpflichtet, sie zu bedienen, täglich widmen mehr Menschen ihre gesamten Lebensenergien der Entwicklung des mechanischen Lebens. Der Erfolg ist einfach eine Frage der Zeit, aber daß die Zeit kommen wird, da die Maschinen die Herrschaft über die Welt und deren Bewohner ausüben werden, kann von keinem Menschen mit wahrhaft philosophischem Geist auch nur einen Augenblick lang bezweifelt werden.«

Hat Butler auch genau das vorausgesehen, was heute tatsächlich geschieht, so handelte er seiner eigenen Logik entgegen, indem er, offenbar ironisch, ein absurdes Heilmittel vorschlug: 

»Man sollte den Maschinen unverzüglich den Krieg bis aufs Messer erklären ... Laßt uns zum Urzustand der Menschheit zurückkehren. Sollte jemand behaupten, dies sei beim gegenwärtigen Stand der menschlichen Verhältnisse unmöglich, so beweist dies nur, daß das Unglück schon geschehen ist, daß unsere Knechtschaft in allem Ernst begonnen hat, daß wir ein Geschlecht von Wesen aufgezogen haben, das zu vernichten nicht mehr in unserer Macht liegt, und daß wir nicht nur versklavt sind, sondern uns auch gänzlich mit unserer Sklaverei abgefunden haben.«

Butler dürfte vor seinen eigenen Ahnungen erschrocken sein — so sehr, daß er sich sogleich Sicherheit zu schaffen suchte, wie es zweifellos auch viele Leser dieser Seiten tun werden, indem er sich den Befürwortern der totalen Automation anschloß. In einem zweiten Brief an dieselbe Zeitung trat Butler, nun auf Gegenkurs, als Anwalt der technischen Entwicklung auf, von der elementarsten Feuersteinaxt bis zur raffiniertesten automatischen Maschine.

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Er verwies ganz richtig darauf hin, daß die Maschine eine Erweiterung der organischen Eigenschaften des Menschen ist, eine Weiterentwicklung seiner körperlichen Fähigkeiten, deren Umfang sie vergrößert und denen sie neue Qualitäten hinzufügt, so wie Musikinstrumente Umfang und Qualität der menschlichen Stimme erweitern. Als gefügige Sklaven seien Maschinen so unschuldig und so hilfreich wie die Finger einer Hand.

Doch es ist ein Unterschied, ob man die Maschine benützt, um menschliche Fähigkeiten zu erweitern, oder sie dazu verwendet, menschliche Funktionen einzuengen, über Bord zu werfen oder zu ersetzen. Im ersten Fall wendet der Mensch noch die Macht für sich selbst an; im zweiten übernimmt die Maschine die Macht, und der Mensch wird zu ihrem Gehilfen. Dies brachte Butler zu dem Problem zurück, dem er leichtfertig ausgewichen war, als er vorschlug, die Maschine zu vernichten: zur Frage, welche Veränderungen notwendig sind, um die Macht des Menschen über seine eigenen Schöpfungen wiederherzustellen und zu stärken.

Als Butler in seiner Satire Erewhon*, in der alles auf den Kopf gestellt wird, zu diesem Problem zurückkehrte, nahm er Zuflucht zu einem humoristischen Kompromiß, indem er eine bestimmte Grundausrüstung mit traditionellen Maschinen zuließ, aber die Zerstörung von Maschinen, die nach einem willkürlich gewählten Zeitpunkt erfunden wurden, und die strenge Bestrafung aller künftigen Erfindungsversuche vorsah.

* Erewhon: Umkehrung von Nowhere = Nirgendwo.

Das war ein bedenkliches Ausweichen vor dem eigentlichen Problem: eine Methode der Bewertung, Selektion und Kontrolle zu finden. Doch Butler verriet, bei aller phantastischen Tarnung, größeres Verständnis für die Schwierigkeiten, denen die Menschheit heute tatsächlich gegenübersteht, als die meisten unserer Zeitgenossen, denn ein großer Teil des fortgeschrittenen Denkens in Wissenschaft und Technik ist heute darauf gerichtet, immer mehr menschliche Komponenten auf die Maschine zu übertragen, ohne sich auch nur im geringsten darüber Sorgen zu machen, was vom Leben des Menschen übrigbleiben wird, wenn dieser Prozeß endlos weitergeht.

Es war Butlers Verdienst, diese technologische Besessenheit zu durchschauen; er wies darauf hin, daß nicht die Menschen aus der totalen Mechanisierung Nutzen ziehen würden, sondern die Maschinen, die sich in Ersatz-Liebesobjekte verwandelt hatten und bald aus bloßen Fetischen zu Göttern werden sollten. Butler sah, daß die Mechanisierung dazu führen würde, den Menschen nicht mächtiger und intelligenter, sondern völlig überflüssig zu machen — zu einem trivialen Beiwerk der Maschine, zu einem lobotomisierten Zwerg, dessen ungeheure organischen Fähigkeiten amputiert wurden, damit er den Anforderungen der Maschine entspreche.

Mit prophetischem Blick erkannte Butler die Mauer am Ende dieser Sackgasse:

»Die Macht der Gewohnheit ist enorm, und die Veränderung wird so allmählich sein, daß das Gefühl des Menschen für das ihm Gebührende zu keiner Zeit grob verletzt sein wird. Die Knechtschaft wird uns lautlos und unsichtbar befallen; und es wird auch nie zu einem offenen Zielkonflikt zwischen Mensch und Maschine kommen, der zu einer ernsten Auseinandersetzung zwischen ihnen führen würde.«

Noch exakter formulierte Butler es in einem anderen Absatz in seinem späteren phantastischen Roman Erewhon:

»Wir können keine entsprechenden Fortschritte in den intellektuellen und physischen Fähigkeiten des Menschen einkalkulieren, als Ausgleich für die weit größere Entwicklung, die der Maschine bestimmt zu sein scheint. Manche Leute mögen sagen, der moralische Einfluß des Menschen werde genügen, um sie zu beherrschen; doch ich kann nicht glauben, daß man jemals auf das Moralempfinden einer Maschine wird vertrauen können.«

Von der satirischen Überspitzung abgesehen, hätte man die Ereignisse, die Institutionen und die Mentalität von heute nicht realistischer voraussehen können. Aber weder in den Lehrbüchern über Physik und Maschinenbau noch in den modernen standardisierten Vorhersagen der technisierten Zukunft, ob sie sich nun als Soziologie oder als Science-Fiction gibt, kann man diese Dinge finden. Denn Butler beschäftigte sich nicht nur mit den greifbaren Erfindungen und Entdeckungen seiner Zeit; er hatte die Möglichkeit eines tiefergehenden und allgemeineren Wandels begriffen: eines Wandels, der den menschlichen Organismus zerstückeln würde, um ihn als Leben simulierende, Leben ersetzende kollektive Maschine zu reproduzieren.

Butler schreckte vor diesem Nihilismus zurück und tat ihn als einen bitteren Scherz ab. Wäre er aber ein religiöser Prophet und kein Satiriker gewesen, so hätte er das letzte Wort über diese ganze Entwicklung sprechen können, das lange zuvor schon von Jesaja ausgesprochen wurde: »Wie seid Ihr so verkehret! Gleich als wenn des Töpfers Ton gedächte, und ein Werk spräche von seinem Meister: Er hat mich nicht gemacht; und ein Gemächte spräche von seinem Töpfer: Er kennet mich nicht.«

Ein Jahrhundert nach Butler dröhnen diese Fragen nun drohend in unseren Ohren.

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