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2.11 - Die megatechnische Wüste

Pyramiden mit Klimaanlage (679). Flucht aus der Wirklichkeit in den Weltraum (683). Raumfahrers Leiden (685). »Posthistorische« Kultur (692).

Mumford-1970

 

 

   Pyramiden mit Klimaanlage  

679-701

Obzwar das Pyramidenzeitalter eine statische Auffassung vom Himmel hatte, war seine Dynamik doch genauso methodisch und erbarmunslos wie die unseres technokratischen Zeitalters. Jeder Pharao ließ sich in seiner eigenen Lebenszeit eine neue Hauptstadt bauen, ein Wechsel, den heute keine Regierung nachzuahmen wagen würde. Während die Pyramiden mit den dazugehörigen Tempeln und den Wohnstätten für die Priester die überschüssigen Energien des Niltals absorbierten, hielten sie nicht nur diese entstehende Überflußwirtschaft im Gleichgewicht, sondern dienten außerdem als lebendiger Beweis für die über­natürlichen Kräfte der neuen kosmischen Religion.

Die modernisierte Megamaschine reproduzierte alle Wesenszüge der antiken Form, indem sie Pyramidenbau in noch größerem Maßstab betrieb. Und wie die statischen Strukturen den Glauben an Göttlichkeit und Unsterblichkeit Pharaos förderten, so scheinen die neuen dynamischen Formen des Pyramidenkomplexes – Wolkenkratzer, Raumraketen, unterirdische Kontroll­zentren, Atombunker (= Gräber) – gleichermaßen die neue Religion zu bestätigen und zu verherrlichen. Keine andere Religion hat je so viele Manifestationen der Macht produziert, ein so vollständiges Kontrollsystem hervorgebracht, so viele verschiedenartige Institutionen vereinheitlicht, so viele unabhängige Lebensformen unterdrückt oder, schließlich, so viele Gläubige gehabt, die sich in Wort und Tat zum Reich, zur Kraft und zur Herrlichkeit ihrer nuklearen und elektronischen Götter bekennen. Die Wunder, die von der technokratischen Priesterschaft vollbracht werden, sind echt – bloß ihr Anspruch auf Göttlichkeit ist falsch.

Symbolisch steht am Eingang zum neuen Pyramidenkomplex der Atomreaktor, der dem niederen Volk seine Macht zuerst einmal mit einem typischen Trick der Bronzezeit-Götter demonstrierte: mit der Sofort-Vernichtung einer dichtbevölkerten Stadt. Von dieser frühen Demonstration nuklearer Macht könnte man ebenso wie von all den ungeheuer gesteigerten Vernichtungs­möglichkeiten, die nun rasch aufeinanderfolgten, dasselbe sagen, was Melvilles verrückter Kapitän in Moby Dick von sich sagt: »Alle meine Mittel und Methoden sind vernünftig; nur mein Ziel ist verrückt.« Denn die Atomspaltung war die wunderbare Erfüllung – und Bestätigung – der experimentellen und mathematischen Denkmethoden, die seit dem siebzehnten Jahrhundert die Fähigkeit des Menschen, die physikalischen Kräfte zu meistern, außerordentlich gesteigert haben.

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Mit der Eleganz einer euklidischen Demonstration war jetzt die Sonnenenergie mit den geringeren Energieballungen, die der Mensch beherrschte, vereinigt: So hatte der Sonnengott eine menschliche Inkarnation erfahren, und seine Priester verfügten endlich über eine angemessene Autorität. Sie huldigen einer nur geringfügig revidierten calvinistischen Theologie, derzufolge die Masse der Menschen zu schrecklicher Verdammnis verurteilt ist und nur die Auserwählten – das heißt die technokratische Elite – erlöst werden sollen. Kurz, die Eschatologie der Zeugen Jehovas in modernisierter Form.

Nachdem das Geheimnis der Atomspaltung einmal entschlüsselt war, ging der neue Pyramidenbau in so rasantem Tempo voran, daß die amerikanischen Militärstrategen innerhalb von zwölf Monaten einen neuen Terminus, overkill, erfinden mußten, um die überreichlichen Vernichtungskräfte zu beschreiben, die sie bereits besaßen. Auf einem Planeten, den ungefähr drei Milliarden Menschen bewohnen, verfügten sie über genügend Bomben, um dreihundert Milliarden Menschen auszurotten. In dieser neuen Ökonomie negativen Überflusses wurden die Lebensmittel von den Todesmitteln überholt.

Damit ist die Parallele zum Pyramidenzeitalter noch nicht zu Ende.

Rund um das Gräberfeld der Megamaschinen-Pyramiden breiten sich in weitem Bogen die Arbeitsstätten der Priesterschaft aus, Forschungszentren oder Denkfabriken genannt. Wie die Wohnbaracken der Masse der Bevölkerung, so sind auch sie über die ganze Landschaft verstreut, so weit wie möglich außerhalb der alten Wohnzentren - Zentren, die noch immer störende Erinnerungen an andere Formen der Gottesanbetung und andere Lebensweisen enthalten. Eigentlich ist der ideale symbolische Ort für die neuen Pyramiden, wie ursprünglich in Los Alamos, die Wüste, denn dies ist letztlich die Umwelt, im Maschinenprozeß umgestaltet und restlos unfruchbar gemacht, die der Ideologie entspricht. Dieser größere Komplex führt seinerseits zur Errichtung kleinerer Pyramiden, etwa der Atomreaktoren zur Herstellung nuklearen Brennstoffs. Abgesehen von kleinen Mengen radioaktiver Stoffe für weitere wissenschaftliche Untersuchungen, die weder riesige Investitionen noch grandiose Explosionen erfordern, produziert der Atomreaktor hauptsächlich lange wirkende, extrem giftige Abfälle und – die Götter haben Humor – heißes Wasser.

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse, welche die Atomenergie freisetzten, brachten wertvolle Einsichten in die Struktur des Kosmos und haben in den letzten Jahren die Kluft zwischen der anorganischen Materie, die einst als unveränderlich träge und passiv galt, und den lebenden Organismen geschlossen.

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Noch jahrhundertelang wird das so akkumulierte geistige Kapital unseren Nachkommen – sofern wir welche haben – Zinsen in Form vermehrten Wissens eintragen, das sich auf noch ungeahnte Weise als wertvoll erweisen könnte. Doch die unmittelbare Auswirkung dieses Pyramidenbaus entspricht genau jener des Pyramidenzeitalters. Unsere gegenwärtige praktische Alternative zum overkill ist mehr heißes Wasser, das heißt mehr Energie, die dem unaufhaltsam wuchernden Megasystem zu Diensten steht. Heißes Wasser ist nützlich; aber es gibt unge­fährlichere Wege, es herzustellen.

Das Mißverhältnis zwischen der hochfliegenden wissenschaftlichen Errungenschaft des Atomreaktors und dem banalen praktischen Resultat lenkt die Aufmerksamkeit auf ein ähnliches Mißverhältnis zwischen der unermeßlichen Zerstörungs­kraft der absoluten Waffen und ihren trivialen militärischen Ergebnissen. Zwanzig Jahre nach dem Abwurf der ersten Atombombe läßt sich der gesamte militärische Erfolg der Kernwaffen folgendermaßen kurz zusammenfassen: die Zerstörung von zwei mittelgroßen Städten, Hiroshima und Nagasaki, und ein Massaker vergleichbaren, aber nicht größeren Ausmaßes, als es mit langsameren, doch weniger kostspieligen Methoden massenweiser Ausrottung und Folterung erzielt wurde – etwa durch Napalbomben (Dresden, Tokio) oder durch Giftgas in den Konzentrationslagern Nazideutschlands. Überdies fielen beim Absturz zweier Flugzeuge mit Atombomben radioaktive Trümmer auf Spanien und Grönland, mit noch nicht festgestellten und vielleicht nie feststellbaren Folgen.

Die späteren Kernwaffenversuche der beiden führenden Atommächte, vor allem der Vereinigten Staaten, resultierten in der schweren Verunreinigung des Erdreichs auf dem ganzen Planeten mit Strontium 90 sowie mit kurzlebigerem radioaktivem Jod. Das führte zur Vergiftung von Nahrungsmitteln, besonders der Milch, und zur sekundären Verunreinigung von Boden und Gewässern mit radioaktivem Staub und zu der daraus folgenden größeren Krebsanfälligkeit, abgesehen von genetischen Deformationen, über deren volles Ausmaß man erst nach zwei Generationen Genaueres wissen wird.

Leichtfertige Schätzungen, wieviel Menschen eine begrenzte Zeit in tiefen unterirdischen Bunkern überleben könnten, geben keinen Hinweis auf die psychischen Traumata, die jene erwarten, welche in eine verbrannte Landschaft hinaustreten werden, auf die immer noch Gift vom Himmel herabregnet, eine Welt, deren noch nicht völlig verbrannte Flächen von verwesenden Organismen übersät und deren Nahrung an Plätzen, wo sie noch wachsen könnte, mit krebserregenden Substanzen vergiftet wäre; wenn in der totalen Psychose, die auf eine solche Atomkatastrophe wahrscheinlich folgen würde, die Militärstrategen zu noch entsetzlicheren Formen der Vernichtung, etwa durch Anthrax und Fleischvergiftung, greifen, könnte selbst die wohlbehütete militärische und politische Elite, wie einst Hitler in seinem Luftschutzbunker, zur Auffassung gelangen, daß es entschieden besser sei, Selbstmord zu begehen, als den der Sofort-Verbrennung Entronnenen gegen­überzutreten.

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Kurz, vorderhand überwiegen bei weitem die negativen Folgen der großen wissenschaftlichen Errungenschaft der Atomspaltung. Was die Atombombe selbst betrifft, so sind die einzigen positiven Ergebnisse jene, die dem wirtschaftlichen, dem bürokratischen und dem wissenschaftlichen Establishment, die die neue Megamaschine errichtet haben, vorübergehend zugute kommen. Paradoxerweise waren also die größten Vorteile, die aus der Beherrschung der Kernreaktion gezogen wurden, rein geistige: eine umfassendere Konzeption von der kosmischen Realität, ein tieferer Einblick in das Wesen des Universums und des Raumes, den lebende Organismen und schließlich auch der Mensch darin einnehmen.

Am Ende könnte sich erweisen, daß die verhängnisvollste Folge der Atompyramide nicht die Kernwaffen selbst oder ein durch sie bewirkter irreparabler Vernichtungsakt sind. Etwas noch Schlimmeres mag uns bevorstehen und könnte, falls genügend weit vorangetrieben, ebenso irreparabel sein; ich meine die allgemeine Durchsetzung der Megamaschine, in perfektionierter Form, als höchstes Instrument der reinen Intelligenz, das jede andere Äußerung menschlicher Möglichkeiten unterdrückt oder völlig eliminiert. Die Pläne für eine solche endgültige Struktur sind bereits vorhanden; man hat sie sogar als die höchste Bestimmung des Menschen gepriesen.

Doch zum Glück für die Menschheit ist die Megamaschine selber in Schwierigkeiten, hauptsächlich infolge ihrer frühzeitigen Abhängigkeit von der Atombombe. Denn die Vorstellung absoluter Macht war eine kollektive Falle, so fein ausbalanciert, daß sie schon des öfteren knapp daran war, über den auserwählten Opfern, den Bewohnern dieser Erde, zuzuschnappen. Wäre dies geschehen, dann hätte die Megamaschine auch ihre eigene Struktur zerschlagen. Über dem ganzen Pentagon der Macht schwebt, dank der technokratischen Arroganz und dem automatisierten Verstand jener, die diese Zitadelle erbaut haben, eine nukleare Götter­dämmerung, wie die nordische Mythologie sie einst vorausgesagt hatte: eine Welt, die in Flammen aufgehen wird, wenn alle menschlichen und göttlichen Wesen von den listigen Zwergen und den brutalen Riesen überwältigt worden sind. Nach der sechsten Dynastie endete das Pyramidenzeitalter in Ägypten auch ohne kosmische Zerstörung in einem gewaltsamen Volks­aufstand. Und etwas nicht ganz so Gewaltiges wie der nordische Alptraum, wenn auch nicht weniger unheilverkündend für die Megamaschine, mag uns bevorstehen – oder ist es vielleicht schon im Gang?

 

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    Flucht aus der Wirklichkeit in den Weltraum 

 

Die Haupteigenschaft der Maschinen und Einrichtungen, auf welche die Megamaschine sich bei der Verfolgung ihrer irrationalen Ziele konzentriert, besteht darin, daß sie aus größtmöglichen Energiereserven schöpfen und die höchstentwickelten technischen Mittel für Zwecke verwenden, die vor allem den Bestrebungen des Machtkomplexes dienen: der Expansion seiner Struktur und der Ausdehnung seiner Herrschaftsweise. Nach Ausscheidung jedes anderen Sinns und Zwecks aus der Interpretation der Naturvorgänge verbleibt der Megamaschine ein einziges, alles beherrschendes Ziel – alle natürlichen und menschlichen Möglichkeiten durch ihr eigenes eindimensionales, streng programmiertes System zu ersetzen. Alle Verbesserungen, die in diesem Machtgefüge verkörpert sind, gelten nicht dem Menschen, sondern der Megamaschine und ihren Hilfsorganen; und die Bedeutung dieser Leistungen liegt nicht in ihrem menschlichen Wert, sondern in ihrer wissenschaftlichen oder technologischen Schwierigkeit.

Dieses armselige Ergebnis wird von Marshall McLuhan – gratis! – in seinem Kernsatz: »Das Medium ist die Botschaft« beredt verteidigt. Da ich vor mehr als fünfzig Jahren selber ein Radioamateur war, weiß ich genau, was er meint. In meiner Jugend las ich Modern Electrics, und die neuen Mittel der drahtlosen Kommunikation nahmen meine Jünglingsphantasie gefangen. Nachdem ich meinen ersten Radioapparat zusammengebastelt hatte, war ich hocherfreut, als ich tatsächlich Botschaften von nahe gelegenen Stationen empfing, und ich fuhr fort, mit neuen Geräten und Anschlüssen zu experimentieren, um noch lautere Botschaften von weiter entfernten Sendestationen zu empfangen. Aber ich machte mir nie die Mühe, das Morsealphabet zu erlernen oder zu verstehen, was ich da hörte: Das Medium war die Botschaft. Wäre ich ein Vollblut-Technokrat geworden oder in der Pubertät steckengeblieben, hätte ich nie nach einem menschlich wertvollen Resultat gefragt. Diese kleine Moral trifft auf hundert andere technische Errungenschaften zu. Der Geist, der sich damit zufrieden gibt, das Medium zu benützen, und die Botschaft mißachtet, ist das irrationale Endprodukt dessen, was man unkritisch Rationalisierung nennt.

Obgleich die Atombombe natürlich das höchste Symbol der Zerstörungsmacht der Megamaschine ist, demonstriert die bemannte interplanetarische Raumrakete vielleicht noch exemplarischerer die Prinzipien, die dem ganzen System zugrundeliegen, denn die Raumrakete hat den größten Bedarf an Energie, erfordert die komplizierteste Planung und ist am kostspieligsten in Herstellung und Betrieb – und auch am zwecklosesten in bezug auf greifbare, nützliche menschliche Resultate, abgesehen von dem Prestige und der Publicity, die die Heldentat der Astronauten dem pentagonalen Establishment verleiht.

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Mit Hilfe der Hoch­leistungs­rakete erobert der Mensch tatsächlich den Raum. Doch indem sie diese Errungenschaft ermöglicht, macht die Megamaschine sich den Menschen noch mehr Untertan. Mit exakter symbolischer Treffsicherheit war der erste Gegenstand der Raumforschung ein öder Satellit, ungeeignet für organisches Leben, ganz zu schweigen von Besiedelung durch den Menschen.

Wie das Überschallflugzeug und die interkontinentale ballistische Rakete, beide dazu bestimmt, atomare Sprengköpfe zu befördern, ist auch die Raumrakete primär das Werk phantasiereicher militärischer Strategie. Eine solche Strategie geht ab von den Normen traditioneller Kriegführung, die sich auf eine beschränkte Anzahl von Menschen bezieht, um durch Androhung oder Anwendung von Gewalt die totale Kontrolle über ganze Erdteile oder eine ganze Hemisphäre zu erlangen. Unter dem bestehenden psychischen Druck ließen sich vielleicht unbemannte Raumschiffe für rein wissenschaftliche Zwecke rechtfertigen, wie jene sie fordern, die geeignetere Mittel für interplanetarische Kommunikation, für die Erforschung des äußeren Weltraums oder für bessere astronomische Beobachtung wünschen.

Aber die gigantische Konzentration der Sowjetunion und der Vereinigten Staaten auf die Raketenentwicklung hat ein ganz anderes, antihumanes Ziel, zu offenkundig, um verschleiert zu werden, und in der Tat zum Teil schon erreicht. Diese Form der Raketenentwicklung begann zum Zwecke der Militärspionage und hat heute ihre triumphale Vollendung in einem Plan gefunden, Atombomben von einer angeblich unangreifbaren Weltraumstation aus abzuwerfen. Bemannte Raketen und Raumstationen sind keine zwangsläufigen oder unvermeidlichen Neuerungen – sie sind konkrete Projektionen morbider militärischer Wahn­vorstellungen und entspringen nur der Befürchtung, der von den gleichen Wahnvorstellungen besessene Feind könnte Vorteile daraus ziehen, daß er sich den exklusiven Zugang zum Weltraum verschafft. Unsere Führer meinen wohl, sie könnten den wahren Charakter ihrer mörderischen Phantasien verbergen, indem sie jene Waffen als Hardware bezeichnen.

Kepler fühlte sich nicht verpflichtet, in seinem rein phantastischen Somnium die Kosten einer solchen Mondreise zu errechnen; aber ein Wissenschaftler unserer Tage, Dr. Warren Weaver, unterzog sich der großen Mühe, dies zu tun. Er stellte fest, daß die dreißig Milliarden Dollar, die die Vereinigten Staaten allein dafür ausgaben, um einen Mann auf den Mond zu bringen – eine ähnlich große Summe wurde für Arbeitskräfte, wissenschaftliche Experimente und Arbeitsenergie natürlich auch in der Sowjetunion aufgewendet –, für sinnvollere menschliche Ziele in folgender Weise hätten ausgegeben werden können:

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Mit dieser Summe wäre für jeden Lehrer in den Vereinigten Staaten eine zehnprozentige Gehaltserhöhung durch zehn Jahre hindurch gewährleistet. Sie würde ausreichen, um zweihundert kleine Colleges mit je zehn Millionen Dollar zu versorgen. Sie könnte die Ausbildung von 50.000 Wissenschaftlern oder den Bau von zehn neuen medizinischen Hochschulen zu je zweihundert Millionen Dollar finanzieren. Mehr als fünfzig komplette Universitäten könnten damit gebaut und eingerichtet werden. Man könnte drei neue Rockefeller-Stiftungen schaffen, deren jede hundert Millionen Dollar wert wäre. Zu beachten ist, daß es sich bei diesen Alternativen um rein erzieherische, hauptsächlich wissenschaftliche Zwecke handelt. Man kann daher ihrem Urheber nicht vorwerfen, er hätte kein Verständnis für die Wissenschaft und deren Fortschritt. Anstatt mit riesigen Kosten und unter großem Risiko ein Team von Menschen auf einem unbewohnbaren Planeten notdürftig am Leben zu erhalten, um eine sinnlose, wenn nicht sogar bewußt destruktive Aufgabe zu erfüllen, würden Dr. Weavers Alternativen zumindest das bestehende wissenschaftliche Establishment aufrechterhalten und ergänzen. Hier ist nicht der Ort, um irgendwelche Einwände gegen Dr. Weavers Vorschläge vorzubringen – es genügt, daß man ihren humanen Zweck akzeptieren kann.

Diese arithmetische Lektion unterstreicht einen Punkt, der den Leser verwirrt haben mag, als ich Burckhardts Vorhersagen über die zukünftigen Militärkommandos zitierte, unter deren tyrannischem Regime die Herrscher sich »gegen Gesetz, Wohlfahrt, ertragreiche Arbeit, Industrie, Kredit und so weiter völlig gleichgültig« verhalten würden. Dies charakterisiert den unter der militärisch-industriell-wissenschaftlichen Elite vorherrschenden Geisteszustand. Die astronomischen Geldmittel, die für die Vervollkommnung des Völkermordes und für Mondlandungen verschwendet werden, ohne Rücksicht auf menschliche Bedürfnisse oder ökonomische Folgen, entsprechen dem Stil, den Burckhardt voraussah.

 

  Raumfahrers Leiden 

 

Selbst auf die Gefahr hin, daß ich die Parallele zwischen dem alten und dem modernen Pyramidenzeitalter zu weit zu treiben scheine, möchte ich doch behaupten, daß die bemannte Raumkapsel in ihrer gegenwärtigen Form genau der innersten Kammer der großen Pyramiden entspricht, in die der mumifizierte Körper des Pharao gelegt wurde, umgeben von der miniaturisierten Ausrüstung für die magische Himmelfahrt.

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Als Vorbereitung für Raumfahrten außerhalb des Sonnensystems haben einige Priester der Wissenschaft bereits die Verheißung einer künstlichen Unsterblichkeit erneuert, die nötig ist, um Entfernungen, die in Lichtjahren gemessen werden, zu bewältigen; und sie nehmen an, daß Lebewesen bei solchen kosmischen Geschwindigkeiten dem Einsteinschen Theorem gemäß in Koma fallen und in der Masse schrumpfen würden, ohne irgendwelche inneren Schäden zu erleiden oder den Zeitablauf wahrzunehmen, sodaß tausend Jahre wie ein Tag verstreichen und die Lebensprozesse reduziert und suspendiert würden. Und wieder ist die Parallele zwischen den Motivationen und Symbolismen der beiden Epochen so eng, daß man sie für eine abstruse Erfindung halten könnte. Zum Glück aber können die Tatsachen von der Öffentlichkeit kontrolliert werden.

Was die Weltraumtechnik innerhalb der isolierten Kapsel heute schon erreicht hat, kann als zeitweilige Mumifizierung bezeichnet werden: ein Zustand, der nur die Minimalbedingungen bietet, um den menschlichen Körper am Leben zu erhalten, oder besser, ihn für die Dauer des Fluges vor der Auflösung zu bewahren. Läßt sich die ägyptische Grabkammer zu Recht als statische Rakete beschreiben, dann ist die kosmische Weltraumrakete faktisch ein bewegliches Grab. In beiden Fällen dienen die höchsten Errungen­schaften der Technologie dazu, eine menschliche Mumie in einem Zustand suspendierten Lebens zu halten.

Allen diesen Bemühungen liegt eine Absicht zugrunde, die die ganze Megamaschine beseelt und sogar ihr einziger Lebenszweck ist: den menschlichen Organismus, seinen Lebensraum, seine Lebensweise und sein Lebensziel auf genau jene minimalen Dimensionen zu reduzieren, die es ermöglichen, ihn unter totale äußere Kontrolle zu bringen.

Im Falle des ägyptischen Pharaos erweckten jene, die ihn in sein himmelwärts gerichtetes Raumschiff legten, den Glauben, daß er nach wie vor lebe und fähig sei, alle seine erhabenen Funktionen auszuüben. Aber bei der Vorbereitung eines Astronauten auf eine Weltraumfahrt geht man von entgegengesetzten Prämissen aus: Während er am Leben ist, wird er durch strenges Training gezwungen, sich aller hinderlicher Lebensattribute zu entäußern, so daß schließlich von der menschlichen Existenz nur jene minimalen körperlichen und geistigen Funktionen übrigbleiben, die ihn befähigen, unter so ungeheuerlichen Härten und Entbehrungen zu überleben, wie die Bezwinger des Mount Everest sie auf der letzten Strecke des Aufstiegs durchmachen mußten.

Offensichtlich kann nur eine Mischung von Abenteuerlust und tiefster religiöser Überzeugung normale, warmherzige Menschen, wie viele Astronauten es zu sein scheinen, dazu bringen, sich einem solchen lebensverleugnenden Ritual zu unterziehen. Neben großem körperlichen Mut und der Aussicht auf ein baldiges Ende der Zerreißprobe bedürfen sie einer tiefen religiösen Überzeugung, die um so nützlicher ist, wenn sie sich ihrer Rolle als Himmelsboten nicht bewußt sind.

Solche Hingabe ermöglichte es christlichen Einsiedlern, sich ein Leben lang in einer dunklen, stinkenden Hütte einzuschließen, wo ihnen durch eine kleine Öffnung Nahrung gereicht wurde.

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So hat diese Form des Opfers ein frühes sakrales Vorbild. Aber nichts bezeugt eindringlicher den Einfluß, den der Mythos der Maschine auf die öffentliche Meinung ausübt, als die Hinnähme dieses Rituals als einen wünschens- und lobenswerten nächsten Schritt in der unnatürlichen Natur­beherrschung des Menschen.

Doch man sieht, der Opfergeist, den die Religion des modernen Sonnengottes erweckt hat, ist so bedingungslos, daß drei Russen – ein Physiker, ein Mikrobiologe und ein Techniker – sich freiwillig einer einjährigen Einkerkerung in einem simulierten Raumschiff unterzogen, hauptsächlich, um zu beweisen, daß es möglich ist, in einem engen Raum – etwa einen Quadratmeter groß – am Leben zu bleiben. Sie verwendeten Sauerstoff und Wasser, die aus menschlichen Abfallprodukten regeneriert wurden, dehydrierte Nahrung, vitaminreiche Brunnenkresse und andere Pflanzen, die in einem winzigen, rund sechs Quadratmeter großen Treibhaus gezüchtet wurden. Sie überstanden physisch das karge Leben und die daraus entstandenen zwischenmenschlichen Spannungen – Spannungen, die so groß waren, daß sie nicht wagten, Schach zu spielen, aus Angst, unterdrückte Konflikte zwischen Siegern und Verlierern könnten sich verschärfen.

Aber dieser Sieg der Ausdauer erwies sich als ebenso nutzlos wie sinnlos, da die schwersten Bedingungen des Raumflugs fehlten – Schwerelosigkeit, räumliche Isolierung von der Erde, die ständige Gefahr eines mechanischen Versagens, körperliche Störungen, die Angst vor dem Wiedereintritt in die Erdatmosphäre. Das menschliche Opfer war real genug – aber die Bedingungen waren simuliert. Das ganze Experiment wurde noch widersinniger, als offizielle russische Stellen einen Monat vor dem Ende des Tests ankündigten, daß ein Experiment mit lebenden Hunden bei einem wirklichen Raumflug von nur fünfund­zwanzig Tagen Dauer schwere Schädigungen lebenswichtiger Organe bewirkte und zu einem Verlust der Immunität gegen Krankheiten führte.

Diese Bemühungen, die physikalischen Mindestvoraussetzungen für das Überleben des Menschen im Raum zu bestimmen, sind, das braucht kaum betont zu werden, das genaue Gegenteil einer Nachahmung der Fülle und Vielfalt der Natur – der Maximal­bedingungen, unter denen das Leben tatsächlich gedeiht. Aber die physischen Anforderungen selbst für einen kurzen Aufenthalt in einer Raumkapsel, wie belastend und frustrierend sie auch sein mögen, scheinen leichter erfüllbar als die psychischen Anforderungen; denn Mangel an Sinneseindrücken und Orientierungsverlust führen äußerst rasch zu psychischem Zerfall. Bemerkenswerterweise wurden einige dieser Anforderungen in Keplers Traum vorweggenommen; denn Kepler meinte, die ersten Mondreisenden würden Narkotika nehmen, um die Fahrt, deren Dauer er allzu optimistisch auf nur vier Stunden schätzte, zu überstehen.

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Die Bedingungen verlängerter Weltraumflüge – Isolierung vom multidimensionalen menschlichen Lebensraum, Loslösung von anderen menschlichen Impulsen und Bedürfnissen außer denen, die durch technische Notwendigkeiten bedingt sind, verringtere Möglichkeiten, unter Alternativen zu wählen und unerwartete Hindernisse zu meistern – das alles hatte seine Entsprechung in früheren Ozeanreisen. Dazu kamen ähnliche Gefahren, sowohl natürliche, wie Stürme, als auch menschliche, wie Fehl­entscheidungen. Gleich den früheren Entdeckern zur See, die solchen Gefahren gegenüberstanden und sie meisterten, erfreuen sich heute die tapferen Astronauten zweifellos einer ähnlichen Steigerung ihres Ichs, wenn die schwere Prüfung vorbei ist. So versprach die Raumfahrt auf Grund ihrer technischen und menschlichen Schwierigkeiten, das lebenswichtige menschliche Selbstvertrauen zum Teil wiederherzustellen, wenn Notfälle zu meistern sind, die der Knopfdruck-Automatismus um jeden Preis abzuschaffen bemüht ist.

Leider könnten die Erdbewohner durch die Raumfahrt weit stärker gefährdet werden als die auserwählten Astronauten; und wenn die gegenwärtigen Methoden der Präparierung und Konditionierung des menschlichen Organismus nicht geändert werden, besteht durchaus die Möglichkeit, daß die Masse der Menschen gezwungen sein wird, ein Leben lang die Härten der Weltraumfahrt über sich ergehen zu lassen, ohne in den Genuß der Vorteile zu kommen, mit denen die begünstigte Elite überschüttet wird. So besteht das Geschenk der Weltraumtechnik, wie sich jetzt zeigt, letztlich darin, in kleinen Experimentalmodellen die Bedingungen für die Gefangenhaltung, Konditionierung und Kontrolle großer Bevölkerungsgruppen zu ermitteln. Würde dieses Modell verallgemeinert und zu einem festen Bestandteil der menschlichen Existenz, wäre das eine der schlimmsten Folgen der Megatechnik.

Vielleicht ist dieses Opfer williger gebracht worden, weil die Eroberung des Weltraums, wenn auch nur temporär, der einzige greifbare Ersatz für die Zügelung der immensen Konsumbedürfnisse und Zerstörungskräfte der Megamaschine ist, ohne das katastrophale Ende der Maschine selbst herbeizuführen, durch kollektive Vollziehung kalkulierten Völkermords, der die Erde entlauben und das Menschengeschlecht entleiben würde. Die Rivalität zwischen der russischen und der amerikanischen Megamaschine im Wettlauf um die Landung auf dem Mond oder um die Erforschung der näheren Planeten könnte darum als ein verfeinertes, wenn auch abergläubisches Substitut für William James' moralisches Äquivalent des Krieges angesehen werden.

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Da jedoch die Weltraumrivalität alle vorhandenen Waffen zur Ausrottung der Menschheit weiterbestehen läßt, ja eigentlich deren tödliche Wirkungskraft noch vergrößert, bietet diese Form des kollektiven Wettbewerbs keine bessere Garantie für ein dauerhaftes Einvernehmen als die internationalen Fußballspiele, die so häufig mit Ausbrüchen noch stärkerer Feindseligkeit und offener Gewalttätigkeit enden.

Dennoch sind die unmittelbaren Vorteile der Weltraumerforschung äußerst zufriedenstellend für jene, die finanziell vom Pentagon der Macht abhängen. Das schließt, wie schon gesagt, jeden ein, der direkt oder indirekt an das wirtschaftliche Establishment gebunden ist, die Gewerkschaften und die kleinen Aktienbesitzer nicht minder als die Finanz-, Verwaltungs- und Forschungs­direktoren; folglich hat Weltraum-Forschung und -Entwicklung in bezug auf Geldmittel und Personal Priorität vor jedem anderen Tätigkeitsbereich. Im Gegensatz zu jedweder erdgebundenen Aktivität kennt die Weltraumforschung keine Grenzen, und ihre technischen Ansprüche sind unersättlich. In diesem Sinn hat die Weltraumfahrt tatsächlich die negativen Vorzüge des Krieges – um so mehr, als sie die atavistischen Gefühle, die im sechzehnten Jahrhundert und später zur Erforschung der Neuen Welt führten, zum allgemeinen Gebrauch wiederherstellt.

Da unbegrenzter Raum, schnelle Fortbewegung und Ortsveränderung im Menschen angenehme Assoziationen erwecken – im Gegensatz zu Einkerkerung, Einschränkung der Bewegungsfreiheit und ereignisloser Seßhaftigkeit – schien die Erforschung des Weltraums einst eine generelle Befreiung des Geistes zu verheißen, an der selbst Stubenhocker in der Vorstellung teilhaben können. Der Tag wird kommen, frohlockte H.G. Wells zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, da »der Mensch auf der Erde wie auf einem Fußschemel stehen und mit den Händen nach den Sternen greifen wird«. 

Wer wäre gleich zu Anfang so klug gewesen, zu erkennen, daß die interplanetarische Eroberung von Zeit und Raum, einer der großartigsten Triumphe der modernen Technik, sich in Wirklichkeit als ein Mittel zur Zügelung des menschlichen Geistes erweisen und ihn von jenen Bereichen ablenken würde, der am dringendsten intensive Betreuung benötigt – von der menschlichen Persönlichkeit selbst, die heute durch ihre eigenen technischen Triumphe verhöhnt und herabgesetzt wird?

Auch unter angenehmeren Umständen als denen einer Raketenfahrt enthüllt diese neue Eroberung bereits Nachteile, die ebenso bemerkenswert sind wie ihre Vorzüge. Auf einem transkontinentalen Flug mit einem Düsenflugzeug, das sich der Schall­geschwindig­keit nähert, ist die eigentliche Reise so eingeengt, langweilig und inhaltslos, daß die einzige Attraktion, die die Luftfahrtgesellschaften zu bieten haben, jene vulgären Vergnügungen sind, die man haben kann, wenn man in das nächste Kabarett, Restaurant oder Kino geht: Alkohol, Speisen, Filme und hübsche Stewardessen.

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Nur ein dumpfes Gefühl der Angst und die Möglichkeit eines gräßlichen Todes helfen den Sinn für die Wirklichkeit wiederherstellen.

Solange die Wissenschaft kein völlig neues, bis heute unvorstellbares Prinzip der Überwindung der Schwerkraft entdeckt, ist es unwahrscheinlich, daß Weltraumraketen jemals klein und billig oder Raumkapseln je so groß und komfortabel sein werden wie auch nur die zweite Klasse im Flugzeug. Statische Raumkapseln können jedoch in gigantischer Größe gebaut werden; und die wichtigsten Schritte zur Errichtung solcher kollektiver Wohnstätten wurden bereits getan. Die Bewohner dieser Megastrukturen werden ihr Leben wie im interplanetarischen Raum verbringen, ohne direkten Zugang zur Natur, ohne Wahrnehmung der Jahreszeiten oder des Wechsels von Tag und Nacht, ohne Temperatur- und Lichtveränderung und ohne Kontakt zu ihren Mitmenschen, außer über die dazu bestimmten kollektiven Kanäle.

Es ist wohl klar, daß Überschall-Luftfahrt und Weltraumtechnologie nicht in erster Linie wegen ihrer Vorteile für den Menschen so schnell vervollkommnet wurden. Ohne den Drang nach militärischer Überlegenheit hätte vielleicht das differenziertere, sicherere und menschengemäßere Transportsystem, das vor 1940 existierte, lange genug fortbestehen können, um weitere technische Verbesserungen zu absorbieren, ohne die Landschaft zu verwüsten, die Luft zu verpesten und eine Großstadt nach der anderen zu zerstören.

Tatsächlich wäre die Raumfahrt, zum Unterschied von anderen Transportformen, unmöglich ohne die totale Mobilisierung der Megamaschine, die alle Ressourcen des Staates bis zur Neige ausbeutet; sie ist ein Symbol der totalen Kontrolle und zugleich ein Mittel, diese als erhabenes Sinnbild des Fortschritts zu popularisieren und zu erweitern. Ihr endgültiges Ziel, wie bereits in dem Zitat aus Buckminster Fuller erwähnt, ist es, diesen großen runden Globus sozusagen auf die Maße einer Billardkugel zu reduzieren. Aber sie hat noch andere Eigenschaften, die ein Mitarbeiter an einer kürzlich erschienenen Abhandlung über Raumtechnologie hervorhebt: »Der Weltraum ist ein Projekt, das offensichtlich grenzenlos ist ...  Es verlangt dem Techniker die höchsten Leistungen ab; es bietet alle Attraktionen physikalischer Forschung; es ist verknüpft mit dem Schutz unserer Lebensweise.«

Die letzte dieser drei Qualitäten ist offenkundig die bezeichnendste: denn »unsere Lebensweise«, auf die sich der Autor bezieht, ist jene des alten Machtkomplexes - dieses Konglomerat, das auf der ununterbrochenen Produktion und Konsumtion techno­logischer Neuerungen, auf überflüssigem Konsum und inhaltslosen Vergnügungen basiert. Menschlich betrachtet, bietet die Weltraumtechnik eine neue Art des Nicht-Lebens: raschestmögliche Fortbewegung in einer einförmigen Umgebung, unter gleichförmigen Bedingungen, auf ein ebenso unbestimmtes einförmiges Ziel zu.

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Eine Welt, die ausschließlich den Howard-Johnson-Restaurants und den Hilton-Hotels vorbehalten ist. Gilt dies bereits für den Düsenflug auf der Erde, so trifft es noch mehr auf den Weltraumflug zu; denn weder die Raumkapsel noch auch die möglichen Ziele haben auch nur die geringste Ähnlichkeit mit jenen organisch üppigen Lebensräumen des Menschen, in denen Leben und Geist wahrhaft gedeihen.

Um die Weltraumfahrt zu rechtfertigen, müssen ihre Verfechter das Leben auf Erden schamlos schlechtmachen. Und genau dies tut die technokratische Intelligenz ohne Zögern, um ihr bedingungsloses Engagement für die Megamaschine zu rechtfertigen. »Es kann durchaus soweit kommen«, sagt Arthur Clarke, »daß erst im Weltraum, angesichts einer Umwelt, die unwirtlicher und komplexer ist als irgendeine auf unserem Planeten, der Geist zur vollen Entfaltung gelangen wird ... Mögen die Spießer auf der gemütlichen Erde bleiben, der wahre Genius wird nur im Weltraum gedeihen – im Reich der Maschine, nicht im Reich von Fleisch und Blut.«

Den erdgewohnten Spießern mag eine derartige Verherrlichung der Megamaschine und ihrer Knechte widerlich dumm erscheinen. Nach Dr. Clarkes eigenem Eingeständnis wird es dem wahren Genius an menschlichen Eigenschaften fehlen. Noch wichtiger aber: Es gibt nicht den geringsten wissenschaftlichen Beweis dafür, daß die rund neunzig chemischen Elemente der Erde nicht auch die Formen der Materie in jedem anderen Teil des Universums repräsentieren; und sollten sich anderswo andere Denkweisen und andere Fähigkeiten entwickelt haben, so doch nicht deshalb, weil jene Wesen die Weltraumforschung weiter entwickelt haben, als es den Erdbewohnern in einer »unwirtlicheren und komplexeren« Umwelt gelungen ist, sondern weil sie intensiver als wir und vielleicht auch schon länger damit beschäftigt waren, die Wunder des Lebens an der einzigen Stelle auszuloten, wo dieses Wunder vollständig aufzufinden ist: im Bewußtsein höherer Lebewesen.

Keine im Koma unternommene Raumfahrt, kein tausendjähriger Winterschlaf verspricht auch nur ein Fünkchen dessen, was der erdgebundene Mensch bereits erreicht hat. Unser eigener Planet enthält noch zahllose ungelöste Geheimnisse, ebenso groß wie alle, die außerhalb unserer Milchstraße liegen mögen. Und selbst dieses Wissen, so tief es auch dringen mag, erfaßt nur einen Teil der gesamten Manifestationen des Lebens in Millionen lebender Spezies. Der wahre Genius, der »nur im Weltraum, im Reich der Maschine« gedeihen wird, ist der Genius der Entropie und der Lebensverneinung. Mit der Weltraumerforschung ist der traditionelle Feind Gottes und des Menschen in nachfaustischer Form bereits wiedererstanden. Und wie einst bietet er dem, der bereit ist, seine Seele zu verkaufen, sein altes Bestechungs­geschenk – unbegrenzte Macht, absolute Kontrolle, nicht nur über alle anderen Königreiche und Fürstentümer, sondern über das Leben selbst.

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   »Posthistorische« Kultur  

 

Alle Teile der Megamaschine wurden unabhängig voneinander erfunden, mit wenig bewußter Vorwegnahme der Folgen für den Menschen, außer in Utopien und Science-Fiction-Phantasien. Spielten auch spezifische und begrenzte Ziele in jedem Stadium dieser wissenschaftlichen und technischen Entwicklung eine Rolle, so war doch die Verschmelzung dieser Ziele zu einem zunehmend kohärenten System, das sich anscheinend automatisch selbst organisierte und erweiterte, in Wirklichkeit das Ergebnis der vielen bewußten Denkprozesse, die die Megamaschine entstehen ließen. In dieser Hinsicht – sowohl in ihrer Zweckmäßigkeit als auch in ihrer überaus komplexen Struktur – gleicht die Megamaschine der Sprache; erst in der letzten Phase organisierter Komplexität kann man vermuten, in welche Richtung der ganze Entwicklungsprozeß sich bewegt. Um vollends zu begreifen, was früher geschehen ist, muß man die Entwicklung von der Gegenwart in die Vergangenheit zurückverfolgen.

Da jedoch die Technik an jedem Punkt eine Funktion des Lebens ist, muß das übermäßige Wachstum und Überhandnehmen technischer Prozesse, wie jedes andere organische Ungleichgewicht, viele gleichermaßen wichtige Lebensfunktionen gefährden. Die einheitliche Organisation der Megamaschine steht so sehr im Widerspruch zu den verschiedenartigen Erfordernissen und Vorrechten der ursprünglich unabhängigen und autonomen menschlichen Gruppen, die sie geschaffen haben, daß noch vor der Verwandlung der Megamaschine in eine gigantische, sich selbst genügende Einheit, aus der die menschlichen Elemente verdrängt worden sind, eine Reaktion einzusetzen begann, für die unsere kritische Analyse hier ein Beispiel ist. Glücklicherweise ist die Megamaschine noch nicht ganz vollendet; glücklicherweise zeigt auch sie sich anfällig für Fehlleistungen und blamable Zusammenbrüche, die die Autorität ihrer Beamtenkaste untergraben und sowohl ihre Grundprämissen als auch ihre Endziele in Frage stellen.

Bei der Bewertung dieser Ergebnisse muß man noch einmal auf die Bemerkungen Henry Adams' zurückgreifen. Als er die konstante Beschleunigung der wissenschaftlichen Entwicklung und der Erschließung außerorganischer Energiequellen seit dem dreizehnten Jahrhundert analysierte, stellte er fest:

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»Sollte der Geist, in den erstaunlich raschen Schwingungen seiner jüngsten Phasen, weiterhin als das Universallösungsmittel, das er ist, agieren, und sollte er die Kräfte des Moleküls, des Atoms und des Elektrons auf jenen unentgeltlichen Frondienst reduzieren, auf den er die alten Elemente, Erde, Luft, Feuer und Wasser, reduziert hat; sollte der Mensch fortfahren, die unerschöpflichen Kräfte der Natur freizusetzen, und Gewalt über kosmische Kräfte in kosmischem Maßstab erlangen, so könnten die Folgen ebenso überraschend sein wie die Umwandlung von Wasser in Dampf, der Raupe in den Schmetterling oder des Radiums in Elektronen.«

Diese Prophezeiung enthielt schon in jenem frühen Stadium mehr Wahrheit als irgendeiner von Adams' unmittelbaren Zeit­genossen zu glauben bereit war.

Eine solche Verkümmerung des Menschen wurde zum ersten Mal in Roderick Seidenbergs beunruhigender, doch scharfsinniger Analyse des posthistorischen Menschen konkret dargestellt. In Seidenbergs Auffassung wäre dieses geistlose Geschöpf das Endprodukt der Evolution, hervorgebracht durch Hypertrophie des dominanten Wesenszugs des Menschen: seiner Intelligenz. Mit dem Fortschritt der Wissenschaft und der Technik, stellt Seidenberg fest, »erschien einzig der Mensch als schweifendes, unberechenbares Wesen in einem sonst geordneten Universum«. Wenn die Wissenschaft »vom Menschen fordert, sich selbst objektiv als Bestandteil seines Systems zu sehen, muß auch er zu einem technisch kalkulierbaren Faktor werden«.

Eine solche Situation würde mit der Zeit unerträglich werden, wenn die Intelligenz, ihrer eigenen Logik folgend, sich einmal gegen den menschlichen Organismus selbst kehren würde. Kurz, die große Überraschung, die sich bereits im totalitären Triumph der wissenschaftlichen Megatechnik abzeichnet, ist nichts Geringeres als die kleinmütige Kapitulation des Menschen vor den inhumanen Instrumenten, die der menschliche Geist geschaffen hat. Doch dieser Triumph trägt seine Nemesis in sich: die Isolierung der reinen Intelligenz von all ihren sie regulierenden und schützenden organischen Quellen, da die einzige Eigenschaft, die nicht auf einen programmierten Automaten übertragen werden kann, das Leben selbst ist.

Seidenberg hielt diesen Wandel für einen irreversiblen biologischen Prozeß, der durch die Entwicklung der Intelligenz bei den Hominiden und schließlich beim Homo sapiens nun den Menschen dazu bringen würde, in einen Zustand gefügiger Somnolenz und letztlich in Bewußtlosigkeit zurückzusinken. Dies wäre weit schlimmer als animalische Lethargie, denn die sporadischen genetischen Mutationen, der unabläßige Druck der Umwelt und das zweckgerichtete subjektive Tasten - all diese Faktoren der tierischen Evolution würden nun daran gehindert, auf die fixen Pläne einer posthumanoiden Intelligenz einzuwirken, um zu gewährleisten, daß diese sich auf dem von der Megamaschine festgelegten Kurs bewegt.

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Zum Glück beruht diese glatte, allzu glatte biologische Interpretation des Endziels der Menschheit auf Abstraktionen und rein logischen Deduktionen, die höchst fragwürdig sind. Die biologische Entwicklung des Menschen hat sich in den letzten zwei Millionen Jahren tatsächlich beschleunigt; und zwar hauptsächlich in einer Richtung - im Wachstum des Nervensystems unter zunehmend einheitlicher Steuerung durch das Gehirn. Doch nicht die Intelligenz allein hat von dieser Entwicklung profitiert; auch die Skala der Empfindungen, der Gefühle, der Vorstellungen, wie sie in der moralischen Kultur, in den zwischenmenschlichen Beziehungen und in der Kunst zum Ausdruck kommen, hat sich gewaltig erweitert. Gleich Arthur Clarke zieht auch Seidenberg es vor, dieses Aufblühen der menschlichen Psyche zu ignorieren.

Die Menschheit ist reicher geworden durch die immense Anhäufung von Artefakten und Symbolen, die an Bedeutung und Wert den Produkten des abstrakten Denkens mehr als gleichkommen – insbesondere des pragmatischen Denkens, das so eng mit dem Machtkomplex verbunden ist. Es gibt bereits viele Beispiele menschlicher Auflehnung oder Absonderung, die Seidenberg nicht berücksichtigt. Und wir werden uns bald mit den destruktiven Regressionen zu befassen haben, die in den letzten fünfzig Jahren bereits zutage getreten sind.

Ein wichtiger Schutz gegen den Endprozeß, den Seidenberg schildert, und das Versinken des Menschen in allgemeinen apathischen Winterschlaf ist das Wiedererwachen jener primitiven Lebenskräfte, die unbewußt – und manchmal mit wilder Irrationalität - das Fehlverhalten der kalten Vernunft korrigieren. Da wir uns heute übermäßig auf computerartige Intelligenz verlassen, könnte im Falle einer weltweiten Katastrophe, verursacht durch die mangelnde Menschlichkeit dieser Intelligenz, ein solcher Sturm kollektiver Wut und ungehemmter Gewalttätigkeit entstehen, daß er die gesamte Struktur zerstören würde, noch ehe sie ihr Idealziel der absoluten Kontrolle erreicht hätte. Doch wenn die Intelligenz tatsächlich im Wachsen begriffen wäre, könnte sie ihre narzißtische Liebe zu ihrem eigenen abstrakten Image überwinden und sich bemühen, dieses Schicksal zu umgehen. Eine wache Intelligenz sollte imstande sein, ihre falschen Prämissen zu modifizieren und die ihr innewohnenden Beschränkungen zu überwinden. Ich komme bald zu der Frage, ob dies nicht bereits zu geschehen beginnt.

Seidenbergs Analyse hat dennoch einiges Gewicht, da die Entartung, die er beschreibt, nicht allein das Werk unserer Generation ist, die ob der Erfolge der Wissenschaft in der Entschlüsselung einiger lange verborgenen Geheimnisse des Atoms und des Kosmos hochmütig geworden ist. Die Auffassungen, die die überstürzte Anwendung eben erst gewonnener Erkenntnisse so zwanghaft machen, haben eine lange Geschichte.

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Doch selbst ein so humaner Denker wie Teilhard de Chardin verfiel trotz seiner Ausbildung in einem religiösen Orden, der den Versuchungen von Hochmut und Macht gegenüber sehr wachsam ist, dem gleichen Zauber. »Hat uns nicht die Kenntnis der Hormone«, bemerkte er, »so weit geführt, daß wir morgen schon auf die Entwicklung unseres Körpers, ja sogar des Hirns Einfluß gewinnen können? Wird uns die Entdeckung der Gene nicht bald die Kontrolle des Mechanismus der organischen Vererbung gestatten?«

 

Vermutlich illustriert kaum etwas die Faszination, die die herrischen Ansprüche des Machtkomplexes auf den menschlichen Geist ausüben, so gut wie die Tatsache, daß die vielleicht attraktivste und anregendste Version seiner Möglichkeiten und seines Charakters in den Büchern eben dieses Jesuitenpaters dargestellt wird, beginnend mit Der Mensch im Kosmos (Le Phenomene Humain) — Werke, deren brüchiges logisches Fundament von einer trügerischen Schicht funkelnder Metaphern verdeckt ist. Teilhard de Chardins Darstellung der menschlichen Entwicklung basiert hauptsächlich auf seiner Interpretation der organischen Evolution. In seiner Behandlung der Zukunftsperspektiven bereichert er jedoch die Geologie um eine neue Sphäre: Neben der Lithosphäre, der Hydrosphäre und der Atmosphäre entdeckt er noch eine weitere, die er Noosphäre nennt — ein dünner Schleier von Geist, der sich über die Erde breitet und eine separate, zunehmend einheitliche Hülle aus Bewußtsein bildet. Er nennt diesen Prozeß die »Vereinheitlichung, Technifizierung und zunehmende Vergeistigung der menschlichen Erde«. Im wesentlichen ist das eine verklärte Version der Megamaschine.

Nun hat Teilhard damit nur in ausführlicherer, quasi-wissenschaftlicher Form einen Gedanken ausgedrückt, den Nathaniel Hawthorne in The House of the Seven Gables bereits ein Jahrhundert zuvor seinem Protagonisten Clifford in den Mund legte: »Dann gibt es die Elektrizität, den Dämon, den Engel, die mächtige physikalische Kraft, den alles durchdringenden Verstand«, rief Clifford aus, »... Ist es wirklich wirklich wahr, daß ... mit Hilfe der Elektrizität die Welt der Materie zu einem riesigen Nerv geworden ist, der in Gedankenschnelle Tausende Meilen weit schwingt? Eher ist der runde Erdball ein riesiger Kopf, ein Gehirn, Instinkt mit Verstand! Oder, sagen wir, er ist selber ein Gedanke, nichts als Gedanke, und nicht mehr die Substanz, für die wir ihn gehalten haben.« In wenigen Sätzen hat hier der Dichter, lange vor den Physikern, den neuen Faktor erkannt, der das ganze mechanische Weltbild ins Wanken bringt.

Teilhard de Chardins Beitrag bestand darin, daß er Hawthornes intuitive Einsicht einen Schritt weiterführte; doch indem er dies tat, gab er ihr eine zutiefst reaktionäre Wendung, indem er sie an menschliche Motivationen knüpfte – Verstärkung einer sterilen Denkweise und Eroberung der Natur –, die zum ursprünglichen Machtsystem gehörten; auch seine vergeistigte Megamaschine stand den autonomen, individualisierenden, transzendierenden Wesenszügen, die sich in der menschlichen Evolution offenbaren, feindselig gegenüber.

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Im letzten Entwicklungsstadium, wie er es vorhersah, würden die Menschen als Personen verschwunden sein, reduziert auf bloße spezialisierte Zellen, wie die des Herzens oder der Nieren, ohne einen anderen Lebenszweck als den, der der Noosphäre dient. An diesem Punkt würde das bewußte Sein auf eine Art allwissendes und allmächtiges ektoplasmisches Supergehirn übergehen. Mit der Erschaffung diese keineswegs barmherzigen Gottes würde der Mensch die Natur zunichte machen und sich selbst zerstören.

Eine erschöpfende kritische Beurteilung von Teilhard de Chardins Idee ist hier nicht nötig. Als Paläontologe und Mitentdecker des Peking-Menschen behandelte er sein Gebiet mit Sachkenntnis; und er kam weit schneller als viele andere Wissenschaftler zu der heute im Licht der Molekularphysik fast unausweichlichen Schlußfolgerung, daß der physikalische Kosmos auch eine Geschichte hat und daß dieser historische Prozeß, der mit der autonomen Organisation und Spezifizierung der Atomelemente begann, ohne Unterbrechung zu komplexeren Atomen und höheren Organisationsformen weiterging, bis ungeheuer komplexe organische Moleküle zu sich fortpflanzenden Lebensformen wurden. Und mit dem Leben entstanden auf einer der letzten Stufen der tierischen Evolution Bewußtsein und zweckvolle Organisation. So weit, so gut.

Teilhard de Chardins Beschreibung des Geistes muß jedoch einer eingehenden Analyse unterworfen werden; denn seine Interpretation der künftigen Entwicklung des Menschen basiert auf einer von ihm ohne kritische Überprüfung übernommenen Auffassung, die seit dem siebzehnten Jahrhundert vorherrschte: nämlich, daß Bewußtsein am Wissen gemessen wird und daß Wissen, in zunehmend abstrakter, mathematischer Form, die höchste Manifestation des Geistes ist. William Blake hätte ihn vor diesem Irrtum bewahren können: In seiner Sorge über die möglichen Konsequenzen der Newtonschen Physik hatte der Dichter geschrieben: »Gott verhüte, "daß Wahrheit auf mathematische Beweisführung beschränkt werde!« Doch wären Teilhard de Chardins Prämissen richtig, dann wäre die Apotheose des abstrakten Wissens, verkörpert in den Lehrsätzen der Natur­wissenschaften und in den magischen Praktiken der Technik, das ferne göttliche Ereignis, auf das die ganze Schöpfung sich hinbewegt.

Um Mißtrauen und Widerspruch zu vermeiden, möchte ich aus der Zukunft des Menschen zitieren. Die Beweise für die endgültige Bestimmung des Menschen existieren nach Chardin bereits:

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»In Bereichen, die jeden Aspekt der physikalischen Materie, des Lebens und des Denkens umfassen, geht die Zahl der Forscher schon in die Hunderttausende ... Forschung, die gestern noch eine Luxusbeschäftigung war, wird nun zu einer wichtigen, ja sogar zur Hauptfunktion der Menschheit. Was die Bedeutung dieses großen Ereignisses betrifft, so kann ich für mein Teil nur eine Erklärung dafür finden. Es ist der enorme Überschuß an ungebundener Energie, die durch die Einrollung der Noosphäre freigesetzt und durch einen natürlichen evolutionären Prozeß dazu bestimmt wurde, in den Bau und das Funktionieren dessen einzufließen, was ich als ihr Gehirn bezeichnet habe ...«

Eben. Und bei dieser Einengung der Lebensprozesse auf die alleinige Entwicklung und Planung organisierten Wissens würden die unendlichen Möglichkeiten der Lebenssysteme, wie sie sich auf unserem Planeten entwickelt haben, auf ein triviales Teilstück reduziert werden: auf das, was rationale Organisation und zentralisierte Kontrolle fördern würde. Diese ganze Transformation würde nach Teilhard de Chardins Auffassung auf den Punkt hinsteuern, wo die gesamte Noosphäre als ein einziges Weltgehirn arbeitet, in dem individuelle Seelen ihre Identität verlieren und ihre Einzigartigkeit als selbstbestimmende Organismen einbüßen, um den Prozeß des Denkens an sich zu erhöhen — wobei das Denken sich dadurch auf sich selbst richtet und zur einzig gültigen Manifestation des Lebens wird. Während Descartes den ersten Schritt in dieser Richtung tat: »Ich denke, also bin ich«, sagte Teilhard de Chardin begeistert über den Endzustand: »Das Große Gehirn denkt, also bin ich nicht.« An diesem Omegapunkt wird seiner Meinung nach die kosmische Evolution ihre Vollendung gefunden haben. Dies würde tatsächlich dem himmlischen Nirwana der Jetzt-Generation nahekommen: elektronische Erlösung, als christliche Erfüllung verkleidet.

Eine solche Beschreibung der endgültigen Herrschaft des reinen Geistes ist nicht Wissenschaft, sondern Mythologie und Eschatologie; und ihr Verdienst liegt, von dem hier eingenommenen Standpunkt aus, darin, daß sie die der Metaphysik und Theologie der Megamaschine zugrundeliegenden dogmatischen Voraussetzungen sichtbar macht. Diese Auslöschung der menschlichen Persönlichkeit durch Aufgehen in der Noosphäre, in der ewigen Umarmung ihres elektronischen Gottes, ist für Teilhard de Chardin die .letzte Bestimmung des Menschen. »Wenn das Ego«, schrieb er, »(hingegen) zum Kollektiven und Universalen strebt, das heißt zur höchsten Realität und Dauerhaftigkeit dieser Welt, dann nimmt es angeblich ständig ab und hebt sich auf.« Seiner Auffassung nach werden die transzendenten Eigenschaften der Persönlichkeit letztlich nur in einem einzigen Brennpunkt erscheinen, wo das Bewußtsein die »konvergenten Strahlen von Millionen elementarer Brennpunkte, die auf der Oberfläche der denkenden Erde verstreut sind«, vereinigen werde.

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In der Annahme, er könnte zu gültigen Schlußfolgerungen über das Endschicksal der menschlichen Spezies gelangen, indem er zeitgenössische Tendenzen extrapolierte, beging dieser allzumenschliche Christenmensch etwas Schlimmeres als bloße Abkehr von der orthodoxen Theologie: Er setzte vermessen seinen eigenen Geist mit dem der neuen Gottheit gleich — er spielte Gott! Indem er sowohl sich selbst als auch die Zukunft der Menschheit an die Entwicklung des Verstandes band, unterwarf er sich überdies im voraus der Megamaschine und beschleunigte noch deren Triumph in der denkbar repressivsten totalitären Form. Obwohl Pater Teilhards gesamte Argumentation sich in einem biologischen Rahmen bewegt, beruht sie auf einer Verneinung eines der bemerkenswertesten Charakteristika allen Lebens - der absoluten Einzigartigkeit jedes lebenden Organismus. Wie sehr die Angehörigen einer Art einander auch ähneln mögen, gibt es keine zwei Exemplare, die einander völlig gleichen; und eben dies ist die Quelle der erstaunlichen Möglichkeiten des Lebens – und auch seiner unglaublichen, verblüffenden evolutionären Überraschungen. Die Biologen sind heute fest überzeugt, daß dieses Faktum die lebenden Organismen einerseits von der Gleichförmigkeit und Vorhersagbarkeit präorganischer Existenz, anderseits von mechanischen und elektronischen Artefakten unterscheidet.

Oberflächlich betrachtet, ist der biologische Mystizismus Teilhard de Chardins der Gegenpol des technokratischen Mystizismus etwa eines Buckminster Fuller, Marshall McLuhan oder Arthur Clarke; genauer besehen, ist er jedoch ebenso hoffnungslos von den organischen Realitäten isoliert. Trotz der liebenswert menschlichen Persönlichkeit, die einem in Chardins Biographie gegenübertritt, ist seine Weltanschauung so unpersönlich, so grob materialistisch und so naiv autokratisch wie die jener Knechte der Megamaschine. Wenn er von menschlichen Wesen in planetarischer Perspektive spricht, nennt er sie grundsätzlich »Teilchen«, und menschliche Gehirne bezeichnet er im gleichen Zusammenhang als »Körner« oder »Körnchen«. Indem er die charakteristischen Züge, an denen man Menschen erkennt, aus solch astronomischer Entfernung betrachtet, macht er glaubhaft, daß ihre unterschiedlichen individuellen Eigenschaften und Verhaltensweisen einmal völlig verschwinden werden, bis auf die spezialisierten Gehirnfunktionen, die an eine zentrale planetarische Intelligenz angeschlossen werden können. So reduziert Chardin das Leben auf eine Sammlung abstrakter Botschaften, die vom noosphärischen Computer geordnet und programmiert werden können. Wegen seines allzu frühen Todes im Jahre 1955 erlebte Teilhard de Chardin nicht mehr die weitere Entwicklung im Computerbau und in der Miniaturisierung, welche die geeigneten Instrumente lieferte, um seine technokratische Transzendentalphilosophie und seinen religiösen Absolutismus zu bestätigen.

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Wo also steckt der Trugschluß in diesem religiös-technokratischen Bild von der Zukunft des Menschen? Genau dort, wo er bereits im siebzehnten Jahrhundert war, als das ursprüngliche mechanische Weltbild entstand. Es läßt, noch gründlicher als jede Religion, das Wesen des Menschen und die Phänomene des Lebens außer acht. Der Trick besteht darin, das Leben auf die abstrakten Funktionen des organisierten Wissens zu reduzieren. Information wird mit Existenz gleichgesetzt. Ein solches Wissen ist nur ein begrenzter, heute drastisch erweiterter Teilbereich des Phänomens Mensch. Indem Teilhard de Chardin diese Tatsache hartnäckig ignoriert, macht er die Gebote des Verstandes zu etwas Unbedingtem, Absolutem und damit Antiorganischem.

Zum Glück hat er dieses vermeintliche Ziel der Menschheit offen ausgesprochen: »Wissen, um zu wissen. Aber auch und vielleicht in noch höherem Maß, wissen, um zu können.« Die Hauptpflicht der Menschheit, sagt er geradeheraus, sei es, zu erkennen, »daß ihre wichtigste Aufgabe darin besteht, die Energien, die uns umgeben, geistig zu durchdringen, zu vereinheitlichen und einzufangen, um sie noch besser zu verstehen und zu meistern ...« Aus dieser Darstellung ist kaum zu entnehmen, daß das Leben, auch bei den niedrigsten Organismen, mit physischem Wachstum und ökologischer Anpassung beginnt und sich bei den höchsten Organismen zu gegenseitiger Unterstützung, liebevoller Fortpflanzung und hoffnungsvoller Erneuerung entwickelt.

Um die Noosphäre zu verstärken, ist es nach Chardins Meinung die erste Pflicht des Menschen – aber bewußter, machtvoller und beharrlicher als je zuvor – genau das zu tun, was der westliche Mensch heute tut! Daß alle jene kreativen Anlagen, die nicht ausschließlich Funktionen des Verstandes sind, diesem oft vorausgehen und ihn stärken oder sogar über ihn hinausgehen, durch eine solche Konzentration auf Intellekt und Zweckmäßigkeit eliminiert würden - dies erweckt in ihm keine Zweifel an seinem theoretischen System. Sein Zurückweichen vor diesen Schlußfolgerungen ist ebenso schwächlich-sentimental wie das Arthur Clarkes, und gleich jenem enthüllt es nur die Schwäche seiner Argumentation. Als gläubiger Christ und passiv gehorsames – wenn auch innerlich abtrünniges – Mitglied seines Ordens führt er, fast wie einen nachträglichen Einfall, den Begriff der Liebe als einen Aspekt alles menschlichen Zusammenseins und als die höchste Krönung des Lebens ein. Aber welchen Platz hätte die Liebe in einer Noosphäre, aus der Gegenstand und Form der Liebe verschwunden oder in der sie zu Botschaften verdampft wären?

Teilhard de Chardin täuschte sich. Die Noosphäre, wie er sie begriff, läßt für Liebe ebensowenig Raum wie für die Entstehung vollausgebildeter Persönlichkeiten, an kosmische Prozesse gebunden und doch über sie hinausgehend, etwa so, wie die christliche Theologie Jesus Christus darstellt. 

Denn trotz allem, was Chardin über die Liebe sagt, eine Eigenschaft, die den Menschen mit seinen Säugetier-Vorfahren verbindet

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und ihn davor schützen soll, in die gefühllose Welt der gepanzerten Echsen und der fliegenden Reptilien zurückzusinken, leugnet er die eigentliche Quelle der Liebe. 

Denn er betrachtet die Persönlichkeit als »eine spezifisch körperhafte und vergängliche Eigenschaft – ein Gefängnis, aus dem man entweichen muß«. Aus diesem »Gefängnis« der individuellen Persönlichkeit suchte er freiwillig in ein größeres Gefängnis zu übersiedeln, aus dem es keine Flucht mehr geben würde: in das der totalitären Megamaschine. Und wiederum bestätigen seine eigenen Worte diese Schlußfolgerung.

Chardin sagt in Mensch im Kosmos: »Ist das moderne Totalitätsprinzip nicht eben deshalb so ungeheuerlich, weil es vermutlich das Zerrbild eines wundervollen Gedankens ist und der Wahrheit ganz nahe kommt? Es ist unmöglich, daran zu zweifeln: Die große Maschine der Menschheit« – dieser Ausdruck stammt wörtlich von Chardin – »ist zum Funktionieren bestimmt, und sie muß funktionieren – und einen Überfluß an Geist erzeugen.« Der Zweck dieses Überflusses besteht darin, Machtbereich und Machtfülle der planetarischen Maschine zu vergrößern. Quod erat demonstrandum. Was Chardin über die Arbeitsweise dieses Supergehirns aber nicht sagt, ist folgendes: Indem es in seiner eigenen Welt und mit seinen eigenen Begriffen operiert, versorgt es sich in zunehmendem Maße selbst und verwendet Daten, Symbole, Gleichungen und Theoreme, die nur eine sehr schwache Verbindung mit der menschlichen Persönlichkeit oder dem Reichtum der irdischen Erfahrung haben; es ist so wirklichkeitsfern, daß es in jeder Hinsicht einseitig ist. Kurz, es widmet sich der Vergrößerung des Reichs eines entsafteten, sterilisierten Geistes, dessen aktivem Gewebe es an Lebensattributen gebricht. Darauf wollte Teilhard de Chardin die gewaltigen Energien verwenden, die die moderne Technik verfügbar gemacht hat. Man würde kaum vermuten, daß es Liebe, Sexualität, Kunst und eine üppig wuchernde Traumwelt gibt.

Ob in der konkreten Form, in der ich die Megamaschine beschrieben habe, oder in der sublimierten Version, die Teilhard de Chardin vorzog, als »dünner Schleier von Geist« oder als abstrakter Verstand, der alle menschlichen Aktivitäten umfaßt oder vielmehr diese Aktivitäten auf die Steigerung von Wissen und Macht reduziert und konzentriert — das Endergebnis wäre dasselbe: das Große Gehirn, ein universales Kontrollsystem, aus dem es auf diesem Planeten – oder sogar von diesem Planeten – kein Entrinnen gäbe. Und doch, in einer Hinsicht ist dieses ganze totalitäre System, das in seiner Endform noch ungeheuerlicher erscheint als seine gegenwärtigen, etwas bescheideneren Varianten, ein genialer Versuch, den Ungewißheiten der schöpferischen Selbstumwandlung und den sie begleitenden Frustrationen und unvermeidlichen Tragödien zu entkommen. 

Letzlich würde der Zweck dieses planetarischen Systems, sowohl für seine gegenwärtigen Führer als auch für Teilhard de Chardin, darin bestehen, die

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Möglichkeiten des Lebens auf jene zu reduzieren, die der elektronische Gott leicht verarbeiten und Umgestalten könnte. 

Dabei würden die Funktionen, mit denen man nicht so verfahren kann — die Geschichte des Menschen, persönliche und kollektive Artefakte, autonome Aktivitäten, transzendente Ideale – als wertlos verworfen werden – das heißt, als wertlos für die Mega­maschine.

Welch ein Niedergang im Vergleich zur Evolution der Primaten! – ganz zu schweigen von der historischen Entwicklung des Menschen. Teilhard de Chardins Bild von der letzten Bestimmung des Menschen, völlig im autonomen planetarischen Super­organismus aufzugehen und – soweit es die einzelnen Körnchen betrifft – sich in einem Zustand völliger Bewußtlosigkeit zu befinden, unterscheidet sich kaum von der Darstellung Roderick Seidenbergs. Die verbleibenden quasi-menschlichen Organismen würden in einem vom Menschen selbst geschaffenen mechanisch-elektronischen Vakuum dahintreiben. Die Funktionen, schöpferischen Tätigkeiten und Begabungen des Menschen würden nach und nach vernichtet oder in entsprechend sterilisierter Form übernommen werden – chiffriert für den Gebrauch der autarken Megamaschine –, womit alle weiteren Entwicklungs­möglichkeiten eliminiert würden.

So würde diese ungeheuer dynamische Welt trotz aller Energie und Leistung in einem völlig statischen Zustand enden, im unablässigen Austausch sinnloser Botschaften, deren Verworrenheit jede wirkliche Entwicklung verunmöglichen würde. Nichts ist so vorhersehbar, ja, so stabil wie das Chaos, denn Neuheit und Kreativität sind unerkennbar, wenn sie sich nicht aus einer Ordnung herausheben.

Sonderbarerweise ist eine solche leere, verantwortungslose Existenz bereits von einer unabhängigen japanischen Studiengruppe für den Lebensapparat liebevoll beschrieben worden. Diese Gruppe beschwor eine planetarische Supergemeinschaft herauf, die noch nicht erfundene Einrichtungen benützt, welche Samjatins Wir und Aldous Huxleys Brave New World in den Schatten stellen. Auf der letzten Tafel meines Buchs The City in History habe ich bereits – mit erläuterndem Text – eine graphische Interpretation dieses planetarischen Superorgans gegeben. Es versinnbildlicht Teilhard de Chardins Begriff der Noosphäre in einem elektronisch simulierten Kollektiv, das aus befreiten menschlichen Körnchen besteht. 

Diese dahintreibenden Partikel sind so funktions- und zwecklos wie die jammervollen Geister in Homers Hades, denn für solche menschlichen Nullen wäre selbst das Denken überflüssig, und nur Genuß – die letzte abstrakte Komponente des Machtkomplexes – bliebe bestehen. Doch im Gegensatz zu dieser fortgeschrittenen Gruppe wußte Homer, daß er die Hölle beschrieb. Wenn ein solches Nicht-Leben das Endziel allen menschlichen Ringens wäre, warum dann so viel Mühe aufwenden, um es zu erreichen?

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