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I.  Ökologische Elemente und Lebensregeln bei den Naturvölkern 

Ein Streifzug durch die bizarre Welt der vorgeschichtlichen und der Naturreligionen

 

 

 

1.  Mensch und Natur in der Sicht des prähistorischen Menschen  

 

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Für den prähistorischen Menschen wie für die Naturvölker überhaupt ist der innige Zusammenhang von Mensch und Natur eine unbezweifelbare, wohl kaum reflektierte Gegebenheit, ein zentraler Lebensbestandteil. 

Zwar überschreiten die Riesenzeiträume der menschlichen Vorgeschichte, jene Millionen Jahre der schriftlosen Geschichte und Kultur der Menschheit, selbst das Vorstellungsmaß heutiger Forscher und lassen deshalb für alle möglichen Interpretationen der Spiritualität des Frühmenschen Tür und Tor weit offen, da ja auch die Bodenfunde in bezug auf die psychisch-geistige Dimension der damaligen Menschen und Menschengruppen nur sehr schwer und unterschiedlich gedeutet werden können. Aber die festgestellten kultischen Praktiken prähistorischer Menschen weisen ziemlich eindeutig auf eine tiefe, freilich nicht nur religiöse, sondern auch magisch zu qualifizierende Verbundenheit mit der Natur hin.

Die Zahl der in den steinzeitlichen Höhlenmalereien dargestellten Tierbilder ist besonders groß. Der Zusammenhang mit ihnen ist ein magisch-sympathischer und die Voraussetzung dafür, daß die so dargestellten Tiere der zauberischen Einflußnahme des Menschen als Jäger gefügig sind. Viele prähistorische Funde scheinen die Ausübung einer solchen Einflußnahme zu beweisen. 

Es...

»kann kein Zweifel daran bestehen, daß schon damals derartige Zauberriten gebräuchlich und die Vorstellung von der geheimen Sympathie zwischen menschlichem Tun und Geschehen in der Außenwelt geläufig war... Der Zauber ist eine so wesentliche und lebensnotwendige, existenzberührende Übung, daß man ihm wohl religiösen Charakter zusprechen muß... Man könnte vielleicht von einem <heiligen Mechanismus> sprechen, der das Ganze regiert, einer <sakralen Gesetzlichkeit, einer muminosen Funktion>, die das Weltbild dieser Urmenschen durchzieht und den Platz unseres Gottesbildes einnimmt... Es lag aber nahe, aus dem kultisch umworbenen Tier auch das heilige Objekt selbst zu machen.« 1)

Spätere Schichten der prähistorischen Kultur zeigen uns die Anfänge der Entstehung einer kosmischen Religiosität, in der die Kräfte des Himmels, der Sternenwelt, des Kosmos als Regulatoren, als beherrschende Mächte des menschlichen Lebens und Handelns empfunden und verehrt wurden. Die wuchtigen neolithischen Großsteinanlagen (bretonisch: Menhire = Langsteine bzw. Cromleche = Kreisstelle) zeigen am deutlichsten diese Verehrung der kosmischen Mächte, z.B. das berühmte Stonehenge bei Salisbury oder die gewaltigen Steinsetzungen in der Bretagne. Der kultisch-religiöse Zweck dieser monumentalen Steinheiligtümer läßt sich kaum bezweifeln. Sie waren

»offenbar für umfangreiche kultische Feiern vorgesehen. Sie gehören an sich mit der Hoch-Zeit des Fruchtbarkeitskultes und der weiblich-mütterlichen Symbole zusammen, verkörpern aber wohl eine etwas andere Richtung der Religiosität. Einzelne Merkmale der Orientierung in diesen Megalith-Anlagen sowie Zeichnungen auf den Steinen lassen ein Hervortreten des Interesses für die Himmelskörper und für die kosmisch-atmosphärischen Vorgänge erkennen. Wir sehen Sonne und Sterne (Rad, Kreis, Rosette, Asterisk) und den Axtträger, den Vorläufer des frühgeschichtlich-metallzeitlichen Wettergottes mit der Axt, vielleicht sogar auch den Sonnengott. Damit ist der Platz des Himmels im religiösen Vorstellungskreis endgültig gesichert.«2)

Ein kosmisch-ökologischer Mythos kann sich bilden.

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Beweise gibt es auch für den Vegetationskult der prähistorischen Sammlerkulturen und für den Fruchtbarkeitskult des Steinzeitmenschen. Auf diesen Fruchtbarkeitskult weisen die vielen weiblichen Bildnisse und Statuetten der Steinzeit, die große Zahl phallischer Bildnisse, die zahlreichen Abbildungen von Paarungsszenen von Tieren hin. Man denke bei letzterem z. B. an die berühmte Höhle von Tue d'Audoubert (Ariege), wo wir Begattungsszenen von Tieren (Bisons) unter Hervorhebung genitaler Merkmale an den abgebildeten Exemplaren besonders plastisch dargestellt finden. 

In den weiblichen Bildnissen und Statuetten der Steinzeit, insbesondere der Jungsteinzeit, dominieren deutlich die Geschlechtsmerkmale (Schenkel, Brüste, Gesäß, Bauch). Der moderne, aus einer anderen Perspektive heraus lebende Mensch ist geneigt, in all dem nur das derb Sexuelle zu sehen. Für den prähistorischen Menschen steht aber das sexuelle Element nicht isoliert für sich allein da, es befindet sich vielmehr in einem unlösbaren Zusammenhang mit dem Fruchtbar­keitsmotiv. Das Leben, die Natur in ihrer fruchtbar zeugenden und gebärenden Kraft, war Kultobjekt, Verehrungsgegenstand. 

Die naheliegenden Fruchtbarkeitssymbole dafür waren die den Zeugungstrieb des Mannes repräsentierenden phallischen Bildnisse, die die mütterliche Bestimmung der Frau veranschaulichenden weiblichen Darstellungen mit ihrer derben Betonung der Geschlechtsmerkmale und die die Fruchtbarkeit 1 der Gesamtnatur vertretenden Paarungsszenen von Tieren. Natürlich spielten dabei praktische Beweggründe eine große Rolle. Die steinzeitlichen Jägerkulturen mußten brennend daran interessiert sein, daß das jagdbare Wild fruchtbar blieb. Die Hirten- und Bauernkulturen waren nicht weniger daran interessiert, daß das von ihnen gezüchtete Tier Bestand hatte, also sich fortpflanzte. Ebenso wie vor allem die letzteren darum bemüht sein mußten, den Boden fruchtbar zu erhalten, um aus ihm die nötige Nahrung zu holen. 

Was also so lebenswichtig, ja -entscheidend war, mußte unter den Bedingungen des vorgeschichtlichen

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Menschen, der in einem heute schwerlich nachvollziehbaren Fluidum göttlich-magischer Macht lebte, auch ganz vorrangig und zentral seinen religiösen Ausdruck finden. So nimmt es denn auch nicht wunder, daß die hier erörterten steinzeitlichen Bildnisse mindestens zu einem großen Teil als Kultbilder, als Idole anzusehen sind, als Objekte ritueller Behandlung, als Versuche der Vergegenwärtigung göttlicher oder heiliger Mächte mit Hilfe von Fruchtbarkeitsriten.

Wahrscheinlich ist aber auch, daß diese Kultobjekte des fruchtbaren Lebens zumindest manchmal und teilweise auch schon ein Element des Ahnenkultes enthielten, nämlich eine Verehrung der Stammesvorfahren, vor allem der Urmutter des Stammes oder der Familie. Es ist anzunehmen, daß in den Frauenstatuetten und weiblichen Symbolen beides zusammenfließt und sich — vor allem in den ruhigeren bäuerlichen Siedlungs- und Kulturverhältnissen der Jungsteinzeit — bereits zur Vorstellung einer göttlichen Mutter verdichtet, zu etwas Ähnlichem also wie der >Mutter Erde<, wie wir mit späterer Terminologie sagen würden. Daß der Wohnsitz dieser göttlichen Mutter »in Verbindung mit dem Toten und dem aufkeimenden Vegetationsleben zumindest in der jüngeren Periode in der Erde gesucht wurde, ist wahrscheinlich, ebenso, daß man sie im Zusammenhang mit Gedeih und Verderb der Nahrungsmittel sah. Neben diese vorzugsweise abgebildeten >Urmütter< treten in der Jungsteinzeit zunehmend männliche Fruchtbarkeitsdämonen mit entsprechenden, teilweise noch tierischen (Hörner!) Merkmalen.«3

Daß die anhebende Verehrung der göttlichen Mutter Erde in besonderer Weise die frühzeitliche enge und innige Verbindung von Mensch und Natur repräsentiert, macht der bekannte Religionswissenschaftler G. van der Leeuw deutlich:

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»Die Erde ist eine Frau, und die Frau ist eine Erde. Sie nehmen das verwirrte Menschenleben auf, lassen es zu seinem Ursprung zurückkehren und bringen es aufs neue wieder hervor. Darum hat sich der Mensch seit undenklichen Zeiten vornehmlich mit der Mutter beschäftigt. Das bezeugen die zahlreichen kleinen Bilder, die nackte, oft schwangere Frauen darstellen, deren Sexualorgane besonders ausgeprägt sind und deren Hände auf die Brüste oder die Schamteile weisen. Alle diese Arbeiten gehören der Vorgeschichte an und waren fast überall in der Welt unserer fernen Vorfahren verbreitet. Mögen es >Idole< sein oder nicht, jedenfalls beweisen diese Bilder, daß das menschliche Denken sich zu allen Zeiten der Mutter zuwandte.«4)

Aber der innige Zusammenhang zwischen Mensch und Natur wäre auch dann gewahrt, wenn die von manchen Ethnologen vorgebrachte Hypothese stimmen sollte, wonach der Steinzeitmensch gewisse Vorstellungen von einem göttlichen, androgynen, mann-weiblichen, irgendwie doppelgeschlechtlichen Zwitterwesen hatte, das Gegenstand der Verehrung gewesen sei, weil es die Fülle des gesamten fruchtbaren und geschlechtlichen Lebens der Natur in sich vereinigte.

Wie dem auch sei: Auch wenn die Quellen, die wir über den prähistorischen Menschen besitzen, keine eindeutigen und absolut sicheren Schlüsse über sein Innenleben und die Gesamtheit seines Weltbildes zulassen, so kann doch kaum ein Zweifel bestehen, daß die fruchtbare Natur, die Mutter Erde, der Kosmos (übrigens auch die Vorfahren und die Toten, mit denen er sich verbunden fühlte) für ihn numinos-religiöse Wirklichkeiten darstellten. Vielleicht kommt die sogleich folgende Charakterisierung der »unio magica« (C. H. Ratschow) dem Denken und Fühlen des Menschen der prähistorischen Zeit am nächsten.

»In allen Wesen und allen für ihn bedeutsamen Dingen wittert der Frühzeitmensch ein geheimes und eigentliches Leben, das mehr ist als das vitale Leben, ein Numinosum, das zu erhalten, zu gewinnen oder zu steigern das zentrale Anliegen aller Stammesangehörigen ist.«5) 

Sicherlich gibt es eine Verbindungslinie von diesem in der Natur gewitterten Numinosen des Frühzeitmenschen zu jener (mystischen) Ehrfurcht, mit der die großen Naturwissenschaftler aller Zeiten dem Kosmos, dem Leben, der Natur begegnet sind. Denn auch diese (distanziertere) Ehrfurcht beinhaltet im Hintergrund noch eine Verwandtschaftsbeziehung, das Bewußtsein eines Zusammenhangs, ja einer Einheit mit der Natur.

»In der Erfassung der Unio magica nämlich ist der historische Grund der Unio mystica zu erkennen. Die reichen Aussagen der... Mystik weisen alle in eine Unio hinein, die — ob auf dem Wege nach innen oder auf dem Wege nach außen — sich auf die Hereinnahme von Gott, Welt, Zeit und Mensch in einer Weise beziehen, die dem Lebensgefühl des vor- und außergeschichtlichen Menschen... überaus nahezustehen scheint.«6) 

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