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Vorwort

 

 

 

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Manchmal gibt es Momente, in denen die Phantasie zur Pein wird: Was wäre, wenn es die DDR noch gäbe? In der DDR gab es Momente, da versagte auch noch die Phantasie: Was wäre, wenn es die DDR nicht mehr gäbe? Es gab zwar solche heimlichen Wünsche. Aber diese Gedanken kapitulierten vor der Frage, wie das geschehen könne? Der SED und ihren Machtapparaten mußte in kleinsten Schritten Freiheit abgerungen werden. Im Frühjahr 1989 wußte ich, wußten viele meiner Freunde, daß die SED diese Freiheit würde gewähren müssen. Was aber würde dann mit der DDR geschehen? Das damalige Ahnen des kommenden Unterganges der DDR war nur schwer zu rationalisieren.

Anfang Mai 1989 wollte es der Zufall, daß ich am Hauptquartier des MfS in Berlin-Lichtenberg zur U-Bahn-Station lief. Die Betonplatten vermittelten noch immer das Gefühl von Vergeblichkeit. Endlich stieg ich am U-Bahnhof Rosa-Luxemburg-Platz aus und kam in die Freiheit der Nischenmilieus am Prenzlauer Berg. Auch die Nischen waren schon abgewohnt. Zu Hause quälte ich mich mit einem Text für die DDR-Forschertagung in Bonn, die Ende Mai stattfinden sollte, um das Undenkbare zu sagen und zu erklären.

Hubertus Knabe war nach langem Einreiseverbot wieder in die DDR gekommen und hatte mich zu dieser Tagung eingeladen. Eigentlich war es aussichtslos. Doch er organisierte eine fiktive kirchliche Einladung, auf deren Ticket ich fahren konnte, da weder staatliche noch kirchliche Bürokratie etwas bemerkten. Auf der DDR-Forschertagung hatte ich nicht nur meinen Text, sondern auch meine Rückreise im Sinn. In Bonn traf ich die DDR-Exilanten Roland Jahn und Wolfgang Templin. Sie waren dort, wo ich nicht bleiben wollte. Ich selbst sprach euphorisch von den »Gruppen«, die nach meiner Meinung längst zum politischen Faktor geworden waren.

Templin stimmte unter Vorbehalten zu. Jahn wollte nur noch in der Ausreisebewegung eine politische Kraft sehen. Wir hatten alle recht, wie sich später herausstellte. Weil ich in die DDR zurück mußte und wollte, habe ich manche verschraubte Formulierung gewählt. So redete ich von der »Abwanderung der Macht«, weil ich nicht wagte, vom Machtverlust der SED zu sprechen. In einer Zeitung in Hannover stand später, daß bei dem Referenten wohl der Wunsch der Vater des Gedankens gewesen wäre und die DDR-Forscher höflich geschwiegen hätten. Das fand ich noch später auch in Akten des MfS wieder. Als Strafmaßnahme wurde wegen »Mißbrauchs« einer kirchlichen Dienstreise ab September ein Verbot von Reisen in die Bundesrepublik geplant. Es war also für mich höchste Zeit, daß die Mauer fiel.

Auf der DDR-Forschertagung lernte ich drei Frauen kennen: Irma Hanke wurde für lange Zeit eine wichtige Gesprächspartnerin, Ilse Spittmann, die über die DDR vielleicht mehr wußte als ich, verschaffte mir Zugänge zum Deutschland Archiv, und ich habe sie im spannenden September 1989 zu einer Informations­veranstaltung von Oppositionellen in einer Berliner Gemeinde mitgenommen. Aber sie hatte das Gruseln wohl schon vorher gelernt.


Von Sigrid Meuschel habe ich 1989 und 1990 viel gelernt. Als sie erklärte, daß die DDR-Opposition eigentlich überhaupt kein säkulares Politikverständnis hätte, fügte sich in mir schlagartig manches, was ich bis dahin nur normativ wertend vertrat, und es entstand eine heilsame Distanz zu meinen eigenen Ideen. Durch den eigenen Erkenntnisgewinn über diese DDR-Forscherinnen habe ich auch verstehen gelernt, wie stark die eigene geistige, soziale und politische Situation in die Theoriebildung eingreift.

Die Materialgrundlage zur Erforschung der Geschichte der Gegnerschaft ist außerordentlich günstig. Die wichtigsten Ereignisse sind dokumentiert und Kontinuität und politische Funktion im Kontext der Herrschafts­geschichte lassen sich nachzeichnen, wenngleich die Forschung noch auf Jahre hin mit diesem Thema beschäftigt sein wird und im Bereich des wenig bekannten Widerstandes einzelner noch vieles entdecken wird. Da sich ein großer Anteil oppositioneller Aktivitäten in und aus den Kirchen heraus entfaltete, theologische Orientierungen politische Wirkungen hatten und häufig kirchliches und politisches Selbstverständnis nicht auseinanderzuhalten sind, bilden kirchliche Archive eine unersetzbare Quelle.

Ich selbst habe für diese Darstellung besonders die Materialien der Dokumentations- und Informationsstelle der EKD in Berlin genutzt. Für regionale Vorgänge müssen in Zukunft die Sammlungen von Gemeinden noch erschlossen werden. Zu danken habe ich meinen langjährigen Kolleginnen und Kollegen aus der ehemaligen Theologischen Studienabteilung Christa Rudolf, Tabea Schmidt und Manfred Falkenau, deren kompendiales Wissen und lange kirchliche Erfahrung mir viele Zugänge ermöglichten.

Von größter Bedeutung sind die Materialien der Oppositionellen selbst. Es liegt in der Natur der Sache, daß viele Dinge überhaupt nicht verschriftlicht wurden und die Erinnerung der Akteure als wichtige Quelle gelten muß. Ein besonders wertvoller Fundus ist dabei der umfangreiche Samisdat der Opposition. Archivbestände von Bernd Albani, Heino Falcke, Joachim Goertz, Ludwig Mehlhorn, Maria und Günter Nooke, Rudi Pahnke, Walter Schilling, Angelika Schön, Ulrich Woronowicz, Roland Brauckmann, Fester Eisenfeld, Sebastian Neuß und anderen, die mir ihre Sammlungen und Unterlagen zur Verfügung stellten, ergänzten meine eigenen Materialien. Diese Bestände sind insgesamt so umfangreich, daß sie bisher noch nicht vollständig aufgearbeitet wurden. Für diese Darstellung konnte ich auf Grund der Materialfülle oft nur das Notwendigste berücksichtigen.

Freunde und Bekannte wie Thomas Auerbach, Angelika Barbe, Bärbel Bohley, Rainer Eppelmann, Jürgen Fuchs, Martin Gutzeit, Katja Havemann, Freya Klier, Vera Lengsfeld, Ulrike und Gerd Poppe und Wolfgang Templin konnte ich schnell einmal ansprechen und Erkundigungen einholen. Gutzeit, Gerd Poppe und Templin gehören als Beteiligte überdies zu den Kennern der Opposition der achtziger Jahre, die diese Phänomene auch politologisch reflektieren und darin den akademischen Wissenschaften nicht nachstehen. Über besondere Kenntnisse von der Innenseite der DDR-Revolution verfügt Gutzeit, der dazu auch eine große Materialsammlung besitzt. Bislang unveröffentlichte Materialien stellte mir u.a. Peter Wensierski zur Verfügung. Eine größere Zahl von Oppositionellen wie Werner Wedler und Jörn Mothes gaben mir ihre personenbezogenen Akten des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) und kommentierten diese.

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In vielen Gesprächen, wie mit Auerbach, Gerhard Cyrus oder Günter Knecht habe ich wichtige Informationen erhalten und problematische Quellenlagen klären können. Mehrfach bin ich auf das Phänomen gestoßen, daß einige aus Sicherheitsgründen brisant erscheinende Papiere vernichtet hatten oder sie bei Hausdurchsuchungen herausgeben mußten.

Das Matthias-Domaschk-Archiv als eine der Nachfolgeeinrichtungen der Umweltbibliothek und das Robert-Havemann-Archiv in Berlin verfügen inzwischen über umfangreiche Sammlungen von Dokumenten und auch MfS-Akten zur Oppositionsgeschichte. Hier arbeiten teilweise langjährige ehemalige Oppositionelle wie Tina Krone, Tom Sello und Frank Ebert, um nur einige Namen zu nennen, die Zusammenhänge kennen und als besonders authentische Berater gelten müssen. Leider müssen diese kleinen Institute wie andere vergleichbare, immer noch um ihre Existenz kämpfen.

Trotz der hermeneutischen Probleme sind das Schriftgut des MfS, der SED und anderer staatlicher Stellen wichtige Quellen. Sensationell waren die ersten Veröffentlichungen von MfS-Dokumenten zur Oppositions­geschichte, die 1990 Armin Mitter und Stefan Wolle besorgten, und 1991 erregte Gerhard Besier mit seinen Veröffentlichungen Aufsehen. Die MfS-Akten dokumentieren trotz angebrachter Vorbehalte SED-staatliche Aktionen bei der Störung und Zersetzung der Opposition und erschließen viele Zusammenhänge. Obwohl das Handeln der MfS-Agenten in den Kirchen, im Kulturbereich und in Oppositionsgruppen eine das Gesamtgeschehen bestimmende Größe war und Menschen dadurch zu Schaden kamen, sind die »Erfolge« dieses Organs zu relativieren, da sich widerständiges Handeln immer auch regenerierte und auf der Grundlage von Orientierungen und sozialen Interessen reproduzieren konnte. In dieser Darstellung wurden daher die Materialien der Oppositionellen höher bewertet als die Akten des Repressionsapparates.

Geschichtsschreibung, die Dokumentation von Ereignissen und die Sammlung von Materialien, haben Oppositionelle schon in den achtziger Jahren begonnen. Die Umweltbibliothek, Redaktionen des Samisdat wie z.B. Stephan Bickhardt und Christian Dietrich versuchten damit den Desinformationen der SED entgegenzuwirken. In den Westen vertriebene Oppositionelle wie Jürgen Fuchs und andere Jenaer Exilanten wie Dietmar Linke oder Freya Klier haben über ihre politischen Auseinandersetzungen geschrieben.

Engagierte Journalisten wie Peter Wensierski und Wolfgang Büscher oder Sozialwissenschaftler wie Hubertus Knabe, die teilweise selbst schlimme Erfahrungen mit dem SED-Regime gemacht hatten, wurden zu Historiographen der Opposition. In der Bundesrepublik waren es hingegen nur wenige Wissenschaftler, die sich des Themas annahmen. Zu ihnen gehörten der Kommunismus­forscher Herrmann Weber und vor allem Karl Wilhelm Fricke, der 1984 mit seinem Buch »Opposition und Widerstand« einen ersten Gesamt­überblick der politischen Gegnerschaft vorlegte.

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Die Zurückhaltung der westdeutschen Wissenschaften ist inzwischen auch zum Thema der Vergangen­heits­aufarbeitung der DDR-Forschung geworden. Aber die Wahrnehmung der DDR-Opposition in West­deutsch­land war auch getrübt, weil oft undifferenziert zwischen den ideologischen und politischen Funktionen der Kirchen, der Umwelt- und Friedensbewegung, den emanzipatorischen Bewegungen und selbst linken Gruppen in der DDR und der alten Bundesrepublik Parallelen gezogen wurden.

Die Friedensbewegungen im Westen und im Osten haben nicht nur eine lange Konfliktgeschichte, sondern erfüllten jeweils auch vollständig andere geistige und politische Funktionen. Dazu gehörte auch, daß die Ostdeutschen erst schaffen mußten, was im Westen selbstverständlich war.

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Nach 1989 haben mehrere ehemalige Oppositionelle ihre Erinnerungen veröffentlicht, und einzelne Gruppen oder Netzwerke gaben Dokumentationen heraus. Einen umfassenden Entwurf der Geschichte der Opposition seit 1986 bot Wolfgang Rüddenklau, einer der führenden Köpfe der Berliner Umweltbibliothek, mit seinem Buch »Störenfried — DDR-Opposition 1986-1989«. An diesem Buch zeigt sich, daß das gesamte Feld der Opposition durchaus heterogen war und unter Oppositionellen bis heute zuweilen die internen, politisch-ideologischen Kämpfe der DDR-Zeit fortgesetzt werden.

Die in den letzten Jahren kräftig zunehmende Forschung zur Oppositionsgeschichte erbrachte eine Reihe von Einzelbeiträgen, Monographien und Sammelbänden, wie den Bericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages unter Leitung von Rainer Eppelmann »Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland«.

Der Versuch, eine Gesamtübersicht der politischen Gegnerschaft zu bieten, verlangt das schmerzliche aber auch riskante Weglassen. Was immer weh tat, war die Notwendigkeit, um der Oppositionsgeschichte willen viele Oppositionsgeschichten und Widerstands­episoden nicht zu erzählen. In Berlin kann man heute noch in eine Kneipe im Prenzlauer Berg gehen, wo solche Geschichten erzählt werden. Sie bilden Situationen oft besser ab, als es politische Darstellungen vermögen. Sie drehen sich um Bewährung und Versagen, um tragische Ereignisse und menschlichen Gewinn. Und es gibt die köstlichsten Geschichten über genarrte Funktionäre und eigene peinliche Pannen. Doch wurde hier trotzdem versucht, einen kleinen Anteil narrativer Geschichts­schreibung zu bewahren. Damit eine nicht vergessen wird: Eine Berliner Umweltgruppe versuchte, mit Fahrrädern gegen eine Mülldeponie zu demonstrieren, wurde aber von den Sicherheitsorganen schon im Anmarsch abgefangen und zurückgeschickt. Auf dem Rückweg, noch voller oppositioneller Energie, kamen sie durch eine Allee, in der die Bäume ihre Rinde verloren. Sie schrieben eine geharnischte Eingabe über den Zustand der Bäume. Doch wie peinlich, es waren Platanen.

 

In der Geschichtsschreibung zur Gegnerschaft werden zumeist die bekannteren und spektakulären Ereignisse besonders berück­sichtigt, während die beharrliche und zähe Arbeit vieler Personen und Gruppen in ihrer ganzen Breite noch kaum zugänglich gemacht wurde. Um diesen Effekt abzumildern, sind in diese Darstellung einige Vorgänge aufgenommen, die als typisch gelten können, bislang aber noch nicht bekannt sind bzw. kaum dokumentiert wurden. Es kommen viele Gruppen, oft auch ganze Friedensseminare oder Einzelereignisse, nur summarisch vor. Das betrifft auch die handelnden Personen.

Manche wichtige Oppositionelle sind überhaupt nicht genannt, andere um des Wiedererkennungseffektes willen häufig. Da es sich um einige tausend Menschen handelt, sind schon aus quantitativen Gründen Grenzen gesetzt. Zu kurz kommen auch wichtige regionale Zentren oppositioneller Aktivitäten, etwa Dresden, Chemnitz (Karl-Marx-Stadt) oder Mecklenburg. 

Für Leipzig gibt es inzwischen erste hervorragende Gesamtdarstellungen und Dokumentationen, an denen Christian Dietrich beteiligt ist. Hier konnte nur versucht werden, diese oft durch regionale Besonderheiten und Personen geprägten Aktivitäten in den allgemeinen Rahmen einzuordnen.

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Die wichtigste Einschränkung betrifft aber die Zielsetzung der Darstellung. Es soll um Oppositions­geschichte und weniger um Widerstandsgeschichte gehen. Der tausendfache Widerstand einzelner oder kleiner Gruppen, der sich auch in den vielen politischen Prozessen und der großen Zahl politischer Gefangener spiegelt, war nicht auf Kontinuität angelegt und kann hier zumeist nur an einigen exemplarischen Fällen gezeigt werden.

Das Hauptinteresse galt den Wurzeln, der Entfaltung und Wirksamkeit der inneren bzw. systemimmanenten Opposition, den Prozessen ihrer sozialen Selbstorganisation, deren ideologischen, theologischen und kulturellen Kontexten und Identitäten. Vor allem soll die Kontinuität der Opposition trotz aller Brüche und Umorientierungen sichtbar werden. Dazu war es notwendig, die politische Gegnerschaft in den jeweiligen Perioden der SBZ/DDR-Geschichte zu verorten.

Die hier verwendete Periodisierung entspricht etwa den häufig in der DDR-Forschung verwendeten Einteilungen. Sie stellen politische Kontexte dar, die sich auch auf die Formierung der Gegner auswirkten. Die zeitliche Begrenzung im einzelnen ergibt sich durch Ereignisse bzw. markante Entwicklungen in der Geschichte der Gegnerschaft. Dazu gehören der 17. Juni 1953, der Mauerbau und der Entstalinisierungs­versuch 1961 mit den Folgen für die Gegner, der Aufbruch des marxistischen Widerspruchs und der kirchlichen Opposition in der Anfangsphase Erich Honeckers 1971/72, die offizielle innere Befriedung des Verhältnisses von Staat und Kirche 1978 und die sich anschließende Entfaltung der oppositionellen Friedensbewegung, die Neuformierung der Opposition als Demokratiebewegung nach der Krise 1984, die Mobilisierungsphase seit 1986 durch den Tschernobylunfall und das Auftreten Michail Gorbatschows sowie schließlich die Krise des SED-Staates 1989 mit einem Umbau der Opposition.

In jeder Periode sollen die wichtigsten politischen Ereignisse, Vorgänge und Auseinandersetzungen um Personen, die Entwicklung und Politisierung von widerständigen Milieus, das Entstehen von Organisations­strukturen, das Besetzen von Öffentlichkeitsfeldern und die geistig-kulturellen Konflikte im Kontext deutschdeutscher Politik dargestellt werden. Wenn auch bei den gezeigten Kontinuitäten deutlich wird, daß es sich jeweils um offene Prozesse handelte, zumal über lange Zeit der Machtvorteil der SED erdrückend war, soll doch auch erkennbar werden, daß die oppositionelle Energie sich aus Quellen speiste, die die Herrschenden nicht verschütten konnten und an denen sie schließlich gescheitert sind.

Um die Deutungsmuster der Geschichte der DDR entwickelte sich eine intensive Auseinandersetzung: Unter­suchungsausschüsse, Überprüfungs­kommissionen, die Medien, zahllose Vereine und Institute, die Parlamente und Synoden, Bischöfe und MfS-Offiziere, die Wissenschaft beschreiben, rekapitulieren, erfinden und interpretieren die Geschichte. Gerichte, oft genug überfordert, sind damit befaßt, eine juristische Antwort zu finden. 

Und wie es nicht anders in der widersprüchlichen deutschen politischen Kultur sein kann, entwickelte sich auch ein starker Zweig von Täter-Geschichtsschreibung. Offenbar ist gerade in Deutschland nichts leichter, als die Historie zu legendieren. In einer Kultur, die die »Dolchstoßlegende« und die »Auschwitzlüge« hervorgebracht hat, macht es offenbar keine Mühe, die »Bedingungen der Diktatur« als Determinanten politischen Handelns zu deklarieren.

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Und es werden Legenden in Umlauf gesetzt, als gäbe es eine für alle gültige DDR-Identität, als wären alle DDR-Bürger eine Gemeinschaft der Gleichen, der gleich Verantwortlichen und gleich Beteiligten gewesen. Die Verlierer, die sich als »Sieger der Geschichte« wähnten, suchen Entlastung durch die Vergemein­schaftung von Schuld und wollen geschichtspolitisch nachholen, was sie realgeschichtlich nicht erreicht haben.

Das Vergessen, das Verdrängen und der Wunsch nach dem Verbrennen von Akten werden zu Erlösungs­taten von der Last der Geschichte. Dem kann nur die beharrliche und konfliktbereite Aufklärung entgegengesetzt werden. Ehemalige Oppositionelle der DDR sind wohl darum in der Aufarbeitung der Vergangenheit so unerbittlich, weil sie gelernt haben, daß individuelle und kollektive Selbstbehauptung durch die Entmythologisierung der Geschichtsbilder möglich ist. Das schließt ein, daß die Oppositions­geschichte ebenfalls nicht heroisiert werden darf. Oppositions­geschichte ist keine Geschichte von Siegern, die auch noch über die immer richtigen politischen Theorien verfügt hätten. Vielmehr handelte es sich um einen »umständlichen« Prozeß der geistigen und politischen Befreiung.

Daß ich selbst Zeitzeuge war und manchmal auch Beteiligter, schlägt sich sicher in einer Parteinahme nieder. Mit dem zeitlichen Abstand ist mir klar geworden, daß ich damals nicht alles verstanden und überblickt, selbst oft genug die Unterdrückung verinnerlicht hatte, immer wieder Konflikten ausgewichen, gutgläubig und naiv falschen, frommen und moralischen Ratschlägen von Menschen aufgesessen bin, die sich später als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) des MfS entpuppten und als verantwortlicher Pfarrer bisweilen selbst meinten, andere zur Zurückhaltung ermahnen zu müssen. Darum ist es nötig, Distanz zum eigenen Handeln und Denken zu halten.

Viel habe ich Menschen aus der Opposition zu verdanken. Von Robert Havemann lernte ich Anfang der siebziger Jahre, politisch zu denken. Schilling versöhnte bald darauf in mir die Spannung zwischen politischem und religiösem Engagement. Die Musikstudentin und spätere Theologin Christa-Maria Breitkopf beschämte mich mit ihrer Zivilcourage in der Polenkrise Anfang der achtziger Jahre.

Theologen wie Heino Falcke, Edelbert Richter und Rudi Pahnke waren wichtige Lehrer und stellten sich stets meinen Fragen. Spät erst konnte ich mich freundschaftlich an Rainer Eppelmann reiben und an ihm meine eigenen politischen Schwächen erkennen. Meine letzte menschliche »Errungenschaft« war der viel jüngere Günter Nooke, dessen Pragmatismus auf einem religiös-ethischen Fundament mir leider etwas zu spät die kürzeren Wege zur politischen Entscheidung zeigte.

Nur Männer? — Nein: Meine Frau Hildigund, Vera Lengsfeld, Angelika Schön und die viele übertreffende Bärbel Bohley setzten mancher Eitelkeit und Feigheit Grenzen und waren auf eine für Männer schwer verständliche Weise authentischer in ihrem Mut, wenn es auf die Wahrheit ankam.

Diese Menschen gaben mir manchmal das Gefühl, daß »wir« die Geschichte machen. Erlaubt diese Nähe eine hinreichende Distanz, um geschichtliche Prozesse möglichst wertfrei zu betrachten? Als Argument für dieses Unternehmen führe ich an, daß unter den Geistern, die Oppositionelle riefen auch ein selbstkritischer war, der – bis heute wirksam – vielen Beteiligten eine Distanz zu ihren eigenen Motiven, Haltungen und Handlungen ermöglicht. Erklärung ist auch Selbstaufklärung, wenn auch stets ein unerklärbarer Kern auf die Einmaligkeit und Unverfügbarkeit der Geschichte verweist.

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