Einleitung
2 Erscheinungsformen der politischen Gegnerschaft
1. Erklärungskonzepte politischer Gegnerschaft
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Wird von dem konfrontativen Widerstand einzelner und der bedingt noch möglichen parteipolitischen Opposition der unmittelbaren Nachkriegszeit abgesehen, beobachtet eine ganze Reihe von Autoren an der DDR-Opposition aus dem Blickwinkel eines modernen, demokratischen Politikverständnisses spezifische Schwächen, oft auch im Vergleich zur Opposition in anderen osteuropäischen Ländern.
Christoph Kleßmann bewertet deren uneinheitliche Vorstellungen als »aus heutiger Sicht illusionär, weil in ihnen kaum das Programm der nationalen Einheit, sondern eher der <dritte Weg> als tiefgreifende Reform thematisiert« worden wäre (Kleßmann 1991, 62). Martin Jander vermutete gar eine zu große Nähe zur SED:
»Die Opposition der DDR thematisiert (...) ihr eigenes Verhältnis zu Nation und Freiheit — eingedenk der politischen Haftung für Auschwitz und die beiden Weltkriege — nicht (...). Sie meidet das Thema oder befindet sich in weitgehender Übereinstimmung mit den Antworten, die die SED auf diese Fragen gibt« (Jander 1995, 954).
Sigrid Meuschel verweist darauf, daß einschließlich der Opposition »ein säkularisiertes Verständnis von Politik in der DDR eine Randerscheinung« (Meuschel 1992, 313) geblieben wäre.
Die Opposition hat sich tatsächlich in weiten Teilen und lange Zeit religiös legitimiert und statt Auflösung und Liquidation der DDR eine verbesserte DDR auf der Grundlage ihrer eigenen Staatsdoktrin gefordert. Es darf aber nicht übersehen werden, daß eine Opposition, die sich in der DDR halten wollte, zunächst die Voraussetzungen politischer Handlungsfähigkeit schaffen mußte. Dazu war es nötig, daß sich Oppositionelle zuerst und vor allem dem inszenierten Geschichtsbild und den sie tragenden Mythen entziehen mußten, um den Anspruch ausfüllen zu können, handelndes Subjekt in der Geschichte zu sein, geistige Unabhängigkeit, politische Partizipation und soziale Emanzipation öffentlich zu praktizieren.
Weil der DDR-Marxismus eine verkehrte Säkularisierung installierte, mußte die Säkularisierung der Politik noch einmal über die religiösen bzw. die protestantischen Wurzeln modernen Denkens rekapituliert werden. Die religiösen Elemente der DDR-Opposition und auch die religiöse Kultur des Widerstandes in der Wende haben dies ermöglicht. Die Verflechtung der Opposition mit den protestantischen Kirchen schuf ein authentisches Gegengewicht zur Totalität der geistigen und politischen Herrschaft der SED. Ähnliche Prozesse gab es auch in Osteuropa. In Ungarn waren zunächst religiöse Gruppen Keime der Opposition. Vaclav Havel in der Tschechoslowakei hat seinen politischen Ansatz ethisch und religiös begründet. In Polen spielte die katholische Kirche eine entscheidende Rolle. Solche Parallelen hat Helmut Fehr beobachtet, der darin eine »Logik der Entwicklung« sieht, die in die »Herausbildung eines staatsbürgerlichen Bewußtseins« (Fehr 1995,332 f.) mündete.
Auch der Vergleich mit den sehr unterschiedlichen Formen der politischen Gegnerschaft und des Widerstandes gegen das NS-Regime sowie deren Zielvorstellungen zeigt nach Rainer Eckert, daß Gegner beider Regime »grundlegende Probleme des Verhältnisses des Individuums zur staatlichen Macht und der Anforderungen, die ein Staat an seine Bürger richten kann«, aufwarfen und sich gegen die »Allmachtsansprüche des totalen Staates« (Eckert 1995, 81) richteten.
Dabei haben in beiden Diktaturen die Gegner stets auch bestimmte und unterschiedliche Teile der Voraussetzungen des politischen Systems akzeptiert. So konnten selbst Oppositionelle in der DDR die sozialistische Idee und die antifaschistische Orientierung sowie das daraus abgeleitete Existenzrecht der DDR annehmen. Allerdings wurden diese Adaptionen zugleich gegen die SED gewendet. Statt Sozialismus nach den Organisationsprinzipien der herrschenden Partei wurde ein demokratischer Sozialismus angestrebt und statt ritualisiertem Antifaschismus wurde Vergangenheitsaufarbeitung betrieben. Beides zielte auf die Delegitimierung der SED, das Erlangen demokratischer Institutionen und auf die Gewährung von Freiheitsrechten. Es war zugleich der riskante Weg vieler einzelner zu sich selbst, der Weg vom Untertanen zum Bürger.
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Bei der Bewertung der Gegnerschaft muß daher vorrangig deren politische Funktion in der Auseinandersetzung mit der SED gesehen werden. Die Befunde weisen aus, daß Ansätze eines aufklärerischen und zivilgesellschaftlichen Politikverständnisses vorhanden waren, die direkt und indirekt die Werte und politischen Ziele Freiheit, Recht und Menschenrecht, Pluralismus und Entideologisierung des Staates, Selbstbestimmung und freie Wahlen verfolgten. Immer wieder gab es schwerwiegende Zielkonflikte. Wer die Demokratisierung der DDR forderte, stellte nicht direkt das Existenzrecht der DDR in Frage, sehr wohl aber die Herrschaft der SED und damit indirekt auch deren Staat.
Zwar war die demokratische Alternative zur DDR die westdeutsche Bundesrepublik. Aber die westdeutsche Politik hat die DDR-Opposition kaum als einen politischen Faktor gesehen. Die SED behauptete, daß die Opposition aus dem Westen gesteuert, finanziert und gefördert würde. Doch diese Förderung beschränkte sich auf humanitäre Hilfe im Falle von Inhaftierungen. Als politische Größe schien die Opposition für viele Politiker eher ein Störfaktor der Deutschland- und Entspannungspolitik zu sein. Trotzdem hat die alte Bundesrepublik auch Maßstäbe für die Opposition geliefert. Allerdings mußte eine Oppositionspolitik, die in der DDR Handlungsfelder erschließen wollte und ihre Legitimation eigenständig entwickeln mußte, eine Fixierung auf die westdeutsche Alltagspolitik überwinden.
Es ist unumgänglich, die wesentlichen Unterschiede zwischen den verschiedenen Formen von Gegnerschaft zu registrieren. Eine Typologisierung ist zwar an die Bewertung des Bezugsrahmens politischen Handelns, sowohl der DDR wie der westlichen Demokratie, gebunden, muß aber auch dem Selbstverständnis der Gegner gerecht werden. Eine zu allgemeine Begrifflichkeit birgt die Gefahr, daß selbst die unpolitische Unangepaßtheit als Gegnerschaft ausgegeben werden könnte. Als Gegnerschaft kann nur der gesuchte und gestaltete Konflikt mit den Herrschenden gelten.
Wegen der Kontrolle aller Machtmittel durch die SED und des Fehlens geregelter Verfahren im Interessenkampf mußten Gegner für eine erfolgversprechende Politik Risiken und Möglichkeiten ausloten und ihre Mittel und Ziele bestimmen. Die verschiedenen Optionen für politische Strategien und Themen haben ganz und gar unterschiedliche, bisweilen sich ausschließende Typen politischer Gegnerschaft mit unterschiedlicher Reichweite und Wirksamkeit hervorgebracht.
Selbstbezeichnungen von Oppositionellen sind für eine Typologisierung ungeeignet. Begriffe wie »Umweltbewegung«, »Friedensbewegung« oder »unabhängige Friedensbewegung« waren lediglich Selbstverständigungs- und Kommunikationsformeln. Die politische Funktion der DDR-Opposition erschließt sich aus deren Lebenspraxis, der internen Differenzierung und aus der oppositionellen Theoriebildung. Unter dem Aspekt der Wahl politischer Mittel waren Klassifizierungen unbrauchbar, die den ideologischen Feindbildstereotypen der SED entsprachen. Nur die milderen Formen von Verweigerung wurden als Restbestand eines bürgerlichen Bewußtseins bewertet oder als Erziehungsaufgabe angesehen. Ansonsten wurde jede Gegnerschaft gemäß dem Klassenkampf Schema als feindlich beurteilt. Die Einstufungen als »konterrevolutionär«, »revisionistisch«, »klerikal-reaktionär«, »feindlich-negativ«, »antisozialistisch«, »oppositionell«, PUT (Politische Untergrundtätigkeit) oder PID (Politisch-ideologische Diversion) dienten der internen Kommunikation der Repressionsorgane, wurden aber weder dem Selbstverständnis der Klassifizierten noch ihren tatsächlichen politischen Funktionen gerecht.
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Deswegen ist auch eine Ineinssetzung von Gegnerschaft und erlittener Repression nicht möglich, zumal selbst geringfügige Abweichungen politisch interpretiert und verfolgt werden konnten. Die große Zahl der politisch Verfolgten, unter ihnen über 200.000 politische Gefangene, ist zwar ein Indiz für eine breitere Gegnerschaft. Aber unter ihnen sind viele, die selbst bewußt keine widerständigen Handlungen unternommen hatten, sondern Opfer einer repressiven Gesellschaftspolitik wurden.
Zu den Determinanten spezifischer Typen von Gegnerschaft gehören kulturelle und soziale Milieus, in denen der SED entgegenstehende Interessen wirkten. Hubertus Knabe hat schon vor 1989 Teile der Oppositionsbewegung in den Zusammenhang mit der Neuen Sozialen Bewegung (NSB) gestellt. Dieter Rink zeigte am Beispiel Leipzigs, daß es vor allem die protestantischen, intellektuellen und subkulturellen Milieus waren, in denen sich Gegnerschaft artikulierte. Doch der sozialgeschichtliche Ansatz führt in die Irre, wenn individuelle Optionen und Orientierungen nicht berücksichtigt werden. In den jeweiligen Milieus konnten sich sowohl Gegnerschaft als auch Opportunismus entwickeln.
Auch das Messen der individuellen oder gruppenspezifischen Energie im Kampf gegen die SED reicht nicht aus. Unter diesem Aspekt hat Eckhard Jesse Flucht und Ausreiseantragsteller, die offensichtlich die SED-Herrschaft delegitimierten und beschädigten, »obwohl sie keine eigene Gruppe bildeten« (Jesse 1995, 999), als Gegner hoch bewertet. Damit sind aber die Interessenkonflikte zwischen Ausreisewilligen und den in der DDR verbliebenen Oppositionellen nicht zu erfassen, außerdem haben diejenigen, die die DDR verlassen haben, bis zum Zeitpunkt der Flucht oder des Ausreiseantrages oft systemkonforme Verhaltensweisen gezeigt.
Ilko-Sascha Kowalczuk hat ebenfalls eine Typologie vorgestellt, die ein Gefälle der widerständigen Energie abbildet. Er benutzt dabei »Widerstand« als generalisierenden Begriff, dem er die Typen »1. gesellschaftliche Verweigerung, 2. sozialer Protest, 3. politische Dissidenz und 4. Massenprotest« (Kowalczuk 1995, 97) zuordnet. Politische Dissidenz bezeichnet er ausdrücklich als »Opposition« und differenziert diese unter politisch-ideologischen und soziokulturellen Aspekten. Noch differenzierter hat Knabe eine zehnstufige Typenskala entwickelt. Sie benennt Resistenz, Partielle Kritik, Sozialen Protest, Passiven Widerstand, Neue Soziale Bewegungen, Politischen Protest, Dissidenz, Politische Opposition, Aktiven Widerstand und Aufstand (Knabe 1996, 197). Diese Typologisierung mißt die politischstrategische Energie und bildet die Übergänge zwischen politischer und sozialer Gegnerschaft ab. Sie stellt aber kaum den Bezug von Bedingungen und Voraussetzungen mancher Formen der Gegnerschaft zum politischen System her und erreicht auch nicht die Unterschiede in den Strategien, die zu Zielkonflikten zwischen Gegnern führen konnten. Ergänzungsbedürftig ist deswegen auch der Vorschlag von Kleßmann, der im Anschluß an Minnerup unter Opposition »eine zumindest ansatzweise organisierte Form der Abweichung von der herrschenden politischen Linie mit erkennbaren ideologischen und politischen Alternativkonzepten« versteht. Dagegen sei Dissidenz »ein eher diffuses und schwer faßbares Phänomen« (KLEßMANN 1991, 52 f.) von Verweigerungen.
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Zu den wesentlichen Unterschieden gehört aber, daß ein Teil der politischen Gegner die minimalen Chancen legaler Handlungsräume des DDR-Staates wahrzunehmen, auszuschöpfen und zu erweitern versuchte. Die SED schloß zwar jede Legalität für Gegner aus. Doch der Kampf um die Interpretation von Gegnerschaft gehörte zur politischen Auseinandersetzung. Deswegen müssen die rechtlichen Aspekte beachtet werden, die sich als eine entscheidende Konfliktlinie durch die DDR-Geschichte ziehen. Peter Steinbach hat im Anschluß an die Diskussion zum Widerstand gegen das NS-Regime auf die verschiedenen Ebenen der Rechtsfrage hingewiesen. Im allgemeinsten Sinne wäre danach »Widerstand als Menschenrechtsbewegung« zu verstehen und das Ziel von Widerstand die »Wiederherstellung des Rechts« (Steinbach 1995,30 f.).
Die Einbeziehung der Rechtsfrage ermöglicht eine grundsätzliche Differenzierung: zwischen Gegnern, die sich auf legales Handeln festlegten und dazu die Voraussetzungen schufen, und solchen, die auf die Wahl legaler Mittel verzichteten und ihre Legitimität allein aus der Ablehnung des SED-Staates bezogen. Erstere sollen als Opposition bezeichnet werden. Letztere wären dem Widerstand zuzuordnen. Eine schwächere Form von bewußten politischen Abweichungen kann als Widerspruch klassifiziert werden. Diese Unterscheidung von Opposition, Widerstand und Widerspruch bildet weniger das Gefälle der politischen Energie, als vielmehr die Differenz in der Wahl der Mittel und der diesen schon innewohnenden Zwecke und Ziele ab.
2. Opposition
Opposition betrieben Gegner, wenn sie auf der Grundlage verbindlicher Normen und verbindlichen Rechts die Machtträger zur Einhaltung dieser Normen und Rechtssetzungen zu veranlassen suchten, um deren Macht zu begrenzen. Dazu konnte auch gehören, an der Schaffung rechtlicher Grundlagen mitzuarbeiten oder nach Rechtsersatz zu suchen.
Ein an der westlichen Tradition orientierter Oppositionsbegriff ist zwar nur bedingt anwendbar, da sich keine Opposition auf der Grundlage eines verfassungsmäßig beschriebenen und durch vereinbarte politische Verfahren gesicherten gesellschaftlichen Konsenses entfalten konnte, die eine programmatische und personelle Alternative zur etablierten Macht hätte anstreben können. Aber die SED verzichtete auch nicht auf den Schein des Rechtes, auf den Anspruch von Legalität bzw. »Gesetzlichkeit«. Zudem blieben in der DDR bestimmte, relativ stabile Rechtsbereiche, wie das Kirchenrecht, einige Rudimente des Staatskirchenrechtes oder die formal geschützte Glaubens- und Gewissensfreiheit, bestehen. Hinzu kamen die völkerrechtlichen Verbindlichkeiten, die zwar wie jedes Recht willkürlich unterlaufen, aber von Oppositionellen genutzt wurden. Auch der Rechtsersatz der SED, wie das Eingabewesen, wurde von Oppositionellen für politische Zwecke genutzt.
Analog der Rechtsentwicklung in der DDR lassen sich vier verschiedene Typen von legaler Opposition benennen. Zunächst existierten, wenn auch schwer behindert, nach 1945 demokratische Parteien, die CDU und die LDPD, die ansatzweise noch eine parlamentarische Opposition darstellten. In den Ländern und in den Kommunen agierten die demokratischen Parteien vereinzelt noch nach der DDR-Gründung selbständig.
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Zweitens nahmen die Kirchen ersatzweise über Jahre oppositionelle Funktionen wahr. Sie waren die einzigen nicht gleichgeschalteten Organisationen, die durch die Verfassung formal geschützt waren und die ein unabhängiges Rechtssystem erhalten konnten. Sie galten nach der Verfassung von 1949 als Körperschaft öffentlichen Rechtes. Dieses änderte sich mit der Verfassung von 1968, die aber immerhin noch formal die Existenz der Kirchen sicherte. Trotz der zeitweise schweren Repressionen mußte die SED die rechtlichen Ansprüche der Kirchen ernst nehmen, wofür eine in hohen Parteikreisen häufig verwendete Bewertung des Rechtsverhältnisses steht, nach der die Kirchen die einzige »legale Position des Feindes« (Besier 1991,183) in der DDR seien. Die Kirchen bzw. wesentliche kirchliche Repräsentanten haben im Umgang mit dem SED-Staat bis in die sechziger Jahre hinein mit ihrer Rechtsstellung argumentiert, Rechtsstaatlichkeit eingeklagt und dabei auch soziale und politische Interessen von Gruppen und einzelnen Menschen vertreten. Obwohl die Kirchen erklärten, keine politische Opposition sein zu wollen, nahmen sie damit faktisch oppositionelle Funktionen wahr. Erst Ende der sechziger Jahre schwächte sich diese Haltung ab, da die Kirchen genötigt wurden, ihr Verhältnis zum Staat über kirchenpolitische Verhandlungen zu regeln. Teilweise kam es auch zur Instrumentalisierung gegen die in den Kirchen agierenden oppositionellen Gruppen. Gegen die Aushöhlung von Rechtspositionen wandten sich kirchliche Mitarbeiter immer wieder. Begünstigend war die synodal-demokratische Verfaßt-heit der Kirchen. Die Synoden waren für den Staat nur schlecht zu manipulieren. Sie haben seit den siebziger Jahren häufig gesellschaftliche Anliegen gegenüber dem Staat vertreten und die totale Kontrolle der Öffentlichkeit unterlaufen.
Als dritte Form der Opposition müssen die sozialethisch orientierten Gruppen und Initiativen gelten, die Anfang der achtziger Jahre nahezu alle kritischen Potentiale, einschließlich marxistischer SED-Kritiker, aufnahmen. Sie agierten im Rechtsraum der Kirchen seit den sechziger Jahren. Ihre Genese geht u.a. auf die Wehrdienstverweigerer, die seit 1962 in Erscheinung traten, und die Offene Arbeit der Kirchen zurück, die seit 1969 soziale Randgruppen, jugendliche Subkulturen und andere Abweichler integrierte. Diese mündeten in die oppositionelle Friedensbewegung ein, die sich schließlich zur Demokratiebewegung in den achtziger Jahren entwickelte.
Auch die Kulturopposition vorwiegend jüngerer Marxisten, die Anfang der siebziger Jahre legale Betätigungsmöglichkeiten auszuschöpfen versuchte, ging schließlich fast vollständig in diesen Gruppen auf. Ende der siebziger Jahre begann die Vernetzung der Gruppen, und es entstanden mehrere überregionale und landesweite Kommunikationsstrukturen. Bei öffentlichen Aktivitäten lösten die Gruppen Mobilisierungseffekte aus, die zur Teilnahme von Menschen führten, die sonst nicht in den Gruppen arbeiteten. Diese Gruppen erhoben in den Auseinandersetzungen mit Staat und MfS den Anspruch auf Legalität und nutzten vorhandene Möglichkeiten der Kirchen, wie sie auch nach Ersatz für Legalität durch den Nachweis von Legitimität suchten.
Wenn Martin Gutzeit die Gruppen der achtziger Jahre als »informelle Opposition« (Gutzeit 1993, 85) versteht, trifft das nur auf ihre soziale Genese, Organisationsform und ihre sozialisierende Funktion zu. Als Teil der Kirche hatten fast alle Gruppen trotz der mangelhaften rechtlichen Sicherung ein institutionelles Gerüst. Ihr Selbstverständnis war von ihrer selbstgewählten Rolle als gesellschafts-, teilweise auch kirchenverändernde Kraft geprägt, unabhängig von der Verwendung des Begriffes Opposition.
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Sie waren sowohl eine soziale Emanzipationsbewegung, wie sie auch für eine politische Partizipation eintraten, ohne dabei mehrheitlich ein religiöses Selbstverständnis aufzugeben. Ihre Themen — Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung — hatten neben den ethischen immer auch politische Dimensionen. Intensiv wurde an der Herstellung von Öffentlichkeit gearbeitet, um weitere Bevölkerungskreise zu politisieren bzw. für die Demokratisierung zu mobilisieren. Die SED konnte, trotz vieler Versuche, dieses gegnerische Milieu nicht mehr aufreiben.
Die vierte Form der politischen Opposition kam im Sommer 1989 zum Zuge, als sich die sozialethischen Gruppen aus der engen kirchlichen Bindung lösten und sich in eigenen Strukturen, Bürgerbewegungen und Parteien formierten. Trotz zahlreicher politischer Schwächen vertraten die Oppositionellen des Herbstes zunächst die Interessen der Bevölkerung, waren maßgeblich an der Organisation des massenweisen Widerstandes beteiligt und trugen die Hauptlast der Entmachtung der SED und ihres konspirativen Organs MfS. Diese Opposition verlor nach der Etablierung eines demokratischen Parteienspektrums und den Wahlen von 1990 an politischer Bedeutung.
3. Widerstand
Im Unterschied zu den verschiedenen Oppositionsformen konnte sich der politische Widerstand nicht in legalen Handlungsräumen bewegen. Widerstandshandlungen zielten auf eine Schwächung oder Beseitigung der SED-Macht und deren öffentliche Diskreditierung. Widerständige haben sich nicht an Normen des Staates oder der Kirchen gehalten und mußten ihre Aktionen nicht vor ihren Gegnern legitimieren. Direkte oder indirekte Gewalt war insofern nicht ausgeschlossen. Eine politische Programmatik brauchte nicht entwickelt zu werden, da im Ziel der Aufhebung der SED-Macht eine demokratische Alternative impliziert war. Widerstand war weitgehender und entschlossener in der Konfrontation mit der SED als die legalistisch vorgehende Opposition. Vier Widerstandstypen sind zu unterscheiden:
Zunächst ist als wichtigste Form von Widerstand der spontane Massenaufstand zu bewerten. Neben mehreren kleineren Streik- und Protestwellen waren der 17. Juni 1953 und die Demonstrationen der Herbstrevolution 1989 Massenerhebungen. Große Teile der Bevölkerung reagierten auf die unerträglich gewordene Differenz zwischen gesamtgesellschaftlichen Interessen und der Politik der SED. In den Aufständen verbanden sich politische, soziale und nationale Forderungen, die im Ergebnis auf eine Option für die westdeutsche politische und wirtschaftliche Ordnung hinausliefen. Für die Ergebnisse der Aufstände war die Haltung der sowjetischen Macht entscheidend. Im Unterschied zu 1953 verband sich die Herbstrevolution 1989 mit einer entwickelten Opposition, die den Verlauf der Ereignisse auf politische Ziele orientieren, den Aufstand legitimieren und legalisieren konnte.
Eine weitere Widerstandsform entwickelte sich in unterdrückten sozialen Milieus, zunächst auch aus politischen Parteien und Organisationen heraus, wenn diese keine legale Möglichkeit mehr besaßen, ihre Interessen zu vertreten. Hierzu zählt seit 1946 der Widerstand von Sozialdemokraten und Mitgliedern der bürgerlichen Parteien, LDPD und CDU.
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Gegen die Bedrückung der Bauernschaft und anderer bürgerlicher Schichten wurde Widerstand bis zu Sabotagehandlungen geleistet. In den fünfziger Jahren bildeten sich Widerstandskerne in intellektuellen Milieus, wo eine Reihe von verdeckt arbeitenden Gruppen mit unterschiedlicher Energie die SED angriffen. In späteren Jahren kann auch die politisch motivierte, totale und strafbare Wehrdienstverweigerung — im Unterschied zur milderen, legalen Form des waffenlosen Bausoldatendienstes — dazu gerechnet werden. Widerstandshandlungen von kleineren Gruppen sind selten vorgekommen, wie etwa Aktionen marxistischer Gruppen (Trotzkisten).
Drittens wären die Widerstandshandlungen einzelner Personen zu nennen. Solche Aktionen wurden konspirativ vorbereitet und waren zuweilen mit Gewalt verbunden, wie die Sprengung des sowjetischen Panzers 1980 am Befreiungsdenkmal in Karl-Marx-Stadt. Kleine Sabotageakte, Anbringen von Losungen, Herstellen von Flugblättern haben oft Akteure unternommen, deren Namen zu DDR-Zeiten nie bekannt wurden. Gehäuft trat dieser Widerstand in Zeiten politischer Krisen wie 1968 auf. In diesen Situationen gingen Menschen hohe persönliche Risiken ein. Oft waren es auch Verzweiflungsakte, Reaktionen auf den Verlust der sozialen, kulturellen oder religiösen Identität.
Als letzte Form des Widerstandes kann Flucht und Ausreise gelten. Sie waren fast immer eine Option für den Westen als politische und ökonomische Alternative zur DDR. Flüchtende und Ausreiseantragsteller haben erhebliche Risiken auf sich genommen, durch energische und phantasievolle Aktionen ihre Flucht ins Werk gesetzt oder ihre Ausreise zu erzwingen versucht. Zur politischen Opposition, die auf ein Mindestmaß von Legalität angewiesen war, bestand ein Interessen- und Strategiekonflikt, der sich in anhaltenden Differenzen zeigte. Ein Teil der Ausreiseantragsteller hat jedoch die Verbindung zu Opposition und Kirche herstellen können, engagierte sich in Gruppen, betonte die Legalität seines Begehrens und geriet damit in die Nähe von Opposition.
4. Politischer Widerspruch
Die verbreitetste Form von politischer Gegnerschaft war der Widerspruch als bewußte politische Abweichung. Er war weit entfernt von organisierter Opposition und blieb unterhalb der Schwelle des Widerstandes. Widersprechende waren zumeist nicht grundsätzlich an ideologischen oder politischen Alternativen interessiert, bildeten keine eigenen Strukturen aus, zielten auf Teilöffentlichkeiten und minimierten die allerdings kaum kalkulierbaren Risiken. Hier wären die Kritiker einzuordnen, die öffentlich der SED widersprachen und ihr Unbehagen an Einzelentscheidungen äußerten oder mit ihrem Widerspruch eigene Interessen verfolgten. Es lassen sich wiederum vier Formen unterscheiden.
Als erste Form kann der Widerspruch innerhalb der SED von einzelnen und von Gruppen gelten. Oft wurde Widerspruch erhoben, wenn die politischen Rahmenbedingungen das eingegangene Risiko zu minimieren oder auch den politischen Erfolg des Widerspruchs sicherzustellen schienen. Dies war 1956 und 1962 nach den Entstalinisierungswellen in der UdSSR der Fall.
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Auch in Zeiten späterer Lockerungen etwa 1971 nach dem Machtantritt Honeckers oder nach 1986 während der Perestroika-Politik, überschritten Widersprechende oft den tolerierten Rahmen. Die Träger des politischen Widerspruchs in der SED hielten sich von der Opposition und vom Widerstand fern.
Die zweite verbreitete Form des Widerspruchs ging von Intellektuellen und Künstlern aus. Er bezog sich vorwiegend auf die Kulturpolitik oder auf restriktive Maßnahmen, wie die Ausbürgerung Biermanns 1976 und die Ausschlüsse aus den Künstlerverbänden Ende der siebziger Jahre. Der Widerspruch von Intellektuellen hat eigene künstlerische und sprachliche Formen der chiffrierten Kritik hervorgebracht.
Drittens ist Widerspruch in Subkulturen und sozialen Sondergruppen bzw. in gesellschaftlichen Bereichen wie der Wirtschaft häufig vorgekommen, ohne einen hohen Politisierungsgrad zu erreichen. Der Widerspruch in der Wirtschaft war oft eine Reaktion auf schwere Rationalitätsmängel. In den Subkulturen reagierte er auf die Ignoranz und Repression der SED und stand bisweilen auch in Verbindung mit der Opposition. In großer Zahl haben religiös engagierte Menschen in Schulen und Ausbildungsstätten, beim Militär und in anderen Tätigkeitsbereichen Widerspruch erhoben.
Viertens war politischer Widerspruch im Alltag weit verbreitet. Kritische Meinungsäußerungen und Protesthandlungen, oft auch beißende Witze, waren direkte Reaktionen auf politische und gesellschaftspolitische Übergriffe. In ihnen entluden sich aufgestaute Wut und Ohnmachtserfahrungen, wenn auch zumeist keine reflektierte politische Idee ausgedrückt wurde.
Aus dieser Klassifizierung fallen eine Reihe von Ereignissen um Personen heraus, die in der Geschichtsschreibung zumeist noch als Gegner der SED-Herrschaft anerkannt werden. Die Macht- und Privilegienkämpfe in der SED, die durchaus auch inhaltlich mit gesellschaftspolitischen Abweichungen verbunden waren, gehören nicht hinzu. Zahlreiche verfolgte, disziplinierte und aus der Partei ausgeschlossene SED-Funktionäre wie die Zaisser-Herrnstadt-Gruppe 1953 haben lediglich innerhalb der stalinistischen und poststalinistischen Machtverteilungskämpfe Konflikte ausgetragen und waren zudem Vertreter des Repressionsapparates, den sie oft nur effektiver gestalten wollten.
Entsprechendes gilt auch für all jene, die zwar in politische Ungnade fielen — oft lediglich, weil sie zu eigenständig und entscheidungsfreudig handelten —, sich aber trotzdem nie aus den irrationalen Bindungen an die Partei lösen konnten. Nicht erfaßt werden auch Vertreter der Kirchen, die entweder auf Konfliktminimierung setzten oder sich aus der Öffentlichkeit in ihre Großnische zurückzogen.
Ein direkter Zusammenhang der Strukturtypen politischer Gegnerschaft, Widerspruch, Widerstand und Opposition, erscheint häufig in den Biographien einer Reihe von langjährigen Gegnern der SED-Herrschaft (vgl. 12.7). In bestimmten Milieus konnten gleichzeitig unterschiedliche Formen politischer Gegnerschaft auftreten.
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