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7   Perspektivlosigkeit der Evolution

   Neuffer-1992

 

 

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Ganz gleich, ob man im religiösen Kontext geoffenbarte Informationen über den Kosmos für möglich hält oder nicht - auf jeden Fall sind diejenigen Erkenntnisse von höchstem Interesse für uns, die als Ergebnis natur­wissenschaftlicher Forschung heute vorliegen.

Dank einer ebenso intensiven wie brillanten Arbeit der verschiedenen mit dem Thema befaßten Disziplinen wissen wir heute erstaunlich viel über die Entstehungsgeschichte des Kosmos, insbesondere über das Sonnen­system mit seinem Planeten Erde, über die Evolution des Lebens auf der Erde und über das künftige Schicksal dieser unserer Welt.

Für den, der in solchen Erkenntnissen möglicherweise eine Antwort auf seine Fragen nach dem Sinn des Lebens erwartet, ist da allerdings wenig Positives zu holen.

Da hat es vor 15 bis 20, vielleicht auch 30 Milliarden Jahren offenbar aus dem Nichts heraus eine gewaltige Explosion gegeben, die wir den Urknall nennen.

Über verschiedene Zwischenstadien der Materie entwickelte sich daraus der heutige Kosmos. Er besteht, soweit seine Materie sichtbar ist, vor allem aus einigen hundert Milliarden Galaxien mit je bis zu einigen 100 Milliarden Sternen, die sich in Konsequenz des Explosionsschubs weiterhin gleichmäßig nach allen Richtungen voneinander entfernen.

Die Erde ist als Planet der Sonne vor rund 4,5 Milliarden Jahren entstanden. Auf ihr hat sich seit rund vier Milliarden Jahren organisches Leben entwickelt.

Vor etwa drei Milliarden Jahren begann bei unseren Urahnen die Ausbildung des menschlichen Gehirns. Sie ist möglicherweise noch nicht abgeschlossen.

Die Evolution von Pflanzen und Tieren können wir über weite Strecken detailliert nachzeichnen. Auf die Frage nach den Entstehungsgründen des Lebens und den formgebenden Kräften und Wirkungsweisen gibt es bisher nur ungesicherte, hypothetische Antworten.

Die Sonne, von der wir alle Energie beziehen, verbrennt in ihrem Inneren ständig Wasserstoff zu Helium und wird das in relativ stabilem Zustand noch etwa weitere fünf Milliarden Jahre lang tun. Dann verwandelt sie sich in einen roten Riesenstern. Die Temperatur auf der Erde steigt von da an ständig an, bis der Planet schmilzt und verdampft und verschwindet. Eine Fluchtmöglichkeit für Menschen ist nicht erkennbar.

Über das endgültige Schicksal des Kosmos besteht noch keine völlige Einigkeit. Sicher scheint, daß die meisten Sterne der Milchstraße erst einige Milliarden Jahre nach der Sonne ausbrennen werden. Möglicherweise entstehen sogar noch neue Sterne. Das mag zur Ausbildung beliebig vieler intelligenter Zivilisationen führen, so wie sie auch derzeit existieren mögen. Aber nach und nach hört das auf. In einigen 100 Milliarden Jahren ist es dunkel im Universum. Das Entropiegesetz bringt alle energetischen Prozesse zur Ruhe.

Nun ist allerdings noch umstritten, ob die Expansion des Weltalls sich tatsächlich für alle Zeit fortsetzt. Wenn die Materiemasse so groß ist, daß die Gravitation die Fluchtenergie übersteigt, dann wird die Fluchtbewegung durch die Schwerkraft gebremst und schließlich zum Stillstand gebracht. Anschließend macht die gesamte Materie kehrt, bewegt sich wieder von allen Seiten auf ihren Ausgangspunkt zu. Dort endet die Sache mit einem großen Knall ‐ um möglicherweise erneut zu explodieren.

Dies, mit Verlaub, ist für den menschlichen Blick in beiden Varianten ein zwar gigantisches und damit eindrucksvolles, aber keineswegs ein befriedigendes Szenario. Immer unterstellt, daß unsere Astronomen richtig gemessen und gerechnet haben, drängt sich hier wirklich die Frage auf, ob die ganze Veranstaltung mit der nötigen Kompetenz ins Werk gesetzt worden ist. Man fühlt sich an eine Überlegung von Lichtenberg erinnert:

»Warum sollte es nicht Stufen von Geistern bis zu Gott hinauf geben,
und unsere Welt das Werk von einem sein können,
der die Sache noch nicht richtig verstand, ein Versuch?«

Nun kann man natürlich einwenden, daß die Milliarden sonnenkatastrophenfreien Jahre, die offenbar vor uns liegen, ja ein ganz respektabler Zeitraum sind, der erst einmal ver‐ und überlebt sein will.

Man kann sich tatsächlich auch schwer vorstellen, daß die Menschheit einen derartig kosmisch langen Zeitraum überhaupt überleben kann. Die biologische Bandbreite der äußeren Lebensbedingungen, unter denen mensch­liches Leben stattfinden kann, ist überaus schmal.

Möglicherweise sind wir selbst schon gerade dabei, das prekäre Gleichgewicht eines uns zuträglichen Klimas zu zerstören.

Aber auch wenn sich dies noch abwenden läßt ‐ die Evolution ist eine heftige Bewegerin. Das Risiko, daß sie uns längst an irgendeiner Stelle über den Tellerrand gekippt hat, ehe unser Planet dereinst verglüht, erscheint doch als recht naheliegend.

Eine praktische Bedeutung kommt der kosmischen Perspektive also kaum zu, doch ihre psychologische ist virulent 

Was haben wir Menschen in diesem Spektakel überhaupt verloren?

Man kann von weiteren wissenschaftlichen Forschungsergebnissen sicher noch Korrekturen dieses grob skizzierten Ablaufs erwarten. Aber daß der Kosmos für uns wohnlicher wird, gehört sicher nicht zu den zu erhoffenden Erkenntnissen. Im naturwissenschaftlichen Weltbild kommt der Menschheit nur eine sehr periphere und kurzfristige Gastrolle zu, die auch als Episode nicht viel Sinn erkennen läßt.

Das ist ein gewissermaßen so trostloses Ergebnis, daß wir uns nur schwer damit abfinden können. Auch unter den Naturwissenschaftlern, die es uns zusammen­getragen haben, finden sich immer wieder solche, die nach Ansätzen oder Hypothesen suchen, mit deren Hilfe die starren naturgesetzlichen Grenzen überwunden werden können. Bisher vergebens.

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wikipedia  Georg Lichtenberg   *1742 bei Darmstadt       goog  virulent 

 

 

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Martin Neuffer - 1992