P. M.

Subcoma

Nachhaltig vorsorgen für 
das Leben nach der Wirtschaft

 

P.M.'s hilfreiches Haushaltsbuch

 

2000 im Paranoia-City-Verlag, Zürich

Illustrationen: Martin Albers und P.M. 

Druck: Fuldaer Verlagsanstalt

180 Seiten

2000

180 Seiten

dnb Person 

qwant.Buch

 

detopia

Start P. M. 

Utopiebuch

 

 


Inhalt

1. Holen wir uns die Welt zurück  (7) 

2. Wovon wollen wir weg?   (12) 

3. Wie kommen wir davon weg?   (36) 

Regulationsvorschläge (42)  Der garantierte Minimallohn (42)  Energiesteuern (45)  

Arbeitszeitmodelle (46)  Währungs­politik, Tobm-Tax, Verbesserung von WTO, IWF (48)  Tauschsysteme, Alternativgeld (49)  Autonomievorschläge (52)  Die Subsistenzperspektive (53)  

Der «Dritte Sektor» (58)  Gemeinschaftsprojekte, Siedlungen, Kommunen (64)  Die Kommune Niederkaufungen (67)  Exodus (69)  Gemeinschaft Hard (70)  Karthago (73)  

Wie stehen unsere Chancen? (74) Die «Zweite Linke» (87)  Die militanten NGOs (88)  Alternative Zentren (89)  Läden, Kneipen, Cafes (90)  Eine neue Genossenschafts­bewegung? (90)  

Welt-AG (91)  Subcoma (94)  Die Wunderfrage (95)  70 Milliarden für den LMO-Umbau der Schweiz (99)  Der arbeitsfreie Mittwoch (101)  Saucengummelitag (104)  Wir sind der Mega-Crash (107)

4. Wo wollen wir hin?  (108)  

Das «gute Leben» und seine Grenzen (109)  Das Programm Öko-Nord (123)  Eine planetarische Alternative (135)  LMO etc. (136)  Der planetarische Haushalt (163)

5. Ideen für Zürich danach  (168)  

Ein neues Zentrum für Zürich (170)  Limmat-Plaza (172)  Ein globales Forum (173)  Wenn die Dandy-Nomadinnen kommen (177)  Ein Kanal für Zürich-West (179)

Schluss (180)  

Nützliche Adressen (182)  

Literatur (184) 


 

1.  Holen wir uns die Welt zurück

Ein Slogan anlässlich der Anti-IWF-Demonstrationen vom April 2000 in Washington - "Reclaim the world"

 en.wikipedia  Washington_A16,_2000         Kurzbericht auf deutsch:  labournet.de/diskussion/wipo/seattle/iwf-mb.html

7-11

Was ist das für eine Welt, in der trotz gigantischer Fortschritte der Produktivität der Anteil der Armen stetig wächst?  Was ist das für ein Wirtschaftssystem, das auf sklavereiartigen Arbeitsbedingungen im Süden und Sozialabbau im Norden beruht? Was ist das für eine Landwirtschaft, die mit Erosion, Boden­versalzung, und vergifteten Gewässern ihre eigene Grundlage zerstört? Was ist das für eine Weltordnung, die überall zu Bürgerkriegen, Massakern, Flüchtlingsbewegungen und hilflosen militärischen Interventionen führt?

Die Stimmung ist gekippt. Globalisierung, New Economy, Informationsgesellschaft, Modernisierung — und wie all die hoch­trabenden Begriffe noch heißen mögen, haben begonnen ihren Glanz zu verlieren. Immer mehr Menschen merken, dass auch die New Economy nur die alte Tretmühle ist, nur schneller, riskanter und mehr Lebensbereiche durchdringend. Die Modern­isierungsgewinnerinnen von heute sind die Modernisierungs­verliererinnen von morgen — am Schluss sind wir alle Verliererinnen. Und daneben melden sich immer lauter auch jene, die seit 500 Jahren immer nur Modernisierungsverliererinnen waren.

Wenn sich heute die Agenten der neoliberalen Globalisierung zu ihren Kongressen treffen, werden sie jedes Mal mit Protesten konfrontiert. Glaubten viele bisher noch an eine Reform von WTO, IWF, Weltbank oder UNCTAD, so wird heute deren Abschaffung verlangt. 

Eine informelle Internationale von NGOs, wie People's Global Action, Via Campesina, Third World Network, Attac, Jubilee 2000, Focus the Global South hat sich gegen die neoliberale Globalisierung gebildet. Die Aktionen dieser Globalisierungs­gegnerinnen haben im «Debakel der WTO» in Seattle vom November 1999 kulminiert. An den Demonstrationen anlässlich der zehnten UNCTAD-Session in Bangkok vom Februar 2000 nahmen nicht weniger als 120 NGOs teil.

Sowohl die Bäuerinnen im Süden als auch die Lohnabhängigen im Norden haben keine Lust mehr, die ihnen von den Profiteuren der Globalisierung zugeteilten Rollen zu akzeptieren. Dieselben multinationalen Firmen sind verantwortlich für Landzerstörung und Landvertreibung im Süden und für Lebensmittel­vergiftungen (BSE, Dioxin) und Genmanipulationen im Norden. Resultat ihrer Aktivitäten ist die globale mal-bouffe: im Süden wird weniger, im Norden schlechter gegessen. Der Zusammenhang zwischen Globalisierung, Agroindustrie, ökologischer Zerstörung, Verarmung, Flüchtlingsbewegungen und Bürgerkriegen wird von immer mehr Menschen direkt erfahren. Während die einen ihr zerstörtes oder durch Staudammprojekte überschwemmtes Land verlassen müssen, werden wir zu Komplizen eines weltweiten Krieges gegen die Armen und rüsten uns für die nächsten Auslands­einsätze.

Die neue Bewegung gegen die neoliberale Globalisierung, die im Süden wie im Norden an Stärke gewinnt, ist umso notwendiger, als die traditionelle Linke überall auf den neoliberalen Kurs einschwenkt. Wenn die Neo-Sozialdemokraten von Washington bis Athen nur noch als Verteidiger von Wachstum, Modernisierung und Marktwirtschaft auftreten, dann haben sie ihre Oppositions­rolle verloren. Sie sind dann nur noch der politische Aspekt einer Weltpolizei, die versucht mit Bomben und Truppeneinsätzen die Auswirkungen einer verfehlten Weltordnung unter Kontrolle zu halten. Das Verschwinden der linken Opposition hat zu der gefährlichen Zunahme neonazistischer Gruppen geführt, denn diese stehen nun als einzige Gegner des Systems da und wirken darum für viele junge Menschen attraktiv. Die Profiteure der Globalisierung wissen natürlich, dass die nostalgische Demagogie dieser Neuen Rechten zum vorneherein eine verlorene Sache ist und unterstützen sie daher. 

Die Tür zu einer zukunftsgerichteten Alternative zum neoliberalen Kapital soll für immer zugeschlagen werden.

8


Auf Grund der Vielfalt, was Erfahrungen, soziale Herkunft und Ideologie ihrer Mitglieder betrifft, ist die heutige Bewegung gegen die Globalisierung sehr widersprüchlich. Diese innere Widersprüchlichkeit kennzeichnet eine echte Bewegung, die kein Zentralkomitee erträgt, welches die einzig richtige Linie beschließen könnte. Ob das Ziel der Globalisierungsgegnerinnen sich auf eine Re-Regulierung der Weltorganisationen beschränkt, und ob dieses Ziel das einzig realistische ist, wird sich in den nächsten Jahren zeigen müssen. Die Aufgabe all jener, die nicht mehr an Reformen glauben, wird darin bestehen, im Inneren dieser Bewegung durch Konzepte und Szenarien zu beweisen, dass eine grundsätzliche Alternative möglich und machbar ist.  

Ich glaube nicht, dass Reformvorschläge irgendwelcher Art (wie zum Beispiel die Tobin-Tax) die neoliberale Weltwirtschaft noch humanisieren oder umlenken können. Trotzdem kann es auch nicht schaden, solche Vorschläge zu machen. Die Bewegung ist gross genug, um alles Mögliche nebeneinander ausprobieren zu können. Während die einen drinnen reden, demonstrieren die andern draußen, beides stärkt die Gesamtbewegung.

Der Zweck dieses Buches besteht darin, jenem Teil der Bewegung Argumente zur Verfügung zu stellen, der nicht mehr an die Reformierbarkeit des kapitalistischen Systems und dessen Weltorganisationen glaubt und daher eine planetarische Alternative dazu verwirklichen will. 

Es geht um theoretische Überlegungen und die Auswertung praktischer Erfahrungen, um inspirierende Ideen und um die Diskussion von Umsetzungsszenarien. 

Ich habe mir bewusst ein Maximalprogramm vorgenommen: denn wenn schon, dann geht es um eine ganz andere Welt, nicht nur um ein paar «Alternativ­projekte». Wenn die Globalisierung etwas Gutes bewirkt hat, ist es nämlich gerade dies: Wir können uns nicht mehr in Basisinitiativen und «Alternativprojekte» verkriechen, um in einer falschen Konkretion hier und jetzt «wenigstens im Kleinen» etwas zu verändern. 

Diese «Graswurzel­strategie» hat sowohl im Grossen wie auch im Kleinen versagt. Nicht nur hat sie sich eben in den letzten dreißig Jahren nicht ausbreiten und die Gesellschaft verändern können, die diversen Projekte sind auch noch selbst verkümmert oder von der Bildfläche verschwunden. (Es gibt hier einige erfreuliche Ausnahmen!)

9/10


Jüngst hat der deutsche Philosoph Sloterdijk bemängelt, dass die soziale Phantasie der technischen weit hinterherhinke. Städte­planer und Wirtschaftsführer beklagen das Fehlen von Visionen, und wir werden sogar aufgefordert, unsere Alternativen und Utopien zu entwickeln. Dabei bleibt ein Tabu unausgesprochen, nämlich, dass diese Visionen nicht den Rahmen der herrschenden Wirtschafts­ordnung sprengen dürfen. Was wiederum bedeutet, dass es eben keine Visionen mehr geben kann, weil der Wirtschafts­modus sich totgelaufen hat. 

Spezialisten betrachten die Stimmerkennung als nächste grosse Computerrevolution. Wir betreten also unser vollcomputerisiertes Haus und bestellen vom automatischen Ofen eine Pizza Napoli. Doch wie schmeckt diese Pizza, und ist es genau so lustig sie im klimatisierten Wohnzimmer wie in einem Seitengässchen in Neapel zu essen? Inzwischen wird Neapel saniert und wir haben gar keine Zeit mehr für solche Reisen. Während die wirklichen guten Dinge verschwinden, wird der Zugang zum Ersatz perfektioniert — was haben wir davon?

Selbstverständlich gibt es eine Alternative, aber nicht mehr unter den Bedingungen des Business as usual. Eigentlich kennen wir alle sie auch schon, seit Tausenden von Jahren. Sie entspricht einem globalen Jubiläum (im biblischen Sinne): Streichung aller Schulden, Annullierung aller Guthaben, gleichberechtigter Zugang zu allen Ressourcen und allem Wissen, Ende der Marktregeln, voller Lebensgenuss statt Arbeitssklaverei, Abbruch der Wachstums­spirale, Schluss mit dem Zwangsfortschritt. Nicht mehr Tempo ist gefragt, sondern Qualität. Wir brauchen also ein globales Downshifting (Herunterschalten), einen kollektiven Ausstieg aus dem westlich-kapitalistischen Wirtschaftswahn. 

Es gibt nur eine Welt, wir haben nur ein Leben, und wer sich hinter seinem Realismus versteckt, betrügt sich selber.

In zahlreichen Vorträgen vor Gewerkschafterinnen, SP-Sektionen, Wohngenossenschafterinnen, Studentinnen, Anti-WTO-Aktivist­innen habe ich erfahren, dass das Bedürfnis nach einer globalen Alternative zwar vorhanden, die Skepsis bezüglich ihrer Verwirklichung aber gross ist. Es gibt tatsächlich keine eigentliche «alternative Weltbewegung», dafür aber eine Vielzahl interessanter Initiativen und Projekte, die ich kennen gelernt habe, seit ich 1983 bolo'bolo veröffentlichte. 

Subcoma ersetzt meine früheren Texte nicht, es ergänzt sie nur mit Erfahrungen, die ich seitdem gemacht habe. Ich hoffe, sie sind auch für andere nützlich und können dazu beitragen, die vielerorts herrschende Resignation zu durchbrechen.

Wovon wollen wir weg? 
Wie kommen wir weg? 
Wo wollen wir hin? 

Dies sind die drei Grundfragen, die ich versuchen möchte zu beantworten. Der am wenigsten kontroverse Teil wird die Antwort auf die Frage sein, wovon wir eigentlich loskommen wollen: die kapitalistische Arbeitsmaschine hat sich nur allzu gründlich blamiert, denn der ab 1776 immer wieder versprochene «Wohl­stand für alle» ist zum «Elend für die Mehrheit» geworden. 

Bei der Antwort auf die Frage, wie kommen wir weg, geht es um die Ablösungsbewegungen, um eine Einschätzung diverser Lösungsansätze, die heute bestehen oder vorgeschlagen werden. 

Im letzten Teil des Buches wird der Versuch unternommen, eine «Welt danach» als Ganzes zu skizzieren. 

Es genügt nicht, nur gegen die neoliberale Globalisierung zu sein, wir brauchen auch Vorstellungen darüber, durch was sie ersetzt werden könnte. 

Hier sollen auch Fantasien, Träume und Ideen, hauptsächlich zur Stadt Zürich, ihren Platz haben, denn wenn wir keine Lust mehr haben, uns das Andere auszumalen, dann werden wir bald die Energie zum Widerstand verlieren.

10-11

#

 

(Ordner)     www.detopia.de      ^^^^