Erster Teil
1 Das Medium ist die Metapher
Postman-1985
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Zu verschiedenen Zeitpunkten unserer Geschichte waren ganz unterschiedliche Städte Sinnbilder des amerikanischen Geistes und seiner Ausstrahlungskraft. Im späten 18. Jahrhundert zum Beispiel war Boston Mittelpunkt eines politischen Radikalismus, der jenen Schuß auslöste, den die ganze Welt vernahm, einen Schuß, der damals nur in der Umgebung Bostons und nirgendwo sonst fallen konnte.
Und sein Echo machte alle Amerikaner, auch die Siedler von Virginia, im Herzen zu Bürgern Bostons. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts wurde New York zum Inbegriff der Idee vom Schmelztiegel Amerika — zumindest, was die nicht aus England kommenden Einwanderer anging. Ausgestoßene und Überzählige aus aller Herren Länder kamen auf Ellis Island an und verbreiteten ihre fremden Sprachen und ihre erst recht fremden Sitten im ganzen Land. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde Chicago, die Stadt der breiten Schultern und der rauhen Winde, zum Sinnbild Amerikas.
Wenn irgendwo in Chicago das Denkmal eines Schweineschlächters steht, dann erinnert es an eine Zeit, in der Amerika aus Eisenbahnen, Rindern, Stahlwerken und Industrieabenteurern bestand. Wenn es dieses Denkmal nicht gibt, dann sollte man es errichten, so wie man dem »Minute Man«, dem in Minutenschnelle abrufbereiten Freiwilligen des Unabhängigkeitskrieges, und mit ihm dem Zeitalter Bostons ein Denkmal gesetzt hat, und das so wie die Freiheitsstatue an das Zeitalter New Yorks erinnert. wikipedia Minutemen-Miliz
Halten wir heute nach einem Sinnbild für den Charakter und die Sehnsüchte unserer Nation Ausschau, so blicken wir nach Las Vegas, der Stadt in der Wüste von Nevada — ihr Wahrzeichen ist die zehn Meter hohe Papp-Attrappe eines Spielautomaten und eines Chorus-Girls. Denn Las Vegas hat sich ganz und gar der Idee der Unterhaltung verschrieben und verkörpert damit den Geist einer Kultur, in der der gesamte öffentliche Diskurs immer mehr die Form des Entertainments annimmt. Weitgehend ohne Protest und ohne daß die Öffentlichkeit auch nur Notiz davon genommen hätte, haben sich Politik, Religion, Nachrichten, Sport, Erziehungswesen und Wirtschaft in kongeniale Anhängsel des Showbusiness verwandelt. Wir sind im Zuge dieser Entwicklung zu einem Volk geworden, das im Begriffe ist, sich zu Tode zu amüsieren.
Während ich dies schreibe, werden die Vereinigten Staaten von einem ehemaligen Hollywood-Schauspieler regiert. Einer seiner wichtigsten Herausforderer bei den Präsidentschaftswahlen von 1984 war einer der Hauptdarsteller im glanzvollsten Fernsehspektakel der sechziger Jahre, mit anderen Worten: Astronaut. Und selbstverständlich hat man einen Film über seine extraterrestrischen Abenteuer gedreht. George McGovern hat sich als »Gastgeber« in der beliebten Fernsehsendung Saturday Night Live betätigt. Ein jüngerer Kandidat, Reverend Jesse Jackson, ebenso.
Der frühere Präsident Richard Nixon, der behauptet hat, er habe einmal eine Wahl deshalb verloren, weil ihn die Make-up-Leute sabotierten, hat unterdessen Senator Edward Kennedy einen Tip gegeben, wie er es anstellen müsse, wenn er sich ernsthaft um die Präsidentschaft bewerben wolle: 20 Pfund abnehmen. Obwohl in der Verfassung nichts davon steht, ist dicken Leuten der Zugang zu hohen politischen Ämtern heutzutage praktisch versperrt; Leuten mit Glatze wahrscheinlich ebenfalls. Und mit ziemlicher Sicherheit auch all jenen, deren Aussehen durch Kosmetikerkünste nicht beträchtlich geschönt wird.
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Vielleicht sind wir inzwischen tatsächlich an dem Punkt angelangt, wo nicht mehr die Programmatik, sondern die Kosmetik das Gebiet ist, auf dem sich der Politiker wirklich auskennen muß.
Auch die amerikanischen Journalisten, genauer gesagt: die Nachrichtensprecher im Fernsehen, haben erkannt, worauf es ankommt. Die meisten von ihnen verbringen mehr Zeit unter ihrem Fön als über ihren Skripten, was dazu führt, daß sie die bestaussehenden Leute diesseits von Las Vegas sind. Obwohl im Federal Communications Act nichts davon steht, hat jemand ohne Kamera-Appeal keine Chance, das Publikum über die sogenannten »Tagesnachrichten« zu unterrichten. Wer dagegen Kamera-Appeal besitzt, kommt möglicherweise auf ein Jahreseinkommen von mehr als einer Million Dollar.
Längst haben amerikanische Geschäftsleute entdeckt, daß Qualität und Nützlichkeit ihrer Waren, verglichen mit ihrer geschickten Präsentation, geradezu nebensächlich und die von Adam Smith gepriesenen und von Karl Marx verdammten Prinzipien des Kapitalismus zur Hälfte hinfällig sind. Selbst die Japaner, die angeblich bessere Autos bauen als die Amerikaner, wissen, daß die Ökonomie weniger eine Wissenschaft als eine darstellende Kunst ist — der jährliche Werbeetat von Toyota bestätigt es.
Vor kurzem sah ich Billy Graham zusammen mit Shecky Green, Red Buttons, Dionne Warwick, Milton Berle und anderen Theologen bei einem gemeinsamen Fernsehauftritt zu Ehren von George Burns, der sein achtzigjähriges Überleben im Showbusiness feierte. Hochwürden Graham und Burns witzelten über die Vorbereitungen für die Reise ins Jenseits. Obwohl in der Bibel nichts davon steht, versicherte Reverend Graham den Zuschauern, Gott liebe jene, die andere zum Lachen bringen. Ein verzeihlicher Irrtum. Er hatte lediglich den lieben Gott mit NBC verwechselt.
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Die Psychologin Dr. Ruth Westheimer hat eine beliebte Radiosendung und einen Nachtclub-Auftritt, bei denen sie ihr Publikum über den Sex in der unendlichen Mannigfaltigkeit seiner Formen informiert, und zwar in einer Sprache, die früher dem Schlafzimmer und der Straßenecke vorbehalten war. Ruth Westheimer ist fast so unterhaltsam wie Reverend Billy Graham und hat einmal gesagt: »Ich will gar nicht unbedingt lustig wirken. Aber wenn es so herauskommt, dann mache ich mir das zunutze. Wenn man mich als Entertainerin bezeichnet, sage ich: Na, wunderbar. Wenn ein Professor Sinn für Humor hat, kommen die Leute nachher aus seiner Vorlesung und haben etwas behalten.«1) Sie sagte zwar nicht, was diese Leute behalten und wozu es gut sein soll, daß sie etwas behalten. Aber eines hat sie erkannt: Entertainer zu sein ist wunderbar. In Amerika ist nämlich Gott mit denen, die das Talent und das Format haben, andere zu amüsieren, gleichgültig, ob sie das nun als Prediger, Sportler, Unternehmer, Politiker, Lehrer oder Journalisten tun.
Die traurigsten Gestalten in Amerika sind seine professionellen Unterhalter.
Kulturbeobachter und andere Pessimisten — Leute, die Bücher wie dieses hier lesen — wissen, daß die genannten Beispiele nicht an den Haaren herbeigezogen sind — man begegnet ihnen auf Schritt und Tritt. Es besteht kein Mangel an Kritikern, die den Zerfall des öffentlichen Diskurses in Amerika und seine Umwandlung in eine Sparte des Showbusiness wahrgenommen und zu Protokoll gegeben haben. Aber bisher hat, soweit ich sehe, kaum einer von ihnen nach den Ursachen, und nach der Bedeutung dieses Abstiegs in die grenzenlose Trivialität gefragt. Diejenigen, die sich eingehender mit diesen Dingen beschäftigt haben, erklären uns, was sich da vor unseren Augen abspielt, seien die letzten Zuckungen eines ausgelaugten Kapitalismus oder, so die entgegengesetzte These, die fade Frucht des zur Reife gelangten Kapitalismus; oder der Abgesang auf das Zeitalter Freuds; oder die Vergeltung dafür, daß wir Gott haben sterben lassen; oder sie sagen, Habsucht und Ehrgeiz, die immer herhalten müssen, wenn andere Erklärungen versagen, seien an allem schuld.
Ich habe diese Erklärungen sorgfältig geprüft, und ich will nicht behaupten, daß man von ihnen nichts lernen kann.
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Man darf die Anhänger von Marx, Freud, Lévi-Strauss und selbst die Vertreter der Creation Science nicht leicht nehmen. Jedenfalls würde es mich sehr überraschen, wenn das, was ich hier zu sagen habe, der ganzen Wahrheit auch nur nahe käme. Wir alle sind, wie Huxley einmal gesagt hat, Große Abkürzer; niemand ist so klug, daß er die ganze Wahrheit herausfinden könnte, und wer glaubt, sie gefunden zu haben, der hätte doch weder die Zeit, sie zu verkünden, noch das leichtgläubige Publikum, das sie einfach hinnimmt.
Der Leser wird in diesem Buch jedoch eine Argumentation finden, die das Problem immerhin klarer erfaßt als viele andere. Ihr Wert liegt in der Klarheit ihrer Perspektive. die auf Überlegungen zurückgeht, die vor 2300 Jahren Platon anstellte. Diese Argumentation konzentriert sich auf die Formen des kommunikativen Austauschs, des »Gesprächs« zwischen den Menschen; sie geht davon aus, daß die Formen, an die wir uns bei diesem Austausch halten müssen, den denkbar stärksten Einfluß darauf haben, welche Gedanken wir bequem zum Ausdruck bringen können. Und jene Gedanken, die sich bequem ausdrücken lassen, werden unweigerlich zum wesentlichen Inhalt einer Kultur.
Wenn ich hier die Wörter »Austausch« oder »Gespräch« (conversation) verwende, dann denke ich nicht nur an die gesprochene Sprache, sondern an alle Techniken und Technologien, die es den Angehörigen einer bestimmten Kultur erlauben, Botschaften auszutauschen. In diesem Sinne ist die ganze Kultur ein großer Austausch oder, genauer gesagt, ein Komplex zahlreicher Austauschvorgänge, die in den verschiedensten symbolischen Modi vollzogen werden. Uns beschäftigt hier die Frage, wie die Formen des öffentlichen Diskurses regulieren, ja, geradezu diktieren, welcher Art die Inhalte sind, die in ihnen vermittelt werden können.
Nehmen wir ein einfaches Beispiel: die primitive Kommunikationstechnik der Rauchzeichen. Ich weiß zwar nicht genau, welche Inhalte die Indianer früher mit ihren Rauchzeichen übermittelt haben, aber ich bin mir sicher, daß philosophische Gedankengänge nicht dazugehörten. Rauchwölkchen sind nicht so komplex, daß man mit ihnen Gedanken über das Wesen des Daseins zum Ausdruck bringen könnte — und selbst wenn sie es wären, würden dem Cherokee-Philosophen entweder das Holz oder die Decken ausgehen, bevor er auch nur zu seinem zweiten Axiom gelangt wäre. Mit Rauch kann man nicht philosophieren. Seine Form schließt diesen Inhalt aus.
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Betrachten wir ein näherliegendes Beispiel:
Heutzutage wäre es, wie gesagt, unvorstellbar, einen Mann wie unseren 27. Präsidenten, den zweieinhalb Zentner schweren William Howard Taft mit seinem Doppelkinn, als Präsidentschaftskandidaten aufzustellen. Die äußere Gestalt eines Menschen ist weitgehend irrelevant für die Gestalt seiner Ideen, solange sich dieser Mensch schreibend oder im Radio oder, wenn es denn sein soll, mittels Rauchzeichen an sein Publikum wendet. Anders im Fernsehen. Das Bild eines schwerfälligen Zweieinhalb-Zentner-Mannes, auch eines redenden, würde die Feinheiten jeder sprachlich vermittelten Argumentation alsbald erdrücken.
Denn im Fernsehen wird der Diskurs weitgehend mit visuellen Mitteln geführt — oder anders gesagt, das Fernsehen liefert uns einen Austausch in Bildern, nicht in Worten. Das Auftauchen des Image-Managers in der politischen Arena und der damit einhergehende Niedergang des Redenschreibers zeugen davon, daß sich die Inhalte, die das Fernsehen fordert, von denen anderer Medien unterscheiden. Politische Ideen lassen sich im Fernsehen nicht erläutern. Seine Form arbeitet gegen den Inhalt.
Hier noch ein drittes, komplexeres Beispiel: Die Informationen, den Inhalt oder, wenn man so will, den »Stoff«, aus dem die sogenannten »Tagesnachrichten« bestehen, gab es nicht und konnte es nicht geben in einer Welt, in der es die Medien nicht gab, die sie hätten vermitteln können. Ich will damit nicht sagen, daß sich nicht immer und überall auf der Welt Brände, Kriege, Morde und Liebesaffären ereignet hätten. Aber die Menschen konnten nicht an ihnen teilnehmen, konnten sie nicht zu einem Teil ihres Alltags machen, solange die Technologie fehlte, die sie davon in Kenntnis setzte.
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Derartige Informationen gehörten nicht zum Inhalt von Kultur. Die Vorstellung, daß es einen Inhalt namens »Tagesnachrichten« gibt, hat erst der Telegraph geschaffen (und die neueren Medien haben sie seither ausgeweitet); erst der Telegraph machte es möglich, aus dem Zusammenhang gerissene Informationen in unvorstellbarer Geschwindigkeit über riesige Entfernungen zu transportieren. Die »Tagesnachrichten« sind ein Produkt unserer technischen Phantasie; sie sind im wahrsten Sinne des Wortes ein Medienereignis. Wir beschäftigen uns mit Bruchstücken von Ereignissen aus aller Welt, weil wir über eine Vielzahl von Medien verfügen, die sich ihrer Form nach zum Austausch bruchstückhafter Botschaften eignen. Kulturen ohne lichtgeschwinde Medien — Kulturen etwa, in denen Rauchzeichen das effizienteste Mittel zur Überwindung von Entfernungen sind — kennen keine »Tagesnachrichten«. Das »Neue vom Tage« gibt es nicht ohne ein Medium, das seine Form schafft.
Um es klar und deutlich zu sagen: Ich untersuche und ich beklage in diesem Buch die einschneidendste Veränderung, die sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts innerhalb der amerikanischen Kultur vollzogen hat: den Niedergang des Buchdruck-Zeitalters und den Anbruch des Fernseh-Zeitalters. Dieser Umbruch hat zu einer dramatischen, unwiderruflichen Verschiebung im Inhalt und in der Bedeutung des öffentlichen Diskurses geführt, denn zwei so unterschiedliche Medien können nicht die gleichen Ideen in sich aufnehmen. In dem Maße, wie der Einfluß des Buchdrucks schwindet, müssen sich die Inhalte der Politik, der Religion, der Bildung und anderer öffentlicher Bereiche verändern und in eine Form gebracht werden, die dem Fernsehen angemessen ist.
Das alles mag dem Aphorismus Marshall McLuhans »Das Medium ist die Botschaft« verdächtig ähnlich klingen — und ich will diese gedankliche Verbindung auch gar nicht bestreiten (obwohl das unter achtbaren Wissenschaftlern Mode geworden ist, die heute gar nichts mehr zu sagen hätten, wenn sie nicht über McLuhan reden könnten).
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Ich habe McLuhan vor dreißig Jahren kennengelernt; damals war ich ein graduierter Student und er ein unbekannter Englischprofessor. Ich glaubte damals und ich glaube heute, daß er sich mit seinen Thesen in die Tradition Orwells und Huxleys stellte, mit anderen Worten, daß er als Prophet sprach, und ich habe mich immer an seine Lehre gehalten, daß man den klarsten Einblick in eine Kultur gewinnt, indem man ihre Werkzeuge zum kommunikativen Austausch untersucht. Und ich möchte hinzufügen, daß mein Interesse für diesen Gesichtspunkt zuerst von einem Propheten geweckt wurde, der weit ehrfurchtgebietender als McLuhan und älter als Platon ist. Beim Studium der Bibel fand ich in jungen Jahren Hinweise auf die Vorstellung, daß bestimmte Formen von Medien ganz bestimmte Inhalte begünstigen und dadurch eine Kultur entscheidend zu prägen vermögen. Ich denke hier insbesondere an die Zehn Gebote, deren zweites lautet: »Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist.«
Wie viele vor mir habe ich mich damals gefragt, warum der Gott dieses Volkes Vorschriften erließ, wie Menschen ihre Erfahrungen symbolisch darstellen sollten und wie nicht. Als Teil eines ethischen Systems mutet ein solches Gebot merkwürdig an, es denn, sein Urheber hatte, als er es aufstellte, den Zusammenhang zwischen den Formen menschlicher Kommunikation und der Eigenart einer Kultur im Sinn. Ein Volk, das sich die Vorstellung von einem abstrakten, universalen Gott zu eigen machen soll, wäre hierzu wohl nicht imstande, wenn es die Gewohnheit hätte, Bilder und Statuen anzufertigen oder seine Anschauungen in konkreten, ikonographischen Formen zu verkörpern. Der Gott der Juden sollte einzig im Wort und durch das Wort existieren - ein bis dahin unbekanntes Ansinnen, das ein Höchstmaß an abstraktem Denken voraussetzte. Damit dieser neue Gott in die Kultur Eingang finden konnte, mußte die Ikonographie zur Blasphemie erklärt werden. Uns, die wir heute im Begriff sind, eine wortbestimmte Kultur in eine bildbestimmte Kultur zu verwandeln, könnte die Besinnung auf dieses mosaische Gebot durchaus von Nutzen sein.
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Doch auch dann, wenn meine Mutmaßungen nicht zutreffen, darf man, wie ich meine, vernünftigerweise annehmen, daß die in einer Kultur verfügbaren Kommunikationsmedien einen beherrschenden Einfluß auf die Orientierung der intellektuellen und sozialen Bestrebungen innerhalb dieser Gesellschaft haben.
Die Sprache ist natürlich der primäre, unentbehrliche Modus des kommunikativen Austauschs. Sie hat uns zu Menschen gemacht und läßt uns Menschen bleiben, sie definiert geradezu, was humanitas bedeutet. Das besagt nicht, daß es, wenn es andere Kommunikationsmittel nicht gäbe, allen Menschen gleichermaßen leicht fiele, über dieselben Dinge auf dieselbe Weise zu sprechen. Wir wissen, daß strukturelle Unterschiede zwischen den Sprachen zu Unterschieden in dem führen, was man als »Weltanschauung« bezeichnen könnte.
Wie die Menschen über Zeit und Raum, über Gegenstände und Vorgänge denken, das ist deutlich von den grammatischen Eigenschaften ihrer individuellen Sprache abhängig. Deshalb können wir nicht davon ausgehen, daß wir alle die gleichen Vorstellungen über den Aufbau der Welt hegen. Um wieviel größer jedoch die Unterschiede zwischen den »Weltanschauungen« verschiedener Kulturen sind, kann man ermessen, wenn man sich die Vielzahl und Vielfalt der Instrumente zum kommunikativen Austausch vor Augen führt, die nicht auf Wörter gestützt sind.
Kultur ist zwar ein Produkt der Sprache; aber von jedem Kommunikationsmedium wird sie neu geschaffen, von der Malerei und den Hieroglyphen ebenso wie vom Alphabet und vom Fernsehen. Wie die Sprache selbst, so begründet auch jedes neue Medium einen bestimmten, unverwechselbaren Diskurs, indem es dem Denken, dem individuellen Ausdruck, dem Empfindungsvermögen eine neue Form zur Verfügung stellt. Und eben dies meinte McLuhan mit seinem Satz: »Das Medium ist die Botschaft.« Sein Aphorismus bedarf jedoch einer Korrektur, denn so, wie er dasteht, lädt er zu einer Verwechslung von Botschaft und Metapher ein. Eine Botschaft macht eine bestimmte, konkrete Aussage über die Welt.
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Die Formen unserer Medien und die Symbole, durch die sie einen Austausch ermöglichen, machen jedoch keine derartigen Aussagen. Eher gleichen sie Metaphern, die ebenso unaufdringlich wie machtvoll ihre spezifischen Realitätsdefinitionen stillschweigend durchsetzen. Ob wir die Welt durch das Objektiv der gesprochenen Sprache oder des gedruckten Wortes oder der Fernsehkamera wahrnehmen — unsere Medien-Metaphern gliedern die Welt für uns, bringen sie in eine zeitliche Abfolge, vergrößern sie, verkleinern sie, färben sie ein und explizieren eine bestimmte Deutung der Beschaffenheit der Wirklichkeit. Ernst Cassirer bemerkt dazu:
»Die unberührte Wirklichkeit scheint in dem Maße, in dem das Symbol-Denken und -Handeln des Menschen reifer wird, sich ihm zu entziehen. Statt mit den Dingen selbst umzugehen, unterhält sich der Mensch in gewissem Sinne dauernd mit sich selbst. Er lebt so sehr in sprachlichen Formen, in Kunstwerken, in mythischen Symbolen oder religiösen Riten, daß er nichts erfahren oder erblicken kann, außer durch Zwischenschaltung dieser künstlichen Medien.«2
Merkwürdig ist freilich, daß man so selten zur Kenntnis nimmt, wie diese zwischengeschalteten Medien das regulieren, was wir sehen oder erfahren. Wer ein Buch liest, wer vor dem Fernseher sitzt oder wer auf seine Armbanduhr schaut, der interessiert sich im allgemeinen nicht dafür, wie diese Vorgänge sein Denken organisieren und kontrollieren, und erst recht nicht dafür, welche Vorstellung von der Welt das Buch, der Fernseher oder die Uhr ihm nahelegen. Aber es gibt Menschen, die diese Dinge registriert haben, vor allem in unserer Zeit. Und einer der hellsichtigsten unter ihnen war Lewis Mumford.
Er gehört nicht zu denen, die bloß deshalb auf die Uhr sehen, weil sie wissen wollen, wie spät es ist; sehr viel mehr interessiert er sich dafür, wie die Uhr die Vorstellung von einem »Moment« und einer Abfolge von Momenten hervorbringt. Er beschäftigt sich mit der Philosophie der Uhr, mit der Uhr als Metapher, ein Thema, über das unsere Wissenschaften bisher wenig zu sagen hatten und die Uhrmacher schon gar nichts.
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»Die Uhr«, so erklärt Mumford, »ist ein Antriebsmechanismus, dessen ›Produkt‹ Sekunden und Minuten sind.« Die Uhr, die dieses Produkt erzeugt, löst die Zeit aus unserem Erlebniszusammenhang heraus und nährt damit den Glauben an eine unabhängige Welt mathematisch meßbarer Sequenzen. Die Gliederung der Zeit in eine Abfolge von Momenten ist, wie sich herausstellt, nicht gott- oder naturgegeben. Der Mensch selbst hat sie hervorgebracht, indem er sich mittels einer von ihm geschaffenen Maschine mit sich selbst unterhält.
In seinem großen Buch <Technics and Civilization> hat Mumford dargestellt, wie uns die Uhr, beginnend im 14. Jahrhundert, zunächst zu pünktlichen Zeit-Messern, dann zu Zeit-Sparern und heute schließlich zu Dienern der Zeit gemacht hat. Im Zuge dieser Entwicklung haben wir gelernt, der Sonne und den Jahreszeiten unseren Respekt zu entziehen, denn in einer Welt, die aus Sekunden und Minuten besteht, ist die Autorität der Natur abgeschafft. Mit der Erfindung der mechanischen Uhr, so kann Mumford zeigen, hörte die Ewigkeit auf, Maßstab und Fluchtpunkt menschlichen Erlebens und Handelns zu sein. Es mag manchen überraschen, aber das unerbittliche Ticken der Uhren hat vielleicht mehr zur Schwächung der Allmacht Gottes beigetragen als sämtliche Traktate der Philosophen der Aufklärung; die Uhr erzeugte eine neue Form des Austauschs zwischen den Menschen und Gott, wobei Gott offenbar der Verlierer blieb. Vielleicht hätte Moses ein weiteres Gebot erlassen sollen: Du sollst dir keine mechanischen Nachbildungen der Zeit machen.
Daß das Alphabet eine neue Form des Austauschs zwischen den Menschen begründet hat, ist für heutige Gelehrte eine Binsenweisheit. Aber die eigenen Äußerungen sehen zu können, statt sie nur zu hören, ist keine Kleinigkeit, wenngleich unsere Wissenschaften auch hierüber bislang wenig zu sagen hatten. Dennoch liegt es auf der Hand, daß das phonetische Schreiben eine neue Konzeption von Wissen ebenso wie neue Vorstellungen von Intelligenz, von Publikum und Nachwelt hervorgebracht hat, was auf einer frühen Stufe der Textentwicklung schon Platon erkannt hat.
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»Kein Verständiger«, heißt es in seinem Siebenten Brief, »wird es wagen, seine Gedanken in Sprache niederzulegen, und noch dazu in unwandelbarer Weise, was bei dem schriftlich Abgefaßten der Fall ist.« Ungeachtet dessen schrieb er sehr viel und wußte besser als jeder andere, daß die Fixierung von Gedanken mit Schriftzeichen der Anfang der Philosophie war, und nicht ihr Ende. Ohne Kritik kann es Philosophie nicht geben, und die Schrift macht es leicht, Gedanken einer beharrlichen, konzentrierten Prüfung zu unterziehen. Die Schrift läßt das gesprochene Wort erstarren und ruft damit den Grammatiker, den Logiker, den Rhetoriker, den Historiker, den Wissenschaftler auf den Plan — all jene, die sich die Sprache vor Augen führen müssen, um zu erkennen, was sie bedeutet, wo sie irrt und wohin sie führt.
Platon wußte dies alles; er wußte, daß das Schreiben die Wahrnehmung umwälzen würde: das Auge übernahm als Organ der Sprachverarbeitung die Rolle des Ohrs. Um diesen Wandel zu fördern soll Platon, einer Legende zufolge, darauf bestanden haben, daß seine Schüler vor dem Eintritt in seine Akademie Geometrie studierten. Ob die Legende zutrifft oder nicht, der Gedanke ist vernünftig, denn das geschriebene Wort ist, wie Northrop Frye gesagt hat, »sehr viel mehr als eine bloße Gedächtnisstütze: es erschafft die Vergangenheit in der Gegenwart und gibt uns nicht den vertrauten Gegenstand, an den wir uns erinnern, sondern die funkelnde Intensität einer heraufbeschworenen Halluzination«3.
Was Platon über die Konsequenzen der Einführung des Schreibens mutmaßt, wird von Anthropologen heutzutage gut verstanden, vor allem von denen, die sich mit Kulturen beschäftigt haben, in denen die gesprochene Sprache die einzige Form eines komplexen kommunikativen Austauschs ist. Anthropologen wissen, daß das geschriebene Wort, so wie es auch Frye andeutet, nicht bloß das Echo einer sprechenden Stimme ist; es ist eine ganz und gar andere Stimme, das faszinierende Kunststück eines Geisterbeschwörers. So muß es denen erschienen sein, die es erfunden haben, und deshalb braucht es uns nicht zu überraschen, daß der ägyptische Gott Thot, der dem König Tammuz die Schrift gebracht haben soll, auch der Gott der Magie war.
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Für uns hat das Schreiben vielleicht nichts Wunderbares mehr an sich, doch die Anthropologen wissen, wie fremdartig und magisch es auf ein rein mündlich interagierendes Volk wirkt — ein Austausch mit niemandem und zugleich mit jedem. Was ist merkwürdiger als das Schweigen, auf das man stößt, wenn man eine Frage an einen Text richtet? Gibt es etwas Rätselhafteres, als sich an ein unsichtbares Publikum zu wenden, wie es jeder tun muß, der ein Buch schreibt? Oder sich selbst zu korrigieren, weil man erkennt, daß ein unbekannter Leser etwas mißbilligen oder mißverstehen würde?
Das alles führe ich an, weil mein Buch davon handelt, wie unser eigener Stamm einen tiefgreifenden, gefahrvollen Wandel von der Magie des Schreibens hin zur Magie der Elektronik durchläuft. Ich möchte zeigen, daß sich mit der Einführung einer neuen Technik, etwa des Schreibens oder der Uhr, in einer Gesellschaft nicht nur die Fähigkeit der Menschen, die Zeit festzuhalten, erweitert, daß sich mit ihr vielmehr auch ihre Denkweise und natürlich der Inhalt ihrer Kultur umformt. Das meine ich, wenn ich das Medium als Metapher bezeichne.
In der Schule lernen wir ganz richtig, daß die Metapher eine Vorstellung von einem Ding vermittelt, indem sie es mit etwas anderem vergleicht. Und durch die Kraft ihrer Anschaulichkeit prägt sie uns diese Vorstellung so fest ein, daß wir uns das eine ohne das andere nicht vorstellen können — das Licht ist eine Welle, die Sprache ein Baum, Gott ein weiser, ehrwürdiger Mann, der Geist eine dunkle, vom Wissen erhellte Höhle. Und wenn diese Metaphern nicht mehr taugen, dann müssen wir notwendigerweise andere, tauglichere finden. Das Licht besteht aus Teilchen, die Sprache ist ein Fluß, Gott eine Differentialgleichung (wie Bertrand Russell behauptet hat), der Geist ein Garten, der bestellt sein will.
Aber unsere Medien-Metaphern sind nicht so explizit und anschaulich wie diese, und sie sind weitaus komplexer. Wollen wir ihre metaphorischen Funktionen verstehen, so müssen wir die symbolische Form der von ihnen vermittelten Informationen ebenso berücksichtigen wie die Herkunft dieser Informationen, ihre Menge, die Geschwindigkeit, mit der sie übermittelt werden, und den Kontext, in dem sie aufgenommen werden.
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Man muß also graben, wenn man begreifen will, wie beispielsweise die Uhr aus der Zeit eine vom Menschen unabhängige, mathematisch präzise Abfolge macht; wie das Schreiben aus dem Geist eine Tafel macht, auf der Erfahrungen eingetragen werden; wie der Telegraph aus der Nachricht eine Ware macht. Aber diese Grabungsarbeiten werden leichter, wenn wir uns klarmachen, daß jedem Werkzeug, das wir erzeugen, eine Idee innewohnt, die über seine unmittelbare Funktion hinausweist. So hat man gezeigt, daß die Erfindung der Brille im 12. Jahrhundert nicht nur die Möglichkeit schuf, schwachen Augen neue Sehkraft zu verleihen, sondern zugleich die Vorstellung weckte, der Mensch brauche die natürliche Ausstattung seines Körpers oder dessen altersbedingten Verfall nicht als endgültig hinzunehmen. Die Brille widerlegte die Auffassung, Anatomie sei Schicksal, indem sie die Idee entzündete, unser Körper und unser Geist seien verbesserungsfähig. Man übertreibt wohl nicht, wenn man behauptet, daß es einen Zusammenhang zwischen der Erfindung der Brille im 12. Jahrhundert und der Genforschung des 20. Jahrhunderts gibt.
Selbst das Mikroskop, eigentlich kein Instrument für den Alltagsgebrauch, schließt eine einigermaßen überraschende Idee in sich — sie betrifft nicht unser biologisches, sondern unser psychologisches Wissen. Indem das Mikroskop eine dem Blick bislang verborgene Welt enthüllte, schuf es die Voraussetzungen für die Entfaltung neuer Vorstellungen über die mögliche Struktur von Geist und Psyche. Wenn die Dinge nicht sind, was sie zu sein scheinen, wenn sich Mikroben auf und unter der Haut versteckt halten, wenn das Unsichtbare über das Sichtbare regiert, ist es dann nicht auch möglich, daß irgendwo in uns ein Es, ein Ich und ein Überich versteckt sind? Was ist die Psychoanalyse anderes als die Mikroskopie der Seele? Woher stammen unsere Begriffe von Geist und Seele, wenn nicht aus den Metaphern, die wir mit unseren Werkzeugen hervorgebracht haben?
Was bedeutet es, von jemandem zu sagen, er habe einen IQ von 126?
In den Gehirnen der Menschen gibt es keine Zahlen. Intelligenz besitzt keine Quantität und keine Ausdehnung, es sei denn, wir glauben, es verhält sich so. Und warum glauben wir dies? Weil unseren Denkwerkzeugen die unausgesprochene Idee innewohnt, daß der Geist so beschaffen sei. Diese Denkwerkzeuge begründen auch bestimmte Vorstellungen von der Beschaffenheit unseres Körpers, etwa wenn eine Frau auf ihre »biologische Uhr« verweist oder wenn wir von einem »genetischen Code« sprechen, wenn wir im Gesicht eines anderen »wie in einem Buch« lesen oder wenn unser Gesichtsausdruck anderen unsere Absichten »signalisiert«.
Als Galilei erklärte, die Sprache der Natur sei die Mathematik, meinte er das metaphorisch. Die Natur selbst spricht nicht. Auch unser Geist spricht nicht, ebensowenig unser Körper oder — näher am Thema dieses Buches — der Staatskörper. Wenn wir uns über die Natur und über uns selbst austauschen, dann tun wir dies in allen möglichen »Sprachen«, deren Verwendung uns möglich und praktisch erscheint. Wir sehen die Natur, die Intelligenz, die menschliche Motivation oder die Ideologie nicht so, wie sie sind, sondern so, wie unsere Sprachen sie uns sehen lassen.
Unsere Sprachen sind unsere Medien. Unsere Medien sind unsere Metaphern. Unsere Metaphern schaffen den Inhalt unserer Kultur.
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