9 Eine Frage des Anstands
1988 von Neil Postman
Eine einleitende Bemerkung zu den beiden folgenden kurzen Texten ist kaum nötig, allenfalls der Hinweis, daß der zweite: <Megatonnen für Anthromegas>, in der (wie mir scheint) einzigen Form geschrieben ist, in der man heute über den Atomkrieg sprechen kann. Die Sprache der üblichen politischen Kommentare ist nicht imstande auszudrücken, was auf dem Spiele steht.
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Es ist kein Geheimnis, daß an den gebührenpflichtigen Straßen im ganzen Land die Menschen in den Kassenhäuschen, die bisher das Geld entgegennahmen, durch Kassierkörbe ersetzt worden sind, in die man das Geld, wie in den Schlitz eines Automaten, hineinwirft — nur daß man diese Körbe auch aus größerer Entfernung treffen kann.
Was mich betrifft, so bin ich über diese Veränderung keineswegs traurig, denn erstens hat das Einsammeln von Geld an Autobahnen etwas Menschenunwürdiges an sich und ist wahrscheinlich langweilig; und zweitens sind Körbe für diese Aufgabe viel besser geeignet als Menschenhände. Körbe sind breiter und niemals klamm. Ein Korb kann zwar kein Wechselgeld herausgeben, aber dieser Mangel läßt sich gewiß noch beheben. Mit ein bißchen Anstrengung könnte man die Körbe so gestalten und programmieren, daß sie fünfundzwanzig Cent von allem bis hinauf zu einem Tausend-Dollar-Schein abziehen können. Für den Korb gäbe es dann nur noch ein Problem. Fragen wie etwa »Welche Ausfahrt muß ich nehmen, um nach New Hyde Park zu kommen?« oder »Wie weit ist es noch bis zur nächsten Raststätte?« kann er nicht beantworten.
Theoretisch ließe sich ein Korb so programmieren, daß er solche und andere vernünftige Fragen beantworten kann, aber auch in der Theorie scheint es wenig wahrscheinlich, daß er jemals intelligent auf eine Bemerkung wie die folgende reagieren könnte: »Das Baby hat sich gerade übergeben. Haben Sie vielleicht ein Handtuch oder so was ?« Aber selbst dieses Problem ließe sich lösen, indem man in einer Art Notfallhäuschen ein mit Handtüchern reichlich ausgestattetes menschliches Wesen unterbrächte.
Damit wären aus dem Blickwinkel des Korbes sämtliche Probleme gelöst. Für die Automobilisten gibt es allerdings noch eine Reihe von Problemen, die fast alle ihre eigene Sensibilität betreffen: Zu jedem Korb gehört ein Anzeigetäfelchen, welches so programmiert ist, daß ein »Dankeschön« aufleuchtet, sobald der Autofahrer seiner Bürgerpflicht genügt hat. Es ist ein einfaches Gebot der Höflichkeit, daß der Autofahrer hierauf eingeht. Unter den gegebenen Umständen jedoch wird er sich ein wenig albern vorkommen, wenn er nun mit »Bitteschön« oder »Gern geschehen« antwortet, es sei denn, er hat das Gefühl, daß seine höfliche Bemerkung verstanden und vielleicht sogar dankbar aufgenommen wird. Ich kenne viele Autofahrer und Autofahrerinnen, die nur deshalb nichts zu dem Korb sagen, weil sie annehmen, dem Korb seien ihre Reaktionen gleichgültig. Dies ist verständlich, man könnte jedoch für Abhilfe sorgen, indem man den Korb so programmiert, daß er nach einem menschlichen »Bitteschön« ein »Wirklich nett von Ihnen!« aufleuchten läßt.
Bleibt immer noch das Problem, was man tun oder sagen soll, wenn die Münze den Korb zuerst verfehlt hat. Nachdem man die Münze endlich dorthin befördert hat, wo sie hingehört, wird das Anzeigetäfelchen am Korb natürlich wieder mit seinem »Dankeschön« antworten, aber diese Bemerkung hat nun ohne Zweifel einen sarkastischen Unterton, der die Schüchternheit, die man ohnehin schon empfindet, noch verstärkt. Eine feinfühlige Autofahrerin würde in einem solchen Falle beispielsweise sagen: »Es tut mir schrecklich leid«, worauf die Anzeigetafel nach allen Regeln der Höflichkeit nun nicht etwa entgegnen dürfte: »Wirklich nett von Ihnen!« Vielleicht könnte man den Korb so programmieren, daß er erwidert: »Ist schon in Ordnung. Die anderen machen oft denselben Fehler.«
Eine solche Antwort würde der Autofahrerin das Gefühl geben, daß ihre Bemühungen dankbar anerkannt werden, und sie könnte ihre Fahrt auf der Autobahn in jener gehobenen Stimmung fortsetzen, in die man durch den Austausch von Liebenswürdigkeiten mit Menschen — oder Maschinen — versetzt wird.
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