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10. Die Entleerung der Symbole 

Postman-1991

 

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Es könnte sein, daß eines Tages ein Werbemann, der einen Fernsehspot für einen neuen kalifornischen <Chardonnay> entwickeln soll, folgende Eingebung hat: Jesus steht allein in einer Wüstenoase. Eine leichte Brise fächelt die Blätter der stattlichen Palmen hinter ihm. Sanfte orientalische Musik liebkost die Luft. Jesus blickt voller Bewunderung auf eine Flasche Wein in seiner Hand. Dann wendet er sich der Kamera zu und sagt: »Als ich zu Kana Wasser in Wein verwandelte, schwebte mir das hier vor. Probieren Sie mal. Sie werden mir glauben.«

Sie sind vielleicht der Meinung, so etwas sei heute und in absehbarer Zukunft undenkbar, aber: Während ich dies schreibe, wird im Fernsehen häufig ein Werbespot für Frankfurter Würstchen der Firma <Hebrew National> gezeigt. Darin erscheint ein elegant wirkender Onkel Sam im traditionellen rotweißblauen Aufzug. Während er die angemessene Miene dazu macht, beschreibt eine Stimme aus dem Off, wie köstlich und gesund die Frankfurter Würstchen von <Hebrew National> sind. Zuletzt macht uns die Stimme darauf aufmerksam, daß die Frankfurter von <Hebrew National> die gesetzlichen Standards für solche Erzeugnisse noch überbieten. Warum? »Weil«, so erklärt uns die Stimme, während Onkel Sam zum Himmel emporblickt, »wir uns einer Höheren Autorität verpflichtet fühlen.«

Der Leser mag entscheiden, was ihm unglaublicher erscheint — daß man mit Jesus Wein verkauft oder Frankfurter Würstchen mit dem lieben Gott. Aber wie immer Sie sich entscheiden: Sie sollten bedenken, daß es sich in keinem der beiden Fälle, weder in dem hypothetischen noch in dem wirklichen Werbespot, um Blasphemie handelt. Es handelt sich um etwas viel Schlimmeres: Blasphemie bezeugt schließlich auf ihre Weise nachdrücklich die Macht eines Symbols. Derjenige, der ein Symbol lästert, nimmt es genauso ernst wie der, der es anbetet, und deshalb will der Präsident der Vereinigten Staaten heute (im Jahr 1991) in einem Zusatz zur amerikanischen Verfassung die Beleidigung der amerikanischen Flagge unter Strafe stellen.

Aber hier haben wir es nicht mit Blasphemie, sondern mit Trivialisierung zu tun, und gegen die kann es keine Gesetze geben.

Unter dem Technopol wird die Trivialisierung bedeutsamer Symbole in großem Umfang von der Wirtschaft betrieben. Nicht, weil die amerikanische Wirtschaft bösartig wäre, sondern weil die Verehrung der Technologie die Verehrung von allem anderen unterläuft.

Symbole, deren Bedeutung aus traditionellen religiösen oder nationalen Zusammenhängen herrührt, müssen deshalb so rasch wie möglich unwirksam gemacht, das heißt: ihrer sakralen Bedeutung oder ihres Ernstes entkleidet werden. Die Erhebung eines Gottes macht die Absetzung eines anderen erforderlich. »Du sollst keine anderen Götter neben mir haben« — das gilt für den Gott der Technologie ebenso wie für den Gott des Alten Testaments.

Es gibt zwei miteinander verwobene Gründe dafür, daß es möglich ist, traditionelle Symbole zu trivialisieren.

Den ersten hat der Gesellschaftskritiker Jay Rosen klar zum Ausdruck gebracht: Symbole, vor allem Bilder, lassen sich zwar endlos wiederholen, aber ihre Kraft ist nicht unerschöpflich. Und je häufiger ein bedeutsames Symbol verwendet wird, desto mehr verliert seine Bedeutung an Kraft. Daniel Boorstin hat hierauf schon vor 30 Jahren in seinem klassischen Buch <Das Image oder Was wurde aus dem amerikanischen Traum?> hingewiesen.1) 

Darin schildert er die Anfänge einer »optischen Revolution« um die Mitte des 19. Jahrhunderts, in deren Verlauf die Reproduktion von Bildern aller Art immer leichter wurde und die Massen ständigen Zugang zu den symbolischen und bildlichen Elementen ihrer Kultur gewannen. Durch Drucke, Lithographien, Photographien und später auch durch Film und Fernsehen wurden religiöse und nationale Symbole zu Gemeinplätzen, die mit Gleichgültigkeit, wenn nicht Geringschätzung betrachtet wurden.

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Als wollte er denen antworten, die der Meinung sind, die emotionale Wirkung eines sakralen Bildes bleibe immer unveränderlich, macht Boorstin uns darauf aufmerksam, daß die meisten Menschen in der Zeit vor der optischen Revolution vergleichsweise wenige Bilder zu Gesicht bekamen.

Christus- oder Marienbilder waren außerhalb der Kirchen kaum zu sehen. Gemälde bedeutender geschichtlicher Gestalten gab es nur in den Häusern der Wohlhabenden oder in öffentlichen Gebäuden. Auch in Büchern konnte man Bilder finden, aber Bücher waren teuer und standen die meiste Zeit im Regal. Bilder waren kein augenfälliger Bestandteil der Umwelt, und ihre Knappheit trug zu ihrer besonderen Kraft bei.

Als die Bilder immer zugänglicher wurden so Boorstin veränderte sich notwendigerweise auch die Erfahrung in der Begegnung mit ihnen; das Bild verlor an Wichtigkeit. Ein Bild, so heißt es, sagt mehr als tausend Worte. Aber tausend Bilder, vor allem, wenn sie alle den gleichen Gegenstand zeigen, sagen vielleicht überhaupt nichts mehr.

Boorstin und Rosen machen uns hier auf ein ganz einfaches psychologisches Prinzip aufmerksam. Jeder kann es sich (falls er das noch nicht getan hat) leicht vor Augen führen, indem er irgendein Wort, auch ein sehr bedeutungsträchtiges, wieder und wieder vor sich hin spricht. Man wird feststellen, daß sich das Wort früher als erwartet in einen bedeutungslosen Laut verwandelt, denn im Zuge der Wiederholung versickert sein symbolischer Gehalt. Jeder, der in der US-Army gedient oder einige Zeit in einem Studentenwohnheim gelebt hat, hat diese Erfahrung mit den sogenannten obszönen Wörtern gemacht. Wörter, die als unanständig gelten und normalerweise Verlegenheit oder Verwirrung auslösen, büßen, wenn man sie zu häufig gebraucht, ihre Kraft, zu schockieren, verlegen zu machen oder die Aufmerksamkeit auf eine bestimmte Gemütsverfassung zu lenken, vollständig ein. Sie sind dann nur noch Laute und keine Symbole mehr.

Auf den Weg in die Bedeutungslosigkeit geraten die Symbole aber nicht nur infolge häufiger Verwendung, sondern auch dadurch, daß sie wahllos in allen möglichen Zusammenhängen gebraucht werden. Eine Obszönität zum Beispiel ist am wirkungsvollsten, wenn sie bestimmten Situationen vorbehalten bleibt, in denen es um Zorn, Abscheu oder Haß geht.

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Wenn man sie hingegen als Beiwort zu jedem dritten Substantiv in einem Satz verwendet, ohne Rücksicht auf den emotionalen Kontext, wird sie ihrer magischen Wirkung und ihrer Faszinationskraft beraubt. Das gleiche geschieht, wenn ein Bild von Abraham Lincoln oder George Washington zur Ankündigung eines Bettwäscheausverkaufs am »President's Day« benutzt wird oder wenn der Geburtstag von Martin Luther King als Anlaß für die Sonderaktion eines Möbelhauses herhalten muß. Das gleiche geschieht, wenn Onkel Sam, Gott oder Jesus zu irgendwelchen trivialen oder profanen Zwecken beschworen werden.

Manchmal wird argumentiert, der wahllose Umgang der amerikanischen Wirtschaft mit sakralen oder ernsthaften Symbolen sei Ausdruck einer gesunden Respektlosigkeit. Tatsächlich ist Respektlosigkeit ein gutes Mittel gegen übertriebene oder erkünstelte Frömmigkeit und ist dort besonders geboten, wo Frömmigkeit als politische Waffe benutzt wird. Man könnte auch sagen, daß Respektlosigkeit und nicht Blasphemie die definitive Antwort auf die Götzendienerei ist, weshalb denn auch die meisten Kulturen Formen oder Mittel hervorgebracht haben, um solcher Respektlosigkeit Ausdruck zu verleihen — im Theater, in Witzen, in Liedern, in der politischen Rhetorik, sogar in Festen. Für die Juden zum Beispiel ist das Purim-Fest ein Tag im Jahr, an dem sie sich über die Frömmigkeit selbst lustig machen können.

Doch der kommerziellen Ausbeutung traditioneller Symbole liegt nichts ferner als der Gedanke, daß übertriebene Frömmigkeit selbst zum Laster werden könnte. Dafür ist das Geschäftemachen eine viel zu ernste Angelegenheit, und gegen Frömmigkeit ist dabei ganz und gar nichts einzuwenden, solange sie nur die Idee des Konsums schürt, über die man sich an keinem Tag des Jahres lustig machen darf. Wenn die Wirtschaft Onkel Sam oder die Nationalflagge oder den amerikanischen Adler oder Bilder von Präsidenten mit Beschlag belegt, wenn sie Firmennamen wie »Liberty Insurance«, »Freedom Transmission Repair« oder »Lincoln Savings and Loan« prägt, so bekundet sie damit keine Respektlosigkeit. Sie erklärt nur, daß der Unterschied zwischen dem Sakralen und dem Profanen unter dem Technopol irrelevant geworden ist.

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Ich möchte hier nicht das übliche Klagelied über die Auswüchse des Kapitalismus anstimmen. Es ist nämlich durchaus möglich, daß eine Marktwirtschaft die Ernsthaftigkeit von Wörtern und Bildern respektiert und ihre Verwendung in trivialen oder albernen Zusammenhängen nicht zuläßt.

Tatsächlich spielte die Reklame während der Phase des größten industriellen Wachstums in Amerika — ungefähr von 1830 bis zum Ende des 19. Jahr­hunderts — für die Wirtschaft keine große Rolle, und wo es Reklame gab, da bediente sie sich einer klaren Sprache und kam ohne die Ausbeutung bedeutsamer kultureller Symbole aus.

Eine "Werbebranche" entstand erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts, und eine ihrer ersten Grundlagen war das Postgesetz vom 3. März 1879, das den Zeitschriften durch besonders günstige Portosätze eine Vorzugsstellung einräumte. Infolgedessen wurden die Zeitschriften zu den am leichtesten verfügbaren Instrumenten für die Verbreitung von Anzeigen, die die ganze Nation erreichen sollten, und die Kaufleute nutzten die Gelegenheit, aus den Namen ihrer Firmen Symbole für wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu machen.

Als George Eastman 1888 die tragbare Photokamera erfand, gab er 25.000 Dollar aus, um in Zeitschriften Reklame für sie zu machen. 1895 war der Name »Kodak« gleichbedeutend mit Kamera — und ist es in einem gewissen Maße bis heute geblieben. Firmen wie Royal Baking Powder, Baker's Chocolate, Ivory Soap und Gillette verschafften sich Zugang zu einem nationalen Markt, indem sie ihre Erzeugnisse in Zeitschriften inserierten.

Sogar Zeitschriften erschlossen sich den Inlandsmarkt, indem sie in anderen Zeitschriften Anzeigen schalteten — das spektakulärste Beispiel war das <Ladies Home Journal>. Sein Verleger Cyrus Curtis gab zwischen 1883 und 1888 eine halbe Million Dollar für Anzeigen aus, mit denen er in anderen Blättern für sein Magazin warb. Im Jahre 1909 hatte das <Ladies Home Journal> mehr als eine Million Leser.

Ungeachtet der Begeisterung von Curtis für die Reklame war die bedeutendste Figur für die Verquickung von Reklame und Zeitschrift Frank Munsey, bei dessen Tod im Jahre 1925 William White in einem Nachruf die folgenden Worte fand:

»Frank Munsey steuerte zum Journalismus seiner Zeit das Talent eines Fleischwarenfabrikanten, die Moral eines Geldwechslers und die Manieren eines Bestattungsunternehmers bei. Ihm und seinesgleichen ist es gelungen, einen einst ehrwürdigen Beruf in eine Acht-Prozent-Aktie zu verwandeln. Er ruhe in Frieden.«

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Was hatte Munsey Böses getan?

Er hatte zwei Entdeckungen gemacht. Erstens, ein Magazin konnte eine beträchtliche Verbreitung erreichen, wenn man das einzelne Heft zu einem Preis verkaufte, der weit unter den Kosten für seine Herstellung lag; zweitens, große Gewinne ließen sich aus dem hohen Aufkommen an Anzeigen erzielen, die von einer hohen Auflage angelockt werden würden.

Im Oktober 1893 ließ Munsey in der <New York Sun> eine Anzeige drucken, in der er ankündigte, <Munsey's Magazine> werde seinen Preis von 25 Cent auf 10 Cent und das Jahresabonnement von 3 Dollar auf 1 Dollar senken. Die erste 10-Cent-Ausgabe soll eine Auflage von 40.000 Exemplaren gehabt haben. Innerhalb von vier Monaten stieg die Auflage auf 200.000; wieder zwei Monate später lag sie bei 500.000.

Munsey kann man jedoch eine andere Entdeckung nicht zur Last legen, die wir der Einfachheit halber der Firma Procter and Gamble zuschreiben: daß die Reklame ihre größte Wirkung tut, wenn sie irrational bleibt. Mit »irrational« meine ich natürlich nicht »verrückt«.

Ich meine die Erkenntnis, daß sich Produkte am besten verkaufen lassen, wenn man sich die magischen oder auch nur poetischen Kräfte von Sprache und Bild zunutze macht.

Im Jahre 1892 forderte Procter and Gamble das Publikum auf, Verse für die Werbung von Ivory-Seife einzusenden. Vier Jahre später benutzte Calkins & Holden zum erstenmal das Bild eines kleinen Jungen in einem Lehnstuhl, der mit begeisterter Miene, einen Löffel in der Hand, vor sich die Schale mit Haferflocken hat. 

Um die Jahrhundertwende rückten die Werbeleute von der Auffassung ab, daß die Vernunft das beste Instrument zur Verbreitung von Produkten und Ideen sei. Werbung bestand fortan aus einem Teil Tiefenpsychologie und einem Teil Ästhetik. Im Zuge dieser Entwicklung blieb ein Grundprinzip der kapitalistischen Ideologie auf der Strecke: daß nämlich sowohl der Erzeuger als auch der Verbraucher an einem rationalen Vorgang beteiligt seien, in dessen Verlauf der Verbraucher aufgrund einer sorgfältigen Prüfung der Qualität eines Produkts und unter Berücksichtigung seines eigenen Interesses seine Auswahl trifft. Dies jedenfalls hatte Adam Smith vorgeschwebt. Aber heute handelt die Fernsehwerbung kaum noch vom Charakter eines Produkts. Sie handelt vom Charakter dessen, der dieses Produkt konsumiert.

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Bilder von Filmstars, von prominenten Sportlern, von friedlichen Seen, von Angeltrips einiger Machos, von eleganten Abendessen und romantischen Rendezvous, von glücklichen Familien, die ihren Kombi für ein Picknick auf dem Land packen — all das sagt nichts über die Produkte, die verkauft werden sollen. Aber es sagt alles über die Ängste, Phantasien und Träume derer, die sie kaufen sollen. Der Werbemann muß nicht wissen, welche Qualitäten sein Produkt besitzt, er muß wissen, wo die Defekte und Schwächen dessen liegen, der es kaufen soll. Deshalb wird für die Produktforschung immer weniger und für die Marktforschung immer mehr ausgegeben. Mit anderen Worten, die Wirtschaft orientiert sich neu: nicht das gute Produkt ist ihr oberstes Ziel, sondern der Konsument, der sich gut fühlt. Das Geschäftemachen wird zur Pseudotherapie und der Konsument zum Patienten, dem durch Psychodramen ein Gefühl von Ruhe und Sicherheit vermittelt wird.

Irgendwo nahe dem Zentrum des Technopols gibt es also eine riesige Industrie, die sich die Freiheit nimmt, alle verfügbaren Symbole den Interessen der Wirtschaft dienstbar zu machen, indem sie die Psyche der Konsumenten verschlingt.

Die Zahlen variieren, aber eine zurückhaltende Schätzung besagt, daß ein Amerikaner bis zu seinem fünfundsechzigsten Lebensjahr ungefähr zwei Millionen Werbespots im Fernsehen gesehen hat. Wenn wir die Zahl der Radiospots, der Anzeigen in Zeitungen und Zeitschriften und der Reklametafeln hinzunehmen, dann kann man wohl sagen, daß die Überfrachtung mit Symbolen und damit auch ihre Sinnentleerung ein in der Geschichte der Menschheit nie dagewesenes Ausmaß erreicht haben.

Gewiß, nicht alle Wörter und Bilder, die da benutzt werden, sind ernsthaften oder sakralen Zusammenhängen entrissen, und man muß auch zugeben, daß es heutzutage ziemlich undenkbar ist, Jesus auftreten und Wein verkaufen zu lassen, jedenfalls keinen Chardonnay. Andererseits ist sein Geburtstag der Wirtschaft alljährlich ein willkommener Anlaß, beinahe den gesamten Bestand an christlicher Symbolik in Betrieb zu nehmen. Die Hemmungen sind dabei so gering, daß wir hier von einer kulturellen Vergewaltigung sprechen können, sanktioniert durch eine Ideologie, die dem technischen Fortschritt unbeschränkten Vorrang einräumt und gegen das Zerfasern der Überlieferung völlig gleichgültig ist.

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Ich will damit sagen, daß die Reklameflut nicht die Ursache für die Entleerung der Symbole ist. Zu einem solchen Mißbrauch der Kultur hätte es ohne Technologien, die ihn ermöglichten, und ohne ein Weltbild, das ihn wünschenswert erscheinen ließ, nicht kommen können. Die Reklame in der institutionellen Form, die sie in den Vereinigten Staaten angenommen hat, ist Symptom einer Weltsicht, die in der Tradition nur ein Hindernis sieht, das ihren Ansprüchen im Wege ist. Ohne ein gewisses Maß an Respekt vor Symbolen kann es keinen wirksamen Sinn für Tradition geben. Tradition ist im Grunde genommen nichts anderes als die Anerkennung der Autorität von Symbolen und der Relevanz jener Erzählungen, aus denen sie hervorgegangen sind. Mit der Erosion der Symbole kommt es auch zu einem Verlust von Substanz, von »Erzählstoff«, und dies ist eine der verheerendsten Konsequenzen der Macht des Technopols.

 

Betrachten wir zum Beispiel den Bildungsbereich. Unter dem Technopol verbessern wir die Erziehung unserer Jugend, indem wir die sogenannten »Lerntechnologien« verbessern. Im Augenblick zum Beispiel hält man es allgemein für notwendig, dem Computer Zutritt zum Klassenzimmer zu verschaffen, so wie man es früher für notwendig hielt, dem Schulfernsehen und dem Lehrfilm Zutritt zum Klassenzimmer zu verschaffen. Auf die Frage: »Warum?« lautet die Antwort: »Um das Lernen effizienter und interessanter zu gestalten.« Eine solche Antwort gilt als angemessen, denn daß es effizient und interessant zugehen soll, bedarf unter dem Technopol keiner Rechtfertigung. Deshalb bleibt meist unbeachtet, daß diese Antwort nicht auf die Frage eingeht: »Wozu lernt man?« Der Hinweis, es solle »effizient« und »interessant« zugehen, gibt eine technische Antwort, die sich auf Mittel, nicht auf Zwecke bezieht; sie mündet nicht in Überlegungen zur Bildungstheorie. Sie blockiert sogar den Weg zu solchen Überlegungen, weil sie mit der Frage, wie wir verfahren sollen, einsetzt, statt mit der Frage nach dem Warum

Vielleicht muß ich nicht eigens darauf hinweisen, daß es eine Theorie der Bildung nicht geben kann ohne die Frage: "Wozu lernt man? Konfuzius, Platon, Quintilian, Cicero, Comenius, Erasmus, Locke, Rousseau, Jefferson, Russell, Montessori, Whitehead und Dewey — sie alle waren der Ansicht, es gebe eine über die Wirklichkeit hinausgreifende politische, kulturelle oder soziale Idee, die durch die Erziehung gefördert werden solle.

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Konfuzius sprach sich dafür aus, den »Weg des Himmels« zu lehren, weil er in der Tradition die beste Bürgschaft für die Ordnung der Gesellschaft erblickte. Unser erster systematischer Faschist, Platon, wollte durch Erziehung Philosophenkönige hervorbringen. Cicero vertrat die Auffassung, die Erziehung müsse den Schüler von der Tyrannei der Gegenwart befreien. Für Jefferson bestand das Ziel von Erziehung darin, die jungen Menschen zu lehren, ihre Freiheitsrechte zu schützen. Rousseau wünschte sich von der Erziehung die Befreiung des jungen Menschen aus den unnatürlichen Zwängen einer bösartigen, willkürlichen Gesellschaftsordnung. Und zu den Zielen von John Dewey gehörte es, den Schüler zu befähigen, in einer Welt stetigen Wandels und verwirrender Unklarheiten ohne feste Gewißheit zu leben.

Nur wenn man etwas über die Gründe weiß, aus denen sich diese Leute für Bildung und Erziehung engagierten, kann man die Mittel begreifen, die sie vorgeschlagen haben. Aber um diese Gründe zu verstehen, müssen wir auch die »Erzählungen« verstehen, die für ihre Sicht der Welt bestimmend waren. Mit »Erzählung« meine ich hier eine Geschichte über die Geschichte der Menschheit, die der Vergangenheit Bedeutung zuschreibt, die Gegenwart erklärt und für die Zukunft eine Orientierung liefert; eine Geschichte, deren Prinzipien einer Kultur helfen, ihre Institutionen zu organisieren. Ideale zu entwickeln und ihrem Handeln Autorität zu geben. Auch auf die Gefahr, mich zu wiederholen, muß ich noch einmal darauf hinweisen, daß die bedeutendsten Erzählungen dieser Art aus der Religion hervorgegangen sind, zum Beispiel die Genesis oder die Bhagawadgita oder der Koran.

 

Manche sind der Ansicht — so etwa der bedeutende Historiker Arnold Toynbee —, eine Kultur, in deren Mitte nicht eine solche umfassende religiöse Erzählung steht, müsse untergehen. Vielleicht. Allerdings gibt es auch andere Quellen für solche Erzählungen — Mythologie, Politik, Philosophie und Wissenschaft zum Beispiel. Doch eines ist gewiß: daß ohne Erzählungen von transzendentem Ursprung und transzendenter Kraft keine Kultur wirklich gedeihen kann.

Damit ist nicht gesagt, daß das bloße Vorhandensein einer solchen Erzählung bereits die Stabilität und Kraft einer Kultur garantiert. Es gibt auch zerstörerische Erzählungen. Eine Erzählung schafft Sinn, aber sie sichert nicht unbedingt das Überleben — wie jene Geschichte zeigt, die Adolf Hitler in den dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts der deutschen Nation nahegebracht hat.

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Ausgehend von den Quellen der germanischen Mythologie, ließ Hitler alte, urtümliche Symbole Wiederaufleben und wob daraus eine Geschichte von der Überlegenheit der arischen Rasse, die die Herzen der Deutschen höher schlagen ließ, die ihren Mühen ein Ziel steckte, ihre Not linderte und ihnen neue, klare Ideale schenkte. Diese Geschichte verherrlichte die Vergangenheit, erhellte die Gegenwart und enthielt Prophezeiungen für eine Zukunft, die tausend Jahre währen sollte. Das Dritte Reich dauerte genau zwölf Jahre.

Ich will hier nicht auf die Gründe eingehen, warum sich die Geschichte von der Überlegenheit der arischen Rasse nicht halten konnte. Mir geht es vielmehr darum, daß Kulturen auf Erzählungen angewiesen sind und daß sie sie um jeden Preis finden, selbst wenn diese Erzählungen in die Katastrophe führen. Die Alternative wäre ein Leben ohne Sinn, also eine radikale Negation von Leben selbst. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, daß jede Geschichte dieser Art ihre Form und ihre emotionale Färbung durch einen Komplex von Symbolen empfängt, die Achtung, Treue und Engagement verlangen.

Die Verfassung der Vereinigten Staaten etwa ist nur zum Teil, und zwar zum geringeren Teil, ein juristisches Dokument. Demokratische Nationen — man denke an England — benötigen nicht unbedingt eine geschriebene Verfassung, um den Bestand ihrer Rechtsordnung zu gewährleisten und die Freiheit ihrer Bürger zu schützen. Die Bedeutung der amerikanischen Verfassung beruht weitgehend auf ihrer Funktion als Symbol der Geschichte unserer Ursprünge. Sie ist unser politisches Gegenstück zur Genesis. Wer sie verhöhnt oder mißachtet oder umgeht, der erklärt damit die Geschichte der Vereinigten Staaten als Orientierungs­punkt für irrelevant. In ähnlicher Weise ist die Freiheitsstatue das Schlüsselsymbol der Geschichte Amerikas als der natürlichen Heimat von Menschen aus aller Welt, die sich nach Freiheit sehnen. Es gibt natürlich mehrere Gründe dafür, daß solche Geschichten an Kraft verlieren. Und das vorliegende Buch versucht, einen dieser Gründe zu benennen, indem es beschreibt, wie mit dem Aufkommen des Technopols ältere, bedeutungsvollere Geschichten verdrängt werden und unterliegen.

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In jedem Fall wird dieser Niedergang von einer Trivialisierung der Symbole begleitet, die jene Geschichte zum Ausdruck bringen, untermauern und veranschaulichen. Die Entleerung der Symbole ist sowohl Symptom als auch Ursache für einen Verlust von Erzählsubstanz.

Die Erzieher, die ich weiter oben genannt habe, gründeten ihre Theorien auf Erzählungen, die reich an Symbolen waren. Sie respektierten diese Symbole und betrachteten sie als feste Bestandteile jener Geschichten, die nach ihrer Vorstellung von der Erziehung vermittelt werden sollten. Deshalb ist es nun an der Zeit, zu fragen: Welche Geschichte will uns die amerikanische Erziehung heute erzählen? Wozu sind Erziehung und Bildung unter einem im Wachsen begriffenen Technopol nach unserer Meinung da?

Die Antworten hierauf sind entmutigend, und eine von ihnen kann man jedem Fernsehspot entnehmen, mit dem die Jugendlichen heutzutage aufgefordert werden, weiter zur Schule zu gehen. In diesen Spots wird gesagt oder angedeutet, daß Bildung dem beharrlichen Schüler helfen wird, eine gute Stelle zu bekommen. Und damit hat es sich. Jedenfalls beinahe. Denn es kommt noch die Vorstellung hinzu, die Bildung werde uns helfen, im ökonomischen Wettstreit mit den Japanern oder den Deutschen die Nummer eins zu bleiben. Keines dieser Ziele ist, um es vorsichtig auszudrücken, besonders beeindruckend oder inspirierend.

Aus diesen Werbespots geht hervor, daß die Vereinigten Staaten keine Kultur sind, sondern nur eine Ökonomie, mit anderen Worten, ein Ort, an dem eine entkräftete Bildungstheorie nur in der allergrößten Not Zuflucht sucht. Diese Auffassung spiegelt sich übrigens auch in dem Regierungsbericht A Nation at Risk über die Situation im Bildungsbereich, der ausdrücklich unterstellt, Bildung sei ein Instrument der Wirtschaftspolitik und wenig mehr.

 

Eine Vorstellung davon, wie verzweifelt Pädagogen heute nach einer packenden Geschichte suchen, kann uns der »Fernsehspot«-Test vermitteln. Versuchen Sie sich einmal auszumalen, mit was für Appellen Eltern in einem solchen Fernsehspot dazu gebracht werden könnten, die Schule zu unterstützen. (Fairerweise sollten wir hier Appelle, die sich direkt an die Schüler wenden, beiseite lassen, denn junge Menschen haben die Schule noch nie für eine gute Idee gehalten, gleichgültig, welche Gründe man zu ihren Gunsten anführte. Man denke an den Abschnitt über die »Sieben Lebensalter des Menschen« in Shakespeares Wie es euch gefällt.)

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Können Sie sich vorstellen, wie ein solcher Werbespot aussehen würde, wenn Jefferson oder John Dewey ihn vorbereitet hätten? »Ihre Kinder sind Bürger einer demokratischen Gesellschaft«, würde es darin vielleicht heißen. »Erziehung wird sie lehren, wachsame Mitglieder der Gesellschaft zu werden, indem sie ihre Denkfähigkeit verfeinert und ihren Willen stärkt, die eigenen Freiheitsrechte zu schützen. Was Stelle und Beruf angeht, so wird man darüber zu einer >geeigneten, späten Stunde< nachdenken.« (John Stuart Mill, von dem diese Wendung stammt, hätte den Zielvorstellungen Jeffersons oder Deweys gewiß beigepflichtet.)

Gibt es heutzutage Leute, die in solchen Vorstellungen eine überzeugende Motivation erblicken würden? Einige wenige vielleicht, aber kaum so viele, daß man sie zur Grundlage eines nationalen Programms machen könnte. John Lockes Werbespot würde, so fürchte ich, noch weniger verlockend ausfallen. »Ihre Kinder«, so würde er vielleicht erklären, »müssen weiter zur Schule gehen, weil sie dort lernen, den eigenen Körper zum Sklaven ihres Geistes zu machen. Sie lernen, die eigenen Impulse und Regungen zu beherrschen und Zufriedenheit oder sogar Erregung aus dem Leben des Geistes zu gewinnen. Wenn ihnen dies nicht gelingt, werden sie nie zivilisiert oder gebildet sein.« 

Wie viele Leute würden dieser Botschaft Beifall zollen? Und wen könnte man sich als Sprecher vorstellen — Barbara Bush? Lee Iacocca? Donald Trump? Selbst der geschätzte Bill Cosby würde nicht sehr überzeugend wirken. Von Maine bis Kalifornien würde sich ein schallendes Gelächter erheben.

 

In den letzten Jahren wurden einige kühne Versuche unternommen — zum Beispiel von E.D. Hirsch, Jr. —, eine umfassende Zielvorstellung für die Erziehung zu entwickeln. In seinem Buch Cultural Literacy definiert Hirsch Bildung (literacy) als die Fähigkeit, jene Wörter, Daten, Wendungen und Namen zu verstehen und zu gebrauchen, die die Grundlage des Austauschs zwischen gebildeten Menschen in unserer Kultur sind. Zu diesem Zweck hat er mit einigen Kollegen eine Liste zusammengestellt, die angeblich jene Stichworte enthält, die für einen »kulturell gebildeten« Amerikaner wesentlich sind.

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Die erste Auflage (1987) enthielt Norman Mailer, nicht aber Philip Roth, Bernard Malamud, Arthur Miller oder Tennessee Williams. Ginger Rogers kam darin vor, nicht aber Richard Rogers, Carl Rogers oder Buck Rogers, geschweige denn Fred Rogers. Der zweitbeste Baseballspieler aller Zeiten, Babe Ruth, kam vor, nicht aber der beste Baseballspieler aller Zeiten, Hank Aaron. Die Marx Brothers kamen vor, aber Orson Welles, John Ford und Steven Spielberg fehlten. Sarah Bernhardt war genannt, aber Leonard Bernstein nicht. Die Stadt Rochester im Bundesstaat New York stand auf der Liste, Trenton in New Jersey, einer der wichtigsten Schauplätze unserer Geschichte, nicht. Hirsch nahm die Ardennenschlacht auf, was meinem Bruder gefiel, der im Jahre 1944 daran teilgenommen hatte; aber mein Onkel, der 1942 in der Schlacht im Korallenmeer fiel, wäre enttäuscht gewesen, sie nicht auf der Liste zu finden.

Um die Lücken zu füllen, mußte Hirsch seine Liste erweitern, so daß es inzwischen ein ganzes Lexikon, die Cultural Literacy Encyclopedia, gibt. Wir können sicher sein, daß Hirsch seine Liste immer weiter ausbauen wird, bis er den Punkt erreicht, wo er nur noch einen einzigen Satz drucken zu lassen braucht: »Siehe die Encyclopedia Americana und Webster's Third International.«

Natürlich erwartet man von jedem Bildungssystem, daß es die Schüler mit den wichtigen Stichworten ihrer Kultur bekannt macht. Selbst Rousseau, der seinen Schülern nur ein einziges Buch zur Lektüre empfohlen hätte, den Robinson Crusoe (damit sie lernen, wie man in der Wildnis überleben kann), hätte wohl erwartet, daß sie sich auch die Namen, Wendungen und Daten einprägen, die den Inhalt des gebildeten Gesprächs ihrer Zeit bestimmten. Und dennoch ist Hirschs Vorschlag untauglich, und zwar aus zwei Gründen, in denen sich entscheidende Defekte des Technopols widerspiegeln. Auf den ersten Grund bin ich schon im vierten Kapitel »Unwahrscheinliche Welt« eingegangen: die technologisch erzeugte Information hat ein solches Ausmaß angenommen, sie ist so variabel und dynamisch, daß sie sich nicht zu einem kohärenten Bildungsprogramm organisieren läßt. Wie wollen Sie Rochester in Ihr Curriculum aufnehmen oder Sarah Bernhardt oder Babe Ruth oder die Marx Brothers? Wo soll Ginger Rogers stehen?

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Etwa unter der Rubrik »Die Tanzpartner von Fred Astaire«? (Dann müßten wir allerdings auch Cyd Charisse aufnehmen und, wenn ich mich nicht irre, auch Winston Churchills Tochter Sarah.) Hirschs enzyklopädische Liste bietet keine Lösung, sie beschreibt vielmehr ein Problem: das Problem der Informations­schwemme. 

Deshalb ist sie im wesentlichen inkohärent. Aber sie verwechselt auch eines der Ergebnisse von Bildung mit deren Ziel. Hirsch wollte die Frage beantworten: »Was ist ein gebildeter Mensch?« Unbeantwortet ließ er dagegen die andere Frage: »Wozu ist Bildung eigentlich da?« Junge Männer, die Basketball spielen, lernen auch, wie man im Sprung mit einer Hand den Ball in den Korb befördert. Solche Würfe sind Teil dessen, was einen guten Basketballspieler auszeichnet. Aber man spielt Basketball nicht ihretwegen. Hierfür gibt es umfassendere, tiefere, bedeutungsträchtigere Gründe - der Wunsch, die eigene Männlichkeit unter Beweis zu stellen, der Wunsch, dem Vater zu gefallen oder von den Gleichaltrigen akzeptiert zu werden, oder einfach der Spaß am Spiel. Die Frage, was man tun muß, um erfolgreich zu sein, stellt sich erst, nachdem man einen Grund dafür gefunden hat, erfolgreich sein zu wollen. Unter dem Technopol ist es sehr schwer, diese Reihenfolge einzuhalten, und Hirsch ist der eigentlichen Frage einfach aus dem Weg gegangen.

Nicht so Alan Bloom. In seinem Buch The Closing of the American Mind stellt er sich dieser Frage, indem er einen schweren Vorwurf gegen die amerikanische Universität erhebt. Die meisten amerikanischen Professoren, so klagt er, hätten die Nerven verloren. Sie hätten sich in ethischen Fragen zu Relativisten entwickelt und seien unfähig, ihren Studenten eine klare Vorstellung von richtigem Denken und angemessenem Benehmen zu vermitteln. Überdies seien sie intellektuelle Relativisten und engagierten sich nicht mehr dafür, das »Beste, was Menschen gedacht und gesagt haben«, zu bewahren und weiterzugeben.

Blooms Lösung besteht in dem Vorschlag, man solle zu den Grundlagen des abendländischen Denkens zurückkehren. Ihm ist es gleichgültig, ob die Studenten wissen, wer Ginger Rogers und Groucho Marx sind. Er will, daß wir unsere Studenten lehren, was Platon, Aristoteles, Cicero, Augustinus und andere große Geister zu den großen ethischen und erkenntnistheoretischen Gegenständen gesagt haben.

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Er glaubt, daß unsere Studenten durch die Beschäftigung mit »großen Büchern« eine moralische und intellektuelle Grundlage erwerben, die ihrem Leben Sinn und Struktur gibt. All das ist zwar nicht sonderlich originell, aber Bloom ist ein ernsthafter Bildungstheoretiker, mit anderen Worten, er ist im Unterschied zu Hirsch ein Moralist, der erkannt hat, daß das Technopol eine Kraft ist, der man sich widersetzen muß. Aber viel Unterstützung hat er nicht gefunden.

Gegen Blooms Vorstellung hat man mehrere Einwände erhoben. Der erste lautet, ein solches Erziehungsziel sei elitär: der Masse der Schüler oder Studenten würde die große Geschichte der abendländischen Zivilisation nicht sonderlich inspirierend erscheinen, dazu seien sie der Vergangenheit allzusehr entfremdet, und deshalb würde es ihnen auch schwerfallen, das »Beste, was Menschen gedacht und gesagt haben« in einen Zusammenhang mit ihrer eigenen Suche nach einem Sinn für ihr Leben zu bringen. Ein zweiter Einwand, der aus einer »linken« Perspektive formuliert wird, ist noch entmutigender. In gewisser Weise umreißt er genauer, was mit »elitär« gemeint ist.

Er besagt, die »Geschichte der abendländischen Zivilisation« sei eine partikulare, tendenziöse und sogar repressive Geschichte. Sie sei nicht die Geschichte der Schwarzen, der Indianer, der Hispanics, der Frauen, der Homosexuellen — sondern nur die Geschichte weißer heterosexueller Männer aus dem jüdisch-christlichen Kulturkreis. Dieser Einwand bestreitet, daß es eine nationale Kultur gibt und geben kann, eine Erzählung, die eine organisierende Kraft besitzt, inspirierende Symbole, mit denen sich alle Bürger eines Landes identifizieren und aus denen sie Bestätigung schöpfen können. Wenn er zutrifft, bedeutet dies nicht weniger, als daß unsere nationalen Symbole ihre einigende Kraft verloren haben und daß die Erziehung zu einer Stammesangelegenheit werden muß, dergestalt, daß jede einzelne Subkultur ihre eigene Geschichte und ihre eigenen Symbole finden und zur moralischen Basis von Bildung und Erziehung machen muß.

Etwas außerhalb solcher Debatten stehen natürlich die religiösen Erzieher, etwa an katholischen Schulen, die sich bemühen, eine andere traditionelle Anschauung zu bewahren — daß nämlich das Lernen zum höheren Ruhm Gottes geschehe und junge Menschen darauf vorbereiten solle, sich die moralischen Gebote der Kirche auf eine verständige, kultivierte Weise zu eigen zu machen. Viele religiöse Erzieher würden allerdings einräumen, daß es fraglich ist, ob sich ein solches Ziel unter dem Technopol erreichen läßt.

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Im nächsten und zugleich letzten Kapitel dieses Buches möchte ich meine eigenen Ansichten über den Kampf um eine Ziel- und Zweckbestimmung von Erziehung unter dem Technopol darlegen. Aber ich muß schon an dieser Stelle darauf hinweisen, daß der Kampf als solcher ein Anzeichen dafür ist, daß der Bestand an bedeutsamen nationalen, religiösen und mythologischen Symbolen viel von seiner Kraft eingebüßt hat. »Wir leben in einer Zeit«, hat Irving Howe geschrieben,

»in der alle einst dominanten Weltsysteme, die das intellektuelle Leben der westlichen Welt früher gestützt (und entstellt) haben, die Theologien ebenso wie die Ideologien, in Verfall geraten sind. Das führt zu einer von Skepsis erfüllten Stimmung, zu einem Agnostizismus im Urteilen und manchmal zu einem der Welt überdrüssigen Nihilismus, der selbst die schlichtesten Gemüter dazu bringt, Unterscheidungen von Wert ebenso in Frage zu stellen wie den Wert von Unterscheidungen2

In diese Leere stößt das Technopol mit seiner Geschichte vom Fortschritt ohne Grenzen, von Rechten ohne Verantwortung und von einer Technik ohne Kosten.

Der Geschichte des Technopols fehlt das moralische Fundament. An dessen Stelle rückt sie Effizienz, Interesse, ökonomischen Fortschritt. Sie verspricht den Himmel auf Erden durch die Annehmlichkeiten des technischen Fortschritts. Sie schiebt alle traditionellen Erzählungen und Symbole, die auf Stabilität und Ordnung verweisen, beiseite und erzählt statt dessen von einem Leben, das sich um technische Fertigkeiten und Expertenwissen und den Komsumrausch dreht. Ihr Ziel ist es, Funktionäre für das bestehende Technopol zu gewinnen.

Auf die These von Bloom antwortet sie, daß die abend­ländische Zivilisation belanglos sei; der politischen Linken antwortet sie, es gebe tatsächlich eine allen gemeinsame Kultur, ihr Name sei Technopol und ihr wichtigstes Symbol der Computer, und Respektlosigkeit sei ihr gegenüber ebensowenig angebracht wie Blasphemie. Sogar auf die Liste von Hirsch antwortet sie, es seien dort einige Stichworte verzeichnet, die, wenn man sie zu gründlich überdenken und zu ernst nehmen würde, den Fortschritt der Technik stören könnten.

Ich gebe zu, daß es unfair ist, von den Erziehern zu erwarten, sie selbst könnten Geschichten ausfindig machen, die imstande wären, unserer nationalen Kultur neue Kraft zu verleihen. Solche Geschichten müssen ihnen bis zu einem gewissen Grad aus der politischen Sphäre entgegenkommen. Wenn aber unsere Politik symbolisch immer mehr verarmt, wird es schwer vorstellbar, wie Lehrer eine sinnvolle Neubestimmung des großen Ziels von Erziehung liefern sollen.

Ich schreibe dieses Kapitel in der vierten Woche des Krieges gegen den Irak; die Rhetorik, die den Beginn dieses Krieges begleitete, ist mir noch lebhaft in Erinnerung. Es begann damit, daß der Präsident die Amerikaner zu den Waffen rief und sie aufforderte, ihren »Lebensstil« zu verteidigen. Dann folgte der Appell des Außenministers, sie sollten kämpfen, um ihre Jobs zu schützen. Dann kam der Aufruf (sozusagen zu geeigneter, später Stunde), die »nackte Aggression« eines kleinen »Hitler« zu vereiteln.

Ich sage nicht, daß es nicht gerechtfertigt war, in den Krieg zu ziehen. Ich möchte nur darauf hinweisen, daß unsere maßgeb­lichen Politiker seit dem Ende des Kalten Krieges wie nie zuvor darum ringen, eine für unser Dasein relevante Geschichte und die dazugehörigen Symbole zu finden, die imstande wären, den Geist der Nation zu wecken und den Menschen eine neue Entschlossenheit zu geben. Die Bürger selbst ringen ebenfalls.

Nachdem sie vielen ihrer traditionellen Symbole alle ernsthafte Bedeutung genommen haben, tragen sie nun gelbe Schleifen, um zu symbolisieren, daß sie sich der Sache der Nation verpflichtet fühlen. Nach dem Krieg werden die gelben Schleifen wieder verschwinden, aber die Frage: Wer sind wir und was stellen wir dar? wird bleiben.

Ist es möglich, daß uns am Ende nur noch ein Symbol bleibt — ein F-15-Kampf­flugzeug, das von einem fortge­schrittenen Computer­system gelenkt wird?

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Neil Postman