Neil PostmanDas Technopol
Die
Macht der Technologien und
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1991 *1931 212+10 Seiten detopia: |
Inhalt Einleitung (9) Für Faye und Manny
Übersetzung
von Anmerkungen (213) Literatur (218)
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1. Das Urteil des Thamus (11) 2. Von der Werkzeugkultur zur Technokratie (29) 3. Von der Technokratie zum Technopol (48) 4. Unwahrscheinliche Welt (65) 5. Der Zusammenbruch der Abwehrmechanismen (80) 6. Die Maschinen-Ideologie: Medizin (102) 7. Die Maschinen-Ideologie: Computer (117) 8. Unsichtbare Technologien (134) 9. Szientismus (156) 10. Die Entleerung der Symbole (177) 11. Der liebevolle Widerstandskämpfer (194) |
Einleitung des Autors
9-10
Im Jahre 1959 veröffentlichte Sir Charles Snow seinen Essay <The Two Cultures and the Scientific Revolution>. Unter diesem Titel und diesem Thema hatte auch die »Rede-Lecture« gestanden, die er zuvor an der Cambridge University gehalten hatte. In dieser Vorlesung beschäftigte sich Sir Charles mit einer Frage, die er für eines der großen Probleme unserer Zeit hielt — mit dem Gegensatz von Kunst und Wissenschaft oder, genauer gesagt, mit der unversöhnlichen Feindseligkeit zwischen literarisch gebildeten Intellektuellen (die man zuweilen auch Geisteswissenschaftler oder »Humanisten« nennt) und Naturwissenschaftlern.
Unter Universitätsleuten löste das Erscheinen dieses Buches ein kleineres Erdbeben aus (sagen wir, von der Stärke 2,3 auf der Richter-Skala), nicht zuletzt deshalb, weil sich Snow entschieden auf die Seite der Naturwissenschaftler schlug und den Geisteswissenschaftlern reichlich Grund und Anlaß zu witzigen und boshaften Erwiderungen bot.
Aber die Kontroverse währte nicht lange, und das Buch verschwand bald von der Bildfläche. Aus gutem Grund. Sir Charles hatte die falsche Frage gestellt, er hatte die falsche Argumentation entwickelt und war deshalb zu einer belanglosen Antwort gelangt. Zwischen Geisteswissenschaftlern und Naturwissenschaftlern gibt es keinen Streit, jedenfalls keinen, der für ein breiteres Publikum von Interesse wäre.
Dennoch gebührt Snow beträchtlicher Respekt für die Beobachtung, daß es tatsächlich zwei Kulturen gibt, daß sie in einem scharfen Gegensatz zueinander stehen und daß über diesen Sachverhalt eine ausführliche Debatte in Gang kommen muß. Hätte er sich weniger mit den Querelen der Leute befaßt, die sich in irgendwelchen Fakultäts-Clubs bewegen, und mehr mit dem Leben derer, die solche Räume noch nie betreten haben, dann hätte er sicherlich erkannt, daß es Streit nicht zwischen Geisteswissenschaftlern und Naturwissenschaftlern gibt, sondern zwischen der Technik und allen anderen.
Damit ist nicht gesagt, daß »alle anderen« dies auch erkennen. Die meisten Menschen halten die Technik sogar für einen zuverlässigen Freund. Dafür gibt es zwei Gründe. Erstens: die Technik ist tatsächlich ein Freund. Sie macht das Leben leichter, sauberer und länger. Kann man von einem Freund mehr verlangen?
Zweitens: wegen der seit langem bestehenden, engen und unausweichlichen Beziehung, die die Technik mit der Kultur unterhält, legt sie es von sich aus nicht nahe, ihre Konsequenzen für die Kultur einer genauen Prüfung zu unterziehen. Sie ist einer von jenen Freunden, die uns Zutrauen und Gehorsam abverlangen, und weil die Technik so reiche Gaben gewährt, sind die meisten Menschen bereit, auf dieses Verlangen einzugehen.
Aber dieser Freund hat auch eine dunkle Seite. Seine Geschenke sind mit hohen Kosten verbunden. Um es dramatisch zu formulieren: man kann gegen die Technik den Vorwurf erheben, daß ihr unkontrolliertes Wachstum die Lebensquellen der Menschheit zerstört. Sie schafft eine Kultur ohne moralische Grundlage. Sie untergräbt bestimmte geistige Prozesse und gesellschaftliche Beziehungen, die das menschliche Leben lebenswert machen. Kurz, die Technik ist beides — Freund und Feind.
Dieses Buch versucht zu beschreiben, wann, wie und warum die Technik zu einem besonders gefährlichen Feind wurde.
Mit dieser Frage haben sich schon viele andere Autoren kenntnisreich und engagiert auseinandergesetzt — in unserer Zeit Lewis Mumford, Jacques Ellul, Herbert Read, Arnold Gehlen, Ivan Illich, um nur einige zu nennen.
Diese Debatten wurden durch die irrelevanten Überlegungen von Snow nur kurz unterbrochen und dann mit einer Dringlichkeit fortgeführt, die durch die spektakuläre Demonstration der technologischen Überlegenheit der Vereinigten Staaten im Krieg gegen den Irak noch unabweisbarer geworden ist. Ich behaupte nicht, daß dieser Krieg ungerechtfertigt war oder daß die Technik hier mißbraucht wurde, sondern nur, daß der amerikanische Erfolg womöglich der katastrophalen Vorstellung Vorschub leisten könnte, im Frieden wie im Krieg sei die Technik unsere Erlösung.
10
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Drei Leseberichte
In seinem 1992 erschienenem Buch "Das Technopol" beschreibt Postman, einen Kultur- und Geisteszustand unserer heutigen Gesellschaft, die daran glaubt, dass technischer Fortschritt gleichzusetzen sei mit menschlichem Fortschritt.
Ganz im Gegenteil, ist seine These, machen wir, durch den technischen Fortschritt, den Menschen immer mehr zu einer Maschine. Das Effizienz-Denken der bürokratischen Apparate, statistische Erhebungen in sozialen Bereichen, Intelligenztests, Meinungsumfragen und pragmatisches Denken statt Ethik oder Religion verdinglichen den Menschen immer mehr und machen ihn zum bloßen Gegenstand der Untersuchung, so Postman.
Das "Technopol" ist eine Gesellschaft, welche an der unerschütterlichen Macht der Technologien glaubt. Zum "Technopol" gehören alle Institutionen und Personen die von einer Technologie umlagert sind, die davon profitieren und sie weiterverbreiten wollen. Da dem "Technopol" jegliche ethische und moralische Grundlage fehlt, muss es sich eine Legitimation verschaffen. Das tut es mit technischen Berechnungen, wie statistischen Erhebungen, Meinungsumfragen, Intelligenztests und bürokratisierter Verfahren. Zudem mit Technik - Experten, die in vielen Belangen, nicht nur beraten, sondern auch die Kontrollgewalt für sich beanspruchen wollen. Wichtig sei es, für das "Technopol", jedwede Befindlichkeit in eine technische Form zu bringen, um so die Macht der Technologien zu demonstrieren.
1822 erfand Charles Babbage eine Maschine die einfache arithmetische Berechnungen ausführen konnte und die somit zum Vorläufer, des von John Neumann in den vierziger Jahren erfundenen Computers, wurde. Bis heute ist der Computer das Sinnbild des technologischen Fortschritts. Er hat die Effizienz bürokratischer Institutionen gesteigert, den Zugang zu Informationen erleichtert, viele Prozesse und Berechnungen automatisiert, schneller und somit bequemer gemacht. Dabei ist der Computer nur Prozess und nicht Substanz, es geht um Datenmengen, Geschwindigkeit, Kalkulationen, Statistiken und riesige Informationsmengen. Der Computer als Sinnbild vermittelt uns, dass wir denkende Maschinen sind und dass alles um uns herum Daten und Informationen sind, die es in möglichst kurzer Zeit, zu verarbeiten gilt. Er lässt alle psychischen, emotionalen und ethischen Dimensionen außer acht. Und trotzdem haben wir in vielen sozialen, wissenschaftlichen sowie politischen Bereichen, dem Computer mehr Macht und Verantwortung übertragen als uns selbst. Für "einen technischen Defekt" ist daher niemand mehr verantwortlich.
Wir haben das Vertrauen in unsere eigenen menschlichen Fähigkeiten immer mehr verloren und an deren Stelle die macht der Technologien gesetzt, so Postman's These. In vielen Bereichen mögen die Technologien schneller und effizienter arbeiten als wir, weshalb auch viele Arbeiter durch Maschinen ersetzt und arbeitslos wurden. Nur welche Fähigkeiten und welche Art der Wahrnehmung gehen uns dabei verloren? Der Fernseher und der Computer tragen dazu bei, dass immer weniger Menschen Lesen und ihre bildliche Vorstellungskraft und Kreativität schwindet. Ein Arzt verlässt sich mehr auf seine Apparate als auf seine Diagnose und verlernt es den Patienten als ganzen Menschen zu sehen. Schüler verlernen es schriftlich zu rechnen, da sie nur noch den Taschenrechner benutzen. Diese Aufzählung ließe sich beliebig erweitern.
Postman schlägt ein ausgewogenes Verhältnis von gesundem Menschenverstand, Büchern und den neuen Technologien in Schulen, Krankenhäusern, bürokratischen Institutionen und in der Wissenschaft vor. Seiner Ansicht nach, sollte endlich Schluss sein mit der Diktatur der neuen Technologien in vielen Lebensbereichen. Und es sollte auch Schluss sein mit dem naiven Glauben, dass man eine neue Technologie nicht hinterfragen müsse. Wer profitiere bei einer neuen Technologie am meisten? Wer verliere dabei am meisten? Welche menschlichen Fähigkeiten gehen evtl. dabei verloren? Welches Problem wird bei dieser neuen Technologie gelöst? Und welche Probleme könnte sie verursachen? Diese und viel mehr Fragen sollten bei jeder neuen Technologie eingehend geprüft werden, so Postman.
Das Leben in der Welt des Technopols 2005 Von Roman Werner auf Amazon
In diesem Buch setzt sich Postman kritisch mit dem Umgang des Menschen mit den Technologien auseinander. Zu Beginn des Buches unterscheidet er geschichtlich drei verschiedene Kulturen: die Werkzeugkultur, die Technokratie und das Technopol, wobei er im Technopol den gegenwärtigen Stand Amerikas sieht.
Das interessante an der Gegenüberstellung dieser Kulturen sei, dass in der Werkzeugkultur und der Technokratie die Technik noch Zweckcharakter hatte und der herrschenden Ideologie untergeordnet war; anders im Technopol, wo Technologien selbst Ideologiecharakter haben, dem sich alles andere unterzuordnen habe.
Das Technopol, also "die Unterwerfung aller Formen des kulturelen Lebens unter die Vorherrschaft und Technologie" (S.61) manifestiere sich in nahezu allen Lebensbereichen. Exemplarisch geht Postman auf die Medizinische Technologie ein, deren positiven Effekte im Hinblick auf die Behandlung von früher unbehandelbaren Erkrankungen nicht zu leugnen seien. Postman geht aber weiter in seinen Überlegungen und stellt sich die Frage, ob es positiv ist, mit Hilfe von Technologien Krankheiten zu heilen, die früher - durch gesundheitsförderndes Verhalten und Geduld - von selbst heilten.
Desweiteren geht er neben der Computertechnologie (die dem Menschen oft dazu diene, die eigene Verantwortung in die Hände der Technologie abzugeben) auch auf unsichtbare Technologien ein. Spätestens hier wird klar, dass mit dem Begriff des Technopols nicht nur Technik an sich gemeint ist, sondern alle Prozesse, die Technologiecharakter haben, indem sie fälschlicherweise der Annahme unterliegen, alles sei berechenbar und objektivierbar.
Als Beispiele für diese "unsichtbaren Technologien" führt Postman Statistik (Der Statistiker, der bei dem Versuch ertrinkt, ein durchschnittlich 1,20 m tiefes Gewässer zu durchwaten), Management, Notengebung, IQ-Messung und Meinungsforschung an. Am Ende versucht Postman, Lösungsvorschläge für das von ihm beschriebene Problem anzubieten. Dabei stellt er sich insbesondere die Frage, was sich in Bildung und Erziehung (education) an Schulen ändern muss.
Das Buch ist eine sehr tiefgründige Analyse dessen, wie sich das Verhältnis von Individuum und Technologien verändert hat. Wenngleich Postman dazu neigt, zu übertreiben und zuzuspitzen, und wenn auch einige Ansichten mehr als fraglich sind (z.B. die Ansicht, Sozialwissenschaft sei keine Wissenschaft im eigentlichen Sinne), hat Postman hier ein Buch geschrieben, dass unendlich viele Denkanregungen gibt.
Ein Mahner wider die Technikeuphorie und für eine solide Bildung --- Von Wolfgang Kucher 2014 auf Amazon
“Neue Technologien verändern die Struktur unserer Interessen – die Dinge, über die wir nachdenken. Sie verändern die Beschaffenheit unserer Symbole – die Dinge mit denen wir Denken. Und sie verändern das Wesen der Gemeinschaft – die Arena, in der sich Gedanken entfalten.” (S.28)
Zum Inhalt: Neil Postman (* 8. März 1931 – † 5. Oktober 2003) zeichnet in seinem 1992 erschienen Buch die Bestandsaufnahme und die mögliche Projektion einer Gesellschaft, deren Spiritualität, Geist und menschlicher Esprit in einer Technologiegläubigkeit aufgegangen sind.
Eindrücklich, beängstigend schlüssig und in über manche Passagen hinweg mit nachdrücklich missionarischem Eifer arbeitet er Trugschlüsse unseres Verständnisses von technischer Machbarkeit und Notwendigkeit heraus, die bar jeder moralischen und ethischen Kontrolle in einer Verarmung des menschlichen (Zusammen)-Lebens enden kann / muss: dem Technopol. Das Glaubensbekenntnis dieser Struktur ist die Technologie, deren archetypisches Symbol der Computer in all seinen Ausprägungen darstellt.
Dabei wird die Technik an sich keinesfalls als das Böse per se stigmatisiert (“Jede Technik ist beides, eine Bürde und ein Segen; es gibt hier kein Entweder-Oder, sondern nur ein Sowohl-Als-auch.” (S.12)), vielmehr ist es die unkritische Ausbreitung der Technik und ihrer impliziten Machtübernahme über Themenkreise in denen sie keine Kompetenz hat und haben sollte, die Postman aufzeigt. Die Information als Massenware nimmt der Autor ebenfalls näher in Augenschein mit sehr ernüchternden Schlussfolgerungen, wie z.B. folgender: “Man könnte das Technopol sogar als ein System definieren, dessen Immunsystem gegen die Informationsfülle nicht mehr intakt ist. Das Technopol leidet an einer Form Kultur-AIDS, wobei diese Abkürzung hier »Anti-Information Deficiency-Syndrom« bedeutet,…. Dieses Syndrom ist die Ursache dafür, dass man fast alles sagen kann ohne Widerspruch zu erregen, sofern man nur mit den Worten beginnt: »Eine Untersuchung hat gezeigt…« oder »Wissenschaftler sagen uns heute…« Es ist auch, und dies ist noch wichtiger, die Ursache dafür, daß es unter einem Technopol keine transzendenten Orientierungen oder Sinnbestimmungen, keine kulturelle Kohärenz gibt. Information ist gefährlich, wenn es keinen Platz für sie gibt, wenn keine Theorie da ist, auf die sie sich stützt, kein Muster, in das sie sich fügt, kurz, wenn es keinen übergeordneten Zweck gibt, dem sie dient.” (S.72f)
Was dem Leser besonders auffallen dürfte ist die Weitsicht die Postman mit seinen Aussagen zum Thema Statistik, Meinungsforschung und auch Bürokratie im Zusammenhang mit technologischer Machbarkeit schon in den 1990ern verschriftlichte. Als Kulturkritiker musste sich Postman selbstredend auch die Frage gefallen lassen, welche Lösungsstrategien er für das von ihm über 193 Seiten dargestellte Dilemma anzubieten hätte. Und er gibt fairerweise zu, dass er, “wie die meisten anderen Kritiker, eher Probleme als Lösungen im Gepäck habe.” (S.194) Um so interessanter nimmt sich seine fast schlicht – deshalb aber nicht weniger brisant – anmutender Lösungsansatz im Kapitel 11 »Der liebevolle Widerstandskämper« aus: Bildung als Kardinalkompetenz eines mündigen Menschen. Und hierbei wird nicht die Anhäufung von Information verstanden. “Bildung gewinnen bedeutet nämlich, auch die Ursprünge und das Wachstum des Wissens und der Wissensysteme wahrnehmen zu lernen; es bedeutet sich vertraut zu machen mit den geistigen und schöpferischen Prozessen, in deren Verlauf das Beste, was gedacht und gesagt worden ist, zutage kam; es beduetet, lernen, wie man, und sei es nur als Zuhörer, an dem teilnehmen kann, was Robert Maynard Hutchins einmal das »Große Gespräch« genannt hat …” (S.201)
Fazit:
Polarisierend, so könnte man das Buch resp. die Thesen Postmans simplifiziert beschreiben. Unabhängig von den teils etwas polemischen, jedoch in ihrer Logik schlüssigen Ausführungen ist es ernüchternd, wie viele der gesellschaftlichen Wunden, auf die der Autor seine Finger legt heute noch immer nicht verheilt, ja teilweise sogar noch größer geworden sind. Erschreckend ist die Tendenz, dass wir heute nicht nur noch technikgläubiger sind als ehedem, sondern dass die Mahner bestenfalls in belächelten, apokalyptischen Filmen ihre Rolle spielen können.
Der »mündige« Zuseher jedoch anschließend erneut sein Mobiltelefon zückt und weiter in seiner ihm eigenen Matrix lebt. Selten gelingt es uns inne zu halten und die richtigen Fragen zu stellen… und uns nicht nur mit (Schein-)Antworten zufrieden zu geben, auf Fragen die WIR so – eigentlich – nicht gestellt hätten. Für Leser, die sich in das Thema bzw. in die Denkweise Postmans vertiefen möchten, finden sich sowohl im Text, als auch in der Bibliographie zahlreiche Hinweise auf ausgesprochen interessante Quellen.
Zum Buch: Das Taschenbuch glänzt – im wahrsten Sinne des Wortes – durch einen sehr soliden Umschlag, eine stabile Verleimung des Buchblockes und griffiges Papier. Layouterisch und drucktechnisch werden keine Experimente gewagt, was dem Lesefluss und dem Inhalt des Textes zugute kommt.
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