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16  Suchtprobleme

 

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VERENA wird seit ihrem siebten Lebensjahr von ihrem alkoholkranken, gewalttätigen Stiefvater sexuell mißbraucht und mißhandelt. Mit acht Jahren unternimmt sie ihren ersten Selbstmordversuch; mit zehn läuft sie mehrfach von zu Hause weg, wird aber von der Polizei immer wieder zurück­gebracht.

Verena ißt dann nur noch sehr wenig und magert derart ab, daß sie schließlich wegen Magersucht und Selbstverletzungen in eine psychiatrische Klinik gebracht wird, wo sie das erste Mal über ihren sexuellen Mißbrauch redet.

Trotzdem muß sie nach Hause zurückkehren, wo sie weiterhin von ihrem Stiefvater und ihrem Bruder sexuell mißbraucht wird. Freunde hat sie nicht, weil der Stiefvater ihr das eifersüchtig verbietet und mißtrauisch darauf achtet, daß sie von der Schule sofort nach Hause kommt. Mit vierzehn Jahren läuft Verena wieder von zu Hause weg und kommt schließlich wegen mehrfachen Diebstahls in ein Heim. Für Verena ist das die Erlösung, denn endlich hat sie Ruhe vor ihrem Stiefvater und ihrem Bruder.

Obwohl der Spuk jetzt für sie vorbei ist, leidet sie weiterhin unter Alpträumen, Schlafstörungen und Ängsten, gegen die sie jahrelang Schlaf- und Beruhigungs­tabletten verschrieben bekommt. Verena ist ein zutiefst mißtrauischer und zugleich liebesbedürftiger Mensch und lebt sehr in sich zurückgezogen. Das Alleinsein macht ihr genauso Angst wie das Zusammensein mit anderen Menschen. Immer wieder kommen Erinnerungen an ihren Mißbrauch hoch, und sie leidet an Schuld- und Ekelgefühlen. Diese gefühlsmäßigen Belastungen führen dazu, daß sie immer öfter in den Alkohol flüchtet, so daß sie mit 25 Jahren wegen Alkohol- und Tablettensucht eine Suchtklinik aufsuchen muß.  

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Verena ist kein Einzelfall. Viele Frauen, die als Kind sexuell mißbraucht wurden und sich im Leben nicht zurechtfinden, greifen zu einem Suchtmittel, um sich Erleichterung und Trost zu verschaffen. In einer Studie an 120 suchtkranken Menschen fand man, daß 44% als Kind sexuell mißbraucht worden waren.

Eine Sucht liegt dann vor, wenn sich ein Mensch körperlich und psychisch so an eine bestimmte Substanz gewöhnt hat, daß ein innerer Zwang entsteht, diese häufig und regelmäßig einzunehmen. Dabei muß die Dosis ständig erhöht werden, um noch eine spürbare Wirkung zu erzielen. Wird das Mittel weggelassen, kommt es zu unangenehmen Entzugserscheinungen. Schließlich nehmen Süchtige ihre Droge nur noch, um die Entzugserscheinungen zu verhindern.

 

    Tablettensucht   

 

Wie wir gesehen haben, leiden Frauen, die als Kind sexuell mißbraucht wurden, unter vielfältigen körperlichen und psychischen Streßerscheinungen. Wenn sie wegen dieser Beschwerden zum Arzt gehen, bekommen sie sehr häufig Beruhigungs-, Schlaf- und Schmerzmittel verschrieben. Sehr viele dieser Medikamente machen aber bei regelmäßiger Einnahme süchtig. Besonders groß ist die Suchtgefahr bei Schlaf- und Beruhigungsmitteln, die Barbiturate oder Benzodiazepine enthalten, und bei sehr starken oder phenazetinhaltigen Schmerzmitteln.

Auf die Suchtgefahr wird oft weder im Beipackzettel des Medikaments noch von den Ärzten hingewiesen. Diese sind im Verschreiben derartiger Mittel oftmals viel zu großzügig. Es gibt aber auch eine ganze Reihe rezeptfreier Medikamente, die süchtig machen. Alle diese Mittel sollten darum nur über kurze Zeit eingenommen werden. Weil sie aber innere Spannungen lösen, ein angenehmes Gefühl oder einen leicht euphorischen, angstfreien Zustand erzeugen, nehmen viele Frauen sie nicht nur gegen Beschwerden ein, sondern auch, um damit alltägliche Streßsituationen zu überstehen. 

Auf diese Weise entwickelt sich neben der körperlichen auch eine psychische Tablettenabhängigkeit. Viele Frauen glauben dann, belastende Situationen wie z.B. Prüfungen, ihren beruflichen Alltag oder Auseinander­setzungen nicht mehr ohne Tabletten durchstehen zu können. Beruhigungs-, Schlaf- und Schmerztabletten können zwar zur Linderung der Beschwerden führen, die Ursachen dafür beseitigen sie aber nicht. Im Gegenteil, sie führen zur Entstehung eines neuen Problems: der Tablettensucht.

Es gibt mehrere Arten von Tabletten, deren Einnahme über längere Zeit leicht zu Abhängigkeit führen. Dazu gehören in besonderen Maß Beruhigungs-, Schlaf-, Aufputsch- und Schmerzmittel.

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Beruhigungsmittel werden bei ausgeprägten körperlichen und psychischen Streßbeschwerden (z.B. Angst­zuständen, Panikgefühlen, ständiger Gereiztheit, Schlafstörungen, psychosomatischen Reaktionen) vom Arzt verschrieben. Sie wirken muskelentspannend, krampf- und angstlösend, bewußtseinstrübend und ermüdend. Bereits nach vier Monaten hat sich der Körper so an das Medikament gewöhnt, daß es die Angst nur noch dämpft, wenn die Dosis erhöht wird. Will man das Mittel jetzt absetzen, kommt es zu Entzugserscheinungen. Die Beschwerden, die man vorher mit den Tabletten beseitigen wollte, treten jetzt noch stärker auf als vorher: Angstzustände, Schweißausbrüche und Schlafstörungen. Das ist oft Grund, die Beruhigungsmittel weiter einzunehmen. Diese verursachen aber als Nebenwirkung häufig Müdigkeit, Konzentrations- sowie Koordinationsstörungen und verlangsamen die Reaktionsfähigkeit.

 

Ähnlich verhält es sich mit Schlafmitteln. Schon nach 3-14 Tagen regelmäßiger Einnahme haben sie keine Wirkung mehr und der Körper braucht eine stärkere Dosis. Größere Mengen verändern aber den Schlaf, so daß die Traumphasen und der Erholungswert des Schlafes abnehmen. Man fühlt sich am nächsten Tag wie gerädert. Viele Schlafmittel werden im Körper nur sehr langsam abgebaut. Sie wirken daher nicht nur in der Nacht, sondern auch am folgenden Tag und beeinträchtigen so das Wohlgefühl und die Leistungsfähigkeit. Manchmal können sie statt Benommenheit auch Erregungs- und Angstgefühle erzeugen. Hört man mit der Einnahme der Schlafmittel plötzlich auf, kann es zu noch schwereren Schlafstörungen kommen als vorher. Diese können von Alpträumen, Angst, Zittern, Kopfschmerzen, Schwindel, Erbrechen, Magenkrämpfen, Durchfall oder Gewichtsverlust begleitet sein.

Schlafstörungen können auch durch andere Medikamente hervorgerufen werden, wie z.B. Appetitzügler, Coffein, Antidepressiva und bestimmte Asthmamittel.

Wenn Schlafmittel auch am Tag noch wirken, wenn man eigentlich voll einsatzfähig sein sollte, ist der Griff zum Aufputschmittel naheliegend. Diese Mittel führen zu einer Leistungssteigerung, weil mit ihnen eine Schranke im Körper abgebaut wird, die Hochleistungen sonst nur in Notsituationen zuläßt.

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Sie erzeugen teilweise gute Laune und euphorische Zustände, was eine starke psychische Abhängigkeit bewirkt. Weil sie auch die Eßlust dämpfen, sind sie in Appetitzüglern enthalten. Sie führen zur Austrocknung des Körpers und zu Schlaf mangel. Der Körper ist in seiner Selbst-regulation gestört: er bekommt zuwenig Schlaf und zuwenig Nahrung. Werden die Aufputschmittel plötzlich weggelassen, kann es zu Depressionen kommen.

Schmerzmittel unterdrücken Schmerzen, beseitigen aber nicht deren Ursachen. Ihre Nebenwirkungen werden meist unterschätzt und sind bei neueren Medikamenten noch nicht genau bekannt. Als Nebenwirkungen können Magenbeschwerden, lebensbedrohliche Schockformen (z.B. ein plötzlicher Abfall des Blutdrucks) und bei längerer Einnahme Nieren- und Leberschäden auftreten. Schmerzmittel für die Nacht sind mit Schlaf- und Beruhigungsmitteln angereichert und am Tag mit aufputschendem Coffein. Diese Pillen sind deshalb so begehrt, weil sie einen euphorischen Zustand hervorrufen und die schlechte Laune vertreiben. Sie machen ebenfalls leicht süchtig.

Beim Absetzen mancher Kopfschmerz- oder Migränemittel kann es zu Entzugserscheinungen wie Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Bauchkrämpfe, Nervosität und Schlafstörungen kommen.

Aus diesen Gründen sollte man nach Möglichkeit auf Schlaf-, Beruhigungs-, Aufputsch- und Schmerzmittel verzichten. Sie sollten auf keinen Fall zusammen mit Alkohol eingenommen werden, weil dies zu unberechenbaren und gefährlichen Wirkungen führen kann. Um die Entzugserscheinungen zu umgehen, sollten sie in Absprache mit dem Arzt nur vorsichtig und langsam abgesetzt werden. So wie sich der Körper schrittweise an die Droge gewöhnt hat, muß man ihn auch schrittweise wieder davon entwöhnen. Unter Umständen ist dazu auch ein Klinikaufenthalt erforderlich.

 

  Alkohol   

 

Alkohol ist das älteste Beruhigungsmittel und, im Gegensatz zu anderen Rauschmitteln, in unserer Kultur nicht verboten. Im Gegenteil, es wird Werbung für das Alkoholtrinken gemacht und es gilt als besonderes Zeichen von Selbstbewußtsein und Männlichkeit. Darum sind auch 80% aller Alkoholiker Männer. 

Alkohol lindert Spannungen, Ängste und Schmerzen, fördert so das Wohlbefinden, macht kontakt­freudiger, führt zu Beruhigung und Schlaf. In größeren Mengen allerdings stört Alkohol das Denken, Sehen und Sprechen sowie die Bewegung und den Gleichgewichtssinn. Wegen seiner angenehmen Wirkung greifen Menschen vor allem unter belastenden Lebensumständen zum Alkohol.

Der Körper gewöhnt sich allmählich an die Droge, so daß immer mehr Alkohol getrunken werden muß, um noch die gleiche betäubende Wirkung zu erreichen. Es kann dann zu >Blackouts< kommen, d.h. die Frau wirkt auf andere besonnen und wenig betrunken, kann sich aber später nicht mehr an die Zeit ihres Trinkens erinnern. Es fehlt ihr einfach ein Stück aus ihrer Erinnerung.

Schließlich nimmt der Alkohol einen immer wichtigeren Platz in ihrem Denken ein. Sie beginnt alles zu verlieren, was ihr wichtig ist, weil es ihr zunehmend gleichgültiger wird, ob die Kollegen, ihre Vorgesetzten oder ihre Angehörigen merken, daß sie trinkt. Alkohol ist jetzt lebensnotwendig, um einen Tag zu überstehen. Viele Alkoholkranke wollen nicht wahrhaben, daß sie alkoholabhängig sind. Sie glauben, sie könnten jederzeit mit dem Trinken aufhören. Versuchen sie es dann aber, treten Entzugserscheinungen auf. Sie werden ängstlich, nervös, schlaflos, depressiv, das Herz rast, die Muskeln zittern, und sie schwitzen stark. Manche sehen oder spüren unangenehme Halluzinationen von Schlangen, Spinnen oder anderen Tieren, die über sie herfallen. Mit dem Griff zur Flasche ist dieser Spuk schnell verscheucht. So ein Alkoholentzug glückt meist nur in einer Klinik. 

Da Alkoholkranke nur noch an Alkohol denken können, vernachlässigen sie ihre Nahrungsaufnahme, so daß Unterernährung eintritt. Aufgrund von Vitamin-B-Mangel kommt es zu Gedächtnisproblemen, und Eiweißmangel führt zu einer Leberzirrhose. 

Andere körperliche Schädigungen aufgrund von langem und schweren Alkoholismus sind Herzversagen, Bluthochdruck, Störungen des Stoffwechsels und der Drüsentätigkeit, gelegentlich auch Hirnschäden. Im Endstadium des Alkoholismus kommt es zu ununterbrochenem Trinken. Diese Menschen leben nur noch, um zu trinken. Sie vernachlässigen ihre Erscheinung, verlieren die Selbstachtung und jedes Interesse an ihrer Familie, den Freunden und ihrem Beruf.

Sie leiden unter psychischen Störungen, ihre körperliche und geistige Gesundheit ist beeinträchtigt, ihre Beziehungen zu anderen Menschen sind voller Probleme, und sie finden sich mit den Anforderungen des Alltags nicht mehr zurecht. Manche verlieren schließlich ihre Wohnung und enden als Stadtstreicher.

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  Andere Drogen  

 

Die genauen Ursachen sind wenig bekannt und die Auslöser, die hier mitspielen könnten, sind nur vage umrissen. Laut amerikanischen Unter­suchungen sind 40-80% aller drogenabhängigen Frauen als Kind von einem Familienangehörigen sexuell mißbraucht worden. Sexuelle Annäherung, Verführung und Vergewaltigung durch eine Vertrauensperson stellen für ein Kind die schlimmste Verletzung dar, die es durch Eltern und Erwachsene überhaupt erleben kann, besonders wenn es in seiner Wehrlosigkeit alleingelassen wird und seine Hilferufe überhört oder abgewiesen werden.

Um mit diesen Erfahrungen überhaupt weiterleben zu können, müssen Gefühle wie Schmerz, Angst, Scham, Ekel und Wut abgestellt und die kränkenden Erfahrungen >vergessen< und verdrängt werden. Damit ist aber auch ein Teil der Person wie >auf Eis gelegt<. Nach außen scheint alles in Ordnung zu sein, aber innerlich fühlen sich die Betroffenen wie tot. Manche Frauen geraten so in einen Zustand, in dem ihnen alles egal ist. Sie haben kein Gefühl mehr für Gefahren und kein Bedürfnis, sich selbst zu beschützen. Diese selbstzerstörerische Grundeinstellung macht sie anfällig für eine Drogenkarriere. 

Andere Frauen, die ihre sexuellen Mißbrauchserfahrungen nicht so gut verdrängen können, quälen sich mit unerträglichen Angst-, Ekel-, Scham- und Schuldgefühlen durch ihren Alltag. 

Drogen stellen, wie Alkohol und Tabletten, eine Möglichkeit dar, für kurze Zeit aus der eigenen Haut zu schlüpfen und der alltäglichen Hölle für einige Zeit zu entfliehen. 

Die Spannungsminderung, das angenehme Gefühl und der euphorische Zustand, der durch die Einnahme von Opium, Morphium, Heroin, Kokain, LSD usw. entsteht, verführen zum wiederholten Drogenkonsum. Wenn sich dann der Körper daran gewöhnt hat, muß die Dosis gesteigert werden.

Dann nehmen die Süchtigen die Drogen vor allem, um die unangenehmen Entzugserscheinungen zu verhindern. Um an das nötige Geld für den regelmäßigen Drogenkonsum heranzukommen, sind drogenabhängige Frauen bald gezwungen, ihren Körper auf dem Sexmarkt zu verkaufen. Um diesen demütigenden Gelderwerb aushallen zu können, brauchen sie erst recht ihre betäubende Droge. Ein Teufelskreis, aus dem sie schwer ausbrechen können.

Unauffälliger, aber auf Dauer ebenfalls selbstschädigend sind andere Formen der Sucht, wie z.B. die Arbeits­sucht, die Sexsucht oder die Spielsucht. Manche Betroffene wenden sich bei ihrer Flucht vor der Wirklichkeit verstärkt der Religion oder Parapsychologie zu. Dabei kann das wiederholte Ausführen religiöser Rituale oder okkultistischer Praktiken (Pendeln, Tarot, Gläserrücken usw.) ebenfalls zu einer Sucht werden, Ängste hervorrufen und die Lebenstüchtigkeit beeinträchtigen. 

In der psychotherapeutischen Praxis begegnen mir allerdings eher Frauen, für die eine aktive Religionsausübung oder die Beschäftigung mit Esoterik eine wichtige Stütze ihres psychischen Gleichgewichts darzustellen scheint.

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