Eintausend Affen
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Es gibt eine Parabel, die unter den militanten Atheisten des letzten Jahrhunderts sehr populär war; sie sollte die Omnipotenz des Zufalls veranschaulichen: Man sperre tausend Affen in einen Raum mit tausend Schreibmaschinen und lasse sie für unbegrenzte Zeit darauf herumhacken. Vorausgesetzt, daß genügend Zeit vergeht (wobei man sich die Affen wohl als unsterblich und die Schreibmaschinen als unzerstörbar vorzustellen hat), werden die Affen nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit das gesamte Werk Shakespeares produzieren. Ein Shakespeare wird dazu nicht benötigt.
Diese olle Kamelle wird heute wahrscheinlich von niemandem mehr ernst genommen. Ein Versuch, die Wahrscheinlichkeit zu berechnen, daß nur eine einzige Zeile von Shakespeare mittels Affenkraft zufällig komponiert werden könnte, ergab ein Verhältnis von 1 : 1039.(11)
Es ist einfacher, sich vorzustellen, daß die Affen sich innerhalb einer solchen Zeitspanne zu intelligenten Wesen entwickeln, die dazu fähig sind, ihre eigenen literarischen Meisterwerke zu schaffen. Dieses Beispiel hat einen satirischen Unterton, aber es kann dazu anregen, uns die unaussprechliche Komplexität der Natur vor Augen zu führen — und das peinliche Draufgängertum, mit dem die orthodoxe Wissenschaft früher an das Studium der Natur heranging.
Die Faktoren und Möglichkeiten, die schon bei den simpelsten Naturphänomenen in Betracht gezogen werden müssen, wenn wir versuchen, ihre Ursprünge zu ergründen, übersteigen bei weitem den Möglichkeitsspielraum, mit dem die hypothetischen Affen an ihren Schreibmaschinen konfrontiert waren. Schreibmaschinen haben schließlich bereits fertig geformte Buchstaben, die sich zu Wörtern zusammensetzen lassen. Ich arbeite an einem Computer und bringe meine Texte mit Hilfe eines Druckers zu Papier, der die Buchstaben aus winzigen Pünktchen, gleichsam kleinen Atomen aus Tinte, zusammensetzt. Nehmen wir an, wir löschten das Programm, das diese Pünktchen zu alphabetischen und numerischen Symbolen zusammenfügt.
Nehmen wir an, wir reduzierten die Funktionen der Maschine so weit, daß sie nur noch willkürlich Tinte in Pünktchenform verspritzt. Wie lange würden wir wohl warten müssen, bis die Pünktchen sich zufällig zu einem alphabetischen oder numerischen System ordnen, bis die einzelnen Symbole zufällig die Gestalt von Wörtern oder Gleichungen annehmen, bis die Wörter zufällig zu Sätzen und literarischen Werken, die Gleichungen zu mathematischen Theorien werden?
Mit dieser Vorstellung befinden wir uns längst im Reich des Absurden, aber verweilen wir noch einen Augenblick dabei, um uns vor Augen zu führen, daß bei Aussagen über Wahrscheinlichkeit häufig ein zentraler Faktor ignoriert wird. Bei dem Problem, das wir hier betrachten, kommt der Faktor Zeit zweimal ins Spiel. Zunächst in der offensichtlichen Form des »Wie lange?«. Aber dann noch einmal in einer weniger offensichtlichen Weise.
Der Unterschied zwischen zufällig angeordneten Pünktchen und geformten Buchstaben, sinnvollen Wörtern, zusammenhängenden Sätzen und komplexen literarischen Werken ist ebenfalls ein zeitliches Problem, in diesem Fall eine Frage der kulturellen Zeit. Daß ein Tintenstrahldrucker das leisten kann, was er leistet, ist in diesem zweiten, tieferen Sinn zeitabhängig; er ist das späte Produkt einer einzigartigen Entwicklung, in deren Verlauf Zeichen- und Zahlensysteme in langer, mühevoller Arbeit entwickelt, Vokabulare angesammelt, Grammatiken herausdifferenziert wurden. Das nennen wir Geschichte. Jahrtausende einer einzigartigen und unwiederholbaren Kulturgeschichte akkumulieren in dieser kleinen Maschine, die hier neben mir steht. Selbst wenn der Drucker durch reinen Zufall das gesamte Alphabet produzieren sollte, könnte er nicht die Geschichte rekapitulieren, aus der dieses Alphabet herstammt. In diesem Sinn wäre das, was er produziert, nicht das »wirkliche« Alphabet. Das gilt in noch weitaus höherem Maß für die konstituierenden Elemente der gesamten Natur; auch diese sind zeitabhängige Schöpfungen, die zueinander in demselben hierarchischen Verhältnis stehen wie der Buchstabe zum Wort, das Wort zur Grammatik.
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Das Vertrauen, das Wissenschaftler in die kreative und koordinierende Macht des Zufalls setzen, wenn es um komplexe Systeme und ihre Evolution geht, ist in Wahrheit nichts anderes als ein Glaubensartikel, eine Grundvoraussetzung, von der man ausgeht, obwohl es keinen vernünftigen oder auch nur annehmbaren Beweis dafür gibt. Die Berufung auf den Zufall oder die Wahrscheinlichkeit ist ein rein rhetorisches Hilfsmittel, dessen man sich im Ton tiefster Überzeugung bedient, um uns glauben zu machen, es sei der Höhepunkt der Rationalität, an Möglichkeiten zu glauben, für deren Auftreten die geringste Wahrscheinlichkeit besteht.
Manche Wissenschaftler vertreten die Auffassung, daß, zumindest wenn wir die biologische Ebene erreichen, ein neuer Faktor ins Spiel komme, der für die Kreativität des blinden Zufalls spricht: die natürliche Auslese.12 Im Prozeß der biologischen Evolution — so argumentiert man — wird die Zufälligkeit der genetischen Variationen durch die selektive Kraft der in permanentem Wandel befindlichen Umwelt eingeschränkt, einer Umwelt, die eher wie die alles formende unsichtbare Hand wirkt, die Adam Smith irrtümlicherweise auf dem Markt am Werk sah. Tatsächlich war die von Adam Smith entworfene Ökonomie die Quelle, aus der Darwin seinen Glauben an die blind wirkenden Kräfte der natürlichen Selektion herleitete. Lebewesen, die sich unter dem Umweltdruck behaupten konnten, passen perfekt in ihre ökologische Nische hinein, während andere, die zu dieser Anpassung nicht fähig waren, im Lauf der Generationen von der Natur aussortiert wurden, ebenso wie der Markt aufgrund seiner Eigendynamik die Nichtkonkurrenzfähigen, Inkompetenten und Minderwertigen eliminiert. Dies wird wiederum als Beispiel dafür genommen, daß die Natur Ergebnisse produzieren kann, die geplant und zielgerichtet aussehen, es aber in Wahrheit nicht sind.
Hier stoßen wir auf ein Problem. Die biologische Selektion tritt auf, nachdem in der Geschichte der Zeit vom »Big Bang« bis zu uns etwa drei Viertel des Weges zurückgelegt sind. Zu diesem Zeitpunkt existiert bereits sehr viel mehr Kohärenz, die nach einer Erklärung verlangt, als die natürliche Auslese der Flora und Fauna auf der Erde. Strukturen und Systeme, Elemente, die erkennbaren Gesetzmäßigkeiten folgen, regelhafte Abläufe in der Natur sind bereits alle an ihrem Platz.
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Manche Wissenschaftler haben mit dem Gedanken an eine präbiotische Evolution gespielt, die auf nichtbiologischen Selektionsprozessen beruht, aber diese Vorstellung grenzt ans Groteske. Die Idee der Evolution ist ganz und gar biologisch; sie setzt Reproduktion, Adaption, Überleben und Aussterben voraus. Keine dieser Voraussetzungen der natürlichen Selektion kann aus irgendeiner hypothetischen anorganischen Selektion hergeleitet werden; das Anorganische braucht die Fähigkeit des Überlebens nicht, um weiterzuexistieren. Selektion kommt in der Natur nur unter lebenden Organismen vor, die fähig sind, sich zu vermehren.
Es gibt keine nichtbiologischen Reproduktionssysteme, abgesehen von mathematischen Simulationen, die für Computerprogramme erfunden wurden. Diese letzteren sind natürlich sorgfältig durchdachte und geplante Kunstprodukte, eigens zu dem Zweck entwickelt zu demonstrieren, daß es in der Natur keine zielgerichtete und geplante Gestaltung gibt. Zweifellos ist die Existenz so grundlegender, lebenserhaltender Ressourcen wie Wasser auf diesem Planeten oder die Funktionsweise des Kohlenstoffkreislaufs nicht aus irgendeiner Form der natürlichen Auslese zu erklären. Schließlich ist der Prozeß, den wir als Evolution durch natürliche Selektion bezeichnen, selbst ein komplexes System. Vielfalt und Anpassungsfähigkeit sind Faktoren innerhalb dieses Systems, die den Fortbestand des Lebens sichern. Die Elemente der Unscharfe, die mit dem zufälligen Zusammenwürfeln genetischer Charakteristika verbunden sind, ergeben als Teil eines solchen Systems durchaus Sinn. Wie John Polkinghorne beobachtet, ist ein inhärentes Element der Willkür in der Natur die Voraussetzung dafür, daß die Materie das gesamte ihr innewohnende Entwicklungspotential zur Entfaltung bringen kann:
11.»Für manche (...) ist die Rolle des Zufalls der Beweis für die Sinnlosigkeit im Prozeß der Welt. Anderen unter uns scheint es aber, daß die Potentialität, die sich darin als den Eigenschaften der Materie inhärent erweist - eine Potentialität, die durch die willkürlich mischenden Operationen des Zufalls erkundet und erprobt wird -, so bemerkenswert ist, daß sie eine in den Strukturen der Welt präsente gestaltende Absicht konstituiert.«
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Das heißt nicht, daß die konventionellen religiösen Denker recht haben, wenn sie sagen, Gott steuere die Evolution (dies ist die vorherrschende Position, die Theologen seit Darwin beziehen); es heißt nur, daß man ihre Vorstellungen vielleicht nicht als völlig grotesk abtun kann. Sie verfechten die Möglichkeit, daß irgendeine Art von Intelligenz am Evolutionsprozeß beteiligt zu sein scheint. Umgekehrt bedeutet die Tatsache, daß die materialistische Position zunehmend erschüttert wird, auch nicht, daß die New-Age-Philosophen, Holisten, Vitalisten und so fort immer recht haben; nur haben sie vielleicht auch nicht so unrecht, wie ihre Kritiker immer meinten.
Obwohl noch keine neue Synthese hervorgetreten ist, die das ehemals von der mechanistischen Wissenschaft beherrschte weite Feld ausfüllen könnte, will ich zu umreißen versuchen, wo die Wissenschaft und alle auf der Wissenschaft basierenden Philosophien jetzt, am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts, stehen: Alle Entdeckungen in der theoretischen Physik seit Planck, Curie, Bohr, Einstein und Heisenberg trugen dazu bei, daß die konventionelle Vorstellung von »Materie« bedeutungslos wurde. Alle neueren Entdeckungen, die sich auf das Alter des Universums und auf den Zeitraum, in dem Materie, Leben und Bewußtsein entstanden sind, beziehen, machen weitausgreifende Verweise auf das Wirken des Zufalls in der Natur bedeutungslos.
Alle Versuche, ein einfaches, irreduzibles »Ding« zu finden, das als Grundbaustein für alle anderen, komplexeren Dinge in Frage kommt, sind fehlgeschlagen. Es gibt keine einfachen Dinge, nicht einmal auf der tiefsten, subatomaren Ebene. Behalten wir das im Sinn, wenn wir zum Beispiel mit Aussagen wie folgender konfrontiert werden:
14»Im Prinzip, meine ich, sollte es letztlich möglich sein, die abstrakten Funktionen des Bewußtseins als Prozesse zu erklären, die von der materiellen Substanz des Gehirns organisiert werden.«
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Vor einer Generation wäre eine solche Bemerkung als wissenschaftlicher Standardjargon durchgegangen. Heute ergeben diese Worte, obwohl sie 1990 geschrieben wurden, keinen Sinn mehr; die Schlüsselbegriffe (»erklären«, »organisiert«, »materielle Substanz«) haben ihre einst unambivalente Bedeutung eingebüßt. Wenn sich darin keine philosophische Krise ausdrückt, dann hat es nie eine gegeben.
Schon indem wir diese unbequemen Fragen aufwarfen, haben wir uns vielleicht unwiderruflich von der Hauptströmung der Wissenschaft getrennt, die immer noch an der Grundprämisse eines Universums ohne Bewußtsein festhält. Alte Dogmen sind zählebig. Und dennoch existiert Bewußtsein in diesem Universum: das menschliche Bewußtsein. Offenbar kann die Wissenschaft auf der Ebene, auf der sie arbeitet, nicht klar zum Ausdruck bringen, daß diese Möglichkeit immer da war, von Anfang an. Sie war Bestandteil des Urknalls und des ersten Wasserstoffatoms, jedes Sternhaufens und jedes Enzyms. Und daß wir in Kontinuität zu diesem schöpferischen Augenblick stehen, muß die Wissenschaft uns aufgrund ihres eigenen Anspruchs auf Universalität und Glaubwürdigkeit zugestehen.
Kosmische Koinzidenzen und die Angemessenheit der Umwelt
Fang Lizhi15»Wir sind nur fähig, ein Universum zu verstehen, in dem Wesen, die zu einem solchen Verstehen in der Lage sind, sich entwickeln konnten. Die einzige Art von Universum, die verständlich ist, ist die Art von Universum, die Wesen mit der Fähigkeit, es zu verstehen, hervorbringen kann.«
Die größte Annäherung an das Eingeständnis, daß dem Leben und dem Bewußtsein innerhalb des Universums eine grenzüberschreitende qualitative Besonderheit zukommt, hat die Hauptströmung der Wissenschaft durch die Formulierung des anthropischen Prinzips erreicht.
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Das anthropische Prinzip ist eine vieldiskutierte Idee und Gegenstand einer Reihe kontrastierender Interpretationen. Alle seine Versionen leiten sich von einigen grundlegenden, offenbar unwiderleglichen Prämissen her. Die anfangs zitierten Zeilen, die von dem Physiker Fang Lizhi stammen, vermitteln den paradoxen und dennoch allgemeinverständlichen Charakter dieser Modellvorstellung. Eine andere Art, sie auszudrücken, wäre:
Eine Frage kann nicht beantwortet werden, solange sie nicht gestellt ist.
Eine Frage kann nicht gestellt werden, solange kein Fragestellender da ist.Das Wort »solange« (und nicht »sofern«) ist mit Bedacht gewählt, denn Zeit ist im anthropischen Prinzip von essentieller Bedeutung. In der Geschichte des Universums ist eine Zeit angebrochen, in der Fragen über den Ursprung und die Natur der Dinge gestellt werden können: unsere Zeit. Und die Fragestellenden sind keine hypothetischen Handelnden; wir sind es, wir, das Resultat eines spezifischen evolutionären Entwicklungsprozesses. Durch die bloße Tatsache, daß wir Fragen stellen — welcher Art auch immer —, demonstrieren wir die Existenz von Intelligenz im Universum. Die Frage »Warum ist das Universum so wie es ist?« kann sehr bedeutsam sein, aber noch bedeutsamer ist die Aussage, die wir durch den Akt des Fragens machen: »Wir sind hier.« Und unsere Präsenz basiert auf einer enormen Zahl erstaunlich fein ausgewogener physikalischer Koinzidenzen.
Nehmen wir zum Beispiel den zentralen Parameter der Dichte; er drückt die Geschwindigkeit aus, mit dem das Universum sich zur Zeit des Urknalls ausgebreitet haben muß, um schließlich zu der Dichte der Materie zu gelangen, die gegenwärtig geschätzt wird. John Gribbin nennt das »die allerfeinste der fein abgestimmten kosmischen Koinzidenzen«.
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Wenn der Parameter nur um einen Bruchteil anders wäre — so Gribbins Schätzung (»eine Dezimalstelle, gefolgt von sechzig Nullen und einer Eins«) — hätten sich keine Galaxien herausbilden können und damit auch keine Wasserstoff- und Helium-Sterne, die alle Elemente hervorbrachten.16 Wäre die Expansionsrate nicht die »genau richtige« gewesen, hätte sich auf der Erde nie Leben entwickeln können, das zu intelligentem Leben evolvierte.
Zu den ersten Wissenschaftlern, die Koinzidenzen wie diese wahrnahmen und erforschten, gehörte der Harvard-Biochemiker Lawrence Henderson. In zwei bemerkenswerten Büchern, die um die Zeit des Ersten Weltkriegs entstanden, umriß Henderson die Fakten und entwickelte den theoretischen Rahmen für das anthropische Prinzip.17 Wenn man diese Arbeiten heute durchsieht, gewinnt man einen klaren Eindruck von dem intellektuellen Kampf, den ihr Autor durchgestanden haben muß. Als anerkannter Wissenschaftler tastete er sich in ein Terrain vor, das jenseits des vorherrschenden Wissenschaftsparadigmas lag, angeregt durch die Erkenntnisse, die er auf seinem eigenen Gebiet, der Biochemie, über die Komplexität lebender Organismen gewonnen hatte.
Henderson konnte nicht mehr glauben, daß ein so hohes Niveau von Komplexität das Resultat purer Zufälle sein sollte. Obwohl er nie in Zweifel zog, daß der natürlichen Auslese bei der Anpassung der Arten an ihre Umwelt eine wichtige Rolle zukommt, war er doch davon überzeugt, daß dabei ein noch weitaus bedeutsamerer Faktor am Werk sei. Er nannte ihn »die Angemessenheit der Umwelt«. Sobald das Leben in Erscheinung tritt, evolviert es innerhalb einer Anordnung komplexer physikalischer und chemischer Parameter, die, wie es scheint, darauf angelegt sind, es zu empfangen, zu unterstützen und für seine Weiterentwicklung zu sorgen. Lebewesen fügen sich vielleicht auf dem Weg der natürlichen Selektion in ihre unterschiedlichen Habitate ein, aber alle diese Habitate sind Teil einer planetarischen Entwicklung, die bereits geeignet ist, Leben zu erhalten. Besonders beeindruckt zeigte Henderson sich von den eigenartigen physikalischen Eigenschaften des Wassers und der Elemente, auf denen die organische Chemie basiert. Diese sind so fein darauf abgestimmt, Leben zu erhalten, wie jedes Geschöpf an die Umwelt angepaßt ist, die sich aus diesen Elementen zusammensetzt.
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Wasser zum Beispiel hat eine Reihe einzigartiger Eigenschaften: seine Kraft, zahlreiche Substanzen aufzulösen, seine Wärmeleitfähigkeit, seine Oberflächenspannung, sein Ausdehnungsvermögen, wenn es den Gefrierpunkt erreicht, und die damit verbundene Fähigkeit, in Gestalt von Eis an der Oberfläche wärmerer Wassermassen zu schwimmen. Henderson konnte nicht anders, als in all dem einen teleologischen Faktor am Werk zu sehen, auf das Ziel hin ausgerichtet, Leben zu erhalten.
Henderson war bereit, sich ins wissenschaftliche Abseits zu begeben, um seine Theorie von der »Vorbereitung für den Prozeß der physischen Evolution« weiterzuverfolgen. An diesem Punkt kam er zur Formulierung des anthropischen Prinzips. Er ging davon aus, daß die gesamte Zeit und die gesamte Materie mit der Entstehung des Lebens in Verbindung stehen. In bezug auf den Raum »sollte sich jede Erforschung der Beziehung zwischen dem Leben und der Umwelt auf eine physiko-chemische Beschreibung des gesamten Universums stützen«, und in bezug auf die Zeit »müssen wir annehmen, daß der Ursprung der Angemessenheit der Umwelt mindestens so weit zurückliegt wie die Phänomene des periodischen Systems der Elemente, oder zumindest so weit wie die Evolution der Elemente, falls sie überhaupt durch Evolution entstanden.«
Dieser Akt theoretischer Vorwegnahme ist wahrhaft bemerkenswert. In Hendersons Tagen war über eine Ausdehnung des Universums noch nichts bekannt, geschweige denn über den Urknall und die kosmische Evolution. Dennoch baute er seine Theorie auf der Möglichkeit auf, daß die physische Substanz selbst eine Geschichte hat, die ihr In-Erscheinung-Treten und ihre Entwicklung erklärt. Und vom Beginn dieser Geschichte an »arbeitete« die Materie auf die Angemessenheit einer Umwelt hin, in der an einem fernen Punkt Leben entstehen und sich im Kosmos ansiedeln sollte — vielleicht nicht nur auf diesem einen Planeten. Henderson war davon überzeugt, daß viele andere Planeten mit organischer Evolution existieren müssen. Die Harmonie zwischen den Bedürfnissen des Lebens und der Bereitschaft der Umwelt, diese Bedürfnisse zu erfüllen, erschien Henderson so eindrucksvoll, daß er sicher war, dies könne nicht das Resultat blinder Zufälle sein.
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Es müsse vielmehr ein »Gesetz« geben, »das diese der Natur der Dinge inhärente Angemessenheit erklärt«. Dieses Gesetz, wie er es formulierte, ist eine »natürliche Gestaltungstendenz«, die sich »sowohl auf den organischen als auch auf den kosmischen Evolutionsprozeß auswirkt«. Kaum hatte Henderson seine Idee formuliert, beeilte er sich jedoch, sie als »metaphysische Teleologie« zu bezeichnen und sie in einen Bereich außerhalb der Grenzen der Wissenschaft zu verweisen. Seine Achtung vor der wissenschaftlichen Orthodoxie veranlaßte ihn, den teleologischen Aspekt der Natur abzuspalten und ihn in einem separaten, transzendenten Raum anzusiedeln, der jenseits der mechanistischen Weltauffassung liegt. Seine Lösung läuft auf eine Art intellektueller Apartheid hinaus. Er sondert alles, was aus der natürlichen Gestaltungstendenz resultiert, sorgfältig aus dem Forschungsbereich der konventionellen physikalischen und chemischen Analyse aus. Die Gestaltungstendenz selbst gehört »an den eigentlichen Ursprung der Dinge«, bevor die mechanistischen Prinzipien in Kraft traten.
»Kurz gesagt: Unsere neue Teleologie kann ihren Ursprung nicht innerhalb der mechanistischen Prinzipien oder durch sie haben, aber sie ist eine notwendige, vorher feststehende Grundvoraussetzung derselben. Materie und Energie haben ein ursprüngliches, einzigartiges Potential, sicherlich nicht durch Zufall, und dieses organisiert das Universum in Raum und Zeit. (...) Denn der gesamte Evolutionsprozeß, sowohl auf der kosmischen als auch auf der organischen Ebene, ist eins, und der Biologe darf sich nun wohl darin gerechtfertigt fühlen, das Universum seinem eigentlichen Wesen nach als biozentrisch zu betrachten.«
Das »einzigartige Potential«, das die biozentrische Betrachtung des Universums gerechtfertigt erscheinen läßt, wird schließlich auf den Status einer ersten, nicht mehr hinterfragbaren Ursache, eines aristotelischen »unbewegten Bewegers«, und somit in einen Bereich jenseits jeder empirischen Erforschbarkeit zurückverwiesen.
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Aber anders als frühere Versionen der Causa prima leitet Hendersons Variante sich aus wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Komplexität natürlicher Systeme her. Wenn es sich denn um eine metaphysische Prämisse handelt, so doch um eine, die auf einer genauen Beobachtung der physischen Natur beruht.
Obwohl Henderson darum kämpfte, seine Theorie mit den Forderungen der wissenschaftlichen Objektivität kompatibel zu machen, wußte er sehr wohl, daß man die Fakten, die er gesammelt hatte, auch auf eine andere, weitaus zurückhaltendere Weise deuten konnte. Die Angemessenheit der Umwelt könnte als schlichter Selektionseffekt — wenn auch von kosmischer Größenordnung — interpretiert werden. Selektionswirkungen spielen innerhalb der Wissenschaft in vielfacher Hinsicht eine Rolle. Die wissenschaftliche Methode selbst kann zu selektiver Wahrnehmung führen; denken wir an die berühmte rosa Brille: Alles, was man durch sie betrachtet, erscheint rosa eingefärbt. In den Sozialwissenschaften kann die Persönlichkeit des Forschenden bekanntlich dafür verantwortlich sein, daß bestimmte Ergebnisse »selektiert« werden. Ein sexistischer männlicher Psychologe, der seine weiblichen Versuchspersonen einschüchtert, wütend macht oder herablassend behandelt, kommt am Ende seiner Untersuchung vielleicht zu dem Ergebnis, daß alle Frauen Männerfeindinnen sind. Der Akt der Beobachtung selbst kann das Ergebnis beeinflussen. Ein Biologe, der ein scheues Nachttier in einem permanent hellerleuchteten Labor beobachtet, könnte zu dem Schluß kommen, daß diese Tiergattung sich nie bewegt, nie Nahrung aufnimmt und sich nie paart.
Auch in der Kosmologie muß man davon ausgehen, daß verzerrte Wahrnehmungen und verzerrte Ergebnisse möglich sind. Wenn die physiko-chemischen Bedingungen nicht genauso wären, wie sie sind — so kann man schlußfolgern —, wäre überhaupt niemand hier, der die Frage »Warum?« stellen könnte. Soweit wir wissen, ist dies die einzig mögliche Konfiguration der Dinge, die das Hervortreten forschenden, intelligenten Lebens erlaubt. Daß die Dinge sich so angeordnet haben, ist einfach ein Faktum, das wir vorfinden.
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Die Frage »Warum ist das Universum so wie es ist?« hat nur eine einzige Bedeutung: Sie zeigt uns, daß Materie in einer sich ihrer selbst bewußten Form existiert, die diese Frage stellen kann. Auf diese Weise formuliert, wird die Angemessenheit der Umwelt zum sogenannten schwachen anthropischen Prinzip; »schwach« deshalb, weil in dieser Formulierung keine Teleologie und kein Hinweis auf eine steuernde übergeordnete Intelligenz enthalten ist.
Oder man kann die Überlegungen weiter in Richtung des Paradoxen vorantreiben. Nehmen wir an, es habe eine unendliche Zahl von Universen gegeben (oder es gäbe eine unendliche Zahl von »Paralleluniversen«), durch die jede mögliche Anordnung von Initialzuständen, Partikeln, elementaren Kräften und Naturgesetzen ausgeschöpft wäre - ein Würfelspiel mit einer unendlichen Zahl von Würfeln über einen unendlichen Zeitraum. Nach einer Version dieser Idee haben dieses Universum und andere koexistierende Universen den Charakter von Bläschen in einem imaginären kosmischen Schaum, wobei jedes Bläschen seine eigene Konfiguration von Kräften hat. In diesem kosmischen Bläschen hier sind die Würfel so gefallen, wie sie gefallen sind; es gibt intelligente Beobachter — uns selbst —, die fähig sind, nach der Natur der Dinge zu fragen. Aber parallel dazu oder früher waren oder sind andere mögliche Universen nicht mit Leben erfüllt, und so stellte die Frage sich nicht. Der Kosmos nebenan ist unbewohnt - niemand zu Haus.
Auf diese Weise formuliert, könnte das anthropische Prinzip als endgültige und unwiderlegliche Beweisführung für das Wirken des blinden Zufalls betrachtet werden. Es postuliert, daß früher oder später, irgendwo und irgendwann der Glückstreffer auftreten mußte, in ganz ähnlicher Weise wie bei den tausend Affen, deren sinnloses Herumspielen an den Schreibmaschinen unter der Voraussetzung von »genügend Zeit« schließlich das Gesamtwerk Shakespeares produzieren sollte. »Genügend Zeit« für das phänomenale, aber durchaus nicht wundersame Wirken des Zufalls schafft diese Hypothese durch die Einführung einer unendlichen Zahl anderer Universen, die von unserem Wissenshorizont so unvorstellbar weit entfernt sind, daß die scheinbare Besonderheit des uns bekannten Universums bedeutungslos wird.
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Der Astrophysiker James Gunn bezeichnete diese Idee als die »endgültige kopernikanische Vorstellung«: »Sie besagt nicht nur, daß wir völlig bedeutungslos sind, sondern auch, daß sogar unser Universum von keiner begreifbaren Bedeutung ist.«18
Spekulationen wie diese treiben die Auseinandersetzung in einen Bereich, in dem keine Veranschaulichung, ja nicht einmal mehr ein vernünftiger Diskurs möglich ist. Was bedeutet das Postulat einer unendlichen Anzahl von Universen? Wären nicht alle diese Universen wiederum in einem einzigen, größeren Superuniversum enthalten?
Wenn wir davon ausgingen, wären wir wieder am Ausgangspunkt angelangt und mit unserer eigenen Existenz als einem besonderen, höchst unwahrscheinlichen Ereignis konfrontiert. Solche Ideen haben etwas von Zen-Koans an sich, die das Denken mit Widersprüchen überwältigen. Sie scheinen sagen zu wollen: Unser Universum und wir selbst sind von ganz einzigartiger Beschaffenheit, die überhaupt nichts Besonderes ist. Dennoch schwingt in dieser fast schnoddrigen Formulierung des anthropischen Prinzips ein gewisses gedämpftes Erstaunen über die Existenz intelligenten Lebens mit. Dieses Erstaunen verweilt bei der Tatsache, daß das Universum innerhalb eines so minimalen Wahrscheinlichkeitsspektrums überlebensfähiges bewußtes Leben hervorbringen konnte. Und wenn Milliarden von Universen aus der Singularität heraus explodieren, sich ausdehnen und wieder in sich zusammenstürzen mußten, um dieses Resultat zu erzielen, ist es deshalb weniger bemerkenswert? Könnte man nicht sagen, daß es nur auf dieses Ziel hin geschah? Brandon Carter, der als erster das »starke« anthropische Prinzip formulierte, trifft das Paradoxe des Themas, wenn er erklärt: »Wäre unsere biologische Evolution auch nur um einen bloßen Faktor Zwei langsamer gewesen im Verhältnis zur Entwicklungsrate der thermonuklearen Evolution der Sonne, wäre bereits alles zu spät gewesen, bevor wir die Chance gehabt hätten, in Erscheinung zu treten.«19
Das anthropische Prinzip wird häufig als »steril« und »abwegig« bezeichnet und von vielen allenfalls in seiner »schwachen« Spielart akzeptiert. Zumindest einige wenige Wissenschaftler hängen jedoch Hendersons Überzeugung an, daß hinter den kosmischen Koinzidenzen, die für die Erhaltung des Lebens verantwortlich sind, mehr steht als ein bloßer Selektionseffekt.
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»Das Universum ist an den Menschen angepaßt«, erklärt John Wheeler.
20»Man stelle sich ein Universum vor, in dem die eine oder andere der kleinsten elementaren Konstanten der Physik nur um wenige Bruchteile verändert wäre. Der Mensch hätte in einem solchen Universum nie entstehen können. Das ist der zentrale Punkt des anthropischen Prinzips. Dieses Prinzip besagt, daß bereits im Kern der gesamten Maschinerie des Universums und der Gestaltung der Welt ein lebengebender Faktor liegt.«
Auch Paul Davies meint, daß »offenbar ein verborgenes Prinzip am Werk ist, das den Kosmos in kohärenter Weise organisiert«.
21»Man kann sich kaum des Eindrucks erwehren, daß etwas da ist — ein Einfluß, der fähig ist, die Raumzeit und die Beschränkungen der relativistischen Kausalität zu transzendieren —, das bereits im Augenblick der Schöpfung einen Überblick über den gesamten Kosmos besitzt und alle die kausal unzusammenhängenden Teile so manipuliert, daß sie nicht gleichzeitig mit derselben Kraft wieder in sich zusammenstürzen, und das dennoch nicht so exakt koordiniert ist, daß es die geringfügigen Unregelmäßigkeiten ausschlösse, die schließlich die Galaxien formten — und uns.«
Von diesem Blickwinkel aus müßten alle die kosmischen Koinzidenzen, auf denen das anthropische Prinzip basiert, sich ausschließlich und folgerichtig aus den Initialzuständen hergeleitet haben, die auf den Urknall folgten. Wir leben nicht nur durch und von der dünnen Schicht der Biosphäre, die wie ein zarter Film an diesem Planeten haftet, sondern durch eine mit großer Präzision organisierte Kombination kosmischer Bedingungen, die sich im Lauf der letzten fünfzehn bis zwanzig Milliarden Jahre in der genau richtigen Weise entfaltete.
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Das Leben geht bis auf das subtile Materie-Energie-Kontinuum zurück, das am Anbeginn der Zeit entstand; es ist dort keimhaft enthalten wie ein Samenkorn in dem Boden, der es einst zum Wachsen und Blühen bringen wird. George Seielstad ging so weit, eine Variante des anthropischen Prinzips zu erarbeiten, die an Bishop Berkeleys berühmte Rätselfrage erinnert: Gibt es Klang ohne ein Ohr, das ihn hört, oder ein Objekt ohne Augen, die es sehen oder Hände, die es fühlen? Seielstad gibt der Frage eine kosmische Dimension: Ist das bewußte Leben nicht ein ebenso fundamentales physikalisches Merkmal des Universums wie Zeit oder Raum? In Abwesenheit des bewußten Lebens existierte vielleicht nichts. Das Ziel eines nach Realität strebenden Universums muß es daher sein, beobachtende Intelligenz hervorzubringen. Es ist die Präsenz des Bewußtseins, die »ein Universum vor dem Nichtsein rettet, indem es die Existenz dieses Universums erkennt und bezeugt«. In diesem Sinn - so Seielstad - besteht innerhalb der Natur ein »Bedarf« für uns.22
Das Verhältnis von Leben, Bewußtsein und Materie wird hier völlig anders gedacht als innerhalb der konventionellen materialistischen Weltauffassung, die der Materie keine Geschichte und kein Entwicklungspotential zugesteht, sondern sie als ein ewig fortdauerndes Gleiches betrachtet, innerhalb dessen nur zufällige Kombinationen möglich sind. Das anthropische Prinzip operiert innerhalb einer »postphysikalischen« Physik, in der die Materie soweit entmaterialisiert ist, daß sie gewisse Attribute des Bewußtseins annimmt, zum Beispiel die Fähigkeit zu reifen, Erfahrung zu akkumulieren, sich zu erinnern. Im anthropischen Universum wird der materiellen Substanz der Natur eine geschichtliche, ja erfinderische Qualität zugestanden, eine biographische Dynamik, die den Stoff zu seiner gegenwärtig komplexesten Ausdrucksform in Gestalt des Menschen erhebt — und vielleicht in Gestalt anderer intelligenter Lebensformen, die möglicherweise im Kosmos existieren.
Das Neue am anthropischen Prinzip ist die Tatsache, daß es Leben und Bewußtsein ins Zentrum der Kosmologie rückt, als Phänomene, die man erklären und in Rechnung stellen muß. Das führt — selbst wenn man davon ausgeht, es sei lediglich eine rhetorische Formel — unweigerlich zu einer teleologischen Form des Diskurses:
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Das Universum ist so, wie es ist, weil es im Augenblick der Schöpfung auf uns hin ausgerichtet war, denn wäre es nicht so, dann wären wir nicht da. Es gab nur eine einzige, eng eingegrenzte Anordnung von Initialzuständen, die das ermöglichen konnte, nur einen schmalen Strang von Bedingungen, die zu diesem Resultat hinführen konnten.
Die Formulierung des anthropischen Prinzips hat zumindest eine wichtige Folge gehabt: Sie hat einigen Wissenschaftlern die Freiheit gegeben, sich zu ihrem ehrlichen Staunen über die außergewöhnliche Kombination von Faktoren, die der physischen Realität zugrunde liegen, zu bekennen, und offen zu fragen, ob diese Faktoren wirklich als »Zufälle« betrachtet werden können. Dies ist der Punkt, an dem die Wissenschaft eine Brücke zur Spiritualität schlagen kann, ohne auf eine nebel-haft-mystifizierende Sprache zurückgreifen zu müssen. Fred Hoyle, der einmal äußerte, mit den Widersprüchlichkeiten der organischen Chemie wolle man uns »veralbern«, erklärt, daß »eine von der Alltagsintelligenz ausgehende Interpretation der Fakten den Schluß nahelegt, ein Superintellekt habe mit der Physik und auch mit der Chemie und der Biologie herumgespielt«23.
Diese Bemerkung stammt aus seinem eigenen, bemerkenswerten Beitrag zum anthropischen Prinzip, einem der seltenen Beispiele für die Anwendung dieses Prinzips bei der wissenschaftlichen Hypothesenbildung. 1954 stellte Hoyle eine Berechnung über die Energiemengen an, die für die Verschmelzung schwerer Nuklei im Kern von Sternen notwendig sind. Er konzentrierte sich dabei auf C-12, das häufigste der beiden natürlich vorkommenden Kohlenstoffisotope, ohne die kein Leben möglich wäre. Da aber Leben existiert — so Hoyles Hypothese —, mußte C-12 auf der Ebene der Elementarteilchen eine gewisse »Resonanz« haben (die zu jener Zeit noch nicht entdeckt worden war).
Hoyles Hypothese konnte durch Experimente verifiziert werden. Dieses Forschungsergebnis war die Voraussetzung für alle weiteren Entdeckungen im Bereich der stellaren Nukleosynthese, der Entstehung schwerer chemischer Elemente im Inneren von Sternen.
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Die Experimente zeigten außerdem, daß das Vorkommen von Kohlenstoff im Universum auf einigen sehr fein abgestimmten, höchst überraschenden chemischen Bedingungen beruht, Bedingungen, die Hoyle zu der Bemerkung veranlaßten:
24»Ich glaube nicht, daß irgendein Wissenschaftler, der die Fakten untersucht, zu einem anderen Schluß kommen könnte als dem, daß die Gesetze der nuklearen Physik bewußt gestaltet sind, im Hinblick auf die Ergebnisse, die sie im Inneren von Sternen produzieren. Wenn dem so ist, dann sind die scheinbar abwegigen Phänomene, denen ich auf die Spur gekommen bin, Teil eines verborgenen Planes. Wenn nicht, dann sind wir wieder bei unserer monströsen Kette von Zufällen.«
Noch hat das anthropische Prinzip keinen sicheren Platz innerhalb der wissenschaftlichen Theorie; vielleicht wird es diesen Platz nie finden. Die aristotelische Wissenschaft führte mit großer Selbstverständlichkeit eine »Finalität« in ihre Erklärungsmodelle ein, eine Zielgerichtetheit und Zweckbestimmtheit der Dinge. Aristoteles bediente sich des Finalitätsbegriffs, ohne auf einen Schöpfergott zurückzugreifen, oder zumindest ohne ihm eine hervorragende Stellung einzuräumen. Aber die Berufung auf eine Causa finalis liegt, wie Stephen Hawking betont, »quer zum Verlauf der gesamten Wissenschaftsgeschichte«. Die Vertreter des starken anthropischen Prinzips machten geltend, »daß diese ganze gewaltige Konstruktion nur um unseretwillen da ist. Das ist sehr schwer zu glauben«25.
Besonders unglaubwürdig wird es dann, wenn das Prinzip bis an die Grenzen der Science-fiction ausgedehnt wird, wie es John Barrow und Frank Tipler mit ihrer Formulierung des »finalen anthropischen Prinzips« tun. Diese These geht davon aus, daß es dem intelligenten Leben, wenn es einmal in Erscheinung getreten ist, bestimmt sei, ewig weiterzuexistieren und seine Kräfte zur Neugestaltung des gesamten Universums zu nutzen. Wie einige andere stärker zur Spekulation neigende Kosmologen spielten auch Barrow und Tipler mit der Idee, das anhropische Prinzip mit Teilhard de Chardins »Omegapunkt« — dem Kulminationspunkt des Evolutionsprozesses — in Verbindung zu bringen.
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In diesem Augenblick der höchsten Steigerung, so Barrow und Tipler, wird
alle Materie und alle Kräfte gewonnen haben, nicht nur in einem einzigen Universum, sondern in allen Universen, deren Existenz logisch möglich ist; das Leben wird sich in allen räumlichen Bereichen aller Universen, die logisch existieren könnten, ausgebreitet haben, und es wird eine unendliche Menge an Informationen gespeichert haben, einschließlich des kleinsten Teilchens Wissen, über das zu verfügen logisch möglich ist. Und das ist das Ende. (...) Ein Theologe unserer Tage würde es vielleicht so ausdrücken, daß das Leben am Omegapunkt allmächtig, allgegenwärtig und allwissend ist.«26»das Leben die Kontrolle über
Barrow und Tipler sind vielleicht nur der Faszination ihrer rauschhaften teleologischen Phantasien erlegen, aber ihre Worte vermitteln einen lebhaften Eindruck davon, wie weit der suchende Geist unter der Führung des anthropischen Prinzips in die Nebelzone der Metaphysik hineintreiben kann. Vielen erscheint es jedoch abwegig, auf einer so dürftigen Basis so hohe spirituelle Hoffnungen aufzubauen.
Seit den Tagen David Humes sammelten Philosophen ein ganzes Waffenarsenal geschliffener Argumente an, um den ehrwürdigen teleologischen Gottesbeweis zu widerlegen. Hume selbst gebrauchte dieses Arsenal übrigens gar nicht so sehr, um die Existenz eines Weltenplans in Frage zu stellen, sondern vielmehr um die Dogmen zurückzuweisen, die christliche Theologen darauf aufgebaut hatten.
Aber obwohl Humes Argumente sich trefflich dazu eigneten, die konventionelle christliche Theologie in die Enge zu treiben, mußten alle Widerlegungen des teleologischen Gottesbeweises letztlich ein anderes, besseres Erklärungsmodell für die Ordnung anbieten, die die Wissenschaft selbst in der Natur entdeckte. Das wurde, wie wir hier zeigten, immer schwieriger, da die Berufung auf den Zufall immer mehr an Beweiskraft verlor. Folglich versuchten einige Wissenschaftler (wie Hoyle, Wheeler, Barrow und Tipler) zumindest einen Grundzug der religiösen Position in ihre Erklärungsmodelle hineinzunehmen: daß aufgrund der neueren Entdeckungen nämlich zunehmend der Eindruck entsteht, als gründe sich das Universum auf einen immateriellen, intentionalen Schöpfungsakt.
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Das Problem, das wir hier erörtern, ist mit einer Schlüsselfrage verbunden, die das anthropische Prinzip uns nicht beantworten wird. Es ist keine Frage der Fakten oder der Theorie, sondern der Bereitschaft zu glauben. »Blinder Glaube« ist eine Kategorie, die wir gewöhnlich dem Bereich der Religion zuordnen, und hier ging die Bereitschaft zu glauben sogar soweit, daß man die absolute Gültigkeit des Absurden beteuerte — mit Stolz sogar, um den Grad der eigenen Frömmigkeit zu demonstrieren.
Andererseits sind Glaubenshaltungen oder Überzeugungen — ob sie sich auf allgemeine Prinzipien, übergeordnete Wertvorstellungen und Ideale oder auf die Aussagen anerkannter Autoritäten berufen — für uns alle das vorherrschende Mittel, der Welt, die uns umgibt, Sinn zu entnehmen. Glaubenshaltungen und Überzeugungen liefern uns allen, den Frommen und den Skeptikern gleichermaßen, den Bezugsrahmen, mit dessen Hilfe wir zwischen widersprüchlichen Informationen wählen und das, was wir für gültig halten, zu einem sinnvollen Muster arrangieren.
Normalerweise besteht in bezug auf ein sehr breites Spektrum von Inhalten ein allgemeiner Konsens, der verhindert, daß unser Glaube zu einer »Prüfung« wird. Wir vertrauen auf unsere solide Wahrnehmung oder wir akzeptieren das, was gesellschaftlich anerkannte Experten uns sagen. Manchmal wird dieser allgemeine Konsens jedoch fragwürdig; dann erkennen wir, daß Dinge, die wir für feststehende Tatsachen hielten, vielleicht doch nur auf einem Komplex unhinterfragter apriorischer Annahmen beruhen. Dreht sich die Sonne um die Erde oder die Erde um die Sonne?
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Werden Aristokraten mit besserem Blut geboren als Gemeine? Ist das Papsttum in Fragen des Glaubens und der Moral unfehlbar? Wenn gewisse Schwellenzustände erreicht werden, fragen wir uns, warum wir glauben, was wir glauben. Möglicherweise entdecken wir dann, daß Ängste und emotionale Bedürfnisse, Ticks und Einbildungen, intellektuelle Arroganz und Vorurteile an den Wurzeln unserer Überzeugungen liegen. Selbst Unglaube kann auf ein leidenschaftlich verteidigtes ideologisches Prinzip zurückgehen. Eine skeptische Grundhaltung kann unter Umständen mit derselben Arroganz verteidigt werden wie religiöser Dogmatismus.
Es klingt paradox, aber man kann fest daran »glauben«, daß es richtig sei, nicht zu glauben, daß militante Skepsis — zumindest den Glaubensinhalten anderer Leute gegenüber — die einzig gerechtfertigte Haltung sei. Und dennoch legen eingefleischte Skeptiker, die religiöse Gläubigkeit verachten, manchmal eine verblüffende Bereitwilligkeit an den Tag, nicht-theistischen Erklärungsmodellen auch dann zuzustimmen, wenn diese den Punkt des Absurden erreichen. Wenn es um die Rolle des reinen Zufalls in der Ordnung der Natur geht, stehen Wissenschaftler den Frommen in ihrer Fähigkeit, sich als wahre Gläubige zu erweisen, nicht nach; sie gestehen der Willkür und dem zufälligen Zusammentreffen dieselbe schöpferische Macht zu, die einst nur Gott zugeschrieben wurde.
Ebenso wie in der Religion ist auch in der Wissenschaft ein Faktor am Werk, den man den »Gläubigkeitsindex« nennen könnte. Nehmen wir an, wir versuchten zu ergründen, wie die offensichtlich sinnvolle Geordnetheit natürlicher Phänomene durch reinen Zufall entstanden sein könnte. Es gelingt der Wissenschaft bei einigen Problemen, den Zufall als völlig ausreichende Erklärung erscheinen zu lassen. Wie erklären wir uns beispielsweise die Tatsache, daß innerhalb einer Population von Säugetieren auf längere Sicht genau die gleiche Anzahl von weiblichen und männlichen Tieren geboren wird? Müssen wir dieses bemerkenswerte Resultat mit einer Art göttlicher Oberaufsicht begründen? Absolut nicht, sagt die Wissenschaft. Wenn wir einmal verstanden haben, welche Rolle die Chromosomen im genetischen Prozeß spielen, liegt es auf der Hand, daß dieses Ergebnis in der Tat rein zufällig sein kann.
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Wir sehen nämlich, daß jede befruchtete Eizelle eine Chance von 50:50 hat, sich zu einem weiblichen oder männlichen Exemplar der Gattung zu entwickeln.
Aber gehen wir nun zu komplexeren Zusammenhängen über: Wie kam der komplizierte genetische Code, der Merkmale wie die sexuelle Physiologie steuert, überhaupt zustande? Wie erklären wir den Prozeß, der dafür sorgt, daß alle Teile des Fötus — ob weiblich oder männlich — sich in der richtigen Wachstumsrate am richtigen Ort entwickeln? Können wir uns vorstellen, daß ein so komplexes System aus der willkürlichen Zusammenballung chemischer Elemente entstand? Stellen wir uns eine Skala vor, an deren einem Ende, sagen wir, ein christlicher Theologe wie John Polkinghorne steht, und deren anderes Ende durch einen eingefleischten Atheisten wie Jaques Monod markiert ist. An welchem Punkt dieser Skala würden Sie erklären: »Das kann ich nicht glauben!«?
Für jene, die an solchen Dingen interessiert sind: Dieser Gläubigkeitsindex könnte sogar quantifiziert werden. Wie wir auf den vorangegangenen Seiten sahen, stellten einige Wissenschaftler — wie Hoyle und Salisbury — Berechnungen über die Wahrscheinlichkeit der »spontanen« Entstehung von Leben an, die wir zu diesem Zweck heranziehen können. Die Verhältniszahlen erreichten ein astronomisches Niveau, das heißt, ein astronomisches Niveau von Unwahrscheinlichkeit. Zu ähnlichen Ergebnissen kam auch Christian de Duve, als er die kombinierte Wahrscheinlichkeit einer Serie hypothetischer, aber notwendiger »biogenischer« Schritte für die spontane Entstehung von Leben errechnete, die in genau der richtigen Reihenfolge stattfinden mußten. Die Zahlen, zu denen er kam, »grenzten an 10-300 für nur tausend aufeinanderfolgende Schritte«. Duve schloß daraus, daß ein »mehrstufiger Prozeß, bei dem ein unwahrscheinliches Ereignis auf das andere folgt, zwangsläufig früher oder später abbrechen muß«. 27)
Über das Wort »zwangsläufig« würden manche Wissenschaftler sich zweifellos auf eine Auseinandersetzung einlassen. Sie würden darauf bestehen, daß gesagt werden müsse, ein solcher Prozeß werde »wahrscheinlich« abbrechen, nicht aber »zwangsläufig«; eine minimale Wahrscheinlichkeit bestehe immer, daß der Zufall die Dinge in die Richtung lenkte, die sie dann tatsächlich einschlugen.
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Mit Hilfe derselben Logik, auf die das anthropische Prinzip sich beruft, könnten Gläubige wie Monod vom ersten Grundsatz des atheistischen Prinzips her argumentieren: Da kein Gott existiert, beweist die Existenz komplexer Strukturen, des Lebens und des Bewußtseins nur, was der Zufall alles hervorbringen kann. Auf eine solche abschließende Feststellung kann man nicht mehr antworten, aber darum geht es an dieser Stelle nicht. Was wir hier betrachten wollen, ist das Ausmaß an persönlichem Glauben oder individueller Überzeugung, das sich manifestiert, wenn wir mit der Komplexität natürlicher Systeme konfrontiert sind, wie die Wissenschaft sie uns zeigt.
Finden wir es glaubwürdig, daß das, was wir hier vorfinden, das Resultat reinen Zufalls sein kann? Jene, die mit Ja antworten, werden das anthropische Prinzip allenfalls in seiner schwachen Spielart gelten lassen. Und jene, die sich zu einer so eindeutigen Antwort nicht entschließen können, werden seine starke Variante vorziehen. Selbst der Philosoph John Earman, der das anthropische Prinzip als »leeres Geschwätz« und »wirre Spekulation« abtut, erkennt die Schlüsselrolle an, die das »Staunen darüber, wie subtil die Naturgesetze auf die Erhaltung des Lebens abgestimmt sind«, innerhalb der Hypothese einnimmt. Aus diesem Staunen, so meint er, sei das anthropische Prinzip geboren, das er aber dennoch als bloße Überbetonung der Selektionswirkung zurückweist. wikipedia John_Earman *1942
»Man stelle sich das Staunen einer Gattung von Schlammwürmern vor«, fordert Earman uns auf, »die entdecken, daß sie nicht existieren könnten, wenn der Wärmeleitfähigkeitskoeffizient ihres heimatlichen Schlamms nur um einen Bruchteil kleiner wäre.«28 Aber dieses Argument geht am Wesentlichen vorbei. Bewußtsein ist im anthropischen Prinzip von essentieller Bedeutung; die Existenz rationalen Selbst-Gewahrseins ist die Grundprämisse, von der die Hypothese ausgeht. Schlammwürmer haben vermutlich keine Vorstellung davon, wie bemerkenswert sie als Element des gestalteten Kosmos sind; ihnen fehlen die Voraussetzungen für dieses Staunen: Selbstgewahrsein, Neugier, deduktive Intelligenz.
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Trotzdem ist die Existenz jeder Lebensform der Bewunderung und des Staunens würdig, auch wenn die fragliche Spezies nicht über Emotionen verfügt. Das anthropische Prinzip geht davon aus, daß wir hier sind, um eben diese Qualität zur Verfügung zu stellen; wir können sogar noch weiter gehen und uns wundern, daß wir des Staunens fähig sind. Die außerordentlichen »Koinzidenzen«, die für die Entstehung der zum Staunen fähigen Spezies verantwortlich sind, liegen für viele, auch für eine wachsende Zahl von Wissenschaftlern, weit jenseits des Bereichs, der durch das Wirken des Zufalls erklärt werden kann.
In dieser Phase der Geschichte der neuen Kosmologie rangieren die meisten Wissenschaftler noch ganz oben auf dem Gläubigkeitsindex, wenn es gilt, dem Zufall die Tatsache zuzuschreiben, daß »überhaupt Seiendes« im Universum ist »und nicht vielmehr Nichts«. Durch die offene Anerkennung, wie großartig dieses »Seiende« strukturiert ist, erhält ihre professionelle Vorsicht jedoch häufig die Färbung eines zumindest abstrakten Staunens. Charles Misner, der die Vorstellung einer Zielgerichtetheit im Universum für religiöse Spekulation hält, gesteht immerhin zu, daß »man die ganze Sache mit einem gewissen Respekt und mit Ehrfurcht betrachten sollte. (...) Es ist großartig und prachtvoll, und man sollte es nicht als selbstverständlich hinnehmen«29.
Dieses Eingeständnis ist anrührend ehrlich — und gleichzeitig erbärmlich lasch. Es ist typisch für eine Wissenschaft, die zwischen den alten agnostischen Traditionen und dem neugefundenen Staunen gefangen ist. Dennoch zeigt sich darin ein Wandel der Sensibilitäten. Im Lauf der letzten beiden Jahrzehnte hat die neue Kosmologie in dem Maß, in dem ihre ganze Tragweite spürbar wurde, enorme Ergüsse theologisch gefärbter Spekulation hervorgebracht; ein großer Teil davon stammt von Wissenschaftlern. Das Wort »Gott«, oft ironisch zitiert oder als »letzte Ursache« umschrieben, ist in der wissenschaftlichen Literatur seit den Tagen Newtons und Voltaires vermutlich nie mit dieser Häufigkeit aufgetaucht. Aber diese Öffnung zum Spirituellen hin ist nicht die Regel. Die meisten Wissenschaftler vertreten eine Orthodoxie mit unverkennbaren »Macho«-Zügen, die von Russells »unbeugsamem Verzicht auf Hoffnung« oft genug zu unbeugsamer Feindseligkeit übergeht.
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Auf eine traurige Weise entlarvend sind Dennis Sciamas Worte: »Lassen Sie es mich in einfachen Worten sagen: Das Universum ist enorm; es ist viel stärker als Sie, und der einzige Weg, ihm eins zu verpassen, ist, es zu begreifen.«30)
Als Lawrence Henderson seine ersten Überlegungen über die Angemessenheit der Umwelt anstellte, kam er zu der weisen Erkenntnis, daß Sensibilität in der Wissenschaft von ausschlaggebender Bedeutung sei. An den Schluß seiner Studie stellte er die Worte seines Freundes und Kollegen, des Evolutionsphilosophen Josiah Royce:
»Betrachtet man alle diese Dinge in deskriptiver Weise, sieht man nichts als Materie, die sich von Stufe zu Stufe bewegt, und jede dieser Stufen enthält in ihrer vollen Beschreibung immer die Notwendigkeit des Übergangs zur nächsten. (...) Aber wenn man das Ganze in würdigender Weise betrachtet, historisch, synthetisch, so wie ein Musiker eine Symphonie hört oder ein Zuschauer ein Schauspiel verfolgt, dann will es doch so scheinen, als sei man Zeuge einer Geschichte in phänomenologischer Form geworden.«
Die Fähigkeit oder zumindest die Bereitschaft, die Natur mit ästhetischer Sensibilität zu betrachten, ist heute in der Wissenschaft genauso selten wie zu Hendersons Zeit. Aber zumindest haben Hendersons Biochemie und die neue Kosmologie im zwanzigsten Jahrhundert ihre Kräfte vereint, um die Geschichte des Lebens im Universum für jene, die nicht an die Omnipotenz des Zufalls glauben können, überzeugender darzustellen denn je zuvor.
Die Entdeckungen und Ideen, an die das anthropische Prinzip untrennbar gebunden scheint, werden von einigen Wissenschaftlern immer noch in Zweifel gezogen: der Urknall, die kosmische Evolution, die kalte »dunkle Materie«, sogar die Standardinterpretationen des Doppler-Effekts und der Mikrowellenhintergrundstrahlung.31) Wenn einer dieser Hauptpfeiler der neuen Kosmologie ernsthaft ins Wanken geraten sollte, müßte das anthropische Prinzip vielleicht aufgegeben werden.
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Wissenschaft ist schließlich ein empirisches Vorhaben und somit immer vorläufig. Errol Harris führt dagegen das Argument an, solange das Universum sich der ernsthaften wissenschaftlichen Forschung als permanent fortschreitende Hierarchie ineinandergreifender Systeme präsentiere, demonstriere es auch eine Ordnung, die jedes Paradigma, das sich auf Zufall oder Wahrscheinlichkeit gründet, in Frage stellt.32
Nur jene, die auf dem Gläubigkeitsindex weit oben rangieren, werden an der Überzeugung festhalten, daß Bewußtsein im Kosmos aus willkürlichen Ballungen uranfänglicher Materie resultiert. Natürlich würde dieser Glaube gestärkt, wenn die Urknalltheorie sich als falsch erweisen und Zeit wieder in unbegrenzten Mengen zur Verfügung stehen sollte. In einem ewigen und statischen Universum könnte alles geschehen; jedes Atom könnte, wie Boltzmann glaubte, schließlich an seinen Platz gelangen, ohne daß mehr als Gravitation als lenkende Kraft an dem Prozeß beteiligt ist. Und selbst dann würden viele noch sicher sein, daß doch »mehr dahinterstecken« muß.
Aber wenn wir davon ausgehen, daß Zeit einen Anfang und eine Geschichte hat, dann war — in einer Weise, für die es in der Wissenschaft noch keine eindeutig klärende Sprache gibt — das Bewußtsein, das mich befähigt, diese Worte zu schreiben, und das Sie befähigt, sie zu lesen, immer da, eingebettet in die erste Strahlung, die in die Leere hinausging, um den Raum zu schaffen.
Die Entwicklungsgesetze und -muster waren da, der strukturschaffende Impuls der Zeit war da, um dieses Ergebnis hervorzubringen. Wenn wir jetzt auf den Verlauf der kosmischen Geschichte zurückblicken, um die Hintergrundstrahlung im tiefen Raum zu studieren oder die stürmische Expansion der fernsten astronomischen Körper, dann bedienen wir uns dazu eines Bewußtseins, das aus eben diesem Prozeß geboren wurde, und wir nehmen das, was wir sehen, als eine Idee in uns auf: die Idee des Kosmos. Sie ist da und wir denken sie. Wir sind diese inhärente Möglichkeit des Bewußtseins, die sich an diesem Zeithorizont verwirklicht hat. Das Bewußtsein ist keine unbedeutende Zuckung in einer toten Leere — nein, es war von Anfang an da, nahm im Verlauf des gesamten kosmischen Prozesses Gestalt an.
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Platon lehrte, daß wir rationale Wesen sind, weil in unserem Geist ein kleiner, unvollkommener Teil jenes großen Geistes, der dem Kosmos Gestalt gibt, enthalten ist. Obwohl es aus der Sicht des wissenschaftlichen Denkens immer noch sonderbar erscheinen mag, das immense Projekt des Universums auf diese Weise zu betrachten, kann diese Betrachtungsweise doch nicht mehr als völlig abwegig abgetan werden. Vielleicht steht nur unsere alte Gewohnheit zu glauben, daß Intelligenz ihren Sitz in einem physischen Organ haben müsse, dieser anderen Betrachtungsweise im Weg.
Aber auch die Vorstellung, daß Intelligenz an ein physisches Organ gebunden sei, könnte letztlich so fragwürdig werden wie die einst unbezweifelte Annahme, eine Welle könne nur dann existieren, wenn sie innerhalb eines materiellen Mediums — Wasser oder Äther — agiert. Das Wort »Welle« wurde aus dem Bereich der Alltagserfahrung als Metapher übernommen und schließlich von seiner physischen Matrix abgelöst. Können wir uns in bezug auf das Denken etwas ähnliches vorstellen?
Zu Anfang unseres Jahrhunderts sagte der Physiker und Philosoph James Jeans, ihm erscheine das Universum »nicht wie eine große Maschine, sondern eher wie ein großer Gedanke«. Arthur Eddington, einer der großen Wissenschaftler der Moderne, der dem Spirituellen nicht ablehnend gegenüberstand, schloß sich dieser Auffassung mit der Bemerkung an: »Der Stoff der Welt ist Geist-Stoff.« Dies waren Einsichten, die ihrer Zeit vorauseilten. Seither ist unser Wissen über die Systeme, Strukturen und Prozesse des Universums weit vorangeschritten, und so erscheint seine Qualität uns nun tatsächlich eher ideational als mechanistisch.
Obwohl anthropomorphe Metaphern uns für die Ideenbildung vielleicht nicht mehr geeignet erscheinen, bewegen wir uns mehr und mehr dahin, die Natur in ihren übergeordneten Wirkungsweisen und Prozessen als bewußtseinsartig zu begreifen. Wo der Materialismus nur simple Interaktionen zwischen disparaten Elementen sah, nehmen wir komplexe Formen der Organisation und Selbstregulierung wahr, Systeme, die von Anbeginn der Zeit an potentiell da waren und die so tief in der Natur verankert sind, daß wir ihr Wirken vielleicht noch in scheinbar völlig chaotischen Phänomenen entdecken werden.
Die mechanistische Wissenschaft konnte nur auf der physischen Ebene Kontinuitäten zwischen dem Menschen und der natürlichen Welt wahrnehmen, aber wir können uns jetzt eine höhere Verbindung auf der Ebene des Geistes vorstellen. Bewußtsein im Inneren und Bewußtsein im Kosmos greifen bei der Wahrnehmung von Gestalt und Ordnung ineinander. Wissenschaft wird in Zukunft vielleicht als das Bemühen verstanden werden, so zu denken, wie das Universum denkt.
Für die breite Öffentlichkeit und für die meisten Wissenschaftler wird das anthropische Prinzip vermutlich ein abstraktes erkenntnistheoretisches Gebilde bleiben, intellektuell faszinierend, aber emotional wenig ansprechend. Es verkörpert zwar einen großen Teil der spannendsten Aspekte des gegenwärtigen kosmologischen Denkens — der Intellekt ist angesichts des großen Ausblicks auf die kosmische Evolution in anspruchsvollster Weise gefordert —, aber die Tatsache, daß es »schwach« interpretiert und dann als erkenntnistheoretische Kuriosität abgetan werden kann, unterminiert seine Stellung sowohl in der Wissenschaft als auch in der Philosophie.
Näher vor unserer Haustür finden wir allerdings eine ebenso fesselnde wissenschaftliche Entdeckung, die in philosophischer Hinsicht überaus vielversprechend ist: die Gaia-Hypothese, der wir uns nun als nächstes zuwenden werden. Auch sie eröffnet den Blick auf eine neue Beziehung zwischen der menschlichen und der nichtmenschlichen Welt, aber mit sehr viel mehr mythologischen und ästhetischen Anklängen als das anthropische Prinzip. Die Gaia-Hypothese lädt uns ein, uns nicht als »angsterfüllte Fremde in einer Welt, die wir nicht geschaffen haben«, zu verstehen, sondern uns als koevolutionäre Partner in der Geschichte eines Planeten zu betrachten, der vom Leben mitgeschaffen und mitgestaltet wurde.
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Von Theodore Roszak 1992