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1.  Amerikas weltweiter Angriffsplan

Theodore Roszak 2003

 

»Saddams Sturz eröffnet die Möglichkeit einer Neuordnung des Nahen Ostens. Doch wenn diese andere Zukunft für den Nahen Osten Wirklichkeit werden soll, müssen wir und unsere Verbündeten uns verpflichten, den Völkern dieser Region zu helfen, ihre Heimat umzugestalten. Darin liegt die sicherheitspolitische Herausforderung — und die moralische Mission — unserer Zeit.«  -- Condoleezza Rice, Nationale Sicherheitsberaterin von George W. Bush, bei ihrer Rede am 8.8.2003 in Houston, Texas

»Wir sind ein unglaublich wohl­wollendes Imperium. Das ist keine Selbst­beweih­räucherung, sondern eine Tatsache, die sich schon darin zeigt, wie andere Nationen die Entfaltung unserer Macht begrüßen.«  -- Charles Kraut­hammer, neokonservativer Journalist in The Weekly Standard vom 4.6.2001

 

Die Kriege in meinem Leben  

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Ich wurde 1933 geboren, also in dem Jahr, in dem sowohl Franklin D. Roosevelt als auch Adolf Hitler an die Macht kamen. Zu jener Zeit gehörte mein Vater zu »Amerikas vergessenen Männern«. Er war einer von mehreren Millionen, welche die Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre in Arbeitslosigkeit, Armut und Verzweiflung getrieben hatte. Für meine Familie waren die sozialen Maßnahmen von Roosevelts New Deal ganz klar ein sinnvolles Wiederauf­bauprogramm, eine mutige Maßnahme der Demokratischen Partei, um die drängendsten Haushaltsreformen in der bisherigen Geschichte Amerikas zu bewerkstelligen. Doch während die Regierung Roosevelt noch darum kämpfte, die wirtschaftliche Stagnation im Land zu überwinden, tat sich in Europa ein neuer Krisenherd auf, der viel Blut und Geld kosten und schließlich der Großen Depression ein Ende bereiten würde. 

Die Nazis steuerten auf einen Krieg zu, der die Vereinigten Staaten stärker verändern sollte als alle Reformen des New Deal.

Als ich in das Alter kam, in dem man beginnt, sich ernsthaft für das Geschehen um einen herum zu interessieren, standen bereits alle Zeichen auf Krieg. Alles, was ich in meiner Kindheit über die Welt lernte, war zutiefst von der Erfahrung des Krieges geprägt. Der Kriegseintritt hing deshalb über uns wie ein Damoklesschwert, und dann war es eines Tages wirklich so weit. Wie alle Kinder war ich natürlich patriotisch bis ins Mark — und mit gutem Grund.

Während des Zweiten Weltkriegs sah ich mein Land immer mehr als Verteidiger der Zivilisation. 

Als die Vereinigten Staaten 1941 in den Krieg eintraten, waren all unsere Verbündeten entweder geschlagen oder in Abhängigkeit geraten, und es galt, sie aus den Klauen der faschistischen und imperialistischen Angreifer zu retten. Diese Angreifer standen für etwas, das ich heute noch als das schlechthin Böse betrachte, das es zu bekämpfen gilt. Während des darauf folgenden Kalten Krieges stellte sich die Welt in meinen Augen als verletzlich und hilflos dar. Fraglos akzeptierte ich die Argumentation meines Landes: Der Kalte Krieg ging von der Sowjetunion aus, und alle Länder der Welt brauchten die Vereinigten Staaten, um sich gegen sowjetische Aggression und subversive kommunistische Tendenzen im eigenen Land zu verteidigen. 

Junge Menschen sind für moralischen Absolutismus anfällig, vor allem, wenn die objektiven Gegebenheiten gar keinen anderen Schluss zuzulassen scheinen. Nähme Amerika nicht seine Rolle als Weltpolizist ein, würden dann nicht noch mehr Menschen überrannt und zu Geiseln des Sowjetregimes gemacht werden, wie dies in den Ländern Osteuropas der Fall war?

Als junger Mensch hatte ich mir, ohne mir dessen bewusst zu sein, die Haltung einer früheren Generation von Amerikanern zu Eigen gemacht. Meine Eltern hatten diese Einstellung quasi als Erbe des Ersten Weltkriegs übernommen, als die Länder Europas den Amerikanern als dem moralischen Verfall preisgegebene Gesellschaften galten, die weder den Willen noch die Kraft und die moralische Stärke aufbrachten, um ihre eigenen Probleme zu lösen. 

So tönte 1917 ein allseits beliebter Schlager: »The Yanks are Coming, the Yanks are coming, and we won't be back, till it's over there.« Und wann würde es vorüber sein? Natürlich erst, wenn die Yankees die Welt für die Demokratie gesichert und Europa auf den rechten Weg geführt hätten. Dann würden sie natürlich so schnell wie möglich wieder nach Hause marschieren.

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Erst als ich das College besuchte, wurden mir die Hintergründe des Kalten Krieges und das tödliche Wettrüsten, das die ganze Welt bedrohte, allmählich klarer. Schritt für Schritt wurde ich skeptischer und kritischer. Doch erst der Vietnamkrieg machte mich zum Sozialkritiker, zu einem Menschen, der bereit war, alles in Frage zu stellen, was seine Regierung ihm erzählte.

Wir sprechen von dieser Zeit immer noch als von den »sechziger Jahren«. Die USA litten zu jener Zeit unter demselben Generationen­konflikt, der auch so viele andere Länder erschütterte. Trotzdem lag in der Luft ein Hauch von Umsturz, von gesunder Veränderung. Als der lange Schrecken des Vietnamkriegs endlich vorbei war, sahen viele von uns hoffnungsfroh in eine Zukunft, die von einem neuen Zeitalter postindustrieller Werte geprägt schien. Wir glaubten an ein Amerika, das sich endlich von der Habgier der Konzerne und der Gewaltbereitschaft der Kriegsherrn im Pentagon befreien würde. 

Wir müssen nur einen Blick zurück tun und die Musik der damaligen Zeit hören, um zu begreifen, wie schöpferisch und frohgemut die Zukunftsentwürfe der jungen Leute damals waren. Die Rebellion der Gegenkultur von damals war vielleicht naiv, doch sie war von echtem Idealismus getragen. Die Bewegung hatte sich zum Ziel gesetzt, den Reichtum und die technologischen Errungenschaften der Industriegesellschaft zu nutzen, um die Armut ein für alle Mal zu besiegen und unser Leben aus den Zwängen von Konzerngier und Machtpolitik zu lösen.

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Nach der Erfahrung des Vietnamkrieges hätte ich es nie und nimmer für möglich gehalten, dass sich jemals wieder ein obskurer Militarismus der Regierung meines Landes bemächtigen könnte. Doch nun aber hat sie wieder einen Grund, der alles zu rechtfertigen scheint: den Krieg gegen den Terrorismus.

Wie konnte es so weit kommen?

Das ist die Frage, um die es in diesem Buch geht. An diesem Punkt möchte ich nur so viel sagen: Die lebensbejahenden Entwürfe der sechziger Jahre wurden von Kräften ausgehebelt, deren Cleverness und Macht von der Antikriegs-Bewegung massiv unterschätzt wurden. Utopia war nie so nah, wie viele von uns geglaubt hatten. 

Der Rauch über den Schlachtfeldern von Vietnam hatte sich noch nicht verzogen, als gesellschaftliche Elemente, welche die Ideale der Gegenkultur vollkommen ablehnten, sich schon ans Werk machten, um den Militär-Industrie-Komplex des Kalten Krieges wieder aufzubauen. Die großen Konzerne, die Kriegstreiber sowie eine jüngere Generation rechtskonservativer Intellektueller begannen bereits damals, den Grundstein für einen neuen Konservativismus zu legen, der sehr viel überzeugender und politisch viel rücksichtsloser sein würde als alles, was Amerika im zwanzigsten Jahrhundert erlebt hatte.

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Die Gegenkultur, die immer nur eine kreative Minderheit ihrer Generation umfasste, veränderte Amerika auf vielfältige und dauerhafte Weise. Sie trug dazu bei, die Vereinigten Staaten in eine multikulturelle Nation zu verwandeln. Sie schuf ein Klima, in dem Menschenrechte nicht mehr bloßes Lippenbekenntnis blieben, sondern unveräußerliches Grundrecht jedes Einzelnen wurden. Aus ihr gingen Bewegungen wie der Feminismus, die Schwulenbewegung und der Umweltschutz hervor, die heute noch aktiv sind.

Doch schon in den Achtzigern gewannen die Konservativen immer breitere Unterstützung von Seiten jener Amerikaner, die das soziale Wertesystem einer liberalen Gesellschaft nicht mehr teilten. Die Republikaner vereinten immer mehr Stimmen aus der Arbeiterklasse auf sich. Die so genannten »Reagan-Demokraten« waren männliche Arbeiter in mittleren Jahren. Außerdem zog die Republikanische Partei immer mehr Wähler eines Typs an, der völlig neu und recht problematisch war: der so genannte »Single-Issue-Wähler«, Wahlgänger also, die ihre Stimmabgabe von einem einzigen Thema abhängig machten, ganz egal, was sonst noch im Parteiprogramm stehen mochte. Es formierte sich eine scharfe Opposition gegen das Recht auf Abtreibung, gegen Waffenkontrolle, Rechte für Homosexuelle und Steuern jeder Art, gegen das Verbot des Schulgebets und Darwin auf dem Lehrplan et cetera.

Während die Liberalen sich noch verblüfft die Augen rieben und sich fragten, wie viele Menschen diese Themen zu mobilisieren vermochten, boten die Republikaner diesen enttäuschten, auf einen Stein des Anstoßes fixierten Wählern eine Heimat. Sie bestärkten diese Wähler in ihrem scheinbar »gerechten« Zorn, indem sie deren Einstellung mit Frömmigkeit und Patriotismus rechtfertigten. Gegen diese Entwicklung haben die Liberalen bis heute noch kein Mittel gefunden.

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Im Verlauf des zwanzigsten Jahrhunderts lernten drei Generationen von Amerikanern, Krieg als etwas zu sehen, was ihnen von anderen Ländern aufgedrängt wurde. So bildete sich die feste Überzeugung heraus, allein die Vereinigten Staaten besäßen die nötige Reinheit, Macht und moralische Autorität, um die Menschheit zu retten. Amerikas historische Mission war die des Starken, der dem Schwachen ritterlich zu Hilfe eilte.

Ich erinnere mich noch an Bilder aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs, die die amerikanische Güte strahlend zum Ausdruck brachten: Fotos von staubbedeckten amerikanischen Soldaten, die sich in den Bombenruinen ausruhen, mageren Kindern Schokoriegel schenken und einer verhärmten Mutter den Stahlhelm leihen, damit sie Wasser holen und ihr Baby waschen kann. Die Soldaten waren jung und gut aussehend. Eine Aura von lässigem, unrasiertem Edelmut umgab sie. Ganz normale junge Männer, der typische Junge von nebenan — der Highschool-Football-Held, der Automechaniker, der Lehrer. Sie waren Soldatenbürger, die ihr Leben riskierten, um den Hilflosen beizustehen.

Keineswegs boten sie das Bild von Berufsmilizionären, Eroberern und Konquistadoren, auf deren Schultern ein neues Imperium entsteht. Alles, was sie wollten, war, sich um ihre eigenen Angelegenheiten zu kümmern, eine Familie zu gründen und die einfachen Freuden des Lebens zu genießen. Als sie nach Kriegsende heimkehrten, feierten wir unsere Helden, einfache Menschen, welche den Truppentransportern entstiegen, um endlich Frau und Kind wieder zu sehen. 

Wo immer sie auch herkamen, ob aus Europa, Korea oder Vietnam, jedes Mal waren wir davon überzeugt, dass dies nun endlich das letzte Mal sein würde. Dieser Krieg war derjenige, der endlich alle anderen beenden würde.

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Die Amerikaner lieben einen Hauch von Menschlichkeit inmitten des Schreckens. So zeigen Bilder, auf denen unsere Soldaten sich mit der vom Krieg leidgeprüften Bevölkerung anfreunden, nicht selten im Hintergrund Häuser, die von amerikanischen Bombern und Panzern in Schutt und Asche gelegt wurden. Möglicherweise sind in der betroffenen Stadt Tausende von Zivilisten ums Leben gekommen, als der Tod vom Himmel auf sie herabregnete. Aber daran war ja nicht Amerika schuld: Wir haben das nur getan, um die »bösen Jungs« zu strafen. Niemand würde Amerika für diese Zerstörungen verantwortlich machen. Und sammelten wir nicht, sobald wir den Aggressor besiegt hatten, all die Trümmer wieder ein, setzten sie von neuem zusammen und heilten alle Wunden, bevor wir uns auf den Weg nach Hause machten?

 

   Komm zurück, Shane!  

 

So ziehen die Amerikaner immer in den Krieg, um »aufzuräumen« und dann schnell wieder nach Hause zurückzukehren. Der 1953 entstandene Film <Mein großer Freund Shane> ist eine geradezu klassische Adaption dieses unseres nationalen Mythos. Shane, der jugendlich blonde Held in weißem Hirschleder, kommt in eine Siedlung im Westen, wo er sich mit einem Schafzüchter und dessen Familie anfreundet, der von bösen Rinderbaronen bedroht wird. Am Ende schießt er beim großen Finale alle Bösewichte nieder, steigt schwer verwundet auf sein Pferd und reitet davon, ohne auch nur den Dank der Betroffenen abzuwarten. Joey, der kleine Sohn des Farmers, der Shane natürlich längst zu seinem Helden erkoren hat, läuft ihm im Sonnenuntergang hinterher und ruft: »Komm zurück, Shane! Komm zurück!« Doch Shane reitet unbeirrt weiter.

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Heute, zu Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts, sonnen die Amerikaner sich wieder einmal im Vollgefühl ihrer Macht und Tugend. Sie sehen einen weiten Horizont voller Konflikte sich vor ihnen öffnen, in denen Amerika wieder die Rolle des rechtschaffenen Revolverhelden spielen kann. Diese Konflikte werden als »Krieg gegen den Terrorismus« etikettiert, und die bösen Jungs sind schlimmer denn je. Amerikanische Armeen ziehen aus, um unterdrückte Nationen zu befreien und gemeine Schurken zu bestrafen, und der patriotische US-Bürger meint, den lange vergessenen Ruf aus alten Zeiten zu vernehmen: »Komm zurück, Shane!«  

Und wieder einmal werden große politische Themen auf simple Sprüche reduziert. Der Präsident (unser oberster Revolverheld) ruft uns in volkstümlichem Texanisch in den Krieg: »Zeig dich!«, ruft er Saddam Hussein aus sicherer Distanz zu. Die Bösen sind kaum mehr als mörderische Irre, deren Feindseligkeit keinen Grund und deren Gewalt keinen Sinn hat. Bärtige, dunkelhäutige Terroristen sind die neuen Nazis, die neuen Kommunisten. Osama bin Laden und Saddam Hussein nehmen ihren Platz neben dem deutschen Kaiser, Adolf Hitler und Josef Stalin ein.

Der durchschnittliche amerikanische Bürger glaubt naiverweise, dass der Krieg gegen den Terror schnell vorüber sein wird. Amerikanische Präsidenten und Generäle versprechen immer kurze Kriege. Auch der Vietnamkrieg hätte kurz sein sollen. Und nun hören wir dasselbe Versprechen wieder in Bezug auf den Irak. Der Kampf gegen den Terrorismus, so heißt es, mag kein Ende haben, doch jeder bewaffnete Einsatz — ob in Afghanistan, im Irak, in Syrien oder im Iran — wird im Nu wieder beendet sein. Im Gegensatz zum Vietnamkrieg, so lassen der Präsident und seine Berater uns immer wieder wissen, verfüge Amerika heute über den Willen und die militärische Überlegenheit, um den Krieg schnell und effizient zu gewinnen. Als das Dritte Infanterieregiment im März 2003 eingeschifft wurde, um den Irak einzunehmen, stand auf dem Schild über dem Haupteingang ihrer Militärbasis zu Hause: »Kick butt and hurry home!« — »Tretet sie in den Hintern und dann ab nach Hause!«

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Die Truppen werden herumgeschickt und im Rotationsverfahren ausgewechselt. Die Militärcamps wechseln den Ort, die Waffensysteme werden ausgebaut. All das geschieht gleichsam nebenher. Scheinbar unwichtige Aktivitäten an entlegenen Orten. Schließlich vergisst die Öffentlichkeit ganz, dass in mehr als hundert Militärcamps auf der ganzen Welt ständig mehrere Hunderttausend amerikanische Soldaten dauerhaft ihren Dienst tun. Hätte die Regierung von Nordkorea nicht vor kurzem ihrer nuklearen Ambitionen wegen Aufsehen erregt, wäre wohl nur sehr wenigen US-Bürgern klar gewesen, dass mehr als 30.000 Soldaten in Südkorea stationiert sind — und das seit mehr als fünfzig Jahren. (Und noch weniger wäre ihnen bewusst gewesen, dass die Südkoreaner die amerikanischen Truppen gern nach Hause verabschieden würden.) 

Ich nehme einmal an, dass auch nur sehr wenige Amerikaner wissen, dass unser Land immer noch 60.000 Soldaten in Deutschland und 20.000 Marine-Soldaten in Okinawa stationiert hat. Die amerikanische Öffentlichkeit hat nur eine sehr vage Vorstellung davon, dass ihr Land sich mittlerweile zur international am stärksten vertretenen Militärmacht seit den Tagen des britischen Empire entwickelt hat.

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Seit dem Zweiten Weltkrieg hat sich die amerikanische Militärmacht zu einem feststehenden, nicht zu übersehenden Faktor der internationalen Beziehungen entwickelt. Kein ernst zu nehmender Kommentator geht davon aus, dass sich dies in naher Zukunft ändern wird. Doch die Rolle der amerikanischen Militärmacht hat sich verändert. Früher war sie in verschiedene strategische Allianzen eingebunden. Doch nun wird sie im Hinblick auf Waffentechnologie und strategische Stützpunkte mehr und mehr auf unilaterale Weise eingesetzt.

Der Masterplan für das, was die CIA, die »worldwide attack matrix« nennt, den »weltweiten Angriffsplan«, sieht den Abzug von Truppen aus den nicht kooperationswilligen europäischen Ländern sowie den instabilen Ländern des Nahen Ostens vor. Stattdessen sollen neue »Operationsbasen« und »Zentrale Stützpunkte« gesucht werden, nach Möglichkeit dort, wo kleine und bedürftige Staaten sich aus finanziellen Gründen auf Langzeitvereinbarungen mit den USA einlassen müssen. Dazu gehören Staaten im Nahen Osten wie Katar, Bahrain und Kuwait sowie Usbekistan, Tadschikistan und Kirgisien in Zentralasien.

Die vormaligen Sowjetrepubliken erweisen sich für solche Militärstützpunkte als besonders attraktiv. So betreut das US-Militär mittlerweile Trainingscamps in Georgien, einem Staat, den es auch militärisch ausrüstet. Diese »train and equip«-Operationen, wie der Fachausdruck dafür lautet, sollen Georgien in die Lage versetzen, den Kaukasus zu stabilisieren. Kleine und arme Länder wie Sierra Leone oder Dschibuti dienen sozusagen als »Rangierbahnhof« für die amerikanischen Truppen, da ihre strategische Lage dem Pentagon erlaubt, von dort aus schnell Truppen in Gefahrenzonen zu entsenden. 

Auch auf den Philippinen und in Australien sollen neue amerikanische Militärstützpunkte entstehen. In vielen Fällen ist dazu nur ein Minimum an Aufwand nötig. Mitunter genügt schon eine Landebahn mit Zugang zum Meer, von der aus Hochgeschwindigkeits-Katamarane innerhalb eines einzigen Tages Tausende von Soldaten über lange Strecken an ihren Einsatzort transportieren können.

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Darüber hinaus gibt es neue Stützpunkte in Bulgarien, Polen und Rumänien, also im »neuen Europa«, wie Verteidigungsminister Donald Rumsfeld diese Staaten zu nennen beliebte. Diese Staaten sind nur allzu bereit, den nötigen Grund und Boden bereitzustellen und weiter keinen Ärger zu machen. In den allermeisten Fällen wird es dort nur wenige stationierte Truppen geben. Doch diese Stützpunkte sind jederzeit als Sammelplatz für Ausrüstung und Truppen verwendbar. Hinter der neuen Politik der strategischen Militärstützpunkte steht die erklärte Absicht, bei unvorhergesehenen terroristischen Angriffen zu schnellen Gegenschlägen bereit zu sein. Doch allein die Tatsache dieser unglaublichen militärischen Präsenz wird bei sämtlichen Verhandlungen auf internationaler Ebene eine immer größere Rolle spielen.

Die Vereinigten Staaten entwickeln »Interessen« noch an der abgelegensten Ecke der Welt. Anfang 2004 häuften sich die Berichte, dass amerikanische Spezialeinheiten zunehmend Antiterror-Trainingscamps in den Staaten Nordafrikas abhalten, in Algerien, Mali, im Tschad, im Niger, in Mauretanien, Marokko und Tunesien, da diese Region, die im Wesentlichen aus der unfruchtbaren Sahelzone besteht, sich als Rekrutierungszentrum für Al Qaida erwiesen hat. Am anderen Ende des afrikanischen Kontinents wird Dschibuti, ein Staat, den die meisten Amerikaner nicht einmal auf der Landkarte finden würden, zur neuen Heimat einer 1600 Mann umfassenden Task Force, die das Horn von Afrika überwachen soll.

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Und dann ist da noch der beinahe unsichtbare »Antidrogen-Krieg«, den die Vereinigten Staaten weitgehend mit Hilfe privater Söldner in Kolumbien führen. Diese globale Expansion amerikanischer Militärmacht — durchweg im Zuge einer vorbeugenden Sicherheitspolitik (»Erst schießen, dann fragen!«) — geschah so schnell, dass die Experten des Center for Strategie and International Studies in Washington, die sich mit der globalen Sicherheitslage befassen, diese erst kürzlich als »eine Art militärischen Urknall« bezeichnet haben.

 

Ich persönlich muss bekennen, dass mich das, was die Vereinigten Staaten seit dem 11. September 2001 ins Werk gesetzt haben, zumindest erstaunt. Innerhalb weniger Jahre hat das amerikanische Militär im Namen der Selbstverteidigung gegen eine gewaltige, aber kaum fassbare Gefahr namens »Terrorismus« mit aberwitziger Geschwindigkeit ein gewaltiges und sündteures Netzwerk aus Bündnissen, Stützpunkten, Verträgen, Investitionen und Einrichtungen in aller Welt aufgebaut. Auf eine teuflische Art ist dies eine unglaubliche Leistung. Doch wenn der Terrorismus tatsächlich alle Nationen gleichermaßen bedroht, warum wird dieses Bemühen dann nicht von anderen Staaten mitgetragen, die doch ebenfalls ein starkes Interesse diesbezüglich haben müssten? Warum wird die Verantwortung nicht kollektiv auf alle Schultern verteilt? Und warum zielen diese Bemühungen nicht stärker darauf ab, die Wurzeln des Terrors zu beseitigen? Die Osama bin Ladens dieser Welt haben wohl kein Interesse daran, mit westlichen Staaten zu verhandeln, doch andere Persönlichkeiten der arabischen Welt, vor allem in der »Arab Street«, wie man die Länder am Persischen Golf mittlerweile zu nennen pflegt, sind der Kommunikation sicher nicht von vornherein abgeneigt.

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Ist es zu viel verlangt, dass man sie wenigstens nach den Gründen für ihre Feindseligkeit befragt? Natürlich sitzen in Washington zurzeit nicht wenige Leute, die das für verlorene Liebesmüh halten. Sie glauben, dass sie die beste Medizin gegen die Unzufriedenheiten der Welt längst in Händen halten. »Der Markt!«, beten sie uns vor. Oder »Die Demokratie!«. Mit beidem meinen sie den ungehinderten Zugang der Konzerne zu den Märkten der Welt. Was aber, wenn das Rezept in Wirklichkeit zu den Ursachen gehört? Woher nehmen sie die Sicherheit, dass ihre Ideologie das Allheilmittel für alle Probleme darstellt?

 

Waffen, Militärstützpunkte und Truppen sind Amerikas Exportschlager. Auf diese Weise sichert die Nation ihre Interessen, auch wenn dies auf politischer Ebene mit beträchtlichen Nebenwirkungen verbunden ist. Nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs konnte man die Truppenstationierung im Ausland den eigenen Bürgern noch als großzügige und idealistische Geste verkaufen. Man reichte schutzbedürftigen Nationen eine helfende Hand. Doch zu Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts hat sich einiges geändert. Das schöne Bild bekommt mit einem Mal hässliche Flecken. Verschwommen wird den Amerikanern allmählich bewusst, dass der Krieg gegen den Terrorismus nicht allerorten auf die Begeisterung stößt, die sie erwartet haben. Stattdessen schlägt ihnen aus aller Welt Kritik, mitunter sogar offene Feindseligkeit entgegen. Häufig benehmen die anderen Völker sich gar so, als hätten sie mehr von den Vereinigten Staaten zu befürchten als von den so genannten »Feinden«. Diese Kritik verblüfft und verärgert das amerikanische »Volk«, das ernsthaft glaubt, es bringe große Opfer für das Wohl anderer. Warum also sind wir Amerikaner nicht länger die beliebteste und am meisten bewunderte Nation auf Erden?

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Je länger der Irakkrieg sich hinzieht, umso mehr Interviews mit den Familien gefallener Soldaten sind im amerikanischen Fernsehen zu sehen. Wie Kinder, die ihren auswendig gelernten Katechismus herunterbeten, wiederholen die Interviewten mit Tränen in den Augen, dass ihre Angehörigen starben, um das irakische Volk zu befreien — was sie noch vor wenigen Jahren niemals akzeptiert hätten. Die Worte klingen hohl im vergeblichen Bemühen, ein wenig Trost zu finden. Welchen Zorn müssen diese Menschen verspüren, wenn sie in derselben Nachrichtensendung das irakische Volk auf den Straßen sehen, Parolen rufend, mit denen es die Amerikaner auffordert, doch endlich zu verschwinden.

Angesichts solcher Undankbarkeit schaltet die amerikanische Öffentlichkeit auf stur. Denn unter der schönen Oberfläche verbergen sich in Amerika häufig starke xenophobe Instinkte, die jederzeit überkochen können. Die Studenten in meinen Kursen zur jüngeren Geschichte amüsieren sich meist königlich, wenn ich ihnen erzähle, dass zu der Zeit, als wir die »Hunnen«, also Deutschland, bekämpften, alles, was irgendwie deutsch war, umbenannt wurde. Auf Befehl von Präsident Woodrow Wilson wurden Frankfurter zum »Freiheitswürstchen« und Sauerkraut zum »Freiheitskohl«. 

Ich frage mich, ob meine Studenten die Vorgänge während des Irakkrieges ebenso lachhaft fanden. Dieses Mal war es Frankreich, welches der Sprachregulierung patriotischer Politiker und Medienbarone zum Opfer fiel. So wurde vorgeschlagen, die »French Fries« in »Freiheitsfritten« und den »French Toast« in »Freiheitstoast« umzutaufen. Andere riefen nach einem Boykott französischer Waren. Einige ultrapatriotische Aktivisten ließen sich dabei filmen, wie sie ganze Flaschen Dom Perignon in die Toilette gossen.

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Bei einem vom Weißen Haus veranstalteten Picknick wurden Hotdogs gereicht, jedoch ohne Dijon-Senf, der sogar verboten war, wenn er von einer einheimischen Firma hergestellt wurde. Die Fernsehwerbung für eine Fastfood-Kette, die keine »French Fries« mehr servierte, zählte einige militärische Niederlagen Frankreichs auf: Waterloo, den Französisch-Preußischen Krieg von 1870/71, den Zweiten Weltkrieg, Vietnam, um dann zu verkünden: »Wir servieren nichts, was Verlierer essen!« 

Was hatte Frankreich bloß angestellt, um sich im Jahr 2003 solch herben Strafaktionen ausgesetzt zu sehen? 

Nun, das Land hatte sein Recht auf eine eigene Außenpolitik geltend gemacht. Es hatte die Bemühungen der Regierung Bush sabotiert, für den Irakkrieg ein Mandat der Vereinten Nationen zu erhalten. Die Franzosen ließen sich nicht überzeugen, dass der Irak eine Gefahr für andere Länder sei. In den Augen durchaus hochrangiger Politiker wie des amerikanischen Außenministers reichte dieser unverschämte Akt nationaler Unabhängigkeit schon aus, um gegen den ältesten Bündnispartner der Vereinigten Staaten mit Hohn und chauvinistischer Propaganda zu Felde zu ziehen. 

Natürlich wurde der Irakkrieg nicht von der französischen Regierung allein abgelehnt. Diese machte sich nur ganz explizit zum Sprachrohr ihrer Bürger. Ist das Eintreten für den Willen des eigenen Volkes etwa keine zulässige Interpretation des demokratischen Regierungsauftrags? Hätten die Staatsmänner, welche die Vereinigten Staaten im Irakkrieg symbolisch unterstützten, auf den Willen ihres Volkes gehört (das zu Hunderttausenden auf die Straße ging), wären die USA am Ende sicher allein dagestanden.

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Nicht einmal jene wenigen Staaten, die George W. Bushs Krieg zögerlich mittrugen, wären dann auf Seiten Washingtons gewesen. Ja, nicht einmal die britische und die spanische Regierung hätten diesen Krieg mittragen können, da der Widerstand in der Bevölkerung so massiv war, dass er im Fall Tony Blairs für eine Regierungskrise gesorgt und im Falle Aznars dessen Partei die Wahl gekostet hat.

Natürlich hätte auch dies auf die Ereignisse keinen Einfluss gehabt. Die Regierung Bush fuhr im Falle des Irakkriegs einen so scharf unilateralistischen Kurs wie in allen anderen Bereichen der Außenpolitik. Es interessierte sie nicht im Geringsten, ob die internationale Gemeinschaft ihr Vorhaben billigte. George W. Bush formulierte seine Politik ganz offen: »Jedes Land dieser Erde wird seine Wahl treffen müssen. Entweder es steht auf unserer Seite oder es steht auf Seite der Terroristen.« Als er einige Tage nach dem 11. September in der National Cathedral in Washington sprach, erklärte der amerikanische Präsident Amerikas neue Ziele, die mythische Ausmaße angenommen hatten. Es ging um nicht weniger als um »die Befreiung der Welt vom Bösen«.

Der einzige Grund, weshalb George W. Bush sich überhaupt die Mühe machte, die Zustimmung der Vereinten Nationen einzuholen, war das unverminderte Drängen Tony Blairs, der zu Hause massiven Druck aus seiner Partei erhielt, den amerikanischen Präventivkrieg nicht zu unterstützen. Irgendwann muss es Bushs Beratern aufgegangen sein, dass es ganz nützlich sein könnte, vor die Vereinten Nationen zu ziehen. Und zwar nicht, weil sie tatsächlich die Zustimmung der internationalen Staatengemeinschaft einholen wollten. Doch die Konfrontation im Sicherheitsrat verschaffte ihnen die einzigartige Chance, die anderen Nationen vor vollendete Tatsachen zu stellen und so ihre Macht zu demonstrieren. Nicht nur Saddam Hussein erhielt so eine »letzte Chance«, zu tun, was Washington wollte. Dasselbe galt für den Rest der Welt.

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  Die wohlwollende Weltherrschaft:  ob es euch gefällt oder nicht  

 

Oberflächlich betrachtet mag diese diplomatische Rüpelhaftigkeit wie die Zurschaustellung verletzter Gefühle gewirkt haben. Doch die Haltung, mit der man den Vereinten Nationen gegenübertrat, war in Wirklichkeit kühl kalkuliert

In Washington sind mittlerweile neue Kräfte am Werk, Politstrategen, die jede Gelegenheit nutzen, ihre Nase in die Angelegenheiten des Weltsicherheitsrats zu stecken. Den Falken aus dem Pentagon bot die unnachgiebige Haltung der Vereinten Nationen eine willkommene Gelegenheit zum Showdown mit einer Institution, die ihnen zutiefst zuwider ist. Endlich konnten sie zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Der Krieg gegen Saddam Hussein würde George W. Bush nicht nur die Chance bieten, auf der weltpolitischen Bühne den Lone Ranger zu geben. 

Er würde ihm auch noch einen Grund liefern, die Ansprüche der Vereinten Nationen, die Amerikas klarem Ziel, die eigene Macht über den ganzen Planeten auszudehnen, noch im Weg standen, ob deren Schwäche und Inkompetenz in Frage zu stellen. Ein Jahr später allerdings traten die USA wieder vor die UN. Dieses Mal wollten sie Geld für die Besatzung des Irak. Damit vergab Washington sich letztlich nichts. Würden die Gelder bewilligt, so wäre dies als Eingeständnis zu werten, dass die Invasion des Irak gerechtfertigt war. Würden sie hingegen verweigert, so zeigte dies nur, wie verbohrt und letztlich wertlos die Vereinten Nationen waren.

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Dies war der tiefere Sinn des Irakkriegs. Der Weg nach Bagdad war gleichzeitig der Weg zur amerikanischen Vorherrschaft in der Welt. Schon 1996 diskutierten Angehörige des rechten Flügels darüber, wie man der Welt »eine wohlwollende Hegemonie Amerikas« schmackhaft machen könne. Der Ausdruck stammt von Robert Kagan und William Kristol. Sie verwenden ihn in einem Artikel für Foreign Affairs. Der Irak bot einfach nur die richtige Gelegenheit. Indem die Vereinten Nationen sich dem Willen der Bush-Regierung widersetzten, führten sie lediglich den Augenblick herbei, in dem Washington sich ausreichend legitimiert fühlte, sie als unbedeutend abzuqualifizieren — zusammen mit der NATO und der Europäischen Gemeinschaft. Die neue amerikanische Ära war angebrochen. Je früher die Welt dies begriff, desto besser.

Nichtsdestotrotz hielt der Großteil der Welt dem ungewohnten diplomatischen Gedrängel von Bush und Konsorten stand, ohne deshalb Saddam Hussein wohlwollend gegenüberzustehen. Die öffentliche Meinung verurteilte den irakischen Diktator so einstimmig, dass man sich unwillkürlich fragte, wie eine so hassenswerte Persönlichkeit überhaupt an die Macht gelangen konnte. Denn tatsächlich war Saddam ein Geschöpf von westlichen Gnaden. Er war von eben jenen Staaten, einschließlich der USA, an die Macht gehievt und gestützt worden, die ihm später sein abstoßendes moralisches Handeln vorwarfen. Es gibt Fotos von Saddam, die zeigen, wie er von Ronald Reagan im Weißen Haus wärmstens willkommen geheißen wird. Nicht zuletzt Donald Rumsfeld warb um seine Unterstützung.

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Damals war Saddam Amerikas treuer Anhänger im Nahen Osten. Doch natürlich legte die Bush-Regierang auf das Bekanntwerden dieser Informationen keinen gesteigerten Wert, während sie den Krieg vorbereitete. Jede Pressekonferenz, jede offizielle Verlautbarung war getragen von einem nahezu berauschenden Gefühl. »Es allein durchzuziehen« kann einem zu Kopf steigen. Das ist wie der Moment, in dem man begreift, dass man erwachsen ist und endlich selbst bestimmt.

Während der nächsten paar Jahre werden die Triumphalisten ihre wahren Absichten weiterhin hinter diversen Geschichten verstecken, die sie erzählen, um der Welt ihr befremdliches Handeln schmackhaft zu machen. Die Bush-Regierung ist ein schlagendes Beispiel dafür, dass politische Führer sich offenkundig ungestraft selbst widersprechen dürfen. 

Weshalb zog George W. Bush gleich wieder in den Krieg gegen den Irak? Angeblich wollte er Saddam Husseins Massenvernichtungs­waffen zerstören. Als später keine solchen auftauchten, erfand man andere Gründe. Um einen bösen Menschen zu entthronen ... oder besser noch: um dem Nahen Osten die Demokratie zu bringen. Im Marketing nennt man diese Strategie »bait and switch«, wörtlich »ködern und umleiten«. Man macht Werbung für ein bestimmtes Produkt, doch wenn der Kunde dann am Haken hängt, verkauft man ihm etwas wesentlich Teureres. 

Hätte George W. Bush während des Wahlkampfes im Jahr 2000 dem Land enthüllt, dass man in den Krieg ziehen werde, um dem Irak die Demokratie zu bringen, hätte er nicht eine Stimme erhalten. Schließlich waren die Amerikaner dem Irak nichts schuldig. Wie dem auch sei, ich für meinen Teil vermute ohnehin, dass die Strippenzieher hinter Washingtons verschlossenen Türen sich nicht viel um die demokratische Zukunft des Irak scheren.

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Jedes Regime, das Amerikas Investoren einen offenen Markt garantiert, geht in ihren Augen als »demokratisch« durch. Darüber hinaus würde sich der Irak bei freien Wahlen aufgrund der schiitischen Mehrheit dort vermutlich schnell in eine Republik nach islamischem Muster wie der Nachbarstaat Iran verwandeln. Und die Kurden im Norden würden mit Sicherheit einen eigenen Staat fordern. Also müssen die Kriegsherrn zur Vernebelungstaktik greifen. Sie lassen verlautbaren, dass Amerika kein Interesse daran habe, zur Besatzungsmacht zu werden, doch de facto bleiben die Truppen in jedem von den USA besiegten Land auf unbestimmte Zeit stationiert. Im August 2003 bezeichnete Bushs Nationale Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice die Rolle der Vereinigten Staaten im Nahen Osten als »moralische Mission«, welche eine Kontrolle über Generationen hinaus erfordern würde.

Washington hat versprochen, Afghanistan dem afghanischen Volk zurückzugeben und den Irak den Irakern, aber es wird in keinem Fall eine Regierung zulassen, die sich ihrem Zugriff entzieht. Es heißt, man strebe freie Wahlen im Irak an, doch zunächst wird Washington jene Parteien aussieben, die sich dort zur Wahl stellen dürfen, und schließlich ein wachsames Auge auf den Sieger haben. Ist das nicht dieselbe Doppelmoral, die wir einst an der Sowjetunion verurteilt haben, als diese versuchte, ihrer Vorherrschaft in Osteuropa ein demokratisches Mäntelchen umzuhängen? Das Lügengespinst erwies sich schon im Fall der Sowjetunion als gar zu fadenscheinig — ebenso wie die Unwahrheiten Washingtons. Die Triumphalisten mögen sich heiser schreien in dem Bemühen, die real existierende Kolonialpolitik der USA zu leugnen, doch letztlich gibt es nur ein Wort, das zutreffend beschreibt, was geschieht, wenn eine Siegernation die Oberhoheit über Menschen, Rohstoffe und Regierung des besiegten Landes übernimmt: Das Land wird kolonialisiert.

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Wie immer in der Geschichte der Kolonialmächte kommen nicht alle Bevölkerungsschichten gleichermaßen in den Genuss der Vorteile, die die Ausweitung des Herrschaftsbereichs mit sich bringt. Die amerikanische Öffentlichkeit ist sich noch nicht im Klaren darüber, wie teuer sie diese militärisch gesteuerte Hegemonialpolitik kommt und wie viel Macht sich in den Händen der Konzern- und Militärführer anhäuft. Im Augenblick werden die Fahnen geschwenkt und beschwörende patriotische Reden gehalten, in denen es hauptsächlich darum geht, wie viel Gutes die USA doch den Menschen in weit entfernten Ländern tun. Ungeachtet aller Kritik lautet die offizielle Parole immer noch, dass die Menschen in aller Herren Länder die amerikanische Vormachtstellung begrüßen und dass die Anwesenheit der Vereinigten Staaten in den eroberten Ländern nur vorübergehend sei. Wenn es mal nicht so gut klappt mit der Pax americana, dann herrscht da eben noch etwas »Unordnung«, die aufgeräumt werden muss, wie Verteidigungsminister Donald Rumsfeld sich ausdrückte, als klar wurde, dass der Irak sich immer mehr in ein Minenfeld verwandelte.

Diese Scharade lässt sich auf Dauer nicht aufrechterhalten. Wer könnte noch übersehen, dass sich in jedem von den USA übernommenen Land eine starke Opposition formiert? Und dass diese Opposition von den Militär- und Polizeikräften der den Vereinigten Staaten verpflichteten Regierung unterdrückt werden muss. Es wird künftig eine ganze Menge »Unordnung« geben. Doch bis dahin kann das imperiale Säbelschwingen so sehr zur gängigen politischen Praxis der Vereinigten Staaten geworden sein, dass es mehr als nur einen schlecht koordinierten öffentlichen Widerstand braucht, um diesem globalen Eroberungsfeldzug noch etwas entgegenzusetzen.

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   Geld, Gehirn und Muskeln  

 

Drei soziale Strömungen sind es, welche Amerika in Richtung globale Hegemonie drängen: Geld, Gehirn und in der Rolle der Muskeln ein fest umrissenes Wählerpotenzial. Sie sind verantwortlich für die konservative Erneuerung, die mit der Präsidentschaft von Ronald Reagan begann.

Das Geld stammt von einer neuen Raubtierklasse von Konzernführern, welche heute die Kontrolle über die amerikanische Wirtschaft ausüben. Dass Geld und Klassenprivilegien in der Gesellschaftspolitik eine bedeutende Rolle spielen, überrascht kaum. Doch die Rücksichtslosigkeit und die grenzenlose Gier, welche die Corporados, wie wir sie nennen, treibt, kennt in der Geschichte der Moderne kein Pendant.

Das Gehirn liefert eine neue Generation stark militarisierter Ideologen vom rechten Rand des politischen Spektrums, die mittlerweile die Think Tanks des Landes dominieren und in den Medien, Universitäten sowie im politischen Journalismus erheblichen Einfluss besitzen. Diese Leute bezeichnen wir als Triumphalisten. Auf den ersten Blick scheint dieser Begriff zwar eher mit der Außenpolitik verknüpft zu sein, doch wir werden sehen, dass die ultrakonservativen Elemente, die fest entschlossen sind, andere Nationen zu beherrschen, ebenso besessen versuchen, sich der liberalen Opposition im eigenen Land zu entledigen. Sie streben nach dem vollkommenen Triumph: der durchwählen garantierten Macht zu Hause und der militärischen Vorherrschaft im Ausland.

Und schließlich haben wir es mit den Fundamentalisten zu tun, der zuverlässigen Muskelmasse in Form von Wählerpotenzial, welches den Triumphalisten zur Macht verholfen hat. Die enorme Rolle, welche fundamentalistisch-evangelikale religiöse Gruppen in der amerikanischen Gesellschaft mittlerweile spielen, ist wohl einer der merkwürdigsten Züge des neuen Hyperkonservativismus. 

Die bestorganisierte und politisch aktivste Gruppe sind die dispensationalen Christen, deren Blick nicht etwa auf die nächste Wahl, sondern gleich auf die Apokalypse gerichtet ist, die ihrer Auffassung nach jeden Moment auf uns niedergehen kann. Wenn sie ihr Kreuzchen machen, dann stimmen sie für die Wiederkunft Christi auf Erden, welche gute, gläubige Christen wie George W. Bush beschleunigen sollen. 

Es mag ein wenig bizarr erscheinen, doch missionswütige Christen dieses Schlages sind die am meisten Besorgnis erregende und am wenigsten berechenbare Kraft in der amerikanischen Politik.

Jede dieser Gruppierungen verfolgt ihre höchsteigenen Ziele. Trotzdem haben sie bislang reibungslos Hand in Hand gearbeitet und eine Politik gestärkt, die darauf abzielt, die Rolle der Regierung, die Verteilung des nationalen Wohlstands, die globale Wirtschaft und die Demokratie als solche in ihrem Sinne neu zu definieren.

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