Start    Weiter

2.   Die Corporados 

Theo Roszak 2003

 

»In den Reden und Vergleichen der konservativen Politiker, Banker und Journalisten erklang das Lob des Marktes, der Wahlen angeblich überflüssig mache. Die Konzerne, so hieß es, seien die wahren Garanten der Demokratie. Dieser Chor schwoll in den 1990er Jahren an wie die Klänge in Händels Messias.

Markt und Mensch sind eins. Halleluja! Kaufen, Verkaufen und Konsumieren ist Ausdruck echter Demokratie. Halleluja! Der Wille des Volkes zeigt sich im Gesetz von Angebot und Nachfrage. Halleluja! Die Ökonomie des freien Marktes urteilt im Namen des Volkes. Halleluja! Kritik am Urteil des Marktes ist elitär. Halleluja! So mögen Menschen und Nationen frohlocken. Halleluja, Halleluja!« 

— Kevin Phillips, ehemaliger Berater von Richard Nixon, in: Wealth and Democracy, 2002

 

 Die Gier GmbH & Co. KG 

52-72

»Amerika setzt den Vereinten Nationen ein Ultimatum.« — »Amerika gibt Saddam eine letzte Chance.« — »Amerika beginnt mit dem Wiederaufbau im Irak.« — Ich finde es höchst bemerkenswert, wie sogar kritische Menschen von Schlagzeilen wie diesen in die Irre geführt werden. Ob es nun um Debatten im Kongress, um die US-Medienlandschaft oder um die Auslandspresse geht, immer und überall wird das Wort »Amerika« gebraucht, als beschreibe es etwas ganz Selbstverständliches und Eindeutiges. Aber was ist mit »Amerika« eigentlich gemeint? Welches »Amerika«? Wessen »Amerika«?

Wir sollten uns also ein wenig begriffliche Klarheit angedeihen lassen.

Wenn es um Entscheidungen auf höchster Ebene geht, ist mit »Amerika« keineswegs eine breite Öffentlichkeit gemeint, die da angeblich mit einer Stimme spricht. In dieser Form verwendet, bezieht sich »Amerika« allein auf diejenigen, welche die Regierungsmacht ausüben und diese Macht ihren eigenen Zwecken dienstbar machen können — ein Sprachgebrauch, wie er auch in anderen Ländern üblich ist, die sich durchaus als Demokratien betrachten.

Dieses Amerika, das triumphalistische Amerika, um das es in diesem Buch geht, spricht ganz sicher nicht für mich. Und dies gilt auch für Millionen anderer Amerikaner. In vielen Fragen sind die Vereinigten Staaten zutiefst gespalten, häufig weit mehr, als die politischen Führer des Landes zugeben wollen. Ganz sicher ist dies in der Nahost-Frage der Fall.

2003 trug die Bush-Regierung den Sieg davon, als es um den Irakkrieg ging. Sie gewann die öffentliche Meinung für einen Krieg, den sie ohnehin längst hatte führen wollen. Die Triumphalisten griffen den Irak an, nicht weil er eine tatsächliche Bedrohung für die amerikanische Sicherheit gewesen wäre, sondern weil das Gegenteil der Fall war. Nach dem Golfkrieg war der Irak eine ausgeblutete Nation, ein Drittweltland, das schlecht regiert wurde und immer tiefer in Armut versank. Das Land war reif für eine feindliche Übernahme.

Heute wissen wir, dass die Triumphalisten schon von dem Moment an, in dem Bush an die Macht kam, fest entschlossen waren, in Bagdad einzumarschieren. Wieso wir uns dessen so sicher sein können?

Weil uns Zeugnisse aus gut unterrichteten Kreisen vorliegen, von Augenzeugen, die an Sitzungen teilgenommen haben, bei denen diesbezüglich Beschlüsse gefasst wurden. Anfang 2004 enthüllte einer der Insider der Bush-Regierung, der frühere Finanzminister Paul O'Neill, ehemaliger Vorstandschef der Alcoa Aluminium und ein Republikaner ohne Fehl und Tadel, dass der Nationale Sicherheitsrat (dessen Mitglied O'Neill war) vom ersten Treffen an dem Regimewechsel im Irak höchste Priorität eingeräumt hatte.

In Interviews mit dem Journalisten Ron Suskind (für dessen im Januar 2004 erschienenes Buch The Price of Loyalty) hatte O'Neill betont, die Besessenheit, die Bush und seine Berater dem Thema »Invasion im Irak« entgegengebracht hätten, hätte ihn damals schon verwundert. Die Notwendigkeit eines solchen Militärschlags stand nie zur Debatte.

53


Das einzige Problem schien für diese Regierung darin zu bestehen, wie man das Land nach dem Einmarsch ordnen solle. Neun Monate später bot der Angriff vom 11. September endlich die Möglichkeit, den lang gehegten Plan in die Tat umzusetzen, auch wenn die Triumphalisten sich zunächst vor die Notwendigkeit gestellt sahen, einen kleineren, man könnte sagen »Auftakt-Krieg« gegen die Taliban in Afghanistan zu führen.

Darüber hinaus liegen noch weitere erhellende Insiderinformationen vor, zum Beispiel von George W. Bushs »Nationalem Koordinator für Antiterrorismus-Fragen« Richard Clarke. In seinen 2004 erschienenen Memoiren <Against All Enemies Der Insiderbericht über Amerikas Krieg gegen den Terror> schildert Clarke, ein altgedienter Republikaner, der neben drei republikanischen Präsidenten auch Bill Clinton diente, dass über Monate hinweg am Anfang jeder Besprechung zum Thema »Al Qaida« eine Diskussion über einen möglichen Präventivkrieg gegen den Irak stand. Die Triumphalisten innerhalb der Regierung reagierten nach dem 11. September 2001 geradezu reflexartig, indem sie das Attentat dem Irak zuschrieben und auf dieser Basis einen zweiten Golfkrieg planten. 

Clarke zufolge sprach sich Verteidigungsminister Rumsfeld bereits am Tag nach dem Attentat dafür aus, den Irak zu bombardieren. Nun kann man Clarke auch nicht gerade zu den »Tauben« rechnen. Er war es, der Präsident Clinton einst geraten hatte, Überraschungsangriffe gegen einzelne Al-Qaida-Lager sowie gegen Bagdad zu führen und diese zu bombardieren. Als Clarke jedoch darauf bestand, dass sich der amerikanische Gegenschlag nach dem 11. September 2001 am besten gegen Al-Qaida-Lager in Afghanistan richten sollte, gab Rumsfeld ihm zur Antwort, dass es »in Afghanistan keine guten Ziele gäbe, im Irak aber schon«.

54


George W. Bush selbst bestätigte die Irak-Besessenheit seiner engsten Berater. In Interviews mit Bob Woodward für dessen 2002 erschienenes Buch Bush at War Amerika im Krieg, berichtete der Präsident, er habe jene zurückhalten müssen, die unverzüglich in den Irak einmarschieren wollten. Was bedeutet, dass das Thema mit Sicherheit diskutiert worden ist. Tatsächlich mag es eine Zeit gegeben haben, etwa die letzten vier Wochen des Jahres 2001, in der George W Bush als die am wenigsten kriegslüsterne Figur im Weißen Haus erschien. Schließlich verfügte der Präsident über wenig internationale Erfahrung und hatte in seiner Wahlkampagne immer wieder versprochen, dass endlich Schluss sein würde mit der Doktrin des »nation building«. Doch damals fand er sich umgeben von einem Stab von Triumphalisten, die den Irak als Tor zur Beherrschung des Nahen Ostens betrachteten, als Fundament des amerikanischen Imperiums. Bei dieser Auseinandersetzung saßen die Falken am längeren Hebel. Sie bewogen Bush dazu, die Bühne für Militäroperationen in weit größerem Maßstab freizugeben und selbst die Rolle des »Kriegspräsidenten« zu übernehmen.

In den Monaten nach dem 11. September schafften es die Strategen des Weißen Hauses, Millionen von Amerikanern davon zu überzeugen, dass der Irak eine ernsthafte Bedrohung für die nationale Sicherheit darstelle. Die Medien nahmen Bush beim Wort und brachten zahlreiche Storys über Saddam Husseins unglaubliches Arsenal chemischer und biologischer Waffen. Dank Premierminister Tony Blair, der Großbritannien erfolgreich zum Juniorpartner des Unternehmens »Imperium Amerika« machte, erfuhren wir von den Raketen, die angeblich innerhalb von vierundzwanzig Stunden scharf gemacht und auf jedes beliebige Ziel der Erde gerichtet werden konnten.

55


Die Waffeninspektoren der Vereinten Nationen (von den Medien nur als naive, ungeschickte Ausländer dargestellt) erklärten zwar, dass diese Behauptungen unbewiesen und möglicherweise auch völlig unbegründet seien, doch die Wortführer der Bush-Regierung beharrten auf ihrer Aussage, dass der Irak kurz davor sei, die Atombombe zu bauen. Monatelang hallte der Begriff »Massenvernichtungswaffen« in der öffentlichen Meinung wider wie hypnotischer Trommelschlag. Wer sich davon noch nicht überzeugen ließ, wurde irgendwann von den von der Regierung allseits ausgestreuten Gerüchten weich geklopft, denen zufolge Saddam Hussein höchstpersönlich das Attentat auf das World Trade Center in New York vom 11. September 2001 angeordnet habe und zusammen mit Al Qaida noch weitere Anschläge plane. Wieder andere waren für den Einmarsch im Irak, weil sie sich um die Zukunft Israels sorgten, ein immer wiederkehrendes Thema in der amerikanischen Politik. Und schließlich waren da noch jene Millionen Amerikaner — vielleicht die größte Gruppe der Kriegsbefürworter —, die sich in ihrer Verunsicherung reflexartig hinter ihre Regierung stellten, wie dies bei nationalen Katastrophen in allen Ländern der Welt geschieht.

Aus dieser schwammigen Masse knetete die Bush-Regierung eine überwältigende Mehrheit, die sich massiv für einen Krieg gegen den Irak aussprach. Man behauptete, unwiderlegbare Beweise zu haben, dass die Vereinigten Staaten bedroht seien. Ein fantastisches Sammelsurium aus Spekulation, Lüge und Übertreibung wurde weißgewaschen durch die Autorität des Präsidentenamtes und der versammelten Regierungsmannschaft.

56


Und dann schickte man die brav bei Fuß gehende Meute der Fernseh-, Radio- und Pressejournalisten durch die Sümpfe der Meinungsfabrikation, zu welchem Zweck man ihnen allerlei Statements und angebliche Informationen vorsetzte. Gleichzeitig diskreditierte die Regierung Protest im eigenen Land beziehungsweise im Ausland, indem man die Loyalität und Denkfähigkeit der Protestierenden in Zweifel zog.

Auf diese Weise also fällte »Amerika« seine Entscheidung, in den Krieg gegen den Irak zu ziehen. Wir haben es hier mit der wohl selbstherrlichsten und fatalsten Täuschung der amerikanischen Öffentlichkeit zu tun, seit Präsident William McKinley und die Zeitungsherausgeber Joseph Pulitzer und William Randolph Hearst Amerika mit einer bis dahin beispiellosen Pressekampagne in den Spanisch-Amerikanischen Krieg von 1898 trieben.

Natürlich lieben Politiker, Präsidenten und Kongressabgeordnete es, im »Namen des Volkes« zu sprechen. Sie sind der unumstößlichen Meinung, dass freie und gerechte Wahlen ihrem Amt die dementsprechende Legitimation verleihen. Doch trotz der populären Fassade, welche die Politiker in Washington so gern nach außen kehren, ist Politik in Amerika ein System, das schon längst nicht mehr funktioniert. Wenn wir die klassische Definition der Demokratie anwenden, bei der dieses Regierungssystem als »Herrschaft auf der Grundlage des Einverständnisses der informierten Regierten« gilt, dann kann man das politische System Amerikas kaum noch als Demokratie bezeichnen. Natürlich müssen die getroffenen Entscheidungen immer noch so dargestellt werden, als gingen sie vom Volke aus. Doch weiß denn »das Volk« — in ausreichender Prozentzahl — überhaupt noch, was sein Wille ist? Sind überhaupt genügend Menschen in Amerika noch in der Lage, zwischen Fakten und Fiktion zu unterscheiden?

57


Aus Gründen, die ich später noch ausführen werde, haben wir Grund zu der Befürchtung, dass die Vereinigten Staaten sich in einem gleitenden Übergang zu einer post-demokratischen Ära befinden, in der das Einverständnis der Beherrschten ge- und verkauft, produziert und manipuliert werden kann. Alles, was von der Demokratie noch übrig bleibt, ist die pompöse Kulisse symbolträchtiger Gesten.

Mit den Tricks, die angewandt werden, um das Wählervolk auf Konsens einzuschwören, ließen sich ganze Bücher füllen. Doch so vielfältig die eingesetzten Manipulationstechniken auch sein mögen, letztlich steht dahinter immer nur das eine, nämlich Geld. Und in der Kunst der Machtausübung durch finanzielle Mittel sind die Corporados wahre Meister. Die Führer der großen Konzerne nehmen in der amerikanischen Gesellschaft eine Stellung ein, die der des Feudaladels im Mittelalter nicht unähnlich ist. Auf sie zielte der Slogan der Antikriegs-Bewegung vor dem Irakkrieg ab: »Kein Blut für Öl!« Wir, die Protestierenden, waren der Ansicht, dass nur eine kleine Gruppe finanzieller Profiteure diesen Krieg wollte und dass diese Gruppe das Weiße Haus und den Kongress mehr oder weniger gekauft hatte. Die politischen und militärischen Führer der USA wurden nicht müde zu behaupten, dass Öl mit diesem Krieg nicht das Geringste zu tun habe, aber natürlich war auch dies nichts weiter als ein reichlich durchsichtiges Täuschungsmanöver. Welches Interesse hätten die Vereinigten Staaten am Irak, wenn dessen Ressourcen aus Feigen und Granatäpfeln bestünden und nicht aus Ölfeldern? Wenn die Antikriegs-Bewegung hier falsch lag, dann nur deshalb, weil Öl keineswegs der einzige heimliche Kriegsgrund war.

58


Wie wir während der Besatzungszeit nach und nach erfuhren, gibt es in dem besiegten Land eine ganze Menge zu holen. Es tun sich Geschäftsfelder auf, die noch mehr Profit abzuwerfen scheinen als das Ölgeschäft. Es mag Jahre dauern, bis die irakischen Ölquellen wieder fließen, doch in der Zeit davor werden amerikanische Firmen sich am Wiederaufbau des vom Krieg zerstörten Landes eine goldene Nase verdienen. Und da sie sozusagen in der ersten Reihe sitzen, können sie sich auch andere, eventuell vorhandene Werte und Rohstoffe billig aneignen, sodass der Irak vermutlich bald zum 51. Bundesstaat der USA wird.

Die Macht der Konzerne ist mittlerweile so gewaltig, dass Politiker nur noch als Requisiten dienen. Das soll nicht bedeuten, dass die öffentliche Meinung und die Wahlen in der amerikanischen Politik keine Rolle mehr spielen. Doch diese Rolle ist so sehr vom Druck des Geldes abhängig, dass eine wirklich demokratische Kontrollfunktion nicht mehr ausgeübt werden kann. In puncto Machtausübung steht der Begriff »Amerika« vor allem für eines: für den Willen derer, die am meisten für die Wahlkampagnen einzelner Politiker spenden und die genügend finanzielle Ressourcen besitzen, um Vollzeit-Lobbyisten nach Washington zu schicken.

Die Übermacht des Geldes bestimmt heute die amerikanische Politik, so wie es in den frühen Tagen des Staates der Großgrundbesitz tat. Seit der Zeit der großen Industriekapitäne des neunzehnten Jahrhunderts beherrschen die Corporados den Kongress und den Präsidenten. Von diesem Faktum gab es in der Geschichte nur zwei Abweichungen. Während der so genannten »Progressive Era« von 1890 bis 1920 gelang es unter der Präsidentschaft von Theodore Roosevelt und Woodrow Wilson, den Gegnern der großen Trusts, die schlimmsten Exzesse der großen Industriekonglomerate zumindest zeitweise einzudämmen.

59


Zu jener Zeit war die Macht der Trusts so gewaltig, dass dies sogar dem ungebildetsten amerikanischen Wähler klar wurde. Das Laissez-faire-Prinzip jener Tage war den Konzernen zu Kopf gestiegen, sodass sie alle Vorsicht fahren ließen. Sie beuteten Millionen von Farmern aus, weil sie die Eisenbahnlinien kontrollierten. Wegen der hohen Schutzzölle auf verarbeitete Produkte konnten amerikanische Firmen den Verbrauchern nahezu beliebig hohe Preise für ihre Waren abverlangen. Streiks wurden mit Hilfe von Staats- und Militärmacht gebrochen. Anbieter von verdorbenem Fleisch und giftigen Arzneimitteln wurden nicht zur Rechenschaft gezogen. 

So verabschiedete man während der »Progressive Era« zahlreiche Gesetze, die solchen Wildwuchs eindämmten. Etwa dreißig Jahre später stellte Franklin D. Roosevelt, selbst Spross einer reichen Familie, die Führer der großen Trusts an den Pranger, indem er sie als »privilegierte Prinzen« und »Wirtschafts-Royalisten« bezeichnete. Auch die Vertreter des New Deal zogen gegen die Industriekapitäne in den Kampf, weil sie sie für die Große Depression während der Weltwirtschaftskrise verantwortlich machten.

Nur während dieser beiden Abschnitte in der amerikanischen Geschichte wurde die Macht des Geldes wirksam begrenzt. Die Industriebarone beschimpften Franklin D. Roosevelt als »Verräter seiner Klasse«, weil er sie zwang, hohe Steuern zu zahlen. Er unterwarf sie einer starken Regulierung und setzte sich dafür ein, dass mit Hilfe sozialpolitischer Maßnahmen der Reichtum gerechter verteilt wurde. Zu jener Zeit wurde eine bedeutsame Grenze überschritten, die heute noch heftig diskutiert wird.

60


Vor dem New Deal dienten Steuern in erster Linie dazu, die Kosten von Verwaltung und militärischer Verteidigung zu decken. Während der dreißiger Jahre hingegen wurde die Besteuerung mehr und mehr zum Instrument, um Reichtum von den wohlhabenden zu den weniger wohlhabenden Bevölkerungsschichten umzuverteilen. Diese Umstrukturierung wurde von den amerikanischen Unternehmen nie vollkommen akzeptiert, mit dem Ergebnis, dass fünfzig Jahre nach dem New Deal eine Antisteuer-Bewegung entstand, deren erklärtes Ziel es ist, Ausgaben für jede Form sozialpolitischer Maßnahmen zu streichen.

Die Ära des New Deal mündete in eine Zeit, die eine ganze Generation liberaler Reformpolitiker hervorbrachte. Diese erlebte ihren Höhepunkt unter Präsident Lyndon B. Johnson. Johnson, dessen Mentor Franklin D. Roosevelt gewesen war, legte eine Reihe kostspieliger Sozialprogramme auf (die den Namen »The Great Society« trugen). Diese zielten darauf ab, Armut und Rassenkonflikte in den USA zu beseitigen. Doch seine innenpolitischen Anstrengungen kollidierten mit seinen außenpolitischen Misserfolgen. Johnsons Kriegspolitik in Vietnam spaltete die Demokratische Partei so tief, dass der Riss bis heute nicht vollkommen verheilt ist. Damals brachen für das liberale Denken Amerikas schwere Zeiten an. Das Scheitern in Vietnam und der darauf folgende Watergate-Skandal hinterließen bei den Amerikanern ein tiefes Misstrauen in ihre Regierung, das die konservativen Parteien geschickt zu ihren Gunsten ausnutzten. Seit den achtziger Jahren eroberten die Corporados erneut unaufhaltsam die Gipfel der Macht, da sie sich zweifellos als die natürliche Führerschaft der Nation betrachten. Ihre Rückkehr an die Macht ist von einer Gier bislang ungekannten Ausmaßes durchdrungen. Gleichzeitig zeigen sie sich fest entschlossen, die amerikanischen Institutionen so zu verändern, dass unsere Gesellschaft davon noch für Generationen geprägt sein wird.

61


Der seit den 1980er Jahren erfolgte schnelle Aufstieg einer neuen und gierigen Elite an die Schaltstellen der großen Konzerne hat das politische System Amerikas verändert. Heute liegt mehr Macht in den Händen weniger Menschen, als dies seit den Zeiten der großen Industriebarone gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts je der Fall war. Tatsächlich kehren die USA mittlerweile im Laufschritt zu jenen Verhältnissen zurück, die das Land während der ungezügelten, plutokratischen Herrschaft vor Einsetzen der »Progressive Era« prägten. Nur dass die Plutokraten heute reicher sind denn je zuvor. Heute liegen in den Vereinigten Staaten 40 Prozent des Besitzes in den Händen von nur einem Prozent der Bevölkerung. Dieses eine Prozent kassiert 13 Prozent vom landesweiten jährlichen Gesamteinkommen. Während des Aktienbooms der neunziger Jahre strich dieses eine Prozent der Bevölkerung 42 Prozent aller Profite ein. Und aller Wahrscheinlichkeit nach zog dieses gut beratene eine Prozent sich auch rechtzeitig vor dem Platzen der Blase aus dem Markt zurück. Nirgendwo in den großen Industrienationen ist der Reichtum so polarisiert wie in den Vereinigten Staaten.

Wer die amerikanische Innenpolitik kennt, dem ist klar, dass solcher Reichtum natürlich auch einen enormen politischen Einfluss mit sich bringt. Doch die immer schneller voranschreitende Globalisierung hat die Macht der plutokratischen Elite noch vervielfacht. Mittlerweile muss mit ihrem Einfluss in jeder noch so entlegenen Gegend der Welt gerechnet werden.

62


Und die Veränderungen in den grundlegenden Institutionen der amerikanischen Demokratie, auf die wir später noch genauer eingehen werden — für den Moment seien nur der Wahlvorgang selbst, das System der politischen Parteien und die Kontrolle über die Massenmedien genannt —, machen es mittlerweile unmöglich, eine breite politische Auseinandersetzung zu führen, welche die Ziele der Corporados einer kritischen Prüfung unterzieht. All dies hat zu einem enormen Einfluss der Konzerne auf die Regierungspolitik geführt, der die liberale Opposition in eine ausweglose Zwangslage geraten ließ.

 

 Der Über-Manager 

 

Wer aber sind die Corporados, und worum geht es ihnen? Während der 1980er Jahre tauchte auf dem amerikanischen Markt eine neue Art von Unternehmer auf — vor allem in Banken, Finanzunternehmen und Wertpapier­handels­gesellschaften. Dieser neue Typus des Raubtierkapitalisten war bereit, hohe Risiken einzugehen und das Gesetz entsprechend zu beugen, um alteingesessene Unternehmen günstig aufzukaufen. Dieser Unternehmertypus, den man auch als »corporate raider« oder »Unternehmensplünderer« bezeichnete, stellte eine neue Spezies von Manager dar, die fest entschlossen war, die alte Unternehmenselite abzulösen, weil diese angeblich nicht in der Lage war, das Maximum an Profit aus ihren Unternehmen herauszupressen. In den meisten Fällen wussten die Raiders schlicht nichts über die Firmen, die sie übernahmen. Viele von ihnen hatten noch nie ein Produkt vermarktet oder eine Lohnabrechnung unterschrieben.

63


Was also fingen sie mit den erworbenen Unternehmen an? In den meisten Fällen zerstörten sie sie ganz einfach, statt mit ihnen weiter zu arbeiten. Sie betrachteten die Firmen als fette Beute, die zerlegt und verschlungen werden musste. Sobald der Betrieb durch einen Gewaltstreich übernommen worden war, wurden Leute entlassen, Sozialleistungen gestrichen, Löhne gekürzt und Betriebsrenten beschnitten. Wie Autodiebe, die einen Wagen zerlegen, weil sie so beim Verkauf mehr herausschinden, zerschlugen die Raiders mitunter ein profitables Unternehmen, um dessen Vermögenswerte Gewinn bringend loszuschlagen.

So geriet immer mehr der kurzfristige Profit ins Blickfeld, weil der Wert der Aktien des zerschlagenen Unternehmens an der Börse natürlich stark anstieg. Innerhalb kürzester Zeit wurde der Aktienwert zum Schlüsselfaktor bei geschäftlichen Entscheidungen. Da sie nicht langsam und unbeweglich wirken beziehungsweise sich gegen eine eventuelle Übernahme wehren wollten, begannen andere Unternehmen, die Raiders mehr und mehr nachzuahmen. Nur auf diese Weise gelang es ihnen, ihren gierigen Klauen zu entkommen. Nun galt es, unglaublich profitabel zu erscheinen. Dies aber hieß, dass man ohne Rücksicht auf Verluste den Profit steigern musste. Es ging nicht mehr nur um hohe Gewinne, diese mussten auch noch so schnell wie möglich erzielt werden. Und die Raiders gaben das Tempo vor, indem sie die neuen elektronischen Netze ausnützten, um Kapital rund um die Welt zu verschieben. In diesem neu geschaffenen Geschäftsklima zählte nur der Manager etwas, der hart war — vor allem, wenn er für einen der großen, international tätigen Konzerne arbeitete. Und Härte hieß konkret Lohnkürzungen, Firmenrestrukturierung und schnelle Profitmaximierung.

64


Der Manager ist die neue Heldenfigur dieser veränderten Unternehmenskultur. Natürlich gibt es in großen und kleinen Firmen auch noch Führungskräfte, die sich redlich geben und sich an die Regeln halten. Der Managertyp, um den es mir hier geht, steht meist großen, multinationalen Konzernen vor. Diese Bosse sind mittlerweile zu einer eigenen Klasse herangereift, die Macht über Zehntausende Angestellte in aller Welt haben und häufig eine ganze Industrie dominieren. Vielleicht sollte man sie deshalb als »Über-Manager« bezeichnen. Soziologen werden mir nun zweifelsohne entgegnen, dass eine zahlenmäßig so kleine Gruppe keine eigene gesellschaftliche Klasse bilden kann. Doch wenn dies nicht der Fall ist, dann sollte man sie wenigstens als Mitglieder einer bestimmten Subkultur des Reichtums betrachten, die sich vom Rest der Unternehmergemeinde ebenso unterscheiden wie die königliche Familie einst vom Landadel. In den letzten zwanzig Jahren traten die früher kaum bekannten Gestalten aus dem Schatten ihrer Anonymität und entwickelten sich nach und nach zu wahren Berühmtheiten. In der Unternehmensführung üben sie eine nahezu uneingeschränkte, absolute Macht aus. Sie sind die Stimme und das Gesicht des Unternehmens in der Öffentlichkeit. Sie sind die Promoter ihrer neuen Produkte und verleihen ihrer multinationalen Feudalherrschaft ein Gesicht.

 

Einer der ersten wirklich berühmten Manager war Lee Iacocca, der in den sechziger Jahren Boss der Ford Motor Company war und von 1978 an Chrysler leitete. Iacocca war der erste Manager, der in den Fernsehwerbespots seines Unternehmens höchstpersönlich auftrat. Als Prototyp des sachlich-nüchternen Firmenlenkers, der der amerikanischen Öffentlichkeit ins Gesicht sehen und Tacheles reden konnte, machte er sich selbst zur Verkörperung von Chrysler.

65


Während der Achtziger stilisierte er sich vom Firmenchef zum Medienereignis hoch. Das ging so weit, dass man irgendwann sogar überlegte, ihn zum Präsidenten zu machen. Iacoccas wesentliche Leistung war es, das bankrotte Unternehmen Chrysler wieder flottbekommen zu haben. Ironischerweise konnte Iacocca, der so leidenschaftlich für den freien Markt eintrat, das ihm anvertraute Unternehmen nur retten, weil er enorme Unterstützung von der Regierung erhielt. Iacocca brachte die Regierung dazu, durch eine strikt nationale Industriepolitik amerikanische Unternehmen auf dem Markt zu stärken. Da dies jedoch allen Automobilfirmen gleichermaßen zugute kam, dauerte es nicht lange, bis Chrysler wieder in Schwierigkeiten geriet. Als das Unternehmen fortgesetzt keine Profite abwarf, wurde es von Daimler aufgekauft. Doch nicht einmal dieser Deal stellte sich als besonders gewinnträchtig heraus.

In den frühen Neunzigern schrieb Iacocca seine Memoiren. Er nannte das Buch <Straight Talk> (in Deutsch erschien es schlicht und ergreifend unter dem Titel Iacocca). In diesem Rückblick auf seine Karriere klagt Iacocca darüber, wie sehr sich die amerikanische Unternehmenskultur verändert habe. Er führt dies auf die Tatsache zurück, dass deren Hauptinteresse nicht mehr der Produktion galt, sondern nur noch dem Geldmachen mit Hilfe von Finanzspekulationen. Die jungen Manager, beschwerte sich Iacocca, verschwendeten keinen Gedanken mehr daran, wie ein gutes Auto auszusehen hat. Sie kümmerten sich lieber um Grundstücksspekulationen. Iacocca erkannte also durchaus, welch bemerkenswerter Wandel während der Reagan-Präsidentschaft die amerikanischen Unternehmen ergriff.

66


So rücksichtslos amerikanische Industriekapitäne auch häufig gewesen sein mochten, die meisten von ihnen hatten zumindest große Unternehmen hinterlassen, die handfeste Güter produzierten. Viele fühlten sich tief mit ihrer Stadt verbunden: J. P. Morgan und die Rockefellers mit New York, Andrew Carnegie mit Pittsburgh, Henry Ford mit Detroit und Cyrus McCormick mit Chicago. Einige von ihnen hatten sich, nachdem sie ein bedeutendes Privatvermögen angesammelt hatten, sogar humanitären Aufgaben gewidmet.

Iacocca bemerkte ganz richtig, dass diese Zeiten nun vorbei waren. Er wurde Zeuge, wie ein Zeitalter zu Ende ging. Die Produktion spielte sich längst außerhalb der Vereinigten Staaten ab. Sie wurde in Billiglohnländer ausgelagert, die Hightech-Dienstleistungen folgten ihr nach. Papiergewinne mit Hilfe geheimnisvoller Finanztransaktionen erwiesen sich bald als schnellerer Weg zu enormen Profiten. Die großen Konzerne ließen Fabriken und Werkhallen leer stehen — mit Konsequenzen, die man sich vor dreißig Jahren noch nicht einmal ansatzweise vorstellen konnte. General Motors, der große Automobilhersteller, verdient heute mehr Geld mit Hypotheken als mit dem Verkauf von Autos. Computer und Internet ermöglichen satte Gewinne durch Transaktionen, bei denen in Lichtgeschwindigkeit rund um die Uhr Unsummen auf den Finanzmärkten der Welt platziert werden. Das Spiel mit Kursunterschieden und dem internationalen Zinsgefälle, die sterilste Form des Geldverdienens, bringt heute mehr ein als jede produktive Tätigkeit.

67


Als die Werkshallen in den USA zunehmend leer standen, erlebten die großen Industriezentren aus den Tagen eines Andrew Carnegie oder Henry Ford einen rasanten Verfall. Die großen Industriestädte im Nordosten und Mittelwesten entwickelten sich zu dem, was man heute den »Rust belt«, den »Rostgürtel« nennt. Denn die Manager von heute interessieren sich nicht mehr für das reiche Erbe, das sie aufgeben, weil sie sich weniger als früher mit einem Unternehmen, einem Produkt oder einem bestimmten Ort verbunden fühlen. Daher zielt ihre Managementstrategie darauf ab, ganze Industriezweige ihres Unternehmens gnadenlos zu stutzen oder ganz aufzugeben. Im Extremfall beschließen sie gar, mit dem ganzen Unternehmen in einen anderen Teil des Landes umzuziehen oder es ganz hinter sich zu lassen. Geht das Unternehmen daran zu Grunde, ziehen sie einfach weiter und nehmen eine beliebige andere Tätigkeit an.

Dieser Wandel sorgt dafür, dass sich die Kluft zwischen dem Management und den Arbeitskräften der Firma, zwischen dem Manager und dem von ihm geführten Unternehmen immer stärker ausweitet. Doch eben diese Kluft wird zum Machtfaktor, die aus den neuen Über-Managern eine politische Klasse ohne jede Loyalität gegenüber ihrem Land, seinen Arbeitern und seinem Volk macht.

In den 1980er Jahren feierten die Medien diese neue Business-Elite als Beweis für die ständig steigende Wettbewerbsfähigkeit Amerikas. Man zelebrierte die Macht der angriffslustigen Bosse, die »Manns genug« waren, ganze Unternehmen aufzukaufen und sie zu restrukturieren, wobei sie gnadenlos Jobs und weniger profitable Unternehmensbereiche strichen. Höflich nannte man sie »Turn-around-Manager«, zutreffender war jedoch der Ausdruck »Killer-CEOs«. Ihre Aufgabe war es, so viel Profit wie möglich aus ihren Firmen zu pressen. Einem der legendären und höchstbezahlten Manager dieser Zeit, Al Dunlop, gab man den Spitznamen »Kettensäge«.

68


Seine Spezialität war es, Firmen zu zerschlagen, das Personal zu feuern, und dann alles zu verkaufen, was seiner Ansicht nach nicht genügend abwarf. Aus dieser Vorgehensweise entstand das böse Wort vom Management, das »lean and mean« war, also »schlank, aber brutal«. Dunlop allerdings handelte sich irgendwann ernsthafte Probleme mit Justitia ein, nachdem er eine große Firma ruiniert hatte. Er wurde von den Aktionären vor die Tür gesetzt und erfreute sich der zweifelhaften Ehre, einer der wenigen Manager zu sein, die je von der Regierung mit einer Geldstrafe belegt wurden. 

In der Zwischenzeit übernahm Jack Welch, der Star-Manager der neunziger Jahre, General Electric, den amerikaweit größten Hersteller elektrischer Haushaltsgeräte, und machte sich schleunigst daran, so viel Personal wie möglich vor die Tür zu setzen. Seine Strategie, GE vom Haushaltsgerätehersteller zum Dienstleister der Unterhaltungs- und Finanzindustrie umzugestalten, kostete unzählige Jobs.

General Electric hatte auf keinem der beiden Sektoren Erfahrung, doch bald wurden beide Geschäftszweige lukrativer als die frühere Konsum­güter­herstellung. Als Welch im Jahr 2000 das Unternehmen verließ, erhielt er ein maßgeschneidertes Pensionspaket, das alles bisher Dagewesene in den Schatten stellte. Dazu zählen zum Beispiel die lebenslange Nutzung des Firmenjets sowie der großen Limousine sowie Dauerkarten für verschiedene Sportereignisse. Welch's Luxus-Rente erregte sogar in der Welt der Konzerne Aufsehen, was mittlerweile als sicheres Zeichen für seine »Größe« gelten kann. Die neuen Manager messen ihren Erfolg nämlich einzig und allein an ihrem eigenen Bankkonto und an den lukrativen Abfindungen, die ihnen ein mehr als komfortables Auskommen sichern, auch wenn sie das Unternehmen ruiniert haben.

69


Im April 2003 bildete Fortune, Amerikas führendes Business-Magazin, auf dem Titelblatt Manager als gut gekleidete Schweine ab. Man kann es wohl als Zeichen der Zeit verstehen, dass eine so durchweg konservative Zeitschrift sich ein derart unmissverständliches Urteil über die Moral der modernen Manager erlaubt. Im zugehörigen Artikel ging es um die Mittel, mit denen die neuen Manager sich selbst auf Kosten von Aktionären, Angestellten und Steuerzahlern bereichern. Einige Zahlen sollen hier illustrieren, was damit gemeint ist.

1988 verdiente der bestbezahlte Manager Amerikas 40 Millionen Dollar. Im Jahr 2000 wäre er mit diesem Verdienst nicht einmal unter die Top Ten gekommen. In diesem Jahr verdiente das höchstbezahlte Vorstandsmitglied in den USA (der Vorstandsvorsitzende der Citigroup-Bank) sage und schreibe 290 Millionen Dollar. 

Der Nächste im Ranking (ein anderes Vorstandsmitglied von Citigroup) bekam 225 Millionen Dollar, der Manager, der sich mit Platz 3 begnügen musste, verdiente immerhin noch 164 Millionen Dollar. Zwischen 1990 und 1998 stieg die Durchschnittsentlohnung von Top-Managern in den zehn größten Unternehmen um 480 Prozent. Und doch haben es die Corporados geschafft, sich in einer Zeit, in der sie gieriger waren denn je zuvor, als jene Klasse darzustellen, die den Wohlstand der Bevölkerung schafft. Sollte dies der Fall sein, dann saugen sie gleichzeitig den größten Teil des geschaffenen Reichtums wieder auf. Noch in den 1960er Jahren verdienten die Vorstandsvorsitzenden der größten Unternehmen des Landes etwa fünfundzwanzig Mal so viel wie einer ihrer Verkäufer. Im Jahr 2001 war dieses Verhältnis auf das 400fache angewachsen. Doch erst nach den jüngsten Skandalen in den amerikanischen Großunternehmen zeigen die Aktionäre ernsthafte Anstrengungen, das Salär der Manager wieder in den Griff zu bekommen.

70/71


Trotzdem gilt auch heute noch ein gut verdienender Vorstandsvorsitzender als höchstes Gut seiner Firma. Die Verträge, die bei der Firmenübernahme ausgehandelt werden, garantieren den Bossen hohe Vergütungen, zahllose Vergünstigungen, Prämienzahlungen, Steuererleichterungen und eine dicke Abfindung, wenn sie in den Ruhestand gehen (die CEOs der großen Firmen durften sich 2004 auf eine garantierte Abfindung von durchschnittlich 16,5 Millionen Dollar freuen) — und all das auch dann, wenn sie das Unternehmen stracks in die Pleite führen.

Wenn die Firma nicht mehr genügend Gewinn macht und Angestellte entlassen muss, kann das Salär des Vorstandsvorsitzenden sogar noch ansteigen. In Krisenzeiten greift nämlich der »CEO-Retention-Plan«, der — von den Betroffenen selbst eingeführt — die Führungskraft bei der Stange hält, denn nur ein gut bezahlter Manager ist angeblich in der Lage, eine Firma aus der Krise zu führen.

Ich zum Beispiel lebe in Kalifornien. Dort wurde einer der größten Energieversorger des Landes, die Pacific Gas and Electric Company, so jämmerlich gemanagt, dass er 2002 Insolvenz beantragen musste. Das Unternehmen hatte sich auf eine schlecht geplante (und in vieler Hinsicht illusorische) Deregulierung eingelassen, die sich sowohl für die Firma als auch für die öffentliche Stromversorgung als katastrophal herausstellte. Nichtsdestotrotz genehmigten die Vorstände von PG & E sich Bonuszahlungen in Höhe von 80 Millionen Dollar, nachdem sie die Firma in den Ruin getrieben hatten. Allein der Vorstandsvorsitzende schenkte sich 17 Millionen Dollar, um sich selbst in der Firma zu halten.

Die Logik hat ihren eigenen Reiz. Geht es der Firma gut, verdient der Manager prima. Geht sie Pleite, verdient er spitzenmäßig. Der CEO ist der Kapitän des Schiffes. Wenn es zu schwanken beginnt, kann nur er es vor dem endgültigen Sinken bewahren. Doch wenn der CEO sich als gieriges Raubtier entpuppt, laufen Aktionäre, Angestellte und mittleres Management Gefahr, gnadenlos betrogen zu werden. Wenn je ein neuer Karl Marx die Weltbühne betritt, wird er sich vielleicht um die Rechte der Aktionäre kümmern und nicht um die des Proletariats.

An dieser Stelle sollten wir kurz innehalten und uns fragen, was die Über-Manager wohl zu ihrem Verhalten treibt.

Ich persönlich verdächtige sie der Gier. Doch ist Gier wirklich ein ausreichend starkes Motiv, um einen Mann dazu zu bringen, noch weitere Millionen zu verdienen, wenn er doch ohnehin schon Milliarden besitzt? Vielleicht haben wir es hier eher mit einer Art Gefräßigkeit zu tun, einer psychotischen Fresslust, welche die Betroffenen dazu verführt, immer weiter zu essen, obwohl sie schon längst keinen Appetit mehr haben.

Meiner Ansicht nach werden die Corporados von einem erbarmungslosen Zwang getrieben, einer krankhaften Wettbewerbssucht, die nur ein Psychiater wirklich begreifen kann. Schließlich kann niemand auf der Welt so viel Geld ausgeben, wie die Super-Manager tatsächlich verdienen. Sie benehmen sich wie Spieler in einem heißen Wettkampf, die verzweifelt darum ringen, mehr Punkte zu erzielen als die anderen. Es ist eine Frage des Stolzes, die Rivalen auszustechen, indem man ein paar Millionen Dollar mehr einstreicht.

Gier kann irgendwann einmal befriedigt werden, doch das Verlangen, seine Mitbewerber auszustechen, hört niemals auf. Ein CEO, der seine Karriere als Sport sieht, wird nie genug haben, weil in diesem Rennen immer einer da ist, den man überholen muss, oder einer, der einem dicht auf den Fersen ist. Bei Jungs im kritischen Alter mag man diese Art von Benehmen noch verständlich finden, bei Erwachsenen allerdings wirkt es eher abnorm.

71-72

#

 

 www.detopia.de       ^^^^