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2. Die Corporados 

Kriminelles Management 

Roszak-2003

 

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Doch was unsere Super-Manager auch immer antreiben mag, unstrittig ist, dass ihre Gier nicht vor den Schranken des Gesetzes Halt macht. In den letzten zwanzig Jahren erlebten die USA die wohl krasseste Welle krimineller Umtriebe, die je durch die Führungsetagen geschwappt ist. Wenn man den Wirtschaftsteil einer beliebigen amerikanischen Zeitung zur Hand nimmt, kann man feststellen, dass es in den meisten Berichten um kriminelle Machenschaften geht, die entweder bereits bewiesen sind oder noch untersucht werden. Und die in die Skandale verwickelten Firmen gehören zu den größten im Land.

Die Ursprünge dieses neuen Klimas finanzieller Zügellosigkeit lassen sich ohne Mühe zurückverfolgen bis in die achtziger Jahre.

Als Ronald Reagan 1980 seine Präsidentschaft antrat, war eine seiner ersten Amtshandlungen die Deregulierung des amerikanischen Darlehens- und Sparkassenwesens, des zweitgrößten Bankensystems des Landes. In der Hauptsache handelte es sich dabei um die während des Rooseveltschen New Deal gegründeten Hypothekenkassen, deren einziger Zweck es damals war, Kredite für Hausbau oder -kauf bereitzustellen. Die Kassen verfügten über mehrere Billionen Dollar an Anlagevermögen.

Reagans Deregulierungsmaßnahmen erlaubten ihnen nun, mit diesem Geld nach Belieben zu verfahren. Es gab keine staatliche Aufsicht über die Anlage mehr. Das Ganze wirkte wie eine Aufforderung: »Die Polizei hat Urlaub. Stehlen und rauben Sie nach Belieben.« Und genau das geschah dann auch. Die Vermögenswerte der Darlehens- und Sparkassen wurden für die wildesten Spekulationen eingesetzt, die man sich nur vorstellen konnte. Das ganze System wurde innerhalb kürzester Zeit von kriminellen Finanzhaien (von denen einige eindeutig zur Mafia gehörten) auseinander genommen. Später hieß es, hier habe die »größte Abzocke der Weltgeschichte« stattgefunden. Natürlich wurden auch einige der Protagonisten verhaftet, doch bestraft wurden lediglich ein paar Sündenböcke. Damals waren so viele Menschen wegen Unterschlagung angeklagt, dass die Gerichte gar nicht alle verurteilen konnten.

Da der Staat für die Darlehens- und Sparkassen geradestehen musste, war es an der Öffentlichkeit, die Schulden abzutragen, die diese Maßnahme hinterlassen hatte. Jeden Steuerzahler im Land kostete Reagans Strategie einige Tausend Dollar.

Man möchte meinen, dies habe der breiten Öffentlichkeit als Lehrstück gedient. Eigentlich hätte sie schon damals alarmiert registrieren müssen, dass das Geschäftsleben mittlerweile von Banditen gelenkt wird. Die unerschütterliche Ruhe, mit der das amerikanische Volk diesen gewaltigen Diebstahl hinnahm, erstaunt mich noch heute.

Dabei war das Debakel um die Darlehens- und Sparkassen nur der Anfang. In den nächsten zwei Jahrzehnten gingen die Vereinigten Staaten in der größten Welle von Betrügereien und Bilanz-Tricksereien, die je über das Land herein­gebrochen war, beinahe unter. Nur einige davon machten — wie der Enron-Skandal um den Energieversorger aus Texas, dessen Vorstand sich zu den engsten Freunden von George W. Bush und seinem Vize Dick Cheney zählen durfte — auch international Schlagzeilen.      wikipedia  Enron

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Nach Bushs Wahl im Jahr 2000 gehörten die Enron-Bosse zu den ersten Geldgebern seiner Wahlkampagne, die in Washington ihre Aufwartung machen durften. Gemeinsam plante man eine neue, lukrativere Energiepolitik für die gesamten Vereinigten Staaten. Die Besprechungen waren geheim und wurden von Vizepräsident Cheney geführt. Ganz private Treffen auf CEO-Ebene also — unter Ausschluss von Verbraucher­schutz­organisationen oder Umweltschützern.

Ohnehin ist der Enron-Skandal der Jahre 2001 und 2002 ziemlich aufschlussreich. Nie zuvor hatten die kriminellen Machenschaften auf Konzernebene solche Ausmaße erreicht. Enron, eine Erdgas-Gesellschaft, die erst 1985 gegründet worden war, schaffte es, sich mit erstaunlicher Geschwindigkeit in die nationale Energieversorgung einzuschleichen, und zwar auf eine Weise, die - vor allem in deregulierten Märkten - enorme Gewinne mit sich bringen würde.

Zum ersten Mal trat die Firma 1988 als Zwischenhändler auf, als Premierministerin Margaret Thatcher die Stromindustrie in Großbritannien privatisierte. 1994 erfüllte Enron dann dieselbe Funktion in den Vereinigten Staaten, wo eine finanziell gut bestückte Bewegung auf die rasche Deregulierung der nationalen Stromindustrie zu drängen begann.

Diese Deregulierung verkaufte man dem Volk wie immer mit dem Argument, der Wettbewerb auf einem freien Markt würde für niedrigere Preise sorgen. Was bisher noch nie irgendwo wirklich passiert ist. Stattdessen sorgte die Deregulierung dafür, dass Unternehmen wie Enron freie Hand bekamen, um den Markt »aufzurollen«: Sie manipulierten das Angebot so, dass auf jeden Fall der höchste Preis dabei heraussprang.

Es sagt viel über unsere Zeit aus, dass so etwas überhaupt möglich ist, dass es im Licht der Öffentlichkeit geschehen kann und nicht einmal ansatzweise kritisiert wird.

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In kürzester Zeit wurde Enron so zum Kanal, durch den ein Großteil der nationalen Energieversorgung floss. Die Firma sorgte dafür, dass durch einen simplen Mausklick Energie von einem Markt zum anderen geleitet wurde. Und worum ging es bei all diesen Klicks? Natürlich um Profit. Enron selbst erfüllte eigentlich keine tragende Rolle. Das Unternehmen war damit beschäftigt, die Energiemärkte in den USA genauestens zu beobachten und Energie dorthin zu schicken, wo sie gerade den höchsten Preis erzielte. Enron selbst war nur ein schlichtes Gebäude in Texas, in dem viele Männer und Frauen gebannt auf den Bildschirm ihres Computers starrten, um Strom von einem Ort zum anderen zu schicken. So fragwürdig diese Tätigkeit auch war, sie war seit der Deregulierung ein völlig legales Geschäft und darüber hinaus noch ein Lehrstück, das zeigt, in welch ungeheurem Ausmaß die spezifische Leistung der Cyberwelt für Profitzwecke missbraucht werden kann.

Enron verdiente also schon mit seinen legalen Aktivitäten Milliarden von Dollar. Aber das war nicht genug. Die Manager gaben sich nicht damit zufrieden, den höchstmöglichen Preis aus dem amerikanischen Energiemarkt zu pressen. Sie erfanden Hunderte fiktiver Geschäfte an Orten, die nicht der Bankenaufsicht unterliegen. Mit den Umsätzen aus diesen nichtexistenten Deals verschleierten sie ihre ganz realen Schulden in der Bilanz und hievten die Gewinne entsprechend nach oben.

Und auch damit waren sie noch nicht zufrieden. Zu den schlimmsten Verbrechen der Enron-Clique gehörte es zweifelsohne, dass das Unternehmen auch seine Wirtschaftsprüfer in die Betrügereien verwickelte.

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Was einst als Bastion gegen Bilanzfälschung gedacht war, wurde nun zum Teil des korrumpierten Systems. Enrons Buchhalter und Wirtschaftsprüfer fälschten ihre Prüfberichte und attestierten der Firma Gewinne, die diese nie gesehen hatte. Sie verschleierten Verluste und deckten kriminelle Machenschaften. Mit Hilfe von hohen Bestechungsgeldern überzeugten die Verantwortlichen bei Enron eines der respektabelsten Buchprüfungs­unternehmen in Amerika, Arthur Andersen & Co., ihre illegalen Aktivitäten zu bemänteln. Die Unternehmensberatung Arthur Andersen, die mit Enron untergehen sollte (aber nicht, ohne vorher noch ein paar Tausend Seiten Aufzeichnungen durch den Reißwolf zu jagen), war die erste große Firma, an der deutlich wurde, wie korrupt die Wirtschaftsprüfungsunternehmen mittlerweile waren.

Früher nahmen die großen Buchprüfungsfirmen in der amerikanischen Wirtschaft einen besonderen Platz ein, galten sie doch als vertrauenswürdige Wachhunde des Marktes. Doch sobald bekannt wurde, dass die Wirtschaftsprüfer von Arthur Andersen den Verantwortlichen bei Enron geholfen hatten, die Rücklagen für die Betriebsrente der eigenen Angestellten zu stehlen und den Pensionsfonds abzuräumen, war klar, dass man keiner Aussage über die Finanzen dieses Unternehmens mehr vertrauen konnte, gleichgültig, von wem sie kam. Der Öffentlichkeit blieb somit keine objektive Möglichkeit mehr, sich über die Einkünfte, Schulden und Gewinne eines Unter­nehmens, über seine fundamentalen Daten also, zu informieren. Die Buchführung, einer der Grundpfeiler des kapitalistischen Systems, hatte damit ihren Vertrauensstatus eingebüßt.

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Da die Lobbyisten der Unternehmen jeden Versuch, die Buchführungs- und Buchprüfungsvorschriften zu verbessern, erfolgreich vereitelten, ist aus grundsoliden amerikanischen Unternehmen eine Art Disneyland der Hoch­finanz geworden, in dem gefälschte Zahlen, geheime Absprachen und massive Täuschung der Anleger quasi zum Handwerk gehören: eine Art »Amigo-Kapitalismus«. Doch auch nach dem Enron-Skandal gab es keine wesentlichen Reformen. Verurteilt und bestraft wurden nur ein paar untergeordnete Beteiligte. Die Corporados hingegen haben die Krise ausgesessen. Und das Spiel geht weiter.

 

   Die Marie Antoinettes der Weltwirtschaft  

 

Als Franklin D. Roosevelt gegen die »Wirtschafts-Royalisten« der 1930er Jahre wetterte, konnte er nicht ahnen, wie sehr sich die Lage in ein paar Jahrzehnten verschlimmert haben würde. Die Manager der großen US-Konzerne sind die Marie Antoinettes der Moderne — eine weitgehend geschlossene Kaste, die sich selbst erwählt und selbst regiert. Sie allein ernennen ihre Führungsmannschaft und besetzen den Vorstand der Firma mit Freunden. Sie schrecken nicht davor zurück, die Anleger genauso wüst auszunehmen wie die öffentlichen Kassen. Sie erledigen ihre Arbeit in einer Haltung des »Was schert mich die öffentliche Meinung«, die eines Commodore Vanderbilt würdig wäre, eines der berüchtigten Eisenbahn-Barone aus Amerikas Goldenem Zeitalter. Und was die praktische Seite angeht, so stehen sie letztlich über dem Gesetz.

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Wenn sie überhaupt je auf der Anklagebank landen, können sie sicher sein, dass ihre Anwälte sie durch zahlreiche taktische Manöver und unter Ausnutzung sämtlicher Verzögerungstechniken irgendwie herauspauken. Am Ende jedenfalls geschieht ihnen nichts, sie sind nur reich wie Krösus. In den 1990er Jahren haben zahlreiche Vorstandsvorsitzende in den USA gegen jede nur erdenkliche Buchführungsvorschrift verstoßen. Es gab einige Aufsehen erregende Festnahmen, doch nur die wenigsten Führungskräfte hatten strafrechtliche Konsequenzen zu befürchten. Meistens hatten sie irgendwelche Vereinbarungen getroffen, die ihnen erlaubten, das Geld zu behalten, das sie ihren Angestellten geklaut oder ihrer Firma unterschlagen hatten. Ein paar von ihnen genehmigten sich selbst als Sahnehäubchen obendrein noch lukrative Abfindungen, als sie aus der Firma ausschieden — meist in Form von Prämienzahlungen oder millionenschweren Pensionszusagen.

Das also sind die Leute, die die amerikanische Politik bestimmen. Sie kontrollieren Parteien und Politiker und üben so weltweit Macht aus. Trotzdem kann man sie nicht zur Verantwortung ziehen. In den vergangenen zwanzig Jahren scheinen sie auch noch das letzte Interesse verloren zu haben, sich zumindest den Anschein der Respektabilität zu geben. Eher bedienen sie sich heute noch schamloser, weil sie in gewisser Weise unangreifbar geworden sind. Tatsächlich handelt es sich bei den Corporados um die privilegierteste Klasse von Menschen, die die Welt seit den Tagen des Ancien Regime gesehen hat. Doch bislang sind keine Guillotinen in Sicht. Gibt es »Beweise« dafür, dass sie die treibende Kraft hinter dem Vormachtstreben der USA sind? Die Frage allein ist schon absurd. Nicht, weil die Corporados so gerissen sind, dass sie ihre Spuren kongenial verwischen würden.

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Das haben sie nämlich nicht nötig, weil sie erst gar keine Spuren hinterlassen. Wir reden hier schließlich nicht von finsteren Gestalten, die irgendwelche Verschwörungen planen, um ihre Ziele zu erreichen. Geflüsterte Botschaften, geheime Dokumente — solch einen Aufwand haben sie gar nicht nötig. Die Corporados sind eine Interessengemeinschaft, die so eng miteinander verflochten ist, deren Verbindungen mit der Politik so eng geknüpft sind, dass ihr Wunsch mehr oder weniger spontan zum Gesetz wird. Sie sind wie zahlreiche, von einem Gehirn gesteuerte Körper, und dieses Gehirn denkt nur eines: »Profit, Profit, Profit.« Und alles, was sie zum Erreichen dieses Ziels tun müssen, ist, die Regeln und Gesetze, die einzelne Regierungen dem Markt auferlegen, auszuhebeln und außer Kraft zu setzen. Und dieses Vakuum reguliert sich dann automatisch nach Maßgabe ihrer Interessen.

Man möchte meinen, dass die Corporados Erzkonservative aus Prinzip sind, deren Credo heißt: freier Markt, wenig Staat, schwache Bürger-, aber massive Eigentumsrechte. Doch tatsächlich gibt es nicht einen Grundsatz konservativer Politik, den sie nicht schon verraten hätten, falls dies ihren Interessen dienlich war. Was letztlich nur heißt, dass Geschäftsleute keine Philosophen sind. Betrachtet man die Geschichte einmal unter diesem Blickwinkel, wird klar, dass Amerikas Unternehmen noch nie »wenig Staat« angestrebt haben. Ganz im Gegenteil: Sie setzten sich immer schon für eine starke Regierung ein, die ihre Interessen unterstützt. Dazu gehört zum Beispiel auch ein Verteidigungsministerium, das lukrative Aufträge vergibt. Eine Armee, welche die Investitionen in Übersee schützt — und nebenbei vielleicht noch ein bisschen Kriegsbeute macht wie auf den Ölfeldern des Irak.

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Dazu gehört ein Innenministerium, das den Weg frei macht für Ölbohrungen, das Abholzen von riesigen Waldflächen sowie für flächenintensiven Tagebau. Und natürlich steuerfinanzierte Staatsschulden, die den Konsum anheizen. Sowie das Federal Reserve Board, das die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen stabil halten und mit niedrigen Zinsen dicke Gewinne gewährleisten soll. Die amerikanischen Unternehmen haben kein Problem mit den die Bürgerrechte einschränkenden Aktivitäten des Department of Home Security (»Ministerium für Heimatschutz«) oder einem ausufernden FBI-Apparat, denn Freiheit ist für sie nur insofern ein Wert, als es um die Freiheit der Profitmaximierung geht.

Auch hohe Steuerlasten lassen die Unternehmen kalt, solange sie diese nicht zu tragen haben. Mit hohen Steuern, die von der Arbeiter- und der Mittelschicht berappt werden, können die staatlichen Finanztöpfe gefüllt werden, aus denen man sich Bürgschaften, Subventionen oder Staatsdarlehen zur Abwendung von Insolvenzen und dergleichen Annehmlichkeiten mehr besorgen kann, ehe diese Gelder für demokratisch abgesegnete Zwecke verwendet werden können. Eine Art »Unternehmens-Sozialhilfe« also. Geschäfte mit der Regierung zu machen war in kapitalistischen Gesellschaften ja immer schon die schnellste Art, reich zu werden. Keine Investition an der Börse wird je so viel einbringen wie der Einkauf von Gesetzen und Gesetzgebern. Es gibt keine bessere Unternehmensstrategie als die finanziellen Zuwendungen an die richtigen Leute in Washington.

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Was zudem den freien Markt angeht, so hat noch kein Unternehmen je auf seine Monopolstellung verzichtet, um den Wettbewerb am Markt nicht zu beeinträchtigen. Wie Microsoft heute, so versuchen die Managementstrategen schon seit den Tagen von John D. Rockefeller und Andrew Carnegie, ihre Konkurrenten aus dem Markt zu drängen und sich selbst die größten Anteile zu sichern. Ironischerweise haben nur die von liberalen Regierungen ergriffenen Regulierungsmaßnahmen die Trusts, Kartelle und Industriekonglomerate daran gehindert, den Markt zu verschlingen.

Seit dem Zweiten Weltkrieg hat keine Interessengruppe im Land so intensiv darauf hingewirkt, den Regierungs- und Verwaltungsapparat aufzublähen, wie die amerikanischen Unternehmen. Wobei die Corporados nur am Machtzuwachs interessiert sind, den ihnen dieser vergrößerte Staatsapparat verschafft, während die damit verbundenen Kosten gern von jenen getragen werden dürfen, die sich keinen Platz im Steuer-Paradies an den Offshore-Finanzplätzen dieser Welt leisten können. Wenn das amerikanische Big Business davon spricht, den »Staat zu verschlanken«, dann ist damit einzig gemeint, sozialpolitische Maßnahmen herunterzufahren, die den Familien der Arbeiter- und Mittelschicht zugute kommen. Oder Regierungsaufgaben zu privatisieren, die künftig so erledigt werden sollen, dass sie Profit abwerfen.

Doch sind da noch weit bedenklichere Einflüsse, welche die neuen Management-Berühmtheiten auf das politische System Amerikas ausüben. Das viele Geld, das sie angesammelt haben, trägt ihnen grenzenlose Bewunderung ein. Das Wertesystem dieser Leute prägt die amerikanische Kultur in einem bisher ungekannten Ausmaß. Ihr Ansehen, ihr Glamour wuchs, und Amerika, das sich so leicht von Ruhm und Reichtum verzaubern lässt, war hingerissen. So setzten die Unternehmensvorstände neue Verhaltensstandards für Führungskräfte: Hart, entschlossen, praktisch orientiert sollen sie sein.

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Sie sind die Männer, die wissen, wie man die Dinge anpackt. Männer, die von ihren Untergebenen bedingungslose Loyalität erwarten. Sie sehen keine Veranlassung, anderen Menschen ihr Handeln zu erklären — ob es sich nun um Aktionäre, Angestellte oder die öffentliche Meinung als solche handelt. Sie beanspruchen für sich das Recht, Macht mit absoluter Autorität und unbehelligt von jeder Kontrolle auszuüben. Nicht einmal die totale Rücksichtslosigkeit und die ständigen Betrugsmanöver konnten die Begeisterung der Öffentlichkeit für diese neuen Lichtgestalten des »Erfolgs« schmälern. So als könne man von Menschen, die milliardenschwere Unternehmen leiten, einfach nicht erwarten, nett, ehrlich oder demokratisch zu sein.

In einer neuen Show, die Anfang des Jahres 2004 ausgestrahlt wurde, kämpften mehrere Kandidaten darum, Mitarbeiter von Donald Trump, dem abgebrühten und charismatischen Immobilien-Tycoon aus New York, zu werden. Von den Kandidaten wurde erwartet, dass sie über Leichen gehen. Sie sollten buchstäblich alles tun, um ihre Rivalen auszustechen und die Gunst des potenziellen Arbeitgebers zu erringen. So und nur so, suggerierte man den jungen Mitspielern, hätten sie eine Chance, eines Tages so reich zu werden wie Donald Trump.

Dies sind also die Männer, an die unsere Politiker sich wenden müssen, wenn sie gewählt werden wollen. Irgendwann musste der Stil der neuen Managerklasse auf die Politiker abfärben, die deren Unterstützung brauchten. Und tatsächlich ist dies der neue Kodex in Washington, den George W. Bush und sein Vizepräsident Dick Cheney eingeführt haben. Der Irakkrieg ist ein ausgezeichnetes Beispiel für diese Politik im Managerstil. Als George W. Bush die Zeit für gekommen hielt, sich auf selbstherrliche, manipulative und geheimnistuerische Art das Mandat für den Einmarsch in den Irak zu erschleichen, tat er nichts anderes als ein CEO: Er führte seine Regierung, wie ein Manager sein Unternehmen geführt hätte.

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  Die Rückkehr des Darwinismus  

 

Die hier geschilderten Charakteristika sind keineswegs nur für die amerikanische Geschäftswelt typisch. Mit der Globalisierung wurde diese Rücksichtslosigkeit zum Stil aller Konzerne, ganz egal, wo sich der Firmensitz befindet. Die Business-Elite ist auf dem Weg, eine eigene internationale Gesellschaft zu werden, eine verschworene unternehmerische Bruderschaft, die mit zunehmender Verflechtung jede nationale Bindung verliert. »Patriotismus« als öffentliche Tugend wird nur noch von jenen erwartet, die Steuern bezahlen oder Leib und Leben riskieren, um das Land zu retten. Der Manager sei frei davon. Sie haben ihren Lehnsschwur längst anderswo geleistet: bei der internationalen Bruderschaft der Profiteure.

So verkündete Carly Fiorino, Vorstandsvorsitzende von Hewlett Packard und eine der wenigen Frauen, die es in den Olymp der Geschäftswelt geschafft haben, im Januar 2004 auf einer Pressekonferenz ihres Unternehmens, es gebe keinen »Job mehr, der Amerikas gottgegebenes Recht« sei. So verteidigte sie die Firmenstrategie, immer mehr Hightech-Arbeitsplätze nach China auszulagern. Tatsächlich wurde diese Konferenz veranstaltet, um Druck auf die Regierung auszuüben, damit diese den Transfer von Arbeitsplätzen vereinfachen sollte. Die Botschaft war klar und unmissverständlich: Wenn Amerikas Arbeitnehmer nicht bereit sind, für ähnlich niedrige Löhne wie die Chinesen zu arbeiten, werden sie bald keinen Arbeitsplatz mehr haben.

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Dabei vergaß sie zu erwähnen, dass die Hälfte der chinesischen Firmen, mit denen sie angeblich im Wettbewerb steht, ohnehin amerikanischen Gesellschaften gehören. Die Arbeitsplätze wandern aus, die Profite aber bleiben im Land. Was soll man auch von Vorständen erwarten, die in New York frühstücken, in Brüssel zu Mittag essen und abends in Tokio zum Dinner geladen sind? Vielleicht wird eines nicht allzu fernen Tages über allen multinationalen Konzernen der Welt die Flagge der steuerfreien Kayman-Inseln wehen.

Die Suche nach den billigsten Arbeitskräften ist in der globalisierten Wirtschaft mittlerweile gängige Praxis. Doch auch hier unterscheiden sich die amerikanischen Corporados radikal von den kapitalistischen Akteuren anderer Nationen. Sie zeichnen sich durch den quasi-religiösen Eifer aus, mit dem sie die darwinistische Doktrin des Eigeninteresses verfechten. Dies liegt vor allem daran, dass sie den Zaubersprüchen triumphalistischer Ideologen erlegen sind, die mit einem seltsamen Stolz verkünden, dass nach ihrer Sozialethik nur die Härtesten überleben. Ideologen, die all jene Maßnahmen rückgängig machen wollen, die in den letzten Jahrzehnten ergriffen wurden, um den Raubtierkapitalismus des frühen Industriezeitalters einzudämmen. Angesichts der enormen Produktivität der entwickelten Länder ist schon eine gewisse Findigkeit nötig, um das Leben so unsicher zu gestalten, dass die arbeitende Bevölkerung sich entsprechend krumm legt, um ihren Job zu behalten. Doch genau das ist den Corporados gelungen.

Bei der Wiederbelebung ihrer sozialdarwinistischen Ethik können die Corporados mit einem Mythos rechnen, der tief in der amerikanischen Seele verwurzelt ist.

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Die Weltsicht der Amerikaner ist noch heute geprägt von der Grenzsituation des Pionierlebens, in der jeder für sich allein stand. In den frühen Tagen der Pioniere war dieser Kampfgeist lebensnotwendig — und ist es noch heute in allen Gesellschaften, die gerade erst entstehen. Doch wie jeder Historiker weiß, bemühten sich gerade jene, die den Westen aufbauten, um eine bessere Sozialordnung und versuchten, diese so schnell wie möglich durchzusetzen. Sobald das Land einmal kolonisiert war, wurden Städte gegründet — von der Regierung. Sie sorgte dafür, dass die grundlegenden Annehmlichkeiten des Lebens zur Verfügung standen, erhob Steuern, um Schulen einrichten und die öffentliche Ordnung aufrechterhalten zu können. Der Staat schickte Marshalls, eine frühe Form der Bundespolizei, um dem Unwesen der Revolverhelden ein Ende zu setzen. Auf diese Weise wurde der Westen besiedelt. Die Härte der Pioniertage wich schnell einer zivilisierten, auf Sicherheit bedachten Lebensweise. Und was sich im amerikanischen Westen abspielte, geschah so oder so ähnlich auch in der städtisch-industrialisiertenWelt.

An dieser Stelle ist vielleicht ein kurzer geschichtlicher Exkurs angebracht.

In den letzten Jahren des viktorianischen Zeitalters eröffnete der englische Politiker Joseph Chamberlain eine prekäre Diskussion. Chamberlain war der im Aufsteigen begriffene Stern am Himmel von William Gladstones liberaler Partei, die damals für ein fortschrittliches Programm sozialer Reformen unter dem Titel »Municipal socialism« eintrat. Chamberlain, dem die Reformen noch nicht weit genug gingen, stellte in diesem Zusammenhang die entscheidende Frage: »Wie viel ist den Besitzenden ihre Sicherheit wert?«

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In ihrer Pointiertheit weisen diese Worte auf eine Entwicklung hin, welche die westlichen Gesellschaften massiv verändern sollte. In den letzten Jahren des neunzehnten Jahrhunderts erfasste eine historische Bewegung ganz Westeuropa, die mit Hilfe sozialer Reformen den Reichtum in den einzelnen Ländern gerechter zu verteilen suchte. Und die Unternehmer der damaligen Zeit wären vermutlich recht schockiert gewesen, hätten sie gewusst, dass Chamberlain nur der Schatten war, den die Zukunft warf. Damals entstand, was wir heute die »öffentliche Hand« nennen, der Sektor, in dem mit Steuergeldern für das Wohl der Gemeinschaft gesorgt wird, und mit ihm die Hoffnung auf ein neues Sozialsystem, das politisch weder rechts noch links stand.

Die Industriegesellschaft litt während der ersten zwei Jahrhunderte ihrer Entwicklung unter dem Kampf einander entgegengesetzter Ideologien, in denen ihre Vertreter jeweils den Entwurf der vollkommenen Gesellschaft sahen. Die konservativen Denker bauten die Idee vom freien Markt zu einem umfassenden ethischen, politischen und ökonomischen System aus, während die Radikalen große Pläne für eine Zukunft des Kollektivbesitzes unter Aufsicht eines paternalistischen Staates schmiedeten. Wenn wir aus dieser Zeit etwas gelernt haben, dann die Tatsache, dass die Wirklichkeit nie der reinen Lehre gehorcht. Gerade der Versuch, diese ideologische Reinheit durchzusetzen, führte zu Fanatismus und brutaler Unterdrückung. Trotz der ideologischen Grabenkämpfe der Rechten und Linken, die die moderne Politik vielfach geprägt haben, geht der Trend in den kapitalistischen Gesellschaften im Westen und in Japan zu gemischten Wirtschaftssystemen, in denen eine gewisse Form der Planwirtschaft sowie der öffentliche Sektor eine immer größere Rolle spielen, um die Wirtschaft stabil zu halten und die ärgsten Auswüchse der Armut in den Griff zu bekommen.

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Im Gegenzug für die Freiheit, ihre Geschäfte auf innovative, riskante und häufig zerstörerische Weise betreiben zu können, haben die Unternehmer akzeptiert, dass der freie Markt mit Sicherheitsgurten und Airbags ausgestattet wurde, um die schlimmsten Formen von Instabilität und Elend zu verhindern. Dieses Arrangement hat durchaus seinen Sinn. Es befreit die Unternehmen von der Verantwortung, ein Sicherheitsnetz für den freien Markt bereitstellen zu müssen, sodass sie infolgedessen mehr Freiheit haben, das zu tun, was sie angeblich am besten können: erfinderisch und innovativ Risiken eingehen, um Geld zu verdienen.

Daher haben die meisten kapitalistischen Gesellschaften ein Wohlfahrtssystem eingeführt. Trotzdem gibt es in jeder Industriegesellschaft reiche Menschen. Das Unternehmertum wird für seine Risikofreude immer noch fürstlich belohnt. Und der Markt hat nach wie vor seine Boom- und Bust-Phasen. Gleichzeitig aber besteht eine stillschweigende Übereinkunft von Seiten der Politiker, ob sie nun dem rechten beziehungsweise linken Lager oder gar der Mitte angehören, einen allgemein hohen Lebensstandard zu bewahren. Keine Weltwirtschaftskrisen mehr, keine Hungerlöhne. Wenn diese Übereinkunft auch die Pole von Reichtum und Armut nicht aufgehoben hat, so hat sie zumindest dafür gesorgt, dass die Kluft zwischen den beiden sich ein wenig schließt. Man streitet nach wie vor darüber, wie hoch die Renten sein können, wie viel Geld für Bildung und Gesundheit ausgegeben wird oder wie viel bezahlten Urlaub ein Land sich leisten kann. Doch niemand hat je ernsthaft in Betracht gezogen, dass diese grundlegenden Errungenschaften nicht mehr aus dem nationalen Einkommen bestritten werden sollen. Die lange Geschichte der Reformen des Wohlfahrtsstaates hat eine Vision hervorgebracht, die zeigt, wie ein moderner Industriestaat aussehen sollte: eine stabile, gesunde Gesellschaft, der faires Teilen wichtiger ist als wettbewerbsbetontes Raffen.

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Bisher gab es genau zwei Ausnahmen zu dieser allgemeinen Entwicklung: Großbritannien seit der Regierung Thatcher und die Vereinigten Staaten seit der Reagan-Ära. Beide Länder erlebten im späten zwanzigsten Jahrhundert das Wiederaufflackern einer krude individualistischen, kapitalistischen Ideologie, einen Rückfall in den ökonomischen Primitivismus des neunzehnten Jahrhunderts. In beiden Ländern wurden soziale Maßnahmen systematisch ausgedünnt, während die Wirtschaftspolitik sich zunehmend der orthodoxen Lehre vom freien Markt zuwandte. Margaret Thatcher sagte einmal, ihr Ziel sei es, »den Sozialismus auszumerzen«. Und Ronald Reagan definierte seine Absichten so: Er wolle dafür sorgen, dass alle Amerikaner »die Regierung abschütteln« könnten. In beiden Ländern wurde die Verhandlungsmacht der Arbeiterorganisationen massiv geschwächt. Große Teile des öffentlichen Sektors und Eigentums wurden privatisiert. Gleichzeitig wurden die trostlosen Parolen des Sozialdarwinismus, der in den restlichen Industriestaaten längst als ausgestorben galt, wieder aus der Mottenkiste gekramt.

Und so sieht das Ergebnis aus: In den Vereinigten Staaten gehen die Kinder der Schicht, welche die Regierung beschönigend »die arbeitenden Armen« nennt, hungrig zu Bett. In den billigeren Vierteln amerikanischer Städte wuchern Sweat-shops. Mehr als 40 Millionen Menschen sind nicht krankenversichert.

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Wer arbeitslos ist, wird sehr schnell arm. Allein erziehende Mütter erhalten keinerlei Hilfe mehr vom Staat und sind deshalb gezwungen, schlecht bezahlte Jobs anzunehmen. In allen Städten Amerikas werden öffentliche Parks, Schulen, Bibliotheken und Krankenhäuser geschlossen, weil sie angeblich unbezahlbar geworden sind. Der ganz normale Angestellte trägt die Hauptlast. Von ihm erwartet man, wirtschaftliche Schwankungen in entfernten Weltregionen auszubaden, über die er nicht die geringste Kontrolle hat. Er soll zusehen, wie sein Arbeitsplatz in Billiglohnländer abwandert, und freiwillig seinen Lebensstandard beschneiden lassen. Dazu nur eine von vielen Zahlen, die eine recht deutliche Sprache sprechen: Seit Reagans Präsidentschaft 1980 begann, ist die Zahl der Obdachlosen und Ausgestoßenen, die in amerikanischen Städten an Unterkühlung, Auszehrung und anderen Krankheiten sterben, ständig gestiegen. Heute gehen in den meisten großen Städten pro Jahr etwa einhundert Menschen auf diese Weise zu Grunde.

Noch vor kurzem wäre diese Art tödlicher Interesselosigkeit sogar für amerikanische Konservative nicht hinnehmbar gewesen. Wie alle anderen entwickelten Länder hatte auch Amerika die Zeit, in der Menschen verwahrlost auf der Straße sterben, hinter sich gelassen. Dank der sozialdarwinistischen Wiedergänger wurden die Uhren zurückgedreht.

Die Corporados betrachten Elend wie dieses als legitimes Mittel, die arbeitende Bevölkerung zu disziplinieren und die Armen zu bestrafen. In ihrer Rhetorik nennt sich das »Menschen aus der Abhängigkeit befreien«. In ihren Augen ist es gut für die Seele der Nation, wenn man die Bevölkerung insgesamt den Unsicherheiten des Marktes überlässt.

Wenn Angestellte sich um ihren Job, wenn nicht gar ums Überleben, Konkurrenzkämpfe liefern müssen, steigert dies angeblich Initiative und Erfindungsgeist — zwei Qualitäten, die Amerika groß gemacht haben. Im dauernden Kampf ums tägliche Brot würden wir schließlich wie sie: geschickt, selbstständig, hartgesotten. Wie alle Sozialdarwinisten vergangener Zeiten betrachten sich auch die Corporados als die Creme de la Creme der Zivilisation.

Bald stellte sich außerdem heraus, dass der darwinistische Führungsstil der Killer-CEOs unabdingbar war, wenn man in der neuen globalisierten Wirtschaft der 1990er Jahre überleben wollte. Die großen Handels­abkommen jener Zeit ermöglichten es den Führungskräften amerikanischer Unternehmen, jeden »kleinlichen Nationalismus« ein für alle Mal abzulegen.

Mit NAFTA und GATT hat Präsident Clinton, ein Demokrat, den Corporados das größte Geschenk gemacht, das amerikanische Unternehmen je von einem Präsidenten erhalten haben, seit Calvin Coolidge 1920 die Gewerkschaften kaltstellte.

Heute können die amerikanischen Firmen Güter, Fabriken, Kapital, ja ganze Industriezweige rund um den Globus exportieren. Auf diese Weise wandern immer mehr Jobs in Billigländer ab. Millionen amerikanischer Arbeiter, darunter auch so mancher teuer ausgebildete Hochschulabsolvent, werden arbeitslos und sind gezwungen, jeden beliebigen Job anzunehmen. Ein Programmierer, der in den Vereinigten Staaten 65.000 Dollar im Jahr verdiente, wird durch einen Inder oder Pakistani ersetzt, der dieselbe Arbeit für 10.000 Dollar erledigt.

Die amerikanischen Unternehmen unter der Führung der Killer-CEOs machen die Wirtschaft ihres Landes kaputt. Und diese Art des Treuebruchs gilt ihnen auch noch als gesund, als Rückkehr zur alten Arbeitsmoral, zur natürlichen Ordnung der Dinge, in der eben nur der am besten Angepasste des Überlebens würdig ist.

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