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Die Corporados 

 Götzendiener des Marktes 

Roszak-2003

 

92-113

Mittlerweile hat »der Markt« bei den Corporados den Nimbus des Transzendenten erreicht. Der Begriff an sich wird - gewöhnlich ohne genauere Definition und historische Eingrenzung - als Synonym für den Lauf der Geschichte benutzt. Der »Markt« hat den Kalten Krieg gewonnen. Der »Markt« garantiert der ganzen Welt Freiheit und Wohlstand. Der »Markt« ist das Allheilmittel für soziale Probleme aller Art.

Wie christliche Missionare, die einst auszogen, um die Heiden zum einen, wahren Glauben zu bekehren, so verkündet die amerikanische Konzernwelt der unwissenden Menschheit das Evangelium des freien Marktes.

Für einen triumphalistischen Konservativen kennt die Heilkraft des modernen Marktes keine Grenzen. Die Formen, die dieses numinose Dogma mitunter annimmt, grenzen ans Lächerliche. So präsentierte das Verteidigungs­ministerium im Juli 2003 stolz den »Policy Analysis Market« als neue Waffe im Kampf gegen den Terrorismus. Vorgestellt wurde sie von der renommierten Defense Advanced Research Projects Agency, einer Bundesbehörde, die sich innovative Konzepte der Landesverteidigung ausdenkt. Analog den Future-Märkten für Rohstoffe und Währungen sollte per Internet ein Future-Markt für Terroranschläge geschaffen werden. Nur dass die Investoren in diesem Fall auf Bombenanschläge, Attentate, Entführungen und Putschisten wetteten.

Begründet wurde diese Idee mit der Wirtschaftstheorie von den effizienten Märkten. Diese geht davon aus, dass der Markt die ideale Nachrichtenquelle ist, weil sämtliche Informationen sofort in ihn einfließen und in Echtzeit verwertet werden. Sachkundige Menschen auf der ganzen Welt würden ihr Bestes tun, um die Wahrscheinlichkeit terroristischer Attacken einzuschätzen und ihr Geld dementsprechend zu platzieren. Dieses »smart money« würde dann automatisch die höchsten Wahrscheinlichkeiten für terroristische Angriffe lokalisieren, sodass die amerikanischen Geheimdienste an den entsprechenden Orten ihre Nachforschungen verstärken könnten. Stiege der Preis der Futures für einen Anschlag auf den Eiffelturm innerhalb der nächsten vier Wochen an, so hieße das, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit tatsächlich ein solcher Terrorakt bevorstünde.

Der Vorschlag war so haarsträubend, dass einige Zeitungen ihn als Gag, sozusagen als verspäteten Aprilscherz präsentierten. Er wurde tags darauf verworfen, war aber ursprünglich durchaus ernst gemeint. Das Verteidigungsministerium hatte für seine Ausarbeitung schon fast eine Million Dollar ausgegeben und forderte nun drei Millionen Dollar nach. Das Interessanteste an der ganzen Idee ist ein Punkt, den ihre Väter übersehen haben, auch wenn die Kritiker schnell dahinter kamen: Terroranschläge folgen nicht den Gesetzmäßigkeiten der Weizen- oder Haferernte, die ja nicht von Menschenhand gesteuert wird. Für Al Qaida hingegen wäre solch ein Future-Markt ein wahres Gottesgeschenk. Dort könnten sie Gewinn bringend auf eigene Anschläge spekulieren oder — was noch wahrscheinlicher wäre — die Wahrscheinlichkeiten nach Gutdünken manipulieren. Dass dieser so offenkundige Mangel übersehen wurde, zeigt deutlich, wie blind Menschen allem gegenüber sind, was das Etikett »Markt« trägt.

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Der »Markt« ist das neue Evangelium der amerikanischen Rechten. Wenn es nach den Corporados ginge, fände der Markt für jedes Problem eine Lösung. Bildung? Man löse das öffentliche Schulsystem auf und verteile Gutscheine an die Eltern, die diese an jeder Schule ihrer Wahl einlösen können. Gesundheitswesen? Am besten gesichert durch den Wettbewerb privater Krankenversicherungen. Renten? Am Kapitalmarkt erbringen die Ersparnisse der arbeitenden Bevölkerung die besten Renditen. Umweltschutz? Lasst uns doch den regulierenden Einfluss des Gesetzgebers durch Marktanreize ersetzen, zum Beispiel durch »Verschmutzungsrechte«, die von »sauberen« an »dreckige« Produzenten verkauft werden können. Und öffentliche Ländereien privatisiert man am besten auch gleich, dann werden sie vom Eigeninteresse der Eigentümer geschützt. Es mag unglaublich erscheinen, doch einige hyperkonservative Umweltschützer treten tatsächlich dafür ein, die Weltmeere mit all ihren Ressourcen an den Meistbietenden zu verkaufen. Solche Gruppen publizieren auch gleich Artikel zu dem Thema, wie man Fischschwärme kennzeichnen könne, um sie als Privateigentum zu deklarieren.

Die Götzendiener des Marktes haben sogar eine Lösung gefunden, wie sich der korrumpierende Einfluss des Geldes auf die amerikanische Politik vermeiden ließe. Wir sollten doch einfach aufhören, darüber nachzudenken. Der Markt wird die Politik doch früher oder später ersetzen. In ihren Augen ist der Markt der demokratischste von allen sozialen Mechanismen. Man muss nur die Menschen als Verbraucher sehen statt als Wähler. Kaufen heißt abstimmen — mit Hilfe des eigenen Einkommens.

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Was die Menschen kaufen, ist das, was sie wirklich brauchen. Wenn sie freiwillig mehr Geld für Basketball als für die Oper ausgeben, dann wäre es von Seiten der Regierung mehr als elitär, wenn sie mit Steuergeldern die Oper subventionierte. Wenn die Bürger lieber ein Home-Entertainment-Center hätten als eine Schule, dann sei es. Sobald sämtliche öffentlichen Institutionen und Maßnahmen auf den Markt übertragen sind, werden sogar Politiker überflüssig. Die unsichtbare Hand des freien Marktes wird alle Probleme lösen.

Und wenn wir schon dabei sind: Warum sollten Wahlen nicht ebenfalls für den freien Einsatz von Geld offen sein, wie der Markt es ist? Verbraucher kaufen Produkte, weshalb sollten Politiker nicht auch Wählerstimmen kaufen können? Wer immer das Geld hat, die nötigen Stimmen zu kaufen, dem sollte das nicht verboten werden. Die Freiheit, sich Wählerstimmen zu kaufen, ist schließlich ein ebenso wertvolles Gut wie die Freiheit der Rede. Geld ist das Ausdrucksmittel der Reichen. Lassen wir also jene, die der Markt begünstigt hat, ihren Reichtum zum Kauf eines politischen Amtes verwenden — und zwar nicht heimlich und verstohlen, sondern offen und voller Stolz. In den letzten zwanzig Jahren haben ohnehin mehr und mehr Millionäre ihr Geld genutzt, um sich Wahlkampagnen zu finanzieren. 1996 gab ein Kandidat, der für Kalifornien in den Senat einziehen wollte, 40 Millionen Dollar seines eigenen Vermögens aus, um seinen Wahlkampf zu finanzieren. (Er verlor.) Ein Kandidat für den Posten des Bürgermeisters in New York City machte 70 Millionen Dollar für seine Wahl locker. (Er gewann.) Mehr und mehr Amerikaner sehen Millionäre in der Politik als die ideale Lösung für das hoffnungslos korrupte Wahlsystem der Vereinigten Staaten. Sie gelten als ehrlich, weil sie ihr eigenes Geld ausgeben, um gewählt zu werden. Dahinter steht die illusorische Vorstellung, sie müssten keine unsauberen Deals mit anderen eingehen.

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Im Jahr 2002 strahlte der Sender Public Broadcasting System in den Vereinigten Staaten eine Fernsehserie aus, die den Titel The Commanding Heights, auf Deutsch etwa An den Schaltstellen der Macht, trug. Der Wirtschaftswissenschaftler Daniel Yergin zeichnet für das Script der mit hohem Budget und reißerischem Gestus produzierten und beworbenen Serie verantwortlich. Wenn man berücksichtigt, wie viel Geld und Wissen hinter dieser Produktion steckt, handelt es sich vermutlich um die Fernsehsendung mit dem höchsten Quotienten an Fehlinformationen, die je ausgestrahlt wurde. Doch gerade dieser Konstruktionsfehler zeigt, wie abhängig die triumphalistisch orientierten Konservativen mittlerweile von der Ideologie des freien Marktes sind. Darüber hinaus lassen sich darin bequem gebündelt all jene Grundprinzipien ablesen, die schon bald die amerikanische Außenpolitik prägen werden, wenn die Corporados und ihre intellektuellen Handlanger ihren Willen durchsetzen.

Zu Beginn der Serie wird eine neue Dichotomie skizziert. Die Geschichte der modernen Wirtschaftswissenschaften, so heißt es, pendle zwischen dem Gedankengut des rechten und des linken politischen Flügels. Auf der Seite der politischen Rechten haben wir die »Marktbefürworter« wie Friedrich Hayek und die von ihm inspirierte Chicago School. Der Großteil der Serie ist ein Loblied auf Hayeks Genialität, der als der größte Ökonom seit Adam Smith bezeichnet wird. Immer und immer wieder werden die langen Jahre beklagt, in denen Hayek die gebührende Anerkennung versagt geblieben ist. Tatsächlich liefert sein triumphaler Aufstieg aus der Bedeutungslosigkeit das dramatische Grundgerüst der ganzen Serie.

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Wenn Hayek also dem rechten Flügel der modernen Wirtschaftswissenschaft zuzurechnen ist, wen haben wir dann auf Seiten der Linken? Namen aus dem sozialistischen oder kommunistischen Lager drängen sich auf: Vielleicht Karl Marx? Oder Mao Tse-tung? Die britische Fabian-Gesellschaft? Die Sozialdemokratie? Weit gefehlt. Für Daniel Yergin wird das äußerste linke Spektrum von John Maynard Keynes und dem Sozialstaat besetzt.

Nun sind die Historiker sich zwar einig, dass Keynes' wichtigste Funktion für die moderne Wirtschaft in der Rettung des Kapitalismus aus seiner dunkelsten Stunde besteht. Tatsächlich wollte Keynes seine Theorien immer in dieser ausgesprochen unrevolutionären Art und Weise verstanden wissen. Ihn als Vertreter des angeblich diskreditierten linken Flügels der Wirtschafts­wissenschaft zu sehen, ist geschichtlicher Revisionismus, der der Orwellschen Utopie in nichts nachsteht. Mit einem Streich verschwindet das erste und trostlose Jahrhundert des Industriezeitalters mit all seinem Leid, seinem Elend und seiner Ungerechtigkeit aus dem Blickfeld — und mit ihm der radikale, sozialistische Teil des modernen wirtschaftlichen Denkens. Dass die Sowjetunion zusammenbrach, wird als Beleg dafür zitiert, dass das Streben nach sozialer Gerechtigkeit auch im Kapitalismus sinnlos ist. So bleibt also nur die wirtschafts­wissenschaftliche Mitte übrig, die nun an den äußersten linken Rand rückt.

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Ein sehr interessanter Versuch der Geschichtsklitterung. Denn dadurch wird liberales Denken zum Hauptfeind des freien Marktes stilisiert. Und alle Themen, die früher Gegenstand wichtiger ökonomischer Debatten waren, wie die Frage nach dem Recht auf Eigentum, unzulässiger Bereicherung, Kontrolle über die Produktionsmittel und Regulierung des Marktes, verschwinden im Abfalleimer der Geschichte. Keine dieser großen moralischen Fragen wird auch nur ansatzweise erwähnt. Not, Elend, Ausbeutung haben nie existiert. Die Industrialisierung kam in die Welt als deus ex machina und erwies sich von Anfang an als wunderbare Sache für alle Betroffenen — und ihre Kritiker waren nichts weiter als ewig nörgelnde Ideologen.

Genau denselben Standpunkt vertritt Hayek selbst in seinem 1954 erschienenen Buch Capitalism and the Historians, in dem er einen recht merkwürdig anmutenden Überblick über die Entwicklung der Industriegesellschaft gibt. Kaum haben die Dampfmaschinen in Mittelengland ihre Arbeit aufgenommen, sieht die gesamte Arbeiterklasse sich auch schon in bessere wirtschaftliche Verhältnisse hineinkatapultiert. Und er bemüht zahlreiche Statistiken, um diese »Tatsache« zu belegen. Der Preis für Tee und Zucker fiel. Unterwäsche und Beerdigungen wurden billiger. Wie also kommen so viele Historiker zu der Aussage, der Beginn der industriellen Revolution sei für die meisten Menschen mit Armut und Elend verbunden gewesen? Ganz klar: Die Kritiker vom linken Flügel haben die Geschichte verfälscht. Also war, bevor Keynes kam, mit den Industriegesellschaften alles in bester Ordnung. Es gab schlicht keine Probleme, die der Staat hätte lösen müssen. Und so wird Hayeks einseitig verklärende Sicht der Dinge zum einzig vernünftigen Standpunkt der Wirtschafts­wissenschaft erklärt, während Keynes kurz abgefertigt wird. Er lag halt einfach daneben.

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Kein Wort davon, dass Hayeks Theorie des freien Marktes in der Volkswirtschaft als unangreifbar galt, bis die Weltwirtschaftskrise klar zeigte, dass der unregulierte Markt, der einzig von der Ethik des Eigeninteresses getrieben wurde, versagen musste und niemals in der Lage sein würde, innerhalb eines politisch tragbaren Zeitrahmens für wirtschaftliche Erholung zu sorgen. Nicht die Vorurteile seiner Volkswirtschafts­kollegen waren es, die Hayek und seine Chicago School nach 1930 in die Wüste schickten. Ihre Theorien hatten sich de facto als inadäquat erwiesen. Und natürlich spart die Serie auch die wichtige Rolle keynesianischer Politik bei der Behebung der Schäden aus, welche die Große Depression angerichtet hatte.

Hätte man Hayek zum Ratgeber während der Depression in den schwierigen dreißiger Jahren gemacht, würde die Welt vielleicht immer noch darauf warten, dass die Wirtschaftskrise endlich zu Ende ginge.

Bricht also jetzt endlich die Stunde Hayeks an, da wir die schrecklichen Jahre der Depression hinter uns gelassen haben? Nur wenn wir uns dem Wunschdenken der Triumphalisten anschließen. Wir sollten nicht vergessen, dass es zwischen Keynes' und Hayeks Theorien einen großen Unterschied gibt: Erstere wurden in der Praxis erprobt, Letztere nie. Keynes' Ideen trugen in der praktischen Erprobung vielleicht so manche Schramme davon, doch Hayeks Theorien funktionieren nur in einem idealen Markt, der noch nie existiert hat. Man betrachte nur einmal den größten Unterschied zwischen beiden: Hayek lehnte Keynes' Vorstellungen ab, weil er glaubte, dass jede Art von Wirtschaftspolitik, die sich nicht auf die Preisfindungsmechanismen des freien Marktes verließ, letztlich zu einem diktatorischen System führen würde. Und wenn wir den Machern von The Commanding Heights glauben wollen, dann sind die politischen Führer in aller Welt sich einig, dass es keinen besseren Preisfindungsmechanismus als den freien Markt gibt.

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Aber das ist blanker Unsinn. Zunächst einmal, weil diese Theorie nur zwei Extreme kennt: den unregulierten Markt oder den diktatorischen Sozialismus. So betrachtet wird die Wirtschaft entweder vom einen oder vom anderen beherrscht. Wir sollen also die Tatsache ignorieren, dass in aller Welt Mischformen existieren, in denen der öffentliche und der private Sektor in unterschiedlichem Verhältnis zueinander stehen. Deutschland, die Niederlande und die skandinavischen Staaten beispielsweise leisten sich eine recht hohe Staatsquote. Haben die Bürger dieser Länder ihre Freiheit verloren, nur weil sie viele Wochen bezahlten Urlaub und ein funktionierendes Gesundheitswesen haben? Sind die Vereinigten Staaten »freier«, weil es dort 40 Millionen Bürger gibt, die sich keinerlei Krankenversicherung leisten können? Sehen wir uns doch einmal die Vereinigten Staaten, die weltweit größte kapitalistische Volkswirtschaft, genauer an. Gibt es dort überhaupt einen Sektor mit einem wirklich freien Markt? Wohl kaum. Unternehmensfusionen und -übernahmen haben die amerikanischen Firmen zu gewaltigen Oligopolen gemacht, welche die Preise nach ihren Wünschen diktieren können. Man hätte vermutlich größte Schwierigkeiten, in den USA auch nur einen Industriezweig zu finden, in dem die Preise — oder die Löhne, Zinsen beziehungsweise Produktqualität — tatsächlich von den Kräften des Marktes gesteuert werden. Oder wie der Sprecher der Ford Motor Company meinte, als man ihn fragte, weshalb das Unternehmen denn die Preise erhöhe: »Wir tun das, um mit der Konkurrenz mithalten zu können.«

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Jedes Jahr sehen die USA weniger Unternehmen in einem bestimmten Industrie- oder Dienstleistungszweig um Marktanteile konkurrieren. Einige Monopolisten wie Microsoft sind mittlerweile so fest verankert, dass die Regierung es aufgegeben hat, sie kontrollieren zu wollen. Als sei dies ein Naturgesetz, entwickelt sich der Wettbewerb in den Vereinigten Staaten auf eine Art Oligopol-Wirtschaft hin. Wenn überhaupt, dann können die USA höchstens als Beispiel dafür dienen, wie eine bestimmte Unternehmensstruktur den freien Markt kaputtmachen kann. Wäre Hayek, wenn er noch lebte, aufrichtig genug zuzugeben, dass der unregulierte private Sektor ebenso zur Planwirtschaft werden kann wie jedes sozialistische Staatssystem?

Die Thesen der Produzenten von The Commanding Heights scheinen unumstößlich das Schicksal der Menschheit zu prognostizieren. Der stetige Fortschritt des freien Marktes wird als Naturgesetz präsentiert, das letztendlich über alle mangelhaften Versuche, an den delikaten Mechanismen der Volkswirtschaft herumzubasteln, triumphieren muss. Sich selbst überlassen, bewegt die Weltwirtschaft sich so natürlich auf den freien Markt zu, wie der Regen vom Himmel fällt oder Ebbe und Flut die Gestade der Weltmeere umspülen. Zumindest sollen wir das glauben. Tatsächlich allerdings ist es eher der erbarmungslose Druck von Seiten der Konzerne, der mittlerweile die ökonomische Zukunft der Welt bestimmt. Die Globalisierung ist das Ergebnis der unausgesetzten, heftigen Bemühungen von Unternehmern und Finanziers, die Welt nach ihrem Bilde zu formen.

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Jedes Meeting der Welthandelsorganisation, der Weltbank oder des Internationalen Währungsfonds (IWF) dient einzig dazu, neue Deals und Manöver zu ersinnen, um die Banken und Unternehmen der großen Industrienationen zu bereichern und kleinere, lokale Alternativen kaputtzumachen. Und wenn die Macht des Geldes nicht zu den gewünschten Resultaten führt, dann kommt brutale Militärgewalt zum Einsatz. Genau das lässt sich in der Folge des Irakkriegs beobachten. Tatsächlich ist der Irak ein Testfall für die globalen Ambitionen von Amerikas Unternehmenswelt. Auf dem Boden dieses Landes dienen die Visionen, die in Commanding Heights noch mit wissenschaftlicher Zurückhaltung präsentiert wurden, nicht mehr der Fernsehunterhaltung, sondern werden zur Blaupause für Machtausübung und Vorherrschaft.

 

 Der Irakkrieg: wie man heute Geschäfte macht 

 

Der Irakkrieg wurde angeblich deshalb begonnen, weil man den Irak demokratisieren wollte. Während der 1990er Jahre gaben sich Washingtons Triumphalisten, die mit diesem Krieg seit den Tagen des ersten Präsidenten Bush schwanger gingen, redlich Mühe, die Staaten im Nahen Osten als »nicht funktional« darzustellen. Die rückständigen arabischen Länder mussten endlich aus ihrer mittelalterlichen Vergangenheit befreit und in die moderne Welt geführt werden. Und der Irakkrieg würde den Irakern alle Segnungen der Freiheit und des Wohlstands bringen. Es handele sich also um einen wohlwollenden, effizienten und konstruktiven Krieg.

Kaum aber war der Sieg verkündet, fiel das Versprechen, den Irak schnellstens seinen Bewohnern zurückzugeben, der Vergessenheit und den wüstesten Vernebelungstaktiken anheim. Tatsächlich war dieses Versprechen nie mehr als Propaganda.

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Denn das amerikanische Vormachtstreben zeigte sich schon, lange bevor es zu den ersten zaghaften Versuchen einer Demokratisierung des Irak kam. Während die amerikanische Besatzungsarmee noch darum kämpfte, in den Straßen der größeren Städte Frieden und innere Sicherheit zu erhalten, machte die amerikanische Verwaltung in Bagdad den Irak zu der Nation, die den Corporados vorschwebte. Ohne die irakische Bevölkerung auch nur ansatzweise zu befragen, verfügte die amerikanische Verwaltung die Privatisierung sämtlicher staatlicher Industrien. Davon hatte die Bush-Regierung vor dem Krieg nie gesprochen — weder vor den Vereinten Nationen noch vor dem amerikanischen Kongress. Gleichzeitig wurden sämtliche Importzölle mit einem einzigen Federstrich abgeschafft. Ob es das nun wollte oder nicht, die amerikanische Regierung entschied, dass das irakische Volk eine Marktwirtschaft brauche, die dem globalen Wettbewerb offen stehe. Was bedeutet, dass fast alle existierenden irakischen Unternehmen zerstört wurden, denn nur die wenigsten können mit den billigen Produkten konkurrieren, die der Weltmarkt aus den entwickelten Ländern an ihre Ufer schwemmt. War es das, was das irakische Volk wollte? Kümmert das eigentlich irgendjemanden in Washington?

Wenn der Irak dann endlich eine demokratische Regierung haben wird — falls dieser Tag überhaupt je kommt —, ist die wirtschaftliche Neuordnung des Landes abgeschlossen, und seine Industrieanlagen sind an ausländische Investoren verpachtet. Wasser-, Gas-, Öl- und Stromversorgung werden von privaten Anbietern übernommen, wobei eine erkleckliche Anzahl der betroffenen Unternehmen fest in fremder Hand sein wird.

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Eine solche Politik, die einem Akt der Plünderung gleichkommt, verletzt eigentlich geltende internationale Rechtsstandards, doch die einzige Antwort aus Washington ist weiteres Säbelrasseln. Und wer kann es sich schon leisten, sich mit der letzten verbliebenen Supermacht anzulegen? Der Verdacht drängt sich auf, dass die anhaltende Desorganisation und die fehlende Sicherheit im Alltag des Nachkriegs-Irak Teil einer bewussten Strategie sind, mit Hilfe derer die besiegte Nation am Rand des Chaos belassen wird, damit die Besatzer währenddessen systematisch ihre Reichtümer ausbeuten und ihre wirtschaftliche Zukunft in die für sie günstigste Richtung dirigieren können. Die militärische Besatzung des Landes mag irgendwann einmal zu Ende gehen, die wirtschaftliche Besatzung jedoch wird andauern.

Bereits jetzt bringt die Besatzung des Irak handfeste diplomatische und wirtschaftliche Vorteile. Regierungschefs aller möglichen Länder bemühen sich, den amerikanischen Wünschen Folge zu leisten, um ihren Anteil an der Kriegsbeute zu sichern. Kanada zum Beispiel stand irgendwann einmal auf der Liste derer, die Washington von Aufträgen im Nachkriegs-Irak ausgeschlossen hatte. Ein wenig später, als dies der amerikanischen Regierung diplomatisch von Vorteil schien, erlaubte sie kanadischen Firmen, ebenfalls Angebote für Dienstleistungen oder Wiederaufbauarbeiten abzugeben. Die zukünftigen Präsidenten Amerikas werden es schwer haben, diese Praxis wieder aufzugeben, seien sie nun Demokraten oder Republikaner. In Wirklichkeit ist der Irak längst das, was die Amerikaner einen »slush fund« nennen — ein Konto für Bestechungsgelder. Und dasselbe wird mit jeder anderen Brutstätte des Terrors geschehen, in die die USA in den nächsten Jahren einmarschieren werden.

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Wann immer ein amerikanischer Politiker verkündet, die Vereinigten Staaten könnten sich jetzt nicht einfach aus dem Irak zurückziehen, weil der Weg zur Demokratie lang und schwierig sei, drängt sich mir der Verdacht auf, dass der wahre Grund für dieses Zögern der mangelnde Wille ist, auf all die schönen, lukrativen Verträge zu verzichten, die die Besatzung so mit sich bringt.

Mit dem Irakkrieg ist Amerikas Status als Supermacht in eine neue Phase getreten. Früher war das Pentagon zufrieden, wenn es Waffen produzieren und lagern konnte. Heute fragt man sich dort, warum man diese wunderbaren Maschinchen verkommen lassen sollte. Wäre es nicht besser, sie einzusetzen? Zumindest für kleinere Militäroperationen wie die Unterwerfung unbedeutender Staaten? Sobald dieses Ziel auf effiziente Weise umgesetzt wurde (mit einer Anzahl von Toten, die der Bevölkerung akzeptabel erscheint, also nicht mehr als 200, 500 oder 600), kann der militärisch erschlossene Bereich von den Corporados wirtschaftlich bis an seine Grenzen ausgebeutet werden. Einige Firmen wie der Baukonzern Bechtel zum Beispiel stehen bereit, um die Infrastruktur wieder zu reparieren. Solche Kontrakte sind besonders lukrativ, denn wer macht sich je die Mühe zu überprüfen, ob die Arbeiten auch tatsächlich ordentlich ausgeführt wurden? Und was passiert, wenn das Ergebnis nicht zufrieden stellend ausfällt? Dann bewilligt der Kongress neue Mittel, um die ganze Arbeit noch mal zu machen — immer und immer wieder. Und so konnte sich der Bechtel-Konzern im März 2003, noch bevor der Irakkrieg losging, über Verträge mit einer Auftragssumme von 680 Millionen Dollar freuen. Im August desselben Jahres entschied die Firma, dass dies nicht ausreichen würde. Auch die US-Verwaltung in Bagdad empfahl, Bechtel Aufträge über weitere 350 Millionen Dollar zu erteilen.

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Damals war bereits bekannt, dass der Ölkonzern Halliburton, der früher von George W. Bushs Vizepräsident Dick Cheney geführt worden war, vom Army Corps of Engineers bislang nicht öffentlich gemachte Aufträge erhalten hatte, die der Firma 1,7 Milliarden Dollar bringen würden. Und sicher gibt es noch zahlreiche andere Firmen, die ohne jede Ausschreibung Aufträge erhalten, um die Wirtschaft der besetzten Nation wieder aufzubauen.

Zumindest geschieht dies im Augenblick mit den irakischen Ölfeldern, mit deren Wiederinstandsetzung die amerikanische Verwaltung bereits die großen Ölkonzerne beauftragt hat. Hier liegt eine andere Form von Vertrag vor. Die Firmen, welche die irakischen Ölfelder wieder förderfähig machen sollen, dürfen sich über Vertragsbedingungen freuen, die ihnen erlauben, einfach mehr Geld abzurufen, wenn sich die ursprünglich genehmigte Summe als zu niedrig erweisen sollte — was natürlich immer der Fall ist. Dies ist eine Variante der üblichen »Kosten-Plus-Verträge«, die in den amerikanischen Waffenprogrammen gängige Praxis sind. Ein Unternehmen gibt ein Angebot zur Produktion einer bestimmten Waffe ab. In diesem Angebot steht einfach irgendwas. Das Unternehmen kann es sich durchaus leisten, einen niedrigen Betrag anzugeben, denn die anfänglich genannte Summe ist nicht von Belang. Schon im nächsten Jahr werden die Vertreter des Unternehmens wieder beim Verteidigungsministerium vorstellig, weil das Projekt sich »urplötzlich« als so viel teurer erweist als vordem veranschlagt. Und nun stellen Sie sich einmal vor, was Kontrakte zum Wiederaufbau eines Landes auf einer Basis wie dieser einbringen.

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In den Monaten vor dem Irakkrieg bemühte sich der Sprecher des Weißen Hauses, jene Kritiker des Irakkrieges, die meinten, in diesem Konflikt ginge es nur um Öl, als dumme Kinder dastehen zu lassen. Höflich meinte er, wenn dem so wäre, dann könnte die Regierung ja dem Beispiel anderer Nationen (zum Beispiel einiger der europäischen Verbündeten) folgen und mit Saddam Hussein Geschäfte machen. Klar und deutlich war der Sinn dieser Botschaft zu vernehmen: Amerikanischen Firmen würden allein ihre hohen moralischen Wertvorstellungen verbieten, mit einem blutigen Tyrannen Handel zu treiben. Was natürlich nicht den Tatsachen entspricht. Halliburton, eben jene Firma, die früher von Vizepräsident Dick Cheney geleitet wurde und nun lukrative Verträge zur Instandsetzung der irakischen Ölfelder erhalten hat, stand in den neunziger Jahren in intensiven Handelsbeziehungen mit Saddam Hussein. Über Zwischenhändler im Nahen Osten schloss der Konzern Verträge mit demselben Regime, das der Vizepräsident später so gern zerstört sehen wollte. Als Vorstands vorsitzender von Halliburton betrieb Cheney aktive Lobbyarbeit in Washington, damit die Handelssanktionen der US-Regierung gegen den Irak aufgehoben werden sollten.

Doch auch im Wissen um diese Tatsachen klingt das Argument des Weißen Hauses irgendwie einleuchtend. Man hätte mit Saddam Hussein doch einfach einen Handel abschließen können, nicht wahr?

Nein, denn der Irakkrieg sorgte für eine Ausgangssituation, die sich von jedem normalen Handelsvertrag deutlich unterschied. In jedem normalen Vertrag geht es um Regeln, Beschränkungen, Verpflichtungen. Warum sollte man sich so etwas antun? War es nicht besser, stattdessen das Militärpotenzial der Supermacht einzusetzen?

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Ein Krieg auf Kosten des Steuerzahlers würde den USA erlauben, die irakischen Ölvorräte zu erobern und mit ihnen zu verfahren, wie es dem Präsidenten und seinen Beratern beliebte. Und was taten der Präsident und seine Berater mit dem irakischen Öl? Sie vergaben die Lizenz zur Ölförderung mit Hilfe großzügiger Arrangements, die von der amerikanischen Verwaltung zusammen mit den Vertretern der großen Ölkonzerne ausgearbeitet wurden — ohne Kontrolle durch die Öffentlichkeit. Ist das nicht weit effektiver als langwierige Verhandlungen mit einem unberechenbaren Diktator, die auch noch von den Vereinten Nationen überwacht werden?

Was die Ausgestaltung dieses Arrangements angeht: Hätte Saddam Hussein wirklich bessere Konditionen bieten können als die Regierung Bush? Im Mai 2003 erließ des Weiße Haus eine direkte Verfügung des Präsidenten in Bezug auf die Irak-Kontrakte amerikanischer Ölfirmen. Diese so genannte »Executive Order« ist eine der verstecktesten Aktionen, die ein US-Präsident überhaupt durchführen kann. Diese Verfügungen werden vom Präsidenten erlassen. Sie müssen weder von einer Abgeordnetenkammer abgesegnet noch mit irgendeiner anderen demokratischen Instanz abgestimmt werden. Normalerweise erregen sie auch nicht allzu viel Aufmerksamkeit. In diesem Fall aber gruben ein paar aufmerksame Leute in Washington die Executive Order Nr. 13303 aus, die den wohlklingenden Titel trägt: »Schutz der Gelder für den Wiederaufbau und anderer Eigentumsrechte, an denen der Irak ein Interesse hegt.« Mit EO13303 verfügte der Präsident nun, dass amerikanische Ölfirmen im Irak nicht per Gesetz für ihr Tun zur Verantwortung gezogen werden können. Sie können also ungestraft jede Art der Menschenrechtsverletzung oder Umweltverschmutzung begehen.

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Sie sind befreit von jeglicher rechtlicher Verantwortung für Nichteinhaltung von Verträgen, Umweltkatastrophen, Verletzung von Antidiskriminierungs-oder Arbeitschutzbestimmungen und anderer Regelungen des internationalen Rechts. Die Verfügung garantiert jedem, der im Irak Öl fördert, verkauft und vermarktet, vollkommene Immunität vor irakischem, amerikanischem oder internationalem Recht. Wie ein Anwalt einer öffentlichen Rechtsberatung meinte, ist dies »ein Blankoscheck für unternehmerische Anarchie«. Das ist die Politik der Killer-CEOs in ihrer reinsten Form: Man versucht schamlos, das Treiben der Konzerne über das Gesetz zu stellen — wie die Monarchen vergangener Zeiten, die ebenfalls über jegliches Recht erhaben waren.

Doch diese praktischen Arrangements sind nicht nur auf die Ölförderung beschränkt. Da sich der Irak auf unabsehbare Zeit unter der Kontrolle der USA befinden wird, steht die gesamte Wirtschaft des Landes jeder Form von Ausbeutung offen. Das Ausbluten des Irak zu Profitzwecken hat bereits begonnen.

Zu den lukrativsten Besitztümern des Landes gehören ausgedehnte Wasservorräte. Wer sie kontrolliert, darf sich über gewaltigen Einfluss im Nahen Osten freuen. Was Washington damit zu tun gedenkt, ist jetzt schon klar. Der Bechtel-Konzern hat ohne Ausschreibung den Zuschlag für den Wiederaufbau der irakischen Wasserversorgung erhalten. Danach wird das gesamte System vermutlich bald privaten Investoren gehören, auf ähnliche Weise wie westliche Firmen sich auch in Asien und Afrika die Monopolrechte auf die Wasserversorgung gesichert haben. Mit dem Resultat, dass das Wasser mittlerweile mehr kostet, als so mancher arme Einwohner sich leisten kann.

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Der Rücksichtslosigkeit der Corporados scheinen dabei keine Grenzen gesetzt. Meist machen sie sich nicht einmal die Mühe, ihre unendliche Gier zu verschleiern. Und so werden sie das Gerippe Irak wohl bis auf den letzten Knochen abnagen. So gab Joe Allbaugh, ein alter texanischer Freund von George W. Bush und sein Wahlkampfmanager bei der Präsidentschaftswahl, im Mai 2003, als die Operation »Befreiung für den Irak« gerade beendet war, seinen Job in der Regierung auf und wechselte ins Lager der künftigen Kriegsgewinnler. Er und ein paar andere enge Freunde des Präsidenten gründeten ein Beratungsunternehmen mit dem Namen New Bridge Strategies. Seine »Beratung« bestand vor allem darin, dass er Firmen Tipps gab, wie sie an Irak-Kontrakte kommen konnten. Dies kündigte er auf seiner Webseite folgendermaßen an: »Die Gelegenheiten, die sich heute im Irak bieten, sind von so ungewöhnlicher Natur und Ausrichtung, dass keine andere Firma über genügend Know-how und Erfahrung verfügt, um sowohl in Washington D. C. als auch vor Ort im Irak effektiv für Sie da zu sein.« Das Unternehmen, dem natürlich kein einziger Iraker angehört, gab als Zielsetzung »wechselseitige Befruchtung« an. »Verscherbeln von Einfluss« wäre wohl ein passenderer Ausdruck. Es würde mich kaum überraschen zu hören, dass solche Leute auch Penizillin an Kinderkrankenhäuser verkaufen, obwohl das Verfallsdatum längst abgelaufen ist.

So also sieht das politische Gewissen Amerikas aus: Während unsere Soldaten im Irak und in Afghanistan sterben, haben die engsten Freunde unseres frommen Präsidenten nichts Eiligeres zu tun, als so schnell wie möglich sämtliche Profite einzustreichen, welche die imperialistischen Abenteuer unserer Nation möglich machen. Der Präsident äußerte sich nicht zu dem Vorfall, und die Wahlkampf Strategen preisen immer noch seine »Führungsqualitäten«.

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Wenn die Corporados im Irak bekommen, was sie wollen — also endlose Millionenverträge sowie die uneingeschränkte Möglichkeit, über die Ressourcen des Landes und seine wirtschaftliche Zukunft zu bestimmen —, dann wird aus dem amerikanischen Imperium vermutlich bald ein neuer Unternehmenszweig: eine profitorientierte Regimewechsel-Industrie mit Direktvermarktung. Die Konzerne werden die Kriege ausfechten, die Besatzung organisieren, die vom Krieg zerstörte Infrastruktur wieder aufbauen, neue Regierungsmannschaften rekrutieren und die Nachkriegswirtschaft managen. Vielleicht entstehen ja auch noch Bildungskonzerne, die der besiegten Bevölkerung die Feinheiten der Konsum-Demokratie nahe bringen und ganze Horden fundamentalistischer Rechtgläubiger aussenden, um die heidnischen Seelen vor der Verdammnis zu retten.

Natürlich wird das Ganze weitgehend vom Steuerzahler finanziert, aber es gibt durchaus noch andere Verdienstmöglichkeiten. So gab es während der Kongress-Anhörungen vor dem Irakkrieg einige Abgeordnete, die ganz offen zugaben, dass die Vereinigten Staaten die Profite aus dem Geschäft mit dem irakischen Öl verwenden würden, um den Wiederaufbau des Landes nach amerikanischen Vorstellungen zu finanzieren. Dass der Wiederaufbau allein Aufgabe amerikanischer Konzerne sein würde, verstand sich von selbst. Niemand schien sich darüber Gedanken zu machen, wer die Buchführung eines solchen Unternehmens überwachen beziehungsweise die Qualität der durchgeführten Maßnahmen prüfen würde. Würde ein irakisches Parlament oder der amerikanische Kongress irgendeinen Einfluss auf dieses gewaltige Vorhaben ausüben können? Oder bliebe es dem Verteidigungsministerium, dem Army Corps of Engineers und anderen Institutionen überlassen?

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Im Sommer 2003 legte Halliburton einen Plan vor, der dem Unternehmen die uneingeschränkte Finanzierung all seiner tatsächlichen und angeblichen Aktivitäten im Irak von Seiten der Regierung sichern würde. Der Halliburton-Konzern, der Anfang 2004 bei der Ausstellung überhöhter Abrechnungen und der Annahme von Bestechungsgeldern bei seinen Irak-Projekten erwischt wurde, schlug vor, man solle ihm doch einen gewissen Prozentsatz der irakischen Öleinkünfte zugestehen. Und falls eine künftige irakische Regierung dagegen Einspruch erheben sollte, müsse eben der amerikanische Steuerzahler für die entgangenen Einnahmen aufkommen.

Was immer jetzt im Irak geschieht, wird ganz sicher zum Modell künftiger Besatzungen von Seiten des US-Militärs. Schließlich gibt es immer Reichtümer und Ressourcen, die der Sieger übernehmen, vermarkten und an den Meistbietenden verkaufen kann. Und die Corporados stehen Gewehr bei Fuß, um diese verantwortungsvolle Aufgabe zu übernehmen. Früher hätte man solch ein Verhalten als Plünderung bezeichnet. Amerikas Führungs­mannschaft nennt es »den Aufbau der Demokratie«.

Solches Streben nach einem allmächtigen, hoch militarisierten Staat unter strenger Aufsicht großer Konzerne lässt einige Menschen (wie mich zum Beispiel) an faschistische Tendenzen in der amerikanischen Unter­nehmens­welt denken. 

Mag sein, dass die Killer-CEOs solche Gedanken nicht hegen, weil sie ganz und gar damit beschäftigt sind, Macht und Profit anzuhäufen. Vermutlich sehen sie sich selbst nur als kluge Unternehmer, die eben alle geschäftlichen Möglichkeiten ausnutzen. Doch Unternehmungen, die von Menschen mit solcher Machtbefugnis durchgeführt werden, nehmen automatisch eine politische Dimension an. Also müssen diese Leute ihre Einnahmequellen vor der Kritik und dem wachsamen Auge der Öffentlichkeit schützen. Und so legen die Konzernherrn mit jedem Vertrag, mit jeder Subvention die Grundlagen für genau jenen Staat, den die faschistischen Diktatoren des zwanzigsten Jahrhunderts anstrebten. Sollten die Vereinigten Staaten diesem Schicksal entgehen, dann nur, weil die Corporados ihr Ziel, unsere Gesellschaft nach ihren Vorstellungen zu formen, nicht erreicht haben.

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