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3.  Die Triumphalisten   Roszak-2003

»Deshalb: Unsere Herrscher werden häufig Trug und Täuschung anwenden müssen zum Vorteil der Beherrschten. Und all dies ist, wie wir sagten, nutzbringend wie eine Arznei. Und mit Recht.«  — Plato, <Staat>

»Daher muss Philosophie oder Wissenschaft immer die Domäne einer kleinen Minderheit bleiben, und Philosophen oder Wissenschaftler müssen die grundlegenden Ansichten, auf denen eine Gesellschaft beruht, respektieren. Sie zu respektieren heißt nicht notwendigerweise, sie für wahr zu erachten. Philosophen oder Wissenschaftler, welche die Beziehung zwischen der Gesellschaft und der Philosophie beziehungsweise Wissenschaft unter diesem Blickwinkel sehen, müssen sich in ihren Schriften einer bestimmten Ausdrucksweise bedienen, um das, was sie als die Wahrheit erkannt haben, nur den Wenigen zu enthüllen, ohne andererseits den unbedarften Glauben der Menge an die Grundsätze der Gesellschaft zu erschüttern. Sie müssen zwischen der wahren Lehre als der esoterischen Lehre und der sozial nützlichen Lehre als der exoterischen Lehre unterscheiden.«  — Leo Strauss, 1959, What is Political Philosophy?

 

   Der beherrschende Einfluss der Hyperkonservativen  

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In den Vereinigten Staaten bezeichnet man jene, die ich hier »Triumphalisten« (manchmal auch »Hyperkonservative«) nenne, gewöhnlich als »Neokonservative« oder »Reagan-Konservative«. Ich persönlich ziehe den Begriff »Triumphalisten« vor allem deshalb vor, weil darin die aggressive »Der Sieger kassiert alles«-Mentalität dieser Gruppierung besser zum Ausdruck kommt.

Nicht, dass die triumphalistische Spielart des Konservativismus irgendwie neu wäre. Das Thema ist vielmehr, dass sie durch und durch rücksichtslos ist, die gewissen­loseste Interessengruppe, die je in der Geschichte Amerikas über die Ressourcen einer der großen politischen Parteien verfügt hat.

Wir sprechen hier von einer Hand voll Leute, die nichtsdestotrotz die Richtung vorgeben, wobei sie sich nach einer ganz bestimmten innen- und außen­politischen Agenda richten. Die Zahl der Akteure ist - wie gesagt - gering, doch sind sie durchweg an strategisch wichtigen Stellen postiert.*

* Da Namen und Netzwerke der Hyperkonservativen sich in den nächsten Jahren verändern werden, sollen sie hier eher als politische Gruppe denn als Einzelpersonen dargestellt werden.

Ein paar Namen, die vermutlich auch in den folgenden Jahren die amerikanische Politik prägen werden, seien trotzdem genannt.

Für das Jahr 2003 sind als prominenteste Hyperkonservative in und um die Regierung Bush zu nennen:

Donald Rumsfeld, Verteidigungsminister -- Paul Wolfowitz, stellvertretender US-Verteidigungsminister -- Richard Perle, ehemaliger Vorsitzender des US Defense Policy Board (Ausschuss für Verteidigungspolitik) -- Douglas Feith, Staatssekretär im Verteidigungsministerium -- William Luti, Staatssekretär im Verteidigungsministerium -- James Woolsey, ehemaliger Chef der CIA -- I. Lewis Libby, Stabschef des Vizepräsidenten -- Abram Shulsky, Leiter der Geheimdienststelle Office of Special Plans -- Robert Bolton, Staatssekretär im Verteidigungs­ministerium -- Richard Armitage, stellvertretender Außenminister -- Richard Haas, Leiter des Ausschusses für strategische Außenpolitik im Außenministerium -- Stephen Cambone, Staatssekretär für Geheimdienstinformationen im Pentagon -- Michael Ledeen vom American Enterprise Institute, einem konservativen Think Tank -- sowie Robert Kagan, David Frum und William Kristol, die Herausgeber des American Standard.

Abgesehen von Donald Rumsfeld, der während des Irakkrieges kurzfristig zum Medienstar avancierte, nimmt keiner der führenden Triumphalisten eine wichtige Position in der Regierung ein. Keiner von ihnen wurde von der Bevölkerung gewählt.

Die meisten von ihnen sind Bürokraten der zweiten Reihe, die in Ausschüssen mit dem Etikett »Top Secret« sitzen und ihr Augenmerk darauf richten, persönliche Allianzen zu knüpfen, um bestimmte Abgeordnete zu unterstützen und andere auszubooten.

Andere Mitglieder dieses Netzwerks sind außerhalb des Regierungsapparates in Think Tanks oder bei konservativen Zeitschriften tätig — so genannte Fachleute, die in Nachrichten­sendungen oder Talkshows auftreten, um ihre »Expertenmeinung« zum Besten zu geben.

Sosehr man in Washington auch darauf achtet, dass diese Leute nicht zu sehr ins Licht der Öffentlichkeit geraten, sind einige für das besser informierte Publikum keine Unbekannten mehr. Tatsächlich besitzen nur wenige Bürokraten und Politikexperten eine ähnlich hohe Medienpräsenz wie diese. Kaum ein Monat vergeht, in dem die amerikanische Öffentlichkeit — wenn sie denn darauf achtet — nicht ein weiteres Mitglied dieses illustren Zirkels kennen lernt, der die Entscheidungen des Verteidigungs­ministeriums, der CIA und des Außenministeriums sowie der Waffenexperten im Pentagon so nachhaltig beeinflusst hat.

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Einige von ihnen sind regelmäßige Gäste im Fernsehen und verbreiten sich dort über ihre Politik (auch wenn sich ihre Ausführungen nicht immer mit den Tatsachen decken). Die Triumphalisten scheuen das Rampenlicht keineswegs. Man hat sogar eher den Eindruck, als hofften sie insgeheim, eines Tages aus ihrem Herzen keine Mördergrube mehr machen zu müssen und ihre wahren Ziele offen verkünden zu können und so die Amerikaner — vielleicht sogar die ganze Welt — zu Begeisterungsstürmen hinzureißen. Möglicherweise glauben sie wirklich, dass die Menschen allüberall das amerikanische Imperium mit lautem Jubel begrüßen werden, weil sie ihm endlich Dank für den Schutz und den Wohlstand bezeigen können, den es ihnen geschenkt hat. Doch bis dahin müssen sie eben weiterhin Kreide fressen, müssen bestechen und Zwang ausüben.

Ironischerweise sind die Triumphalisten sozusagen die intellektuelle Vorhut der amerikanischen Konservativen, die legitimen Erben Ronald Reagans, der sicher einer der am wenigsten intellektuellen Präsidenten Amerikas war. In dieser merkwürdigen Allianz zwischen einem Schauspieler und den konservativen politischen Strategen waren die Gaben recht klar verteilt: Hier Grips, da Charme. Die Triumphalisten fanden in Reagan einen glaubhaften Antikommunisten, der (zumindest auf dem Bildschirm) ausreichend Charisma besaß, um eine breite Masse an Wählern anzusprechen. Reagan überzeugte Arbeiter ebenso wie die Vertreter der Mittelschicht. Er gewann sogar im Süden der USA Stimmen, der bis 1980 ausschließlich Domäne der Demokraten gewesen war. Aus all diesen Elementen schmiedete Reagan eine machtvolle Wählerkoalition: die neue republikanische Mehrheit, wie man sie nannte.

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Doch in gewisser Weise war Ronald Reagan kein echter Republikaner. Er war nämlich ein absoluter Verschwender. Obwohl er behauptete, »fiskalpolitisch konservativ« eingestellt zu sein, häufte er die bislang höchsten Defizite in der amerikanischen Geschichte an. Sobald er sicher im Weißen Haus saß, vergeudete Reagan keinen Gedanken mehr an einen ausgeglichenen Haushalt oder niedrige Staatsausgaben. Stattdessen gab er Geld aus — viel Geld. Und zwar nicht für soziale Maßnahmen, sondern für das Militär. Reagans strammer Antikommunismus machte eine Militärmaschinerie nötig, die jedem Land der Welt überlegen war. Den Triumphalisten eröffnete sich so eine wunderbare neue Welt: ein militärischer Konservativismus, der sich, da frei von allen budgetpolitischen Einschränkungen, die neuesten Technologien sichern und so dem Volk eine von Hoffnung und National­stolz kündende Botschaft vermitteln konnte.

Tatsächlich schlugen Reagan und seine hyperkonservativen Berater ein neues Kapitel in der Geschichte des amerikanischen Militär-Industrie-Komplexes auf. Die wichtigste Antriebskraft hinter ihrer Entschlossenheit, den Kalten Krieg zu gewinnen, speist sich zweifelsohne aus der Erfahrung des Zweiten Weltkriegs, dem wohl einschneidendsten Ereignis des zwanzigsten Jahrhunderts. Vor dem amerikanischen Kriegseintritt schmiedete die Regierung Roosevelt eine Allianz zwischen der Verwaltung und den größten Unternehmen des Landes, welche die Grenzlinie zwischen Zivil- und Militärgesellschaft verschwimmen ließ. Seit Ende des Zweiten Weltkriegs kommt es immer wieder vor, dass hochrangige Militärs, wenn sie aus der Armee ausscheiden, wichtige Positionen in eben jenen Unternehmen einnehmen, die das Pentagon beliefern. Man spricht hier auch vom »Rotations-Prinzip«: heraus aus dem öffentlichen Sektor und hinein in die Privatwirtschaft.

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Auf jeden Fall zahlt es sich aus, in altgediente Krieger zu investieren, denn diese können ihre langjährigen Kontakte nutzen, um profitable Verträge mit der Regierung auszuhandeln. Generäle und Admirale sind also Corporados in Ausbildung.

Der Begriff »Militär-Industrie-Komplex« wurde 1960 von Präsident Dwight D. Eisenhower geprägt. Er benutzte ihn in seiner Abschiedsrede an die Nation und verband damit eine eindringliche Warnung: »Wir in den Regierungsgremien müssen uns davor hüten, dem Militär-Industrie-Komplex zu viel Einfluss zu überlassen, sei dieser nun beabsichtigt oder nicht. Das Potenzial für ein katastrophales Anwachsen fehlgeleiteter Machtbefugnisse ist da und wird immer da sein.« Dies war der einzige Begriff, den Eisenhower prägte, und für einen alten General ist dies doch eine recht denkwürdige Äußerung. Doch schließlich hatte er in den Kriegsjahren den Militär-Industrie-Komplex heranreifen sehen. Bis zu dem Tag, an dem er das Kommando über die Landung der alliierten Streitkräfte an den Küsten Frankreichs führte, war Eisenhower immer eher Verwaltungsbeamter als Militärführer gewesen.

Während seiner Präsidentschaft bemühte er sich darum, wichtige Ämter zunehmend den Führern großer Unternehmen zu übertragen. Er nannte dies »dynamischen Konservativismus«. Er galt als offener Bewunderer der Unternehmensbosse und ihrer Führungstechniken, daher hätte man gerade von ihm am allerwenigsten erwartet, dass er sich offen gegen die Methoden seiner Kollegen im Pentagon aussprach. Doch seine Warnung kam zu spät. Als er sich vom Amt des Präsidenten verabschiedete, gehörte der Militär-Industrie-Komplex längst zum amerikanischen Weg. In ihm war der Wohlstand der Nation verankert, weil er riesige Profite und ansehnliche Gehaltsschecks garantierte. Die fortdauernde Allianz von Generälen und Corporados machte aus den Vereinigten Staaten eine Konsumgesellschaft.

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1960 bildete der Militär-Industrie-Komplex die Grundlage für einen neuen Sozialvertrag in den USA. Während der ersten vierzig Jahre des Arrangements zeigten sich die Konzerne durchaus willig, mit hohen Löhnen und garantierten Bonuszahlungen zum Wohlstand einer prosperierenden Arbeiterschicht beizutragen. Nie zuvor in der amerikanischen Geschichte war die Arbeiterklasse so großzügig an den Profiten des Big Business beteiligt worden wie während der Jahre zwischen 1940 und 1980. Doch diese Großzügigkeit, die das Amerika der Konzerne an den Tag legte, sollte nicht von Dauer sein. Unter Ronald Reagan nahm der Militär-Industrie-Komplex eine Neuausrichtung vor. Er wurde zum Bindeglied zwischen Innen- und Außenpolitik der Triumphalisten.

 

  Der Militär-Industrie-Komplex: Phase 2  

 

Als Ronald Reagan, der Frontman des erstarkenden konservativen Rollbacks, sein Amt antrat, war er fest entschlossen, alle sozialen Maßnahmen, welche die Liberalen unter der Ägide von Roosevelts New-Deal- und Lyndon B. Johnsons Great-Society-Programm eingeführt hatten, gnadenlos zu stutzen beziehungs­weise zu streichen. Sein Angriff auf liberale Positionen kam jedoch von gänzlich unerwarteter Seite. In der Vergangenheit hatten die Konservativen meist auf eine verantwortungsvolle Finanzpolitik gepocht, um den Programmen der Liberalen einen Riegel vorzuschieben: niedrige Steuern und niedrige Staatsausgaben.

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Dies war eine zwar umsichtige, gleichzeitig aber auch wenig brillante Strategie. Die Reagan-Republikaner hingegen verfolgten eine neue Taktik. Sie nutzten den Militär-Industrie-Komplex, um die Sozialprogramme auszuhebeln, die auch die Mittel- und Arbeiterschicht am Wohlstand der Nation teilhaben ließen. Sie trieben einfach das Militärbudget in bislang ungeahnte Höhen. Es lebe das Defizit, das gewaltige Defizit, ein Defizit, dessen schieres Ausmaß selbst dem verschwenderischsten Liberalen Angstschauer über den Rücken jagen würde. Doch dieses Geld floss nicht in Sozialprogramme, sondern in die nationale Verteidigung. Damit hatte der Präsident ein schlagkräftiges Argument bei der Hand, wenn es um die Kürzungen im Sozialetat und die Verminderung der staatlichen Regulierung ging. Und so lautete die Botschaft an das amerikanische Volk: »Gewehre und Butter auf dem Brot können wir uns nicht leisten. Entscheiden wir uns also für die Gewehre — zum Wohle der nationalen Sicherheit.« Und so wandelten sich die Republikaner mit atemberaubender Geschwindigkeit von einem Haufen fiskalpolitisch konservativer Pfennigfuchser zu einer Horde Geldverschwender, die sämtliche Ausgabenrekorde brachen.

Und als strategischen Auftakt leitete Reagan seine Präsidentschaft mit einer bisher ungekannten Verunglimpfung der Sowjetunion ein. Er beschimpfte das Land als »Imperium des Bösen« und gelobte, die Sowjets unnachgiebiger zu bekämpfen als jeder Präsident vor ihm. 

Gleichzeitig verkündete er eine enorme Steigerung des Militärbudgets. Dann erfüllte er sein Wahlversprechen, das Steuersystem gründlich zu reformieren, indem er die Steuern für höhere Einkommen deutlich senkte.

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In den achtziger Jahren ließ Reagan so viel Geld ins Pentagon fließen, dass man hätte glauben können, der ultimative Weltkrieg stünde unmittelbar bevor. Insider berichteten, die Generäle hätten das viele Geld, das ihnen regelmäßig zufloss, gar nicht ausgeben können. So erhielten sie Befehl, Wunschzettel zu schreiben, auf die sie die teuersten und exotischsten Waffensysteme setzen sollten, die sie sich nur vorstellen konnten.

Doch Reagan hatte ein Problem. Als die Sowjetunion langsam, aber sicher auf ihren Zusammenbruch zutaumelte, verloren seine Argumente für extrem hohe Militärausgaben zunehmend an Plausibilität. Der Krieg der Sowjets in Afghanistan war ganz klar ein Fehlschlag. Der eiserne Griff des Kreml um die Staaten Osteuropas lockerte sich allmählich. Die Wirtschaft der Sowjetunion litt unter Korruption, schlechter Planung und ebenfalls unter einem überhöhten Militärbudget. Doch obwohl der Kalte Krieg sich eindeutig seinem Ende zuneigte, bestand Reagan darauf, dass die Sowjets eine größere Bedrohung als je zuvor darstellten.

Als Michail Gorbatschow seine Politik der Glasnost einleitete und umfassende Abrüstungsverhandlungen anbot, verlor die harte Linie Reagans jeden Sinn. Nichtsdestotrotz gab er weiter Unmengen Geld für Waffen aus. Als die Sowjetunion schon deutliche Zeichen des Zusammenbruchs erkennen ließ, stellte Reagan seine »Strategie Defense Initiative« (SDI) vor, ein Programm, das eine Billion Dollar kosten sollte. SDI, ein Waffensystem, dessen Ziel es war, sowjetische Angriffsraketen noch im Anflug zu eliminieren, war eine durch und durch absurde Idee. Sämtliche Berechnungen zeigten nämlich, dass dieses System seinen Zweck gar nicht erfüllen konnte. Doch das war nicht die Frage, die Reagans hyperkonservative Berater beschäftigte. Schließlich ging es einzig darum, so viel Geld wie möglich zu verbrennen, um es dem liberalen Zugriff zu entziehen.

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Unter Reagans Präsidentschaft wurde die Außenpolitik erstmals zum strategischen Anhängsel eines triumphalistischen Haushaltsprogramms. Seine Militärpolitik hatte nur wenig mit dem Kalten Krieg zu schaffen. Er sah seine Aufgabe weniger darin, Waffen zu produzieren, als vielmehr ein gigantisches Haushaltsdefizit zu schaffen. Doch das Resultat seiner Politik entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Vermutlich trug er nicht wenig dazu bei, dass die Sowjetunion schließlich in die Knie ging. Es ist durchaus möglich, dass die UdSSR Ende der achtziger Jahre vollkommen bankrott war. Reagans Wettrüsten versetzte dem Land den Todesstoß, sodass die Sowjetunion schließlich unterging — und Reagan sowie seinen Nachfolger im Geiste, den ersten George Bush, ohne vernünftige Rechtfertigung für ein solch ausufernd hohes Militärbudget zurückließ.

An diesem Punkt wurde das Vokabular amerikanischer Politik um ein neues Schlagwort bereichert: »die Früchte des Friedens«. Die politischen Führer der Liberalen setzten sich immer häufiger dafür ein, das Militäraufkommen im Haushalt zu schmälern und es für Sozialprogramme einzusetzen. Nichts war für den Militär-Industrie-Komplex zermürbender als die Aussicht auf Frieden. Wenn es wirklich zum Frieden käme, wie konnte man dann das Land noch davon abhalten, tatsächlich Schwerter zu Pflugscharen zu machen?

Das hätte durchaus geschehen können, hätte für die Vertreter der Militärindustrie nicht die Gunst der Stunde geschlagen. 1991 nämlich lieferte Saddam Hussein dem ersten George Bush einen einigermaßen überzeugenden Grund für einen Angriffskrieg. Der Golfkrieg bot den Triumphalisten eine fantastische Gelegenheit, die Politik der Reagan-Jahre fortzusetzen.

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Die Ölstaaten des Nahen Ostens, überwiegend instabile Diktaturen, waren ein ideales Betätigungsfeld für neue militärische Abenteuer. Als der erste George Bush es versäumte, den Golfkrieg in eine dauerhafte Besatzung des Irak umzufirmieren, tobten die Triumphalisten in seiner Regierungsmannschaft. Für sie war dies die letzte Gelegenheit, eine argumentative Grundlage für eine neue Welle von exzessiven Militärausgaben wie zu Zeiten des Kalten Krieges zu schaffen. Zweifelsohne sahen manche Triumphalisten in Bushs Entscheidung, den Krieg zu stoppen, auch eine verpasste Gelegenheit, in Amerikas Beziehungen zu Israel mehr Druck auszuüben und so dauerhaften Frieden im Nahen Osten zu schaffen.

Präsident Clinton zeigte wenig Interesse an den triumphalistischen Methoden der Außenpolitik. Obschon die Strategen des rechten Flügels auch ihm ihre ehrgeizigen Pläne zur Absetzung Saddam Husseins schmackhaft zu machen versuchten, ließ er sich nur zu einer warnenden Bombardierung Bagdads bewegen. Seine innenpolitischen Prioritäten waren anderer Natur. So bemühte er sich um ein landesweites Krankenversicherungssystem, dem sich jedoch die Versicherungsindustrie hartnäckig widersetzte. Das hieß nun aber nicht, dass die Triumphalisten ihr Vorhaben aufgegeben hätten. 1997 gründeten sie eine neue, finanziell gut ausgestattete Lobbyisten-Gruppe mit dem Namen The Project for a New American Century. Diese Gruppierung ließ Clinton im März 1998 ein Positionspapier zukommen, in dem sie ganz offen für eine expansive Politik im Nahen Osten eintrat. Dieses Papier enthielt eine aus heutiger Sicht recht ominöse Prophezeiung. Es heißt darin, dass es unter Umständen lange dauern wird, bis die Vereinigten Staaten auf den von der Gruppe intendierten Kurs einschwenken würden — wenn es nicht zu »einer Katastrophe wie Pearl Harbor käme, welche die Ereignisse beschleunigen würde«.

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Dieses Ereignis trat am 11. September 2001 ein. Dies war ein Angriff, der traumatischere und kostspieligere Folgen nach sich zog, als jede sowjetische Bedrohung während des Kalten Krieges dies vermocht hatte. Plötzlich gab es eine neue nationale Mission: den Krieg gegen den Terrorismus, der so lange geführt werden musste, wie irgendwo auf der Welt ein Feind existierte, der im Stande war, eine Bombe zu zünden. Die Suche nach den Übeltätern war ein gigantisches Projekt, das eine breite militärische Basis erforderte sowie jede Art von teurer Ausrüstung und Militärstützpunkte in der ganzen Welt. Es bot weit bessere Aussichten als weiland der Kalte Krieg und war außerdem psychologisch noch weit effektiver, wenn es darum ging, die Öffentlichkeit zu mobilisieren.

Während der Hexenjagd McCarthys in den 1950er Jahren hatte man das amerikanische Volk glauben gemacht, die kommunistische Bedrohung lauere in jeder finsteren Ecke des Landes. Doch die Furcht vor dem Kommunismus hatte längst ihre Überzeugungskraft verloren. Terroristen waren da doch etwas ganz anderes. Der 11. September belegte, dass sie das Land bereits infiltriert hatten. Sie konnten überall lauern, und ihre Waffen waren grauenvoll. Terroristen schienen noch Furcht erregender als Kommunisten. Man musste sich nur ihre dunklen, verschlossenen Gesichter mit den dichten Barten ansehen, damit einem Schauer über den Rücken liefen. Hier war nun endlich der perfekte Feind: geheimnisvoll, hochintelligent, erbarmungslos und von einer irrwitzigen Ideologie getrieben. Terroristen waren noch viel fremdartiger als Kommunisten.

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Sie trugen exotische arabische Namen und glaubten an einen fremden Gott. Und was noch beängstigender war: Sie waren Fanatiker, jederzeit bereit, ihr Leben für ihre Sache zu opfern. In der nationalen Propaganda wurden den Terroristen all jene Züge zugeschrieben, die George Orwell in seinem Roman 1984 für Emmanuel Goldstein erfunden hatte, den mythischen Staatsfeind, der bei allen Bürgern nichts als Hass auslöste. Osama bin Laden hat dieser Gestalt Leben eingehaucht.

Über Nacht tauchten in jedem politischen Lager Terrorismusexperten auf. Mehr als zwanzig Jahre alte Fachbücher wurden dem staunenden Publikum serviert. Wüste Szenarien erfüllten die Medien, in denen alle neuralgischen Punkte des Landes zum Opfer terroristischer Attacken wurden: die Wasser- und Lebensmittelversorgung, das Stromnetz, die Atemluft. Warnsysteme wurden ersonnen, inklusive eines Farbcodes für terroristische Aktivitäten.

Was konnten die Triumphalisten sich mehr wünschen? 

Fraglos wird der Krieg gegen den Terrorismus die Existenz des Militär-Industrie-Komplexes noch für lange Zeit sicherstellen, wahrscheinlich wird er seine Protagonisten sogar noch reicher machen. Denn anders als der Kalte Krieg, der sich auf die Aktivitäten anderer Nationen konzentrierte — in erster Linie auf China und die Sowjetunion —, ist der Krieg gegen den Terrorismus eine dunkle Sache, die potenziell endlos dauern kann. Was tun die Terroristen im Augenblick? Wie viele sind es? Was planen sie? Das weiß nur die Regierung. So kann sie auf der Basis geheimer Informationen jederzeit eine nationale Krise ausrufen, kann behaupten, die Gespräche von Terroristen mitgehört zu haben und so über die Gefahr eines unmittelbar bevorstehenden Angriffs informiert zu sein.

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Gemeinsam mit den Corporados haben die Triumphalisten den Krieg in ein Festgelage wirtschaftlicher Chancen verwandelt, bei dem alles, was irgendwie profitabel ist, auch verscheuert wird. Die Milliardendeals im Irak zum Beispiel, die an große Unternehmen wie Halliburton oder Bechtel gingen, wurden ohne Ausschreibung vergeben. Das Verteidigungsministerium hat dafür extra eine völlig neue Vergabepraxis geschaffen, für die Ausschreibungen nicht mehr nötig sind. Bushs Republikaner, die niemals müde werden, die Vorteile des Wettbewerbs im freien Markt zu zitieren, sind der Ansicht, es hätte viel zu lange gedauert, andere Angebote einzuholen. Außerdem war ohnehin zu erwarten, dass die großen Unternehmen mit den guten Beziehungen als Sieger aus dem Geschäft hervorgehen würden, denn nur sie haben die nötige Größe und Erfahrung für diesen Job. Beinahe möchte man meinen, diese Unternehmen seien, zusammen mit den großen Ölkonzernen, Ehrenmitglieder der Regierung.

In den siebziger Jahren stellte Ronald Reagan sich an die Spitze der so genannten »Steuerzahler-Revolte«. Deren Impetus dehnte sich in der Folge auf alle Bereiche der Verwaltung aus, ob es nun um Städte, Gemeinden, Länder oder den Bund ging. 1980 trug er diese Revolte sodann ins Weiße Haus. George W. Bush hingegen schaffte es, den Einfluss des rechten Flügels innerhalb der Republikanischen Partei entscheidend zu stärken. Seine massiven Steuersenkungsprogramme haben die Steuerlast von den sehr Reichen hin auf die Arbeiter- und Mittelschicht verlagert. So kamen im Jahr 1950 noch ein Viertel der Bundessteuern aus den Kassen der Unternehmen. Im Jahr 2000 waren sie zwar reicher als je zuvor, zahlten aber nur noch ein Zehntel.

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Dieses Phänomen ist größtenteils darauf zurückzuführen, dass viele Unternehmen mittlerweile überhaupt keine Steuern mehr bezahlen. Sie haben alle möglichen Schleichwege gefunden, die sie dem Zugriff der Steuerbehörde entziehen. So können sie zum Beispiel ihren offiziellen Firmensitz in eines der zahllosen Steuerparadiese verlegen. Die berüchtigte Halliburton Company, die — wie bereits erwähnt — wegen Bestechung und Betrug ins Zwielicht geriet, bringt ihre enormen Gewinne (zum Beispiel aus den lukrativen Irak-Verträgen) auf den Kayman-Inseln, Bermuda, Trinidad, Tobago und Vanuatu im Südpazifik sowie in Panama und Liechtenstein in Sicherheit. An all diesen Orten hat der Halliburton-Konzern Büros, in denen nichts geschieht. Es geht nur um die Adresse. Resultat: Das Unternehmen zahlt fast keine Steuern.

Und trotz dieser massiven Steuersenkungen trat George W. Bush im Jahr 2002 vehement für die Wiederbelebung von Ronald Reagans Plan für ein Raketenabwehrsystem ein, das Milliarden Dollar kosten sollte. Er war sogar noch mutiger als Reagan. Er verlangte, dass dieses System sofort angeschafft werden sollte, ohne die Standardprozedur des Pentagons durchlaufen zu müssen, bei der das Waffensystem getestet wird, bevor es in Produktion geht. Wie unter der Reagan-Präsidentschaft geht es bei diesem erschreckenden Aktionismus einzig und allein darum, das Land durch hohe Haushaltsdefizite nahezu in den Bankrott zu treiben, was wiederum zur Folge hat, dass die Ausgaben für den öffentlichen Sektor drastisch verringert werden müssten. Kein Wunder also, dass im September 2003, als George W. Bushs Antrag auf die Zuweisung eines Etats von 87 Milliarden Dollar für den Irakkrieg positiv beschieden wurde, erste Gerüchte laut wurden, die von einer drakonischen Kürzung der Haushaltsausgaben sprachen. Das ist triumphalistische Politik in höchster Vollendung, ein glänzendes Beispiel dafür, wie Innen- und Außenpolitik in den Vereinigten Staaten koordiniert werden.

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    Programm »Transformation«: die Welt als Computerspiel  

 

Aus triumphalistischer Sicht sind die Milliarden, die bislang für den Irak- beziehungsweise Afghanistankrieg ausgegeben wurden, nur der erste Schritt zu einer gewaltigen Aufblähung des Haushaltsdefizites, die letztlich zu einer Revolution der Außen- und Militärpolitik führen wird. Die Kosten des weltweiten militärischen Angriffsplans der USA treten erst nach und nach zu Tage. Mit unglaublicher Geschwindigkeit hat sich der Krieg gegen den Terrorismus als überaus dankbare Rechtfertigungsstrategie für uferlose Militärausgaben erwiesen. Der ursprüngliche Militär-Industrie-Komplex gab Milliarden für schwere Waffen aus, die das Gleichgewicht des Schreckens mit der Sowjetunion aufrechterhalten sollten. Diese Aufwendungen wurden nie ernsthaft heruntergefahren. Darüber hinaus plant der neue Militär-Industrie-Komplex jedoch die Anschaffung kostspieliger Hightech-Waffen. Das Objekt der Begierde ist technisch so ausgefeilt, dass dagegen sogar das Gerät aus dem Golfkrieg wirkt wie Steinaxt und Keule eines Neandertalers. Unter der Führung von Bushs Verteidigungsminister hat eine neue Waffenstrategie Einzug ins Pentagon gehalten: Das Programm »Transformation« hat sich zum Ziel gesetzt, mehr als 150 neue Technologien zu entwickeln, die ihr Zerstörungswerk nun mit computergestützter Genauigkeit und elektronischer Geschwindigkeit betreiben können.

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»Transformation« allein erfordert eine über Jahrzehnte gehende Finanzierungsleistung. Wie die Kriege in Afghanistan und im Irak auch immer enden mögen, das Militärprogramm des Imperiums schreitet voran. Fehlschläge sind aus triumphalistischer Sicht durchaus akzeptabel, wenn sie nur genügend Geld kosten. Neben Thermonuklearraketen und bewaffneten Bodentruppen setzt das Transformation-Programm unter anderem auch auf das Internet als neue Kampfzone. Dort sollen amerikanische Truppen weltweit den terroristischen Feind jagen und mit nahezu chirurgischer Präzision zur Strecke bringen. So zumindest die Versprechungen der neuen Strategen.

In seinen Presseberichten verweist das Verteidigungsministerium stolz auf die erfolgreiche Umsetzung dieser elektronischen Präzisionskriegsführung in Afghanistan. Dort gelang es den amerikanischen Streitkräften — in einigen wenigen Fällen — einzelne Talibanführer ausfindig zu machen, um sie dann von eingeflogenen Soldaten mit tödlicher Präzision zur Strecke zu bringen. Auch die erste Bombardierung Bagdads im März 2003 zielte darauf ab, die irakische Regierung quasi zu »enthaupten«, indem man Saddam Hussein und seine militärischen Führer tötete. Die Geheimdienstinformationen waren falsch, der Versuch schlug fehl, doch die Strategie als solche wird nicht in Frage gestellt. Das amerikanische Militär behauptet nach wie vor, es könne einzelne Gebäude, Fahrzeuge und Menschen mit hundertprozentiger Genauigkeit treffen.

Ein Schlüsselelement dieser neuen Militärstrategie ist die National Geospatial Intelligence Agency (NGIA). Sie war ursprünglich für geologische und kartografische Forschungsarbeiten gegründet worden, doch im Jahr 2003 wurde sie vom Pentagon übernommen.

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Nun ist ihr Hauptziel, im Krieg gegen den Terrorismus »überlegene Kenntnisse des Kampfgebietes« zu liefern. Mit Hilfe globaler Ortungssysteme und thermaler Bildgebungsverfahren werden die Daten zu Videobildern verarbeitet, die in Sekundenschnelle an die Truppen zu Lande, zu Wasser und in der Luft gesandt werden können. Die Befehlshaber der US-Streitkräfte können auf diese Weise »Chatroom-Kriege« führen, online über die strategischen Erfordernisse der Kampfsituation beraten, deren Anzeige auf ihrem Laptop gerade aktualisiert wird. Jede Entscheidung wird vom Computer sofort in das Taktikprogramm eingerechnet. »Intelligente« Raketen und unbemannte Drohnen werden präzise auf ihre Ziele zugesteuert.

Eine der wichtigsten Waffen des Transformation-Programms ist das ungeheuer kostspielige Stryker-Kampffahrzeug, das mit enormer Geschwindigkeit gut ausgebildete Spezialeinheiten der leichten Infanterie transportieren kann. Anders als der schlichte Panzer früherer Kriege ist der Stryker mit zahlreichen Geräten zur elektronischen Kommunikation und Bildgebung ausgestattet, sodass er problemlos über Satellit Kontakt zu den Befehlshabern in Kommandozentralen weitab vom Kriegsschauplatz aufnehmen kann. Irgendwann in ferner Zukunft wird der Stryker von Roboterfahrzeugen ersetzt werden, die Soldaten erst gar nicht mehr nötig machen. In den Augen der Triumphalisten ist dies der reizvollste Teil des Transformation-Programms. Die so genannte »netzwerk-orientierte« Kriegsführung benötigt immer weniger Soldaten. Auf diese Weise kann Amerika seine militärische Vorherrschaft über den Globus ausdehnen, ohne selbst allzu viel Menschenleben einsetzen zu müssen.

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In den Videospots des Verteidigungsministeriums wird die militärische Strategie von Amerikas imperialer Zukunft mehr und mehr zum Szenario eines Science-Fiction-Films. Die Speerspitzen der technologischen Erneuerung der Streitkräfte klingen in ihrer naiven Begeisterung wie zwölfjährige Jungs, für die der Krieg weder politische noch ethische Fragen aufwirft. Wenn man diesen Hightech-Kriegern zusieht, kann man nicht umhin, sich für die mangelnde geistige Reife zu schämen, welche heute die amerikanische Politik prägt. Für sie ist die ganze Welt nichts weiter als ein Computerspiel, in dem ganze Völker und Nationen zu elektronischen Schachfiguren reduziert werden. Die Kurzsichtigkeit und Arroganz der amerikanischen Außenpolitik ist für sich genommen schon problematisch, doch die Erkenntnis, dass der hegemoniale Drang unserer Nation dem pubertären Eifer solcher Führer entspringt, ist geradezu bestürzend.

   Die nationale Sicherheit  

Der Irakkrieg lieferte die Antwort auf eine Frage, die seit dem Fall der Berliner Mauer über der Welt schwebte. Was wird auf der internationalen Bühne den Kalten Krieg ablösen? Die Triumphalisten haben darauf schon seit den achtziger Jahren eine Antwort parat. Sie teilen das tiefe Misstrauen in internationale Institutionen, das den rechten Flügel der republikanischen Partei prägt. Daher gilt ihnen das gähnende Machtvakuum, das der Niedergang der Sowjetunion hinterließ, als ideale Gelegenheit, die einzige Weltordnung zu errichten, die sie akzeptieren können: eine unilaterale Dominanz Amerikas. Das ist es, was Amerikas Status als einzige verbliebene Supermacht in ihnen auslöst. Ihre Absicht ist es daher, den Augenblick zu nutzen, um der Welt ein für alle Mal das politische Antlitz zu verpassen, das sie für richtig halten.

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Obwohl die Triumphalisten ständig tönen, die Macht des Staates auf ein Minimum beschränken zu wollen, geschieht mit der Einführung des von ihnen gewünschten »National Security State« genau das Gegenteil. Keine politische Kraft in der Geschichte der Vereinigten Staaten war je so verliebt in die Macht, so überzeugt von ihrer eigenen Rechtschaffenheit, so entschieden, die Opposition zu den eigenen Ansichten zu bekehren, wie die Triumphalisten. Sie sind wild entschlossen, auf Bundesebene einen Koloss aus der Taufe zu heben, der in der Lage sein soll, alle Widerstände zu brechen. Der ärgste Hemmschuh sind die leidigen Bürgerrechte, welche die Bill of Rights den Amerikanern garantiert. Kein Justizminister seit dem Zweiten Weltkrieg hat je mehr Freiheiten verlangt als John Ashcroft. George W. Bushs oberster Justizbeamter behält sich vor, Menschen ohne Verhandlung festzuhalten und mit Hilfe modernster Technologie zu bespitzeln, um persönliche Informationen zu erhalten. Des Terrorismus Verdächtige will er allen möglichen Zwangsmaßnahmen aussetzen, ja sogar foltern. Die Schranken des Gesetzes sollen für alle gelten, nur nicht für den Staat.

Bald nach dem 11. September führte Bushs Justizministerium das »Total Information Awareness Program« (»Programm zur umfassenden Informationsbeschaffung«) ein, das der Regierung die Zusammenführung aller möglichen Daten erlaubt: aus medizinischen, psychologischen, gesetzlichen Quellen. Sogar die Ausleihen in den öffentlichen Bibliotheken werden den Beamten zugänglich gemacht.

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Angestellte im öffentlichen Dienst (zum Beispiel der Postbote) werden ermutigt, verdächtige Tatbestände zu melden. Mittlerweile wurde das Programm in »Terrorist Information and Prevention Program« (TIP) umbenannt, damit es weniger bedrohlich klingt. Inhalte und Durchführungsmodalitäten des Gesetzes allerdings blieben unverändert. Der nicht minder beunruhigende Patriot Act erlaubt dem FBI, Personen ohne richterliche Anordnung zu überwachen sowie die »vorbeugende« Schnüffelei mit Hilfe elektronischer Überwachungsgeräte. Auf diese Weise sind die Bundesbeamten sogar in der Lage, das Internet-Surf-Verhalten und den Bücherkauf einzelner Personen im Auge zu behalten. Vordergründig zielt dieses Gesetz auf die Kontrolle terroristischer Aktivitäten ab, doch die damit geschaffenen Möglichkeiten wurden bereits zu anderen Zwecken wie zum Beispiel der Strafverfolgung von Porno-Produzenten eingesetzt.

Sogar Mitglieder von George W. Bushs eigener republikanischer Partei erhoben gegen dieses Gesetz Einwände. Doch das Justizministerium hat bereits den noch weiter gehenden Entwurf eines zweiten Patriot Act in der Schublade, welcher der Regierung einen noch leichteren Zugriff auf die persönlichen Daten ermöglicht. Das Gesetz erweitert beispielsweise die Möglichkeiten, behördliche Vorladungen ohne richterliche Zustimmung ausstellen zu können. Einige der Triumphalisten fordern den Einsatz hoch entwickelter Technik auch bei der Überwachung. So soll der amerikanische Personalausweis bald auch biometrische Daten enthalten (Fingerabdrücke, Netzhaut-Scans und DNS-Profile). Wenn sie sich durchsetzen, werden die Amerikaner in einem grandiosen Akt Orwellscher Ironie bald zum bestüberwachten und -dokumentierten Volk der Erde — alles im Namen ihrer zu verteidigenden Freiheit.

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Die Bestrebungen der Triumphalisten machen aber keineswegs an den Grenzen der Vereinigten Staaten Halt. Hinter der konservativen Revolution in den USA zeichnen sich Pläne ab, die globale Ziele verfolgen. Die Generation von Triumphalisten, die in den letzten Jahren an die Spitze Amerikas aufgestiegen ist, mag vom selben ideologischen Eifer erfüllt sein, wie er das Weiße Haus unter Ronald Reagan beherrschte, doch einige neue Faktoren lassen ihre Intentionen heute gefährlicher erscheinen als damals. Gegenwärtig steht weit mehr auf dem Spiel.

Mit dem Fall der Sowjetunion eröffnete sich ein Machtvakuum, das den Triumphalisten Möglichkeiten bietet, die bei weitem noch nicht ausgeschöpft sind. Sie hoffen, dass die neue globalisierte Wirtschaft sich bald vollständig in den Händen einer amerikanisch dominierten Business-Elite befinden wird, die ihre Macht wiederum dazu nutzt, den ungebremsten freien Markt überall auf der Welt dauerhaft zu etablieren. Dann müssen die Vereinigten Staaten ihre Militärmacht nutzen, um alle Wettbewerber aus dem Feld zu schlagen. Diese neue Weltordnung wurde schon unter Reagans Präsidentschaft ausformuliert. Dahinter stand der damalige Sachverständige im Verteidigungsministerium Paul Wolfowitz. Er hielt explizit fest, dass der US-Hegemon »auf die Interessen der fortgeschrittenen Industrieländer so weit eingehen muss, dass diese jedes Interesse daran verlieren, ihm seine Führerschaft streitig zu machen«.

Dies war die herrschende Meinung unter den Triumphalisten Mitte der achtziger Jahre. Heute fragt man sich, ob die Interessen der anderen Industrieländer in den USA überhaupt als berücksichtigenswert gelten.

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Es gibt Grund genug zu der Annahme, dass einige der militärischen und diplomatischen Strategen in den USA mittlerweile glauben, alles allein in den Griff zu bekommen. So entwickelte das Pentagon unter der Bush-Regierung Pläne, das Atomwaffen-Arsenal der USA so weit aufzustocken und zu modernisieren, dass keine andere Nation mehr mithalten kann. Das Wettrüsten mit der Sowjetunion mag zu Ende sein, doch die USA bemühen sich nach wie vor, den Rest der Welt möglichst weit hinter sich zu lassen. Dabei geht es letztlich darum, die Vereinigten Staaten mit »einsetzbaren« Nuklearwaffen für den so genannten »begrenzten Krieg« auszurüsten.

Auf welche Länder aber zielt diese Maßnahme ab? Doch wohl in erster Linie auf andere Nationen, die im Besitz von Nuklearwaffen sind. Sie dienen also in erster Linie der Abschreckung. Ist es wirklich gänzlich unvorstellbar, dass die Triumphalisten ihre früheren Verbündeten zur atomaren Abrüstung zwingen? Bereits 1992 verhärtete sich die Haltung der Triumphalisten gegenüber ihren Verbündeten. In einem Strategiepapier, das in jenem Jahr unter Washingtons Hardlinern kursierte, wurde dem Pentagon eine neue, recht beunruhigende Mission zugedacht. Es sei die Aufgabe des Militärs, »eine neue Weltordnung herzustellen und zu bewahren«. Innerhalb dieses Rahmens, so hieß es, müssten »die USA sichergehen können, dass potenzielle Wettbewerber nicht nach einer bedeutenderen regionalen oder globalen Rolle strebten«.

Wer immer also glaubt, dass Frankreich, Deutschland, Russland und an einem bestimmten Punkt auch China sich verbünden könnten, um der amerikanischen Macht Widerstand zu leisten, sollte nie vergessen, dass die Triumphalisten sich geschworen haben, ebendies zu verhindern.

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Eine Entschuldigung für die Unterwerfung einstiger Verbündeter ist ja immer bei der Hand. So hat Washington dem Iran schon vor dem Irakkrieg bedeutet, das Land möge sich doch etwas intensiver um die Bekämpfung des Terrorismus bemühen, da man sonst intervenieren und diese Aufgabe mit eigenen Streitkräften erledigen müsse. Der Krieg gegen den Terrorismus hat die nationale Sicherheit Amerikas zu einer Angelegenheit der ganzen Welt gemacht. Wer hätte je gedacht, dass neunzehn Männer mit Teppichmessern, die am 11. September 2001 vier Flugzeuge entführten, den Vorwand dafür liefern würden, dass amerikanische Militäreinsätze in aller Welt plötzlich gerechtfertigt scheinen?

Man stelle sich nur einmal vor, welch enorme Überwachungsmaschinerie nötig sein wird, um einen ähnlichen terroristischen Akt zu vermeiden. Und wenn andere Nationen nicht dieselbe Wachsamkeit zeigen, die die Vereinigten Staaten von ihnen erwarten? Washington hat sich schon mehrfach beschwert, dass die Sicherheit auf den Flughäfen anderer Länder nicht dem amerikanischen Standard entspräche. Vielleicht müssen die USA intervenieren, um diesen Ländern zu zeigen, wie man diesen Job richtig macht? Wie sagte doch George W. Bush (recht kriegerisch) in seiner Rede zur Lage der Nation vom Januar 2004: »Amerika wird nicht erst um Erlaubnis bitten, für seine Sicherheit sorgen zu dürfen.« Nichts, was der Präsident an jenem Tag sagte, rief bei den anwesenden Gesetzgebern mehr Applaus hervor. 

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  Das Unternehmen Krieg:  die Rückkehr der Söldner  

 

Im Zentrum des amerikanischen Imperiums steht seine überwältigende Militärmacht. Der Wille, diese Vormacht auch ins Spiel zu bringen, ist das Hauptmerkmal triumphalistischer Politik. Leider gibt es da ein kleines Problem, das dem bedarfsgerechten und unbürokratischen Einsatz dieses Machtmittels entgegensteht. Dieses Problem ist die Tradition der Wehrpflicht, die Bürger zu Soldaten macht und ein grundlegendes Element der amerikanischen Demokratie ist. Doch das neue amerikanische Imperium braucht eine andere Art von Militärkraft: jederzeit verfügbare, hochtrainierte und möglichst gehorsame beziehungsweise abhängige Kämpfer. Die Schaffung einer solchen Streitkraft ist für die Fraktion der Triumphalisten von höchster Bedeutung.

»Die Demokratien«, bemerkte de Tocqueville über die Vereinigten Staaten, als diese noch eine Pioniergesellschaft waren, »können niemals hoffen, von ihren Soldaten diesen blinden, genauen, ergebenen Gehorsam zu erlangen, den die aristokratischen Völker den ihren mühelos aufzwingen.« DeTocquevilles Worte sollten sich als prophetisch erweisen. In den Zeiten unilateraler, »vorbeugender« Kriege sind Bürgersoldaten eine Belastung. Als zu Beginn des Irakkriegs ein Kongressabgeordneter vorschlug, einen Einberufungsbefehl zu erlassen, um die Truppenstärke der USA zu erhöhen, hatte die Regierung Bush nichts Eiligeres zu tun, als diesen Vorschlag abzuschmettern. (Was dem Kongress übrigens ebenso am Herzen zu liegen schien. Ein einziger Abgeordneter hatte einen Sohn, der in diesem Krieg diente. Alle anderen schienen recht froh darüber zu sein, dass ihre Kinder nicht in den Irak ziehen mussten.)

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Also verkündete das Pentagon, dass es viel zu lange dauere, neue Rekruten auszubilden. Außerdem seien sie keine guten Kämpfer. Der Vietnamkrieg hatte ja schon hinreichend bewiesen, wie lähmend es sich auswirken kann, wenn die Armee weitgehend aus Wehrpflichtigen besteht. Ein Einberufungsbefehl füllt die Reihen der Truppen mit armen, ungebildeten, schlecht trainierten und renitenten Soldaten. So zusammengesetzte Truppen machen auf die eine oder andere Weise ihrer Unzufriedenheit Luft. Die Disziplin bricht zusammen, die Armee wird demoralisiert.

Wie in Vietnam ist die Gefahr groß, dass die Armeeangehörigen zu Drogen greifen. Möglicherweise »mischen sie ihre Offiziere auf«, was bedeutet, dass sie sie niederschießen oder anderweitig eliminieren. An der Heimatfront wird währenddessen das Umgehen der Einberufung zum allseits geübten Volkssport, sodass es gar keinen Sinn hat, Einzelne deswegen zu bestrafen. Außerdem erzeugt die Praxis der Einberufung ein gewisses Protestpotenzial, was meiner Ansicht nach der Hauptgrund ist, warum man nicht zu diesem Mittel gegriffen hat. Sie trägt den Krieg mitten ins Heim der Amerikaner, und das auf eine Weise, welche die Triumphalisten doch lieber vermeiden.

Das neue amerikanische Militär ist mit der einstigen Armee der Wehrpflichtigen gar nicht mehr zu vergleichen. In der öffentlichen Meinung zeichnet Spezialistentum das Bild des Soldaten von heute aus, hier wird in einer militärischen Karrieretruppe gekämpft. Das sind nicht mehr die netten GIs früherer Jahre. Nein, diese Militärs sind hochgradig professionelle Elitetruppen, hartgesottene, kaltblütige Delta-Force- und Navy-Seal-Krieger, die mindestens ebenso sehr James-Bond-Agenten sind wie Soldaten.

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Sie werden in Spezialeinheiten hart trainiert und kämpfen mit komplexen, gewöhnlich elektronischen Waffen. Anders als im Vietnamkrieg setzt sich diese Streitkraft nicht mehr aus Vertretern der Unterschicht zusammen. Seine Vertreter stammen weitgehend aus dem Arbeitermilieu, junge Männer und Frauen, die früher einen Job in der Fertigungsstraße großer Fabrikhallen hatten, doch diese gingen ja mittlerweile an die Globalisierung verloren. Dies ist die Keimzelle der neuen, imperialen Streitkräfte. Sie stehen bereit, um von einer Minute zur anderen irgendwo auf der Welt zum Einsatz zu kommen. Denn so sieht die neue Militärdoktrin aus: schnell einfallen, das Problem lösen und ohne große Verluste wieder nach Hause ziehen.

Doch die Triumphalisten professionalisieren das Militär nicht nur, sie privatisieren es auch. Dies passt zu ihren ideologischen Bemühungen um die Minimierung des öffentlichen Sektors. Triumphalisten sehen das Allheilmittel für alle sozialen Belange darin, deren Erfüllung von der Regierung auf die Privatwirtschaft zu übertragen. Letztere wird — so argumentiert man — Mittel und Wege finden, Kosten zu senken und in die Gewinnzone zu kommen, sodass die Dienstleistungen insgesamt billiger werden. Wie das funktionieren soll? Angeblich ist der private Sektor effektiver als der öffentliche. Daher würden triumphalistisch eingestellte Konservative alle Aspekte des sozialen Lebens privatisieren und die Regierungstätigkeit am liebsten durch unternehmerische Initiative ersetzen. In allen Bereichen solle statt öffentlicher Leistungen künftig das Streben nach Gewinnmaximierung als treibende Kraft stehen. Der Bildungssektor soll nach Möglichkeit ebenso privatwirtschaftlich organisiert werden wie der Wetterdienst.

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Wenn sie nur könnten, würden sie sämtliche Nationalparks und andere unbebaute Flächen Amerikas an die Wirtschaft verkaufen. Die Gefängnisse des Landes sind ohnehin schon fest in privater Hand. Dort arbeiten die Gefangenen für die niedrigsten Löhne in den USA. Früher war es in den Vereinigten Staaten ein Verbrechen, Gefängnisinsassen wirtschaftlich auszubeuten. Solch ein Gebaren war gesetzlich verboten. Heute zählt es — wie die Kinderarbeit, die so viele US-Firmen im Ausland ganz selbstverständlich praktizieren — zu den normalen Geschäftspraktiken.

Die Privatisierung des Militärs ist die weitreichendste und am wenigsten ins Bewusstsein tretende Innovation amerikanischer Politik von Seiten der Triumphalisten. Das Söldnergeschäft ist ein Wachstumszweig der globalisierten Wirtschaft. Weltweit werden heute mehr als 100 Milliarden Dollar für militärische Dienstleistungen der Privatwirtschaft ausgegeben. Die Vereinigten Staaten sind dabei der weitaus größte Kunde. Im Irakkrieg soll diese Politik getestet werden. Söldner sind ein zentrales Element in Washingtons Bemühungen um einen angeblich autonomen, sich selbst regierenden Irak. Die amerikanische Militärverwaltung in Bagdad mag vielleicht abziehen, doch die Streitkräfte des Irak werden weiterhin unter amerikanischer Kontrolle stehen — wie dies bei allen Satellitenstaaten der Fall ist. Dies liegt unter anderem daran, dass ein Großteil dieser Kräfte von amerikanischen Privatunternehmen ausgebildet und ausgewählt wird.

Setzen die Triumphalisten auch auf diesem Gebiet ihren Willen durch, so wird das für die Welt im Allgemeinen bedrohliche Konsequenzen haben.

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Wenn die bewaffneten Truppen Amerikas mehr und mehr durch Kräfte profitorientierter Vertragssoldaten ersetzt werden, verfügt der Kommandeur der Streitkräfte über eine Militärgewalt, die nicht mehr direkt dem Kongress und dem Volk verantwortlich ist. Die Söldner stehen gewöhnlich nicht im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Viele Amerikaner wissen gar nicht, dass sie eingesetzt werden. In beiden Irakkriegen waren, soweit wir wissen, amerikanische Spezialtruppen vor Ort, lange bevor die eigentlichen Kampfhandlungen begannen. Sie bereiteten das Terrain für die künftigen Angriffe vor. Möglicherweise eine kluge Taktik. Doch man fragt sich, ob die Vereinigten Staaten künftig irgendwo in Kriege verwickelt sein werden, von denen die Bevölkerung gar nichts weiß. Dies wird umso wahrscheinlicher, wenn die eingesetzten Truppen nicht der Kontrolle durch eine gewählte Autorität unterliegen, sondern nur privaten Arbeitgebern gegenüber verantwortlich sind.

Militärisches Outsourcing ist in den letzten Jahren ohnehin unter der Hand immer stärker angewachsen. Ein Unternehmen aus Virginia wurde zum Beispiel schon 1975 von der US-Armee angeheuert, um die Nationalgarde Saudi-Arabiens zu schulen. Dieses Arrangement hatte zur Folge, dass der Firmensitz der Vinnell Corporation zum Ziel mehrerer terroristischer Attacken wurde. Unter Präsident Clinton wurden sodann Söldner nach Kolumbien geschickt, um dort Amerikas weitgehend geheimen Drogenkrieg zu führen. Das war keine große Sache, nur eine geringe Anzahl privater Truppen einer Firma namens Military Professional Resources Inc., doch dieses Beispiel zeigt sehr schön, wie man militärische Aktionen vor der Öffentlichkeit verbergen kann. Die Triumphalisten hingegen sind fest entschlossen, ihr militärisches Outsourcing in weit ehrgeizigeren Dimensionen zu betreiben.

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Sie arbeiten unentwegt daran, die militärischen Kräfte der Nation in ein Portfolio lukrativer, gewinnorientierter Dienstleistungen umzuwandeln, ganz so, als kollidiere eine staatlich kontrollierte Militärmacht mit ihren Plänen. Wieder einmal wurde die Vinnell Corporation angeheuert, um Friedenstruppen für den Irak auszubilden, welche die Ordnung im Land aufrechterhalten sollen, falls die US-Armee je abzieht. Solange allerdings die amerikanischen Besatzer im Kreuzfeuer irakischer Guerillakämpfer stehen, wurden extra Söldnertruppen zum Schutz der amerikanischen Soldaten angeheuert. Ein anderes Unternehmen aus Virginia, Blackwater USA, soll militärisches Personal für den Irak ausbilden. Ein ähnlicher Vertrag wurde mit URS abgeschlossen, einem Unternehmen aus Kalifornien. Ein Subunternehmen der Halliburton Company kümmert sich um die logistische Versorgung der Besatzungstruppen mit Lebensmitteln et cetera. Früher war dies Aufgabe des armeeeigenen Verpflegungskorps. Andere Firmen, die mit dem Army Corps of Engineers Verträge abgeschlossen haben, bauen Straßen, Brücken, Häfen und Laderampen, die das Militär zu Kampfzwecken oder zur Organisation der Besatzung braucht. Wieder andere Unternehmen bieten Dienstleistungen zur Feindaufklärung an. Es gibt kaum noch einen Aspekt militärischer Aufgabenbereiche, der noch nicht in der ein oder anderen Form der Kontrolle durch die Privatwirtschaft unterliegt.

Wer hat nach dem Pentagon das größte Truppenkontingent in den Irak entsandt? Die Briten etwa? Nein. Die richtige Antwort lautet: private amerikanische Dienstleister. Volle 15.000 Personen der Polizei- und Sicherheitskräfte, Ausbilder, Fahrer und Hilfskräfte sind Angestellte von Privatunternehmen. Man fliegt sie mit riesigen Maschinen, üblicherweise russischer Bauart, von Einsatzort zu Einsatzort.

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Sollen sie bei Kampfhandlungen eingesetzt werden, springen sie einfach mit dem Fallschirm ab. Sie sind bewaffnet, sie kämpfen, sie töten, sie sterben — aber praktischerweise tauchen die so Gefallenen in keiner Statistik auf, was den Eindruck vermittelt, der Krieg koste heute kein Blut mehr. Von den 87 Milliarden Dollar, die der Kongress 2004 für den Irakkrieg genehmigte, gingen 30 Milliarden an private Militärunternehmen. In den letzten zehn Jahren vergab das Pentagon mehr als dreitausend Verträge an die Privatwirtschaft. Und es sind keineswegs nur die Vereinigten Staaten, die den Krieg zum gewinnträchtigen Unternehmen umgestalten. Auch die Briten verlassen sich mehr und mehr auf Söldner, wenn es um Ausbildung und Einsatz von Truppen geht. Die Soldaten der Queen sind heute Angestellte von Global Risk Strategies, Erinya International oder Genric Ltd.

Da das Völkerrecht den Einsatz von Söldnern verbietet, rechnet man die Vertragsstreitkräfte nicht zu den kämpfenden Truppen — obwohl sie die Lizenz zum Töten besitzen. Sie tragen Waffen und waren durchaus schon in Feuergefechte verwickelt. Der Militärforscher Peter Singer vom renommierten <Washingtoner Brookings Institute>, Autor des Buches <Corporate Warriors>, meint, dass im Irak einige Dutzend dieser Vertragssoldaten getötet oder verwundet wurden, obwohl sie nicht zu den eigentlichen Kriegsopfern zählen. Zahlreiche dieser Söldner sind ehemalige Angehörige von Polizei oder Spezialeinheiten. Andere sind ausgebildete Soldaten aus anderen Ländern. Eine Einheit von Sicherheitskräften, die im Sold von <Kellogg, Brown & Root> stehen, einem Subunternehmen der Halliburton Company, besteht aus nepalesischen Gurkhas. Andere, vom Pentagon über Privatfirmen angeheuerte Soldaten kommen aus Chile, der Ukraine, Israel, Südafrika und den Fidschi-Inseln.

Als Teil der imperialen Strategie Amerikas ist die Beschäftigung von Söldnern durchaus ein Wachstumsmarkt. Schließlich ist der Krieg ein schmutziges Geschäft, genau die Art von niedriger Tätigkeit, die die Amerikaner nicht so gern selbst machen. Hier decken die Absichten der Triumphalisten sich ausnahmsweise mit dem Volkswillen. Wie lange wird es also dauern, bis die amerikanischen Streitkräfte nicht mehr aus US-Bürgern bestehen, sondern aus Söldnern aus aller Herren Länder, die von Privatfirmen mit Langzeitverträgen gestellt werden, bereit, jederzeit in den Krieg zu ziehen, auch ohne Zustimmung und Finanzierung durch den Kongress, wie einst die Soldaten der East India Company, bevor die Krone sie an die Kandare nahm?

Und wenn der Krieg erst zu Ende ist, verfügen die Profis idealerweise auch noch über die nötigen politischen Fähigkeiten für eine Langzeitbesatzung und die Verwaltung des besiegten Landes. Diese Rolle der Streitkräfte ist so neu, dass Militärforscher die amerikanischen Truppen schon als »enforcers«, als »Durchsetzer«, bezeichnen statt als Soldaten. Und was setzen sie durch? »Normen für internationales Verhalten.« Einer Aufgabe dieser Größenordnung sind normale Soldaten natürlich nicht gewachsen. Und so sollen die amerikanischen Streitkräfte zu »Diplomaten, internationalen Verhandlungsführern und Hütern der wirtschaftlichen Sicherheit« werden — wenn es nach einem ihrer Befehlshaber ginge.

Rudyard Kipling meinte einst, die Angehörigen der von Großbritannien abhängigen Völker seien »halb Teufel und halb Kinder«. Es sei die »Bürde des weißen Mannes«, sie zu zivilisieren. Amerikas neue Prokonsuln, die amerikanische Vorstellungen in den eroberten Ländern »durchsetzen«, scheinen die Dinge ganz ähnlich zu sehen. Sobald sie den Völkern der Welt beigebracht haben, wie man sich richtig benimmt, kommt es — zumindest in den Augen der Triumphalisten — zum »nation building«, zum Aufbau eines demokratischen Staates, denn nur diese Strategie kann langfristig dem Terrorismus ein Ende setzen.

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