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3.  Die Triumphalisten / Roszak-2003

 Von Europa lernen   

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Zwischen Europa und den Triumphalisten besteht ein eigentümliches Band. Die amerikanischen Konservativen der Generation nach dem Zweiten Weltkrieg verfielen in besonderem Maße dem Einfluss emigrierter europä­ischer Intellektueller, welche die schrecklichen Lehren mit in die neue Welt brachten, die sie zwangsweise aus dem Faschismus hatten ziehen müssen.

Figuren von zum Teil höchstem akademischem Rang wie Friedrich Hayek, Leo Strauss, Hans Morgenthau, Erich Voegelin, Ludwig von Mises, Karl Popper, Hannah Arendt, Richard Pipes und Henry Kissinger kamen während der dreißiger und vierziger Jahre nach Amerika. Sie betrachteten es als ihre Mission, die naiven Amerikaner wachzurütteln und ihnen das hässliche Gesicht der Gegenwart zu zeigen. Auch Ayn Rand, deren Lebenserfahrung von der Frühzeit der Sowjetunion geprägt war, kann zu dieser Gruppe gerechnet werden. 

 wikipedia  Ayn_Rand  1905-1982    wikipedia  Karl_Popper     Friedrich Hayek     wikipedia  Leo_Strauss 1899-1973

Rand, die als Romanschriftstellerin und Filmemacherin enormen Einfluss ausübte, wurde zum Kopf eines kleinen, dafür aber umso giftigeren ideologischen Zirkels, der sein Gedankengut als »Objektivismus« etikettierte. Dieser Zirkel hatte sich die Förderung eines kapitalistischen Systems reinsten Wassers auf die Fahnen geschrieben, weil ihm nur dieses als Garant der Freiheit galt.  

Die Warnungen solcher Kreise mögen durchaus ihre Berechtigung gehabt haben, doch indem sie ihre Totalitarismuskritik auf den Staat konzentrierten und die Rolle der Geldgeber des Faschismus völlig außer Acht ließen, zeichneten die europäischen Emigranten dafür verantwortlich, dass der Klub der Unternehmer a priori aus dem Kreis der üblichen Verdächtigen ausgeschlossen wurde. 

Ihnen war nicht bewusst, dass ein Unternehmen potenziell über nationale Grenzen hinauswachsen und sich zum Staat im Staat entwickeln kann, der häufig größer und finanziell besser bestückt ist als so mancher Kleinstaat. Bereitwillig verschlossen sie die Augen vor der Tatsache, dass amerikanische Unternehmen wie die Ford Motor Company mit dem Nazi-Regime lukrative Geschäfte gemacht hatten. So waren sie einerseits zwar völlig von der Rolle des Geldes in der Gesellschaft besessen, andererseits entstand innerhalb der europäischen Emigrantengemeinde keinerlei Sensibilität für die Tatsache, dass große Vermögen in privater Hand den politischen Prozess auf ungeahnte Weise korrumpieren können. Ihr Denken war von der brachialen Gewalt von Schlagstöcken und Gewehren geprägt, sodass ihnen völlig entging, wie viel Einfluss und Macht sich mit schnödem Mammon kaufen lässt.

Als weiterer Umstand kommt hinzu, dass die europäischen Intellektuellen, sobald sie amerikanischen Boden betreten hatten, ihre Kritik vor allem auf die sozialliberale Politik hier richteten, da sie darin eine gefährliche Stärkung des Staates ausmachten. Einige glaubten, in dieser Art von Politik dieselben Schwächen widergespiegelt zu sehen, die einst die Weimarer Republik zerstört hatten. Andere wiederum waren der Ansicht, dass die Liberalen viel zu nachsichtig mit den Kommunisten umgingen.

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So brillante Köpfe sich teilweise unter den Eingewanderten auch fanden, so gelang es ihnen doch nicht, die vollkommen unterschiedliche Sozialstruktur der Vereinigten Staaten zu begreifen: die Abwesenheit jeglicher aristokratischen Tradition, die geringere Bedeutung des Militärs, die nahezu schwindsüchtige Verfassung des linken Flügels der amerikanischen Politik, die allgemein nicht-ideologische Natur der amerikan­ischen Gewerkschafts­bewegung und die Stärke der verfassungsmäßigen Rechtsgarantien.

Doch so wenig die eingewanderten Intellektuellen auch von den Verhältnissen in Amerika verstanden, so lässt sich doch ohne Schwierigkeiten begreifen, wie befriedigend es für sie gewesen sein muss, für ihr neues Heimatland die Kassandra zu geben. Dies steigerte ihr Selbstwertgefühl sicher ganz enorm.

So vermachten sie einer ganzen Generation junger konservativer Amerikaner das monströse Bild einer Staatsmacht, das mit den Traditionen des eigenen Landes nicht das Geringste zu schaffen hatte. Tatsächlich hatten sie sich eine Weltsicht zu Eigen gemacht, die die gesamte westliche Zivilisation mit einzubeziehen schien. In den Augen von Strauss, Voegelin und Popper reichte der Totalitarismus in die frühesten Tage europäischer Philosophiegeschichte zurück. Sie schrieben ihm eine fürchterliche historische Strahlkraft zu, gegen die der moderne Liberalismus scheinbar nur unzureichenden Schutz bot. Die Liberalen, so meinten sie, verfügten nicht über genügend moralische Substanz, um dem Bösen wirksam entgegenzutreten. Die pluralistische und moralisch relativistische Einstellung der Liberalen zeugte in den Augen der Emigranten nicht gerade von ausreichender Wertschätzung für das Absolute.

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Unter dem Einfluss charismatischer Lehrergestalten wie Strauss waren empfängliche Studenten offenkundig bereit, an die universale Gültigkeit bestimmter Ideale zu glauben, nur weil ihr Lehrer ihnen versichert hatte, dass dies so sei. Wo hier der Unterschied zur Hitlerjugend sein soll, die auch glaubte, der Führer habe immer Recht, oder zu den Taliban, die jedes Wort des Korans für göttlich halten, ist mir nicht klar.

Wir alle, und seien wir auch — wie ich — Liberale, haben Ideale und würden gern sehen, dass alle anderen Menschen deren absolute Gültigkeit anerkennen. Nur gehe ich nicht davon aus, dass ich das Recht besitze, andere zur Annahme meiner Werte zu zwingen. Es ist wohl genau dieser Unterschied, warum die Konservativen davon überzeugt sind, Liberale hätten keine Überzeugungen.

In schamloser Übertreibung gab Hayek, der bald zum Schutzpatron des freien Marktes aufstieg, seinem meistgelesenen Werk den Titel <The Road to Serfdom> (wörtlich: »Der Weg zur Leibeigenschaft«, auf Deutsch erschienen unter dem Titel Der Weg zur Knechtschaft).

Damit aber bezog er sich auf einen historischen Tatbestand, der in der amerikanischen Geschichte unbekannt ist. Und selbst wenn man den Begriff der »Leibeigenschaft« als Metapher benutzen wollte, so würde er sicher besser auf die Arbeitsverhältnisse in der amerikanischen Industrie des neunzehnten Jahrhunderts passen, also noch bevor die Gewerkschaften den Arbeitern in der politischen Arena endlich ein wenig Verhandlungsmacht sicherten.

Lange bevor es in den Vereinigten Staaten auch nur ein einziges liberales politisches Programm gab, war die Wirtschaft dieses Landes geprägt von Trusts und Monopolen, von Streikbrechern und Militärmilizen, denen die Arbeitnehmer einfach nichts entgegenzusetzen hatten. 

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Nur ein von ideologischen Positionen vollkommen verblendeter Mensch kann behaupten, dass es in den Vereinigten Staaten keine Strukturen der »Leibeigenschaft« gegeben habe, als hier noch der freie Markt herrschte. Zu jener Zeit fochten Arbeitnehmer und Unternehmer harte Kämpfe. Die Industriekapitäne heuerten Streikbrecher an oder riefen das Militär zu Hilfe, wenn die Arbeiter sich organisierten. Es war die Zeit der Company towns, in der die Arbeitskräfte wie Sklaven an ihren Arbeitgeber gekettet waren, weil sie ihm ständig Geld für Obdach, Kleidung und Ernährung schuldeten.

Hätte sich Hayek der Antistaats-Doktrin, die er aus Mitteleuropa mitbrachte, nicht so blind verpflichtet gefühlt, hätte er zumindest ansatzweise begriffen, welch zerstörerische Funktion Monopolkapital in den USA ausgeübt hatte. Doch ebenso wie seine europäischen Exilkollegen konnte auch er die Regierung einfach nicht in der Rolle sehen, die sie in den Vereinigten Staaten gespielt hatte, als sie die Interessen der kampfbereiten Farmer verteidigte, die kollektive Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer förderte und die rassistischen Institutionen auflöste, die die Sklaverei dem Land hinterlassen hatte.

Hin und wieder macht sich der Feudalstatus amerikanischer Konzerne heute noch bemerkbar, mitunter auf recht erstaunliche Weise. So brachten im Jahr 2002 Finanzjournalisten ans Licht, dass viele US-Firmen Kapital aus einem durchaus legalen Spielchen schlagen, das auf so genannten »Dead-Peasant«-Policen beruht. In einigen Bundesstaaten der USA ist es nämlich erlaubt, auf die eigenen Angestellten ohne deren Wissen Lebens­versicherungen abzuschließen. Diese Policen werden dann zum Gegenstand diverser lukrativer Absprachen zwischen Versicherung und Unternehmen. Stirbt der Angestellte, kassiert die Firma die Versicherungssumme, auch wenn er längst nicht mehr für sie arbeitet — als sei er Leibeigener seiner Firma.

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Niemand, der die Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts auch nur ansatzweise kennt, würde die Gefahren des Totalitarismus leugnen. Wir haben Grund genug, vor dem Big-Brother-Potenzial moderner Staaten auf der Hut zu sein.

Doch wenn die Triumphalisten von Hitler-Diktatur sprechen, wenn es um die sozialpolitischen Reformen des New Deal und der Great Society beziehungsweise um die Bürgerrechte geht, lassen sie sich — milde ausgedrückt — von ideologischer Übertreibung fortreißen.

Und so betrachten sie die Post, den Wetterdienst, die Sozialversicherung und die Nationalpark-Verwaltung als Vorläufer des Faschismus, während sie geflissentlich übersehen, dass die Konzentration von Geld und institutionalisierter Macht in den Händen einer Konzern-Elite möglicherweise eine viel größere Gefahr für die Demokratie darstellt.

Andererseits ist ohnehin nicht ganz geklärt, ob die Triumphalisten die Demokratie tatsächlich wollen.

Mitunter nämlich verführt ihre Angst vor den rohen, tumben Massen sie zu dem Schluss, dass eine gewisse Form autoritärer Machtausübung durchaus nötig sein mag, um den eigenen Besitz und die intelligente politische Führungsschicht zu schützen. Leo Strauss beispielsweise war der Ansicht, es gebe durchaus Grund für jene »edlen Täuschungen«, deren Gebrauch Plato empfahl, um die soziale Kontrolle zu behalten. In Strauss' Augen entspringen die besten Täuschungen der Religion. Wie Marx hielt er Religion für »Opium«, nur fand er es ganz in Ordnung, wenn man das Volk damit ruhig stellte.

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In Wahrheit pflegen die Triumphalisten in ihren politischen Ansichten mitunter einen recht elitären Ansatz, als wollten sie damit ihre intellektuellen Fähigkeiten unter Beweis stellen. So unterstreichen sie in ihrem Dauerkampf mit den Liberalen gern, dass die Vereinigten Staaten ja niemals als Demokratie gedacht waren, sondern als »Republik«, welche die Macht einigen verantwortungsbewussten Vertretern übertrug, aber niemals dem Volk direkt. Dieser feine Unterschied ist nicht von der Hand zu weisen. Er ist ein wesentlicher Bestandteil des politischen Systems in Amerika, das auf allen Ebenen nur wenige Möglichkeiten für basisdemokratische Partizipation bereitstellt. Gemeinhin ist die Repräsentation durch gewählte Volksvertreter die Regel. Nur wenige Bundesstaaten lassen Volksabstimmungen im Gesetzgebungsverfahren zu. In einigen können politische Führer oder Richter durch Volksentscheid abberufen werden. Aber das ist eher die Ausnahme denn die Regel.

Allein die Tatsache jedoch, dass der angeblich »un-amerikanische Charakter« der Demokratie den Triumphalisten so sehr zu schaffen macht, lässt im Hinblick auf ihre wahren Absichten nichts Gutes ahnen.

Die vernichtende Wut, die diese politischen Kreise in den Vereinigten Staaten den Liberalen entgegenschleudern, ist ohnehin höchst aufschlussreich. Sie offenbart nämlich einen bedauerlichen Mangel an Sinn für die Angemessenheit und historische Dimension des eigenen Tuns. Ihr Hass auf den politischen Liberalismus ist so absolut, dass sie nicht einmal zu begreifen versuchen, welchen Umständen sich die regulatorischen Aktivitäten des Sozialstaats verdanken. Wer nicht tausendprozentig auf ihrer Linie liegt, gilt ihnen ebenso viel wie der übelste Kommunist.

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Der Geist, der George W. Bushs Außenpolitik vom ersten Moment seiner Präsidentschaft an prägte (»Entweder ihr seid für mich oder gegen mich«), wurzelt in jener pauschal urteilenden Intoleranz, in jenem Extremismus, mit dem seine triumphalistischen Berater ihre Ziele in innen- und außenpolitischer Hinsicht verfolgen. All die Wut, welche die Konservativen einst der kommunistischen Bedrohung entgegenbrachten, konzentriert sich nun auf das liberale Denken, das in den Augen der Triumphalisten die Quelle allen Übels ist, das Amerika befallen hat. Diese Leute brauchen einen Feind, und dieser Feind wiederum muss durch und durch schlecht sein.

Worin aber bestehen nun die schrecklichen Sünden, derer die Triumphalisten die amerikanischen Liberalen zeihen?

Im Glauben, dass der Reichtum gleichmäßiger verteilt werden sollte; dass man zu diesem Zweck Wohlhabende stärker besteuern sollte als Mittellose; dass die Regierung ihre Macht dazu nützen sollte, das Leben mit sozialpolitischen Maßnahmen etwas sicherer zu machen; dass der freie Markt im Interesse aller reguliert werden müsste. Diese Ziele sind bescheiden, ja beinahe schlicht. Tatsächlich ist liberales Denken keine besonders aufregende oder spektakuläre Angelegenheit. Das Pathos einer aufgeblasenen Ideologie hat darin keinen Platz. Zudem fehlt es ihm an philosophischer Eleganz. Im Grunde handelt es sich um einen Flickenteppich gut gemeinter Maßnahmen, die Ungerechtigkeit und Ungleichheit dort entgegenwirken sollen, wo sie entstehen. Sogar ich als Liberaler gestehe jederzeit gerne ein, dass diese Maßnahmen nicht immer funktionieren. Sie sind manchmal teuer und ineffizient. Ist dies der Fall, so sollten sie gestrichen werden. Sozialpolitische Maßnahmen haben — wie alles, was in großem Maßstab getan wird — einen gewaltigen und seelenlosen bürokratischen Apparat im Schlepptau.

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Wie im Übrigen auch die Konzerne. Ich gestehe anderen gern das Recht zu, mit allen oder einigen der vorgenannten Ziele nicht einverstanden zu sein. Doch zumindest äußern »die Liberalen« offen und ehrlich ihre Absichten, die in zwei Jahrhunderten der Reformpolitik entwickelt wurden. Das liberale Denken ist weder fremdartig noch neu. Es ist Teil des politischen Mainstreams innerhalb der amerikanischen Kultur und tut nicht so, als sei es in irgendwelchen transzendenten Werten oder göttlichen Wahrheiten verankert.

Und doch entfaltet der triumphalistische Kampf gegen die Liberalen mitunter einen geradezu großinquisitorischen Eifer, der diese Häresie am liebsten mit Stumpf und Stiel ausrotten möchte. So hat sich einer der führenden Köpfe der amerikanischen Rechten, Grover Norquist, zum Ziel gesetzt, die liberale Bewegung »finanziell auszutrocknen«. »Wir werden«, schwört er, »einen um den anderen jagen und all ihre Geldquellen zum Versiegen bringen.« Anne Coulter, eine populäre rechte Journalistin, ging so gar so weit, all jene, die sich dem Irakkrieg widersetzten, als »Landesverräter« zu bezeichnen.

In den 1950er Jahren erhob Senator Joseph McCarthy denselben Vorwurf gegen die Liberalen, weil sie angeblich viel zu nachgiebig gegenüber den Kommunisten seien. In ihrem deplatzierten Zorn schreckte Coulter nicht einmal davor zurück, McCarthy rehabilitieren zu wollen. In ihren Augen nämlich reicht der Sündenfall der Liberalen in jene Zeit zurück, als McCarthy vor fünfzig Jahren seine Macht einbüßte. Und wie einst Senator McCarthys Ziel nicht nur ein gutes Wahlergebnis für die Konservativen war, so reicht auch Coulters Absicht weit darüber hinaus. Wie alle Triumphalisten will sie die Opposition völlig vernichten.

Nun nennen Sie mir bitte einen besseren Maßstab für totalitäre Tendenzen in einem politischen System als dessen Bestrebungen, einen Einparteien-Staat zu schaffen.

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In den Augen der Triumphalisten kommt die mangelnde Ehrfurcht der Liberalen vor dem freien Markt, vor Wettbewerb und der Moral der Mittelschicht einem Krieg um Ideale gleich. Denn Ideale, die viel beschworenen »Werte«, sind in den Vereinigten Staaten die Domäne des rechten Flügels. Ideale — ihre Ideale — müssen respektiert und dürfen nicht in Frage gestellt werden. Und nichts scheint die Empfindsamkeit der Triumphalisten mehr zu verletzen als die Allianz zwischen den Liberalen und der Kunst, nutzen die Liberalen doch das Recht auf freie Rede dazu, den moralischen Alleinherrschaftsanspruch der Triumphalisten dreist in Frage zu stellen.

Seit den Tagen des »Federal Arts Project«, das Franklin D. Roosevelt in den dreißiger Jahren aus der Taufe hob, um arbeitslosen Künstlern zu helfen, stecken die Liberalen — zumindest glauben das die Konservativen — mit den Künstlern unter einer Decke. Frage: Was sind Künstler? Bohemiens, Herumtreiber, Libertins, Atheisten. Haben nicht die Liberalen 1965 die Stiftung National Endowment for the Arts gegründet, die zahllose obszöne Werke ohne jeden Geschmack gefördert hat? »Weg mit dem Müll!«, meinen die Triumphalisten und beziehen sich dabei gleichzeitig auf den gesamten liberalen Flügel amerikanischer Politik.

 

    Konservative und Intellektuelle  

 

Die Konservativen in den Vereinigten Staaten waren zwar schon immer gegen einen mächtigen Staat, doch noch nie haben sie sich so viel Mühe gegeben, ihre Ansichten intellektuell herauszuputzen wie in den letzten Jahren.

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Seit den Achtzigern hat der Konservativismus eine erstaunliche Mutation vollzogen. Es ist ihm ein Gehirn gewachsen. Bis in die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts war Intelligenz ein Monopol der Liberalen. Das »Progressive Movement« zur Zeit Teddy Roosevelts hatte Bücher und Zeitschriften hervorgebracht, wissenschaftliche Forschungsarbeiten und kluge Gespräche gesehen. Die Progressiven waren eifrig darauf bedacht, den Intellekt in die Politik einzubringen. Für ihre Expertenkommissionen auf Bundes- und Landesebene holten sie Spezialisten aus den Universitäten. Von diesem Moment an hatten die Liberalen immer eine starke Bindung an die Universitäten, während die Konservativen — vor allem in den Unternehmen — den Intellektuellen misstrauten, weil sie sie als Sprecher der Reformbewegung erlebten, die in ihren Augen einer Revolution gleichkam. Der Intellekt war der natürliche Feind des Reichtums. Daher wurden Konservative häufig als Kulturbanausen gesehen, die kein Interesse an der Welt des Geistes zeigten. In der Literatur jener Zeit trat der rechte politische Flügel Amerikas nur als Klasse des Typus auf, den Sinclair Lewis in Babbitt so treffend porträtiert hat. Und jene, die diesem Beispiel nacheiferten, gehörten der »Boobocracy« an, der »Doofokratie«.

In den dreißiger Jahren fand das liberale Denken verstärkten Zulauf aus den Reihen der Intellektuellen, weil Roosevelt während des New Deal zahlreiche Förderprogramme für diese Bevölkerungsschicht auflegte. Er selbst war stolz darauf, von einem »Brain-Pool« umgeben zu sein, der in erster Linie aus Universitätsprofessoren bestand.

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Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts gehörten die führenden Köpfe an den Universitäten (sogar in den Privat-Universitäten der illustren Ivy League, in denen die Elite des Landes herangebildet wird), in den Medien und in der Welt des Geistes im Allgemeinen entweder dem linken Flügel an oder rechneten sich wenigstens der Mitte zu. Die Liberalen gaben dicke Zeitschriften mit klarer politischer Orientierung heraus. Auf ihre Initiative hin entstanden Studienzentren und Think Tanks, in denen neue Ideen und sozialpolitische Maßnahmen angedacht wurden.

Am linken Rand ging das liberale Denken in offenen Marxismus der einen oder anderen Spielart über. Sogar Autoren, die die Sowjetunion scharf verurteilten und die kommunistischen Methoden äußerst kritisch betrachteten, wagten nicht, über Politik oder Wirtschaft zu schreiben, ohne Marx zumindest aus der Ferne die Honneurs zu erweisen. Mit der komplexen Geschichte des radikalen linken Denkens, seinen verschiedenen Fraktionen und Flügelkämpfen vertraut zu sein, war Ausweis eines hoch entwickelten politischen Bewusstseins.

Doch seit den 1970er Jahren investieren auch die Konzerne in Intelligenz. Sie finanzieren Zeitschriften, Bücher und Stiftungen, die ihren Interessen dienen. Und sie haben politische Gruppierungen gegründet (auch sie gewöhnlich gut mit Finanzmitteln versorgt), die schon an den Universitäten junge Leute ansprechen. Heute gibt es in den Vereinigten Staaten zahllose Think Tanks, deren Mittel von großen Unternehmen stammen. Dort sitzen dann konservative Sachverständige und geben Bücher heraus, in denen sie vorzugsweise den erzkonservativen Philosophen Edmund Burke (der im achtzehnten Jahrhundert zum Kreuzzug gegen die Ideen der Französischen Revolution aufrief) oder die Federalist Papers, Schriften aus der Gründerzeit der amerikanischen Verfassung, zitieren, um ihre Empfehlungen bestimmter politischer Maßnahmen zu untermauern.

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Der pompöse Schreibstil, der auf konservative Journalisten wie William F. Buckley und George Will zurückgeht, setzt auf große Worte, gewundene Sätze und einen selbstgefälligen Ton. Mittlerweile gilt er als Markenzeichen für den politischen Standort des Schreibers. Die Anzahl konservativer Zeitschriften ist deutlich angestiegen, selbst in einer Zeit, in der es immer schwieriger wird, Zeitschriften ökonomisch am Leben zu halten. Kein seriöses politisches Magazin kann heute ohne die Gelder von Stiftungen oder privaten Sponsoren überleben.

Es ist ja löblich, dass nun auch Konservative die intellektuelle Auseinandersetzung suchen. Doch wie die liberalen Denker schon vor langer Zeit lernen mussten, können große Ideen, also solche, die den Sinn des Lebens und höhere Werte betreffen, auch berauschen. Man zitiert und zieht damit die Autorität des Schriftstellers auf seine Seite, sei dies nun Plato, Locke oder Hegel. Dies führt schnell zu einer unerträglichen Arroganz.

Wenn man liest, was heute aus konservativen Federn fließt, gewinnt man den Eindruck, als hätten manche Ideen sich mittlerweile verselbstständigt, ohne noch auf solche Banalitäten wie die Realität oder den gesunden Menschenverstand Rücksicht zu nehmen. An diesem Punkt verhärten die Ideen sich zur Ideologie, einem geschlossenen System unangreifbarer Prinzipien und unumstößlicher Schlussfolgerungen, denen ein höherer Stellenwert eingeräumt wird als der Erfahrung.

Vielleicht sind diese Bestrebungen tatsächlich nur der Mühe geschuldet, ein intellektuelles Forum zu schaffen, das zum linksliberalen Kulturbetrieb, der sich unter Federführung so bekannter politischer Publikationen wie der Partisan Review, dem Commentary, der New Masses oder Dissent (die hin und wieder ebenfalls unter einer recht elitären Gelehrsamkeit litten) etabliert hat, ein Gegengewicht bildet. 

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Hayek (den die Konservativen inzwischen nicht mehr nur als Wirtschaftswissenschaftler handeln, sondern als den größten Philosophen unserer Zeit) löst den Philosophen John Dewey ab, Leo Strauss ersetzt den Literaturkritiker Lionel Trilling, George Will nimmt die Rolle des Kulturkritikers Walter Lippman für die Rechte ein.

Wie absurd dieses ideologische Fabulieren ist, wird deutlich, wenn man sich einmal klar macht, worum es den konservativen Intellektuellen, auch wenn sie mit Fußnoten und Bibliografien um sich werfen, wirklich geht: um Geld und Privilegien, und zwar das Geld und die Privilegien einer ohnehin schon einflussreichen Konzern-Elite. Und hier gibt es nun einen deutlichen Unterschied zwischen der Rechten und der Linken. Liberale und linke Autoren haben von Gewerkschaften und Arbeitslosen nie dicke Schecks erhalten. Niemand ist je reich geworden, weil er für die Rechte der Armen und Benachteiligten eintrat. Auf der anderen Seite verfügt der rechte politische Flügel Amerikas durchaus über ausreichend Geld, um die Politiker, Medien und Anwälte zu kaufen, die nötig sind, um seine Interessen zu verteidigen.

Von allen rechten Intellektuellen, die in den Vereinigten Staaten Gehör gefunden haben, war niemand aufrichtiger als Ayn Rand. Sie war der festen Überzeugung, dass nur der Reichtum des Kapitalisten ein sicheres Bollwerk gegen den Bolschewismus darstellt, und betete daher den Dollar ganz unverhohlen an. Für sie war Politik zuallererst einmal Geld. Und danach kam ... gar nichts.

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Noch absurder werden die Ideen der Triumphalisten, wenn man sie auf reale politische Fragen anwendet, zum Beispiel, wie man Kinderbetreuung für die Mütter der working poor organisiert oder die gesundheitliche Versorgung alter Menschen sicherstellt. Sozialpolitische Maßnahmen, die den ärmsten Bürgern zu einem besseren Leben verhelfen, werden von konservativen Denkern heftig kritisiert, weil sie angeblich eine Bedrohung unserer Freiheit darstellen.

An diesem Punkt wird die grandiose philosophische Rhetorik, die den Konservativen mittlerweile so sehr ans Herz gewachsen ist, auf ihren wahren Kern zurückgestutzt: auf das misslaunige Gezeter von Geizhälsen wie Ebenezer Scrooge aus Dickens' Weihnachtsgeschichte.

Der intellektuelle Anstrich, den die Triumphalisten sich gern geben, erweist sich schnell als Oberflächenkosmetik, wenn man sich klar macht, wie abhängig sie von der Freigebigkeit der größten Konzerne im Land sind. Denn ohne das dicke Polster der Konzernmillionen könnten konservative Politiker nicht mehr gewählt werden, was zur Folge hätte, dass es keine rechte Politik mehr gäbe. Und was bedeuten den Corporados die ewigen Wahrheiten eines Plato oder Spinoza? Sicher nichts. Für die CEOs ist die einzig wichtige »Literatur« der Aufdruck auf den Geldscheinen, mit deren Hilfe sie ihren Einfluss finanzieren. Daher brauchen konservative Intellektuelle vor allem ein Talent: die Begabung, ihre eigene Verlegenheit unter den Teppich zu kehren, wenn sie die größten Ideen der größten Denker der Geschichte den Zasterfürsten der Konzerne zu Füßen legen.

Als Schüler von Leo Strauss müssen die Triumphalisten ohnehin mit dem Widerspruch zwischen der Wahrheit, die sie glauben, und derjenigen, die sie anderen mitteilen, leben. Heimlich streben sie nach den Privilegien intellektueller Überlegenheit, in der Öffentlichkeit allerdings behaupten sie nach wie vor, für das Volk einzutreten.

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Im stillen Kämmerlein glauben sie, jeden schmutzigen Trick anwenden zu dürfen, um an die Macht zu gelangen. Vor den Augen der Öffentlichkeit allerdings verkünden sie lauthals ihre Tugendliebe. Tief im Herzen glauben sie, dass die Überzeugungen der Gründerväter der amerikanischen Nation — und mit ihnen alle Ideen der Aufklärung, denen die USA verpflichtet sind — nur ein radikaler Irrweg für Mensch und Natur sind. Öffentlich allerdings treten sie als echte Patrioten auf. Eigentlich sind sie gegen gleiches Recht für alle, nach außen hin allerdings setzen sie sich scheinbar für das Volk ein. Im Geheimen betrachten sie Religion als Aberglauben für die geistig Schwachen, die Öffentlichkeit jedoch sieht sie in fundamentalistischen Bibelkreisen, wo sie apokalyptische Visionen nachbeten.

Und woran liegt es nun, dass einigermaßen gebildete Menschen sich derart in Widersprüche verstricken? Vielleicht steht hinter der ganzen Doppelmoral ja nur der Wunsch nach sozialem Aufstieg. Wir sehen uns hier Menschen gegenüber, deren edle Prinzipien vom Hunger nach Macht aufgefressen werden. Wann immer sich eine Gelegenheit bietet, dienen sie sich an als Redenschreiber und Berater für einige der geistig verarmtesten Politiker, die je in Amerika die politische Bühne betreten haben, zum Beispiel Ronald Reagan und George W Bush. Sie, die in ihren Sonntagsreden den Wert eines Menschen über jede Institution und jedes sozialpolitische Programm stellen, arbeiten für eine politische Partei, die mit den anrüchigsten Wirtschaftskriminellen in der Geschichte der USA aufs Innigste verquickt ist.

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Sie betrachten Religion als Opium für die Massen, kaschieren jedoch geschickt ihre Verachtung für jene, die diesen Suchtstoff brauchen, um die Stimmen der fundamentalistisch-christlichen Wählerschaft zu gewinnen. Doch wozu bemüht man nun Plato, die Philosophie, esoterische Geheimlehren oder irgendwelche ewigen Wahrheiten? Wann hat je ein Politiker Plato gebraucht, um Täuschungsmanöver, Betrug, Bluff oder den Abschluss eines äußerst vorteilhaften Deals reinzuwaschen? So wie die Triumphalisten Leo Strauss interpretieren, war jeder betrügerische Parteichef der amerikanischen Geschichte ein geborener Straussianer.

Der merkwürdigste Nebeneffekt triumphalistischer Intellektualität ist die an den Tag gelegte Faszination von esoterischen Lehren. Offenkundig hat man diese Neigung von Leo Strauss geerbt. Wenn man jenen seiner Schüler, denen er angeblich seine intimsten Gedanken anvertraute, Glauben schenken darf, war Strauss davon überzeugt, dass es in den klassischen Texten, deren Studium er sein Leben widmete, wohl verborgene Bedeutungsebenen gab. In einigen Fällen entdeckte er Botschaften, die hinter merkwürdigen Zahlencodes versteckt waren. Diese Botschaften konnten nur von einigen wenigen Auserwählten dechiffriert werden. Außerdem waren sie so brisant, dass man sie vor den unerleuchteten Lesern verbergen musste. Der Pöbel sollte auf keinen Fall wissen, was Plato wirklich gedacht hatte! Die Angst der Straussianer, die Masse könnte von den geheimen Lehren ihres Mentors erfahren, ist beinahe komisch. Es gibt wohl kaum viele Autoren, die weniger Gefahr laufen, plötzlich populär zu werden, als Strauss. Wenn es esoterische Botschaften in seinem Werk geben sollte, sind sie vor der Öffentlichkeit absolut sicher! Sofern er nicht gerade an seiner Dissertation schreibt, ist wohl kaum jemand bereit, auch nur ein Viertelstündchen auf die Lektüre seiner Traktate zu verwenden.

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Er ist ein extrem pedantischer Denker. Seine Prosa ist dicht, subtil und komplex wie die jener Schriftsteller, mit denen er sich sein Leben lang beschäftigte: Plato, Lukrez, Aristoteles, Machiavelli, Spinoza. Selbst am akademischen Schreibstil gemessen gehört Strauss zu den anspruchsvollsten (und ermüdendsten) Autoren. Was nicht heißen soll, dass er nicht zu Tiefe und Einsicht fähig wäre. Doch wie viele andere große Geister verlangt er vom Leser harte Arbeit. Wenn Strauss sagt, dass »Philosophen oder Wissenschaftler sich in ihren Schriften einer bestimmten Ausdrucksweise bedienen müssen, um das, was sie als die Wahrheit erkannt haben, nur den wenigen zu enthüllen«, dann kann man eines auf jeden Fall mit Sicherheit sagen: Er hat diese Kunst gemeistert wie kaum ein Zweiter.

Andererseits wirkt Strauss' Leidenschaft für die Esoterik beunruhigend, wenn man sich vor Augen führt, welchen Einfluss er auf jene seiner Schüler hatte, die in die Politik gegangen sind, vor allem auf die höchst aktiven grauen Eminenzen im Verwaltungsapparat. Strauss war davon überzeugt, dass Nietzsches Übermenschen in unserer Gesellschaft eine wichtige Rolle zukommt. Er ist der Führer, der bereit ist, sich die Hände schmutzig zu machen, um für die unbedarften Massen eine bessere Welt zu schaffen. Vorstellungen wie diese können sich als sehr gefährlich entpuppen, wenn politisch ehrgeizige Typen sie sich zu Eigen machen, die in jeglicher konventionellen Moral ohnehin nur Ballast sehen, den sie nur zu gern über Bord werfen.

Man lasse sich nur eine These wie die folgende (aus Strauss' 1963 publiziertem Essay »On Tyranny«) einmal auf der Zunge zergehen: »Die Herrschaft des Tyrannen, der sich — nachdem er durch Betrug, Gewalt und alle möglichen kriminellen Machenschaften an die Macht gekommen ist — nun dem Rat weiser Männer beugt, ist auf jeden Fall rechtmäßiger als die Herrschaft gewählter Volksvertreter ...«

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Das liest sich, als gäbe jeder verbrecherische und korrupte Tyrann einen akzeptablen Herrscher ab, wenn er nur bereit ist, Rat von jenen anzunehmen, die ihm intellektuell überlegen sind. Tatsächlich ist Strauss' Auffassung keineswegs so eindeutig. Möglicherweise spielt er an dieser Stelle nur eine Idee durch, die er bei dem griechischen Philosophen Xenophon entdeckt hatte. Doch wenn ich diese Passage lese, läuft es mir kalt den Rücken hinunter. Ich sehe hinter diesem Nietzsche-Duktus, den Strauss bei seinen Schülern förderte, die triumphalistischen Strategen an der Arbeit, die eifrig ihre Propagandamärchen ausbaldowern, um die Nation in den Krieg zu führen — all das im überzeugten Glauben an die eigene moralische Berechtigung. Auch ich wünsche mir von Herzen, diese Möchtegern-Übermenschen straussscher Prägung, die heute die amerikanische Außenpolitik bestimmen, als lächerliche Idioten abtun zu können. Bedauerlicherweise aber haben sie mittlerweile genügend Möglichkeiten, in der Welt eine Menge Schaden anzurichten.

 

 Am rechten Rand  

Am Standard anderer Industrieländer gemessen besetzen schon Amerikas Triumphalisten den äußersten rechten Rand. In Europa gibt es lediglich einige rassistische Gruppierungen, die vor allem auf das Thema »Zuwanderung« gereizt reagieren und die im Spektrum noch weiter rechts stehen. Die Milch dieser Denkungsart speist auch einige amerikanische Hirne.

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Hier präsentiert sie sich als biederer »Amerika zuerst«-Populismus, dessen prominentester Vertreter Ronald Reagans früherer Berater Patrick Buchanan ist. Buchanan, dessen politische Vorstellungen auf Isolation der USA und staatlicher Protektion ihrer Wirtschaft hinauslaufen, ist die Stimme eines Konservativismus der alten Garden, der auf die Barry-Goldwater-Republikaner der 1960er Jahre zurückgeht. Buchanan wird nicht müde, für das Präsidentenamt zu kandidieren, obwohl er seine Anhängerschaft weitgehend an die Triumphalisten verloren hat. Doch gibt es da noch andere Elemente des Rechtsaußen-Lagers, mit denen die Triumphalisten seltsame Beziehungen pflegen. So ermutigte und legitimierte das Erstarken der Triumphalisten auf nationaler Ebene die fanatischeren Vertreter der Rechten, deren oberstes Ziel es ist, die Regierung ganz abzuschaffen.

Denn trotz aller rhetorischer Ablehnung einer zentralen Staatsgewalt wollen die Triumphalisten eben jene ausüben. Sie streben nach Ämtern und wollen Politik machen. Ihre Kritik am Staat ist letztlich nichts weiter als ein Lippenbekenntnis, denn ihre Ziele sind voll und ganz von der Realpolitik geprägt. Ihr Ziel ist nicht, die Staatsgewalt abzuschaffen, sondern sie zu übernehmen und sie zum Aufbau einer globalen Vormachtstellung zu nutzen. Eben dieses Ziel zwingt sie dazu, eine starke, dominante Regierung zu schaffen. Sie brauchen die Steuerhoheit des Kongresses, die Exekutivmacht des Präsidenten sowie funktionierende Militär- beziehungsweise Geheimdienststrukturen.

Tatsächlich bestand der erste bedeutsame Schritt der Triumphalisten, nachdem George W. Bush das Weiße Haus übernommen hatte, darin, eine eigene Top-Secret-Geheimdienst-Einheit zu gründen: das Office of Special Plans, dessen Chef Abram Shulsky wurde, einer der Schüler von Leo Strauss.

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Überzeugt, die CIA sei nicht vertrauenswürdig genug, um das in die Tat umzusetzen, was den Triumphalisten vorschwebte, suchten sie mit kalter, dem Kreml würdiger Entschlossenheit nach einer Methode, wie sie die für sie wichtigen Informationen zum Krieg gegen den Terrorismus entsprechend sieben konnten. Im Geheimdienstjargon nennt man dies »sich die Kirschen herauspicken«. Und so nutzten sie das Office of Special Plans dazu, ein Rechtfertigungspapier für einen Krieg gegen den Irak zusammenzubasteln, eine hastig fabrizierte Mischung aus schamlosen Übertreibungen und glatten Lügen.

Die wichtigsten Informationsquellen hierzu waren der Irakische Nationalrat, eine Exilantengruppe unter der Führung von Ahmad Chalabi, einer zwielichtigen Gestalt, die sich schon seit Jahren in Washington herumtreibt. Also wählten die Triumphalisten ihn aus, um die neue irakische Regierung zu gründen. In einem Manöver, das ob seiner Unbedarftheit schon komisch wirkte, brachte man Chalabi nach Beginn der Invasion mit seiner privaten Söldnertruppe in den Irak, weil man annahm, er könne sich an die Spitze des inner-irakischen Widerstands setzen, der ihn dann zum neuen Präsidenten ausrufen würde. Das Unternehmen schlug kläglich fehl, doch Chalabi bleibt trotzdem der Mann der Triumphalisten in Bagdad.

Diese Besessenheit von der totalen Kontrolle ist auch der Grund, weshalb die Triumphalisten keine Verbündeten unter den anderen konservativen Strömungen finden. Einige erklären sich dieses Streben der Triumphalisten mit einer historischen Haltung, die auf den progressiv-demokratischen Präsidenten Woodrow Wilson zurückgeht.

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Dieser versuchte nach dem Ersten Weltkrieg, die Vereinigten Staaten zum Schiedsrichter in internationalen Konflikten zu machen. Andere Interpreten sind da weniger positiv. Sie sehen im Triumphalismus eine entfernte Reflexion der Autoritätsgläubigkeit, welche viele enttäuschte Stalinisten und Trotzkisten beibehielten, als sie nach dem Zweiten Weltkrieg die Seiten wechselten und sich dem konservativen Teil des politischen Spektrums anschlossen. Es ist wirklich verblüffend, wie viele verbitterte Ex-Linke zu den Gründervätern der neokonservativen Bewegung in den Vereinigten Staaten zählen. Offenkundig halten sie eiserne Parteidisziplin immer noch für eine gute Sache. Als sie der extremen Linken abschworen, nahmen sie zusehends die Liberalen aufs Korn, weil sie ihnen nicht antikommunistisch genug waren. Angesichts der Tatsache, dass viele dieser Wendehälse sogar Stalin gut fanden — was kein Liberaler je getan hat —, wirkt dieser Vorwurf geradezu bizarr.

Worauf der elitäre Gestus der Triumphalisten-Cliquen letztlich auch zurückzuführen sein mag, ihre Form der Machtpolitik ist den »normalen« Konservativen gewöhnlich ein Gräuel. Letztere treten für maximale Freiheit des Bürgers vom Staat ein, also auch für einen kleinen Militärapparat, doch die Republikanische Partei wirbt trotzdem heftig um ihre Unterstützung. Die beiden Hauptgruppen dieser politischen Strömung sind die Libertarians und die paramilitärische Rechte.

Die Libertarians haben sogar eine eigene politische Partei gegründet, die mit ihren Kandidaten bundesweit an Wahlen teilnimmt. Obwohl die Anhänger der Libertarian Party sich durchaus um politische Ämter bemühen, lehnen sie den Eingriff der Staatsgewalt in fast allen Lebensbereichen ab, wenn man einmal von der Wahrnehmung polizeilicher und militärischer Aufgaben absieht.

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Würden sie sich durchsetzen, würde Amerika schnell wieder zum sozialen Dschungel der frühen Industrialisierung. Doch in ihrer Sicht der Welt ist alles, was diesen Status kapitalistischer Anarchie einschränkt, Ausgeburt des Totalitarismus. Kurz gesagt handelt es sich bei den Libertarians um leidenschaftliche Vertreter eines uneingeschränkten Sozialdarwinismus, die glauben, in einer freien Gesellschaft sei es die Pflicht jedes Bürgers, ums Überleben zu kämpfen. Die Libertarians führen einen beherzten Krieg gegen alle sozialpolitischen Programme und andere Formen staatlicher Regulierung, doch man kann ihre Aufrufe zum heroischen Pioniergeist nicht so ganz ernst nehmen. Die meisten von ihnen sind Akademiker oder Angehörige hochqualifizierter Berufe, die in der Rolle der hartgesottenen Individualisten nicht so recht überzeugen.

Man fragt sich, wer von ihnen staatlichen Schikanen ausgesetzt war, die über das schlichte Schlangestehen in einer Postdienststelle hinausgehen. Die Libertarians dreschen lange, blumige Phrasen, wenn es um die Rechtfertigung für eingeschränkte Staatsrechte geht, trotzdem haben sie keine Probleme damit, sich der Antisteuer-Bewegung anzuschließen, deren Ziel sich letztlich in einem simplen Satz zusammenfassen lässt: Keine Steuern ... außer vielleicht für die Finanzierung des Militärs.

Oberflächlich betrachtet scheint eine Allianz zwischen den Triumphalisten, die nach der Zentralgewalt streben, und den Libertarians, die nichts mehr verabscheuen als diese, kaum möglich. Würden sich die Libertarians mit ihren Ansichten durchsetzen, wäre dies das Ende der triumphalistischen Pläne für die Vorherrschaft Amerikas in der Welt. Doch Triumphalisten und Libertarians eint ein starkes Band.

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Einige der Schlüsselfiguren des triumphalistischen Intellektuellen-Pantheons vertreten Ansichten, die denen der Libertarians sehr nahe kommen. Dazu gehören zum Beispiel Friedrich Hayek und sein wichtigster Schüler, der Nobelpreisträger Milton Friedman. Hayeks Kritik der liberalen Wirtschaftsideen ist für die Triumphalisten von so entscheidender Bedeutung, dass sie ihn nicht aus ihren Reihen verbannen können, auch wenn ihre imperialistischen Vorstellungen und der gewaltige Militärapparat, der dazu nötig ist, wohl kaum Hayeks Zustimmung gefunden hätten. Auch Friedman unterstützt die triumphalistischen Ziele nicht. Tatsächlich gibt es in Washington keinen größeren, ausgabefreudigeren und mehr auf reine Selbsterhaltung ausgerichteten bürokratischen Apparat als das Verteidigungsministerium. Sein Budget und seine administrative Struktur degradieren jedes andere Ministerium daneben zur kleinen Amtsstube. Seine Verschwendungssucht ist geradezu legendär.

Das Pentagon ist das beste Beispiel für einen aufgeblähten, kostspieligen und keiner wirksamen Kontrolle unterworfenen Regierungsapparat. Zudem bedroht keine amerikanische Regierungsorganisation die persönliche Freiheit der Amerikaner stärker als CIA, FBI und die verschiedenen Militärgeheimdienste, deren Tun die Triumphalisten, die meist in diesen Organisationen beschäftigt sind, so sehr schätzen. Daher läuft die Allianz mit den Triumphalisten nie so ganz rund. Und doch war es gerade der Aufstieg der Triumphalisten, der die Ideen der Libertarians so richtig populär gemacht hat.

Noch bemerkenswerter allerdings ist die wechselhafte Beziehung, die sich zwischen den Triumphalisten und den Vertretern der paramilitärischen Rechten entsponnen hat, dem extremistischen Flügel der Konservativen, der wie kein anderer von Wahnvorstellungen lebt.

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Die paramilitärischen Konservativen treten für eine extreme Interpretation des zweiten Zusatzartikels zur Verfassung der Vereinigten Staaten ein, der dem Kongress verbietet, irgendwelche Gesetze zu erlassen, die dem Bürger das Tragen von Waffen verbieten. Dieser Zusatzartikel zur Verfassung wurde vor allem für die Bürgerwehren des achtzehnten Jahrhunderts geschaffen. Doch die »Waffen-Fans« interpretieren die Verfassung dahin gehend, dass sie jedem Einzelnen das Recht auf Automatikgewehre, Handgranaten, Panzerabwehrgeschütze und sogar Raketen garantiert. So verrückt dies klingen mag: Der Schutz dieses speziellen Rechts hat eine der effizientesten Lobbygruppen des Landes ins Leben gerufen — die National Rifle Association.

Die NRA ist ein typisches Beispiel für eine politische Organisation, die nur ein einziges Ziel kennt. Sie steht für die Bereitschaft, jedes andere politische Problem und jeden Wert diesem einen Ziel unterzuordnen. Die NRA hat genügend Geld und politisches Know-how angehäuft, um Wahlen entscheidend zu beeinflussen. Aus diesem Grund wurde sie zum kostbaren Wähler-Pool der Republikaner. Die NRA hat es sich zur Aufgabe gemacht, alle Versuche, den Besitz von Feuerwaffen per Gesetz einzuschränken, zu Fall zu bringen, selbst wenn es sich ganz eindeutig um Kriegswaffen handelt. Keine Gruppierung in den Vereinigten Staaten, nicht einmal das organisierte Verbrechen, trägt mehr Verantwortung dafür, dass unsere Städte von Automatikfeuerwaffen und Explosivgeschossen überschwemmt werden. Sie erfreut sich so massiven Zuspruchs von Seiten der Bevölkerung, dass viele Liberale es schon aufgegeben haben, gegen sie anzukämpfen. Für Präsidentschaftskandidaten — leider auch aus den Reihen der Demokraten — gehört es mittlerweile dazu, sich beim Jagen oder auf dem Schießstand fotografieren zu lassen, um so zu signalisieren, dass sie nichts gegen Gewehre einzuwenden haben.

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Woher rührt diese fast manische Loyalität der NRA-Mitglieder zu ihrer Organisation? Viele Amerikaner, vor allem in den weniger urbanen Bundesstaaten des Westens, hängen mit inniger Nostalgie den Bildern der frühen Pionierzeit nach, als Cowboys und Siedler gemeinsam um die Kolonisierung des Westens kämpften. Amerikanische Kinder wachsen gewöhnlich mit einer beinahe mythischen Ehrfurcht vor Revolverhelden auf. Und so proben die Paramilitaristen am Wochenende in Wald und Flur den Guerillakrieg, schließen sich zu Bürgerwehren zusammen oder zu Privatarmeen. Ihrer Überzeugung nach kann nur ein Volk in Waffen wirklich frei sein. Solches Gedankengut mag irrational sein, doch es lässt seine Anhänger alle gegen den privaten Waffenbesitz gerichteten Maßnahmen der Regierung als Erniedrigung empfinden, als heimtückische Machenschaften zur Unterdrückung der Bürger.

Die NRA spricht aus, was Millionen Amerikaner denken, die sogar die einfachsten Formen der Kontrolle des Waffenbesitzes als Vorspiel zu einer Diktatur in Washington betrachten. Es sind vor allem solche Ängste, aufgrund derer die Paramilitaristen sich gegen das FBI wappnen, gegen das Bureau of Alcohol, Tobacco and Firearms (ATF) sowie andere Regierungsstellen, deren Aufgabe es ist, für die Einhaltung der Gesetze zu sorgen. Die Paramilitaristen sehen sie als amerikanische Form der Gestapo. Einige von ihnen sehen Schwarze und Juden als treibende Kraft hinter Washingtons Bemühungen zur Entwaffnung und »Versklavung« der Nation. Für andere sind die Vereinten Nationen der Sündenbock. Es gibt sogar welche, die glauben, die UN würden mit einer geheimen Flotte schwarzer Hubschrauber ihre Häuser überwachen.

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Ironischerweise stellen die paramilitärischen Konservativen trotz all ihrem patriotischen Getöse eine ebenso ernste terroristische Bedrohung dar wie Al Qaida. Der schlimmste terroristische Akt, dem Amerika sich vor dem 11. September 2001 ausgesetzt sah, war die Bombe vor dem Alfred-P.-Murrah-Gebäude, in dem Büros von Bundesbehörden untergebracht waren. Bei diesem Anschlag kamen 168 Menschen ums Leben. Der »Oklahoma-Bomber« war ein ewig unzufriedener Angehöriger einer rechts gerichteten Miliz, der sich für die Attacken von FBI und ATF in Waco rächen wollte. Dort wurden 1993 die Mitglieder einer bewaffneten christlich-fundamentalistischen Sekte ausgehoben, die sich »Branch Davidians« nannten. Das FBI verfolgte die Branch Davidians, weil sie illegale Feuerwaffen besaßen. Während des Angriffs fing das Gebäude, in das sie sich geflüchtet hatten, Feuer. Das FBI behauptete später, dies sei ein Unfall gewesen. Bei dem Großbrand starben 76 Männer, Frauen und Kinder. Dies war eine der unrühmlichsten Episoden in der Geschichte des FBI, ein Akt ausgewiesener Inkompetenz, den man disziplinarisch streng hätte ahnden müssen. Doch kein einziger FBI-Agent verlor seinen Posten oder wurde gar vor Gericht gestellt. Schwere Fehler wie dieser (wenn es denn ein Fehler war) verstärken die Paranoia noch, welche die amerikanische Gesellschaft prägt.

Paramilitärische Konservative sehen sich selbst nicht als Gegner der Regierung. Sie bezeichnen sich vielmehr als »pro-constitutional«, als »Hüter der Verfassung«, auch wenn sie diese nur negativ auslegen. Ihrer Auffassung nach spricht die Verfassung der Regierung keinerlei Autorität zu, sprich, sie hat kein Recht, Steuern einzutreiben oder Sozialprogramme aufzulegen.

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Einige paramilitärische Gruppen haben sogar alternative »Gerichtshöfe« ins Leben gerufen, in denen das so genannte Common Law gilt, also das Rechts­empfinden der Bevölkerung. Dabei entwickeln die Paramilitaristen eine recht eigene Rechtsauffassung, deren Durchsetzung dem »gerechten« Einsatz der Bürgerwehr und kleiner »Volksgerichte« obliegt, die von lokalen Waffenfreunden dominiert sind.

In der hintersten Provinz haben paramilitärische Einheiten eine Organisation für eine »unabhängige« Rechtsprechung gegründet, die sich Posse Comitatus nennt. Ihre Hauptaktivität besteht darin, lokale Richter und Bundesbeamte einzuschüchtern.

Irrwitzige Ideologien wie diese haben dazu geführt, dass das Misstrauen gegen eine Zentralgewalt mittlerweile die gesamte amerikanische Gesellschaft durchzieht, was natürlich den Interessen der Triumphalisten förderlich ist.

 

    Paranoia allenthalben  

 

Bedauerlicherweise beschränken sich solche regierungsfeindlichen Ansichten in den Vereinigten Staaten nicht auf die Randzonen der Gesellschaft. Seit 1963 Präsident Kennedy ermordet wurde, haben die USA sich zu einer wahren Brutstätte für alle möglichen Verschwörungstheorien entwickelt — ein sicheres Anzeichen dafür, dass eine Gesellschaft ihr Selbstvertrauen verliert.

Was die Amerikaner nach Pornografie und Glücksspiel im Internet am meisten interessiert, sind Seiten und Chat-rooms zu obskuren Komplotten und Verschwörungen.

Seit die Amerikaner sich bewusst wurden, wie häufig ihre Regierung in der Vergangenheit für Aktivitäten verantwortlich zeichnete, von denen die Bevölkerung nichts wusste, ist Paranoia in den Vereinigten Staaten zum festen Bestandteil der politischen Diskussion geworden.

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Ohne Zweifel rechtfertigt der enorme Grad an offizieller Geheimhaltung, der die verdeckten Operationen der amerikanischen Politik während des Kalten Krieges prägte, jede Form von Misstrauen. Wer tötete denn John F. Kennedy und seinen Bruder und Martin Luther King und Marilyn Monroe nun wirklich! Endlose Interpretationen dieser Ereignisse sind Teil der Folklore unserer Zeit. Es existieren nicht wenige selbst ernannte »Verschwörungstheoretiker«, die das Ausspinnen dieser paranoiden Szenarien von Tod und Verrat zur Kunstform erhoben haben. Diese schaffen es, jeden beliebigen Todesfall unter Politikern und jeden Skandal der letzten vierzig Jahre geschickt zu verknüpfen, und so der Spekulation in den organisierten Netzwerken weiter Vorschub zu leisten. Der 11. September und die Triumphalisten waren für diese Gruppe natürlich ein gefundenes Fressen. Tippen Sie ein paar Begriffe in Internet-Suchmaschinen ein, und Sie stoßen auf eine wohlgefüllte Schatzkammer an wilden Vermutungen: Wurden die Twin Towers vielleicht von der CIA zerstört? Oder vom israelischen Geheimdienst? Oder gar von George W Bush selbst?

In diesem Dickicht wüster Mutmaßungen kommen manchmal höchst interessante Verbindungen zum Vorschein, dunkle Beziehungen zwischen Menschen, die jemanden kannten, der wiederum jemanden kannte, der ... Natürlich geben die Triumphalisten die idealen Mitspieler ab. Viele Berater, die in der Reagan-Ära und unter den beiden Bush-Präsidenten die Politik mitbestimmten, haben ein und denselben Hintergrund.

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Häufig kreuzen ihre Pfade sich beispielsweise in einer der Schlüsselorganisationen des triumphalistischen Denkens: dem »Project for the New American Century« (PNAC), das 1997 gegründet wurde. Dieser Think-Tank befürwortete nachdrücklich eine deutliche Militärpräsenz der Amerikaner im Nahen Osten, die letztlich den Irak im Visier hatte. Eben diese Menschen taten aber auch ganz offen kund, dass es »ein neues Pearl Harbour« brauchen würde, um eine entsprechende politische Neuorientierung durchzusetzen.

In der Rückschau bekommen diese Worte einen erschreckenden Klang. Eine europäische Zeitschrift nannte das 1998 erstellte Strategiepapier gar »eine geheime Blaupause für die globale Weltherrschaft der USA«. Das mit der Blaupause mag durchaus richtig sein, »geheim« allerdings war dieser Plan nicht. Das PNAC publiziert recht fleißig. Da seine Worte in Washington Gewicht haben, wurde dieses Positionspapier veröffentlicht, um ihm den nötigen Verbreitungsgrad zu sichern. So verhält sich keine Verschwörergruppe. Tatsächlich ist das Klima in den Vereinigten Staaten mittlerweile so von Misstrauen geprägt, dass es fast keine Chance mehr zur Geheimhaltung gibt. Kaum eine Schandtat, die nicht längst in das Szenario einer möglichen Verschwörung eingeflossen ist.

Aber braucht es denn wirklich so reißerische Erklärungsmodelle wie Verschwörungen und Komplotte, um die Vorgänge in der heutigen Politik zu verstehen? Es stimmt, dass in der Bush-Regierung viele Triumphalisten sitzen. Es stimmt ebenso, dass diese Leute sich meist kennen, häufig miteinander zur Schule gegangen sind, dieselben Lehrer hatten, denselben Organisationen angehören und in denselben Komitees sitzen. Ohne Zweifel essen sie häufig miteinander zu Mittag.

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Diese Leute sind politische Aasgeier. Sie flattern seit der Reagan-Regierung um die Pole der Macht, verschaffen sich gegenseitig Jobs, segnen das eine oder andere Strategiepapier ab und suchen nach Gelegenheiten, sich bei jemandem einzuschmeicheln. Zweifelsohne sind sie von allerlei anstrengenden bürokratischen Manövern in Anspruch genommen. Sie müssen jemandem etwas heimzahlen, Allianzen pflegen, Gefälligkeiten austauschen. Ist es nicht eben diese Art von Tätigkeit, die Menschen in großen bürokratischen Apparaten auf Trab hält, seien diese nun öffentlicher oder privater Natur?

Auf jeden Fall wird das, was sich zwischen den Triumphalisten und den Entscheidungsträgern in Washington abspielt, routinemäßig von der Presse verfolgt. Wenn wir auch die Namen aller Figuren in diesem Spiel nicht kennen mögen, so können wir doch davon ausgehen, dass hinter der einen grauen Eminenz wieder eine andere steckt, die ebenfalls ihre Finger mit im Spiel um Geld und Ruhm hat. Selbst wenn wir die Motive der Triumphalisten haargenau kennen würden: Könnten sie denn tatsächlich noch schlimmer sein als alles, was wir über sie bereits wissen? Als vor dem Irakkrieg Hunderttausende gegen die Pläne der Regierung protestierten, erhob sich aus den Reihen der Bush-Gegner immer wieder der Vorwurf, dass diese Regierung und ihre Günstlinge nur den Interessen der großen Ölkonzerne verpflichtet sei. Wir wissen aus den Medien, dass viele von Bushs Handlangern auf den (mitunter schwarzen) Lohnlisten privater Konzerne und ausländischer Regierungen stehen. Ihre Gier nach Macht steht ihnen auf die Stirn geschrieben.

Ich habe dieses Buch verfasst, weil ich der vollen Überzeugung bin, dass die Triumphalisten besessen sind von dem Gedanken, die Landkarte des Nahen Ostens oder gar der Welt neu zu zeichnen.

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Wenn sie damit Erfolg haben, werden sie unendlich viel Geld einstreichen. Das ist simple Soziologie, bei der es schließlich auch um das Studium der Interessenlage innerhalb einer Gesellschaft geht. Und das genügt schon, um den Einfluss zu erklären, den die Triumphalisten ausüben.

Meiner Ansicht nach ist der intellektuelle Anstrich, den die Triumphalisten sich so gern geben, kaum mehr als Sand in den Augen der Öffentlichkeit. Besorgte Kritiker aus dem linken Lager machen enormen Wind um die Tatsache, dass viele von Leo Strauss' Studenten an der University of Chicago heute in der Politik tätig sind, vor allem in der Regierung von George W. Bush. Ist Strauss, der 1973 starb, etwa der postmortale Kopf der triumphalistischen Verschwörung? Je genauer man diese Konstellation untersucht, desto unwahrscheinlicher wird dies. Es kann durchaus sein, dass Strauss persönlich dem Konservativismus zuneigte, doch in seinem wissenschaftlichen Werk findet sich nur wenig, was direkte politische Relevanz hätte. Es heißt, er habe die ideale Gesellschaftsform in der Herrschaft des Landadels gesehen, doch wie viele Landadlige gibt es denn noch? Strauss' Ruf als Gelehrter beruht vor allem auf seinen Interpretationen großer Philosophen wie Plato, Nietzsche und Spinoza. Dabei gibt es Stimmen, die seine Plato-Interpretationen schätzen. Andere Kritiker wiederum halten seine Behauptung eines esoterischen Subtextes in den Schriften des Philosophen für ein bisschen bizarr.

Strauss' intellektuelle Mission war es offenkundig, die Weisheit der Altvorderen zu bewahren und sie zu einer vernichtenden Kritik an der »Moderne« umzuformulieren. Studenten, die ihn persönlich kannten, mochten ihm auf diesem Weg folgen können, doch auf dem Papier werden seine Worte von einer dicken Schicht professoralen Staubs überdeckt.

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Wo sollten sich diese fein nuancierten Gelehrsamkeiten mit der Politik einer urban-industriellen Gesellschaft decken, die zunehmend in den Würgegriff der multinationalen Konzerne gerät?

Die Triumphalisten sind Menschen, die ihr Leben damit zubringen, den Interessen der Begüterten zu dienen. Sie stammen meist aus gesellschaftlich ambitionierten Familien, wo man ihnen beigebracht hat, dass Geld alles rechtfertige. Sie glauben fest daran, dass reiche Menschen mit Fug und Recht die Geschicke der Gesellschaft bestimmen sollten. Fest im darwinistischen Denken verankert, verachten sie die unteren Schichten, weil allein ihre Armut beweist, dass sie Versager sind, die keinen Anspruch auf politische Teilhabe besitzen.

Kein Triumphalist hat je wirtschaftliche Unsicherheit kennen gelernt. Außerdem hege ich den Verdacht, dass keiner unter ihnen je einen Tag mit einem Vertreter der ärmeren Schichten zugebracht hat, schon gar nicht, wenn dieser keine weiße Hautfarbe hat. Prolls tischen schließlich nicht gerade den besten Scotch auf, oder? Es reicht, wenn man von einem Menschen weiß, dass er es nicht ertragen kann, nicht im besten Restaurant der Stadt zu speisen und dort den besten Wein zu bestellen. Man kann sich gut vorstellen, für welche Politik so ein Mensch steht.

Wenn Leute wie diese sich treffen, um ihre Sorgen und Nöte zu besprechen und Pläne zu schmieden, wie sie ihr Vermögen vergrößern können, dürfen Sie davon ausgehen, dass dort die Eitelkeit regiert. »Gleich und gleich gesellt sich gern.« Unnötig, dem noch Verschwörungstheorien überzustülpen.

Ist das nun gut oder schlecht für die Zukunft der amerikanischen Politik? Meiner Ansicht nach ist es schlecht. 

Wären die Triumphalisten eine Hand voll Fanatiker, die im Schutz der Dunkelheit finstere Komplotte aushecken, sollte es sehr viel einfacher sein, sie ans Licht der Öffentlichkeit zu zerren und ihre Pläne zu diskreditieren. Die schlichte Tatsache, dass ihre Absichten in der Presse und der Öffentlichkeit alles andere als unbekannt sind, lässt an der ethischen Wachsamkeit des amerikanischen Volkes zweifeln. Sicher existieren immer noch tapfere Streiter, die sich gegen diese Methoden wenden. Kolumnisten, politische Satiriker, sogar einige TV-Kommentatoren, die es gewagt haben, offen den Irakkrieg in Frage zu stellen. Es gab großartige Dokumentarfilme, die Schritt um Schritt belegten, wie die Triumphalisten in Washington an die Macht kamen.

Das seriöseste, nicht an einen Sender gebundene und nicht von Werbeeinnahmen abhängige Nachrichtenmagazin der USA — die <News Hour> bei Public Broadcasting System — dokumentierte in einer Serie, wie seit dem Inkrafttreten des Patriot Act die Bürgerrechte immer wieder verletzt wurden. 

Doch nichts davon hat die breite Masse, die die Basis für den Protest sein müsste, wirklich erreicht.

Daraus lässt sich nur schließen, dass viele Amerikaner mit den Zielen der Triumphalisten sympathisieren oder — was noch schlimmer wäre — schlicht zu lethargisch sind, um dagegen anzugehen.

Diese latente Zustimmung beziehungsweise Trägheit an der Basis sollte uns sehr viel mehr Sorgen bereiten als irgendwelche Verschwörungen höheren Orts.

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