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5.  Das liberale Nervenflattern 

Theodore Roszak 2003

»Es ist an der Zeit, dass die Liberalen ein wenig Mitgefühl für jene Eltern entwickeln, die ihre Kinder in dem moralischen Vakuum erziehen müssen, das die liberale Politik geschaffen hat. Die Liberalen fordern Vertrauen in die Tatsache, dass das Geld, das wir der Regierung geben, auch für sinnvolle Ziele eingesetzt wird. Aber die Menschen haben dieses alberne Spielchen gründlich satt... Die modernen Konservativen wollen den Menschen für ihre Steuergelder echte Werte geben. Sie wollen echte Gelegenheiten für arme Menschen schaffen, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen. Das ist wirkliches Mitgefühl und hat nichts zu schaffen mit der falschen Hilfsbereitschaft der Liberalen, die bei jedem Problem mit Geld winken, um die Menschen, die es bekommen, von sich abhängig zu machen.«  --  Rush Limbaugh, einer der führenden konservativen Radiokommentatoren, 1992

»Ich will die zentrale Regierungs­gewalt nicht abschaffen. Ich möchte sie nur ein wenig schrumpfen, bis man sie ins Bade­zimmer tragen und durch die Toilette spülen kann.«  --  Grover Norquist, Präsident von <Americans of Tax Reform>, führender Kopf der Konservativen   wikipedia  Grover_Norquist 

 

 Steht auf, ihr Archie Bunkers dieser Welt ! 

214-234

Der härteste Widerstand, den die Triumphalisten zu gewärtigen haben, kommt aus dem liberalen Flügel der Demokratischen Partei. Leider hatten die Liberalen in den letzten zwanzig Jahren arg zu kämpfen. Manche glauben sogar, dass Ronald Reagan in den achtziger Jahren für sie das Sterbeglöckchen läutete. Wie wir bereits sehen konnten, ist die missliche Lage der amerikanischen Liberalen auf einen demografischen Wandel im Wähler­verhalten zurück­zuführen.

Der Sunbelt hat die amerikanische Gesellschaft scharf nach rechts driften lassen. In den USA dominiert heute die in den Vororten angesiedelte Mittelschicht, während nach dem Zweiten Weltkrieg die organisierte Arbeiter­schaft in den großen Städten einen gewaltigen Wählerblock bildete, der geschlossen hinter der Demokratischen Partei stand. Doch als das Big Business wuchs, verloren die Gewerkschaften an Terrain. Dies aber war die zahlenmäßig stärkste Wählerschaft, auf die die Liberalen seit den Tagen von Roosevelts <New Deal> zählen konnten. Die Ideale und Befindlichkeiten der Arbeiterklasse wandelten sich so sehr, dass die Liberalen dadurch in eine verzwickte Lage gerieten. Denn die Wähler der Arbeiterklasse zog es mehr und mehr ins nicht-liberale Lager. Nichts hatte die amerikanische Linke so sehr demoralisiert wie die Reagan-Wähler im Blaumann.

Ein Blick auf die amerikanische Populärkultur kann uns über dieses Phänomen einigen Aufschluss geben.

Während der 1970er Jahre war die Fernsehsendung mit den höchsten Einschaltquoten in den Vereinigten Staaten die Serie <All in the Family> (Es bleibt alles in der Familie). In der Sendung — die in Großbritannien einen Vorläufer mit dem Titel <Till Death Do Us Part> (Bis dass der Tod uns scheidet) hatte — trat eine ziemlich ungewöhnliche Hauptfigur auf: ein ungebildeter, großmäuliger, reaktionärer Hafenarbeiter namens Archie Bunker

Dementsprechend zeigte Archie sämtliche Züge eines Wählers vom rechten Flügel. Er war gegen Schwarze, gegen Hispanos, gegen Gewerkschaften, gegen Schwule, gegen Frauenrechte und natürlich gegen eine mächtige Regierung, von der die zentrale Gewalt im Staat ausgeht. Woche für Woche stritt er mit seinen Kindern, die mit ihren fortschrittlichen, mitunter radikalen Ansichten typische Vertreter der 68er-Generation waren. Archie war alles, was der intelligente, gebildete Hochschulabsolvent der Mittelklasse verachtete — die perfekte Zielscheibe für den Spott der Liberalen.

Was das liberale Amerika übersah, war die schlichte Tatsache, dass in der wirklichen Welt Millionen von Archie Bunkers existierten. Es gab Zuschauer, die mit Archies Ansichten sympathisierten und jede Niederlage, die er im Streit mit seinen smarten, frechen Kindern einstecken musste, sehr persönlich nahmen.

Archies Dauerklage, dass die Regierung hart arbeitende Weiße wie ihn nur noch schröpfe, traf in den amerikanischen Haushalten auf offene Ohren. Doch dies zeigte sich erst, als Ronald Reagan sich zum Sprecher der Archie Bunkers Amerikas machte.

 

*detopia:    wikipedia  All_in_the_Family      Deutsche Variante: "Ekel Alfred" ab 15.1.1973 auf WDR  wikipedia  Ein_Herz_und_eine_Seele  =>

Ein Herz und eine Seele> wurde von Wolfgang Menge nach dem Vorbild der US-amerikanischen Fernsehserie <All in the Family> (1971-1979) entwickelt, die wiederum auf die britische Serie <Till Death Us Do Part> (1965-1975) zurückgeht. Deren Entwickler Johnny Speight wurde aus rechtlichen Gründen im Abspann von Ein Herz und eine Seele genannt. Menge passte das Format den deutschen Verhältnissen (SPD-Regierung, Nachwehen der Studentenrevolte) entsprechend an, übernahm aber die Namen der Figuren aus <Till Death Us Do Part>: Alfred heißt im Original Alf, Michael heißt Mike, Else und Rita haben in beiden Serien denselben Namen. 
Auch die anrufbare Telefonzelle stammt aus der Vorlage, jedoch gab es solche Zellen zur damaligen Zeit in Deutschland nicht. Erklärt wurde dies damit, dass der Bruder von Frau Burdenski Postmitarbeiter sei und die Telefonzelle für die Nachbarschaft so eingestellt hat.

Fernsehgeschichtlich bedeutsam war indes die Übernahme des Sitcom-Formats ins deutsche Programm. Auch war es die erste Fernsehserie, die sich mit dem politischen Geschehen der damaligen Zeit auseinandersetzte. Die Serie war kammerspielartig (oder volksbühnenartig) und arbeitete mit einem Minimum an handelnden Personen.

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Es gibt wirklich Mitglieder der Arbeiterklasse, die für einen Politiker vom rechten Rand votieren, der die Regierung kritisiert, ethnische Minderheiten brüskiert, mit der amerikanischen Fahne wedelt, die Steuern senkt und sich für die ach so belasteten Weißen einsetzt — vor allem, wenn dieser Politiker auch noch aussieht wie ein echter Cowboy. Reagan konnte sogar die Gewerkschaften vor den Kopf stoßen und erfreute sich immer noch eifrigen Zuspruchs von den Archie Bunkers dieser Welt. Eine seiner Amtshandlungen als Präsident war es, streikende Fluglotsen durch solche zu ersetzen, die nicht in der Gewerkschaft waren. Und die Gewerkschaft der Fluglotsen hatte seine Präsidentschaft auch noch unterstützt. Doch dieser politische Hochverrat schadete ihm nicht im Geringsten. 

 

Dass Leute wie Archie Bunker tatsächlich existierten, war ein Schock für die führenden Liberalen des Landes. Wie hatte Reagan es nur geschafft, so viele traditionell demokratische Wähler in sein Lager zu holen? Zwanzig Jahre nach diesem traumatischen Ereignis weigern einige Liberale sich noch immer, der Wahrheit ins Auge zu sehen. Reagan wusste sich dabei den Bodensatz von Unzufriedenheit und Verunsicherung, der unter der Oberfläche der Gesellschaft gärte, zu Nutze zu machen. 

Reagan blendete die Rolle der Konzerne in der amerikanischen Gesellschaft einfach aus und stellte die Sozialprogramme der Liberalen als Irrweg einer von elitären Intellektuellen und Akademikern dominierten Regierung dar, die sie den Bürgern gegen deren Willen aufzwang. 

Er deutete die soziale Protestbewegung der sechziger und siebziger Jahre als Angriff auf die guten, patriotischen amerikanischen Ideale, die ein Großteil der Bevölkerung noch immer teilte. In seinen Augen waren die Anliegen der Protestbewegung lediglich die Flausen bärtiger Hippies und fauler Studenten, die obendrein vermutlich auch noch kommunistisch und/oder drogenabhängig waren.

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Darüber hinaus schlug Reagan nicht wenig Kapital aus den liberalen Bemühungen um eine Reform des Strafvollzugs. In den Jahren zwischen 1960 und 1980 hatten liberale Anwälte und der damals von liberalen Richtern besetzte Supreme Court dafür gesorgt, dass die Rechte der Angeklagten in jeder Hinsicht gestärkt wurden, vor allem, wenn sie rassischen Minderheiten angehörten. Allen, die sich für diese Reform stark machten, fiel nicht im Traum ein, dass es eine weiße Mittelschichtmehrheit geben könnte, die solche Bestrebungen nicht guthieß. Richard Nixon brachte das Erfolgsrezept seiner Wahlkampagne von 1969 auf einen kurzen Nenner: »Die meisten Amerikaner sind weder jung noch arm noch schwarz.«

Reagan ging noch einen Schritt weiter. Er beschuldigte die Liberalen im Justizsystem, sich auf die Seite der Kriminellen zu schlagen. Er meinte, dass sie nicht hart genug durchgriffen. Da der Großteil aller Straffälligen der afroamerikanischen Bevölkerung angehört, konnte die Reform des Strafrechts natürlich leicht dahin gehend ausgelegt werden, als würden die Liberalen mit den Schwarzen gegen die Weißen sympathisieren. Reagan hingegen trat angeblich für die »Rechte der Opfer« ein. Er kündigte massive Strafverschärfungen an und zielte damit auf die zunehmende Angst der Wähler vor der Kriminalität auf den Straßen amerikanischer Städte ab.

Er — und vor allem seine Frau Nancy — tragen die Verantwortung für eine Drogengesetzgebung, die mittlerweile unsere Gefängnisse aus den Nähten platzen lässt, weil dort Leute einsitzen, die gerade mal ein paar Gramm Marihuana mit sich geführt haben. Die Drogen­gesetz­gebung war der Anfang von Reagans Kampagne für die Rückkehr zu den »familiären Werten«.

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Doch war dies nicht die einzige Fehleinschätzung, die sich die Liberalen im Hinblick auf Ronald Reagan leisteten. Er mag zwar ein Mann von beschränkten Geistesgaben gewesen sein, andererseits aber war er ein versierter Schauspieler, der sein Handwerk bestens verstand. Er wusste, wie er sich vor die Kamera zu stellen hatte, um die beste Wirkung zu erzielen. 

Er neigte den Kopf im richtigen Winkel, winkte freundlich und lächelte schüchtern, wann immer das Drehbuch es verlangte. Als Schauspieler waren eben diese Rollen Reagans Spezialität.

Er gab den gut aussehenden, sympathischen und doch sensiblen jungen Mann mit verletzlichem Kern. Er hatte Jahre daran gearbeitet, dieses Image zu vervollkommnen. Daher fiel es den Menschen schwer, schlecht von ihm zu denken. Er war weder wortgewandt noch intellektuell beweglich, aber dieses Schicksal teilte er mit der Mehrheit der Amerikaner. Also lasst den Mann doch in Ruhe! Fast wirkte es wie eine Zumutung, zu verlangen, dass der Präsident der Vereinigten Staaten weiß, wovon er spricht. 

Reagan war so geschickt darin, verletzlich zu wirken, dass es geradezu gemein schien, ihn mit unbequemen Fragen zu bedrängen. In diesem Sinne war er tatsächlich ein »großer Kommunikator«: Er wusste, wie er diese Rolle geben musste.

Die Liberalen schätzten Reagans Gewandtheit vor der Kamera naturgemäß nicht besonders, die Republikaner hingegen lernten sehr schnell, wie wichtig es ist, im Fernsehen gut auszusehen — auch wenn hinter der schönen Fassade nur heiße Luft steckte. Mehr als je ein Präsident vor ihm konnte Reagan mit der Nachsicht der Bevölkerung rechnen. Er überzeugte die Menschen, dass Detailkenntnis oder die Fähigkeit zur spitzfindigen politischen Diskussion nicht Sache des Präsidenten sind. Die Aufgabe des Präsidenten ist es, eine Vision zu bieten und diese in einprägsame Phrasen und klingende Rhetorik zu kleiden.

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Er sollte in feierlichen Worten Zustimmung oder Ablehnung äußern, weit reichende Ankündigungen machen, lächeln, die Stirn runzeln und zum Abschied winken. Kurz gesagt: Vom Präsidenten sollte nicht mehr verlangt werden, als bei gestellten Fernsehaufnahmen seine Sätze vom Teleprompter abzulesen und glaubhaft zu wirken. Reagan, der bis zum Ende seiner Amtszeit populär blieb, ermöglichte dem Publikum, Präsidenten zu wählen, die aussehen wie echte Präsidenten, auch wenn sie ansonsten dumm waren wie Bohnenstroh.

Einer seiner herzergreifenden Auftritte zeigt sehr deutlich, wie dieses System funktionierte.  

Ein paar Jahre nach Ende seiner Amtszeit wurde Reagan vor den Kongress gerufen, um dort über den so genannten »Iran-Contra-Skandal« auszusagen. Einige Leute (darunter auch ich) halten diese Affäre für den dreistesten und gefährlichsten Angriff auf die Verfassung der Vereinigten Staaten, den es in der amerikanischen Geschichte je gegeben hat. Es handelt sich dabei um eine geheime Regierungsmaßnahme, die direkt vom Weißen Haus ausging. Die finsteren Gestalten dieses Szenarios hatten illegal Waffen an den Iran verkauft, um so an die nötigen Mittel zu kommen, die sie für ihren heimlichen Guerillakrieg gegen die kommunistische Regierung von Nicaragua brauchten. Und dies, obwohl der Kongress derlei Aktivitäten ausdrücklich untersagt hatte. Darüber hinaus sammelten sie Unsummen von reichen republikanischen Wählern ein, um die Antikommunisten Nicaraguas zu unterstützen. Tatsächlich nutzten Reagans Agenten seine Präsidentschaft, um am Kongress vorbei finanzielle Mittel zu beschaffen — ein klarer und brutaler Verstoß gegen die Verfassung unseres Landes.

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Als man Reagan zu Details dieser Operation befragte, schüttelte er den Kopf, sah verwirrt drein und meinte dann, er habe die ganze Angelegenheit nie richtig verstanden. Und schon gar nicht, was daran illegal gewesen sein soll. Dabei schien er auch noch die Wahrheit zu sagen! Es gab aber nie auch nur den geringsten Hinweis, dass seine Mitarbeiter dies alles ohne sein Wissen getan hätten.

»Amerika ist im Herzen ein konservatives Land«, verkündeten die Reagan-Konservativen. Und erstaunlicherweise schienen die Liberalen das unbesehen glauben zu wollen, als Reagans Popularität immer weiter wuchs. Sie kuschten noch vor der dümmsten Reagan-Maßnahme, weil sie davon überzeugt waren, die Konservativen hätten nun endlich die absolute Gewinnerformel gefunden. Die Konservativen erweckten den Anschein, als hätten sie für alle Probleme des Landes die richtige Lösung. Stärkung der Wirtschaft von der Angebotsseite her, familiäre Werte, eine kompromisslose Verschärfung des Strafrechts, privatisierte Sozialdienste, Deregulierung und natürlich die Ausweitung des freien Marktes.

Stück für Stück schien die Rechte zu beweisen, dass die liberale Sozialpolitik nicht funktionierte, obgleich sie sehr viel Geld kostete: nicht bei der Rassenproblematik, nicht bei der Armutsbekämpfung, der Sozialversicherung, der Gesundheitsversorgung oder der Bildung. Die Konservativen stellten die Liberalen als Kaiser ohne Kleider dar, und viele Liberale fielen darauf herein und glaubten am Ende selbst daran. Denn der Aufstieg der Triumphalisten ist nicht zuletzt dem Rückzug der Liberalen an allen Fronten zuzuschreiben.

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Die triumphalistische Dominanz begann sich schon in den ersten Jahren der Reagan-Präsidentschaft herauszukristallisieren. Da die Reagan-Anhänger und ihre triumphalistischen Genossen nämlich immer mehr Geld in der Haushaltspolitik sparen konnten, begannen sie, die Außenpolitik des Landes zu militarisieren. Bereits Mitte der Achtziger kursierten Strategiepapiere in der Reagan-Administration, die für eine neue, aggressive Phase in den Außenbeziehungen des Landes eintrat, vor allem im Hinblick auf die strauchelnde Sowjetunion. Diese Papiere sind die Grundlage für die triumphalistische Politik, die mit George W. Bush ihren Anfang nahm.

 

 Der Kampf für den weißen Mann 

 

Die Triumphalisten loben Ronald Reagan immer wieder ob seiner »moralischen Kompromisslosigkeit«. In der Praxis allerdings blieb die reagansche Politik mitunter bewusst obskur, vor allem bei den großen moralischen Themen. Vor allem Reagans kaum verhohlener Rassismus muss an dieser Stelle erwähnt werden. Reagan betrieb sein politisches Spiel mit der Angst der Weißen vor den schwarzen Kriminellen, welche Amerikas Straßen unsicher machten. Mit seinem Eintreten für ein rigoroses Durchgreifen schlüpfte er in die Rolle des weißen Archie Bunker, der sich von den Schwarzen und arroganten weißen Politikern gleichermaßen herumgeschubst fühlt.

Reagans wirkungsvollstes Wahlplakat zeigt eine schwarze »Sozialhilfe-Queen«, die vom Geld der Regierung lebt, das diese den hart arbeitenden weißen Steuerzahlern aus der Tasche zieht. Sein Nachfolger, der erste George Bush, schlug bei seinem Wahlkampf 1988 in die gleiche Kerbe. Seine TV-Spots zeigten einen finster dreinblickenden schwarzen Kriminellen namens Willy Horton, der von Bushs Rivalen in der Demokratischen Partei, dem sehr liberalen Gouverneur von Massachusetts, begnadigt worden war.

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Unmittelbar nach seiner Freilassung hatte Horton eine weiße Frau vergewaltigt. Die Botschaft dieses Spots war das typische Reagan-republikanische Spiel mit der Angst und dem Hass, den sie hervorruft. »Die Liberalen kümmern sich mehr um schwarze Vergewaltiger als um uns, die Weißen, die Guten. Die Liberalen nehmen uns unsere Waffen weg und lassen dann auch noch schwarze Kriminelle frei, damit diese uns berauben und töten können«, so die zentrale Aussage dieses Spots.

Die Reagan-Republikaner fanden Mittel und Wege, um die schwarzen Opfer des Rassenhasses als Alleinschuldige an ihrer Misere dastehen zu lassen und sich so für die Rechte »des weißen Mannes« stark zu machen. Reagan waren vor allem die zahlreichen Programme zur Förderung der Rassengleichheit ein Dorn im Auge, die während des Jugendprotests der sechziger Jahre eingeführt worden waren. Er kämpfte vehement gegen alle Maßnahmen, die rassischen Minderheiten gleiche Chancen auf dem Sektor Bildung und Arbeit verschaffen sollten, indem er sie als »Gegen-Rassismus« brandmarkte. Auch gegen den Versuch, weiße Kinder in etwas entfernt gelegene »schwarze« Schulen zu schicken, um so zu einer besseren ethnischen Durchmischung zu kommen, zog er zu Felde. Mit solchen Kampagnen wollte Reagan zeigen, dass all diese Gleichstellungsinitiativen an der Wirklichkeit vorbeigingen, weil sie gegen die Interessen des vorwiegend weißen Amerika gerichtet waren. Maßnahmen wie diese dienten ihm als Beleg, wenn man ihn bat, seine Behauptung, die zentrale Regierungsgewalt sei das Problem und nicht die Lösung, doch etwas näher zu erläutern.

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Mit der Wirkung Reagans auf die Wähler der Mittel- als auch der Arbeiterschicht verschätzten sich die Liberalen gewaltig. Als Reagan das Weiße Haus verließ, bezichtigten die Konservativen den politisch liberalen Flügel der Ehrlosigkeit, wenn dieser nur ansatzweise versuchte, die ethnische Ungleich­behandlung in Amerika zu korrigieren. Solche Bestrebungen erachteten die weißen Bürger als einen Verrat an ihren Interessen. Offenkundig waren sie es leid, dauernd für die Afroamerikaner aufkommen zu müssen. Vielleicht gibt es ja auch so eine Art ethischer Ermüdungserscheinungen: Die Menschen verlieren das Interesse an Themen, die ihnen scheinbar zu viel abverlangen. Wenn dem so ist, dann begann die Rassengleichberechtigung in den Achtzigern als moralisches Thema an Attraktivität zu verlieren.

Ein Großteil der Bevölkerung war es leid, immer und immer wieder dieselben Klagen zu hören, so als könnten sie niemals genug tun, um den Sündenfall der Sklaverei auszugleichen. Wenn überhaupt, dann schien doch der »Gegen-Rassismus«, also die überproportionale Förderung von Afroamerikanern gegenüber Weißen, das weit dringendere Problem zu sein. Damals gab es bereits eine schwarze Mittelschicht von hochgebildeten Akademikern. Allein ihre Existenz schien doch zu belegen, dass Rassismus längst der Vergangenheit angehörte. 

Und die Republikaner zeigten die konservativen Afroamerikaner in ihren Reihen nur zu gern vor, um der Bevölkerung zu signalisieren, dass ihre Partei auch bei dieser Schicht Unterstützung fand.  

Der erste George Bush schaffte es sogar, dem Land einen schwarzen Supreme-Court-Richter aufzuoktroyieren (Clarence Thomas), der vermutlich der reaktionärste Richter ist, der je am obersten Gerichtshof Amerikas Recht sprach. 

wikipedia  Clarence_Thomas *1948

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Die Liberalen hingegen versäumten es, auf die zahlreichen Formen von verdecktem Rassismus hinzuweisen, die im Land weiterhin existieren und junge, männliche Schwarze häufig in die Kriminalität treiben, weil damit scheinbar das schnelle Geld zu machen ist. Die Tatsache, dass viele »schwarze« Viertel immer noch regelrechte killing fields sind, in denen schäbige Drogenkriege Jahr für Jahr Tausenden junger Schwarzer das Leben kosten, wird heute als persönliches Versagen der Opfer betrachtet und nicht als soziales Problem einer ganzen Gesellschaft.

Indem Ronald Reagan die Hautfarbe zum Thema seines Wahlkampfs machte, legte er den Finger in eine schwärende Wunde der Liberalen. Denn bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg war die Rassenproblematik keiner der großen politischen Parteien ein zentrales Anliegen. Die Republikaner ignorierten das Thema ganz einfach, obwohl sie ursprünglich die Partei Abraham Lincolns waren, gegründet, um die Sklaverei abzuschaffen. Doch die Republikaner wurden schon bald nach dem amerikanischen Bürgerkrieg zur Partei des großen Geldes, die sich ganz auf die Industriestädte des Nordens konzentrierte und im Süden kaum um Anhänger warb. So fiel im Süden Staat um Staat an die Demokraten, was diese zu Vertretern der weißen Herrenschicht machte. Und so blieben die Verhältnisse auch während des New Deal. Denn so fortschrittlich Roosevelts Sozialprogramme auch waren, so wagte er doch nie, Themen wie Rassentrennung, Lynchjustiz oder Bürgerrechte für Schwarze anzusprechen. Roosevelt war von den Demokraten im Süden viel zu abhängig, um deren etablierte Ordnung in irgendeiner Form zu stören.

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Die politischen Bewegungen, die das liberale Denken in Amerika am stärksten prägten, waren zweifelsohne das »Progressive Movement« und das »Populist Movement« des späten neunzehnten und beginnenden zwanzigsten Jahrhunderts. Beide jedoch haben sich in Fragen der Rassenproblematik nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Die Vertreter der Progressiven mochten mutige Reformer sein, doch sie waren auch häufig bigott und elitär. Sie waren weiß, angelsächsisch-protestantischer Abstammung und hochgebildet. Viele von ihnen kamen aus den Kleinstädten. Ethnische Minderheiten gehörten für sie zum »Eitergeschwür der Städte«, die ihnen als Orte galten, wo Wollust, Korruption und Verbrechen herrschten. Sogar die Helden der Progressiven wie zum Beispiel Woodrow Wilson machten manchmal boshafte Bemerkungen über die Einwanderer aus dem Osten und Süden Europas. Er war es, der die Rassentrennung in der Hauptstadt Washington einführte. Das »Progressive Movement« hatte also ein finsteres Erbe aus rassistischer Vergangenheit.

Für die Populisten, also die Farmer und Landarbeiter, die gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts ihren Einfluss aufgrund der erstarkenden Industrie schwinden sahen, gilt Ähnliches. Ihre Kampagne zur Einführung einer Vermögenssteuer scheiterte kläglich. Die Macht der Trusts und der Wähler in den großen Städten war zu groß geworden und konnte nicht mehr vom Tisch gewischt werden. Die Populisten gefielen sich in der Rolle der Underdogs, die einen heroischen, weil aussichtslosen Kampf ausfochten. Gleichzeitig aber wollten sie — vor allem im Süden — mit ihren nicht-weißen Leidensgenossen nichts zu tun haben. Die meisten Farmer im Süden weigerten sich, mit den Populisten des Nordens oder Westens gemeinsame Sache zu machen, weil sie sich nicht mit schwarzen Farmern auf eine Stufe stellen wollten.

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Und so traurig das ist, doch der New Deal grenzte das Thema Rassentrennung völlig aus, weil Roosevelt Angst hatte, der »tiefe Süden« mit seinem gewaltigen Wählerpotenzial würde sich von ihm abwenden. So blieb der Rassismus in der Demokratischen Partei eine eitrige Wunde, bis der Zweite Weltkrieg vorüber war und ihre führenden Köpfe endlich den Mut fanden, sich für Bürger- und Wahlrecht einzusetzen, auch wenn die Unterstützung der südlichen Wähler auf dem Spiel stand. Und tatsächlich verloren die Demokraten den Süden. Es kam zu einer dauerhaften Abwanderung der Sunbelt-Wähler ins republikanische Lager, wo der Kampf um Gleichberechtigung der Rassen noch lange Zeit kein Thema war.

Heute ist der Unterschied zwischen den beiden großen Parteien im Hinblick auf die Rassenproblematik deutlich erkennbar. Dank ihres liberalen Flügels hat die Demokratische Partei sich immer stark für die Belange der ethnischen Minderheiten eingesetzt. Die Demokraten sind heute mehr denn je eine multikulturelle Partei der Armen und Arbeiter. Auf jeden Fall mehr, als irgendeine andere Partei dies je in der Geschichte dieses Landes war. Dummerweise zahlen die Demokraten gerade dafür die Zeche, denn die Wahlbeteiligung ist weder unter den schwarzen noch unter den hispano-amerikanischen Bürgern groß. Andererseits nutzen die Republikaner und die Triumphalisten, welche sie führen, die Tatsache, dass das Thema »Hautfarbe« die Menschen spaltet, für ihre Zwecke aus. Bislang hat diese Taktik sich für die Konservativen ausgezahlt.

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So weigern sich die armen Weißen aus dem Süden (vor allem, wenn sie Männer sind), sich mit den schwarzen Wählern zu verbünden, um ihre Interessen besser durchsetzen zu können, auch wenn ihnen dies selbst am meisten schadet. Stattdessen wählen sie die Partei der Corporados und Triumphalisten. Die kritische Haltung der Republikaner gegenüber Sozialprogrammen spricht gerade diese ressentimentgeladenen Weißen an. Die Demokraten, so ihre Überzeugung, würden Staatsgelder benutzen, um sie an die benachteiligten Schwarzen zu verteilen. Also wüten seit Ronald Reagan alle Republikaner aus taktischen Gründen gegen Steuern und alle politischen Maßnahmen, die damit finanziert werden können.

Die Konservativen in den Vereinigten Staaten haben den Begriff des Klassenkampfes zu einem Unwort gemacht, einem garstigen Relikt aus marxistischen Zeiten, das längst von der politischen Agenda gefegt wurde. Es gilt als schlechtes Benehmen, ja vielfach sogar als »unamerikanisch«, wenn man darauf hinweist, dass vermögende und arme Menschen grundsätzlich andere Interessen verfolgen. Die amerikanische Politik scheint also darauf bedacht zu sein, Gräben eher zuzuschütten als sie aufzureißen. Und doch haben die Konservativen die Politik zu einem erbitterten und sinnlosen Kampf gemacht. Sie geben vor, dass eine gähnende Kluft sie von den Liberalen trennt. Auf ihrer Seite stehe die »Freiheit«, auf der anderen lauerten deren dunkle, schreckliche Alternativen, denen man so klingende Namen gibt wie »Sklaverei... Leibeigenschaft... Diktatur... Big-Brother-Regierung«.

Doch was ist nun der schreckliche Begehr dieser finsteren Feinde der Freiheit? Als Staat Steuern zu erheben, um ältere Menschen in Pension schicken zu können, die Kinder des Landes gesund zu erhalten, einige dringend benötigte Schulen zu bauen oder die Postzustellung zu verbessern. Bedrohen solche staatlichen Aktivitäten nun wirklich die Freiheit?

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Auch wenn man sie als »nicht finanzierbar« oder »ineffizient« ablehnt, so ist es doch sehr fraglich, ob es sich dabei wirklich um einen totalitären Rundumschlag handelt, der Amerika bedroht. Denn wie bescheiden und kleinlaut der Liberalismus auch auftreten mag, für die Konservativen handelt es sich nach wie vor um »die Linke«, wahlweise versehen mit den schmückenden Beiwörtern »radikal«, »illoyal« und »subversiv«.

Was also ist der emotionale Zündstoff, der die Liberalen und Konservativen so stark entzweit? Meiner Ansicht nach ein verdeckter Rassismus, der in jeder Diskussion fühlbar wird, in der es um Chancengleichheit, die Verteilung des nationalen Wohlstands und die Rolle der Regierung in diesen Fragen geht.

 

 Die dritte Phase des Rassismus 

 

Der institutionalisierte Rassismus ist das schmutzige Geheimnis hinter dem Aufstieg der Triumphalisten. Dank der Richtung, die die Konservativen in den letzten zwanzig Jahren eingeschlagen haben, steckt Amerika nun mittendrin in der dritten Phase des Rassismus, der dieses Land verseucht, seit vor Jahrhunderten das erste Sklavenschiff aus Afrika hier eintraf. Zuerst gab es die Sklaverei. Dann gab es die Zeit der Rassentrennung, den neuen Rassismus, der die Schwarzen als »Jim Crow« verspottete, als schwarze Saatkrähe, die von anderer, nämlich weißer, Hände Arbeit lebt. Dies war die amerikanische Version der Apartheid. Seit der Reagan-Präsidentschaft in den Achtzigern haben wir nun eine dritte Phase erreicht, in der der Rassismus ebenso kaschiert ist wie destruktiv.

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Seine kaschierende Seite zeigt sich, wenn man sich vor Augen führt, wie viele afroamerikanische Großverdiener es mittlerweile gibt, seien dies nun Sportler oder Medienstars. Sein destruktives Element wird deutlich, wenn wir uns jenen Afroamerikanern zuwenden, die nicht zufällig Superstars sind. Dazu gehören zum Beispiel die gut 70 Prozent schwarzer Kinder, die immer noch unter der Armutsgrenze leben — eine amerikanische Sonderlösung für ein ernsthaftes soziales Problem. Denn die Tatsache, dass ein verschwindend geringer Prozentsatz von Afroamerikanern genug Talent und Durchsetzungs­vermögen entwickelt hat, um erfolgreich zu sein, ist Beweis genug, dass die, die es nicht geschafft haben, einfach zu lasch sind. Dabei wird mangelnder Erfolg zu einer Frage auf Leben und Tod. Denn in einem Land, in dem die weiße Bevölkerung mittlerweile ein durchschnittliches Lebensalter von weit über siebzig Jahren erreicht, muss sich der durchschnittliche männliche Schwarze mit 59 Jahren bescheiden. Meiner Ansicht nach ist dies eine Form des rassischen Sozial­darwinismus.

Vor dem amerikanischen Bürgerkrieg gefielen sich die weißen Südstaatler darin, Schwarze für ein kindisches und primitives Volk zu halten, dessen natürliche Bestimmung die Sklaverei war. In den Tagen der Rassentrennung genossen die Weißen dann die Minstrel-Shows, in denen die Schwarzen glückliche, einfältige Charaktere darstellten, über die man lachen konnte. Heute, wo schwarze Sportler viele Profi-Sportarten dominieren (Weiße sind im Basketball, Football und Baseball klar in der Minderheit), wo mehr und mehr schwarze Schauspieler in Film und Fernsehen auftauchen, können die Amerikaner sich anerkennend auf die Schulter klopfen, da es angeblich keinen Rassismus mehr gibt.

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Der Erfolg von »Lichtgestalten« wie Tiger Woods und Denzel Washington heizt die Ressentiments von unterprivilegierten Weißen, die das Gefühl haben, das amerikanische System bevorzuge unfairerweise die Afroamerikaner, vermutlich sogar noch an. 

Doch unter der glänzenden Oberfläche des amerikanischen Alltags wütet das aggressive Bemühen des rechten Flügels der Politik, den Afroamerikanern das Wahlrecht wieder wegzunehmen, um alle liberalen Anstrengungen im Namen der Armen und Benachteiligten ein für alle Mal zunichte zu machen. Im Zentrum dieser Bemühungen steht das amerikanische Strafrecht mit seinen Gefängnissen.

 

Die Vereinigten Staaten haben die zweitgrößte Anzahl an Sträflingen weltweit: 2 Millionen. Nur in Russland sitzen noch mehr Menschen hinter Gittern. Vor fünfzig Jahren machten die Schwarzen noch etwa 35 Prozent der Strafgefangenen aus, im Moment sind es 65 Prozent. Tatsächlich gibt es mehr männliche schwarze Strafgefangene als Collegestudenten. Dies ist das direkte Resultat von Ronald Reagans Kampagne zur Verschärfung des Strafvollzugs. Ziel und Zweck dieser Kampagne war es, härter gegen straffällig Gewordene vorzugehen, vor allem wenn es um Drogenbesitz ging.

In der Folge stieg zwischen 1985 und 1991 die Anzahl schwarzer Strafgefangener um 450 Prozent, weil die Richter immer drakonischere Strafen verhängten, besonders im Falle junger männlicher Schwarzer. Viele von ihnen wurden wegen kleinerer Gesetzesübertretungen im Zusammenhang mit Drogenbesitz verurteilt. Und Präsident Clinton führte diese Politik fort, auch wenn er sie hinter zweideutigen Formulierungen zu verstecken suchte. Auch er wollte sein Image als »unerbittlicher Verbrechensbekämpfer« stärken und begann, härtere Strafen zu fordern.

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In den Vereinigten Staaten hat es schwerwiegende Konsequenzen, wenn jemand ins Gefängnis muss. In 48 Bundesstaaten dürfen verurteilte Strafgefangene nicht wählen. In 37 Staaten dürfen auch auf Bewährung Entlassene nicht wählen. Und in vierzehn Staaten darf niemand, der je verurteilt wurde, wählen oder sich um ein Amt bewerben. 

Auf diese Weise wurden bislang insgesamt 4,4 Millionen Amerikaner ihres Wahlrechts beraubt, die meisten von ihnen sind Schwarze. In einigen Staaten (vor allem im Süden) dürfen 30 bis 40 Prozent der Afroamerikaner nicht wählen, weil sie schon einmal im Gefängnis waren. In Florida hat jeder vierte männliche Schwarze sein Wahlrecht verloren. Ohne diese Bestimmungen hätte Al Gore im Jahr 2000 in Florida gewonnen und wäre Präsident geworden. Florida besitzt sogar eine computergestützte Wählerkartei, mit der jeder Wähler sofort überprüft werden kann. Kommt jemand ins Wahllokal, wird in der Datenbank nachgesehen, ob er irgendwo im Land schon einmal im Gefängnis war. Wenn ja, darf er seine Stimme nicht abgeben.

Bei der Präsidentenwahl 2000 erging es Tausenden von Afroamerikanern so. Diese Software, die vor allem zur Überprüfung schwarzer Wähler eingesetzt wird, ist hochgradig fehleranfällig. Man hat festgestellt, dass viele Wähler fälschlich als ehemalige Kriminelle identifiziert und folglich zu Unrecht ihres Wahlrechts beraubt wurden. In den meisten Fällen sind die zurückgewiesenen Wähler schwarz, was bedeutet, dass sie höchstwahrscheinlich für die Demokraten gestimmt hätten. Trotzdem wird das Computersystem mit jeder Wahl interessanter. Mittlerweile ist in vielen Staaten die Anschaffung bereits im Gespräch.

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Mit der Masseninhaftierung schwarzer Krimineller ist viel Geld zu machen. Die Vereinigten Staaten erlebten in den letzten zwanzig Jahren einen regelrechten »Gefängnisboom«. Da immer mehr Leute in den Gefängnissen einsitzen, braucht man natürlich auch mehr davon. Eine wachsende Anzahl von Strafvollzugs­anstalten wird mittlerweile von staatlich subventionierten Privatunternehmen geführt — natürlich, um damit Gewinn zu machen. Strafgefangene sind billige Arbeitskräfte. Städte und Gemeinden kommen zu neuem Wohlstand, wenn sie sich bereit erklären, Standort für eine staatliche oder regionale Strafvollzugsanstalt zu werden. 

Strafgefangene dürfen zwar nicht wählen, zählen aber trotzdem zur lokalen Bevölkerung. Auf diese Weise steigt die Anteilsquote der Kommunen an der staatlichen Förderung für Straßenbau, Parks, Bewässerungsprojekte und andere Annehmlichkeiten, welche die Lebensqualität am Ort steigern, auch wenn die Strafgefangenen davon nichts haben. Außerdem erhalten diese Orte staatliche Gelder zum Betreiben der Strafvollzugsanstalt und zur Bezahlung des Personals.

Die Gewerkschaften der Gefängniswärter sind mittlerweile eine der einflussreichsten Lobbygruppen in den USA, weil sie sehr viel Geld für politische Kampagnen ausgeben. Gefängniswärter gehört zu den höchstbezahlten Berufen in Amerika. Nicht ohne Grund nennt man das amerikanische Strafvollzugssystem mittlerweile den »Gefängnis-Industrie-Komplex«. Wie beim Militär-Industrie-Komplex haben auch dort ganz bestimmte Kreise die Finger im Spiel. Das bedeutet, dass einige Leute ganz beachtlich davon profitieren, wenn die Zahl der Strafgefangenen stetig wächst. Und den Konservativen kommt es natürlich zustatten, dass so viele Verurteilte afroamerikanischer Herkunft sind, da deren Stimmen vermutlich nicht von ihrem Kontingent abgehen.

Amerika ist eine Nation verängstigter Menschen, und nichts jagt den Amerikanern mehr Angst ein als die Kriminalität auf den Straßen.

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Ich gestehe ganz offen, dass ich diese Angst teile. In meinem Wohnort gibt es Viertel, in die ich niemals einen Fuß setzen würde. Die größte Stadt in der unmittelbaren Nachbarschaft ist Oakland in Kalifornien, die »Mörder-Hauptstadt« der USA. Jahr für Jahr werden in den Straßen von Oakland Hunderte von Menschen niedergeschossen. Die meisten Toten sind junge männliche Schwarze, die in Revierkämpfe um die Kontrolle des lokalen Drogenhandels verstrickt sind. 

Die Vereinigten Staaten sind ein gewalttätiges Land. Kriminalität ist hier ein ernsthaftes Problem. Aber ich fühle mich trotz der zahlreichen Gefängnisse nicht sicherer als früher. Denn wenn die Kriminellen ihre Strafe abgesessen haben, kehren sie auf die Straße zurück, wo sie dasselbe demoralisierende Elend vorfinden wie zuvor.

Konservative argumentieren gern, dass niemand gezwungen sei, kriminell zu werden, und verurteilte Verbrecher sich ihre Strafe selbst zuzuschreiben haben. Doch die eindeutige Schieflage im Verhältnis von weißen zu schwarzen Strafgefangenen lässt daran doch einige Zweifel aufkommen. Hier geht es ganz klar um ein soziales Problem, um Armut, Vorurteile und Ungerechtigkeit. Ist es also wirklich die beste Lösung, immer mehr Leute in den Knast zu stecken? Stärkt die Tatsache, dass wir Millionen Menschen ihres Wahlrechts berauben, vielleicht deren Gefühl der Zugehörigkeit?

Das Geld für die Gefängnisse, in denen wir die Strafgefangenen zwischenlagern, wird gewöhnlich bei Sozialprogrammen zur Prävention und Behandlung von Drogensucht, zur Rehabilitation oder Berufsausbildung eingespart. Eben diese Programme sind es, die Konservative unter dem Schlagwort »Big Government« ablehnen, weil sie sie nicht mit ihren Steuern unterstützen wollen. Sie benutzen das Geld lieber, um zu strafen. 

Der Gipfel der Ironie wird allerdings erst sichtbar, wenn man sich vor Augen führt, wie viel der Gefängnis-Industrie-Komplex kostet. Billig ist er nämlich nicht. Einen Menschen einzusperren kostet zwischen 25.000 und 40.000 Dollar pro Jahr. Würden wir diese doch beträchtliche Summe den Bedürftigen als Jahreseinkommen spenden, würden wir damit gleichzeitig die Armut und ihre Auswirkungen bekämpfen.

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Viele Faktoren haben dafür gesorgt, dass die Vereinigten Staaten mehr und mehr nach rechts abdriften. Da ist zum einen der Einfluss der europäischen Exilanten, Akademiker und Intellektuellen, die nach dem Zweiten Weltkrieg die junge Generation der Triumphalisten entscheidend prägten. Aber wenn es um die Gründe geht, die die Konservativen gegenüber ihren liberalen Gegnern aufholen ließen, sind diese damit noch lange nicht erschöpfend aufgezählt. Denn in der Tiefe der amerikanischen Seele schwelt verborgen immer noch der Rassismus. 

Nichts lässt stärker an der Aufrichtigkeit und mitunter auch an der Intelligenz der konservativen Wähler zweifeln als die Tatsache, dass sie den verdeckten Rassismus in der von ihnen unterstützten Partei nicht wahrhaben wollen.

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