1. Einleitung
Katja Schlichtenbrede 1999
1.1 Quellen und Methoden 1.2 Forschungsstand
1.3 Begrifflichkeit 1.4 Zielsetzungen
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An vielen Orten der DDR hat es in den 80er Jahren Gruppierungen gegeben, die dem Monopolanspruch der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands auf politische Willensbildung und individuelle Gewissensformung, eigenständige Vorstellungen, Forderungen und Initiativen entgegensetzten. Charakteristisch für eine Vielzahl dieser Gruppierungen war, daß sie sich im Umfeld der Evangelischen Kirche angesiedelt hatten und damit den einzigen institutionell staatsfreien Raum1) in der DDR-Gesellschaft politisch besetzten.
Da allein schon die selbstbestimmte Existenz dieser "alternativen" Gruppen dem immer wieder eingeforderten Totalitätsanspruch des DDR-Regimes widersprach, war ein Dauerkonflikt zwischen diesen Gruppen und den Staats- und Parteiorganen vorprogrammiert. Daß dieser Dauerkonflikt jedoch nicht mit den Gruppen direkt ausgetragen wurde, lag zum einen daran, daß es "Andersdenkende" gemäß dem herrschenden politischen Anspruch gar nicht geben durfte, man infolgedessen auch nicht mit ihnen verhandeln konnte. Zum anderen hatte der Staats- und Parteiapparat auf das Umfeld der Kirche2) gar keine direkten formalen Zugriffsmöglichkeiten.
Der staatliche Konflikt mit den Gruppen wurde daher formal auf die offizielle Ebene der Staat-Kirche-Gespräche verlagert. Dort spaltete er sich in die beiden Konfliktlinien der Beziehungen zwischen Staat und Kirche einerseits und Kirche und Gruppen andererseits auf, nicht ohne unterdessen zumeist auch noch zu einem innerkirchlichen Konflikt zu werden. Unabhängig von den staatlichen Erwartungen nach dem Arrangement zwischen Staat und Kirche vom 6. März 19783) jedoch hatte die Evangelische Kirche durchaus auch eigene Schwierigkeiten, entsprechend ihres Selbstverständnisses neben originären auch kirchenfremden Anliegen zunehmend mehr Raum gewähren zu müssen.
Die Entstehung, Entwicklung und Wirkung politisch alternativer Gruppen im Kontext der jeweiligen kirchenpolitischen Rahmenbedingungen, auch im Hinblick auf die Entwicklung vom Herbst '89 anhand eines konkreten Beispiels auszuleuchten, soll Aufgabe dieser Arbeit sein.
Als Untersuchungsgegenstand wurde mit Zwickau bewußt eine mittelgroße Industriestadt ausgewählt, da die Vermutung nahe liegt, daß dort die Entwicklungsbedingungen für die Gruppen deutlich andere gewesen sind, als in den vielbeachteten Großstädten Berlin, Leipzig oder Dresden.
1) Das bezieht sich natürlich in gleichem Maße auf andere Denominationen.
2) Wenn im folgenden von Kirche die Rede ist, so ist, falls nicht explizit anders vermerkt, die Evangelische Kirche gemeint.
3) Vgl. dazu im einzelnen Kapitel 3.1.
Auch wenn sich in Zwickau die ersten Gruppierungen im Umfeld der Kirche erst zu Beginn der 80er Jahre gebildet haben, so erscheint es doch sinnvoll, den zeitlichen Betrachtungsrahmen auf die vielzitierte kirchenpolitische Zäsur des Grundsatzgesprächs vom 6. März 1978 auszurichten, das — in der Wahrnehmung der Beteiligten — den Handlungsrahmen für die 80er Jahre abgesteckte.
Enden soll der hier gewählte Untersuchungszeitraum mit dem Schritt der Gruppen heraus aus dem kirchlichen Kontext, da sich zu diesem Zeitpunkt die Bezugsparameter veränderten.
1.1 Quellen und Methoden
Die Quellengrundlage stellt sich nun für die verschiedenen Aspekte des Themas, nämlich die inneren Zusammenhänge der Gruppen sowie ihr äußeres Verhältnis zu Staat und Kirche, sehr unterschiedlich dar. So findet sich breites Quellenmaterial bezüglich des staatlichen Umgangs mit den Kirchen, als deren Bestandteil ja auch die alternativen Gruppen behandelt wurden. Dabei beschäftigten sich entsprechend der Doppelstruktur von Staats- und Parteiapparat sowohl die Organe der staatlichen Verwaltung, als auch die der Partei4) mit Kirchenfragen. Gemäß des Prinzips des demokratischen Zentralismus zieht sich auf beiden Strängen die Beschäftigung mit Kirchenfragen von der zentralen Leitungsebene über die Bezirke bis auf Stadt-/Kreisebene durch.
Für den hier zu untersuchenden Stadtkreis Zwickau mußte dementsprechend auf der staatlichen Verwaltungsebene zunächst ein Aktenbestand des Rates der Stadt im Zwickauer Stadtarchiv eingesehen werden, der kirchenpolitische Fragen unter der Abteilung Inneres enthält. Ergiebig waren ferner die Akten des Bereiches Inneres/Sektor Kirchenfragen in den äußerst umfangreichen Beständen des Rates des Bezirkes Karl-Marx-Stadt im Sächsischen Staatsarchiv Chemnitz.5) Die Ebene des Staatssekretariates für Kirchenfragen konnte nur insoweit berücksichtigt werden, als seine Verlautbarungen direkt Eingang in die Aktenüberlieferung des Rates des Bezirks fanden.
An Parteiakten konnte ebenfalls im Sächsischen Staatsarchiv Chemnitz der Bestand der Zwickauer SED-Stadtleitung eingesehen werden, ebenso die Unterlagen der in Kirchenfragen zuständigen Abteilung Staat und Recht der SED-Bezirksleitung.
4) Partei wird synonym verwandt für SED, solange keine andere Partei namentlich näher bezeichnet wird.
5) Das Sächsische Staatsarchiv Chemnitz wird fortan in den Fußnoten mit StAC abgekürzt.
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Neben der SED soll auch die Rolle der CDU in den Blick genommen werden, weil sie als einzige der Blockparteien in einem programmatischen Bezug zu christlichen Kreisen stand; Aufschluß darüber geben sowohl zum Zwickauer Kreisverband als auch zum Bezirksverband die Bestände des Archivs für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung in St. Augustin.
Im Kontext der kirchenbezogenen Blockpolitik erwies sich auch ein Blick in die Akten der städtischen Arbeitsgemeinschaft „Christliche Kreise" der Nationalen Front als aufschlußreich.
Parallel zu den Strukturen der Staats- und Parteiorgane produzierten auch noch die Zwickauer Kreisdienststelle sowie die Bezirksverwaltung des MfS Lageinformationen zur kirchenpolitischen Situation. Einsicht in diese Akten, die Schwanitz' Aktenvernichtungsbefehl6) vom 23. November '89 offenbar nicht zum Opfer fielen, wurde zwar beantragt, doch harren weite Teile noch der Erschließung durch die Mitarbeiter der Außenstelle Chemnitz des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR7) und konnten daher nicht eingesehen werden.
Anders verhält es sich bei ebenfalls von MfS-Kreisdienststelle und Bezirksverwaltung breit angelegten Operativen Personenkontrollen und Operativen Vorgängen zur Überwachung von Einzelpersonen und kleineren Gruppen8) dann, wenn die Betroffenen bei ihrer persönlichen Akteneinsicht Kopien anfertigen ließen, in die sie Einblick nehmen lassen. Gelegentlich finden sich auch einzelne sogenannte Opferakten in Bürgerarchiven, wie im Fall des Zwickauer Pfarrers Edmund Käbisch, dessen siebenbändige Akte im Leipziger Archiv der Bürgerbewegung mit Zustimmung des Betroffenen eingesehen werden konnte.
Im Gesamt der staatlichen Akten der DDR kommt den Beständen des MfS im Hinblick auf die Gruppen deshalb eine besondere Bedeutung zu, da, wie eingangs beschrieben, die Staats- und Parteiorgane eben nicht direkt auf die kirchlichen Gruppen zugreifen konnten und aus diesem Grunde auf eine konspirative Infiltration zur Kontrolle und Beeinflussung dieser kirchlichen Nische angewiesen waren. Daraus ergibt sich, gerade was die Operativen Personenkontrollen und die Operativen Vorgänge angeht, im Unterschied zu Quellen anderer staatlicher Provenienzen, ein hohes Informationsaufkommen aus der alltäglichen Wirklichkeit der Gruppen.9)
6) Vgl. dazu: Süß, Walter, Bilanz einer Gratwanderung - Die kurze Amtszeit des Hans Modrow, in: DA 3/1994, S. 596-608, hier S. 602.
7) Diese Behörde wird im folgenden auch kurz als Gauckbehörde bezeichnet werden .
8) Pfarrer Dr. Edmund Käbisch, der sich intensiv mit der Zwickauer Situation der Kirche und ihrer Gruppen beschäftigt hat und auch wiederholt mit Vorträgen zu diesem Thema an die Öffentlichkeit getreten ist, spricht für die 80er Jahre von 25 operativen Bearbeitungsakten, durch die mindestens 110 Personen des kirchlichen Umfeldes erfaßt worden seien.
Vgl. dazu: Käbisch, Edmund, Die Stasi-Bearbeitung der Kirche in Zwickau, überarbeiteter Vortrag zum Gemeindeabend am 7. Oktober 1996, unveröff. Manuskript, S.4.
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Um jedoch die jeweiligen Aussagen der genannten Bestände einschätzen zu können, erscheint es nötig, in einem gesonderten Kapitel die komplizierten formellen und informellen Verflechtungen und hierarchischen Abhängigkeiten unter den politischen Funktionsträgern zu erhellen. Erst das Verständnis der strukturellen Zusammenhänge gibt Auskunft über das Zustandekommen einer Quelle, ihren Stellenwert im Gesamtgefüge und damit ihre Aussageabsicht und -kraft.
Wendet man sich aber nun dem zweiten Blickwinkel zu, der nicht nach einer Außensicht auf die Gruppen sondern nach ihrem Selbstverständnis fragt, so erweist sich hier die Quellenlage als durchaus problematisch. "Während die offiziellen DDR-Institutionen beinahe ausnahmslos große Mengen an Schriftgut hinterlassen haben, hat sich politischer Widerspruch aus naheliegenden Gründen nur punktuell in Schriftform und schon gar nicht in geschlossenen Akteilüberlieferungen niedergelegt",10) brachte erst kürzlich Hubertus Knabe die Situation treffend auf den Punkt.
Erschwerend kommt hinzu, daß sich die einzelnen schriftlichen Selbstzeugnisse meist verstreut im Besitz von Privatpersonen befinden und so nicht immer ohne weiteres zugänglich sind. Im Zwickauer Kontext kann bezüglich der dort nach wie vor existierenden Friedensbibliothek jedoch voll und ganz eine Bemerkung Knabes zum Charakter der Bürgerarchive bestätigt werden: "[Fast immer] verbinden diese im Gegensatz zu gewöhnlichen Archiven [...] die Aufgaben der Quellensicherung mit dem Anspruch auf unmittelbare historische Aufarbeitung und politische Aufklärung. Sie unterstützen deshalb nicht nur Journalisten, Historiker, Studenten oder interessierte Bürger mit ihrem Wissen und ihren Beständen, sondern informieren auch aus eigenem Erleben über Widerstand und Verfolgung in der DDR." 11)
Diesen nahezu unerschöpflichen Fundus <eigenen Erlebens> der involvierten Zeitzeugen als historische Quelle nutzbar zu machen, stellte sich aus verschiedenen Gründen als gleichermaßen notwendige wie vielversprechende methodische Herausforderung dieser Arbeit dar.
9) Es ist jedoch zu Recht darauf hingewiesen worden, daß diese Wirklichkeit nicht nur durch eine stark ideologiegeprägte Brille wahrgenommen wurde, sondern die Berichterstattung darüber hinaus „ambivalente Legitimationsstrategien" erkennen läßt. „Der 'Feind' kann aufgebauscht, ebenso jedoch auch relativiert werden, um die eigene Institution gleichzeitig als notwendig, aber auch als relativ erfolgreich hinzustellen." (Stefan Wolle, zit. nach: Schwartz, Michael, Bericht zur Tagung über „MfS-Akten und Zeitgeschichtsforschung", in: DA 3/1994, S. 536-539, hier S. 537); vgl. dazu auch: Henke, Klaus-Dietmar/Engelmann, Roger (Hg.), Aktenlage, Die Bedeutung der Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes für die Zeitgeschichtsforschung, 2. Aufl., Berlin 1995, S. 11.
10) Knabe, Hubertus, Wo liegen die Selbstzeugnisse der DDR-Opposition?, in: DA 4/1997, S. 565-571, hier S. 565.
11) Ebd. S. 571.
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So sollen diese aus dem Erleben der Betroffenen gewonnenen Informationen nicht nur ein inhaltliches Korrektiv zu den tendenziösen <Offizialquellen>12) und IM-Berichten bilden; sie sollen auch die spärlichen schriftlichen Selbstzeugnisse der Gruppen ergänzen und Auskunft über das Selbstverständnis der Akteure geben. Als geeignetes Instrument solcher Informationserhebung bietet sich hier grundsätzlich das Interview an.
Allerdings erscheint das, in Deutschland meist im Rahmen der Biographieforschung angewandte, offene Frageinstrumentarium der Oral-History nicht praktikabel, weil hier eben nicht nach der Komplexität einer Lebensgeschichte gefragt werden soll,13) sondern nach konkreten Themen eines eingegrenzten Zeitabschnitts. Für den vielschichtigen Zweck der Rekonstruktion von Ereignissen, der Erhellung der Einstellungen und Motive der Akteure und der Erfassung von Strukturen und Veränderungen ist statt dessen aus der Methodenvielfalt der Empirischen Sozialforschung der Typ des sogenannten Leitfadeninterviews ausgewählt worden.14)
Dabei wird das Gegenüber in einem mündlichen Interview auf der Grundlage eines vorher erarbeiteten, konkreten, weitgehend standardisierten Fragenkatalogs, der aber vom Interviewer mit einiger Flexibilität an die jeweilige Gesprächssituation angepaßt werden kann, zu einer offenen Zusammenhangsantwort geleitet. Um aussagekräftige Informationen über möglichst viele Gruppierungen zu erhalten, wurden als Gesprächspartner Personen ausgewählt, die aufgrund von Vorgesprächen und Aktenstudium als Schlüsselpersonen mindestens einer Gruppierung bezeichnet werden können.
Eine weitgehende Standardisierung der Fragen erschien deshalb vorteilhaft, weil dadurch Antwortkategorien entstanden, unter denen eine gewisse Vergleichbarkeit herzustellen war und somit etwa Einzelaussagen dahingehend geprüft werden konnten, ob sie sich eventuell zu Tendenzaussagen häufen. Lediglich die Gespräche mit dem damaligen Zwickauer Superintendenten Günther Mieth und dem Mitbegründer des Neuen Forums, Martin Böttger, folgten jeweils eigenen Fragestellungen, was sich aus den spezifischen Positionen der Befragten ergab.
Die im Durchschnitt zweistündigen Interviews wurden auf Tonband aufgezeichnet, anschließend vollständig verschriftlicht und entsprechend des Fragezusammenhangs nach Themenschwerpunkten systematisiert. Darüber hinaus sind natürlich auch Informationen aus vielen weiteren, nicht aufgezeichneten Gesprächen in die Arbeit eingeflossen.
In Ergänzung zu den genannten Quellen fanden sich in den kirchlichen Zeitschriften der DDR <Der Sonntag>, <Kirche im Sozialismus> und <epd-Dokumentation> weitere zeitgenössische Stellungnahmen zu Theorie und Praxis der Gruppenaktivitäten.15)
12) Vgl. den Begriff bei Knabe, Wo liegen die Selbstzeugnisse, S. 566.
13) Vgl. zu den Methoden der Oral History: Geppert, Alexander CT., Forschungstechnik oder historische Disziplin? Methodische Probleme der Oral History, in: GWU 5/1994, S. 303-323;Vorländer, Herwart, Mündliches Erfragen von Geschichte, in: Vorländer, Herwart (Hg.), Oral History, Mündlich erfragte Geschichte,Göttingen 1990, S. 7-28.
14) Vgl. zu dieser Methode: Atteslander, Peter; Kopp, Manfred, Befragung, in: Roth, Erwin (Hg.), Sozialwissenschaftliche Methoden, 3. Überarb. u. erw. Aufl., München/Wien 1993, S. 146-170; Kromrey, Helmut, Empirische Sozialforschung, 3. bearb. Aufl., Opladen 1986, S. 196-97 u. 210-212.
15) Auch wenn noch wenig über eine Zensur kirchlicher Publikationen bekannt ist, so muß doch davon ausgegangen werden, daß es sich um ausgewählte Informationen handelte, die für die Öffentlichkeit bestimmt waren.
1.2 Forschungsstand
Ein erster Blick auf die Forschungsentwicklung zu den sogenannten "oppositionellen Gruppen" in der DDR läßt sogleich ein interessantes Phänomen erkennen: Bis zum politischen Umbruch 1989 haben diese Gruppen in der zeitgeschichtlichen Forschung eine eher marginale Rolle gespielt. Nach 1989 änderte sich diese Situation schlagartig und seitdem ist die unter vielfältigsten Blickwinkeln zu dem Thema erschienene Literatur auf ein geradezu unüberschaubares Maß angewachsen. Dieser Tatbestand läßt darauf schließen, daß sich mit dem Zusammenbruch der DDR und der Öffnung der Archive nicht nur der Zugang zu den relevanten Informationen grundsätzlich verändert hat, sondern daß gleichzeitig das Interesse an diesen Gruppen sprunghaft angestiegen ist. Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand dabei die Frage, welche Erklärungskraft ihr Wirken für die weithin völlig unerwartete Entwicklung vom Herbst '89 besitzen könnte.
Doch auch vor '89 lassen sich bereits verschiedene Herangehensweisen an das Phänomen unterscheiden: Im Westen gaben Peter Wensierski und Wolfgang Büscher schon 1982 Quellen zur "Friedensbewegung in der DDR" heraus,16) 1984 bezog Fricke die gerade erst entstehenden Friedens- und Umweltgruppen in sein Standardwerk zu "Opposition und Widerstand in der DDR" mit ein,17) Erlebnisberichte erschienen von Beteiligten wie Fuchs,18) Linke19) und Kroh,20) die durchaus noch immer eine zeitgenössische Anschaulichkeit vermitteln. Ergänzend wäre auch noch die Studie von Helmut Zander, Die Christen und die
Friedensbewegungen in beiden deutschen Staaten21) zu erwähnen.16) Büscher, W. / Wensierski, P. / Wolschner, K. (Hg.), Friedensbewegung in der DDR, Texte 1978-1982, Hattingen 1982.
17) Fricke, Karl-Wilhelm, Opposition und Widerstand in der DDR, Köln 1984.
18) Fuchs, Jürgen, Gedächtnisprotokolle, Reinbeck 1977.
19) Linke, Dietmar, Niemand kann zwei Herren dienen. Als Pfarrer in der DDR, Hamburg 1988.
20) Kroh, Ferdinand (Hg.), Freiheit ist immer Freiheit... Die Andersdenkenden in der DDR, Frankfurt (Main)/ Berlin 1988.
21) Zander, Helmut, Die Christen und die Friedensbewegungen in beiden deutschen Staaten, Berlin 1989.
* (d-2014:) K.Fricke bei detopia J.Fuchs bei detopia
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In der DDR bewegten sich die ersten Beiträge — hier wären Ehrhart Neubert , Friedrich Schorlemmer23) und Heino Falcke24) zu nennen — um die Frage, in welchem Verhältnis Kirche und Gruppen zueinander stünden. Die Suche nach einem theologisch begründeten Umgang mit dem Phänomen prägte diese Diskussion. Orientierungsgebend für eine Positionierung in diesem Zusammenhang schien primär der religiöse Gehalt einer Gruppe zu sein.
Vor dem Hintergrund dieses theologischen Anliegens standen erste religionssoziologische, soziologische und politikwissenschaftliche Untersuchungen, die etwa Fragen nach der praktischen Bedeutung der Gruppen für die Evangelische Kirche oder den gesellschaftlichen Entstehungsbedingungen thematisierten. Auch wenn dieser theologische Ansatz natürlich inzwischen seinen appellativen Bezug verloren hat, bleibt, die Frage nach ihren religiösen Bindungen, gerade für das Verständnis ihres Verhältnisses zur Kirche, relevant.
Erste sozialwissenschaftliche theoretische Überlegungen stellte im Westen 1988 Hubertus Knabe an, indem er versuchte, die modernisierungstheoretischen Prämissen, Fragestellungen und Begrifflichkeiten, mit denen sogenannte Neue Soziale Bewegungen (NSB) in westlichen Staaten erforscht worden waren, auf die alternativen Gruppen in der DDR anzuwenden.25)
Den Anstoß für einen solchen Versuch hatte die Beobachtung ähnlicher gesellschaftlicher Themen wie etwa Friedens-, Umwelt-, Frauen-, Gerechtigkeits-, Minderheitsfragen etc. in West und Ost gegeben. Auch wenn Knabe selbst einschränkte, daß der "NSB-Begriff im Zusammenhang mit sozialistischen Staaten nur sinnvoll zu gebrauchen ist, wenn man ihn differenziert"26) und 1990 einräumte, daß "die eigentliche Entfaltung sozialer Bewegungen" erst im Herbst 1989 eingesetzt habe27) und die alternativen Gruppen eher als Vorläufergruppen anzusehen seien, bleiben wesentliche Anfragen an diesen Forschungsansatz offen.
22) Neubert, Ehrhart, Reproduktion von Religion in der DDR-Gesellschaft. Ein Beitrag zum Problem der sozialisierenden Gruppen und ihrer Zuordnung zu den Kirchen, in: epd Dokumentation (1986), Heft 35 und 36.
23) Schorlemmer, Friedrich, Macht und Ohnmacht kleiner Gruppen vor den Herausforderungen der Zukunft (1985), in: Pollack, D. (Hg.), Die Legitimität der Freiheit. Politisch alternative Gruppen in der DDR unter dem Dach der Kirche, Frankfurt/M. 1990, S. 17-23.
24) Falcke, Heino, Unsere Kirche und ihre Gruppen. Lebendiges Bekennen heute?, in: Pollack, Detlef (Hg.), Die Legitimität der Freiheit. Politisch alternative Gruppen in der DDR unter dem Dach der Kirche, Frankfurt/Main 1990, S. 41-56.
25) Knabe, Hubertus, Neue Soziale Bewegungen im Sozialismus. Zur Genesis alternativer politischer Orientierungen in der DDR, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 40/1988, Heft 3, S. 551-569.
26) Ebd., S. 565.
27) Knabe, Hubertus, Politischer Umbruch und soziale Bewegungen in der DDR, in: Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen 3/1990, S. 71-78, hier S. 74.
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Sie beziehen sich auf den Geschlossenheitsanspruch des politischen Systems der DDR und die daraus resultierende gesellschaftspolitische Isolation der Gruppen, ihre fehlende Masse und entsprechend erheblich eingeschränkten Aktionsradius und auch darauf,28) ob die Mitglieder der Gruppen überhaupt dieselben waren und die gleichen Ziele hatten, wie die Angehörigen der 1989/90 gegründeten Basisinitiativen.29) Doch trotz kritischer Anfragen hat dieser Ansatz eine breite Rezeption erfahren30) und der weiteren Erforschung der Gruppen bis heute viele richtungweisende Impulse gegeben.31)
Für eine historische Betrachtung jedoch scheint sich der NSB-Ansatz grundsätzlich zu weit von der zentralen Frage zu lösen, die auf Ent- und Bestehen der Gruppen eben gerade in den und gegen die spezifischen Machtstrukturen der DDR zielt. Daher kann dieser Ansatz in seinem theoretischen Anspruch für diese Arbeit nicht nutzbar gemacht werden, wohl aber in Detailfragen und -erkenntnissen Anregungen einbringen, auf die im einzelnen zu verweisen sein wird.
*
Neben dem sozialwissenschaftlichen Erkenntnisinteresse bestimmen verschiedene andere Forschungsschwerpunkte die Diskussion über die Gruppen nach 1989. Zu einem der umstrittensten Untersuchungsfelder zählt hierbei das Verhältnis von Kirche und Staat gerade im Hinblick auf den Umgang mit den Gruppen. Zu einer Verhärtung in der Diskussion über die Rolle der Kirche im DDR-Sozialismus und ihren Beitrag zum Umbruch 1989 haben zweifellos frühzeitig die Veröffentlichungen Gerhard Besiers über "Das Ministerium für Staatssicherheit der ehemaligen DDR und die Kirchen" Anfang der 90er Jahre,32) sowie die zwischen 1993 und 1995 erschienenen Bände "Der SED-Staat und die Kirche"33) beigetragen.
28) Beides sind Kriterien, die den Begriff charakterisieren!
29) Hagen Findeis und Wolfgang Elvers haben sich mit gewissem Recht gegen eine Anwendung des NSB-Ansatzes auf DDR-Verhältnisse gewandt, indem sie darauf verwiesen, daß sich die Emanzipationsbestrebungen der alternativen Gruppen in der DDR in erster Linie gegen den totalen Machtanspruch der staatlichen Strukturen gerichtet hätten und die Themen problematischer Modernisierungsfolgen so eher zum Medium dieser Emanzipationsbestrebungen geworden seien. Vgl. dazu:
Elvers, Wolfgang/Findeis, Hagen, Die politisch alternativen Gruppen im gesellschaftlichen Wandel. Eine empirische Studie zu ihrem Selbstverständnis, in: Grabner, Wolf-Jürgen u.a. (Hg.), Leipzig im Oktober. Kirchen und alternative Gruppen im Umbruch der DDR, Leipzig 1994, S. 109f.
30) Exemplarisch wären hier etwa die Arbeiten von Probst, Lothar, Ostdeutsche Bürgerbewegungen und Perspektiven der Demokratie, Köln 1993 oder von Blättert, Barbara/Rink, Dieter/Rucht, Dieter, Von den Oppositionsgruppen der DDR zu den neuen sozialen Bewegungen in Ostdeutschland?, Berlin 1994 zu nennen.
31) Richtungweisend wurde in der Rezeption von Knabes Beitrag, NSB im Sozialismus, etwa ein Fragenkatalog zu den Entstehungszusammenhängen, sozialen Trägern und zur sozialstrukturellen Verankerung der Gruppen.
32) Besier, Gerhard/Wolf, Stephan (Hg.), "Pfarrer, Christen und Katholiken". Das Ministerium für Staatssicherheit und die Kirchen, 1. Auflage, Neukirchen-Vluyn 1991, 2. durchgesehene und um weitere Dokumente vermehrte Auflage, Neukirchen-Vluyn 1992.
33) Besier, Gerhard, Der SED-Staat und die Kirche. Der Weg in die Anpassung, München 1993. Besier, Gerhard, Der SED-Staat und die Kirche 1969-1990. Die Vision vom "Dritten Weg", Berlin/Frankruit/M. 1995. Besier, Gerhard, Der SED-Staat und die Kirche 1983-1991. Höhenflug und Absturz, Berlin/Frankfurt/M. 1995.
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Es entsteht zuweilen der Eindruck, daß die materialreichen und für jede weitere Auseinandersetzung mit dem Thema unerläßlichen und wertvollen Quellensammlungen im ersten der erwähnten Bände auch zusammengetragen wurden, um eine Anklage gegen das Verhalten der Evangelischen Kirche gegenüber staatlichen Erwartungen zu führen. Bereits im ersten Band läßt sich Besiers Vorwurf etwa auf die Formel der "gesellschaftlichen Kumpanei der Kirche mit dem DDR-System"34) bringen.
Irritierend wirkt an diesen Bänden, daß die einzelnen Quellen nicht im Kontext ihres jeweiligen, von vielschichtigsten Interessensträngen durchzogenen Entstehungszusammenhangs kommentiert werden, sondern aus der Retrospektive ausschließlich in ihrer politischen, nicht jedoch in ihrer kirchlichen Dimension wahrgenommen werden. Es darf bezweifelt werden, daß der anhaltend scharfe Ton Besiers, der in Beiträgen wie dem 1997 im Wochenmagazin Focus veröffentlichten Artikel "Evangelische Kirche — Die Vertuscher"35) durchaus auch auf öffentliche Breitenwirkung zielt, einer nüchternen Ausleuchtung der kirchlichen Handlungsstrategien zuträglich ist.
Eine zusätzliche emotionale Aufladung erfuhr das Thema bereits Anfang der 90er Jahre mit dem "Fall Stolpe", dessen Kontakte zum MfS neben dem Untersuchungsausschuß des Brandenburger Landtages auch eine breite Öffentlichkeit nachhaltig beschäftigten. Selbst der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages zur „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland" gelang es 1994 in ihrem Bericht nicht, die stark polarisierte Debatte über das politische Verhalten der Evangelischen Kirche auf einen gemeinsamen Nenner zurückzuführen.
Für die heutige Forschung ergeben sich nun aus dieser äußerst heftig geführten Debatte verschiedene Schwierigkeiten: Gerade in der Konsequenz der Debatten über Stolpe scheint in weiten Kreisen "MfS-Kontakt" von DDR-Bürgern im allgemeinen und kirchlichen Mitarbeitern im besonderen zum alleinigen Kriterium moralischer Integrität geworden zu sein. Daß dabei zumeist nicht nach Art und Ausmaß des Kontaktes, auch nicht nach der Stellung des Betroffenen und den Konsequenzen seiner Kontakte gefragt wird, zeigt, daß dieses Kriterium eher einer Vorverurteilung dienlich ist als einem differenzierten Verständnis.
34) Besier, Gerhard/Wolf, Stephan (Hg.), „Pfarrer, Christen und Katholiken", S. IX
35) Vgl. Focus Januar, 3/1997, S. 62 u. 63. Auf diesen Artikel wurde an dieser Stelle explizit verwiesen, da er sich auch konkret auf die Situation in Zwickau bezieht.
36) Materialien der Enquete-Kommission "Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland", hrsg. vom Deutschen Bundestag. Neun Bände in 18 Teilbänden, Frankfurt/Main/Baden-Baden 1995; hier Bd. 6.
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Zudem hat die hitzige Debatte allenthalben Mißtrauen gesät und somit die Chancen für Wissenschaftler, Zugang zu kirchlichen Quellen zu erhalten, nicht gerade vermehrt. Wenn schließlich Pollack und Rink 1997 resümieren, "am besten aufgearbeitet scheint das Verhältnis von Kirche und SED-Staat zu sein",37) so bezieht sich diese Aussage offenkundig weitgehend auf die zentrale Ebene der staatlichen Kirchenpolitik.
Regionalspezifische kirchenpolitische Untersuchungen hingegen sind nach wie vor nur vereinzelt anzutreffen. Auch wenn für die sächsische Landeskirche mittlerweile neben einem querschnittartigen Sammelband zum Gemeindeleben38) und einer Quellenpublikation der Staat-Kirche-Gespräche in Leipzig,39) eine detailreiche Lokalstudie von Josef Schmid zu Dresden vorliegt,40) so ist der Bedarf an weiteren Lokalstudien keineswegs gedeckt, da nur durch differenzierte Nachforschungen auf Gemeinde- und Ephoralebene die Heterogenität und Vielgesichtigkeit der Evangelischen Kirche differenziert erfaßt werden kann und potentielle Handlungsspielräume erst im Vergleich plastisch werden.
Eine solche umfassende Erforschung lokaler und regionaler Entwicklungen der späten DDR-Zeit steht jedoch, nicht nur unter kirchenpolitischem Aspekt, noch ganz am Anfang. Einen ersten Eindruck von der Eigenheit eines Ortes vermitteln immerhin vielerorts die schon zu Beginn der 90er Jahre entstandenen "Wendechroniken", jene weniger analytischen, dafür atmosphärisch oft dichten Dokumentationen im Grenzbereich zwischen Primär- und Sekundärliteratur, die häufig von den örtlichen Akteuren selbst in der doppelten Absicht erstellt wurden, sowohl "ihren" Beitrag zur friedlichen Revolution zu dokumentieren, als auch eine für sie bewegte und bewegende Zeit dem Vergessen zu entreißen.
Auch wenn eine solche Publikation zu Zwickau nicht vorliegt, so hält doch eine von den Mitarbeitern der Zwickauer Friedensbibliothek erstellte Tafelausstellung zur Geschichte Zwickaus nach 1945 einen lebendigen Eindruck des Herbstes '89 fest. Über die örtliche Bearbeitung der Kirchen durch die Staatssicherheit hat der Pfarrer am Zwickauer Dom Dr. Edmund Käbisch wiederholt in Vorträgen verwiesen.
37) Pollack, Detlef/Rink, Dieter (Hg.), Zwischen Verweigerung und Opposition. Politischer Protest in der DDR 1970-1989, Frankfurt/Main/New York 1997, S. 16.
38) Kirche in Sachsen. Wirkungen des Evangeliums zwischen Elster und Neiße, hrsg. v. Dieter Auerbach und Klaus Stiebert, im Auftrag des Evangelisch-Lutherischen Landeskirchenamtes Sachsens, Berlin 1990.
39) Kaufmann, Christoph/Mundus, Doris/Nowak, Kurt (Hg.), Sorget nicht, was ihr reden werdet. Kirche und Staat in Leipzig im Spiegel kirchlicher Gesprächsprotokolle (1977-1989). Dokumentation, Leipzig 1993.
40) Schmid, Josef, Kirchen, Staat und Politik in Dresden zwischen 1975 und 1989, Köln/Weimar/Wien 1998.
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Wissenschaftliche Lokalstudien jedoch konzentrierten sich bislang auf die großen Städte Berlin,41) Leipzig42) und neuerdings auch Dresden43). Während regionale Untersuchungen inzwischen angelaufen sind,44) sind kleinere und mittelgroße Städte und ländliche Gebiete (hingegen) bisher kaum erforscht worden,45) wie kürzlich erst der Leipziger "Wende-Workshop: Studien in der Region" bestätigt hat.46)
Die seit Rüddenklaus <Störenfried>47) in der Forschungsentwicklung immer wieder unternommenen Versuche, Überblicksdarstellungen und Zwischenbilanzen zu entwerfen, erweisen sich gerade bei dem Blick auf die Besonderheit einzelner Orte als außerordentlich hilfreiches Korrektiv, um die Komplexität der Gesamtzusammenhänge nicht aus dem Auge zu verlieren. Ehrhart Neuberts "Geschichte der Opposition in der DDR 1949-1989"48) kann als Meilenstein in dieser Entwicklung gewertet werden. Auf weitere Forschungsliteratur zu Einzelfragen wird in den betreffenden Kapiteln gesondert verwiesen werden.
1.3 Begrifflichkeit
Nicht minder als die inhaltliche Erforschung der Gruppen, ihres Verhältnisses zu Kirche und Staat und der Ereignisse des Herbstes '89 hat das Ringen um begriffliche Bestimmungen die Forschungslandschaft nach '89 geprägt.
Dabei flaute die erste Böe der terminologischen Diskussion, die Begriffe wie Wende, Revolution, Umbruch u.a. in der Absicht ventilierte, die Dimension dieser sanften, aber grundlegenden Veränderungen von 1989/90 im Kontext früherer historischer Erfahrungen zu erfassen, bald ab.49)
41) Zur Berliner Umweltbibliothek erscheint in naher Zukunft eine detaillierte Untersuchung von Thorsten Moritz.
42) Dietrich, Christian/Schwabe, Uwe (Hg.), Freunde und Feinde. Dokumente zu den Friedensgebeten in Leipzig zwischen 1981 und dem 9. Oktober 1989, Leipzig 1994.
43) J. Schmid, Kirchen, Staat und Politik.
44) Erste Untersuchungen zum Bezirk Erfurt, zu den Bezirken Magdeburg und Halle sowie zu den Bezirken Schwerin, Rostock und Neubrandenburg werden im Oktober 1999 in dem Tagungsband des erwähnten Leipziger "Wende-Workshops" vorgestellt werden.
45) Vgl. dazu: Poppe, Ulrike/Eckert, Rainer/Kowalczuk, Ilko-Sascha (Hg.), Zwischen Selbstbehauptung und Anpassung, Berlin 1995, S. 25.
46) Vgl. die Tagungsberichte in Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 3. Februar 1998; DA 3/98, S. 472-74 und in der Leipziger Universitätszeitung, 1998, Heft 4, S. 42-44.
47) Rüddenklau, Wolfgang, Störenfried, ddr-opposition 1986-89, Berlin 1992.
48) Neubert, Ehrhart, Geschichte der Opposition in der DDR 1949-1989, Bonn 1997.
49) Heute werden die Begriffe teilweise synonym verwandt; durchgesetzt hat sich sowohl der Revolutionsbegriff, der m.E. die Ereignisse am umfassendsten charakterisiert, als auch der Begriff der „Wende", da er, obwohl ursprünglich von Krenz in deutlich anderer Konnotation verwandt, der zeitgenössisch geprägte und deshalb bis heute im allgemeinen Sprachgebrauch verankerte ist.
Vgl. zu dieser Begriffsdiskussion:
Meuschel, Siegrid, Revolution in der DDR, in: Spittmann, Ilse/Helwig, Gisela, Die DDR auf dem Weg zur deutschen Einheit, Köln 1990, S. 3-14; Glaeßner, Gert-Joachim, Eine deutsche Revolution. Der Umbruch in der DDR, seine Ursachen und seine Folgen, Frankfurt/Main 1991, S. 18f.; Zwahr, Hartmut, Die Revolution in der DDR 1989/90 - Eine Zwischenbilanz, in: Fischer, Alexander/Heydemann, Günther (Hg.), Die politische „Wende" 1989/90 in Sachsen, Weimar/Köln 1995, S. 202-252; Richter, Michael, Die Revolution in Deutschland 1989/90. Anmerkungen zum Charakter der Wende, Berichte und Studien des Hannah-Arendt-Institutes für Totalitarismusforschung Dresden, Heft 2, Dresden 1995; Kühnhardt, Ludger, Umbruch - Wende - Revolution, Deutungsmuster des deutschen Herbstes 1989, in: ApuZ B 40-41/1997, S. 12-18.
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Das Bemühen um eine Einordnung des Phänomens der Gruppen in das weite Feld von "abweichendem und wider ständigem Verhalten und oppositionellem Handeln", wie die Enquete-Kommission vorsichtig versuchte das Terrain von Widerspruch gegen die SED-Diktatur abzustecken, hält indes ungebrochen an. Obwohl inzwischen unüberschaubar viele Versuche unternommen wurden, Klarheit in die vage Begrifflichkeit zu bringen, gibt es "noch immer keine auch nur annähernd allgemein akzeptierten Definitionen von Widerstand und Opposition in der DDR."50)
Es erscheint deshalb im Rahmen dieser Arbeit auch nicht sinnvoll in eine allgemeine theoretische und terminologische Grundsatzdebatte zu „Grundformen des politischen Widerspruchs in Ostdeutschland" einzusteigen. Erforderlich ist es jedoch, den Gebrauch von Ausdrücken wie „oppositionelle Gruppen" oder „Oppositionelle", für den konkreten Gegenstand der Gruppen im Umfeld der Evangelischen Kirche im Zeitraum der 80er Jahre zu reflektieren und zu erklären.
Man könnte nun pragmatisch vorgehen, und kurzerhand, entsprechend der Sicht und des Anspruchs der Staatsdoktrin, all diejenigen Gruppen oder Personen als Opposition bezeichnen, „die sich außerhalb der Nationalen Front langfristig politisch organisierten, bezüglich ihres politischen Gesamtkonzepts oder mehrerer Einzelfragen im Dissens mit der Staats- und Parteiführung standen und diesen Dissens auch öffentlich kundtaten".51)
An einer solchen Definition von Opposition erscheint jedoch die Statik und Unflexibilität des Begriffs problematisch: So bestehen beispielsweise kaum noch Unterscheidungsmöglichkeiten qualitativ unterschiedlicher Verhaltensformen. Auch Veränderungen im Laufe der zeitlichen Entwicklung, die sich etwa aus dem ständigen Wechselspiel von Staatspolitik und Basisreaktion ergeben könnten, können von einem so besetzten Oppositionsbegriff nicht wahrgenommen werden, einmal ganz davon abgesehen, daß diese rein wirkungsgeschichtliche Begriffsbestimmung in keiner Weise nach Intention und Selbstverständnis der Akteure fragt und somit keinerlei Spielraum für eine Diskussion von Interpretationsdifferenzen offenhält.
50) Poppe, Ulrike/Eckert, Rainer/Kowalczuk, Ilko-Sascha (Hg.), Zwischen Selbstbehauptung und Anpassung, Berlin 1995, S. 24.
51) Diese Definition schlägt Thorsten Moritz im Manuskript seines Aufsatzes „Gruppen der DDR-Opposition in Ost-Berlin - gestern und heute" vor, der 1999 in einem von Günther Heydemann, Werner Müller und Gunter Mai herausgegebenen Sammelband erscheinen wird.
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Es erscheint daher an dieser Stelle lohnend, einen Blick auf die aus jahrzehntelanger Beschäftigung mit der Geschichte von Opposition und Widerstand gegen das "Dritte Reich" gewonnene, die Vielschichtigkeit des Phänomens berücksichtigende Terminologie zu werfen.
Vielversprechend im Hinblick auf eine mögliche Übertragung auf den Untersuchungsgegenstand der kirchlichen Gruppen im Kontext des DDR-Sozialismus scheint hier besonders das Modell von K. Gotto, H.G. Hockerts und K. Repgen52) zu sein, nicht zuletzt deshalb, weil es genau an der Frage ansetzt, was Kirche,53) auch damals einzige staatsfreie Organisation in einem Staat mit totalem Herrschaftsanspruch, der nationalsozialistischen Herrschaft entgegengesetzt hat. Das von ihnen entwickelte Modell "Stufen des Widerstandes" unterscheidet vier Entwicklungsgrade, deren erstes bei punktueller Nonkonformität ansetzt und im folgenden Verweigerung,54) öffentlichen Protest oder Protest, der unter Androhung von Öffentlichkeit erhoben wird und Widerstand in Umsturzabsicht differenziert.
Dabei aber, und dieser Aspekt erscheint gerade im Hinblick auf die DDR-Verhältnisse besonders wichtig, wird die Möglichkeit einer zeitgleichen, partiellen Loyalität gegenüber dem Regime nicht aus dem Blick verloren. Mit Hilfe einer solchen Unterscheidung, auch wenn das zu beschreibende Phänomen letzten Endes mit "widerständigem Verhalten" vielleicht DDR-spezifischer umschrieben wäre, als mit dem in der NS-Forschung gebräuchlichen Begriff "Widerstand", könnte nun konkret am Beispiel einzelner Orte das widerständige Profil der dortigen Gruppen nach Ausdrucksformen, Entwicklungsphasen55) und Selbstverständnis in Handlungsmotivationen und Zielvorstellungen, eventuell auch regional unterschiedlich, analysiert werden.56
Um mit der Verwendung des Attributs "oppositionell" also nicht schon zu Beginn der Arbeit eine pauschalisierende Einschätzung vorwegzunehmen, soll im folgenden entweder nur von "Gruppen" die Rede sein oder die von Detlef Pollack eingeführten Ausdrücke der "politisch-alternativen Gruppen"57) oder "sozialethisch engagierten Gruppen"58) verwendet werden, da beide Ausdrücke etwas vom Selbstverständnis bzw. vom inneren Anliegen der Akteure widerspiegeln.
1.4 Zielsetzungen
Die Zielsetzung dieser Arbeit ist es, die Entstehung, Entwicklung und Wirkung alternativer Gruppen im Umfeld der Kirchen in Zwickau aufzuzeigen. Dafür ist es zunächst erforderlich den Kontext der staatlichen Organisationsstrukturen in Kirchenfragen zu erhellen, um Anspruch und Auswirkung der staatlichen Kirchenpolitik auf die Handlungsspielräume von Kirche und Gruppen ausloten zu können. Dabei wird die Frage von Bedeutung sein, ob und wodurch sich diese Handlungsspielräume im Verlauf der 80er Jahre verändern. Aufmerksamkeit wird zugleich auf das Verhältnis der Gruppen zur Kirche zu legen sein; hier stellt sich die Frage, welche Faktoren dieses Verhältnis bestimmen und wie sie sich im konkreten Beispiel auswirken.
Die einzelnen Gruppen sollen darüber hinaus auf ihre spezifischen Anliegen, Motivationen und Zielstellungen hin untersucht werden; ein besonderes Interesse kommt dabei der Frage zu, inwiefern sich diese in den 80er Jahren verändern.
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52) Vgl. Gotto, Kaus/Hockerts, Hans Günter/Repgen, Konrad, Nationalsozialistische Herausforderung und kirchliche Antwort. Eine Bilanz, in: Gotto, Klaus/Repgen, Konrad (Hg.), Die Katholiken und das Dritte Reich, 3. erw. u. Überarb. Aufl., Mainz 1990, S. 173-190.
53) Bei Gotto/Hockerts/Repgen ist an dieser Stelle vornehmlich die Katholische Kirche gemeint.
54) Dieser Begriff zielt auf die Bewahrung eigener Identität entgegen einer Oktroyierung staatlichen Willens. Er entspricht in etwa dem Resistenzbegriff, wie er im Rahmen des Projekts des Münchener Instituts für Zeitgeschichte über „Bayern in der NS-Zeit" entwickelt wurde.
55) Grundsätzlich ist der Gedanke einer Phasenunterscheidung nicht neu. 1993 konstruierten beispielsweise Jan Wielgohs und Marianne Schulz ein Dreiphasenmodell, das zwischen Latenzphase (bis Mitte 1989), Formierungs- und Entfaltungsphase im Herbst '89 und Institutionalisierungsphase der Oppositionsgrappen unterschied, doch zielt eine solche Unterscheidung auf eine Einordnung in den NSB-Kontext und nicht auf das sich verändernde widerständige Potential der Gruppen.
56) Für eine theoretisch-terminologische Einordnung des konkreten Untersuchungsgegenstands der kirchlichen Gruppen erscheint das Stufenmodell von Gotto/Hockerts und Repgen, obwohl es für die NS-Forschung entwickelt wurde, als Gerüst brauchbarer, als beispielsweise Hubertus Knabes für DDR-Verhältnisse entworfenes Dissens-Modell, schon allein deshalb, weil letzteres das gesamte, vielfältige Spektrum von vierzig Jahren politischem Widerspruch, eben auch unter unterschiedlichen Bedingungen und entsprechend auch in unterschiedlichen Formen, zu erfassen sucht.
Was jedoch speziell eine Verortung der Gruppen in diesem Spektrum angeht, so scheint mit ihrer Einordnung in den Kontext der Neuen Sozialen Bewegungen ein Erklärungsansatz für ihr Bestehen gewählt zu sein, der ihre Wurzeln, gerade auch im Hinblick auf ihr Widerspruchspotential, eben gerade nicht in den DDR-spezifischen Umständen sucht. Dennoch wird am Ende der Arbeit zu überlegen sein, ob sich eventuell Knabes Kategorien „Sozialer Protest", „Politischer Protest" und „Politische Opposition" als Entwicklungsphasen in den 80er Jahren beobachten lassen. Vgl. dazu: Knabe, Hubertus, Was war die „DDR-Opposition"?, Zur Typologisierung des politischen Widerspruchs in Ostdeutschland, in: DA 2/1996, S. 184-199.57) Vgl. zum Ausdruck „politisch-alternative Gruppen": Pollack, Detlef, Außenseiter oder Repräsentanten? Zur Rolle der politisch-alternativen Gruppen im gesellschaftlichen Umbruchprozeß der DDR, in: DA 8/1990, S. 1216-1223.
58) Vgl. zum Ausdruck „sozialethisch engagierte Gruppen": Pollack, Detlef, Sozialethische Gruppen in der DDR. Eine religionssoziologische Untersuchung, in: Pollack, Detlef (Hg.), Die Legitimität der Freiheit. Politisch alternative Gruppen in der DDR unter dem Dach der Kirche, Frankfurt/Main; 1990, S. 115-154.
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