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Die Logik der falschen Gleichsetzung

 

 

Wenn ich Ditfurths Schmöker durchforste, frage ich mich, was sie veranlasst haben könnte, mit diesem zügellosen Hass gegen ein Heer von Anders­denkenden zu Felde zu ziehen. Vielleicht richtet er sich gar nicht gegen Faschisten, Rassisten und Antisemiten, die Ditfurth & Co. überall ausgemacht zu haben glauben. 

Vielleicht liegt er darin begründet, dass sie nach der gigantischen Pleite des "realen Sozialismus" ohnmächtig zusehen müssen, wie ihnen ihre roten Felle davonschwimmen und sich auch die letzten sozial engagierten bis sozialrevolutionären Menschen von der kommunistischen Weltbeglückungs­ideologie verabschieden [49].

Und wenn sich statt dessen immer mehr Menschen dem erdrückenden Angebot neuer (oft sicherlich auch suspekter) Ideen zuwenden, dann sind Neid und Hass auf diese zum Teil höchst erfolgreiche Konkurrenz sicherlich nur schwer zu zügeln.

Da ist es kaum überraschend, wenn eine gläubige Marxistin wie Jutta Ditfurth in Panik gerät und blind um sich schlägt. Und wenn dann auch noch der grosse Keynes meint, dass Gesells Hauptwerk Die natürliche Wirtschaftsordnung "die Aufstellung eines anti-marxistischen Sozialismus" beschreibt und verkündet: "Ich glaube, dass die Zukunft mehr vom Geiste Gesells als von jenem von Marx lernen wird" [49a], dann bekommen dieser libertäre Sozialist und seine Vertreter eben besonders viele Tiefschläge ab.

Oder glaubt Ditfurth etwa selber alles, was sie da an Phantastereien über ihre Konkurrenten hinausposaunt? Müsste sie dann nicht geistig behindert sein? Glaubt sie das vernünftigerweise nicht, ist sie dann nicht eine Lügnerin? Oder gibt es noch andere Gründe für ihr Verhalten? Wir wollen mal sehen.

 

Fragen wir zunächst: Warum diese Diffamierung zahlloser Andersdenkender unterschiedlichster Couleur mit der immer gleichen Unterstellung, sie seien Faschisten, Rassisten und/oder Antisemiten? Weil alle eines gemeinsam haben: dass sie Gegner des Marxismus und Kommunismus sind? Aber müssen sie deswegen auch dieselben, notwendigerweise identisch miteinander sein?

Wenn jemand "Mädel" statt "Mädchen" sagt, dann wird das leicht mit Nationalsozialismus assoziiert, denn das war ein gebräuchlicher Ausdruck der Nazis. Etwas anderes ist es jedoch, wenn behauptet wird, Leute, die dieses Wort gebrauchen, seien Nazis. Diese Gleichsetzung nichtidentischer Verhaltensweisen, Begriffe, Dinge und Personen ist weit verbreitet - auch bei Linken. Hier werden - meist zu propagandistischen Zwecken - Analogien mit Identitäten verwechselt und auf Grund weniger Gemeinsamkeiten auf totale Identität geschlossen.

Der Psychoanalytiker Joseph Gabel, selbst Marxist, wenn auch der Gruppe der "freien Marxisten" um die Zeitschrift Arguments zuzurechnen [50], analysiert diese Praxis am Beispiel des - hört! hört! - "kommunistischen Denkens" (Gabel). Er meint, den Kommunisten gehe es bei ihrem Kampf gegen den Kapitalismus um mehr als um lediglich: "Wer nicht für uns ist, ist gegen uns." Denn die, die gegen "uns" sind, können durchaus den verschiedensten politischen Lagern angehören, sogar kapitalismusfeindlich sein. Den Kommunisten gehe es um Gleichsetzung. Sie sagen: "Wer nicht für uns ist, ist gleichwertig", denn "es gibt nur uns und die Masse der Reaktionäre" und die "Reaktionäre" sind alle gleich: eben Reaktionäre, und Reaktionäre sind Faschisten [51]. Gabel liefert eine Reihe von Beispielen, wie Kommunisten auf diese Weise Faschisten "produziert" haben. So zitiert er dem Sinne nach einen kommunistischen Redner: "De Gaulle ist gegen den Kommunismus, Hitler war es auch, also ist de Gaulle gleich Hitler."

 

Wie man einem Artikel von Wolfgang Kessler in Publik-Forum (11 / 1997) entnehmen kann, bedient sich auch der West-PDSler Peter Kratz, Betreiber des "Bonner Instituts für Faschismusforschung und Antifaschistische Aktion", dieser bei Faschisten jedweder Couleur beliebten Methode: "Schon der NSDAP-Chefideologe Alfred Rosenberg beschäftigte sich mit dem mittelalterlichen Mystiker Meister Eckhart. Auch Bischof Jacques Gaillot beschäftigt sich mit Meister Eckart — also steht Gaillot, so Kratz, an der Seite des Faschisten Rosenberg. Ein anderes Beispiel: Die Theologen Eugen Drewermann und Hans Küng stellen — auch in Publik-Forum — die Frage, ob jede Form von Sterbehilfe in jedem Fall immer dogmatisch abzulehnen sei — und schon sieht sie Kratz an der Seite der nationalsozialistischen Euthanasie-Verfechter."

 

Es mag überraschen, dieses Denken — das, wie Gabel schreibt, "eine sonderbar verarmte Auffassung von der menschlichen Realität ausdrückt" — bei marxistisch orientierten Kommunisten vorzufinden, da marxistisches mit dialektischem Denken assoziiert wird. Dieses kommunistische Denken ist jedoch dem dialektischen völlig entgegengesetzt — ein "paradox wirkendes und einigermaßen erheiterndes Ergebnis" [51a]. Diese Denkmethode der falschen Gleichsetzung erklärt, warum nicht nur bürgerliche Intellektuelle und Linksliberale, sondern auch kritische und dialektisch geschulte Marxisten z. B. auf Stalins absurde Anschuldigungen gegen Trotzki als Agent der Nazis und auf die Moskauer Schauprozesse gegen die bolschewistische Elite hereingefallen sind.

Zur Zeit des Kalten Krieges wurde diese Methode auch im bürgerlichen Lager eifrig praktiziert: Kommunisten engagieren sich für soziale Probleme; wer das ebenfalls macht, ist Kommunist. Das hatte zur Folge, dass z. B. jede soziale und demokratische Revolte gegen Diktaturen in der Karibik ohne nennenswerten Widerstand in der öffentlichen Meinung von den US-Ledernacken niedergemetzelt werden konnte [52].

 

Dieser Logik der "falschen Identität" (Gabel) folgt auch Ditfurth, wenn auch in feinsinniger Unterscheidung der Dreieinigkeit "Faschisten", "Rassisten" und "Antisemiten". Aber auch, wenn sie die absurde Behauptung aufstellt, Menschen, die die Existenz von Rassen feststellen, seien "rassistisch" (S. 42) — aber keine Rassisten? Nun ist die Bedeutung des Adjektivs rassistisch nicht völlig identisch mit der des Substantivs Rassist, aber rassistisch zu sein ist das Kriterium eines Rassisten. Dieser feine Unterschied ist also allenfalls juristisch relevant. Auch die von ihr breit behandelten Esoteriker, die dem Mystizismus frönen würden, schrammen nur ganz knapp daran vorbei, als — weil Esoterik und Mystizismus auch bei den Nazis zu finden waren — Faschisten bezeichnet zu werden. Sie firmieren als "ideologische und organisatorische Wurzel des NS-Faschismus" (S. 11) und als Wegbereiter des kommenden Faschismus (S. 12).

Wenn dem so sein sollte, dann sind allerdings auch jene Kommunisten, die laut Gabel die "reichlich esoterische [!] ´dialektische Methode´" [52a] der falschen Identifizierung anwenden, Steigbügelhalter des "Faschismus": des roten, stalinistischen.

 

Doch ohne pingelige Differenzierungen, ohne hinreichende Daten und ebenso schlicht wie ihre französischen Genossen, betreiben Ditfurth, Bierl, Blume, Elger, Nappert, Weigel, Kratz&Co diese falsche Gleichsetzung vieler Personen, die ihnen offenbar besonders am Herzen liegen, mit Faschisten, Rassisten und Antisemiten. Der Anarchisten Silvio Gesell ist ihr liebster Pappkamerad: Gesell ist Eugeniker, die Nazis haben die Eugenik zu rassistischen Zwecken missbraucht, also ist Gesell Rassist. Gesell will die "Brechung der Zinsknechtschaft", das haben die NS-Faschisten auch behauptet, also ist Gesell Faschist. Auch Antisemiten sind gegen den Zins, also ist Gesell auch Antisemit.

 

Selbstverständlich sind auch die Juden, Christen und Moslems Faschisten und Antisemiten, verurteilen ihre Religionen doch das Zinsnehmen. Sicherlich auch Prof. Harry Nick, Mitglied er Berliner PDS (säubert die Partei von Renegaten!), empfiehlt er doch wärmstens, die Zinsanalysen von Helmut Creutz zu studieren. Und nicht zuletzt alle Linken, die sich mit dem Schlachtruf grüssen: "Der Kampf geht weiter!" - taten das die Nazis doch auch [53]! Umgekehrt sind natürlich jene Neonazis Anarchisten, die heute den einst beliebten Anarchospruch aus der 883 verwenden: "Macht kaputt, was Euch kaputt macht." (Schon aufgefallen? Ich bin Militarist, weil ich den Begriff Pappkamerad benutze!) Preisfrage: Wer kann mit dieser Methode nicht als Faschist, Rassist und/oder Antisemit abgestempelt werden?

Frau Ditfurth verwendet diese plumpe Methode der Gleichsetzung nicht identischer Begriffe inflationistisch. Bei ihr bleibt kaum jemand übrig, der kein Faschist, Rassist und/oder Antisemit ist oder mit diesen in hautnahe Verbindung gebracht werden kann. Gabel ist der Auffassung, dass Menschen, die mit dieser Methode arbeiten, von einem "falschem Bewusstsein" gesteuert werden, das auch als "schizophrenes Denken" bezeichnet werden könne [53a]. - Frau Ditfurth schizophren?

Eine Frage: Warum rasiert sich der Ex-Bartträger Scharping jetzt jeden Morgen? Weil Hitler einen Bart trug! Alles klar? Na, bitte. Und noch einen Rat, Männer, wenn Ihr keine Machos sein wollt: Benutzt nie das Wort Mädchen. Das ist die machistische Verniedlichungsform für Mädel!

 

 

       Der Mechanismus der selektiven Wahrnehmung      

 

Ein anderes Phänomen, das zu "falschem Bewusstsein" führt, aber auf einer "gesunden" psychologischen Grundlage zu beruhen scheint, ist uns ebenfalls aus der Lebenspraxis vertraut: alles zu ignorieren, was uns nicht "in den Kram passt", aber alles zu glauben, was in´s Konzept passt. Ein Phänomen, das wir deshalb auch nur bei den Anderen beobachten. Der DDR-Dichter Stephan Hermlin ist da eine Ausnahme. In einem Gespräch mit F.J. Raddatz in der Zeit (14.04.1995) gesteht er selbstkritisch, dass er zwar von Stalins "Barbarei" etwas "geahnt", sie aber bis zu Chruschtschows Enthüllungen 1956 "weggedrängt" habe.

Er führt das auf ein inneres moralisches und politisches "Filtersystem" zurück, dem er als kämpfender Kommunist unterworfen war. Nach den neuesten Forschungen des Psychologen Hendrik M. Emrich vom Max-Plank-Institut in München lassen sich Struktur und Ablauf dieses Systems als "selektive Wahrnehmung" folgendermaßen beschreiben:

1. "Die ´sensorische Komponente´ [Augen, Ohren etc.] liefert [dem Gehirn] die reinen Sinnesdaten..."

2. "Die ´konstruktivistische Komponente´, die auch die ´Phantasie-Komponente´ genannt werden kann, stellt - und zwar bereits im voraus - Mutmaßungen über die zu erwartenden Eindrücke an: Lange bevor etwa das Licht die Netzhaut trifft, hat das Gehirn sich schon eine ´Warnehmungs-Hypothese´ zurechtgelegt."

3. "Die dritte Komponente, die ´Zensur´, befindet über die endgültige Freigabe einer bestimmte Sinneswahrnehmung an das Bewußtsein. Alles, was den in lebenslangen Erfahrungen gewonnenen Kriterien der Zensur zuwiderläuft, wird schon im Ansatz verworfen" (zit. in GEO 3/1990) - herausgefiltert.

 

Wenn wir einmal Frau Ditfurth zugute halten, sie würde nicht, wie Goebbels, bewusst lügen, was könnte dann in ihrem Köpfchen vorsich gehen, wenn wir ihr diesen Wahrnehmungsmechanismus unterstellen?

1. Die sensorische Komponente beliefert zwar Ditfurths Gehirn mit Abbildungen der empirischen Wirklichkeit, aber...

2. ...auf Grund ihrer ersten politische Erfahrungen, die sie in den 70-er Jahren in ihrem linken Milieu gemacht hat, vielleicht auch in marxistisch-leninistischen Bibelstunden, hat ihr Gehirn "Phantasie-Komponenten" entwickelt, die sie veranlassen, die Wirklichkeit entsprechend marxistisch-leninistischer Hypothesen wahrzunehmen.

3. Diese marxistisch-leninistischen Hypothesen bewirken die "Zensur". Wie ein feines Sieb - ein "Filtersystem" (Hermlin) - lassen sie nur durch und im "Hirnkasten" (Marx) ankommen, was ins vorgefasste Bild passt. Alles, was diesen marxistisch-leninistischen Wahrnehmungs-Hypothesen zuwiderläuft, wird aussortiert und verdrängt. Es spielt also für Ditfurths Beurteilung einer anderen Ideologie, Theorie oder Wirklichkeit gar keine Rolle, ob und in wieweit sie logisch und/oder empirisch richtig oder falsch ist, sondern lediglich, ob sie die marxistisch-leninistischen Vorurteile bestätigt oder nicht. Sind "Beweise" notwendig, aber keine entsprechenden empirische Daten zur Bestätigung der Hypothesen vorhanden, dann werden sie erfunden. Entsprechen vorhandene Daten nicht diesen Hypothesen, werden nicht die Hypothesen aufgegeben, sondern die Daten entsprechend zurechtgebogen. Notfalls werden sogar Tatbestände ins Gegenteil verkehrt, um sie den Hypothesen anzupassend. So werden aus Hypothesen, d. h. aus unbewiesenen Annahmen, gewünschte "Wahrheiten" produziert.

 

So könnte das Gehirn einer (wie die Stalinisten sagen) "ideologisch gefestigten" Kommunistin arbeiten, die sich — auf Grund dieses Wahrnehmungs-Mechanismus — selbst für eine "undogmatische Linke" hält. Nein? Von den Hirnen intelligenter Faschisten und Rassisten würden wir das doch bejahen, oder? Für die Hirne rechtsextremistischer Dumpfbacken lässt sich allerdings ein deftigeres Modell finden.

 

Nach der Psychoanalyse Wilhelm Reichs, des besten Schüler Freuds, wie es heißt, wird die sinnliche und rationale Wahrnehmung der Wirklichkeit von der "emotionalen Pest" des "faschistoiden Charakters" getrübt und bestimmt. Durch eine lustfeindliche und autoritäre Erziehung und moralische, religiöse und/oder ideologische Indoktrination in Familie, Schule, Kirche, Partei, Militär etc. entsteht das "Über-Ich" als Angst erzeugender, irrationaler "Charakterpanzer", der sich um das "Ich", den Verstand, den Intellekt, und das "Es", die Sinnlichkeit, den Eros, legt und beide deformiert und kontrolliert wie ein fremder, in die eigene Psyche eingegangener Polizist.

"Das unfreie Individuum introjiziert seine Herren und deren Befehle in seinen eigenen psychischen Apparat" (Herbert Marcuse). Dieser durch Sitte, Moral, Religion und Ideologie der Gesellschaft oder Subkultur (zum Beispiel religiöse oder politische Sekten) fremdbestimmte und programmierte "Über-Ich"-Angstpanzer selektiert, was gedacht und getan werden darf. Unbefangenes, selbständiges, sachgerechtes und kritisches - nicht querulatorisches! - Denken ("Ich-Stärke") und freundliches, lebensbejahendes Verhalten sind nicht mehr möglich, denn unbewust wird das Ausbleiben von Belohnung (liebevolle Zuwendung) oder gar Strafe (Liebesentzug, Prügel) befürchtet. Das "Es", der Eros verkümmert, das "Ich", der Intellekt verblödet. Nicht radikales, den Problemen an die Wurzel gehendes Denken, sondern extremistische Gefühle und Einstellungen - eben die "emotionale Pest" - bestimmen das Denken und Handeln. Dieser "autoritäre" oder "faschistoide Charakter" trägt Konflikte nicht intellektuell und verbal, sondern mit der Faust aus. Vielleicht könnte dieses Modell auf Peter Bierl zutreffen.

 

      Ein Beispiel: Die selektive Wahrnehmung der Keynes´schen Theorie      

 

Dieses psychologische Problem der selektiven Wahrnehmung finden wir nicht nur bei Ditfurth und bei Rassisten und Faschisten, wenn auch meist nicht so ausgeprägt; ist halt eine Frage der Intensität und Dauer der "Gehirnwäsche". Ein interessantes Beispiel einer Wahrnehmungsverengung und -verschiebung könnte die Interpretation der Keynes´schen Beschäftigungstheorie als eine etatistische statt monetäre durch die Sozialdemokraten sein.

In seinem schmalen Band John Maynard Keynes schreibt der Sozialdemokrat und Wirtschaftsprofessor Wilhelm Hankel: "Es ist schwer zu ergründen, was zum Sieg des Keynes'schen Fiskalismus, der in seinem Gesamtwerk einen eher bescheidenen Platz einnimmt, über den von ihm geprägten und im Zentrum seines Schaffens stehenden Monetarismus geführt hat" [54]. Vielleicht lag es daran, dass die Sozialdemokraten geistesgeschichtlich von dem Etatisten Marx herkommen, der das Geld- und Zinsproblem ignoriert und den Geld- und Zinstheoretiker Proudhon bekämpft hat. Als die Sozis nach dem Zweiten Weltkrieg von Marx, für die Lösung damaliger Probleme unbrauchbar, auf Keynes umstiegen, konnten sie dennoch die Keynes´sche Beschäftigungstheorie nur durch die marxistisch-staatsinterventionistische Brille wahrnehmen [55].

Dabei verweist schon der Titel von Keynes´ Hauptwerk Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes auf eine Zins- und Geldtheorie. Diesem Titel entsprechend, legt auch der Inhalt dieses Buches — wie schon der Doktorant Dadley D. Dillard bei Erscheinen des Keynes'schen Werkes Mitte der 30-er Jahre erkannte [55a] — eine Interpretation im Sinne der Proudhon'schen und Gesell'schen Geld-, Zins- und Konjunkturtheorie nahe.

Auch ich bin als Exemplar dieser leicht bescheuerten Spezies Homo sapiens sapiens nicht ganz frei von Wahrnehmungsvorlieben. Wenn ich Keynes im Sinne Proudhons und Gesells interpretiere, so spielt gewiss auch meine Vorliebe für ihre Theorien eine Rolle. Andererseits hat es mir der Blick durch die Brille Proudhons und Gesells erleichtert, Keynes als einen Nachfolger dieser anarchistischen Geld- und Zinstheoretiker wahrzunehmen. Die Frage ist nur, ob mir meine Phantasiekomponente Freiwirtschaft, die mich zur Wahrnehmungshypothese Keynes gleich Proudhon und Gesell führte, keinen Streich gespielt hat.

Doch das kann und muss mit wissenschaftlichen Methoden überprüft werden. Erstaunlich nur, dass Frau Ditfurth, die als Tochter eines renommierten (von mir gerne gelesenen) Wissenschaftlers doch gelernt haben dürfte, Texte richtig zu lesen, deren Inhalte nicht nur einseitig oder verzerrt interpretiert, sondern sogar ins Gegenteil verkehrt. Vielleicht sollte sie doch einmal einen Psychiater konsultieren.

 

      "Right or wrong, my country"     

Es gibt noch einen weiteren Grund, der zur selektiven Wahrnehmung führt und verführt und der angesichts der heutigen Waffentechnik für das Überleben der Spezies Homo sapiens sapiens lebensbedrohlich ist. Robert Anton Wilson wundert sich, dass die Rechten wie die Linken zwar außerordentlich scharfsinnig ihre Gegner kritisierten, auf dem rechten beziehungsweise linken Auge jedoch blind seien, wenn es um ihre eigenen Parteigänger gehe. Diese parteiische Wahrnehmung hat auch eine wichtige Rolle bei der Verdrängung der Stalin´schen Verbrechen durch den Kommunisten Hermlin gespielt, wie aus dem genannten Zeit-Interview hervorgeht. Ob wir etwas für richtig oder falsch halten, ist offenbar auch eine Standortfrage: Aus welcher Sippe, Partei, Klasse, Interessengruppe, aus welchem Stall heraus wird die Wirklichkeit wahrgenommen? Die "richtige" Wahrnehmung ergibt sich aus der Perspektive des Standorts, und dieser ist die Gemeinschaft und ihre Ideologie.

Wer kennt das nicht, dieses angenehme, wärmende Gefühl, zu einer Gruppe zu gehören: das Wir-Gefühl? Und glaubt man, eine eigene Meinung zu haben, und ist sie noch so blöd, wenn sie von den Angehörigen der eigenen Gemeinschaft bestätigt wird, dann hält man sie für richtig. Selbst der grösste Stuss wird kaum noch in Frage gestellt. Stösst man mit dieser absolut korrekten Meinung jedoch bei Fremden auf Widerspruch und kommen mit ihr bei diesen nicht durch, welch eine Sehnsucht verspüren wir dann, Heim zu kehren in den Kreis der Gleichgesinnten, um bei ihnen Trost und intellektuelle Selbstbestätigung zu finden. Mal ehrlich, liebe Leserinnen und Leser: noch nie erlebt?

Für das Überleben einer prähistorischen Urhorde war dieser psychische Mechanismus sicherlich einmal sehr nützlich und ist offenbar eine Erbschaft der Jahrmillionen menschlicher Naturgeschichte. In der Evolution setzten sich jene Horden am erfolgreichsten durch, deren Exemplare mit entsprechendem Erbgut ausgestattet waren. Dazu gehörte auch die Neigung zu solidarischem und altruistischem Verhalten, und für das Funktionieren gemeinsamen Handelns ist wiederum der Meinungskonformismus sehr nützlich. Da die prähistorischen Kleingruppen aus Affenmenschen und Menschen bestanden, die eng miteinander verwandt waren, trug die natürliche Neigung zur "gegenseitigen Hilfe" (Kropotkin) im Verwandschaftsbereich, der "Nepotismus" [56], dazu bei, dass sich die entsprechenden Gene in diesen Gemeinschaften fortpflanzten und fortentwickelten. Folglich war diese Sippe erfolgreich im Überlebenskampf in der Natur und gegenüber anderen Sippen und konnte sich besonders zahlreich vermehren und ausbreiten. Da für den bald sprachbegabten Menschen auch die Neigung zu gruppenkonformem Denken, zum Entwickeln von Gruppenideologien und der Neigung, an diese Ideologien zu glauben, für die Urhorde und bald auch für entferter verwandte Stammesangehörige vorteilhaft gewesen sein dürfte, dürfte auch diese tiefenpsychologisch verankerte Neigung ein Produkt der Evolution sein.

Diese offenbar angeborene Neigung zum Gruppenkonformismus verstärkt nicht nur die oben beschriebene Wahrnehmungszensur; er führt auch zu gruppenkonformem Denken und Verhalten gegenüber "fremden" Horden und Stämmen und gegenüber fremden Gruppen und Ethnien im gesellschaftlichen und internationalen Bereich und gegenüber "fremden" Spezies. Wenn die "Fremden" dann noch als gefährliche Feinde der Gemeinschaft ausgemacht werden, verstärkt das dieses Wir-Gefühl noch erheblich und lässt ein Wir-Bewusstsein entstehen. Beides schweisst eine Gemeinschaft zusammen und macht sie stark. ("Fünf Finger sind eine Faust", heisst der Titel eines antiautoritären Kinderbuches.) Deshalb werden "Feinde" auch gerne von politischen oder wirtschaftlichen Interessengruppen mittels Ideologien produziert: die Franzosen als "Erbfeinde", die Juden als "Fäulniserreger im Volkleben", linke Kritiker des Marxismus als "Renegaten" und "Faschisten", kommunistische Kritiker des Stalinismus als "Konterrevolutionäre" und "Agenten Hitlers", "... der Bourgeosie" oder was auch immer.

Mit dieser Produktion von "Feinden" nutzen diese Interessengruppen eine Erfahrung, die die menschliche Spezies über Generationen hin mit Fremden gemacht hat und die sich in das phylogenetische Gedächtnis der Menschen als ein angeborenes, irrationales, un- oder vorbewusstes, jederzeit aktivierbares Misstrauen gegenüber dem vermeintlich oder wirklich Fremden eingegraben haben könnte: die reale geschichtliche Erfahrung, dass fremde Völker von alters her bis zum heutigen Tag immer wieder andere Völker überfallen, ihnen Land geraubt, sie vertrieben oder unterworfen und versklavt und manchmal auch ausgerottet haben, wie z. B. die Europäer die Indianer, die Jungtürken die Armenier, die Nazi-Deutschen die Juden und Zigeuner.

Was die Sozio- und Evolutionsbiologie nahelegt, bestätig der Psychoanalytiker Gabel: "Jede, wenn auch sehr ´objektive´ Zugehörigkeit zu einer nationalen, religiösen oder politischen Gemeinschaft, bringt einen gewissen Grad an Undurchlässigkeit der Erfahrung gegenüber mit sich: ´Right or wrong, my country´ sagen die Engländer" [56a]. Also ein borniertes, "egozentrisches" (Gabel) und brutales, aber durchaus "humanes", das heisst der menschlichen Natur entssprechendes Denken, dem Gabel auch "eine Verwandschaft mit den kindlichen Denkformen" [56b] nachsagt. Daher hatte Heinrich Himmler auch keine Schwierigkeiten, seine deutschen Schergen von solch infantilem britischem Denken zu "überzeugen": "Ein Grundsatz muss für den SS-Mann absolut gelten: Ehrlich, anständig, treu und kameradschaftlich haben wir zu Angehörigen unseres eigenen Blutes zu sein und zu sonst niemand ... Ob die anderen Völker in Wohlstand leben oder ob sie verrecken vor Hunger, das intesesssiert mich nur soweit, als wir sie als Sklaven für unsere Kultur brauchen ... Ob bei dem Bau eines Panzergrabens 10.000 russische Weiber an Entkräftung umfallen oder nicht, interessiert mich nur soweit, als der Panzergraben für Deutschland fertig wird."[56c] Ich befürchte, auch Frau Ditfurth hat ihren "Panzergraben": den Kommunismus.

 

      Die "fremde" Spezies als Ersatz-Jude?    

 

"Wir sind ein Volk, eine Gemeinschaft, eine Familie, Herta BSC!", rufen sie, aber auch: "wir sind Menschen, das andere sind Tiere". Das kann sich auch auf andere, fremde oder als Feinde angesehene Menschen beziehen: "Ratten und Schmeissfliegen", wie der bayerische Volksverhetzer und CSU-Politiker Franz Josef Strauß einst ungestraft die Linken nannte. "(Volks-)Schädlinge", die zur Ausrottung freigegeben sind.

Für Frau Ditfurth eine Unmöglichkeit: kein Mensch ist ein Tier, und kein Mensch darf ausgerottet werden! Doch nach welchen Kriterien ist ein Mensch ein Mensch? Ist Strauß oder gar Himmler ein Mensch? Für Frau Ditfurth schon. Mensch ist jeder, den Menschen wie sie als Mensch definieren. Sie pflegt den Marx´schen: den "wirklichen Humanismus" (S. 127), das Wir-Gefühl und Wir-Bewusstsein als "Mensch", nicht als lebendes Wesen, wenn sie gegen Peter Singer, die Tierschützer und Peter Piwitt, der "Menschenrechte für Menschenaffen" (S. 127) fordert, polemisiert. Und jeder Mensch ist einer von uns, egal, um welches Exemplar es sich im konkreten Fall handelt: Hitler oder Gandhi, Heinrich Himmler oder Albert Schweizer - "Mensch und Mensch sind gleichwertig" (S. 125). Nur den "Menschen" gilt unsere Solidarität. Tiere nennt Frau Ditfurth "blöde Viecher" (S. 69).

Wie "blöd" sind denn die "Viecher"? Und wie gross muss die Intelligenz sein, um noch als Mensch durchzugehen oder den Menschen gleichwertig zu sein? Eine Gorilla-Frau namens Koko hat bei unterschiedlichen Intelligenztests Intelligenzquotienten von 71 bis 91,7 und in einer mehrjährigen Testreihe einen Durchschnitts-IQ von immerhin 80,3 erreicht.[57] Einen IQ, den viele geistig behinderte Menschen nicht erreichen. Sind das keine Menschen?

Oder ist das Menschsein an der biologischen Abstammungsgeschichte festzumachen? Ist der Homo erectus, der noch vor 30.000 Jahren auf Java lebte, kein Mensch? Erst unser Vetter, der Neandertaler? Oder schon unsere Urururgrossmutter Lucy aus dem Geschlecht der Australopitecinen aus dem "Mensch-Tier-Übergangsfeld"? Wo fängt dort das Menschsein an? Beim Orang Utan, einem "lebendem Fossil" [57a] der Hominiden aus diesem Feld?

Aber es gibt doch das wissenschaftlich objektive Merkmal der genetischen Differenz. Der Homo sapiens sapiens unterscheidet sich vom nächstverwandten "Tier", dem Schimpansen, genetisch um 1,6% [57b]. Das reicht zur Abgrenzung? Wie klein muss der genetische Unterschied Lucys zum Homo sapiens sein, um noch als Mensch durchzugehen und nicht barbarischen Experimenten ausgesetzt zu werden? So klein, wie zwischen einem gesunden und einem erbkranken Menschen? Ist der nicht grösser?

Was ist, wenn wir die Forschungsergebnisse der Molekularbiologen ernst nehmen? Dann gehört der Homo sapiens zur Gattung der Schimpansen, ist der "dritte Schimpanse" [57c] neben dem gemeinen und Zwergschimpansen, dem Bonobos! Wird dann zwischen den drei Schimpansen-Spezies einerseits und den übrigen Menschenaffen einschliesslich dem Orang-Utan und den Hominiden andererseits abgegrenzt? Die DNS-Differenz des Schimpansen zum Gorilla beträgt immerhin 2,3% und zum zum Orang Utan sogar 3,6% [57d].

Aber vielleicht gibt es qualitative Unterschiede zwischen Mensch und Menschenaffen, die sich aus diesem quantitativen 1,6%-Unterschied ergeben und eine Abgrenzug rechtfertigen. Der Mensch kann denken. Hat W. Köhler schon vor mehr als einem dreiviertel Jahrhundert bei Schimpansen festgestellt [58]. Der Mensch kann sprechen. Schimpansen, Gorillas und Orang Utans können die menschliche Sprache verstehen lernen, und sie können lernen, sich in einer Taubstummensprache mit Menschen und ihresgleichen zu verständigen.[58a] Der Mensch zeigt (manchmal) Mitgefühl und Hilfsbereitschaft. Schimpansen und Gorillas auch [58b]. In Neuseeland sprang ein Schimpanse ins Wasser, um seinen Ertrinken mimenden Betreuer aus einem Schwimmbecken zu "retten" [58c]. Und Schimpansen führen sogar Kriege [58d]! Ist das nicht alles all´ zu menschlich?

 

Ditfurths Chefideologe Marx sagt: "Man kann die Menschen durch das Bewusstsein, durch die Religion, durch was man sonst will, von den Tieren unterscheiden. Sie selbst fangen an, sich von den Tieren zu unterscheiden, sobald sie anfangen, ihre Lebensmittel zu produzieren, ein Schritt, der durch ihre körperliche Organisation bedingt ist" [59]. (Die "körperliche Organisation", die weitgehend mit der der Affen identisch ist, insbesondere die "Organisation" der Hände, für Engels die entscheidende Voraussetzung zur "Menschwerdung des Affen"!). Also das Kriterium Arbeitsfähigkeit ist entscheidend? Der Mensch unterscheidet sich vom Tier, weil er Werkzeug herstellen und gebrauchen kann, hiess es vor Köhlers Experimenten. Beides, wissen wir heute, können Menschenaffen auch - und nicht nur die! Und wenn durch die Automation die Arbeit abgeschafft ist, ist auch der arbeitslose Mensch kein Mensch mehr? Jedenfalls nicht der schwachsinnige Mensch, der keine Arbeitsfähigkeit besitzt - nach dieser Theorie.

 

Ditfurth unterscheidet nach "immanenten Werten" (S. 127). Aha! Und welches sind diese innewohnenden Werte? Ditfurth sagt, Menschen "können Technologie und Wissenschaft entwickeln, sich mit Malerei, Musik und Theater die gesellschaftlichen Verhältnisse aneignen, sie können Widerstand leisten und ihre Umwelt durch Arbeit verändern und ihren humanen Bedürfnissen anpassen" (S. 128). "Widerstand leisten"! Als ob das Tiere nicht auch könnten. Auch, Pardon! Ditfurth meint, nicht als Revoluzzer wie sie. Da hat sie Recht. Gorillas sind aber sehr geschickte Ausbrecher! Nein, nein, Mensch ist nur, wer sich mit malen, musizieren und Theater spielen "die gesellschaftliche Verhältnisse aneignen kann".

Wer Anspruch auf Menschenrechte hat, entscheidet also das Leistungsprinzip, und zwar ein sehr hochgestecktes (das viele Menschen kaum erfüllen). Das rechtfertigt, Menschenaffen lebenslänglich einzuknasten, in Isolationshaft, und barbarischen Experimente auszusetzen? Wohl etwas dünn. Immerhin können Schimpansen "Gemälde" produzieren, die schon mal von schlauen "Kunstkennern" der Spezies Homo sapiens sapiens als Kunstwerke für viel Geld gekauft worden sind. Sogar Kapuzineraffen können - auf dem Niveau eines jungen Menschenkindes - spontan und spielerisch aus einem Lehmklumpen primitive Figuren formen und mit Blättern verzieren [59b]. Was ist mit jenen Exemplaren der Spezies Homo sapiens sapiens, die so schwachsinnig geboren werden, dass sie das alles nicht können, noch nicht einmal das Leistungsniveau eines Kapuzineraffen erreichen? Keine Menschen? Damit kommt Frau Ditfurth aber arg in die Nähe dessen, was Peter Singer von ihresgleichen unterstellt wird.

Nein, nein und noch mal nein. Mensch ist Mensch und nur Menschen "sind gleichwertig". Die Nicht-Menschen - Lucy? - sind zweit- oder gar drittrangig? Sie dürfen jedenfalls nicht mit dem "Menschen" auf die gleiche Stufe oder gar über ihn gestellt werden. Der KZ-Arzt Mengele hielt Zigeunerkinder für Tiere und machte mit ihnen barbarische Zwillingsversuche, nähte zum Beispiel die Blutbahnen zwei kleiner Mädchen zusammen. Sie schrien nachts in der Schlafbaracke so entsetzlich, dass ihre Mutter sie tötete. Frau Ditfurth steht Mengele näher als ein mit uns zu 98,4% genetisch verwandter, freundlicher Schimpanse, der ebenso Schmerz empfinden kann wie diese beiden Menschenkinder. Das zählt nicht. Dieser freundliche Schimpanse steht unterhalb der Rangordnung eines umenschlichen Sadisten aus der Spezies Homo sapiens sapiens. Mit ihm dürfen die Mengeles, zum Wohle der Menschheit beziehungsweise des deutschen Menschen, Versuche machen. Warum nicht an den Mengeles? Da sie "Menschen" sind, wissen sie doch, was sie tun. Nein, "Menschen" allein sind davor zu schützen, nicht die "blöden Viecher". Denn sie sind für Frau Ditfurth - wie bis vor kurzem noch nach dem bürgerlichen Recht und wie einst auch die Sklaven nach dem Recht des imperialistischen Römischen Reiches - eine "Sache". Tiere werden von Frau Ditfurth "verdinglicht", wie es im marxistischen Sprachgebrauch heisst.

 

Die, wie ich vermute, marxistisch geschulte Materialistin Ditfurth unterscheidet subjektiv und idealistisch nach ihrem "humanistischen", das heisst menschlichen Wir-Bewusstsein; als Exemplar des Homo sapiens aus der Perspektive des Homo sapiens, also nicht materialistisch-wissenschaftlich, sondern parteiisch. Eine Ideologie wird als Begründung herangezogen, um die Menschenaffen als minderwertig abstempeln und das Prädikat "Mensch" und somit Menschenrechte verweigern zu können. Ähnlich, ebenfalls mit "wissenschaftlichen" Beweisen untermauert, argumentieren Rassisten. Und Mengele ist fein raus. Er ist "einer von uns": ein "Mensch". Genetisch, zu 100%, der Schimpanse nur zu 98,4%. Und Mengele kann Wagner verstehen, vielleicht sogar spielen. Das reicht. Mit ihm üben wir "Solidarität". Ein freundlicher Schimpanse, Gorilla oder Orang Utan ist nur ein "blödes", zotteliges und ungepflegtes "Tier", das kein Musikverständnis hat. Sie sind halt genetisch die kosmische Dimension von 1,6% von "uns" entfernt. Diese Einsicht: welch eine Evolutuion des menschlichen Geistes! Das "menschliche" Wir-Gefühl transformiert zum Wir-Bewussstsein und eskaliert zum Korps-Geist als Endpunkt der "geistigen" Entwicklung des Homo sapiens sapiens.

 

Muss überhaupt abgegrenzt werden? Und wozu? Wie wäre es, einfach nur zu handeln? Ohne philosophische, moralische und "wissenschaftliche" Verrenkungen schlicht und einfach nach dem Lust-Unlust-Prinzip? So weit wie möglich allen Lebewesen, die Schmerz empfinden können, vor Schmerzen zu bewahren, und die Lust empfinden können, ein lustvolles Leben zu gewährleisten? Wäre das nicht ein "wirklich" humanistischer Auftrag des mit Bewusstsein ausgestatteten Lebewesens Mensch? Aber, sagten "Wissenschaftler" noch vor wenigen Jahren, es kann (bitte nicht lachen!) "streng wissenschaftlich" gar nicht festgestellt werden, ob Tiere Schmerz und Freude empfinden: sie könnten uns das nicht mitteilen, da sie keine Sprache hätten. Haben Säuglinge auch nicht. Nach diesem "wissenschaftlichen" Kriterium lässt sich allerdings auch nicht des Gegenteil beweisen. Konrad Lorenz ist da anderer Meinung. Menschliche Instinkte und Gefühle spüren das. Doch die strengen "Wissenschaftler" fordern Befragung oder technische Messgeräte. Ein anderes "Argument" eines Verhaltensforschers: Tierschutz sei nur dann angebracht, wenn Menschen wegen des Leidens der Tiere ebenfalls leiden würden. Soll das heissen: wenn es keinen Erwachsenen stört, können Kinder geschlagen und zu Tode geprügelt werden? Immerhin alltägliche Praxis - weil es kaum jemanden stört.

Das trifft den Punkt. Wie die Nachbarn von geschundenen Kindern und diese "Wissenschaftler", hat auch Frau Ditfurth kein Interesse an Fremden, jedenfalls nicht an Spezies-Fremden. Der Zeiger ihrer Mitgefühle für Artfremde..., Pardon, für Speziesfremde schlägt nicht oder kaum aus, also besteht auch kein Bedürfnis, im Sinne Stirners das Mit-Leiden durch Vermeidung und Bekämpfung des Leidens anderer Wesen zu dämpfen. Der objektive Tatbestand des Leidens zählt sowieso nicht. Aber Frau Ditfurth legt doch ein Bekenntnis ab zum Tierschutz! Ziemlich lau in knapp einer halben Zeile innerhalb ihrer auf zwei Dutzend Seiten ausgedehnten Polemik gegen die Tierschützer. Tierschutz ist "wichtig" (S. 14), sagt sie. Notwendig ist schon zu viel gesagt.

 

Wie sollte dieser "wichtige" Tierschutz denn aussehen? Wie er von ihren kommunistischen Gesinnungsgenossen im "real existierenden Sozialismus" der sog. DDR praktiziert worden ist? Dort gab´s mal eine traurige Posse um den konterrevolutionären Hund von Mühlheim. Der hatte sich auf ein "volkseigenes" Werksgelände verirrt, wurde vom aufmerksamen Betriebsschutzleiter, der einen infamen Angriff des Klassenfeindes vermutete, halb tot geknüppelt und noch lebend in eine Grube mit glühender Asche geworfen. (Halt Abfall.) Auf Druck des mitempfindenden Proletariats des Betriebes wurde diesem Klassenkämpfer der Prozess gemacht: wegen Tierquälerei. Doch die aufmerksame Avantgarde des Proletariats im Politbüro unter Führung des Marxisten-Leninisten Walter Ulbricht witterte dahinter "Tendenzen des Trotzkismus und Sozialdemokratismus" und "feindliche Anschläge auf einen bewährten Kämpfer für Frieden und Gerechtigkeit" seitens jugoslawischer und amerikanischer Agenten. Die Weisen des Politbüros liessen das klassenfeindliche Urteil von einem Jahr Knast für den klassenbewussten Ausmerzers dieses faschistischen Elements aufheben und den Richter - einen als "Arbeiterfeind bekannten LPD-Richter" (LPD = Liberale Partei Deutschland) - verhaften. Die Mühlheimer Stasi - die nichts von diesen konterrevolutionären Umtrieben bemerkt hatte - wurde gerügt, "keine Lehren aus dem Slansky-Prozess [berüchtigter stalinistischer Prozess gegen den Prager KP-Generalsekretär Slansky wegen "Verschwörung" gegen den Sozialismus] und den faschistischen Provokationen vom 17. Juni 1953 [Arbeiteraufstand in der sog. DDR] gezogen" zu haben [59b].

 

      Ditfurth, die Homo-sapiens-Patriotin     

 

Können wir ausschließen, dass es irgendwo in der unvorstellbaren Weite unserer Galaxie mit 100 Milliarden Sonnensystemen, vom Kosmos mit vielleicht 100 Milliarden Galaxien ganz abgesehen, hochentwickeltes Leben gibt? "Allein in der Milchstrasse könnte es ... eine Millionen Welten geben, die von völlig andersartigen und weit fortgeschritteneren intelligenten Wesen bewohnt sind", schreibt der Kosmologe Carl Sagan [60].

Wie weit würde Frau Ditfurths Kinnlade herunterklappen, wenn plötzlich grüne Männchen vor ihr ständen, die vielleicht viel "menschlicher" sind als die Menschen? Angesichts unserer intellektuellen und emotionalen Beschränktheit und barbarischen Geschichte ist es doch vorstellbar, dass wir nicht die "Krone der Schöpfung" sind, wie wir in naiver Selbstüberschätzung glauben. Wird sie sich dann - entsprechend ihrer menschlichen Einsichtsfähigkeit, ihrer Ideologie und angesichts dieser "höher" entwickelten Wesen - herabstufen zu einem Untermenschen, sich gar zu den "Viechern" zählen? Darf dann - auf Grund dieses historischen Ereignisses und der objektiven, wissenschaftlichen Erkenntnisse der Genetik etc. - mit ihr experimentiert werden wie mit Affen und Mäusen? Oder schreit Frau Ditfurth dann gemeinsam mit den Mengeles: "Nieder mit den Übermenschen! - Hoch die planetarische Solidarität der Erdlinge!"?

Genau das wäre die Parole ihres "Speziezismus", schreibt sie doch, dass "die Interessen der Wesen einer anderen Spezies zum Vorteil der eigenen zu vernachlässigen" sind (S.159). Wozu dann noch das Geschwafel von "immanenten Werten" etc., wenn es allein um die Zugehörigkeit zu einer Spezies und ihre Interessen geht? In diesem Sinne ist auch ein geistig unterbelichteter SS-Mann nicht davor zurückgeschreckt, einen ihm geistig weit überlegenen jüdischen Intellektuellen zu vergasen. Eine Gemeinschaft, Rasse oder Spezies kann doch sein wie sie will, mit oder ohne "immanente Werte" etc., Hauptsache, sie ist die "eigene" (Ditfurth), die deutsche, die arische, die Menschheit! Argumentieren so nicht auch die Grossgrundbesitzer in Lateinamerika zum Vorteil der eigenen Klasse, und die Patrioten, Völkischen und Rassisten zum Vorteil ihrer Nation, ihres Volkes, ihrer Rasse, und wenn dabei "10.000 russische Weiber vor Entkräftung umfallen"?

 

Frau Ditfurth eine Menschheitspatriotin?  

Oder eine Rassistin auf anderer, höherer Ebene? Ihr Speziezismus eine "moralisch höhere" Form des vulgären, inhumanen Rassenzentrismus und -egoismus?

Eben Spezies-Zentrismus und Spezies-Egoismus. Aus der ethnischen und biologischen Klassifizierungssystematik Gattung, Spezies, Rasse, Volk, Stamm, Sippe wählt Ditfurth das ihr genehme aus: nicht eine Rasse, ein Volk, einen Stamm aus der Spezies Homo sapiens, sondern die Spezies Homo sapiens aus der Gattung der Schimpamsen: ihren Homo sapiens! Die Spezies aus der Gattung, die ihr in den Kram passt. Wo liegt da der grundsätzliche Unterschied zwischen Rassismus und Speziezismus? Allein darin, dass sich der Rassismus Hitlers gegen Lebewesen anderer Rassen der selben Spezies richtet und der Speziezismus Ditfurths gegen Lebewesen anderer Spezies der selben Gattung. Wir wollen nur hoffen, die "höheren" Lebewesen im Kosmos sind weit genug entfernt, um uns nie zu erreichen - oder wirkliche Menschen.

Das archaische Wir-Gefühl und das intellektuelle Wir-Bewusstsein des geselligen und sozialen Tieres Homo sapiens sapiens (des wissenden Wissers!) verstärkt die oben beschriebene Funktion der Zensur bei der Wahrnehmung von Fakten wie auch der "Anderen", der "Fremden", der "Tiere" als fühlende Wesen. Gegen diese irrationale Neigung, nur das wahrzunehmen, was "uns" betrifft und Gruppenkonform ist, sind auch Linke nicht gefeit, sind sie doch auch Exemplare dieser Spezies und pflegen zudem - wie die Rechten - ihre naturgegebene Neigung zur "Geselligkeit" (Friedrich Engels) mit dem "Kumpan" (Konrad Lorenz) oder "Genossen" (die Nazis: "Volksgenossen"). Deshalb haben viele Linke zum Beispiel Schwierigkeiten wahrzunehmen, dass ihr zum grossserbischen Sozialisten - also zum Nationalsozialisten! - mutierter Ex-"Selbstverwaltungs"-Kommunist Milosevic ein Kriegsverbrecher und Massenmörder ist. Wie merkwürdig still die "Antifas" doch waren, als ihre sozialistischen und kommunistischen Genossen die ethnischen "Säuberungen" der faschisti-schen Tschetniks in Bosnien unterstützten! Welch Kontrast zu ihrer Aufgeregtheit über jeden Furz der Gringos und über den angeblichen "Rassismus" und "Antisemitismus" des Kosmopoliten Gesell!

 

Parteiisch-selektiv reagierte auch eine Leserin auf den Kronstadt-Artikel in der jungen Welt, als sie dort von den Verbrechen der Bolschewisten an den aufständischen Matrosen und Arbeitern der Kronstädter Kommune erfuhr: "Ich weiß schon lange, dass oft die Linke mehr zum Geschichtsrevisionismus beigetragen hat als die Rechte. Und nun habt auch Ihr Euch in den Kreis begeben, der die antikommunistischen Lügen dieser ´Kronstadt-Legende´ verbreitet" [60a].

Furchtbar! Sie bietet jedoch keine Beweise, nicht einmal glaubhafte Quellen an, die diese "Auschwitzlüge" über das Kronstadt-Massaker belegen. Sie wirft lediglich mit Propagandaphrasen aus der vulgärmarxistischen Klippschule um sich: "Geschichtsrevisionismus", "antikommunistische Lügen", "Kronstadt-Legende". Trotz Ermangelung eigener Gegenbeweise ist für sie alles gelogen, was ihre Genossen verbrochen haben. Sie glaubt das also nur. Aber warum glaubt sie nicht das Gegenteil?

Kann nicht auch alles gelogen sein, was die roten Mörder an den Kronstädtern verbrochen haben? Die sind doch motiviert zu lügen! Oder lügen Täter nicht? Lügen nur die Opfer und jene, die sich für sie einsetzen? Ist alles gelogen, weil wir glauben, dass unsere Horde so etwas nicht tut? So glaubten auch viele der Väter und Grossväter der Linken nach dem Zweiten Welt-krieg an die Unschuld ihres geliebten Führers und anderer deutscher Täter, als deren Verbrechen nicht mehr zu vertuschen waren. Die Einsicht in die Wahrheit würde ein unangenehmes Gefühl vermitteln, das Gefühl des schlechten Gewissens aus Mitschuld und vor allem das des Ausgestossenseins aus der Gemeinschaft. Also muss alles, was ihren Deutschen und ihren Führern beziehungsweise ihren Bolschewiken vorgewor-fen wird, gelogen sein.

Wenn es um die eigene, womöglich noch geliebte Sippschaft geht, werden zudem nicht nur die eigenen Täter freigesprochen, sondern obendrein noch jene Ankläger, die mit den Fingern in dieser Wunde der Gemeinschaft bohren, als "Nestbeschmutzer" diffamiert. Dann können die beleidigten Hordenmenschen nicht einmal mehr die Begriffe Nest-Beschmutzer und Nest-Reiniger richtig zuordnen. So stark ist der Gemeinschaftskitt und die Angst vor dem schlechten Gewissen, dass sie die Begriffe vertauschen: nicht die Täter, die wirklich ins Nest geschissen haben, sondern die Entsorger, die den Dreck beseitigen wollen, sind die Nestbeschmutzer - und die Opfer! Selbst, wenn sie sich zu den richtigen Einsichten durchringen, haben sie eher Mitleid mit den Tätern, sind es doch die Ihrigen, als mit den Opfern, sind es doch die Fremden. Und sie haben viele Rechtfertigungen parat für die Taten ihrer Täter. Darin unterscheidet sich unsere linke Briefschreiberin nicht im Geringsten von den Deutschen nach ´45.

Hannah Ahrendt hat recht, wenn sie von der "Banalität des Bösen" spricht, ist dieses Verhalten doch ganz "normal" und sogar "natürlich", wie die Geschichte menschlichen Verhaltens und auch eine Analyse des doch eigentlich sympathischen Wir-Gefühls zeigen. Und es ist auch ganz normal und natürlich, wenn die meisten Exemplare des Homo sapiens sapiens beleidigt und empört sind, wenn Ahrendt das offen ausplaudert, spricht sie doch von ihnen. Frau Ditfurth wird diese schwer zu widerlegende Selbsteinschätzung der eigenen Spezies wahrscheinlich mit der Phrase abzuwehren versuchen, das sei eine "menschenverachtende Position" oder gar "Menschenhass", liebt sie doch ihre Spezies. Oder doch nur einen Teil davon? Zum Beispiel ihre "Antifas", insbesondere ihren Spezi Bierl.

 

Sublimierte Ausstossreaktionen kommunistischer "Kleinbürger"

Als tierliebendes Kind waren die Hühner für mich die einzigen Tiere, die ich nicht mochte: mir war aufgefallen, dass ihr Verhalten sehr menschlich ist. Kam ein neues Huhn in den Hühnerstall meiner Mutter, wurde es "ausgestoßen": tagelang gehackt. Es ist eben fremd. Verhaltensforscher haben beobachtet, dass Vögel selbst bekannte Artgenossen hacken, wenn sie plözlich ungewöhnlich aussehen, z. B., wenn ihnen eine Feder schief aus dem Federkleid herausragt. Ich wurde in den 50-er Jahren von Passanten angepöbelt, weil ich einen Bart trug, eine junge Frau noch in den 60-er Jahren wegen ihrer langen Haare. Ähnliche Reaktionnen hat Jane Goodell bei Schimpansen beobachtet. Sie "diskriminieren" Gruppenangehörige, wenn sie sich, an Kinderlähmung erkrankt, aussergewöhnlich bewegen [60b].

Äussert sich bei Frau Ditfurth und ihren Sturmtrupp vielleicht auch eine besonders archaische, aus der Abstammungsgeschichte des Menschen überlieferte Reptilienreaktion, wenn sie auf Personen - zwar nicht mit herausragenden Federn, wohl aber mit neuen und für sie fremden Ideen - einhacken, um sie aus ihrem linken Stall zu vertreiben? Vielleicht ähnlich "intellektuell" motiviert, wie bei jenen rechten Skinheads, die noch einen Rest von Grosshirn besitzen, um aus Vorurteilen und aus dem R-Komplex rund um das Stammhirn eine faschistoide Ideologie zusammenmixen zu können? Als gut erzogene Bürgerkinder sind ihre archaischen "Ausstossreaktionen" (K. Lorenz) kulturell "sublimiert" (S. Freud): auf linke Konkurrenten mit aussergewöhnlichen Ideen bezogen, gewissermassen auf die Träger regenbogenfarbener Federn, die aus dem blutrotem Sumpf der linken Gackerszene herausragen, und nicht auf Bärte, lange Haare, ungewöhnliche Hautfarbe oder körperliche Gebrechen. Und sie laufen meist verbal ab, selten so gewalttätig wie in der TUB gegen Langer. Eher, wenn der Hass gegen Schmitt kaum noch zu zügeln ist, mittels Aufforderung zum Gebrauch der Faust, wie Bierl in Ditfurths ÖkoLinX. Denn als gut erzogene Kleinbürgerpfeife mit sublimierten Trieben macht sich dieser Bläser zur Treibjagd kaum selbst die Finger dreckig.

Viel mehr können diese Möchtegernbolschewiken in einer relativ liberalen und rechtsstaatlich verfassten Gesellschaft auch gar nicht tun. Doch was würden sie machen, wenn sie könnten? Wenn sie die Macht hätten, im Besitz des Staatsapparats wären? (Als "Avantgarde der Arbeiterklasse"!) Würden sie dann nicht "die Sau rauslassen"? Vielleicht nicht so chaotisch wie die Skins, aber ordnungsgemäss wie die Nazis?

Der serbische Halbjude mit einschlägiger Erfahrung, Aleksander Tisma (Kapo) meint: "Nach meinem Weltgefühl ist der Mensch ein sehr niedriges Wesen. Und jede Manifestation seiner Niedrigkeit ist ein neues Detail, das uns das Bild vom Menschen vervollständigt" (taz 22. 10. 1997, S. 17). Er widerspricht damit der Einschätzung des von manchen Linken als Faschist bezeichneten Verhaltensforschers Eibl-Eibesfeldt, der einst in einem Interview in der FR behauptete, der Mensch sei "ein von Natur aus freundliches Wesen". Damit kann er nur Frau Ditfurth gemeint haben.

 

     Bin ich objektiv? - Ein kleiner Selbsttest    

 

Was uns die Psychologen und Biologen umständlich-wissenschaftlich zu erklären versucht, sind alte Volksweisheiten: dass "Liebe blind macht", dass "nicht sein kann, was nicht sein darf", dass es erstaunlich viele Leute gibt, die "ein Brett vor dem Kopf" haben, bei denen schnell "die Klappe runtergeht", die vom "Wunschdenken" geleitet, "voreingenommen", "auf einem Auge blind" und "vergesslich" sind und nur wahr haben wollen, was ihnen "in den Kram passt".

Natürlich sind nur die anderen blind, vergesslich, borniert und geistig behindert. Aber seien wir ehrlich (wenigstens gegen uns selbst, die anderen müssen´s ja nicht erfahren), besitzen wir nicht alle, wenn auch nicht so ausgeprägt wie Frau Ditfurth und trotz aller (relativen) Intelligenz, eine Art angeborener Neigung zur Dummheit? (Wir wissen doch: Klugheit und Intelligenz sind nicht dasselbe.) 

Stammesgeschichtlich gesehen, hat ein derart funktionierender psychischer Apparat, wie ich ihn zu beschreiben versucht habe, sicherlich einmal selbst-, gruppen- und arterhaltende Funktionen gehabt. Mit ihm konnten sich unsere Vorfahren in Millionen von Jahren in den relativ statischen Gesellschaften einerseits auf die Richtigkeit einmal erworbener und von Autoritäten vermittelter Erfahrungen einigermaßen verlassen und ersparten sich dabei andererseit die aufwendigen Bemühungen, immer wieder jedes praktische Handeln objektiv und kritische hinterfragen zu müssen. Das wäre sehr ineffizient gewesen. Mit diesem Apparat konnten sich unsere Vorfahren offenbar optimal durchwuseln, denn sonst gäbe es ihn (und uns) ja heute nicht. In der heutigen, sich rasant verändernden Welt wirkt dieser Apparat oft (oder meist?) disfunktional und sogar gefährlich, z. B. als Apparat zur Produktion von Ideologien mit Absolutheits- und Herrschaftsanspruch. Man sollte meinen, daß Leute, die Bücher schreiben wie Ditfurth, die zudem noch den Anschein von Wissenschaftlichkeit zu wecken suchen, sich von derartigen archaischen Triebstrukturen absetzen könnten.

Können wir das denn, liebe Leserinnen und Leser? Wie weit Ihr selbst dieser Neigung zu irrationaler und subjektiver Wahrnehmung und entsprechender Urteilsfindung unterliegt, könnt Ihr unverzüglich überprüfen. Ich möchte Euch einmal empfehlen zu erraten, welche der folgenden Zitate welchen Autoren zugeordnet werden könnten. Dem "Antisemiten" Gesell? Dem NS-Zins-Brecher Gottfried Feder? Dem ehemaligen SA-Funktionär Otto Strasser? Dem antisemitischen NS-Hetzblatt Der Stürmer beziehungsweise seinem Herausgeber Julius Streicher? Oder etwa dem werten Genossen Karl Marx? Nach anschliessender Kenntnisnahme der tatsächlichen Autoren solltet Ihr Euch fragen, 1. ob Ihr "das gedacht hättet"; 2. wenn nicht, warum nicht; 3. ob Ihr diese Zitate als Fakten akzeptieren oder 4. überprüfen wollt und 5. ob Ihr mich vielleicht für einen Nestbeschmutzer haltet. Also, los gehts:

1. "Welches ist der wirkliche Grund des Judentums? Das praktische Bedürfniss, der Eigennutz. / Welches ist der weltliche Kultus des Juden? Der Schacher. / Welches ist sein weltlicher Gott? Das Geld."

2. "Der Kapitalist weiss, dass alle Waren, wie lumpig sie immer aussehen oder wie schlecht sie immer riechen, im Glauben und in der Wahrheit Geld, innerlich beschnittene Juden sind, und zudem wundertätige Mittel, um aus Geld mehr Geld zu machen."

3. "Der Jude weiss, dass das Aufnehmen von Anleihen gleichbedeutend mit Schuldenmachen ist. Er weiss, dass er, der Jude, das Anleihegeld nur gibt, weil er dafür guten Zins erhält. Er weiss, dass durch die Übernahme der Goldanleihe der amerikanischen Juden das deutsche Volk in ewige Zinsknechtschaft gebracht wird."

4. "So finden wir, dass hinter jedem Tyrannen ein Jude, wie hinter jedem Papst ein Jesuit steht. Wahrlich, die Gelüste der Unterdrücker wären hoffnungslos, die Möglichkeiten von Kriegen unvorstellbar, gäbe es nicht eine Armee von Jesuiten, das Denken zu drosseln, und eine Handvoll Juden, die Taschen zu plündern."

5. "Die Juden sind die Fäulniserreger im Volksleben."

6. Wer benutzte folgendes Vokabular in Bezug auf Juden: das "Jüdchen", der "Itzig", "das Vieh", "wasserpolackischer Jude", "ein pfiffig aussehendes Jüdel"; behauptet, die Juden "vermehren sich wie Filzläuse"; und berichtet über einen Badeort: "Viele Juden und Flöhe hierselbst"?

7. "Es ist kein Zufall, dass der Christusverräter Judas heisst und dass dieser in der Vorstellung der Menschen und in der bildlichen Darstellung immer in der Fratze eines Juden erscheint. Der Hässlichkeit des Wesens, der Niedrigkeit der Seele entsprechen die teuflischen Züge des Gesichtes und der disharmonische Aufbau des Körpers." "Die Juden sind unser Unglück!" "Wenn aber irgendwo in Deutschland einmal ein Jude die Fresse verhauen bekommt, geht ein gewaltiger Sturm durch die ´deutsche´ Presse."

8. Der Autor folgender Zeilen wisse, dass die "Kopfbildung und der Haarwuchs" eines bestimmten Juden "von den Negern abstammt", und freut sich: "Der jüdische Nigger ... hat glücklich wieder 5000 Taler in einer falschen Spekulation verloren." Desweiteren versichert dieser Schreiber, dass er das neu erschienene Buch dieses "jüdischen Niggers", dessen "Zudringlichkeit ... niggerhaft" sei, nur lesen werde, wenn es "nicht nach Knoblauch duftet". Und dieser "Lazarus, der Aussätzige, ist .. der Urtyp des Juden ...".

9. "Sie gehen hier von einer rassenmäßigen Betrachtung aus, die ich von Grund auf für falsch halte. / Nach meiner Ansicht ist die Rasse nur das ursprüngliche Rohmaterial. Beim deutschen Volk z. B. waren es vier bis fünf verschiedene Rassen, die als Baumaterial dienten."

Nun, von wem stammen diese Zitate? Fangen wir mit den Nazis an: Das Zitat unter 3. ist aus Julius Streichers Stürmer (1924), das erste und dritte Zitat unter 7. ebenfalls Der Stürmer (14 / 1932), das zweite unter 7. steht in jeder von mir in Augenschein genommenen Ausgabe unten auf der ersten Seite des Stürmers. Das Zitat unter 5. ist von dem NS-Zinsideologen Gottfried Feder.[61] Das Zitat unter 9. ist von dem Nationalsozialisten Otto Strasser aus einem Streitgespräch mit Hitler 1930 [62]. Alle anderen Zitate sind von dem berühmten Kommunisten und Humanisten Karl Heinrich Marx, das unter 1. aus Zur Judenfrage [63], das unter 2. aus dem Kapital [64], das unter 4. aus einem anonym veröffentlichten englischsprachigen Zeitungsartikel [65]. Die Zitate unter 6. und 8. sind aus Briefen an Engels [66]. Mit "Itzig", "jüdischer Nigger" und "Lazarus, der Aussätzige" ist Marxens Konkurrent gemeint: der Gründer des Allgemeinen deutschen Arbeitervereins Ferdinand Lassalle. Aber auch andere, zum Beispiel seinen jüdischen Verleger Duncker, belegt er mit antisemitischem Vokabular.

Diese entzückenden Sprüche ihres grossen Meisters bilden offenbar die "marxistisch-humanistische" Vorlage für jenen Stil, den sich die Marx-Jünger Kurz und Ditfurth zu eigen gemacht haben, wenn Ditfurth den "prokapitalistischen, rassistischen Mittelständler Gesell" als "antisemitischen Eugeniker" denunziert und Kurz verhasste "Kleinbürger" als "behäbig grunzende fette Metzgermeister" anpöbelt. Es ist schon peinlich, dass sich ausgerechnet ein Obernazi, Otto Strasser, gegen den Rassismus wendet, während das linke "Jüdel" Marx in dem Zitat unter 4. eine wichtige Aussage aus dem NS-Film "Jud Süss" (ein Begriff, den laut Silberner [67] Marx ebenfalls verwendet) vorwegnimmt: ein Jude verschafft einem Fürsten einen Kredit. Interessanterweise wettert Marx auch ebenso wie Hitler gegen Jesuiten und "Freimaurerei" [68].

(Haben sie auch gut aufgepasst, die Ditfurths?: "das linke ´Jüdel´ Marx"! Nun haben sie es doch endlich schwarz auf weiss, dass Klaus Schmitt ein Antisemit ist!)

Zeigt mir, wo die Antisemiten sind!

Um zu klären, wer ein Antisemit ist, müssen wir wissen, was Antisemitismus ist. Silberner zitiert den Brockhaus (von 1966), wo Antisemitismus schlicht als "Abneigung oder Feindseligkeit gegen Juden" definiert wird. Wichtig ist zu unterscheiden, ob es sich um einen kulturhistorisch oder biologisch begründeten Antisemitismus handelt. Deshalb wichtig, weil es aus der Perspektive der biologistisch orientierten Rassisten nahe liegt, die "Judenfrage" durch "ethnische Säuberung", das heisst durch Vertreibung oder Ermordung der Juden zu "lösen". Vom historisch und kulturell begründeten Antisemitismus wird "nur" Erziehung oder - etwas anspruchsvoller - die Veränderung der ökonomischen Bedingungen und gesellschaftlichen Verhältnisse gefordert. Dieser nicht rassistisch begründete Antisemitismus ist daher zumindest kein Rassismus.

Bei Julius Streicher wie auch bei Gottfried Feder geht es bei der "Judenfrage" nicht um ein gesellschaftlich und historisch bedingtes Phänomen, sondern um ein biologisches: um die "Rasse", und zwar speziell um die jüdische bzw. semitische. Sie ignorieren den historischen und gesellschaftlichen Hintergrund, der zu den Geldgeschäften der Juden und zum "Schacher" geführt hat. Im Mittelalter war den Christen das Zinsnehmen verboten, den Juden nicht. Ausserdem war den Juden die Ausübung vieler gesellschaftlich und moralisch akzeptierter Berufe untersagt. Diese soziale Diskriminierung zwang sie also, in jenen Gewerben ihren Lebensunterhalt zu verdienen, die ihnen erlaubt und bei Christen verpönt waren. Dazu gehörte auch der Geldverleih gegen Zins. Das dürfte dazu geführt haben, dass zwar nur eine kleine Minderheit der Juden, aber überpropotional viele der Ethnie bzw. religiösen Gemeinschaft im einträglichen und Neid erregenden Geldgeschäft tätig waren. Zudem führten Zins und Zinswucher viele der meist christlichen Kreditnehmer in die Schuld- und Zinsknechtschaft, die nicht dem Geldsystem, sondern den Juden persönlich angelastet wurden. Der angebliche Verrat an (dem Juden!) Jesus und andere wahnhafte Beschuldigungen der Juden tat ihr Übriges. Dieser historische und gesellschaftliche Hintergrund wird von den biologisch orientierten Antisemiten nicht wahrgenommen. Das Finanzgebaren einer kleinen Minderheit von Juden als eine biologische Anlage der Semiten (zu denen auch die Araber gehören) zu interpretieren, ist jedoch absurd. Wie wollen die Antisemiten das beweisen? Durch genetische Tests? Die gesellschaftliche Lebenspraxis der riesigen Mehrheit der Juden in aller Welt beweisst das Gegenteil.

Ebenso absurd ist Feders Behauptung, die Juden seien die "Erfinder des Kreditwesens" [69]. Das lässt sich historisch widerlegen. Die ersten, die das Kreditsystem im ausgehenden Mittelalter in Deutschland zur Blüte brachten und sich gewaltig an Zins und Wucherzins bereicherten, waren die Christen und "Arier" Welser und Fugger. Die berüchtigsten Finanzkapitalisten zu Gesells Zeit waren die Christen und "Arier" Morgan und Rockefeller in den USA. Und nicht über einen jüdichen Bankier, sondern über Morgan wurde kritisch von einem Gesellianer berichtet [70]. Doch Beweise fruchten nicht bei Leuten, die nur sehen, was sie sehen wollen. Zu dieser leider weit verbreiteten Kategorie von Menschen zählen sowohl die Rassisten und Antisemiten, als auch Ditfurth & Co.

Wie sieht es bei Marx aus? Obwohl für Marx die "Judenfrage" zweifellos eine historische und gesellschaftliche Frage ist, zeigt er mit seinen feindseligen und wenig zimperlichen Bemerkungen zum Judentum ("Welches ist der weltliche Kultus des Juden? Der Schacher" etc.), dass er nach dem Brockhaus-Verständnis Antisemit ist. Das könnten wir - bei äusserstem Wohlwollen - noch als eine mehr oder weniger legitime Kulturkritik durchgehen lassen. Mit seiner gehässigen, rassistischen Kennzeichnung eines "jüdischen Niggers" durch "Kopfbildung und Haarwuchs" und der Degradierung von Juden zum "Vieh" zeigt er jedoch, dass er darüber hinaus - vorsichtig formuliert - auch nicht frei ist von rassisch motiviertem Antisemitismus und von Rassismus schlechthin. Er benutzt ähnliche und ebenso ekelhafte Formulierungen wie Julius Streichers Stürmer: "teuflische Züge", "in der Fratze des Juden" etc. und übertrifft damit manche Nazis. Und wie bei den Nazis, werden auch bei Marx, der sonst Gesellschaften in Klassen gliedert, alle Juden., auch die armen - also die ganze jüdische Ethnie - als Kapitalisten und Ausbeuter diffamiert (Silberner [71]). Damit wird - wie bei den Nazis - suggeriert, die Juden seien als Angehörige der "semitischen Rasse" ausnahmslos die eigentlichen Kapitalisten und Ausbeuter. Jeder andere als Marx wäre bedenkenlos als Rassist und Antisemit bezeichnet worden. Bemerkenswert, wie die Marxistin und stramme Kämpferin gegen Rassismus und Antisemitismus, Jutta Ditfurth, die in jedem Nicht-Marxisten Rassimus und Antisemitismus wittern, diesen Gestank bei ihrem "Chefideologen" Marx nicht wahrnimmt! (Immerhin hätten Marxens Hasstiraden Witz, meint Silberner, den wir bei Streicher und Ditfurth vermissen müssen.)

Wenn Gesell die damals verbreitete, aber einseitige [71a] Behauptung kolportiert: "Die Juden beschäftigen sich nun mit Vorliebe mit Geldgeschäften" (siehe S. 7), dann begründet er dieses Verhalten nicht biologisch-rassistisch; es resultiert eben aus den sozialökonomischen Bedingungen, unter denen die Juden zu leben gezwungen waren. Wie Marx, benutzt auch Gesell an dieser Stelle das Wort "Schacher", aber nicht in einem feindseligen, im Gegenteil: in einem solidarischen Zusammenhang. Er diffamiert die Juden nicht wegen des "Schachers" wie Marx, nicht einzelne Juden und nicht die jüdischen Gläubigen oder die ganze jüdische Kultur oder gar "Rasse". Und er benutzt das Wort "Adler", wo es nahegelegen hätte, von "Geiern" zu sprechen. Marx hätte sich diese Gelegenheit wohl kaum entgehen lassen. Gesell wirft ihnen auch nicht die "Zinsknechtschaft" vor wie die Nazis. Er nennt die "Vorrechte", die der Geldinhaber geniesst, nicht eine Angelegenheit der jüdischen "Rasse" oder auch nur Kultur, sondern (kursiv bei Gesell:) "eine Folge einer ungerechten Einrichtung": des "Münzwesens". Geht´s noch deutlicher? Und er nennt "das Geld eine öffentliche Einrichtung", der sich "jeder, wenn er dazu befähigt ist", bedienen kann. Aus dem selben Grund wirft er das Zinsnehmen auch nicht den christlichen oder "arischen" Bankiers oder Finanzkapitalisten vor. Folgerichtig fordert Gesell auch nicht die Veränderung der Menschen durch Erziehung oder Genmanipulation, oder die Zerstörung der jüdischen Kultur oder die Verteibung oder physische Vernichtung der Juden, um das Zinsproblem zu lösen, sondern die Veränderung des heutigen Geldsystems.

Dennoch und in Umkehr klarer Tatbestände nennen Ditfurth und ihre Fuzzis Gesell einen Antisemiten! Haben sie irgendwo auch nur eine einzige diskriminierende Äusserung gegen Juden - gegen die ganze Ethnie, gegen eine jüdische Gruppe oder einzelne Juden - (oder irgend eine andere Ethnie) bei Gesell gefunden? Oder gar ein antisemitisches Gossenvokabular, wie es Streicher, Feder und der Spassvogel Marx zu benutzen pflegten? Nur das Gegenteil hätten sie finden können - wenn sie denn gewollt hätten! - zum Beispiel, dass Gesell den Juden "grosse geistige Fähigkeiten" bescheinigt. Aber vielleicht ist das Rassismus. Dann aber ein freundlicher und kein feindseliger, also ein philosemitischer. Doch Philosemitismus ist das Gegenteil von Antisemitismus. Und wenn man Philosemitismus unbedingt als eine Art umgekehrten Rassismus bezeichnen will, dann ist das kein Rassismus, wie er oben definiert worden ist. Er ist eben nicht feindselig, sondern freundlich, bewundernd, wäre dann eine Art "Philorassismus", aber ohne Bevorzugung einer Rasse.

Gesell hat sich - offenbar als einer der wenigen Sozialisten! - schon im vorigen Jahrhundert vom Antisemitismus distanziert, als noch viele namhafte Sozialisten, darunter Proudhon und Bakunin, nicht frei von antisemitischen Tendenzen waren [72]. Die Übel des Zins erpressenden und Krisen verursachenden Geldsystems den Juden in die Schuhe zu schieben, die "Judenhetzerei", hielt Gesell, wie wir am Anfang dieser Abhandlung gelesen haben und was nur Böswillige, Schwachsinnige oder ideologisch total Verklemmte übersehen können, für "eine kolossale Ungerechtigkeit". Doch weder Gesells eindeutige und ausdrückliche Distanzierung von den Antisemiten, noch sein ökonomisches Lösungskonzept des Zinsproblems und des "Schachers" sind für Ditfurth ein Beweis gegen den Antisemitismus-Vorwurf. Er muss eben Antisemit sein, aus politischer und "revolutionärer" Notwendigkeit, und damit basta. Das mag amüsant sein, ist aber auch bedauerlich, fallen doch viele junge und unerfahrene, auch libertäre und antiautoritäre Linke auf diese unfundierten Hetztiraden dieser leninistisch-stalinistischen Fundamentalistin herein, im Vertrauen, dass eine Genosssin ihre eigenen Genossinen und Genossen nicht belügen würde. So erreicht sie genau das, was sie erreichen will: diese naiven Linken ignorieren Gesells libertäre Wirtschaftstheorie - zu ihrem eigenen Nachteil: sie vergeben sich wichtige Einsichten in ökonomische Zusammenhänge. Aber sie desertieren nicht von der roten Fahnen. Ich muss gestehen, auch ich alter Esel habe linke Texte bisher noch viel zu vertrauensselig gelesen. Wie kann man auch vermuten, dass es Subjekte - zudem noch linke - gibt, die so plump und ungeniert aus schwarz weiss und aus weiss schwarz machen? Ich bin jetzt vorsichtiger - dank Ditfurth.

Wer sind nun die tatsächlichen Antisemiten? Nach allgemeinem Verständnis nicht Gesell, wie Ditfurth behauptet, sondern hier Streicher, Feder und Marx, wie die Fakten belegen. Und die im Stile Marx´ und Streichers vorgetragene Hetze Ditfurths gegen Gesell darf man wohl - egal wie man zu seinen Theorien steht - ebenfalls "eine kolossale Ungerechtigkeit" nennen. Nach Ditfurths Gleichsetzung von Antisemiten mit Faschisten müsste der Antisemit Marx auch ein Faschist sein. Und nicht nur das: Marxens Antisemitismus unterstellt sie dem Kosmopoliten Gesell! Man stelle sich einmal vor, Gesell, Otani, Franz Alt oder wer auch immer hätte sich nur einen einzigen von Marxens schrillen Sprüchen - "Jüdche", "Itzig", "Vieh", "jüdischer Nigger" - erlaubt! Aber vielleicht wären sie dann nach Ditfurths "Dialektik" schon wieder Philosemiten.

 

    Der feine Duft des Marxismus    

 

Frau Ditfurth beklagt, die neuen Rechten "empfehlen ... den Bioregionalismus, nicht den Marxismus" (S.138). Wie hübsch sie das doch sagt. Frage: Was sollen die denn sonst empfehlen nach den Millionen Opfern des Kommunismus und der gigantischen ökonomischen Pleite der Marxisten? Waren es nicht die marxistisch orientierten Kommunisten, die den Sozialismus und Kommunismus diskreditiert und die Menschen immer wieder in die Arme der Rechten getrieben haben? In der UdSSR hat das kommunistische Experiment allein in den 19 Jahren von 1934 bis 1953 vorsichtig gerechnet 15 Millionen Menschen das Leben gekostet. Andere Autoren sprechen davon, dass in den 18 Jahren von 1935 bis ´53 sogar 35 Millionen ums Leben gekommen sind. Für Rot-China wird mit 44,5 bis 72 Millionen Toten gerechnet, und in dem ursprünglich rund 8 Millionen Einwohner zählendem Kambodscha sind in 4 Jahren 1,3 bis 2,3 Millionen verhungert und erschlagen, erschossen und zu Tode gefoltert worden [37a]. Hinzu kommen die Toten der okkupierten Satelitenländer. Diese Dimensionen hat nicht einmal der braune Massenmörder Hitler erreicht.

In ihrer Jungen Freiheit 40 / 1995 haben diese Rechten lieber einen sachgerechten Artikel über Gesell und das Wörgler Schwundgeld-Experiment gebracht [73]. Wäre das nicht auch was Lesenswertes für Ditfuths ÖkoLinX-LeserInnen? Es ist niemand weniger als die von den Nazis zum Tode verurteilte Sozialistin und Schriftstellerin Luise Rinser (Gefängnistagebuch, Den Wolf umarmen), die sich sehr positiv über dieses Experiment äussert und "allen" den - in der Tat! - guten Rat gibt, "sich mit der Wirtschaftslehre von Silvio Gesell zu beschäftigen" [74].

Doch Ditfurth und Genossen überlassen lieber alles Neue und Interessante - ins Besondere zur Zins- und Währungsfrage - den Rechten, die das gerne aufgreifen und damit den Linken schon 1933 die "Massen" weggeschnappt haben. Nur vom Marxismus wollen die Rechten nichts wissen, und die wissen auch - besser als viele Linke und manche Junganarchos - warum. So sehr es den neuen Rechten an Wahrnehmungsvermögen bezüglich des Nationalsozialismus fehlt (auf dem rechten Auge blind), haben sie doch eine feine Nase für den Duft des Marx´schen Kommunismus. Er duftet zwar nicht nach Knoblauch, jedoch nach Blut.

Über diese realisierte "Sackgassen-" und "Wahnidee"[75] urteilt der einst begeisterte und dennoch aus der sog. DDR zwangsausgebürgerte Liedermacher und Ex-Kommunist Wolf Biermann heute so: "Es sind die kommunistischen Ideale selbst, egal wie miserabel sie verwirklicht wurden, die mir als ein mörderischer Irrtum erscheinen. Die Verheissung einer globalen Idylle ist schon das Verbrechen. Wir waren blutige Narren und wollten mit Marx, Engels, Lenin und Stalin das Paradies auf dieser Erde herabzwingen, und das erwies sich als der direkte Weg in die allerschlimmste Hölle" [76]. (Vielleicht doch das "Reich des Bösen"?) Diese Ideale des kommunistischen Paradieses versuchen die übriggebliebenen Narren Ditfurth und Genossen zu retten, und dazu sind ihnen auch alle Mittel ihrer geistigen Opas recht.

Abschliessend sollte vielleicht noch vermerkt werden, dass alles, was ich über die menschliche Intelligenz gesagt habe, in den Wind geschossen ist, werden doch die, die sich über ihre eigene Beschränktheit Gedanken machen und ihre Vorurteile gegen Gesell und andere revidieren sollten, um sich fit zu machen für eine gescheite, "inhaltliche" und konstruktive Kritik, diesen Text sowieso nicht lesen. Warum nicht? Nun, das habe ich ja gerade dargelegt. Die Anderen wissen sowieso, was Sache ist. (Oder glauben es wenigstens zu wissen.)

 

 

Ende

 

 

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