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Vorwort von Werner Correll
zur deutschen Erstausgabe 1969

wikipedia  Werner_Correll  Prof., Psychologe, *1928 in Aalen bis 2018 (90)  Sterbejahr

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Bei der Lektüre dieses Buches fragt man sich unwillkürlich, was wohl B. F. Skinner, den berühmten Professor und Direktor des Psychologischen Instituts der Harvard-Universität, dazu veranlaßt haben mag, zur Abrundung seines außerordentlich fruchtbaren wissenschaftlichen Schaffens diese faszinierende Zukunftsvision zu schreiben.   wikipedia  Harvard_University

In der Tat ist es außerordentlich ungewöhnlich, daß ein der exakten Wissenschaft zugewandter Hochschullehrer die eventuelle Praktikabilität seiner wichtigsten Ideen in romanhafter Form vorlegt. Dennoch ging es Skinner nie lediglich um die bloße Erforschung der komplizierten Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten des menschlichen und tierischen Verhaltens, sondern er hatte immer schon die Anwendung seiner Erkenntnisse und Forschungs­methoden im Bereich einer neuen, an diesen Erkenntnissen orientierten, menschlichen Gesellschaftsordnung im Auge. 

Zwar gilt Skinner als der heute hervorragendste Vertreter der neuen verhaltenspsychologischen Forschung in der Welt, doch darf man darüber nicht vergessen, daß er sich immer schon auf das große Ziel einer Gesellschaftsordnung auf der Basis exakter Konfliktbewältigung mit allen nötigen sozial-psycholog­ischen und politischen Konsequenzen hinorientiert hat. 

Das zusammenfassende Ergebnis der sehr umfangreichen Forschungen und Überlegungen Skinners für die Konzeption einer solchen neuen Form des Zusammen­lebens der Menschen ist die vorliegende Fiktion <Futurum Zwei>. 

<Futurum Zwei> erschien in Amerika zuerst unter dem Titel <Walden Two> im Jahre 1948 und steht seither auf verschiedenen Bestsellerlisten. <Walden Two> bezeichnet im amerikanischen Original eine utopische Gemeinschaft, die durch die Prinzipien der Skinnerschen Verhaltenslehre zusammengehalten und verwaltet wird. 

Der Begriff <Walden> wurde von Skinner in Anlehnung an die berühmte Aufsatzsammlung seines großen Dichterlandsmanns Henry David Thoreau (1817-1862) gewählt, weil gerade in diesem Werk das Ideal eines naturverbundenen, einfachen Lebens geschildert wird, wobei bereits die erst später mit exakten wissenschaftlichen Methoden erforschten Gesetzmäßigkeiten des Zusammenlebens in einer dichterischen Vision vorweggenommen worden sind.

Einer breiteren Öffentlichkeit in Deutschland wurde Skinner als Vater des <Programmierten Lernens> und der <Lehrmaschine> bekannt. Auch bei diesen pädagogischen Maßnahmen geht es Skinner nicht allein um die Erforschung und Steigerung des Lern- und Lehrprozesses, sondern — ähnlich wie auch bei seiner verhaltenspsychologischen Grundkonzeption — um die praktische Anwendung des als richtig Erkannten. Tatsächlich ist das Programmierte Lernen und der Einsatz von technischen Lehr- und Lernmitteln geeignet, unser Schulsystem von Grund auf neu zu formen, denn angefangen von den Maßnahmen zur Vorschulerziehung (Programmiertes Lesen- und Schreibenlernen mit 3-5 Jahren*) bis hin zu Programmiertem Lernen auf der Hochschulebene (z. B. Programmierte Psychologie**) scheint sich das Programmierte Lernen als eine außerordentlich wirksame Lehrmethode zu bewähren. Außerdem setzt sich das Programmierte Lernen und das Lernen mit technischen Lehr- und Lernmitteln sehr schnell in der Wirtschaft und Industrie durch.

Die Hauptursache für diese Überlegenheit der Programmierten Unterweisung und der Lehrmaschinen ist zweifellos in der exakten psychologisch-pädagog­ischen Fundierung zu suchen: Skinner hatte schon 1938 in seinem sehr wichtigen Buch »The Behavior of Organisms« und 1953 in seinem vielgelesenen Buch »Science and Human Behavior« sowie in einer Reihe weiterer wichtiger Bücher und Aufsätze*** in einer außerordentlich großen Fülle von Experimenten nachgewiesen, daß der Schlüssel zum Verständnis und zur Formung des Verhaltens bei Mensch und Tier nicht das Pawlowsche Modell des »reaktiven« Konditionierens sei, sondern im Vorgang des sogenannten »operativen« Konditionierens zu suchen sei. Dabei geht Skinner nicht davon aus, daß eine Verhaltensäußerung immer durch einen bestimmten Reiz hervorgerufen werden müsse, sondern daß umgekehrt jedes geäußerte Verhalten dadurch habitualisiert werden kann, daß es »verstärkt« wird.

* vgl. LESELEITER, Westermann Verlag, Braunschweig 1968; TIPSI, Intertip AG, München, Josephspitalstraße 15, 1969 
** vgl. 3 Bände Programmierte Psychologie, Verlag Ludwig Auer, Donauwörth 1968-1970 
***
vgl. die repräsentative Sammlung von pädagogisch-psychologischen Aufsätzen in W. Correll (Herausgeber), Programmiertes Lernen und Lehrmaschinen, Westermann Verlag, 3. Auflage, Braunschweig 1968 — sowie W. Correll & B. F. Skinner, Denken und Lernen, Westermann Verlag, Braunschweig 1968

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Jede Verstärkung (reinforcement) bewirkt, wenn sie positiv ist, die Tendenz zur Wiederholung der vorausgegangenen Verhaltensform, während eine negative Verstärkung (negative reinforcement) ein Verlöschen der betreffenden Einstellung und Verhaltensform zur Folge hat. Durch eine systematische und kontrollierte Verabreichung von positiven und negativen Verstärkern an einen Organismus gelingt es in diesem Prozeß des operativen Konditionierens, so gut wie alle organisch möglichen Verhaltensformen, Einstellungen und Fertigkeiten aufzubauen und gegebenenfalls auch wieder abzubauen (zu extinguieren). 

Das Programmierte Lernen erscheint, von hier her betrachtet, als nichts anderes als eine konsequente Anwendung und Übertragung dieser grundsätzlichen Einsicht auf das menschliche Lernen. Wenn es gelingt, das zu lernende Verhalten (auch eine verbale Leistung ist Verhalten*) in seine Elemente aufzugliedern, dann läßt sich auch ein komplexes Verhaltensschema durch systematische Verstärkung der Detailleistungen vermitteln.

Wichtig dabei ist, daß Skinner früh genug erkannt hat, daß es dabei nicht auf eine kontinuierliche Verstärkung ankommt, sondern auf ein bestimmtes System der unterbrochenen, sogenannten variierenden Zeitintervalls­reaktions­quotenverstärkung**. Bei dieser Art der kontrollierten, unterbrochenen Verstärkung entsteht nicht nur eine optimale Konditionierung einer Verhaltensform, sondern gleichzeitig der Aufbau einer starken Motivation bzw. Interesse­haltung für das betreffende Leistungsgebiet. Ein Mensch, der in dieser Weise für seine Leistungen konsequent verstärkt wird, leistet nicht nur effektiv mehr, sondern er ist zu immer weiterem Tun motiviert und angeregt und empfindet die Ausführung seiner Leistungen in sich selbst befriedigend. 

Es ist deshalb nicht übertrieben, im Skinnerschen Sinne zu sagen, daß derjenige, der eine primär motivierte Einstellung zu seinen Tätigkeiten besitzt, gleichzeitig dadurch in unmittelbarer Nähe der Quelle seines privaten Glücks weilt — oder, anders ausgedrückt: wer das tun will, was er soll, hat den alten Gegensatz zwischen Pflicht und Neigung überwunden, weil er in der Tat sich selbst verstärken kann, während er aktiv ist und dabei primäre Motivationen befriedigt.

* vgl. B. F. Skinner, Verbal Behavior, 1957 
** vgl. W. Correll, Pädagogische Verhaltenspsychologie, 3. Auflage, München 1968, sowie Derselbe, Programmiertes Lernen und schöpferisches Denken, 4. Auflage, München 1969 und Derselbe, Einführung in die pädagogische Psychologie, 3. Auflage, Donauwörth 1969

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Skinner begnügte sich nicht mit der Demonstration dieser Erkenntnis an unzähligen Tierversuchen und auch an Humanexperimenten, sondern versucht nun — und das ist das eigentliche Anliegen des vorliegenden Buches <Futurum Zwei> — diese außerordentlich wichtige Erkenntnis auf das Zusammenleben der Menschen insgesamt zu übertragen. Er skizziert die Vision einer menschlichen Gemeinschaft, in der die einzelnen Menschen tatsächlich nicht, wie sonst fast unvermeidlich — unnötigerweise frustriert werden und dadurch Aggressionen ausbilden, sondern ein Optimum an Verstärkungen erfahren, indem sie aufgrund ihrer primären Motivationen primäre Erfolgserlebnisse erfahren. 

Man könnte diese Gemeinschaft in <Futurum Zwei> als eine »programmierte Gesellschaftsordnung« bezeichnen und dadurch auch gleichzeitig die möglichen Gefahren und Schrecknisse einer solchen, genau gesteuerten Art des Zusammenlebens der Menschen, vorwegahnen.

Man mag zu dieser Konzeption von <Futurum Zwei> im einzelnen stehen wie man will, wichtig bleibt doch, daß es sich um eine faszinierende futuristische Konzeption handelt, die auf nichts weniger gegründet ist als auf überaus exakte Prinzipien der modernen Verhaltenspsychologie. Ob <Futurum Zwei> tatsächlich das Bild der menschlichen Gesellschaft der Zukunft darstellt oder nicht, ist dabei wenig erheblich, erhalten wir doch hierdurch einen tiefen beglückenden oder auch erschreckenden Einblick in die Möglichkeiten der psychologischen und pädagogischen Technologie im Bereich der Soziologie und Politik.

Es ist dem Buch zu wünschen, daß es wie in Amerika, so auch in Deutschland viele Freunde und auch viele kritische Freunde finden möge, auf daß die Menschen Anregungen entnehmen können, wie sie ihre Gesellschaft der Zukunft - ihr <Futurum Zwei> - gestalten können und welche Irrwege sie sich dabei ersparen sollten.  

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Prof. Dr.  W. Correll  (1969)

 

 

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