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20.  Schluss: Zusammenfassung, Diskussion und Ausblick

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Ob wir die Erde genug lieben, daß wir sie nicht so ausnutzen, 
daß sie sich nicht mehr erholen kann, wird bestimmen, 
ob uns die Erde weiter erhält. (Schaffer, 1990, S.57)

 

Ziel des Schlußkapitels ist es, die Arbeit zu bilanzieren. Dabei wird in zehn kleinen Schritten vorgegangen: Zuerst wird ein kurzer Rückblick über den Untersuchungsgang gegeben (1). Überblicksartig werden noch einmal die wichtigsten Ergebnisse zusammengefaßt (2). Anschließend erfolgt eine Diskussion der theoretisch postulierten Modelle (3), der methodisch anvisierten Datentriangulation (4) und der empirisch überprüften Thesen (5). Einige ausgewählte Interview-Zitate dienen noch einmal dazu, bestimmte Innenansichten der Befragten in Erinnerung zu rufen (6). Es folgen einige selbstkritische Anmerkungen (7) sowie Anregungen für die zukünftige Forschung (8). Am Ende wird über politische Perspektiven (9) und die Message dieser Arbeit nachgedacht (10).

(1)  Retrospektive 

Am Anfang des Endes gilt es, den zurückgelegten Untersuchungsgang noch einmal Revue passieren zu lassen: Ausgehend von der These, daß ohne die Ausbildung eines individuellen und kollektiven ökologischen Gewissens die gegenwärtige, globale ökologische Krise zu einer ökologischen Katastrophe führt, wurden zwei Forschungsfragen gestellt (Kap. 1): "Warum zerstören wir wider besseres Wissen unsere natürlichen Lebensgrundlagen?" (theoretische Außenansichten) und "Wie erleben und verarbeiten Kinder und Jugendliche die Umwelt-zerstörung?" (empirische Innenansichten). 

Auf der Suche nach Antworten auf die erste Frage wurden schwerpunktmäßig Beiträge aus folgenden Wissenschaften berücksichtigt: Biologie (Tschumi), Ökonomie (Wicke), Soziologie (Luhmann), Pädagogik (de Haan), Psychologie (Roszak), Philosophie (von Hösle) und Theologie (Drewermann). Der Vergleich der einzelnen Ansätze offenbarte Gemeinsamkeiten und Unterschiede (Kap. 2). Als nächstes wurde die Idee des Gewissens, die in der Menschheitsgeschichte eine lange Tradition vorzuweisen hat, aus philosophisch-theologischer, politisch-juristischer und psychologisch-pädagogischer Perspektive analysiert (Kap. 3).  

Nach dieser Begriffsbestimmung der beiden Komponenten des Titels der Arbeit wurde die Beziehung von Kindern und Jugendlichen zur Ökologie philosophisch, medizinisch, psychologisch und pädagogisch thematisiert und auf Basis aktueller Studien aus Wissenschaft und Wirtschaft der Versuch einer Einordnung der "Jugend von heute" im Vergleich zu früheren Generationen unternommen (Kap. 4). Der Forschungsstand zur Frage ökologischen Erlebens und Handelns wurde in Ermangelung einer allseits anerkannten Super-Theorie mit Hilfe einiger einschlägiger, ausgewählter Arbeiten (Schahn/Giesinger, de Haan/Kuckartz, Hoff/Lecher, Szagun, Preuss und Petri) beschrieben. Die kritische Würdigung der Ansätze führte zur Ableitung von zehn Forschungsthesen (Kap. 5). Die Bilanzierung der theoretischen Situation führte zum Postulat einer erweiterten Sicht. Erarbeitet wurde ein Drei-Komponeten-Modell des ökologischen Gewissens, das auf den philosophischen Prinzipien der Angst (Anders), der Hoffnung (Bloch) und der Verantwortung (Jonas) beruht und ethisch mit der "Ehrfurcht vor dem Leben" nach Albert Schweitzer verglichen werden kann (Kap. 6).

Im zweiten Drittel der Arbeit standen die methodischen Zugangswege zum ökologischen Gewissen zur Diskussion. Einleitend ging es in einem wissenschafts­theoretischen Rundblick unter besonderer Berücksichtigung der Auffassungen von Carnap, Popper, Lakatos, Kuhn und Feyerabend darum, eine Orientierung hinsichtlich der Möglichkeiten und Grenzen von Wissenschaft zu erhalten (Kap. 7). Unter Inspiration des Vorgehens in der Patchwork-Kunst wurden folgende forschungsleitende Maximen im Sinne einer Patchwork-Methodik aufgestellt: Science with the people, wissenschaftstheoretischer Pluralismus, multimethodale Forschungs­strategien, Vielfalt der Untersuchungsteilnehmer, Veränderungsmessungen über die Zeit, kulturelle Kontext­ualisierungen sowie das Postulat der Selbstreflexion. Die geforderte Vielfalt der Methoden ermöglicht die Interpretation der Daten durch eine sog. Triangulation (Kap. 8).  

Die Patchwork-Stichprobe der vorliegenden Untersuchung umfaßt insgesamt 600 Personen. Die 20 Substichproben verteilen sich auf vier Teilgruppen nach den Kriterien der Nationalität (In- vs. Ausland) und des ökologischen Engagements in einer Umweltgruppe (aktiv vs. passiv). Die internationale Befragung wurde in Brasilien, Chile, Indien, Kanada, Madagaskar, Mali, Neuseeland, Taiwan, Thailand, der Ukraine und den USA in den Jahren 1994 und 1995 durchgeführt (Kap. 9). Neben schriftlichen und mündlichen (nur in Deutschland) Befragungen wurden auch noch weitere Erkenntnisquellen herangezogen, hierzu gehören u.a. Archivdaten seit 1985 aus der Langzeitbefragung des Projekts "Leben unter atomarer Bedrohung" (Boehnke, Petri u.a.) und Aktionsforschungs-Beobachtungen im Rahmen eines Greenpeace-Engagements. Die Absicherung der psychometrischen Qualität der Untersuchungsinstrumente schloß den methodischen Teil der Arbeit ab (Kap. 10).

Die letzten zehn Kapitel waren der Auswertung gewidmet: Nach Klärung der Auswertungs-strategien (Kap. 11) standen folgende Inhaltsbereiche im Mittelpunkt: Ökologisches Gewissen (Kap. 12), Lebensalter (Kap. 13), Entwicklung (Kap. 14), Geschlecht (Kap. 15), Engagement (Kap. 16), Kultur (Kap. 17), Zeitgeschichte (Kap. 18) und Biographie (Kap. 19). Die einzelnen Bereiche wurden nach Möglichkeit sowohl quantitativ als auch qualitativ ausgewertet. Für die quantitativen Analysen kamen die gängigen statistischen Verfahren zum Einsatz (Korrelations-, Regressions-, Varianz- und Faktoranalysen, T-Tests sowie deskriptive Statistik). Für die qualitative Auswertung wurden alle Interviews einzeln interpretiert. Die nomothetischen und ideographischen Forschungsphilosophien wurden dabei als gleichberechtigte Erkenntnisquellen angesehen. Eine zusätzliche Vergleichsmöglichkeit ergab sich aus der Quantifizierung qualitativer Daten aufgrund der Einschätzungen von unabhängigen Interview-Auswertern. Eine Zusammenfassung (Kap. 20) der wichtigsten Ergebnisse auf einen Blick enthält Abb. 107.

 

(2) Zusammenfassung der Ergebnisse

Die wichtigsten Ergebnisse ergeben sich aus den Kapiteln 2, 6 und 12-19. Alle anderen Kapitel bilden in diesem Sinne die Grundlage für die Ausführungen in den genannten Abschnitten. Nachfolgend einige Anmerkungen zu den jeweiligen Befunden.

 

Befund 1 basiert auf der Analyse von sieben beispielhaften Ansätzen der Auseinandersetzung mit der ökologischen Krise in sieben verschiedenen Disziplinen. Dabei stellte sich heraus, daß die Ursachen der Umweltzerstörung in vielfältiger, insgesamt jedoch auf recht ähnliche Art und Weise dargestellt werden, die als zwei Seiten einer Medaille beschrieben wurden. Auf der einen Seite geht es um direkte Maßnahmen zur Reduzierung der Umweltzerstörung (z.B. ein Verbot von FCKW), auf der anderen Seite um indirekte Maßnahmen, die den sog. subjektiven Faktor Mensch in seinem individuellen oder kollektiven Auftreten betreffen. Auf dieser Seite setzt die vorliegende Arbeit an.

Befund 2 ist als Ergebnis des gesamten Untersuchungsganges im theoretischen Teil der Arbeit anzusehen. Aufbauend auf der Annahme, daß ein Bewußtsein zur konstruktiven Bewältigung der ökologische Krise sowohl kogitive als auch emotionale Elemente enthalten muß, wurde ein Modell des ökologischen Gewissens entwickelt, das die Prinzipien der Angst, Hoffnung und Verantwortung umfaßt. Die Definition des ökologischen Gewissens als "Sensibilität für den Schutz der Natur" enthält in seiner nicht-anthropozentrischen Fassung den Schutz der Würde der Natur unabhängig vom Nutzen für den Menschen. Die definitorische Feinheit ist aber für die empirische Prüfung des Modells in der Praxis nicht entscheidend.

Befund 3 dokumentiert die empirische Bewährung des Modells in der Praxis. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß es sich nicht um eine klassische "Überprüfung" (z.B. in Form von Kausalanalysen mit LISREL) handelt, vielmehr begnügen wir uns mit der erfolgreichen Bestätigung von einfachen Zusammenhangs-Hypothesen in dem Sinne, daß ein ökologisches Gewissen eine bedeutsame Rolle bei der Beantwortung der Frage nach Bedingungen ökologischen Handelns zu spielen scheint. Auch die Tatsache, daß die in dieser Studie befragten Personen das Wort "Gewissen" in den Interviews insgesamt 33mal verwenden, ohne direkt auf den Begriff angesprochen worden zu sein, enthält eine gewisse Evidenz des Konzepts.

Befund 4 enthält entwicklungspsychologische Aussagen, obwohl die zugrundeliegenden Auswertungen nur auf Analysen im Quer- und nicht im Längsschnitt beruhen. Strengenommen bedarf die Klärung der Frage nach der Entwicklung des ökologische Gewissen im Lebenslauf jahrzehntelanger Beobachtungen einer großen Stichprobe. Dennoch sind die Ergebnisse bedeutsam: Zum einen zeigt der Blick auf die bisherige Forschung, daß Kindern im Vor- und Grundschulalter bestenfalls ein rudimentäres ökologisches Wissen zugetraut wird, über das ökologische Erleben in dieser Altersgruppe ist dagegen wenig bekannt. Zukünftig sollte den frühkindlichen Erlebniswelten mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden, denn bereits in dieser frühen Entwicklungsphase wird häufig ein Umweltengagement angelegt, das dann später zur Entfaltung kommt. 

Der Vergleich der jugendlichen Umweltaktivisten im Alter zwischen 12 und 29 Jahren deutet darauf hin, daß vor allem die jüngsten Befragten sich um die ökologische Zukunft die größten Gedanken machen. Der Befund, daß keine andere Stichprobe in der Untersuchung so viel Angst vor der Umweltzerstörung und so wenig Hoffnung hinsichtlich einer Lösung der ökologischen Krise erlebt wie die Greenteams, die sich "trotzdem" mit einer Hartnäckigkeit engagieren, wie sie auch unter älteren Umweltschützern nur selten zu finden ist, kann mit Worten von Albert Schweitzer kommentiert werden (Steffahn 1996, S.38):

"Im Jugendidealismus erschaut der Mensch die Wahrheit. In ihm besitzt er einen Reichtum, den er gegen nichts eintauschen soll. Es gelte nur, das weiche Eisen des Jugendidealismus zum Stahl des unverlierbaren Lebensidealismus zu härten. Wenn die Menschen das würden, was sie mit vierzehn Jahren sind, wie ganz anders wäre die Welt".

 

Befund 5 zeigt, wie schwierig es offenbar ist, den Jugendidealismus in das Erwachsenenleben mitzunehmen. Die Zunahme kritischer Lebensereignisse, die mit dem Erwachsenwerden einhergehen, könnte eine Erklärung dafür sein, warum das Thema Umwelt nach der Pubertät meist nicht mehr eine so zentrale Bedeutung im Leben der Befragten einnimmt, wie sie in der älteren Kindheit zu beobachten ist. Die entwicklungspsychologischen Annahmen reichen jedoch nicht aus, um die erdrutschartigen Einbrüche des politischen Interesses in der Stichprobe der Langzeitbefragten nachvollziehen zu können. Mit der Beendigung des "Kalten Krieges" ist für viele Befragte in den 90er Jahren offenbar der externe Auslöser verloren-gegangen, der noch zum massenhaften friedenspolitischen Engagement in den 80er-Jahren geführt hatte. In der Problemverschiebung weg von der Atomkriegsbedrohung hin auf die schleichende Umweltzerstörung, für die mehr oder weniger alle Menschen verantwortlich sind, einhergehend mit der Tatsache, daß das Feindbild nun im eigenen Spiegel zu suchen ist als daß es mit einfachen Dichotomien zu personifizieren ist, könnte möglicherweise eine Ursache für den Rückgang des Widerstandes gegen makrosoziale Bedrohungen liegen.

 

Befund 6 thematisiert ausdrücklich die Frage von geschlechtsspezifischen Unterschieden, die in der herkömmlichen Sozialforschung selten Gegenstand eingehender Diskussionen ist. Vielmehr wird das Geschlecht häufig zu einer Art "Störvariablen" degradiert, was wiederum vor dem Hintergrund mangelnder Erklärungen für entsprechende Unterschiede verständlich ist. Die vorliegende Untersuchung belegt ein ausgeprägteres ökologisches Gewissen von Mädchen bzw. Frauen gegenüber Jungen bzw. Männern sowohl quantitativ als auch qualitativ. Ergänzend kommt hinzu, daß dieser Befund tendentiell für alle Altersklassen gilt, die in der Untersuchung erfaßt wurden. 

Die Interpretation von Szagun (1994), die ebenfalls gravierende Geschlechtsunterschiede in ihrer Studie zu verzeichnen hat, nach der Umweltbewußtsein eine Form von prosozialem Verhalten darstellt, das bei Mädchen bzw. Frauen "sowieso" viel höher ausgeprägt sei, kann nur bedingt befriedigen. Sicherlich spielen Sozialisationsfaktoren auch bei der Entwicklung eines ökologisches Gewissens eine überragende Rolle, wie z.B. die Umwelt-erziehung im Kindergarten mit der Teilnahme an den Kinder-Umwelt-Camps zeigt, aus der schon so manches Greenteam hervorgegangen ist. 

Dennoch weist die in den Interviews zum Ausdruck kommende enge Verbindung von allgemein als negativ beurteilten globalen Zukunftserwartungen mit der Frage nach eigenen Kindern bei gleichzeitig wesentlich höherer Affinität des Kinderwunsches bei den weiblichen Befragten darauf hin, daß der biologische Geschlechtsunterschied, der sich aus der Gebärfähigkeit der Frau ergibt, in diesem Zusammenhang nicht geringgeschätzt werden sollte. Solange die Vaterschaft in unserer Gesellschaft nicht allgemein aufgewertet wird (zum Beispiel durch eine häufigere Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubs von Männern), kann jedenfalls davon ausgegangen werden, daß Frauen sich um das Wohl von Kindern wesentlich intensiver kümmern als Männer, sei es nun "von Natur aus" oder weil sie von der Gesellschaft in diese Rolle "gedrängt" werden. Ein Blick in die Mythologie (Mutter Erde als Göttin Gaia) unterstreicht die seit Menschheitsgedenken größere ökologische Affinität der Frau. Die Frage, welche ökopädagogischen Schlußfolgerungen aus den Erkenntnissen gezogen werden können, kann unter Einbeziehung des zehnten Hauptbefundes erörtert werden.

 

Befund 7 basiert zwar auf rein quantitativen (regressionsanalytischen) Auswertungen, jedoch stellt die unter insgesamt etwa 100 Prädiktorvariablen sich als bedeutsamstes Konstrukt zur Vorhersage von ökologischem Engagement erwiesene Variable der "Verdrängung" eine Quantifizierung eines in den Interviews erhobenen Merkmals dar. Als Maß der Verdrängung wurde dabei die Differenz zwischen der kognitiven Einschätzung der Umweltgefährdung und der emotionalen Betroffenheit durch Umweltzerstörung berechnet. Wer die Umweltzerstörung also emotional kongruent im Verhältnis zur kognitiven Einschätzung der Situation verarbeitet, hat also in der vorliegenden Studie die besten Chancen, umweltaktiv zu werden. 

Hinzuweisen ist dabei, daß die überwiegende Mehrheit der Befragten von einer großen Gefährdung ausgeht (die Operationalisierung der Verdrängung im Falle einer völligen Verleugnung der Umweltzerstörung müßte neu überdacht werden!). Weiterhin verdient ein wesentliches Ergebnis aus dem Kapitel "Ökologie und Engagement" (Kap. 16) erwähnt zu werden: Die Differenzierung von politischem und persönlichem Umweltengagement (im Gegensatz zur erstgenannten Version kann die letztgenannte Form auch ausschließlich zuhause stattfinden) macht deutlich, daß es sich hierbei grundsätzlich um verschiedene Tätigkeiten zu handeln scheint, die nur in schwacher Weise zusammenhängen. Die bisherige Umweltbewußt-seinsforschung beschäftigt sich bisher fast ausschließlich mit privatem Umweltengagement.

Befund 8 könnte aus deutscher Sicht mit einem Song der weltbekannten Kult-Rockband "REM." kommentiert werden: "It’s the end of the world as we know it (and) feel fine". Obwohl immerhin 12 internationale Stichproben, die sich auf alle Kontinente verteilen und sowohl hinsichtlich ihrer sozioökonomischen als auch ihrer ökologischen Situation als sehr heterogen zu beurteilen sind, in die Studie einbezogen werden konnten, ist für die Ausprgung des Merkmals ökologischer Hoffnungslosigkeit - unabhängig davon, ob es sich um ökologisch engagierte Gruppen handelt oder nicht - der Unterschied zwischen den deutschen Befragten zu allen anderen Stichproben größer als die Unterschiede zwischen einzelnen Stichproben untereinander. Dabei geht jedoch die Erwartung einer ökologischen Katastrophe in absehbarer Zeit in Deutschland - von wenigen Ausnahmen einmal abgesehen - keineswegs mit einer labilen psychischen Gesundheit einher, wie es vielleicht vermutet werden könnte. 

Für das Konstrukt "Seelische Gesundheit" liegen leider nur wenige ausländische Vergleichsdaten vor, da die Skala im Gegensatz zur Skala "Ökologischer Hoffnungslosigkeit" nicht universell vergleichbar war, wie faktorisch-analytische Auswertungen gezeigt haben. Die Ergebnisse veranlassen zur Frage, ob es sich hierbei möglicherweise um eine spezifisch deutsche "Apfelbäumchen"-Mentalität (vgl. Schloemann 1994) handelt. Als praktische Antwort auf dieses Phänomen sei an den zitierten Aufsatz "Lächelt und rettet die Erde - oder: Die richtige Einstellung" einer jungen Öko-Aktivistin aus Australien erinnert, die auf den Zusammenhang von Glaubwürdigkeit, Ausstrahlung und Erfolg hingewiesen hat. 

Doch vielleicht liegt den Deutschen, die sich selbst manchmal gerne als der "Nation der Dichter und Denker" zugehörig sehen, das "positive Denken" nicht. So plädiert z.B. Horstmann (1985) für das Gefühl der Melancholie, einem Bewußtsein, das sich in der Atmosphäre des "Hotel Abgrund" immer noch wohler fühlt als bei der Konkurrenz des "Hilton Hybris". Vor einer Hybris im Sinne der Gefahr einer deutsch-grünen "Wiederüberlegenheit", diesmal in Umweltfragen, warnt Beck (1996).

 

Befund 9 schließt mit den Auswertungen der Nachwirkungen von Tschernobyl an den fünften Befund an, in dem persönliche Entwicklungen und historische Prozesse thematisiert wurden. Durch den Vergleich der Langzeitbefragten-Gruppe mit Diskussionserlebnissen in einer Berliner Gymnasial-Schulklasse am zehnten Jahrestag der Katastrophe gewinnt die "Zeitgeist"-These an Plausibilität. Die befragten Schuljugendlichen, die heute ungefähr so alt sind wie die Langzeitbefragten damals waren, erinnerten sich ebenfalls sehr intensiv an die mit Tschernobyl verbundenen Ängste, doch auch für diese Zeitgenossen spielen makrosoziale Besorgnisse im Alltagsleben nur eine marginale Rolle. 

Die Aktionsforschungs-Beobachtungen der Greenteams anläßlich der Weltklimakonferenz 1995 und der Automobilausstellungen in den Jahren 1994 und 1996 unterstützen die These eines allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Trends, nach dem politischer Widerstand in den 90er Jahren auf wenig Resonanz und Verständnis sowohl in der Politik als auch in der Bevölkerung stößt, so daß mit Schneider-Wilkes (1997) die Frage gestellt werden kann, ob die "demokratische Luft dünner" geworden ist? Mit den Aktions-forschungen wurde versucht, die alltäglichen Lebenswelten von Kindern mit der Welt der herrschenden Politik und Politiker zusammenzubringen. Dabei zeigte sich, wie weit diese Welten auseinanderliegen und welche Gefahr dieser Tatsache möglicherweise innewohnt.

 

Befund 10 bilanziert schließlich die Sonderstudie einer Extremgruppe von ökopolitischen "Hyper-Aktivisten", die auch als "politische Persönlichkeiten" im klassischen Sinne bezeichnet wurden, da sie sich in einer Art und Weise der Gemeinschaft verbunden fühlen, wie es in der Antike als selbstverständlich galt, heute jedoch eher Seltenheitswert hat. Hier konnte heraus-gearbeitet werden, daß die Befragten sich nicht nur der Gesellschaft, sondern vor allem auch ihrem Gewissen verpflichtet fühlen. Dabei findet das bereits in der Diskussion zum Thema "Ökologie und Geschlecht" angedachte Konzept der Androgynie, der Auffassung also, daß die spezifische Kombination sog. "männlicher" und "weiblicher" Eigenschaften die beste Voraussetzung für eine möglichst "vollkommene" Persönlichkeitsentwicklung darstellt, in eindrucksvoller Weise eine Bestätigung: So verfügten alle in der Untersuchung befragten Hyper-Aktivisten über ein sehr positives politisches Selbstkonzept und Selbstbewußtsein sowie über eine große ökologische Sensibilität und ein überdurchschnittlich ausgeprägtes Verantwortungsbewußtsein. 

Zu den "Schattenseiten" des politischen Engagements gehört die latente Burnout-Gefährdung, die bei einem Aktivisten manifest wurde, der ein halbes Jahr in einer Klinik verbringen mußte. Die Befragung des 70-jährigen Hyper-Aktivisten, der trotz seiner Behinderung (in Form eines vierten Herzschrittmachers) noch mit dem Greenpeace-Schlauchbooten auf den Meeren tourt, kann als - gewiß seltener - Beleg gewertet werden, daß ökologisches Engagement auch auf einem hohen Niveau kein Privileg der Jugend ist. Unter allen Befragten der Studie weist der letztgenannte Hyper-Aktivist das ausgeprägteste ökologische Gewissen auf, was bei ihm religiös begründet wird.

 

(3) Diskussion der Modelle

In der Zusammenfassung der Ergebnisse wurde mit den Befunden 2 und 3 eine Einschätzung des in der Arbeit theoretisch vorgestellten und empirisch geprüften Modells eines ökologischen Gewissens vorgenommen, die an dieser Stelle noch einmal vertieft werden soll. Wie bereits betont wurde, handelte es sich um keinen klassischen Modelltest, der in Anbetracht der großzügigen Anlage der Arbeit den Rahmen gesprengt hätte. Weitere Forschungen in dieser Richtung bieten sich an. Wichtiger scheint jedoch der Hinweis, daß die Ergebnisse darauf hindeuten, Theorie und Empirie separat zu durchdenken. 

Der Befund, daß das Modell in seiner Varianzaufklärung noch zu wünschen übrig läßt (auch wenn im Vergleich zu anderen Untersuchungen überdurchschnittliche Ergebnisse erreicht werden), muß nicht zu Lasten des theoretischen Modells gehen. Stattdessen ist z.B. die Operationalisierung des Prinzips Verantwortung zu hinterfragen. Anstelle der Messung des Prinzips mit Hilfe des Konstrukts "Umweltbewußtsein", das durch seine Integration nicht mehr separat mit dem Gesamtkonzept des ökologischen Gewissens vergleichbar ist, wäre auch eine qualitative Auswertung nach dem Vorbild der Theorie der ökologischen Verantwortung von Hoff (1995) denkbar. Auch haben die Interviews zum Prinzip Angst gezeigt, daß sich unter diesem Globalkonstrukt viel mehr verbirgt als quantitativ erfaßt wurde. Hinsichtlich der Zusammenhänge mit ökologischem Engagement hinterließ zwar das Prinzip Hoffnung den schwächsten Eindruck, doch gerade die spezifische Postulierung als "hoffnungslose Hoffnung" erwies sich gegenüber einer bloßen Hoffnung im Sinne von blinder Zuversicht oder einer absoluten Hoffnungslosigkeit ohne Hoffnung empirisch als überlegen. In Anbetracht der Tatsache, daß auch andere Drei-Komponenten-Modelle mit diesem besonderen Konstrukt ihre Probleme haben, können die theoretischen Überlegungen als sehr erfolgreich bezeichnet werden. Angst, Hoffnung und Verantwortung bilden eine "Troika", die nicht nur philosophisch vor allem dank Jonas (1979) als fundiert angesehen werden können, sondern auch empirisch zur Aufklärung von ökologischem Engagement beitragen. Ferner konnte die theoretisch bereits angedachte sprachliche Artikulation der drei Prinzipien (Wollen, Können und Sollen), die zusammengenommen im Modell des ökologischen Gewissens als ein "Müssen" im "Prinzip Trotz" zum Ausdruck kommen, mit Hilfe des qualitativen Datenmaterial recht deutlich belegt werden. Auch die individuelle Ohnmacht, die sich einstellt, wenn ein "Wollen" und "Sollen" sehr wirksam ist, aber das "Können" den einzelnen überfordert, findet sich in den Daten wieder, z.B. wenn eine junge Frau resigniert feststellt: "Du willst zwar die Erde retten, aber es klappt nicht" (vgl. Kap. 15.2). Das "Müssen" als Ruf des Gewissens kommt schließlich besonders deutlich bei den Hyper-Aktivisten zum Vorschein.

Mit der parallelen Betrachtung des Modells der ökologischen Persönlichkeit von Preuss (1992), das auf der Annahme einer Integration der ökologischen Rollen-Identitäten des Opfers, Retters und Täters beruht, konnte außerdem gezeigt werden, daß die beiden Modelle sich zwar unterscheiden, jedoch sinnvoll miteinander ergänzt werden können. So korreliert ökologische Persönlichkeit mit ökologischem Gewissen und die Wahrscheinlichkeit einer Integration aller drei Identitäten wächst unter Umwelt-Aktivisten mit zunehmendem Alter. Empirisch ist allerdings darauf hinzuweisen, daß die theoretisch für besonders anspruchsvoll gehaltene Übernahme einer selbstkritischen Täter-Identität sich in der Praxis unter Umständen als kontraproduktiv erweisen kann, wenn es darum geht, ökopolitisch aktiv zu werden.

 

(4) Diskussion der Methodentriangulation

 

Als ein zentraler Leitgedanke der sog. Patchwork-Methodik wurde die Strategie eines multmethodischen Forschungsdesigns vorgestellt. Grundidee des Konzepts der Methoden-triangulation nach Denzin (1978) ist die Möglichkeit, quantitatives und qualitatives Datenmaterial als gleichberechtigt anzusehen und erweiterte Interpretations-Spielräume zu schaffen. Danach können Ergebnisse kongruent (übereinstimmend), divergent (voneinander abweichend) oder komplementär (sich ergänzend) ausfallen. Im Lauf der Auswertungen kam es zu einigen Analysen von Gegenstandsbereichen mit Hilfe unterschiedlicher Datenquellen. Nachfolgend wird das Konzept der Methodentriangulation hinsichtlich der Ergebnisse dieser Arbeit bilanziert, indem jeweils für eine der drei Interpretationsmöglichkeiten plädiert wird.

In seiner klassischen oder konservativen Form (nach Denzin 1978) dient die Triangulation zur Erhöhung der Validität und zur Überprüfung von Hypothesen. Dieses Ziel wird erreicht, wenn die Ergebnisse kongruent ausfallen. Aus der vorliegenden Untersuchung lassen sich hierfür vier Beispiele anführen. In Kap. 13 ("Ökologie und Lebensalter") offenbart die Interpretation der Interviews, daß sich keine andere Stichprobe so viele Gedanken und Sorgen um die Umwelt-zerstörung macht wie die der Greenteams von Greenpeace. Die Auswertung der Fragebogen bestätigt diesen Befund mit Hilfe varianzanalytischer Auswertungen der Skalen zu den Prinzipien der Angst und Hoffnung. Eine zusätzliche Bekräftigung erhält der Befund auch noch durch die Aktionsforschungsergebnisse. In Kap. 14 ("Ökologie und Entwicklung") läßt sich bei Personen, die innerhalb des Befragungsjahres in den Interviews aufgrund von Veränderungen der Lebenssituationen, z.B. durch einen Umzug, eine veränderte Sicht der stadtökologischen Situation artikulieren, auch quantitativ ein spunghaftes Ansteigen des Umweltbewußtseins nachweisen. In Kap. 15 ("Ökologie und Geschlecht") tritt der Befund von Geschlechts-unterschieden in der kognitiven Einschätzung der Umweltzerstörung sowohl qualitativ als auch quantitativ auffällig zutage. In Kap. 18 schließlich ("Ökologie und Zeitgeschichte") findet der aufgrund der Fragebogenergebnisse über zehn Jahre festzustellende Rückgang der Besorgnisse vor einem atomaren Unfall im Jahre 1995 unter das Ausgangsniveau von 1985 (also noch vor Tschernobyl) in den Interviews seinen Ausdruck in Statements, die darauf hinweisen, daß die Gefahr eines "Super-GAU" heute praktisch ausgeblendet wird, prototypisch in dem Zitat: "Tschernobyl, mein Gott, es ist einfach schon wieder weg, als wäre es nie passiert". 

 

In einer alternativen oder postmodernen Form stellt die Methodentriangulation vor allem eine Strategie zur adäquateren Erfassung des untersuchten Gegenstandes dar (vgl. Lamnek 1988). In diesem Sinne werden komplementäre oder divergente Ergebnisse nicht nur als wahr-scheinlich, sondern auch als willkommen angesehen, da sie zu einer Modifikation von Modellen und der Entwicklung neuer Erklärungszusammenhänge führen können. Auch für diese Interpretationsrichtungen lassen sich aus den vorliegenden Befunden vier Beispiele anführen.

In Kap. 11 und 12 ("Eingangsbefunde" und "Ökologisches Gewissen") zeigen die Ergebnisse der Schlüsselvariablen zu den Prinzipien Angst und Hoffnung, daß sich die qualitativen und quantitativen Meßmodelle ergänzen. So korrelieren ökologische Besorgnisse (im Fragebogen) mit emotionaler Betroffenheit (im Interview) zu .49, ökologische Hoffnungslosigkeit im Fragebogen geht mit ökologischer Hoffnungslosigkeit im Interview zu .39 einher, beide Ergebnisse sind hochsignifikant (p < 0.01). Keine oder sogar gegenläufige Zusammenhänge gibt es zwischen ökologischem Gewissen, wie es quantitativ zur Operationalisierung des Gesamtmodells erfaßt wurde, und der sprachlichen Verwendung des Gewissensbegriffs. Von ihrem (schlechten) "Gewissen" sprechen eher die ökologisch nicht engagierten Befragten in der Stichprobe. Ein Modell, das ökologisches Gewissen über die Häufigkeit der Benutzung des Wortes "Gewissen" definiert, würde also in einem divergenten Verhältnis zu dem in dieser Arbeit postulierten Modell stehen.

Insgesamt wurden die Ergebnisse in diesem Kapitel als komplementär interpretiert, da die weit verbreitete Existenz des Wortes im Sprachschatz der Befragten als Bestätigung für das Vorhandenseins eines Gewissens angesehen werden kann, wie es seit Jahrtausenden von Menschen als innere Stimme erlebt wird. In Kap. 15 ("Ökologie und Geschlecht") treten nicht nur kongruente, sondern auch komplementäre, wenn nicht sogar divergente Ergebnisse auf. So wurden auffällige Geschlechtsunterschiede in der emotionalen Betroffenheit zwar aufgrund der qualitativen Daten konstatiert, sie ließen sich jedoch quantitativ aufgrund von T-Tests nicht bestätigen. Dabei ging die Tendenz der Interpretation eher in Richtung Komplementariät als in Richtung Divergenz, da die zugrundeliegende relativ kleine Stichprobe signifikante Ergebnisse nicht unbedingt erwarten ließ und gegenläufige Tendenzen (stärkere emotionale Beteiligung bei den männlichen Befragten) nicht zu erkennen waren. Auch in Kap. 19 ("Ökologie und Biographie") stellt sich die Frage nach komplementären und divergenten Ergebnissen, auch hier kann insgesamt für eine komplementäre Interpretation plädiert werden. Divergente Befunde, die sich beim Merkmal "Lebenssinn" zeigen (im Gegensatz zu den Interviews könnte aufgrund der Fragebogen bezweifelt werden, daß die Hyper-Aktivisten einen Sinn in ihrem Leben sehen), können dabei zu einem Nachdenken über die Meßinstrumente veranlassen. Die gewählten Methoden ergänzen sich insofern vorzüglich, als daß ohne die Interviews keine vertiefende Informationen über die biographische Entwicklung und die Burnout-Gefährdung vorliegen würden. Die Fragebogen enthalten dagegen detaillierte Daten über Wertpräferenzen und die im Vergleich zu allen anderen Befragten ausgesprochen stabile psychische Grundkonstitution der Aktivisten.

Die Diskussion unterstützt die These von Erzberger (1995), daß alle Ergebniskombinationen in einem einzigen Projekt auftreten können, was sich noch eimal auf der Aggregatebene des Einzelfalls verdeutlichen läßt. Hier bieten sich diverse Beispiele an: Ausdruck von Kongruenz ist es, wenn eine junge Frau im Interview erklärt, "keinerlei Hoffnungen" mehr hinsichtlich einer Abwendung der ökologischen Katastrophe zu haben und die Auswertung der Fragebogen einen Extremwert für dieses Merkmal innerhalb der Stichprobe ergeben (vgl. Kap. 15.2). Ausdruck von Komplementarität ist es, wenn eine andere Frau aus Frust vor der Politik und den Politikern häuslichen Sachschaden anrichtet, wie den Interviews zu entnehmen ist, und im Fragebogen mehr Mißtrauen als alle anderen Befragten gegenüber den politischen Repräsentanten artikuliert (vgl. Kap. 15.2). Ausdruck von Divergenz ist es dagegen, wenn ein junger Mann im dritten Interview erklärt, daß es ihm nach seinem Rückzug aus der ökologischen Arbeit auch psychisch viel besser gehe, das Merkmal "Seelische Gesundheit" im dritten Fragebogen jedoch schwächer ausgeprägt ist als ein Jahr zuvor (Kap. 13.4). Alles in allem ermöglicht die Methodentriangulation eine Perspektivenvielfalt, die mit einer einzigen Methode undenkbar wäre. Unabhängig davon, ob die Methodentrangulation zur Validierung der Empirie oder zur Modifikation der Theorie eingesetzt wird, führt sie zu einer Belebung der Forschung und dient als Grundlage eingehender Auseinandersetzungen mit dem Gegenstand. 

 

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5  Diskussion der Thesen

 

In Kap. 5 (vgl. Abb. 7) wurden zehn Forschungsthesen aufgestellt, die sich aus den dort zur Diskussion gestellten Ansätzen zur Frage ökologischen Erlebens und Handelns ableiten ließen. Die Thesen hatten nicht nur die Funktion, Denkanstöße für die Entwicklung eines eigenen Modells zu geben, ihre empirische Bewährung sollte sich auch in der Untersuchung zeigen. Während der Auswertungen spielten die Thesen zwar stets im Hintergrund eine Rolle, eine bilanzierende Diskussion blieb jedoch bisher aus und soll an dieser Stelle nun erfolgen. Auch wenn zu einigen Fragen bereits explizit Stellung genommen wurden, wird noch einmal kurz auf alle zehn Thesen eingegangen.

These 1, die sog. "Aufklärungsthese", besagt: "Umweltwissen beeinflußt Umwelteinstellungen, welche wiederum einen Einfluß auf das Umweltverhalten haben". Kap. 16 hat gezeigt, daß diese These grundsätzlich kaum zu bezweifeln ist, der Einfluß aber insgesamt begrenzt bleibt. Dabei kann zum ersten Teil der These keine Aussage gemacht werden, da Umweltwissen in der vorliegenden Studie nicht erfaßt wurde. Die Frage, welche Einstellungen das Umweltverhalten beeinflussen, wurde bereits diskutiert. Das in dieser Arbeit vorgeschlagene Konstrukt des ökologischen Gewissens ist mit seinen starken emotionalen Elementen allerdings mehr als nur eine Einstellung.

These 2, die sog. "Kontrollthese", besagt: "Individuelle politische Kontrollüberzeugungen beeinflussen die Wahrscheinlichkeit von ökologischem Engagement.". Die zweite These, die wie die erste These vor allem in Kap. 16 geprüft wurde, kann ebenfalls nur einschränkend bejaht werden. Regressionsanalytisch ließ sich lediglich ein negativer Einfluß von externalen Kontroll­überzeugungen auf privates Umweltengagement nachweisen. Zur "Ehrenrettung" dieser These bieten sich jedoch die Befunde aus Kap. 19 an. Auf der Basis rein deskriptiver Statistik zeigte sich, daß besonders engagierte Personen tendentiell zu internalen Kontroll-überzeugungen neigen, externale und fatalistische Überzeugungen dagegen meist entschieden ablehnen.

These 3, die sog. Verantwortungsthese", besagt: "Ökologisches Engagement ist abhängig von der Frage, ob sich Personen zum Handeln verpflichtet fühlen." Die dritte These läßt sich aufgrund der Auswertungen prinzipiell bejahen, auch wenn quantitative Belege im engeren Sinne fehlen. Das "Prinzip Verantwortung" kann eine große Rolle spielen, wenn es darum geht, ob sich Menschen ökologisch verhalten. Allerdings ist Verantwortung nur eine Bedingung unter vielen, die für die Untersuchung von Umweltverhalten im Alltag vielleicht noch weniger zwingend notwendig zu sein scheint als für die Entscheidung eines politischen Engagements. Das Element der Verpflichtung, das auch für das ökologische Gewissen zentral ist, kommt besonders deutlich bei den hochengagierten Personen zum Ausdruck

These 4, die sog. "Diskrepanzthese", besagt: "Es bestehen intraindividuelle Diskrepanzen zwischen mikrosozialen und makrosozialen Besorgnissen sowie zwischen persönlichen und globalen Zukunftserwartungen." Die Auswertungen in Kap. 12 belegen die postulierten Diskrepanzen sowohl für das "Prinzip Angst" als auch für das "Prinzip Hoffnung" sehr deutlich. Hinsichtlich der Angst fallen die quantitativen und qualitativen Befunde allerdings leicht divergent aus: Landen mikrosoziale Besorgnisse in der entsprechenden Skala durchweg auf den hinteren Plätzen des Rankings, zeigen die Interviews, daß die meisten Befragten im Alltag sich weniger um die Umweltzerstörung als in ihrem persönlichen Lebensumfeld Sorgen machen. Nicht nur räumlich, auch zeitlich wird zwischen Nähe und Distanz unterschieden: Die überwiegende Mehrheit der in dieser Studie befragten Personen schätzt die globale Zukunft auf längere Sicht eher negativ, während die persönliche Zukunft überwiegend positiv beurteilt wird. Auch hier tragen die Interviews zu einer Differenzierung bzw. Erklärung bei: Viele Befragte können die katastrophalen Erwartungen leichter ertragen, weil sie aus der eigenen Lebensspanne verbannt werden.

 

These 5, die sog. "Entwicklungsthese", besagt: "Entwicklungspsychologisch ist ein ökologisches Bewußtsein schon im Grundschulalter zu erwarten, das sich mit Beginn der Pubertät verstärken kann, nach der Pubertät ist jedoch tendenziell mit einem Rückgang der Beschäftigung mit dem Thema zu rechnen." Kap. 13 widmete dieser Frage breiten Raum und führte zu einer grundsätzlichen Bestätigung bzw. zu einer Erweiterung: Schon vor dem Eintritt in die Schule können Kinder heutzutage nicht nur über ein beachtliches ökologisches Wissen, sondern auch über vielfältige emotionale Erfahrungen mit der Umweltzerstörung verfügen. Die Bedeutung der Übergangsphasen zwischen Kindheit und Jugend sowie zwischen Jugend und Erwachsenenalter konnte verdeutlicht werden.

 

These 6, die sog. "Geschlechtsthese", besagt: "Es sind geschlechtsgraduelle Unterschiede im Erleben der Umweltzerstörung zu erwarten: Mädchen bzw. Frauen nehmen die Umweltzerstörung intensiver wahr als Jungen bzw. Männer." Auch für diese These wurde ein eigenes Kapitel reserviert. Hervorzuheben ist, daß sich die Bestätigung der These nicht nur auf die emotionale Betroffenheit durch die Umweltzerstörung, sondern vor allem auf die kognitive Einschätzung der Gefährdung erstreckt. Mit anderen Worten: Grundsätzlich verdrängen beide Geschlechter die Umweltzerstörung in ähnlicher Art und Weise, die kognitiven und emotionalen Erlebniswelten scheinen jedoch bei Mädchen bzw. Frauen im Vergleich zu Jungen bzw. Männern eine größere Intensität zu besitzen.

 

These 7, die sog. "Emotionsthese", besagt: "Kinder und Jugendliche können in Abhängigkeit des kulturellen Kontextes die Umweltzerstörung emotional besonders intensiv erleben." Diese These enthält zwei wesentliche Aussagen. Zum einen ist davon auszugehen, daß bei Kindern und Jugendlichen im Vergleich zu Erwachsenen das emotionale Erleben intensiver ausfällt. Die vorliegende Studie enthält nicht nur eine Bestätigung dieser These, sie gibt darüberhinaus vertiefte Einblicke, wie intensiv dieses Erleben sich entwickeln kann (bis hin zu der Bereitschaft eines 14jährigen Jungen, den eigenen Tod dem Untergang der Natur vorzuziehen, vgl. Kap. 13.2). Zum anderen wird auf den kulturellen Kontext hingewiesen. Kap. 17 enthält Hinweise dafür, daß unsere Kultur in besonderem Maße für makrosoziale Bedrohungen aufgeschlossen zu sein scheint.

 

These 8, die sog. "Kongruenzthese", besagt: "Die ökologisch-kongruente Persönlichkeit ist in der Lage, hinsichtlich der Umweltzerstörung die Identitäten des Opfers, Täters und Retters in sich zu vereinen." Über das Modell von Preuss (1992) wurde bereits viel gesagt. Die Daten zeigen, daß selbst unter ökologisch engagierten Personen pro-ökologische Persönlichkeiten im Sinne des Modells die Ausnahme sind. Die nicht engagierten Befragten haben häufig vor allem Probleme damit, sich als Retter zu sehen. Eine ähnliche Abneigung konnte bei manchen Aktivisten beobachtet werden. Am ehesten wird die eigene ökologische Persönlichkeit mitsamt einer Retter-Identität meist von Menschen akzeptiert, die schon länger politisch aktiv sind (eine junge Frau liefert hierfür einen beispielhaften Kommentar mit den Worten: "Irgendwer muß es ja sein!", vgl. Kap. 14.1).

 

These 9, die sog. "Identitätsthese", besagt: "Anhaltende ökologische Besorgnisse können in eine ökologische Hoffnungslosigkeit münden, einhergehend mit einer Gefährdung der Identität und dem Verlust existentiell notwendiger Lebenskraft." Auch für diese These lassen sich eine Reihe von Belegen finden, obwohl es sich (noch?) nicht um ein Massenphänomen zu handeln scheint. Ökologische Besorgnisse sind in dieser Studie die Regel. Ökologische Hoffnungs-losigkeit ist in der deutschen Stichprobe etwa bei einem Drittel der Befragten zu konstatieren. Eine individuelle existentielle Gefährdung tritt in einigen Einzelfällen auf, wobei jedoch eine Trennung von mikrosozialen und makrosozialen Anteilen hypothetisch bleiben muß. Trotzdem: Allein die Tatsache, daß Suizidgedanken von einigen Jugendlichen, die überzufällig oft aus den Neuen Bundesländern stammen, im Zusammenhang mit dem Thema der Studie offen ausgesprochen werden, gibt zu denken. Die Innenansichten der Befragten unterstützen die These von Petri (1992) einer schleichenden Innenweltzerstörung. Suizidgedanken sind nur die Spitze eines Eisberges, die Flucht vor einer als bedrohlich erlebten Welt in die innere Emigration gestaltet sich auf vielfältige Art und Weise. Aus psychoanalytischer Perspektive geben die Daten sicherlich noch mehr her, als hier nur angedetet werden kann. Dennoch zeugt die Trotzhaltung vieler Befragter von einem großen individuellen Überlebenswillen.

These 10, die sog. "Engagiertenthese", besagt: "Ökologisch Engagierte unterscheiden sich von Nichtengagierten u.a. in einer geringeren Kluft zwischen Einstellungen und Verhalten." Die letzte These thematisiert potentielle Auffälligkeiten von Öko-Aktivisten. Insbesondere in Kap. 16 stand diese Frage im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Das Kapitel begann mit einer korrelativen Bestätigung der geringeren "Kluft" zwischen Einstellungen und Verhalten bei ökologisch Engagierten. Im Hinblick auf These 1 versprach das Verständnis dieses Personen-kreises Aufklärung über Voraussetungen eines entsprechenden Engagements. Als Charakteristika dieser Gruppe erwiesen sich nicht nur eine nicht verdrängende Grundhaltung, sondern auch eine gesundheitsbewußte Lebensweise - ein Hinweis auf den Zusammenhang von Ökologie und Lebensstil.

 

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(6) Ausgewählte Zitate

 

Wer sich einer endosoziologischen Perspektive verpflichtet fühlt, setzt sich mit der Innenwelt von Individuen auseinander, die die Gesellschaft betrachten. In diesem Fall ging es um meist junge Betrachter der ökologischen Krise. Ein solcher Ansatz nimmt jeden einzelnen Beitrag als Mosaikstein der Erkenntnis des Zusammenspiels von Individuum und Gesellschaft ernst. So lebt auch diese Arbeit von einem reichhaltigen Illustrationsmaterial, das hilfreich erscheint, um die komplexen Zusammenhänge verstehen zu können. Die Auswahl der Beiträge ist dabei stets ein subjektiver Prozeß, der abhängig ist von der Perspektive und dem Erkenntnis­interesse des Betrachters der Betrachter. Nachfolgend werden aus den Hunderten von Zitaten, die zum Verständnis der verschiedenen Lebenswelten herangezogen wurden, abschließend noch einmal einige wenige Reflektionen in Erinnerung gerufen, die aus der persönlichen Sicht des Forschers besonders bedeutsam sind.

 

Wenn man einmal die Gruppe der Greenteams ausklammert, standen nur vier Kindergruppen-Interviews zur Auswertung zur Verfügung. Trotz dieser vergleichsweise geringen Zahl sind gerade diese Interviews von herausragendem Wert, da es fast schon ein Konsens in unserer Gesellschaft zu sein scheint, daß Menschen in diesem jungen Alter zu dem Thema noch nichts zu sagen haben. Wie wir gesehen haben, ist das ein schwerer Irrtum. Aus den vielen Gedanken der Vor- und Grundschulkinder sollen zwei Bemerkungen herausgegriffen werden. Auf die Frage, warum die Kinder der Auffasung seien, daß gegen die Umwelt­verschmutzung etwas getan werden müsse, antwortet ein (vermutlich) fünfjähriges Kind: "Weil wir das wissen!" (A/393). 

Wissen und Handeln ist also in diesem Alter noch eine unzertrennbare Einheit. Unter den Grundschulgruppen bleibt insbesondere der sozial stark benachteiligte "Schülerladen" in Erinnerung. In einem Alter von sieben bis acht Jahren wird die Umweltzerstörung bereits als bittere Realität täglich erlebt und in düstersten Farben ausgemalt. Der Vorstellung eines Mädchens, daß´die Erde "geklaut", "ins Herz gepikt" und "durchgeschnitten wird wie eine Torte" (C/666ff.), symbolisiert vielleicht deutlicher als alle anderen Beträge den Identitätsverlust, den eine "vergiftete Kindheit" mit sich bringen kann.

 

Das Thema Einsamkeit kann auch in vielen Aussagen von Greenteamkindern wahrgenommen werden. Dabei sind es vor allem die Mädchen, die sich bereits entsprechend artikulieren können. Prototypisch für den emotionalen Umgang von Jungen, die sich in der älteren Kindheit um die Umweltzerstörung Gedanken machen, ist die Ein-Wort-Antwort eines Zwölfjährigen: "Notruf!" (K/428). Wie dieser Notruf aussieht, schildert ein 13jähriges Mädchen: "Also ich könnte jetzt hier an der Bushaltestelle ewig stehenbleiben und die anderen würden trotzdem jeden Tag zur Arbeit gehen" (S/339). 

Viele Kinder fühlen sich schlichtweg verlassen, vor allem von ihren Eltern, wie ein 14jähriges Mädchen deutlich macht: "Die Eltern kann man vergessen, die Kinder haben sozusagen die Verantwortung für die Eltern auch mit" (F/573). Große Angst erlebt dieses Mädchen davor, "daß sich kein Mensch drum schert" (F/515). Der Grund für die Angst vor der Ignoranz liegt in einer Tatsache, die ein 13jähriges Mädchen erkennt und mit folgenden Worten beschreibt: "Kinder können irgendwie noch nicht so viel tun, weil irgendwie ihre Stimmen zählen noch nicht" (G/183). 

Trotz ihres noch jungen Alters versuchen die Kinder in ihren Greenteams, sich politisch zu artikulieren, doch sie werden häufig bitter enttäuscht. Daß diese Frustrationen ihre Spuren in der kindlichen Seele hinterlassen, ist offensichtlich. Besonders deutlich wird das Ergebnis derartiger politischer Sozialisationsprozesse in dem Fazit eines 13jährigen Mädchens nach ihren intensiven Aktivitäten während der Klimakonferenz (incl. eines Fernsehauftritts): "Manchmal fällt mir gar nicht mehr so ein, was jetzt so genau der Sinn des Lebens ist" (N/521).

 

Eine dritte Subgruppe unter den Umweltaktivisten regt nachhaltig zum Nachdenken an, gemeint sind einige Männer im jungen Erwachsenenalter, die sich bereits Gedanken um ihre Nachkommenschaft machen. Ein Mann hat "Angst vor dem Moment, daß mich in 20 Jahren meine Kinder fragen könnten, was hast du dagegen getan, daß wir keine Wälder mehr haben?" (P/254). In der Tat können wir dann nicht behaupten, wir hätten von nichts gewußt. Doch ein junger Vater bekennt, pragmatischer denken zu müssen. Er nimmt die Umweltzerstörung zwar wahr und versucht, sich zu engagieren, doch ist bemüht, seine Gefühle zu beherrschen: "Ich denk’ mir, meine Kinder und meine Frau, meine Familie, die brauchen keinen Vater, der handlungsunfähig ist" (R/129). Ein dritter Mann im Alter zwischen 20 und 30 Jahren stellt dagegen sein Engagement radikal in Frage mit den Worten: "Es gibt auch einen Ansatz, der sagt, wenn wir Umweltschutz betreiben, dann verlängern wir das Leiden, was danach kommt" (J/56).

 

Auch unter den nicht ökologisch Aktiven gibt es einige kleine Subgruppen, deren Haltungen der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten. Aus dem Rahmen fallen die beiden als "Anarchisten" beschriebenen jungen Männer. Ihre Antwort auf den Status Quo fällt sehr unterschiedlich aus. Während der eine in die Offensive geht und eine Machtergreifung zum Wohle der Menschheit anstrebt ("ganz viele irgendwie befreite Menschen, die unter’m Regenbogen tanzen und Tee trinken", y/196), hat sich der andere ins Ausland zurückgezogen und träumt von einem pazifistischen Anarchismus. Für ihn löst der Gedanke an die Explosion eines Atomkraftwerks "einfach Alpträume aus" (w/385), er fühlt sich mit seinen Sorgen um die Zukunft im gegenwärtigen System "völlig machtlos" (w/367). Den Wahlakt erlebt er wie den Wurf eines Steines ins Meer. Beide Beispiele offenbaren Extremvarianten von individuellen Reaktionen auf die kollektive Krise unserer Kultur.

Als ein zentrales Muster des Umgangs mit der ökologischen Krise wurde gesellschaftlich und individuell die sog. Verdrängung bezeichnet. Sie wird auffällig häufig von Menschen am Beginn ihres Erwachsenenlebens ausgesprochen. Eine 18jährige junge Frau meint dazu: "In meinem Alter verdränge ich’s halt irgendwie" (j/254). Eine 19jährige Frau sagt: "Ich möchte auch nicht in meinem Alter schon so negativ sein" (n/117). Die Aufbruchsstimmung in diesem Alter ist verständlich. Doch was verdrängt wird, löst sich nicht in Luft auf. Eine andere junge Frau im Alter von 21 Jahren, die in den ersten beiden Interviews einen vergleichsweise unbesorgten Eindruck hinterlassen hat, sieht die Welt nach einem Umzug plötzlich mit anderen Augen: "Jetzt kommt’s langsam auf mich zurück, also ich bin jetzt langsam auch ein Opfer von dem, was ich selber mitverbreche vielleicht den ganzen Tag" (q/547). Die Befragte hat bei sich "eine Liebe" für ihre Umwelt entdeckt, "ein Bewußtsein, was in mir immer mehr wächst" (q/518). Auch eine andere 20jährige Frau, die in dem Bewußtsein eines Lebensstandards lebt, der "eigentlich unter aller Sau" sei, versucht, "Mutter Erde zu lieben" (a/35). Die Beispiele zeigen, daß Verdängung kein Schicksal ist, vielmehr liegt ein ökologisches Gewissen, eine Ehrfurcht vor dem Leben, oft nur verborgen.

 

Als letztes Beispiel individueller Reaktionen auf die Krise sei an drei etwas ältere Befragte aus der Interview-Stichprobe erinnert, die nicht zur Verdrängung neigen. Eine 23jährige Frau führt dazu aus: "Es gibt ja auch soviele, die können das einfach abspalten, ich kann das nicht (...) das hat auf jeden Fall auch auf mein Seelenleben total den Einfluß" (f/151). Eine 26jährige Frau, die die Umweltzerstörung ähnlich sensibel wahrnimmt, vergleicht im Nachgespräch ihre Angst vor der Zukunft mit einer "Querschnittslähmung" (r/705). Daß für ein politisches Engagement in einem solchen Zustand die Widerstandskräfte fehlen, scheint verständlich. Das "Prinzip Trotz" ist in dieser Gruppe jedenfalls selten zu finden. Tritt es dennoch in Erscheinung, sind die Begründungen zu beachten, die zum Handeln verpflichten. Eine 26jährige politische Langzeit-Aktivistin drückt es so aus: "Man ist irgendwie intelligent und müßte eigentlich auch danach handeln und irgendwie auch ein bißchen am Ball bleiben, nicht einfach nur wissen, wie es richtig wäre" (b/743).

 

An dieser Stelle schließen wir den exkursartigen Blick in die Daten ab. Das für ein Schluß-kapitel sicherlich ungewöhnliche nochmalige Abtauchen in die Innenwelt der Befragten verdeutlicht die facettenreiche Repräsentation der ökologischen Krise auf der individuellen Ebene. Gegenstand des Einführungskapitel waren demgegenüber die gesellschaftlichen Reaktionen auf die Krise. Bevor wir einige inhaltliche Konsequenzen aus den Ergebnissen ziehen wollen, sei eine kurze Bilanzierung der eigenen Untersuchung vorangestellt. Die wissenschaftliche Bestandsaufnahme dient als Ausgangspunkt für die Ableitung gesellschafts-politischer Implikationen.

 

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7 Selbstkritische Anmerkungen

 

Im folgenden Abschnitt wird nacheinander der theoretische, methodische und empirische Teil der Untersuchung kritisch reflektiert. Die Anmerkungen, die auch für zukünftige Forschungen aufschlußreich sind, enden mit der Reaktion auf eine Kritik, die sich aus allen drei Teilbereichen der Arbeit ergibt und die es grundsätzlich zu bedenken gilt.

Der theoretische Teil begann nach einer ausführlichen Einleitung mit einer Spezifizierung der im Titel "Ökologisches Gewissen" enthaltenen Teilkomponenten. Kap. 2 enthielt zwar eine breite Auswahl mulidisziplinärer Ansätze als Beispiel für die gegenwärtige wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der ökologischen Krise, jedoch unterlag sowohl die Auswahl der Fächer als auch die Wahl eines beispielhaften Ansatzes einem subjektiven Selektionsprozeß, der weder als regelgeleitet noch als repräsentativ bezeichnet werden kann. 

Die Annäherung an das Konzept des Gewissens verlief nach einem ähnlichen Muster. Hier wurden zwar nach Möglichkeit alle verfügbaren Informationen auch verarbeitet, doch das Ergebnis als Spiegelbild der Forschungslage ließ zu wünschen übrig: So konnte keine klare Definition des Gewissens abgeleitet werden, sondern lediglich einige charakteristische Versatzstücke. Der Mangel einer allumfassenden und überzeugenden Theorie bestimmte auch die Aufarbeitung einschlägiger Forschungen zur Frage ökologischen Erlebens und Handelns. Wiederum wurden Ansätze aus verschiedenen Wissenschaftsbereichen miteinander in Beziehung gesetzt. Statt sich auf die Überprüfung der sich aus den vorhandenen Arbeiten ergebenen Thesen mit einem eigenen Datenssatz zu beschränken, wurde der Versuch unternommen, ein neues Modell zu entwerfen. Die Entscheidung für die einzelnen Komponenten beruhte dabei keineswegs auf logisch zwingenden Gründen, sondern wurde nach Plausibilitätsgesichtspunkten und unter Berufung auf philosophische Autoritäten vorgenommen.

 

Der methodische Teil der Arbeit begann mit einer wissenschaftstheoretischen Orientierung, die als "Luxus" bezeichnet werden kann. Auch hier wird so mancher Fachmann möglicherweise die eine oder andere Schule vermissen, der Anspruch auf Vollständigkeit bestand auch hier nicht. Schon das Studium weniger Klassiker der Wissenschaftsgeschichte führte zu der ernüchternen Erkenntnis, daß Wissenschaft nicht auf "Felsengrund", sondern auf "Sumpfland" baut, um mit Popper (1982) zu sprechen. Als wichtigstes Fazit dieser Exkursion wurde für einen toleranten Pluralismus plädiert, der sich nicht sklavisch irgendwelchen Zwängen unterwirft, der die eigene Kreativität behindert. Mit der Patchwork-Methodik wurde für die eigene Untersuchung ein methodischer Rahmen entworfen, der auf den ersten Blick reichlich chaotisch anmutet und zudem wenig originell erscheint, was die Einzelkomponenten angeht. Zum einen kann entgegengehalten werden, daß die moderne Chaos-Forschung einige wertvolle Anregungen zu bieten hat, die auf ein Zulassen von Komplexität hinauslaufen, zum anderen ging es vor allem darum, das unorthodoxe methodische Vorgehen transparent zu gestalten. Das anvisierte Ziel, die in der Gesellschaft eher seltene Population der Umweltaktivisten zu befragen, mündete in der Aufnahme von anfallenden Kleinststichproben, was die Aussagefähigkeit der Studie einschränkt. Eine repräsentative Stichprobe schien jedoch unrealistisch und auch nicht besonders vielversprechend zu sein. Der Einbezug von Aktionsforschung führte zur Beschäftigung mit einer Forschungsstrategie, für die es aktuell wenig Vorbilder gibt, so daß das Einlassen auf diese Methode zu einer Wanderung auf schmalem Grad wurde, bei der im Falle einer zu starken Rollenkonfusion der eigene politische Anspruch zugunsten der wissenschaftlichen Erhebung zurückgestellt wurde. Kritisch hinterfragt werden könnte auch die Einteilung der ausländischen Stichproben nach geographischen Gesichtspunkten, die sich zwar aufgrund mangelnder Hintergrundinformationen anbot, jedoch für kulturvergleichende Untersuchungen nicht als erste Wahl gilt. So mußte die entsprechende Auswertung unter Vorbehalt geführt werden.

 

Der empirische Teil der Arbeit begann mit einer Festlegung der Auswertungsstrategien, die auf eine Vorgehensweise hinausliefen, die sich an bestimmten Inhaltsbereichen orientierte. Alternativ wäre ein stärker modell- oder thesengeleitetes Vorgehen denkbar gewesen, von dem jedoch Abstand genommen wurde, um eine zu starke Vorstrukturierung zu vermeiden. Trotz der recht umfangreichen Auswertung, bei der eine Verknüpfung von nomothetischer und ideographischer Forschungsphilosophie angestrebt wurde, könnten noch vertiefenden Analysen angeschlossen werden. Quantitativ wäre eine Überprüfung des postulierten Modells mit Hilfe kausalanalytischer Verfahren (z.B. LISREL) reizvoll, qualitativ lassen sich auch andere Interpretationstechniken vorstellen, z.B. aus der psychoanalytischen Schule. Die Auswahl der Methoden ermöglichte eine Triangulation der Daten. Manche Ergebnisse führen zu einer Hinterfragung der Meßmodelle, insbesondere des Prinzips Verantwortung. Qualitativ bieten sich auch offenere Fragestellungen an. Eine weitere kritische Anmerkung bezieht sich auf die Erhebung selbst: Das technische Equipment wurde nicht immer professionell gewählt, was zu einem ärgerlichen Ausfall von etwa 10% des Interviewmaterials führte, der aber gerade noch verkraftbar war, ohne die Gesamtaussage der Untersuchung zu verfälschen.

 

Aus allen drei Teilbereichen läßt sich eine gemeinsame Kritikaussage ableiten: der Vorwurf des Eklektizismus. Der aus der Antike stammende Begriff (lat. eglegere = auswählen) wird im Fremdwörter-Duden charakterisiert als eine "unoriginelle, unschöpferische geistige Arbeits-weise, bei der Ideen anderer übernommen oder zu einem System zusammengetragen werden". In der bildenden Kunst und Literatur wird der Begriff verwandt im Falle eines Rückgriffs auf die Stilmittel verschiedener Künstler früherer Epochen mangels eigenschöpferischer Leistung. Der Eklektizismus-Vorwurf wird heuzutage als Abwertung vorgetragen. Diese negative Konnotation verkennt allerdings die Tatsache, daß ursprünglich der Eklektizismus als philosophische Schule zwar umstritten, doch sehr respektiert und angesehen war. Damals wurde davon ausgegangen, daß die Philosophen bewußt auf den Leistungen ihrer Vorgänger aufbauen und ihr eigenes System als Krönung der gesamten bisherigen Problementwicklung auffassen (vgl. Lexicon der Antike 1990). Als herausragender Vertreter des Eklektizismus galt Cicero, ein entschiedener Befürworter der akademischen Skepsis, einer Haltung, mit der er Platon folgte. Nichtsdestotrotz wurde Cicero als "ein hochbegabter Mensch von großer geistiger Regsamkeit" und als "einer der sittlich reinsten Menschen seiner Zeit" geachtet. Als ein bekennender Eklektizist gilt auch Goethe, der gesteht: "Wenn ich sagen könnte, was ich alles großen Vorgängern und Mitlebenden schuldig geworden bin, so bliebe nicht viel übrig" (Krefeld 1988, S.113). 

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(8) Forschungsausblick

Die vorliegende Arbeit versteht sich selbstverständlich keineswegs als "Krönung der gesamten bisherigen Problementwicklung", sie möchte lediglich ein Mosaikstein für die weitere Erforschung des Gegenstandes sein und dazu anregen, über die Bewältigung der ökologischen Krise nachzudenken, indem sie sozialwissenschaftliche Perspektiven aufzeigt. Eine Arbeit, die sehr interdisziplinär angelegt ist, muß mit dem Vorwurf des Eklektizismus leben können. Die "Gefahr" des Eklektizismus könnte als eine Schattenseite des interdisziplinären Vorgehens verstanden werden. Doch handelt es sich wirklich um einen "Schatten" oder nicht vielmehr um ein Kompliment? Ist nicht in einer Zeit, in der auch die Wissenschaft immer komplexer wird, Interdiziplinarität das "Gebot der Stunde"? Die Trends für eine Wissenschaft der Zukunft nach Jungk (1990), die in Kap. 8.2 vorgestellt wurden, gehen jedenfalls in die Richtung eines ganzheitlichen Denkens, das über "Spezialisten" hinaus auch "Generalisten" benötigt. Interdiziplinarität in der Umweltforschung könnte in diesem Sinne sehr erfolgreich sein. Doch wie läßt sich dieser hehre Anspruch in der Praxis realisieren?

Inhaltlich ist die vorliegende Studie ein Beispiel für die erfolgreiche Verknüpfung von kognitiven und emotionalen Elementen zur Bestimmung eines Konstrukts, das zum besseren Verständnis ökologischen Engagements dient. Neben der Botschaft einer zukünftig stärkeren Beachtung der emotionalen Dimensionen ökologischen Erlebens und Handelns, scheint der Hinweis wichtig zu sein, daß der Forschungsschwerpunkt nicht so einseitig wie bisher auf der individuellen Handlungsebene (meist im unmittelbaren Lebensumfeld) liegen sollte, sondern viel stärker als bisher kollektives und kumulatives Handeln auf einer politischen Ebene einbeziehen muß. Während z.B. die Umweltpsychologie sich zwar fleißig mit Fragen der Mülltrennung im eigenen Haushalt beschäftigt und gesellschaftliche Fragen bisher fast vollständig ausblendet, hat die Umweltsoziologie aufgrund ihres grundsätzlich umfassenderen Ansatzes hier vielleicht sogar mehr traditionelle Forschungsfelder auf ihrer Seite und mit ihrer endosoziologischen Perspektive auch die Möglichkeit, die gegenseitigen Rückkopplungen individueller Innenwelten mit dem gesellschaftlichen System zu analysieren.

Nach Stenger (1990, S.195) muß die Soziologie die Bedrohung zu ihrem Thema machen. Sie kann dabei ihr traditionelles Geschäft der Aufklärung betreiben:

"Wenn man davon ausgeht, daß sich Umweltbewußtsein und umweltbezogenes Handeln weder über eine Aufklärung des Verstandes noch über einen Appell an die Moral hinreichend ausbilden, wird deutlich, daß sich der Aufklärungsschwerpunkt der Soziologie verlagern muß. Ins Zentrum rückt nun die Aufklärung der Emotionen, mithin die Möglichkeit des Selbstverstehens und der Erkenntnis eigener Betroffenheit. Und dies ist eine Sache der Erfahrung, nicht des Wissens".

Soziologie müßte aufklären zum einen über die Bedeutung, die emotionale Erfahrungen bei der Entwicklung von Umweltbewußtsein haben, zum anderen über die gesellschaftlichen Bedingungen, die dazu beitragen, solche Erfahrungen zu unterdrücken und zu entwerten oder freizusetzen und fruchtbar zu machen. Die Vernunft des Denkens sollte die "Vernunft des Herzens" (Pascal) in ihre Überlegungen aufnehmen.

 

Voraussetzung dafür ist jedoch erstmal eine viel stärkere Zuwendung auf die Problematik überhaupt. Die sozialwissenschaftliche Scientific Community ist aufgefordert, "das bedrückende Schweigen" zu überwinden, in dem sie in ihrer überwiegenden Mehrheit angesichts der drohenden Selbstzerstörung immer noch verharrt, wie Dreitzel (1990, S.8) postuliert: "Die Krise muß der zentrale Gegenstand aller weiteren Sozialwissenschaft sein. Wo sie künftig diesen Gegenstand vermeidet, arbeitet sie mit auch an ihrer eigenen Selbstzerstörung, und niemand wird mehr sagen können: ungewollt".  

Auch wenn es unrealistisch (und wegen der Einseitigkeit sicher auch nicht wünschenswert) wäre, daß alle Sozialwissenschaftler von heute auf morgen ihr Thema wechseln, so ist der grundsätzliche Charakter dieser Forderung zu unterstreichen. Preuss (1991) plädiert in diesem Zusammenhang für ein selbstreflexives Wissenschaftsparadigma, das sich der eigenen Betroffenheit bewußt wird. Wissenschaft ist kein subjektloses Unterfangen, sondern stets ein sozialer Prozeß.

Im Grunde müßte eine wissenschaftliche Wende noch wesentlich weitreichender ansetzen. Nötig wäre ein "Super-Paradigmen­wechsel", wie er in der bisherigen Wissenschaftsgeschichte noch ohne Vorbild ist. Umweltwissenschaft müßte in dem kommenden "Jahrhundert der Umwelt", das nach dem 18. Jahrhundert der Religion, dem 19. Jahrhundert der Nation und dem auslaufenden 20. Jahrhundert der Ökonomie von Weizsäcker (1989) ausgerufen hat, in autonomen Umweltuniversitäten, in denen Wissenschaftler aller Fachbereiche, die sich im interdisziplinären Diskurs einzubringen haben, ihr Ziel in der Verhinderung einer ökologischen Katastrophe sehen. Eine allgemeine Hinwendung zum Paradigma der Ökologie käme einer "wissenschaftlichen Revolution" gleich, wie sie Kuhn (1962) in gewissen Abständen prophezeit, wenn die Normalwissenschaft in eine Krise gerät. Ein neues wissenschaftliches Paradigma pflegt sich nach Kuhn allerdings nicht durch Einsicht durchzusetzen, sondern dadurch, daß die Gegner allmählich aussterben. Solange kann jedoch die Erde nicht mehr warten. Deshalb ist es notwendig, an eine Alternative zu glauben und dafür zu arbeiten, daß ein kollektives ökologisches Gewissen, das individuell in jedem Menschen angelegt ist, global wirksam werden kann.

 

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(9) Politische Perspektiven

"Erst wenn die Bewohner der Erde erkennen, daß sie von den gleichen unmittelbaren Gefahren bedroht werden, kann ein universaler politischer Wille entstehen und jene Kooperation, die für das Überleben der Menschheit notwendig ist. Deshalb rufen wir zu weltweiter Solidarität auf."

Der jüngste Aufruf des Club of Rome (spiegel-special 1991, S.11) zu einer Umweltrevolution kann in dreifacher Sicht interpretiert werden. Nötig ist eine Solidarität zwischen den reicheren und ärmeren Ländern dieser Erde, zwischen der Gegenwart und der Zukunft sowie zwischen alt und jung.

Die Notwendigkeit einer globalen Solidarität ergibt sich aus der Tatsache, daß in den sog. Industrigesellschaften heutzutage der höchste Lebensstandard aller Zeiten vorherrscht, während viele Menschen auf der ganzen Welt am Rande des Existenzminimums leben müssen. Historisch gesehen läßt es sich kaum leugnen, daß der Reichtum der einen auf dem Rücken der anderen gewachsen ist. Dieses Ungleichgewicht besteht bis in die Gegenwart. Daß sich das Anspruchswachstum der sog. Ersten Welt im Vergleich zum Bevölkerungswachstum der sog. Dritten Welt möglicherweise als das größere Problem darstellt, veranschaulicht eine nächtliche Satellitenaufnahme der Erde aus dem Weltall. Deutlich zu erkennen sind die Wohn-, Industrie- und Verkehrszentren der Menschen in Europa, Nordamerika und Ostasien, während die südliche Erdhalbkugel mehr oder weniger im Dunklen liegt. Die ökologische Krise führt uns jedoch vor Augen, daß wir - ob wir wollen oder nicht - alle "in einem Boot" sitzen. Eine Flucht vor der Bedrohung ist nicht möglich. Keiner von uns ist in der Lage, den Planeten zu verlassen.

Ungleich schwerer als die Solidarität zwischen reich und arm gestaltet sich die Versöhnung der Gegenwart mit der Zukunft (Jonas 1979, S.55): "Die Zukunft aber ist in keinem Gremium vertreten; sie ist keine Kraft, die ihr Gewicht in die Waagschale werfen kann. Das Nichtexistente hat keine Lobby und die Ungeborenen sind machtlos. Somit hat die ihnen geschuldete Rechenschaft vorerst noch keine politische Realität im gegenwärtigen Entscheidungsprozeß hinter sich, und wenn sie sie einfordern können, sind wir, die Schuldigen, nicht mehr da". Wie schwer es offenbar manchen Zeitgenossen fällt, an zukünftige Generationen zu denken, wurde bereits in der Einführung deutlich, als einige Öko-Optimisten (Maxeiner und Miersch 1996) vor noch "ungelegten Eiern" warnten - frei nach dem Motto: "Was kümmern sich zukünftige Generationen eigentlich um uns?". Hans Jonas stellt in diesem Zusammenhang die Frage nach der Macht der Weisen im politischen Körper (1979, S.56): "Welche Kraft soll die Zukunft in der Gegenwart vertreten?"

 

Eine mögliche Antwort auf diese Frage gehört zu den wichtigsten Implikationen, die aus der vorliegenden Arbeit abgeleitet werden können. Einführend wurde dafür plädiert, mehr auf die immer seltener werdenden alten Mahner und Warner zu hören. Die empirische Untersuchung hat gezeigt, daß es auch eine "Weisheit der Jungen" (Scherer 1994) gibt. Wünschenswert wäre es, "wenn Entscheidungsträger von der heute heranwachsenden Generation lernen und etwas von ihrer Sensibilität gegenüber makrosozialen Risiken übernehmen würden" (Mansel 1992, S.208). Frühe Generationen konnten es sich noch nicht vorstellen, daß die Welt der Erwachsenen für Kinder am Ende des 20. Jahrhunderts durch die biologische Akzeleration, durch die Veränderung der Lebenswelten und durch die Welt der Medien näher als jemals zuvor rücken würde. Insofern kann mit der ökologischen Kinderrechtsbewegung über Reaktionen auf diese fundamental veränderte Situation nachgedacht werden.

 

Der Münchner Rechtsanwalt Klaus Merk konstatiert in der gegenwärtigen bundesdeutschen Demokratie ein "Repräsentations­defizit" der jungen Generation und sieht in der Einführung eines Wahlrechts für alle Mitglieder der Gesellschaft die Chance einer "Initialzündung für eine tiefgreigende Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse (...) mit dem Ziel einer ebenso tiefgreifenden Veränderung der politischen Entscheidungen in allen Bereichen, nämlich einer Beendigung der politischen Praxis, die leichtfertig die längerfristigen Konsequenzen ihres Handeln außer acht läßt" (1996, S.67). Ohne eine entsprechende Reaktion sei zu befürchten, daß die heutige Kindergeneration dann, wenn sie wählen darf, keine andere Wahl mehr haben wird als die Verwaltung der vorgefundenen Sachzwänge, was zu sozialen Verwerfungen führen könnte, wie sie von Jonas (1979, S.251f.) beschrieben wurden. Auch der Bielefelder Jugendforscher Klaus Hurrelmann empfiehlt eine Senkung des Wahlalters in der Hoffnung, daß bereits durch diese Einzelmaßnahme "Impulse für die ganze Gesellschaft" (1997, S.24) ausgehen könnten. Angesichts des Befundes einer jüngsten Repräsentativumfrage des Meinungsforschungsinstituts FORSA vom Januar 1997, nach der mehr als die Hälfte (56%) der 14-18jährigen Jugendlichen fürchten, daß ihnen die Erwachsenen Probleme hinterlassen, die sie nicht mehr lösen können (vgl. Greenpeace-Magazin 2/97, S.25), erscheint dieser Vorschlag bedenkenswert, unabhängig von der Frage, ob sich durch solche Maßnahmen in der Sache etwas verändern wird. Benjamin Kiesewetter, ein 17jähriger Berliner, der mit seiner aus einem Greenteam entstandenen Kinderrechtsgruppe in Karlsruhe eine Verfassungsbeschwerde wegen Vorenthaltung des Wahlrechts eingelegt hat, ist der Auffassung, "daß viele Probleme in der Gesellschaft damit zu tun haben, daß alle Erwachsenen 18 Jahre lang Kinder mit Ohnmachtsgefühlen waren, die erlebt haben, daß Demokratie für sie nicht gilt" (1997, S.23). Die Ergebnisse der vorliegenden Studie enthalten empirische Hinweise für diese Aussage. 

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(10)  Schlußbetrachtung

Gibt es etwas "dringlicheres als den Schutz der Natur in ihrer Rechtlosigkeit? Haben wir eine größere Aufgabe, als die Schöpfung zu bewahren und damit die Nachwelt zu schützen?" fragte der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker anläßlich seiner Rede zur Deutschen Einheit (vgl. Giebeler u.a. 1996, S.63). 

Ein Blick in den aktuellen Haushaltsentwurf für das Jahr 1997 spricht eine andere Sprache. Auch ein Jahrzehnt nach Beendigung des "Kalten Krieges" wird für das Ressort "Verteidigung" immer noch 35mal mehr Geld ausgegeben als für das Ressort "Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit". Für ökologische Belange wird ein Dreihundertstel des Gesamtetats veranschlagt (vgl. Fischer-Weltalmanach 1997, S.200). Solange sich an diesem eklatanten Mißverhältnis nichts ändert, wird auch ein Regierungswechsel kein ökologisches Paradies bringen.

Die Befunde der Arbeit gewinnen insofern an Bedeutung, da es während des Untersuchungs­zeitraumes kein ökologisch bedeutsames Ereignis gab, das in der Gesellschaft für Aufregung gesorgt hätte. Es handelte sich also um ein ganz "normales" Jahr. Kurz nach Beendigung der Erhebungsphase lag der Fall "Brent Spar", der einleitend zum Anlaß genommen wurde, um gesellschaftliche Reaktionen auf die ökologische Krise zu reflektieren. Am Ende der Niederschrift der Arbeit werden die Tagesnachrichten von der Auseinandersetzung um den Transport von Atommüllbehältern nach Gorleben bestimmt, die unter dem Namen "Castor" bekannt sind. In dieser Situation versucht sich ein Kanzlerkandidat aus der Opposition dadurch zu profilieren, indem er mit Hilfe des größten Polizeieinsatzes der bundesrepublikanischen Geschichte gegen eine zu Zehntausenden auflaufende Protestbewegung "law and order" durchzusetzen beabsichtigt (Schröder 1997, S.60). 

So wird dieser Fall zu einem telegenen Medienspektakel, bei dem das Problem der inneren Sicherheit im Vordergrund steht. Eine gesellschaftliche Diskussion der Frage, ob eine Technik, die nicht nur die Gegenwart massiv gefährdet, sondern kommenden Generationen auf Jahrtausende "Altlasten" aufbürdet, mit einem ökologischen Gewissen überhaupt zu verantworten ist, bleibt aus.

Manchmal hat man den Eindruck, als seien nicht nur Wissenschaft und Wirtschaft, sondern auch die einzelnen Bürgerinnen und Bürger in ihrem ökologischen Bewußtsein schon weiter als die politischen Repräsentanten, die von ihnen gewählt werden. Wenn jedoch eine "Zentraladresse" für ökologische Probleme fehlt, müssen auch die ökologischen Bewegungen letztlich ins Leere laufen (vgl. Luhmann 1986). Die Politik scheint sich jedenfalls vom Thema Umwelt mit einer allgemeinen "Entwarnungs­rhetorik" (Sloterdijk 1995, S.66) weitgehend verabschiedet zu haben. Mittlerweile wird sogar schon der Verdacht erhoben, daß das Bundesumweltministerium sich allzu kritische Analysen des Bundesumweltamtes (UBA) verbittet (Der Tagespiegel, 3.1.1997, S.1). 

Sollte das Ministerium nicht froh sein, wenn Wissenschaftler auf Gefahren und zu kurz greifende Gegenmaßnahmen hinweisen? In Zeiten zunehmender sozialer Spannungen treten Umweltprobleme in der politischen Debatte auf die hinteren Plätze. Es wird so getan, als wenn Umweltpolitik ein Luxus für bessere Zeiten sei. Doch es wird keine besseren Zeiten geben, wenn nicht jetzt die umweltpolitischen Weichen für die Zukunft gestellt werden. Die Krise der Ökologie und die Krise des Sozialstaates zeigen schließlich das gleiche fatale Muster: "Die Wohlstandsgesellschaft lebt über ihre Verhältnisse" (Bode 1996, S.59).

Angesichts der kollektiven Verdrängung dieser Entwicklung wurden in dieser Arbeit auch Gedanken laut, die in einer solchen Situation nur noch auf einen Lerneffekt durch "eine Serie von kleinen Katastrophen" hoffen, "Schreckschüssen, die erschreckend genug sind, uns aufzurappeln, aber noch nicht schlimm genug, um den Ruin schon selber darzustellen" (Jonas 1991, S.44). 

Ein Öko-Aktivist meinte in der Befragung dazu: "Es müßte mal wieder so einen richtigen Schocker geben wie Tschernobyl oder so, dann wachen die Leute vielleicht mal auf!" (vgl. Kap. 13.3). Das klingt zwar zynisch, aber Jonas zufolge, darf man

die Frage nicht zur Ruhe kommen lassen. Sie immer neu zu stellen, immer neu zu überdenken, immer neu auch daran mitzuarbeiten, daß sich ein schlechtes Gewissen in den ungeheuerlichen Hedonismus der modernen Genußkultur hineinfrißt - dies ist eine unabweisbare Pflicht. Man darf nicht fragen, ob das zu irgendetwas führt. Es könnte sein, daß es zu nichts führt, aber das wissen wir nicht.  (Jonas 1993, S.18).

Demgegenüber kann die Frage gestellt werden, wieviel Katastrophe der Mensch denn noch brauche. Aus weiteren Katastrophen ließe sich jedenfalls nichts lernen, was wir nicht schon wissen:

"Wer in dieser Logik zu Ende denkt, kommt zu einem fatalen Schluß: nur der reale geschehene Weltuntergang wäre eine überzeugende Warnung vor dem Weltuntergang. (...) Somit wäre die einzige Katastrophe, die allen einleuchtet, die Katastrophe, die keiner überlebt"  (Sloterdijk 1989, S.187).

Warum liegen die prognostizierten Katastrophen eigentlich immer in der ferneren Zukunft? Vor wenigen Wochen strahlte das Fernsehen (ARTE, 30.10.1996) ein "Ökodrama" mit dem Titel "Nach uns die Sintflut" aus, das ein Szenario nach dem Abschmelzen der Pole beschreibt. Am nächsten Tag stand in der Zeitung, daß nach einem kräftigen Herbststurm die "Straßen in Hamburg und Bremen unter Wasser" stehen (Der Tagesspiegel, 31.10.1996).

"Den Sozialismus in seinem Lauf halten weder Ochs’ noch Esel auf", reimte Erich Honecker zum 40. Jahrestag der DDR fröhlich in die Fernsehkameras. Das war im Herbst 1989. Statt auf einen ökologischen Gorbatschow zu warten, ist es allerhöchste Zeit zu handeln.

Unser Wissen ist so groß wie nie zuvor. Doch wir tun nicht, was wir wissen. Wissen wir wenigstens, was wir tun? Die Antwort auf diese Frage ist heutzutage wichtiger denn je geworden, denn Wissen braucht Gewissen.

Zu den wichtigsten Ergebnissen der Studie gehört die Einsicht in die Notwendigkeit eines interdisziplinären Herangehens an die ökologische Krise sowie das Postulat eines ökologischen Gewissens. Theorie, Methoden und Ergebnisse der Arbeit wurden einer kritischen Diskussion unterzogen. Das abschließende Plädoyer für einen grundlegenden Paradigmenwechsel wendet sich nicht nur an die Adresse jedes einzelnen, sondern insbesondere an die scientific community und an die gegenwärtige Politik.

 

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Ökologisches Gewissen # Die Zukunft der Erde aus der Perspektive von Kindern, Jugendlichen und anderen Experten #  2000 von Sven Sohr