VI. Führung und Tyrannis
»Auf die Dauer muß zu viel Macht auch den anständigsten Menschen depravieren.«
»Nichts ist so herrschsüchtig wie die Schwäche, die sich durch die Gewalt gestützt weiß.«
NAPOLEON
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Es ist soziologisch gut verständlich, daß der moderne Tyrann alles daran setzt, nicht als Tyrann, sondern als Führer zu erscheinen. Der Soziologe wird aus diesem Sachverhalt auf wesentliche Fortschritte, die das gesellschaftliche Bewußtsein erzielt haben müsse, schließen. Der Tyrann darf es nicht wagen, sich dem Volke gegenüberzustellen, er muß versuchen, sich ihm als Führer voranzustellen.
Darum ist es wichtig, einiges über den Führer auszusagen, damit klar werde, daß er mit dem Tyrannen nicht zu identifizieren ist, daß er eine völlig andere Erscheinung als der Tyrann darstellt. Trotz manchem Schein nicht verwechselbar mit ihm, im Entscheidenden sein Gegenspieler, eine der Kräfte, die zur Beseitigung der Tyrannis und zur Aufhebung ihrer Voraussetzungen führen müssen.
Zuvor ein simples Beispiel: Wenn eine Gruppe von Menschen einen Spaziergang unternimmt, so wird sie je nach Geschmack und Laune bald in geschlossener Aufstellung, bald in gelockerten Gruppen gehen.
Man hat sich vorher über Ziel und Weg geeinigt, man braucht keine Führung. Würden Umstände eintreten, die diesen Spaziergang gefährlich machten, gleichsam zu einem Durchbruch durch ein feindliches Land, so würde es darum gehen, neue Spielregeln zu schaffen, diese Gruppe müßte sich ein Sondergesetz geben. Sie würde eine Teilung der Funktionen einführen, die sich in dieser bedrohten Situation als durchaus sinnvoll erweisen würde. Sie würde ferner einem die Funktion geben, die Funktionen zu verteilen, und ihm überdies die Aufgabe stellen, je nach Bedarf Änderungen und Anordnungen zu treffen, sei es nach vorheriger Beratung mit allen oder, wenn die Gefahren besonders bedrängend sind, auf eigene Faust, allerdings mit der Bereitschaft, nachher all das zu verantworten. (Dieses war zum Beispiel der ursprüngliche Sinn der Diktatur im alten Rom.)
Im Führer schafft sich die volonté générale einen Repräsentanten und gleichzeitig das oberste Exekutivorgan. Dieses Organ untersteht denen, die es geschaffen haben und ist jederzeit veränderbar, abschaffbar.
Massenbewegungen entstehen in jenen gleichen Zeiten, in denen Führer notwendig werden: in Zeiten vertiefter Nöte, zugespitzter Krisen, heranreifender Entscheidungen. Zum Führer wird in der Massenbewegung auserkoren, wer am lautersten, am hingebungsvollsten ihrer Idee zu dienen, sich fähig und bereit gezeigt hat. Der Führer ist somit der Diener der Idee, indes der Tyrann der Herr der Idee ist, die er notzüchtigt, so oft es seinen Plänen entspricht. Der Führer weiß sich vor dem Volk und den anderen Instanzen, die es geschaffen hat, verantwortlich, von ihnen jederzeit kontrolliert. Eine Idee ist verloren, zutiefst entwertet, sobald ihre Anhänger keine Möglichkeit mehr haben, was mit ihr und in ihrem Namen geschieht, zu kontrollieren, gutzuheißen oder zu verwerfen.
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Der Tyrann sagt: Ihr habt mir die Macht gegeben, keine Macht der Welt wird mich nun von hier verdrängen können. Der Führer sagt: Meine Macht ist womöglich geringer als die jedes einzelnen, der mir folgt. Der einzelne darf sich irren, und es kann unwichtig sein, ob er es nachher zugesteht oder nicht. Wenn ich mich irre und meinen Fehler zu spät erkenne oder mich weigere, ihn zuzugeben und, was ich gefehlt habe, gutzumachen, dann werde ich zum Verbrecher an unserer Idee, zu ihrem gefährlichsten Feinde.
Der Tyrann verlangt, daß man ihm die Unfehlbarkeit zugesteht. Ein Führer, der das täte, lüde eine untragbare Verantwortung auf sich. Er würde damit aufhören, ein Führer zu sein.
Anders als der Tyrann ist somit der Führer täglich, stündlich auf seine Fähigkeit geprüft, und es wäre ein schwerer psychologischer Fehler, ein schwerer Schaden, den er sich selbst zufügen würde, gewöhnte er sich an die Macht, die ihm ja nur verliehen ist, so sehr, daß er sie brauchte. Er muß die Macht als das empfinden, was sie in der Tat ist: eine ungeheure Last, eine stete Gefahr, eine niederdrückende Verantwortung. Man ist im Kampf um die gesellschaftliche Macht, der natürlich sinnvoll ist, nur dann legitimiert, wenn man sich von ihr für sich selbst, für die eigene Person, kein größeres Stück abschneiden will, als man jedem andern zugesteht.
Der Führer weiß, daß er, was er ist, durch die Idee ist, und er empfindet sie als niemals abgeschlossen, gleichsam als offen in der Richtung der Unendlichkeit. So wird er zwar mit größter Beharrlichkeit dafür kämpfen, daß sie verwirklicht werde, doch wird sie für ihn kein Dogma, nicht etwas werden, was geglaubt, aber nicht bewiesen werden muß.
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Der Führer ist ein Erzieher, und wirkliche Erzieher hüten sich davor, durch Zwang, und sei es ein Zwang raffiniertester Art, zu erreichen, was nur erreicht ist durch die Überzeugung. Unerbittlich gegen den Feind, bleiben sie all denen, auf deren Seite sie sind, Erzieher und als Einzelne der Gemeinschaft untergeordnet.
Der Führer ist in steter Gefahr. Nicht nur, weil der Feind ihn bedroht, sondern weil das Volk selbst oder wenigstens zurückgebliebene Teile des Volkes den Führer magisch sehen, ihn gleichsam in die Position des Tyrannen zu drängen versuchen. Es könnte also sein, daß so der Führer selber verführt würde. Auch mit seinem Namen werden Leistungen, die natürlich nicht er oder nicht er allein vollbracht hat, identifiziert. Es wird sein Name zur Fahne gemacht, seine Erscheinung vergöttlicht. Ob er dieser Verlockung widersteht oder nicht, ist nicht nur für ihn und für sein weiteres Schicksal belangreich, es kann auch für einen ganzen Geschichtsabschnitt belangreich werden.
Maximilien Robespierre war ein Führer, der Führer der großen französischen Revolution. Niemand, der sein Leben kennt, wird sich leicht dazu entschließen, ihn einen Tyrannen zu heißen. In diesem Mann brannte lauter die Idee der Revolution — er verstand sie als das System Rousseaus — er verlangte von der Revolution nichts für sich. Mit Recht wurde er der Unbestechliche genannt. Er war es zu einer Zeit, da andere sich bereicherten, nicht nur dem Gelde, sondern allem gegenüber, was bestechen kann.
Dieser Mann endete wie ein Tyrann. Als er angeschossen wurde und dann, kaum noch er selbst, zur Guillotine geschleift wurde, erhob sich das Volk so wenig, ihn zu schützen, wie es sich je erhoben hat, um Tyrannen zu schützen, deren Macht gebrochen war. Saint-Just hatte ihm die Treue der Armee zugesichert, das Volk von Paris ihm zugejubelt.
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Die Talliens und Fouchés brachten ihn um, doch kaum jemand rührte sich, stellte sich zwischen ihn und die, die ihm ans Leben gingen. Auch seine Mörder hatten ihm zugejubelt, gestern noch! Als er starb, wie wenige standen zu ihm. So stirbt kein Führer, so verendet ein Tyrann.
Und war er ein Tyrann gewesen? — Er hatte Unschuldige, die kurz vorher seine Freunde gewesen waren, guillotinieren lassen. Wer könnte beweisen, daß er ihre Unschuld kannte? Wer wollte bestreiten, daß er subiektiv guten Grund hatte, sie für gefährlicher zu halten als die offenen Feinde. Doch weigert sich schon der Psychologe mit einigem Rechte, den Menschen nach seinen Intentionen und nicht nach seinen Taten zu beurteilen, die Gerechtigkeit der Geschichte läßt keinen andern Prozeß als den über Taten zu. Die Motive werden mit den Menschen begraben, doch ihre Taten, Konkretisierungen ihrer entscheidenden, wenn auch von ihnen häufig mißverstandenen Motive kommen vors Gericht.
Hielt Robespierre Desmoulins wirklich für einen Konterrevolutionär, hielt er Danton dafür? Das ist unwichtig. Entscheidend ist, daß er, nachdem er diese Männer hatte fällen lassen, den Raum zwischen sich und seinen eigenen Mördern freigemacht hatte, daß er mit jenen Mördern den Mord, der an ihm selbst verübt wurde, vorbereitet hat. Wie, das sah er nicht voraus? Gut, er durfte sich irren. Doch geirrt hatten sich auch diejenigen, die er wegen ihrer Irrtümer umbringen ließ. Er hatte selbst entschieden, was Irrtum ist, und hatte auf den Irrtum die Todesstrafe gesetzt. So hat er also das Prinzip geleugnet, daß auch Führer sich irren dürfen, weil es schlechthin unvermeidlich ist, daß sie sich irgend einmal irren. Somit hat er prätendiert, daß er unfähig sei, sich zu irren, und er hat seinen Glauben an seine Unfehlbarkeit mit dem Blute seiner Freunde besiegelt. Er hatte das Todesurteil über sich selbst gefällt, genau in dem Augenblicke, in dem er es tyrannisch über andere fällen ließ.
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Und da wurde er Opfer von Täuschungen, denen der Tyrann nicht entgehen kann, vor denen der Führer sich bewahren muß, soll, wofür er kämpft und wofür er bestellt ist, nicht sinnlos, wertlos und ins Gegenteil verkehrt werden.
Robespierre bekannte sich dazu, die Tugend durch den Schrecken zur Herrschaft zu bringen, um an der Herrschaft zu erhalten. Ihm widerfuhr eine schreckliche Verwechslung, eine tyrannische Verwechslung. Er verwechselte die Tugend mit seiner persönlichen Tugend und ihren Schrecken mit dem Schrecken, den er meinte verbreiten zu müssen. Einen Augenblick lang unterwarf er sich nicht der Idee, sondern die Idee sich. Einen Augenblick lang meinte er, nur seine Liebe zur Idee sei echt und wahr, die aller anderen fraglich. Und da handelte er wie ein Tyrann, er notzüchtigte die Idee. Er starb den Tod, den er über sich selbst verhängt hatte. Der Tyrannenfeind starb den Tyrannentod.
Doch die ihn erlegten, wer waren sie gewesen, daß sie die Enragés, daß sie Danton und Desmoulins hatten überleben dürfen! Daß sie, legitimiert als treue Liebhaber der revolutionären Idee, ihre Intrigen gegen die Revolution spinnen durften, indes Revolutionäre als Konterrevolutionäre hatten sterben müssen? Es waren die Fouches. Sie hatten in nicht enden wollenden Ovationen Robespierre und Saint-Just zugejubelt, als es gegen die Revolutionäre ging. Die Barères hatten die Urteile gefällt, die zukünftigen Direktoren, so sehr sie auch vorerst um sich selber fürchteten, durften guten Mutes sein. Je mehr Unschuldige starben, umso sicherer mußte die kommende Zeit die ihre werden.
Der Irrtum des Führers, der ihn nicht erkannte, und wenn er ihn dann ahnte, ihn nicht zugestand, hatte fürchterliche Folgen. Hatte Robespierre wegen der
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Folgen, die die Irrtümer seiner Freunde hätten haben können, diese verdienten Männer beseitigt, wie müßte er abgeurteilt werden, da die Folgen seiner Irrtümer als Thermidor in die Geschichte traten!
Ist es zugestanden, daß Führer nötig sind, so ist nun auch klargestellt, wie kostspielig sie der Menschheit werden können. Man könnte zu dem Schlusse gelangen, daß die Menschen, so wie sie noch sind, die Tyrannen, von denen sie unterdrückt werden, verdienen, und die Führer, die sie brauchen, verderben. Doch würde diese Annahme wahrscheinlich zu weitgehen und doch nicht genügend weit zu einem verbesserten Verständnisse führen. Es muß bedacht werden, daß es in der Geschichte keine Experimentiermöglichkeit gibt, daß jede Voraussage nicht anders als durch zukünftiges Geschehen verifiziert werden kann. Angesichts solcher Unsicherheit müssen die Leidenschaften in der Vertretung eines jeden Für und Wider eine ungewöhnliche Bedeutung erlangen, da sie häufig mehr als anderes den sachlichen Argumenten Kraft und Ausschlag verleihen.
Robespierre könnte sagen: »Was auch immer geschehen ist, ich habe recht gehabt. Danton und seine Leute waren müde der Revolution. Sie wollten stehenbleiben, und ihre Führereitelkeit ließ sie glauben, es würde der Strom stehenbleiben, in dem sie bis dahin geschwommen waren, blieben sie nur selber stehen. Entwertete Führer, die nichts mehr mit dem Volke verbindet, sind Abenteurer, sind kommende Tyrannen. Sie sind darum gefährlicher als irgendein durchschnittlicher Feind. Ich und meine Freunde, wir waren und blieben der Revolution ergeben, wir wollten sie vollenden, also mußten wir sie von den Parasiten befreien, in die sich frühere Führer der Revolution verwandelt hatten. Sie brüllten, die Revolution töte ihre eigenen Kinder. Sie brüllten nur so laut, weil sie dabei ertappt waren, wie sie ihre Mutter, die Revolution, töten wollten. —
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Gewiß, auch wir sind beseitigt worden. Die Revolution ist erst einmal für eine Zeit vernichtet. Aber beweist nicht gerade der Thermidor, daß wir recht gehabt haben? Unsere Mörder, wer sind sie? Die Freunde Dantons, die Testamentsvollstrecker dieser müde gewordenen Revolutionäre, denen ihre Landgüter und die Genüsse des Palais Royal wichtiger waren als das, wofür wir kämpften, wofür wir starben. Wir, die Opfer des Thermidor, wir starben für die Revolution, doch Danton starb für die Aristokraten.«
Hätte Robespierre, spräche er so, recht? Hätte er unrecht? Der Psychologe wird sagen müssen, daß Robespierre viel objektiven Grund hat zu dieser Meinung, auch wenn sie in hohem Maße nur subjektiv richtig wäre.
Danton könnte sagen: »Die Revolution war zu Ende, es galt, sie zu sichern, die Errungenschaften, die sie gebracht hatte, im Leben des Volkes zu verhaften. Jeder Schritt weiter mußte Erschütterungen bringen, in einem Augenblicke, wo alles auf die Stabilität ankam. Ich habe das rechtzeitig erkannt, und als Desmoulins den Tacitus parodierte - und er parodierte ihn ja gar nicht, er übersetzte ihn, das genügte — da gab er zu verstehen, was bereits klar war: daß Robespierre ein Tyrann im Namen der Freiheit geworden war. Und Tyrannen im Namen der Freiheit sind Schwindler. Es gibt keine Tyrannis in ihrem Namen. Keine, die sich auf sie berufen dürfte. Robespierre ist den Tyrannentod gestorben, wir aber sind gestorben im Kampfe gegen den Tyrannen, gegen die Schufte, mit denen er sich umgab, und für das wohlverstandene, allgemeine Wohl.
Die Zeit hat uns recht gegeben. Keine Bemühung, die folgte, konnte die Revolution über jenen Punkt hinausführen, an dem wir begannen, sie gegen Robespierre zu verteidigen.
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Ein Führer ist nicht schon der, der eifersüchtig in eine Idee verliebt ist, sondern nur der, der mit der Liebe zur Idee die Fähigkeit verbindet, stets genau feststellen zu können, wieviel von der Idee jeweils verwirklicht werden kann. Robespierre hat es nicht verstanden. Er war ein schlechter Führer. Und weil er es war und es nicht erkennen wollte, wurde er ein Tyrann, der Mörder der Revolution.«
Der Psychologe wird sagen müssen, daß Danton viel objektiven Grund zu dieser Meinung hätte, auch wenn sie in hohem Maße nur subjektiv richtig wäre. So unsicher sind historische Wertungen, wenn nicht eine schon lange Zeit nach dem Geschehen vergangen ist.
Darum und weil er keineswegs berufen ist, hier Urteile zu fällen, wird der Psychologe nur einige Sätze einer Prophylaxis zur Vermeidung der Tyrannis formulieren dürfen.
1. Zu welch hohen Aufgaben einer auch berufen sein mag, niemals kann irgendeine Position ihn von der überaus menschlichen Eigenschaft, irren zu können, befreien. Schließt einer die Möglichkeit, die sich aus dieser seiner Eigenschaft ergibt·, aus, dann begründet er den Verdacht, daß er auf dem Wege zur Tyrannis ist.
2. Eine Idee, in deren Namen das Dcnken unter Strafe gestellt und die Kritik zu einem todeswürdigen Verbrechen gestempelt wird, ist entweder die Idee einer untergehenden Macht somit eine historisch falsche Idee, oder wenn es eine fortschrittliche Idee ist, und es wird in ihrem Namen solcherart die Freiheit gemordet, dann ist der Beweis geliefert, daß diese Idee vergewaltigt, mißbraucht ist, daß in ihrem Namen gegen sie gehandelt wird. Sie ist in der Hand ihrer Verweser eine Geisel in Feindeshand.
3. Jede Führung, die sich von der Gemeinschaft, aus der sie entstanden ist, absondert, sich ihr gegenüber verselbständigt, hat das Gesetz der Gemeinschaft gebrochen, wie der Tyrann es ununterbrochen bricht. Wer der Gemeinschaft zu ihrem Rechte wieder verhilft, hat der Idee zu ihrem Rechte, das ist: zu ihrer Macht verholfen.
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4. Man kann um Tote Legenden bilden, weil Tote nicht mehr irren können. Sie um Lebende zu bilden, bedeutet eine Gefahr. Der Lebende kann dazu gelangen, die Idee zu desavouieren, um sich selbst zu behaupten.
5. Jede Idee, die einen bestimmten Menschen übermenschlich erscheinen läßt, ist gegen alle anderen Menschen gerichtet. Sie ist menschheitsfeindlich.
6. Es gibt gefährliche Situationen, in denen die Führer einer Bewegung den Anschein einer Ähnlichkeit zwischen ihrem Regime und dem der Tyrannis nur schwer vermeiden können. Die Kürze dieser Periode bzw. die ernsthafte Bemühung dieser Führung, diese Periode äußerst abzukürzen, ermöglicht allein zu beurteilen, was hier in der Tat geschieht: die Vergewaltigung einer Idee oder die Sicherung ihrer Errungenschaften unter außerordentlichen Umständen mit außerordentlichen Mitteln.
Der Psychologe ist nicht berufen, historisch-kritische oder politische Meinungen zu bilden. Seine Aufgabe ist eine allgemein-erzieherische. Der verantwortungsbewußte Erzieher wird stets in dem Sinne erziehen, daß jegliches Individuum sich als Teil einer Gemeinschaft, diese als Ziel und sich selbst als Teilziel erleben wird und so unfähig sein wird, jemandem Mittel zu sein oder jemanden zu behandeln, als ob er nur Mittel wäre. Sein Zögling wird sich somit zum Respekt vor dem Menschen und dem menschlichen Leben bekennen. Dies wird ihn in gleichem Maße unfähig machen, Tyrann oder untertäniger Förderer der Tyrannis zu sein.
Wien, Oktober 1937
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