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1.4 - Reaktionen in der Sackgasse -1-

Taxacher-2012  

 

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Und doch - es wäre möglich, die sich abzeichnende Katastrophe abzuwenden. Die Menschheit könnte sich durch Solarstrom mit Energie versorgen(154), sie könnte sich weitgehend vegetarisch und dadurch unter enormen Einsparungen an Energie, Flächen- und Wasserverbrauch ernähren, sie könnte einen großen Teil der giftigen Emissionen in Luft, Wasser und Boden einsparen oder effektiv filtern. Aber ohne eine Revolution unserer Lebensweise ginge das nicht - und dagegen stehen alle gesellschaftlichen Beharrungskräfte.

Auch dieser Befund entspricht der klassischen Apokalyptik: Dort führt zwar schließlich Gott das Ende herbei, dennoch ist es die konsequente Folge des menschlichen Handelns, des Trends der Weltgeschichte. Die Katastrophe ist für die apokalyptischen Propheten Folge der »Sünde«. Modern gesprochen ist sie Folge einer Kultur, die sich unter den Bedingungen der allgemein bewussten Apokalypse entwickelt.

   Verdrängung  

Verdrängung ist ein Verhalten, das dazu führt, »dass man sich nicht um die Lösung eines wahrgenommenen Problems bemüht«.(155) Sie lässt sich auch sozial-psychologisch nachweisen. Jared Diamond zitiert die Befragung von Bewohnern eines Tals unterhalb einer riesigen Staumauer: Die Angst vor einem Dammbruch nahm statistisch signifikant mit der Nähe zum Damm ab. Wer direkt unter ihm wohnte, im Falle der Katastrophe also keine Chance des Überlebens hätte, verdrängte die Möglichkeit am erfolgreichsten.(156)

Unser Verhalten der Zukunft gegenüber neigt offenbar dazu, Gefahren zu verdrängen, je weniger wir ihnen gewachsen sind. Wo die Vorstellung von der Zukunft zum Albtraum wird, flüchten wir uns lieber in die Gegenwart. Angst und Verdrängung sind Zwillinge. »Noch nie hat Zukunft, wie in diesen Jahren (wo Zukunftsprognosen zu einer neuen Wissenschaft geworden sind), so viele Ängste geweckt, die alles Zukünftige immer mehr als undurchdringlichen Albtraum erscheinen lassen«, sagte Pier Paolo Pasolini schon vor Jahrzehnten.(157)  wikipedia   Pier_Paolo_Pasolini 1922-1975

Praktisch funktioniert Verdrängung aus Angst durch Ablenkung. Man muss sich mit etwas anderem befassen, an etwas anderes denken. Unser gesamter Alltag wirkt wie ein übermächtiges Gewicht in Richtung Ablenkung - und zwar längst nicht nur der alltägliche Alltag, sondern auch die großen Themen, der Alltag der Politik, Wirtschaft, auch der religiöse.

Es ist die Normalität, welche uns die Verdrängung als realistischen Vorgang vorstellt, - eine Normalität natürlich, die selbst gesellschaftlich unaufhörlich konstruiert wird, die dann aber so übermächtig wirkt, das alles, was uns überfordert, unwirklich und spinnert erscheint.

»Wir ziehen es vor, nicht zu den schwarzen Wolken des Jahrtausends emporzublicken, es bleibt beim unterschwelligen Gruseln, beim vertrauten Betrieb, bei der stillschweigenden Mehrheitsüberzeugung, dass man die alten Streitriten und Gesellschaftsspiele einfach weitermachen muss, weil man sonst nicht wüsste, wie man halbwegs bei Verstand bleiben kann.«(158)

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Aber Verdrängung ist nicht nur Ablenkung, sondern eine Arbeit. Verdrängung funktioniert als Integration: Sie verarbeitet das, was sie nicht sehen möchte, nach innen. Sie kapselt es ein. Die Botschaft der Unheilspropheten wird am wirkungsvollsten unschädlich gemacht, wenn man sie als religiöse oder ästhetische Ausdrucksform in die übrigen Äußerungen der Gesellschaft einreiht. Kulturell erhält diese Integration eine paradoxe Form, die den Schrecken in vielfältiger Weise bannt, indem sie ihn seines Schreckens entkleidet: Er wird im Hollywood-Format dargestellt und er wird bewitzelt.

Alles, was über ihn zu uns dringt, wird

»unernster Ernst oder ernster Unernst, d. h. ein Oszillations- und Schwebezustand, in dem die Unterscheidung zwischen Ernst und Unernst nicht mehr gilt, und in dem der Hörer die Fragen: in welcher Weise das Gesendete ihn angehe (ob als Sein oder Schein, als Information oder als >fun<) oder als wer er die ihm eingehändigte Lieferung in Empfang nehmen solle (ob als moralisch-politisches Wesen oder als Mußekonsument) nicht mehr beantworten ... kann.«(159)

So ist die Katastrophe überall anwesend, in den Feuilletons, auf Kunst-Ausstellungen, auf den Theater-Bühnen, im Kabarett - aber stets gilt die Auffassung des Gebotenem nicht der Katastrophe, von der gehandelt wird, sondern der Frage nach der zeitgemäßen Kunst, dem innovativen Theater, dem spritzigen Kabarett.

»Apokalyptik hat an Unterhaltungswert gewonnen«, lautet das Ergebnis, »und jede kritische und utopische Kraft verloren, auch in den Kirchen. Bürgertum und Christentum«, schrieb Martin Walser 1981 »...haben sich zu einer gewaltigen Unterhaltungsfirma zusammengetan, deren alles niederwalzende Entsorgungskapazität jedem Horror gewachsen ist.«(160)

Nur wer sich außerhalb des »normalen« Diskurses stellt, dem kommt dieser Way of Life als eine getarnte Kapitulation vor dem Tod vor. »Unsere Gleichgültigkeit gegen die Zukunft, wie sie sich in unserer Verantwortungslosigkeit gegenüber dem Leben und den ökologischen Lebensmöglichkeiten nächster Generationen ausdrückt, folgt unserer Gleichgültigkeit gegen den Tod. ... Wir akzeptieren den Tod als Zukunft von allem und als Inhalt von Zukunft den Tod.«(161)

Verdrängen bedeutet, sich dem Verdrängten zu unterwerfen, ohne dies wahrhaben zu wollen.

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   Kosmetik  

Man kann auf ein überforderndes Problem aber auch so reagieren, dass man eine gut sichtbare und gerade deshalb nur symbolische Antwort gibt. Man stellt die Problembewältigung, die man nicht leistet, gewissermaßen dar. Das funktioniert etwa so, wie wenn man dem Alterungsprozess durch Schminken begegnet. Deshalb nenne ich diese Ausdrucksform der Verdrängung Kosmetik. Sie prägt unsere Gesellschaft gerade dort, wo es besonders ökologisch zugeht.

Die ökologische Bewegung war zunächst Protest, Widerstand gegen eine unsere Lebensgrundlagen zerstörende Normalität. Aber sie kann nichts anderes, als Protest innerhalb dieser Normalität sein, in der auch die Protestler leben; denn die Ursache der ökologischen Krise steckt in unserer gesamten Lebensweise, nicht in einem säuberlich herauslösbaren Teilbereich, dem man sich leicht verweigern könnte. An dieser Unmöglichkeit, das problematische Gehäuse zu verlassen, für dessen Veränderung man kämpft, setzt sofort die Integrationskraft der Verdrängung ein. Sie zwingt den Protest, selbst die Waren- und Kommunikationsformen des allein gesellschaftlich Normalen einzunehmen. »Was widersteht, darf überleben nur, indem es sich eingliedert... Realitätsgerechte Empörung wird zur Warenmarke dessen, der dem Betrieb eine neue Idee zuzuführen hat.«162

Auch die Kritiker »unterliegen einem Prozess der Standardisierung ... Was ihnen subjektiv radikal dünkt, gehorcht objektiv so durchaus einer für ihresgleichen reservierten Sparte des Schemas.«163 So wie die »Boden­reformer zum Kapitalismus«164, gehören die »Ökos« zur Wohlstandsgesellschaft der Postmoderne.

Dadurch wird die ökologische Bewegung zur Kosmetik an einer Gesellschaft, die sich als solche nicht ökologisch orientiert. Die Bioprodukte stehen im Supermarkt neben dem Obst aus Übersee und die ökologisch Bewussten reisen gern nach dort in Öko-Ressorts. Reservate einzurichten ist weit populärer als die Umstellung der Energiewirtschaft. Biotope zu pflegen ist leichter, als der Abholzung der Regenwälder Einhalt zu gebieten. Auf das Aussterben der Tiere stellen wir uns ein mit der Konzeption der Zoos als »Arche Noah«: In Pröbchen sollen unsere Mitgeschöpfe überleben.

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Schon 1945 schrieb Adorno: »Die zoologischen Gärten sind nach dem Muster der Arche Noah angelegt, denn seit sie existieren, wartet die Bürgerklasse auf die Sintflut.«165 Auch hier war politisch gemeint, was mittlerweile buchstäblich gilt.

Eine verbreitete Form der Kosmetik besteht darin, den Umweltschutz sozusagen auf den eigenen Körper zu reduzieren: Man verändert nicht die katastrophalen Verhältnisse der Massentierhaltung mit ihren Auswirkungen auf Flächenverbrauch, Gewässerbelastung, Ernährungskrise der Dritten Welt und Klimaveränderung, sondern schützt sich gegen BSE und Gammelfleisch. Es ist, als wenn wir »unser Mitgefühl mit dem Leiden der Tiere erst dann entdecken würden, wenn es unsere eigene Gesundheit bedroht; ansonsten schließen wir einfach die Augen gegenüber den Bedingungen, denen wir unsere Steaks, Schnitzel und Brathähnchen verdanken.«166

Gesunde Ernährung, allergenfreie Kleidung, ganzheitliche Wellness markieren den Rückzug der Ökobewegung ins Private. Zwar haben veränderte Konsumgewohnheiten auch Auswirkungen auf den Umweltschutz, fördern die ökologische Landwirtschaft und halten die chemische Industrie zu mehr Vorsicht an. Das propagieren Optimisten als die Macht der Konsumenten. Aber weit stärker ist die Macht des Konsums über die Konsum­kritiker.

Die Proklamation eines alternativen Lebensstils ist längst zu dessen symbolischer Darstellung verkommen. Er hat seine eigenen Markenklamotten, seine Möbel und seinen Musikstil. »Das Problem ist, dass die Utopien buchstäblich verkauft werden.«167

Wenn das Kriterium für annehmbaren Umweltschutz der unmittelbar einleuchtende Eigenschutz ist, lassen sich tiefer greifende Maßnahmen des Umsteuerns eher noch schwerer begründen.

Öko-Lifestyle tritt an die Stelle dessen, was Nachhaltigkeit nach den Worten des bayerischen Försters Georg Sperber eigentlich bedeuten würde: »ein Umkrempeln bis tief hinein in das Wesen dieser Industriegesellschaft - eine Revolution«.168

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Auch die ökologische Kritik muss marktfähig sein, weil alles, was »nicht das Imprimatur der massenhaften Herstellung trägt, überhaupt kaum mehr einen Leser, Betrachter, Hörer erreichen kann«.169 Deshalb beugt sich auch die Kommunikation der Kritiker dem Diktat des Unterhaltungsgebots. Schließlich ist auch Information ein Geschäft, das sich kundenorientiert geben muss. »Die ursprüngliche Affinität aber von Geschäft und Amüsement zeigt sich in dessen eigentlichem Sinn: der Apologie der Gesellschaft. Vergnügtsein heißt Einverstandensein.«(170)    wikipedia  Apologetik Verteidigungsrede

Dadurch werden Katastrophen und Prophetenworte nicht mehr als sie selbst wahrgenommen. Es ist überall wie bei der Tagesschau: Am Anfang gibt es furchtbare Nachrichten. Aber wir überstehen sie, weil wir sicher wissen, dass später etwas Buntes kommt, außerdem Sport und am Ende das Wetter. Allein die Form der Präsentation von Wirklichkeit sorgt schon für die Abdichtung der Normalität gegen die Realität.

Nun sind die meisten der in diesem Abschnitt verarbeiteten Zitate über ein halbes Jahrhundert alt und beziehen sich gar nicht auf die ökologische Krise. Meine Diagnose bedient sich der Kritischen Theorie, insbesondere ihrer Kritik der »Unterhaltungsindustrie«. Warum fügen sich diese Zitate aber so nahtlos ein? Die Kritik der Unterhaltungsindustrie selbst gilt heute eher als peinlich, als überholter Kulturpessimismus einer konservativen Linken, als deren elitäres Ressentiment gegenüber einer demokratischen Kultur des Marktes.

Und doch hat Adornos Kritik inzwischen sogar an Realitätsnähe gewonnen: Angesichts der ökologischen Selbstvernichtung der Menschheit gewinnt seine Analyse unserer Kultur als einer Fabrik der Realitäts­verweig­erung eine buchstäblichere Evidenz. Man muss dem zufriedenen bürgerlichen Subjekt nicht mehr gegen seine Selbstwahrnehmung seinen Verlust an Subjektivität demonstrieren. In der ökologischen Krise legt die Kritische Theorie den Welt-Verlust unserer Gesellschaft dar, in dem diese kulturell mitvollzieht, was ihr ökologisch tatsächlich widerfährt.

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   Merkantiler Zynismus  

Allerdings hindert ein blinder Fleck auch manche linke Theorie, die ökologische Systemkritik wirklich bis zur Wurzel zu treiben. Dieser blinde Fleck ist ihr von Karl Marx selbst vererbt: In dessen ökonomischer Theorie hat die Natur keinen Wert. Den erhält jedes Produkt erst durch die menschliche Arbeit, deren Substrate »von Natur, ohne menschliches Zutun, vorhanden sind, mit Erde, Wind, Wasser, dem Eisen in der Erzader, dem Holze des Urwalds«.(171) Der Stoff ist »wertlos wie Erde und Meer«.(172)

Auch wenn Marx hellsichtig auf den verbrauchenden Charakter industrieller Agrarkultur als einem »Fortschritt im Ruin der dauernden Quellen dieser Fruchtbarkeit« hinweisen kann(173), so bleibt ihm der technische Fortschritt doch der Motor des gesellschaftlichen Fortschritts. Der wird schließlich vom Kommunismus übernommen und kommt dann der Allgemeinheit zugute. Die modernen Produktivkräfte als »Sieg des Menschen über die Naturkraft« gilt es dem Kapitalismus zu enteignen, damit sie »die reale Basis einer höheren Gesellschaftsform bilden können, deren Grundprinzip die volle und freie Entwicklung des Individuums ist«.174

Im »real existierenden Sozialismus« rechtfertigte diese Theorie eine Politik der Industrialisierung ohne Rücksicht auf ökologische Verluste. So war der schon erwähnte »Niedergang des Aralsees gewissermaßen ein geplanter Mord«.175 Seit der Kapitalismus mit sich allein ist, hat er die marxistische Zukunftsverheißung des Fortschritts für den Menschen umso schamloser integriert. Wachstum soll die Gesellschaft nun auch gegen die ökologische Krise wappnen. Tatsächlich empfiehlt Björn Lomborg, statt heute teuren Klimaschutz zu betreiben, solle man lieber die Erwärmung in Kauf nehmen und später deren Folgen bekämpfen - mit den verzinsten Gewinnen von heute.(176)

Hier wird bewusst unser Problemstau an die Nachkommen vererbt, im Vertrauen auf das angebliche ökonomische Naturgesetz, dass diese reicher sein werden als wir. So rechtfertigen tatsächlich Wirtschafts­wissen­schaftler die »irrationale Einengung des Blickwinkels auf kurzfristige Profite rational«.177 Das Kalkül setzt irrig voraus, man könne die ökologischen Katastrophenprozesse so kalkulieren wie den ökonomischen Fortschritt - ganz abgesehen davon, dass dies auch bei ihm schon zweifelhaft ist.

»Selbst hoch angesehene Veröffentlichungen im Bereich der Ökonomie betrachten die ökologische Problematik lediglich im Raster von Kosten und Nutzen, nicht als eine qualitative Angelegenheit, bei der es um das Über­leben der Menschheit geht.«(178) Was die realen Opfer dieser Taktik des bewussten Vertagens mit dem Ziel der Gewinnmaximierung angeht, so lässt sich von ihnen zynisch wohl nur sagen: »Wer arm bleibt, versteht die Chancen der Globalisierung eben nicht zu nutzen und hat somit auch keinen Schutz gegen die Erderwärmung verdient.«179

Die Wachstums-Ideologie leistet jenseits aller Kosmetik den direkten Widerstand gegen eine ökologische Wende, einschließlich eines offen zu Markte getragenen merkantilen Zynismus. »Die Kriminellen brauchen nur die Wörtlein >Rezession<, >Arbeitsplätze<, >Konkurrenzfähigkeit< zu flüstern, und schon wieder ist alles bis weit in die systemfreudige Linke an die Kette der Wirtschaftsraison gelegt.«(180)

Zu dieser Machtdemonstration gehört eine sprachliche Schamlosigkeit: Man verbirgt die Realität durch »technokratisches Newspeak«(181), in dem die Lagerung Jahrtausende radioaktiv strahlenden Mülls euphemistisch »Entsorgung« heißt oder Louis Armstrongs »What a wonderful World« zu Autoreklame erklingt. »Ausgerechnet die Branchen, die am meisten sündigen, haben einen guten Prozentsatz ihrer Werbung ohne Erröten auf Umwelt umgestellt.«(182)

Lobbyorganisationen von Energiekonzernen haben Millionenbeträge in pseudowissenschaftliche Widerlegungen des Klimawandels gesteckt und damit maßgeblich den Ausstieg der USA aus dem Kyoto-Prozess beeinflusst.(183) Mit Geld wider besseres Wissen Erkenntnisse zur ökologischen Katastrophe in der Öffentlichkeit zu torpedieren, damit man das eigene Handeln nicht ändern muss, ist objektiv verbrecherisch.

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