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      Kapitel 2  -  Ausbeutende Zivilisation: Die globale soziale Katastrophe    

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  2.1 - Erste Täter und erste Opfer

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Die apokalyptische Situation der Gegenwart lediglich von der ökologischen Krise her zu analysieren ist in einseitiges Unterfangen. Es entspringt einer »westlichen« oder »nördlichen« Perspektive, der Wahrnehmung der Bürger reicher Industrienationen. Die ökologische Krise ist das apokalyptische Thema jener, die viel zu verlieren haben, weil sie überaus gut leben - so gut, wie es so einer großen Zahl von Menschen in der gesamten Mensch­heits­geschichte noch niemals möglich war. Sie sorgen sich, dass die ökologische Krise - die sie selbst produzieren - ihre Lebensweise bedroht.

  Geteilte Wahrnehmung 

Dies ist die Perspektive einer Minderheit auf unserem Planeten. Sie bringt es bald nicht einmal mehr auf ein Fünftel der Weltbevölkerung. Für die Mehrheit dagegen ist die ökologische Krise - auch hier: in ihrer Wahr­nehmung - kein vordringliches Problem. Wer in dauernder Existenznot lebt, wen Hunger, Elend, aber auch allgegenwärtige Unterdrückung und Gewalt in einen ständigen Überlebenskampf pressen, der sorgt sich nicht um die Zukunft der Umwelt im Allgemeinen. Oder er nimmt diese Sorge - etwa um sauberes Wasser, um die Fruchtbarkeit seines Ackers - nicht als Umweltproblem wahr, sondern als eines von Armut. Schließlich haben die Reichen genug Wasser für Swimmingpools und genug Boden für Viehfutterplantagen.

Die arme Mehrheit der Menschheit fürchtet auch keine Veränderung, sondern sehnt sie herbei. In großen Teilen der Erde führen Armut und Unterdrückung schon gegenwärtig zu einer Auflösung von Staatlichkeit, Gesell­schaft und Kultur. Das Losungswort der Öko-Debatte lautet Erhaltung. Für die meisten Menschen der Welt sind die Zustände, in denen sie leben, jedoch keineswegs erhaltenswert. »Die Reichen bekommen es mit der Angst zu tun, die Armen nicht. Die Reichen haben mehr zu verlieren.«(1)

    Geteilte Welt  

Dass wir global nicht die gleiche Perspektive teilen, spiegelt unsere real geteilte Welt wider. Dass es eine so genannte »Weltgemeinschaft« gäbe, aus der nur einzelne »Schurkenstaaten« ausgestoßen seien, ist dagegen pure Ideologie. Die Teilung der Welt trägt sich nicht nur in die Wahrnehmung der ökologischen Krise ein, sie bildet sich in ihr auch objektiv ab. Die ökologische Krise ist tatsächlich eine globale Katastrophe. Sie betrifft aber die Teile der geteilten Welt ganz unterschiedlich.

Es scheint wie ein bitterer Zynismus der Geschichte, dass die Armen zuerst und am stärksten die Folgen des Handelns der Reichen zu spüren bekommen. Tatsächlich sind die Industriestaaten historisch und quantitativ die ersten Täter, die Entwicklungsländer jedoch zeitlich wie vom Ausmaß her die ersten Opfer der ökologischen Katastrophe. Die »internationale Verteilung der ökologischen Effekte«(2) ist so ungerecht wie die internationale Verteilung der ökonomischen Macht.

Während die »Industrieländer ein Gros der globalen Umweltprobleme verursachen«, schlagen diese bei ihnen zunächst am wenigsten durch: »Obwohl man davon ausgehen kann, dass letztlich alle Länder zu den >Verlierern< der globalen Umweltzerstörung und Ressourcenausbeutung gehören werden, werden die Entwicklungsländer tendenziell die größeren Verlierer und die OECD-Länder die kleineren Verlierer sein. >Das Fazit lautet also: Die Schuldigen werden die Gewinner sein, zumindest die relativen Gewinner.<«(3) Gerade die Ärmsten, die zu dem Problem kaum etwas beigetragen haben, werden den Klimawandel womöglich mit ihrem Leben bezahlen müssen; Afrika wird dabei am schlimmsten betroffen sein.(4)

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Diejenigen, welche die Ausbeutung natürlicher Ressourcen und die Zerstörung des ökologischen Gleichgewichts am intensivsten betreiben, können dank ihres Reichtums am längsten die Folgen ihres Handelns abfedern. Dieses Abfedern bewerten Politiker gern als Fortschritt der Umweltpolitik. Aber das sieht nur so aus - wenn man die ökologischen Trends im größten Teil der Welt ausblendet oder dem Glauben anhängt, es gäbe einen automatischen Nachholeffekt zum Besseren zwischen Erster und Dritter Welt. Um das glauben zu können, darf man allerdings nicht allzu genau hinschauen. »Öko-Optimisten pflegen über die Dritte Welt nicht viel zu reden.«(5)

Die Rede von der Teilung der Welt ist zwar im Blick auf diverse regionale Verhältnisse stark vereinfachend, aber nicht falsch. Trotz industrieller Globalisierung erfolgt der Löwenanteil »der nach Produktionswert bemes­senen industriellen Produktion in nur wenigen Hauptgebieten: den USA, Kanada, Japan und Westeuropa«.6 Diese Produktivität geht mit dem größten Umweltverbrauch einher, wie auch ein eher liberaler Wirtschafts­historiker eindeutig feststellt: »Unter ansonsten gleichen Bedingungen sind es die reichen Länder, die die Erde vergiften.«7

Ein Bürger der USA verursacht hundertmal so viel CO2-Emissionen wie ein Südinder oder Westafrikaner.8 Dass die Auswirkungen des Klimawandels umgekehrt »den Süden« besonders schlimm treffen, hat natürlich auch geografische Gründe: Weite Regionen Afrikas und Asiens sind für Hitze und Dürre besonders anfällig. Eine geringe Schwankung in den jetzt schon extremen Bedingungen kann zur völligen Verwüstung führen.9 Die strukturellen Gründe, die diese Katastrophe verschärfen, sind jedoch nicht natürlich, sondern historisch und ökonomisch begründet: Der Süden hat trotz eines weitaus größeren Prozentsatzes landwirtschaftlich arbeitender Bevölkerung weit weniger Chancen, sich selbst zu ernähren; denn die landwirtschaftliche Produktivität ist weit geringer10 und seine Flächen produzieren vielfach für die Ernährung der Industrienationen.

Der objektive Zynismus dieser Situation wird durch den Umgang der Reichen mit ihr noch zementiert.

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Denn in ihrer Politik behandeln sie die »Dritte Welt« stets nur als die eigene Peripherie. Auch die bedrohte natürliche Umwelt der Entwicklungsländer wird als Umwelt der reichen Länder wahrgenommen - und die Armen werden für deren Erhaltung zugunsten der Lebensverhältnisse der Reichen haftbar gemacht. So sind die »Bewohner der nördlichen Hemisphäre ... auf die Problematik des tropischen Regenwaldes aufmerksam geworden ... der eigenen Betroffenheit wegen. ... Die Sorge um das Überleben der indigenen Völker ist zweitrangig. Im Vordergrund steht die Angst um die eigene Zukunft und die Zukunft der kommenden Generationen.«11

 

  Verknüpfte Welt  

Ökologische und soziale Katastrophe sind global miteinander verknüpft. Auch im »so genannten >Nord-Süd-Konflikt< steht... die Ökologie-Problematik, die fortschreitende Zerstörung der Mit-Welt, an erster Stelle.«12 Das Fortschreiten der ökologischen Katastrophe torpediert die ohnehin wenig erfolgreichen und häufig auch kaum ernsthaften Anstrengungen zur Überwindung der sozialen Teilung der Welt. Es wird zu einer Verschärfung der Diskrepanz zwischen Industrie- und Entwicklungsländern führen.(13)

Die ökologische Krise entwickelt sich genau nach dem Prinzip, nach dem seit Beginn der Neuzeit die Globalisierung voranschritt: Das europäische, das westliche Modell wird exportiert, zwingt seine Struktur den anderen auf und sorgt zugleich dafür, dass Profit und Zerstörung einseitig verteilt werden. Allerdings holen in der Globalisierung der ökologischen Krise die Folgen ihres Handelns die reichen Länder wie ein weit fliegender Bumerang wieder ein; aber das ist ein »Schicksal, in das wir bei unserer erprobten Aggressivität große Teile der leidenden Welt hineinreißen werden«14, mehr noch: Wir schicken sie gewissermaßen vorweg in den Abgrund.

Der erste Schritt: Das ökologische Desaster schafft Armut. Im Extremfall ist »die Ausrottung eine Volkes die unmittelbare Folge der Vernichtung ihres Lebensraumes«.15 Die Conquista der »Neuen Welt« war auch eine ökologische Eroberung, die den unterlegenen Völkern in einer Art Politik der verbrannten Erde Wälder und Äcker nahm, um eigene Monokulturen zu errichten und oft nur Wüsten zu hinterlassen.16

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Eine nicht allmählich gewachsene, sondern auf kolonialen Raubbau ausgerichtete Landwirtschaft hat in Lateinamerika die Landschaft schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts verwüstet, bis hin zu regionalen Klima­veränderungen. Auch in Afrika hat der Anbau kolonialer Monokulturen für den Export sowie die Zerstörung der Sozialstrukturen im Gefolge von Sklavenjagd und Kolonialisierung die Widerstandskraft von Landschaft und Bevölkerung gegenüber der ökologischen Krise geschwächt.

Der heutige Umgang mit der Umwelt in der Dritten Welt ist nicht althergebracht. Er ist eine typisch koloniale Verhaltensweise. Weder die Einheimischen in Europa noch die ursprüngliche Bevölkerung in Afrika oder Lateinamerika kannten eine solche Ausbeutung durch Anbaumethoden, die »den Boden fast ebenso schnell verwüsten, wie sie ihn urbar machen«. Aber in den Kolonien hat sich »zwischen dem Menschen und dem Boden nie jene Wechselbeziehung hergestellt, die ... der tausendjährigen Vertrautheit zugrunde liegt. ... Hier hat man den Boden vergewaltigt, man hat ihn zerstört, seiner Reichtümer beraubt und ist dann, nachdem man ihm räuberisch die eigenen Profite abgerungen hatte, weitergezogen.«17

Zurück blieben die Armen, die nicht weiterziehen können und nun - zudem selbst meist Entwurzelte - die Verwüstung bewohnen. Späteren Beobachtern erscheinen sie dann als die ökologischen Täter, die nicht mehr wissen, wie man bäuerlich sorgsam mit der Umwelt umgeht.18

Der zweite Schritt: Armut macht den Schutz ökologischer Lebensgrundlagen unmöglich. Reiche Länder können sich Umweltschutz leisten, und demokratische Staaten leisten ihn sich auf Druck der Öffentlichkeit am schnellsten.19 »Nur wenn wir reich genug sind, können wir uns den relativen Luxus leisten, uns um die Umwelt zu kümmern.«20 Arme dagegen werden auf dem Weg, reich zu werden, auf die Umwelt meist keine Rücksicht nehmen. Die meisten undemokratischen Regime der »Dritten Welt« unterdrücken die heimischen Umweltbewe-gungen und entschuldigen ökologische Probleme als Übergangswehen auf dem Weg in das gelobte Land der industriellen Entwicklung. Mitunter gehen bei dieser Unterdrückung die Interessen der westlichen Industriekonzerne und der örtlichen Machthaber Hand in Hand.

An der Peripherie können europäische oder nordamerikanische Firmen mit Umwelt und Menschen in einer Weise umgehen, die ihnen in den eigenen Ländern nur zu Beginn der Industrialisierung erlaubt war. Davon zeugt etwa der Chemieunfall im indischen Bhopal mit insgesamt 7.000 Todesopfern.21 In Nigeria ließ die Militärregierung 1995 neun Umweltaktivisten vom Volk der Ogoni hinrichten, die gegen die ökologisch und sozial verheerenden Folgen der Ölgewinnung im Nigerdelta protestiert hatten. Unter den Ermordeten war der in Europa bekannt gewordene Ken Saro-Wiwa. Die Militärregierung des an Rohstoffen reichen, aber in seiner Bevölkerung bitter armen Landes verteidigte mit diesem Terror die Arbeit des Konzerns Royal Dutch/Shell, der die Anlagen betreibt.22

Und die Folgen für die eine Welt? »Abermillionen von Umweltflüchtlingen - Menschen, die vor den ins Land flutenden Meeren fliehen oder vor den Wüsten, die das Salzwasser zurücklässt«23, sind schon nicht mehr reine Zukunfts-Prognose. Eine Studie Norman Myers von der Oxford-University von 2007 berechnet die Zahl der weltweiten Armutsflüchtlinge, die faktisch auf die Zerstörung ökologischer Lebensgrundlagen reagieren, auf 25 Millionen Menschen.(24) Die meisten von ihnen bringen die soziale Situation in den armen Regionen selbst weiter ins Kippen, denn nur die wenigsten erreichen die reiche Hemisphäre.

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(2) 1. Erste Täter und erste Opfer   - Taxacher 2012