Kapitel 1 - Naturgesetze als Gegner: Die globale ökologische Katastrophe
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Die These dieses Kapitels lautet: Die ökologische Katastrophe, so wie sie sich gegenwärtig ereignet, stellt die Menschheit irreversibel in eine apokalyptische Situation. Die Moderne ist an ihrem Ende eine Endzeit geworden, weil die Situation des drohenden, des durchaus möglichen Endes sich nicht mehr rückgängig machen lasst - selbst wenn es gelänge, dieses Ende hinauszuzögern oder gar, ihm auf absehbare Zeit zu entrinnen.
Die Apokalypse ist dem Glauben an die eingreifende Hand Gottes entrissen. Damit hat die Geschichte ihre prinzipielle Offenheit verloren. Sie ist [zwar] nicht vorhersehbar geworden; aber sie ist an ein reales Ende gestoßen. Mit Apokalypse ist hier also der drohende Zusammenbruch der Menschheit oder zumindest der menschlichen Zivilisation, wie sie uns bisher vorstellbar erscheint, gemeint.
Denn menschliches Leben, das die mögliche Katastrophe vielleicht überleben und sich neu formieren könnte, hätte die Kontinuität mit der bisherigen Menschheitsgeschichte verloren. Welches Szenario auch die nähere Zukunft bestimmen wird: »Eine Krise apokalyptischen Ausmaßes wird mit ziemlicher Sicherheit das Gesicht des 21. Jahrhunderts prägen.«(1, Dyer)
Geschichtstheologie mit Zahlen
Eine solche These als theologische Zeitdiagnose aufzustellen, bedeutet für die theologische Argumentation eine bisher nicht da gewesene Situation. Denn zu ihrer Begründung muss sie sich auf Ergebnisse der ihr traditionell fremdesten Wissenschaften beziehen: auf die »exakten««. Dass eine auf Geschichte und Gegenwart bezogene Theologie nicht nur mit ihren eigenen (Glaubens-)Inhalten Umgang pflegen kann, ist zwar nicht neu. Aber die Rolle der Naturwissenschaften bei der heutigen theologischen Gegenwartsdiagnose bedeutet einen epochalen Wechsel.
Bis weit in die Neuzeit hinein bezogen sich eine der Geschichte ins Auge blickende Philosophie und Theologie auf religiöse und politische Zusammenhänge. Der Aufstieg und Zusammenbruch von Weltreichen und die Ablösung alter durch neue Glaubensweisen trieben die Reflexion an. Das war grundsätzlich von Augustinus bis Hegel so.
Mit der Industrialisierung schoben sich dann technische und ökonomische Bezugsgrößen in den Vordergrund. Marx' Unternehmen, Hegels Geschichtsphilosophie »vom Kopf auf die Füße zu stellen«, reagiert auf diese Veränderung ebenso wie die Hinwendung der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule zur Sozialwissenschaft.
Jetzt ist jedoch auch diese Situation revolutioniert: Die ökologische Krise ist keine grundsätzlich andere für Sozialismus und Kapitalismus. Beide haben auf Fortschritt und Wachstum gesetzt.
Und die ökologischen Grenzen des Wachstums können nicht mit rein ökonomischen Mitteln errechnet werden. Unsere wahre Krise bestimmt die Ökonomie, wiewohl von ihr produziert, »von außen«: Ressourcenbegrenzung, Wirkweise von Giftstoffen, die Folgen der Ausrottung von Arten, die anthropogene Veränderung des Klimas - all das sind keine politischen oder ökonomischen Faktoren, sondern »Antworten« auf unser politisches und ökonomisches Handeln. Wie diese Antworten ausfallen, bestimmen physikalisch, chemisch und biologisch beschreibbare Regelkreise.
In der Bewertung der ökologischen Krise ist die Geschichtsphilosophie gewissermaßen wieder dort angekommen, wo sie zu Beginn der Neuzeit auch ihren Anfang erträumte: Die planmäßige Beherrschung der Natur durch exakte Wissenschaft, wie sie Francis Bacon anstrebte, hat dazu geführt, dass wir uns nun von eben diesen exakten Wissenschaften sagen lassen müssen, welche Konsequenzen unser Planen und Handeln in der Natur hervorrufen.
Deshalb sind die warnenden Propheten unserer Tage selten Theologen, auch nicht Kulturwissenschaftler, sondern meist Chemiker, Biologen oder Klimatologen. Die einst dazu da waren, Bacons Programm »Wissen ist Macht« zu vollstrecken, finden sich jetzt in der Verantwortung wieder, durch ihr Wissen die Menschheit auf ihre gefährliche Ohnmacht bei der Machtausübung hinzuweisen.
Für eine Theologie, die diese Situation zu deuten und theologische Antworten zu formulieren versucht, bedeutet dies zunächst, dass sie die neuen Propheten der neuartigen Apokalypse hören muss. Das geschieht außerhalb der speziellen Umweltethik meist nur sehr oberflächlich - als sei die ökologische Lage der Menschheit für Theologen doch nur eine Art Hintergrundrauschen.
Ich halte dies für einen Fehler, der die gegenwärtige Ohnmacht theologischen und kirchlichen Sprechens mitbegründet. Deshalb will ich mich in diesem Kapitel mit den ökologischen Szenarien der Gegenwart auseinandersetzen.
Das bedeutet zwangsläufig, dass hier Fakten und Daten zur Kenntnis zu nehmen sind, die ein Geisteswissenschaftler weder selbst erheben, noch in sich bewerten, sondern nur einordnen und in ihrer Bedeutung reflektieren kann.
Trotz ihrer Fachfremdheit sollten sich Theologen des Einstiegs in ökologische Diskussionen nicht verweigern. Eine eigenständige Meinungsbildung ist heute schlicht Bürgerpflicht. Denn das Argument der Laien-Ohnmacht darf nicht zu einer Zementierung von Experten-Herrschaft führen. Kritische Urteilsfindung ist aber auch Christenpflicht: Denn der Teufel der neuen Apokalypse steckt tatsächlich auch im Detail.
Die Warnungen der neuen Propheten vor Krise und Zusammenbruch werden häufig überhört und in den Wind geschlagen. Direkten, qualifizierten Widerspruch finden sie dagegen selten. Man straft diese modernen Apokalyptiker lieber der Missachtung, als sie zu widerlegen. Der dänische Statistiker Björn Lomborg dagegen hat in seinem Buch "Apokalypse No" versucht, die ökologischen Katastrophen-Diagnosen als Übertreibung und Unsinn zu entlarven. Er tut dies auf umstrittene, aber wissenschaftlich fundierte Weise - auch wenn er einzelne seiner Urteile inzwischen revidieren musste.
Für meine These, die Menschheit sei ökologisch in das Stadium einer apokalyptischen Krise mit der dauernden Möglichkeit der Selbstzerstörung eingetreten, eignet sich sein Buch als Widerpart, als Instanz zur Gegenprüfung. Ich werde deshalb meine Diagnose immer wieder anhand der Diskussion zwischen Lomborg und den ökologischen Warnern überprüfen.
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wikipedia
Francis_Bacon
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Gregor Taxacher 2012