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6 - Genetik-Ingenieure 

Taylor-1968

 

1 Die DNS-Story  —  2 Spiel mit dem Erbgut  —  3 Gen-Chirurgie  —  4 Die neue Eugenik  — 
5 Familienplanung  —  6 Ausschaltung genetischer Defekte  —  7 Das Gespenst des genetischen Völkermords

 

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Das ernsteste aller menschlichen Probleme, die durch die moderne Biologie aufgeworfen wurden, liegt in der neu gewonnenen Fähigkeit des Menschen, in den Prozeß der Vererbung einzugreifen und damit auch das Erbgut seiner eigenen Art zu verändern. Zu diesem Schluß muß man kommen, wenn man die Kommentare der Wissenschaftler selber hört. 

Daß es wünschenswert sein könnte, das Menschengeschlecht zu veredeln, hat man schon lange erkannt, und die Furcht, daß es ohne gezielte Maßnahmen in dieser Richtung mit der Menschheit bergab geht, ist ebenso alt. 

Lange schon können Pflanzen- und Tierzüchter die Eigenschaften einer Rasse verbessern, aber es erwies sich als schwierig, Menschen zu überreden, sich aus eugenischen Gründen zu paaren. Neue Techniken, wie die im zweiten Kapitel beschriebenen, könnten die Probleme vereinfachen. Sexuelle Lust wird schließlich völlig vom Vorgang der Zeugung getrennt sein. Empfängnisverhütung läßt heute schon den sexuellen Akt ohne Zeugung ablaufen; auf der anderen Seite können künstliche Besamung und später auch künstliche Eieinpflanzung allein oder zusammen zur Erzeugung der Nachkommen eingesetzt werden, so daß der sexuelle Akt nicht mehr zur Fortpflanzung notwendig ist. Dann ließe sich eine weitgehende eugenische Politik durchsetzen, auch ohne die freie Partnerwahl des einzelnen einschränken zu müssen.

Niemand weiß, wieweit die Bevölkerung dem Aufruf folgen wird, nach diesen Methoden Kinder zu bekommen. 

Viele Eltern haben den verständlichen Wunsch, nur solche Kinder aufzuziehen, die wirklich ihre eigenen sind. Erfahrungen mit adoptierten Kindern weisen uns heute schon darauf hin, wie schwierig es für die Eltern sein wird, genetisch verschiedene Kinder aufzuziehen, und wie diese Kinder selbst das Gefühl einer fremden Umgebung haben können. 

Allerdings muß man zugeben, daß eigentlich niemand weiß, ob die Probleme eines adoptierten Kindes wirklich darin begründet sind, daß es seine biologischen Eltern verloren hat. Auf der anderen Seite könnte in einem Land wie Rotchina oder Rußland ein Appell des Staates an die Bevölkerung, eine eugenische Politik zu unterstützen, vielleicht nicht auf Gegenliebe, aber doch auf Resonanz stoßen. 

Niemand weiß, welche Einflüsse auf das Familienleben wir zu erwarten haben, wenn ein solches Programm wirklich durchgeführt würde.

Wie dem auch sei, heute schon schätzt man, daß in den Vereinigten Staaten pro Jahr 10.000 künstliche Besamungen vorgenommen werden, und die Zahl steigt. Systematische Kontrollen fehlen so gut wie ganz, und es werden kaum Anstrengungen gemacht, daß diese künstlichen Babys genetisch über dem Durchschnitt stehen. Lediglich Spender mit Erbkrankheiten werden ausgeschlossen, sonst wird keinerlei wissenschaftliche Auswahl getroffen, und die so gezeugten Nachkommen werden sich kaum von »normalen« unterscheiden.

Allein aus diesen Gründen wäre es angebracht, der Durchführbarkeit eines eugenischen Programms einige Aufmerksamkeit zu schenken. Aber die Biologen, die heute voller Begeisterung über diese Probleme diskutieren, haben dramatischere Entwicklungen im Auge. Sie denken daran, einmal spezifische Erbfaktoren (Gene) willkürlich in das genetische Material einzufügen, so wie wenn man beispielsweise sagen würde: »Mein Sohn soll genauso sein wie ich, nur mit besseren Zähnen und roten Haaren.«

Neue Wörter wie Genchirurgie, Genkopie, Geneinfügung und Genlöschung tauchen heute schon in wissenschaftlichen Diskussionen auf. Algenie und Gentechniker werden zu geläufigen Ausdrücken. Der Nobelpreisträger Edward Tatum am Rockefeller-Institut in New York erklärte, daß »wir vorhersehen können, wie wir nach Plan genetische Veränderungen sogar beim Menschen hervorrufen können«, und er fügte hinzu, daß die biologische Technologie »vielleicht früher kommt, als wir es jetzt glauben«. In seinen Worten ist dies »die erstaunlichste Zukunftsaussicht, die Wissenschaft je ermöglichte«. 

Professor Bentley Glass, zugleich Jurist und Biologe mit dem Fachgebiet der Humangenetik, warnt vor diesen Techniken: sie könnten zwar praktikabel sein, doch bezweifele er, ob es ratsam sei, sie wirklich anzuwenden. Er meint, daß wir uns binnen weniger Jahre entscheiden müssen, ob wir eine solche »Fortpflanzungstechnologie« zulassen wollen.

Der Durchbruch — hier ist das Wort sicher keine Übertreibung — innerhalb der Wissenschaft der genetischen Prozesse ist eine der dramatischsten Erfolgs­geschichten in der modernen Biologie. Es lohnt sich daher, zunächst die wichtigsten Entdeckungen kurz zusammenzufassen, die uns heute das Gefühl geben, unmittelbar vor einer Krise zu stehen. 


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   1  Die DNS-Story   

 

Als man anfing, über den Mechanismus der Vererbung nachzudenken, glaubte man zunächst — und dies war ganz natürlich —, daß man es hier mit reinen Mischungs­problemen zu tun habe. Aber einem deutschen Hundezüchter fiel auf, daß bei der Kreuzung zweier Rassen, sagen wir zwischen einem Polizeihund und einem Schnauzer, sehr oft Nachkommen entstehen, die zwar dem einen oder anderen gleichen, aber keineswegs als Mischung aus beiden erscheinen.

Auch Pflanzenzüchter hatten beim Kreuzen gelber faltiger Erbsen mit grünen glatten bemerkt, daß man Erbsen erhalten konnte, die zusätzlich zu den elterlichen grün-glatten und gelb-faltigen gelb und glatt oder grün und faltig waren. Mit anderen Worten: die Veranlagung, grün zu sein, wird entweder vererbt oder nicht vererbt und, ganz unabhängig davon, wird entweder die Veranlagung für glatt vererbt oder eben nicht. 

Aber erst nach einem weiteren Vierteljahrhundert zog der Augustiner Chorherr Gregor Mendel in Brünn den ausdrücklichen Schluß, daß die Vererbung dadurch zustande kommt, daß von jedem Elternteil die »Primär­charaktere« zusammengebracht werden, von denen eines gelegentlich dominiert, d.h. das andere daran hindert, sich auszuprägen. So wird zum Beispiel jemand, der von seiner Mutter blaue Augen, von seinem Vater braune Augen geerbt hat, braune Augen haben, aber er wird immer noch Erbfaktoren für blaue Augen an seine eigenen Nachkommen weitergeben. Lebewesen, sagte Mendel, sind ein Mosaik voneinander unabhängiger Erbfaktoren.

 

Diese unabhängigen Erbfaktoren nennen wir heute Gene. Während Mendel, von der wissenschaftlichen Welt unbeachtet, mit seinen Erbsen arbeitete, begannen die Biologen die Zellen zu untersuchen, aus denen alle Lebewesen aufgebaut sind. Mit dem Ölimmersions-Mikroskop entdeckten sie innerhalb der Zellen einen Zellkern und innerhalb dieses Kerns wiederum dunkle Stäbchen, die sich ihrer Längsachse nach aufspalten, wenn die Zellen sich teilen. Diese Stäbchen erhielten den Namen Chromosomen. 


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Jede Tochterzelle bekommt dabei das gleiche Sortiment Stäbchen, jedes Stäbchen als Duplikat. Bei der Bildung der Ei- und der Samenzelle wurde jedoch ein anderer Mechanismus beobachtet: nur jeweils ein Chromosom eines Chromosomenpaares gelangt in die Tochterzelle, gleichgültig ob Ei- oder Samenzelle. Wenn dann bei der Befruchtung das Ei mit dem Samen verschmilzt, wird die ursprüngliche Stäbchenzahl wieder erreicht. Man konnte hier direkt beobachten, wie die Erbanlagen durchgemischt werden, bevor sie an die Kinder weitergegeben werden. Bei dieser Gelegenheit stellte man auch fest, daß einzelne Eigenschaften en bloc vererbt werden, nämlich diejenigen, die auf einem und demselben Chromosom sitzen. 

Diese Beobachtungen regten intensive Untersuchungen der ' chromosomalen Vererbung, hauptsächlich bei der kleinen Fruchtfliege Drosophila, an. Diese Fliege ist deswegen besonders bequem, weil sie wenig Laboratoriumsplatz beansprucht, recht unempfindlich ist und vor allem, weil man in sehr kurzer Zeit sehr viele Nachkommen züchten kann; die Generationszeit beträgt nämlich nur 12 Tage. Dabei machte man die Beobachtung, daß Chromosomen gelegentlich auseinanderbrechen und sich die Einzelteile dann in einer anderen Anordnung wieder zusammenfügen. Durch die Untersuchungen der Erbveränderungen, die nach solchen Chromosomenveränderungen zu beobachten waren, konnte man nach und nach herausfinden, wo auf den einzelnen Chromosomen die verschiedenen Gene, d. h. die verschiedenen Erbanlagen, lokalisiert sind. Die Arbeit war mühsam, und man konnte zunächst nur bei der Drosophila richtige »Genkarten« aufstellen, auf denen alle bekannten Gene am richtigen Ort vermerkt sind. Die Drosophila wurde so zum Paradebeispiel in der klassischen Genetik.

Aber woraus bestehen die Chromosomen, und wie wird die genetische Information weitergegeben? Der nächste Schritt in dieser Richtung gelang erst 1944, als Oswald Avery, ein amerikanischer Immunchemiker, eines der Schlüsselexperimente der (modernen Biologie durchführte. In diesem Experiment bewies er, daß die genetischen Informationen in einem Molekül stecken, das damals noch kaum bekannt war, nämlich in der Desoxyri-bonucleinsäure oder kurz DNS. Er benutzte zwei verschiedene Stämme von Pneumokokken, den Erregern der Lungenentzündung, von denen der eine eine glatte Kapsel, der andere eine rauhe Kapsel hat. Aus den glatten Bakterien präparierte Avery einen Extrakt, den er den rauhen Kapseln zusetzte. Als er die Nachkommen der so behandelten »Rauhen« untersuchte, fand er, daß einige von ihnen glatte Kapseln bekommen hatten und sie auch fortan behielten: auch ihre Nachkommen blieben glatt. Daraufhin reinigte er seinen Extrakt und konnte zeigen, daß eben die DNS für diese Umwandlung verantwortlich war.


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DNS war demnach offensichtlich das physikalisch-chemische Äquivalent, die materielle Basis für die genetische Information, d. h. die Erbanlagen. Averys Experiment war von den Beobachtungen des englischen Bakteriologen Fred Griffith angeregt worden, der zwölf Jahre vorher, ohne es eigentlich beabsichtigt zu haben, einen nichtvirulenten Pneumokokkenstamm durch Konfrontierung mit abgetöteten virulenten Kokken aktiviert hatte. Dieses Resultat hatte damals niemand so recht geglaubt, man hielt es allgemein für einen Experimentierfehler.

Nach weiteren zehn Jahren wußte man, daß die DNS ein Dop-pelmolekül ist, in dem zwei lange Molekülketten umeinander ggdieht sind. Jede dieser Ketten ist aus sehr vielen Nucleotid-Bausteinen zusammengesetzt, von denen es vier verschiedene gibt. Zur Veranschaulichung kann man an eine Halskette mit vier verschiedenen Perlen denken. Die »Perlen« werden der Einfachheit halber A, C, G und T nach den Anfangsbuchstaben der vier verschiedenen Moleküle genannt, die diese Nucleotide aufbauen. Nun bindet A sich mit T und G mit C. Dadurch werden die beiden Stränge des Doppelmoleküls zusammengehalten und, da A immer nur mit T gekoppelt werden kann und G immer nur mit C, ist die Reihenfolge der Bausteine auf den beiden Strängen einander komplementär. Die DNS ist daher ganz vorzüglich geeignet, Informationen weiterzugeben. Werden nämlich die beiden Stränge voneinander getrennt und in einen Vorrat aller Bausteine eingebracht, dann können die A immer nur T und die G immer nur C aufgreifen, bis schließlich zwei Doppelmoleküle aus dem einen ursprünglichen entstanden sind. Jede Molekülhälfte hat so für die Synthese eines exakten komplementären Gegenstückes gesorgt.

In der ganzen Natur wurde kein zweites Molekül von der gleichen außergewöhnlichen Doppelspiral-Struktur entdeckt; allerdings sollte man hinzufügen, daß es ein Einzelstrangmolekül sehr ähnlicher Bauart gibt, nämlich die RNS. Diese Nucleinsäuren werden an der DNS synthetisiert und übertragen dann die genetischen Informationen, die sie an der DNS »abgelesen« haben, auf die eigentlichen Produktionsstätten einer Zelle. 

Man kann dabei an die Analogie eines Wachsabdruckes denken, der die Form eines Schlüssels festhält und weitergibt. Die Ribo-nucleinsäuren sind daher so etwas wie Blaupausen oder, besser gesagt, Konstruktionszeichnungen für die Synthese bestimmter spezifischer Proteine. Die Urzeichnung liegt dabei im Kern in der DNS. Neuerdings hat man gefunden, daß RNS auch als Doppelstrangmolekül vorkommen kann (Reovirus). Die genaue Sequenz der Bausteine einer DNS ist für jedes Individuum einmalig, es sei denn, es handelt sich um eineiige Zwillinge oder Mehrlinge. Das Molekül ist enorm lang: die menschliche DNS enthält über tausend Millionen Nucleotidbausteine.


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Jedoch dürfte die DNS in allen Lebewesen, seien es Pflanzen oder Tiere, nach dem gleichen Plan aufgebaut sein. Man kann nun die Frage stellen, wie ein Molekül von der Gestalt einer winzig kleinen, aber ungeheuer langen Halskette die Vermehrung und Funktion einer lebenden Zelle steuert. Eine Zelle läßt sich als Kasten vorstellen, der mit Hilfe durchlässiger Wände aus sehr vielen verschiedenen Substanzen bestimmte auswählt, die dann an chemischen Reaktionen teilnehmen und so Verbindungen aufbauen, die die Zelle braucht. Abbauprodukte werden gebildet und wieder aus der Zelle ausgeschieden. Die Kontrolle über diese chemischen Reaktionen wird von bestimmten Substanzen ausgeübt, den Enzymen. Es gibt Tausende verschiedener Enzymarten, die alle eine jeweils spezifische chemische Reaktion möglich machen oder, wie man auch sagt, katalysieren. DNS produziert nun im rechten Augenblick die richtigen Baupläne für die richtigen Enzyme. Man kann vereinfachend sagen, daß jedes Gen ein bestimmtes Enzym verschlüsselt.

Die einzigartigen Fähigkeiten der Enzyme dürften auf ihrer dreidimensionalen Struktur beruhen. Jeweils eine bestimmte Form gibt einem Enzym die Möglichkeit, irgendeine sehr spezifische Aufgabe zu versehen. Ein einfacher Vergleich: auch Hammer und Sichel können trotz gleichen Materials (Eisen) ganz verschiedene Aufgaben erfüllen, und dies, weil sie verschiedene Formen haben. Die Zelle erscheint als eine Fabrik, vollgepackt mit hochspezialisierten Maschinen und Werkzeugen. Gewöhnlich lagert sich einem Enzym ein anderes Molekül an, sagen wir Aminosäure, wobei dieses andere Molekül leicht verdreht wird, so daß es jetzt mit einem zweiten Molekül, beispielsweise einer zweiten Aminosäure, reagieren kann. Dadurch finden dann weitere Veränderungen der dreidimensionalen Struktur statt, das neugebildete Doppelmolekül löst sich wieder vom Enzym. Auf solche und ähnliche Weise können lange Ketten aus einzelnen kleinen Bausteinen aufgebaut werden, oder die Ketten können in einem umgekehrten Prozeß bis auf die Bauteile wieder abgebaut werden.

Enzyme gehören zur Klasse der Proteine, die definitionsgemät aus Aminosäuren aufgebaut sind, von denen es etwa 20 verschiedene Arten gibt. Ein bestimmtes Protein kann aus einigen hundert oder gar tausend solcher Aminosäuren zusammengesetzt sein, die in einer genau festgelegten Reihenfolge aneinan-derhängen. Diese Ketten falten sich dann zu einer zumeist sehr komplizierten räumlichen Struktur (Tertiärstruktur). Dadurch erhält jedes Protein eine einmalige Molekülform, die die Voraussetzung seiner hochspezialisierten Aufgaben ist. Zu den Proteinen gehören sehr viele verschiedene Substanzen, von den Muskelproteinen bis zu bestimmten Hormonen, vor allem aber gehören die Enzyme dazu.


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Ganz offensichtlich kann es fast unendlich viele verschiedene solcher Aminosäureketten geben, bei einer Länge von einigen hundert Aminosäuren pro Kette und -0 verschiedenen Aminosäuretypen. Auf diese Art und Weise stellt die Natur durch einen im Grunde sehr einfachen Mechanismus fast eine unendliche Fülle biologischen Materials zur Verfügung.

yVir kommen nun zum letzten Kapitel dieser recht komplizierten Geschichte. Wir müssen nämlich noch erklären, wie die DNS es fertigbringt, die Synthese ganz spezifischer Proteinmoleküle, (j. h. aber auch ganz spezifischer Enzyme zu steuern. Zehn weitere Jahre mußten vergehen, bis man herausgefunden hatte, daß immer drei Nucleinsäurebausteine eine einzelne Aminosäure verschlüsseln. So veranlaßt beispielsweise die Kombination ACG auf der DNS, daß die Aminosäure Lysin an die wachsende Kette eines Proteins angehängt wird. Die Nucleotid-sequenz, die erforderlich ist, um ein vollständiges Enzym auf diese Weise zu »verschlüsseln«, entspricht einem Gen und, da ein Enzym etliche Aminosäuren enthält, stellen die entsprechenden Gene doch recht beachtlich lange DNS-Ketten dar. 1000 Gene, schätzt man, braucht eine einzelne Zelle, und vielleicht sind es 100 000 Gene bzw. Enzyme, die ein menschlicher Organismus insgesamt enthält.

Man weiß heute, daß die DNS nicht nur Aminosäuren verschlüsselt, sondern daß es auf ihr auch Bereiche gibt, die Anfang und Ende einer Proteinkette signalisieren. Gelegentlich muß eine Reaktionskette durch eine ganze Reihe verschiedener Enzyme kontrolliert werden, um beispielsweise die Synthese eines bestimmten Endproduktes auszuführen (etwa ein bestimmtes Augenpigment). Für solche zusammenarbeitenden Gensequenzen gibt es Steuergene, die entscheiden, ob die ganze Sequenz in Aktion tritt oder nicht, je nachdem, ob die zu synthetisierende Substanz reichlich vorhanden ist oder fehlt. Normalerweise werden die Gene einer Zelle »abgedeckt« oder, wie man sagt, reprimiert (reprimere lat. = unterdrücken): wäre dies nicht der Fall, dann müßte eine Zelle sozusagen versuchen, alle Reaktionen gleichzeitig ablaufen zu lassen. In spezialisierten Zellen sind viele Gene endgültig abgedeckt — allerdings endgültig nur unter »normalen« Bedingungen. Wie Dr. Stewards Arbeiten gezeigt haben, können solche »schlafenden« Genaktivitäten durchaus auch wieder aktiviert werden. Man weiß heute schon einiges über den Mechanismus, der schließlich zur »Öffnung« eines Genortes führt, aber wir brauchen hier nicht weiter darauf einzugehen.

Wenn ein Gen oder eine Genkette die Bildung eines Farbstoffes, eines Pigmentes, verschlüsselt, dann können wir das Genprodukt auch mit dem bloßen Auge verfolgen.


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Normalerweise sind aber die Wechselbeziehungen zwischen Genen und ihren »Gen-produkten« viel weniger »klar«. Für viele Wirkungen und Strukturen müssen wohl sehr viele Gene zusammenwirken. Professor C. H. Waddington, Edinburgh, hat die Verhältnisse mit einem großen Zelttuch verglichen, das durch verschiedene Führungsseile in eine sehr komplexe dreidimensionale Struktur gezwungen wird, wobei dann ein jedes Seil einem Gen vergleichbar wäre.

Dieses Zusammenwirken ist sehr wichtig, denn es bedeutet, daß der Ausfall eines einzigen Gens sich in verschiedenen sichtbaren Strukturen des Organismus bemerkbar machen kann. Wir können daher auch nicht erwarten, daß wir irgendeine unerwünschte Eigenschaft einfach durch das Eliminieren einer oder zweier Gene ausmerzen können. Es könnten sehr wohl mehrere Gene beteiligt sein, und die Blockierung all dieser Gene könnte dann hinwiederum Eigenschaften, die wir beibehalten oder gar verbessern möchten, ungünstig beeinflussen. Grob gesagt, könnten wir demnach beispielsweise nur auf Kosten unserer Sehkraft unsere Intelligenz erhöhen.

Heute allerdings wissen wir, von einigen Ausnahmefällen abgesehen, überhaupt noch nicht, was mit wem verknüpft ist und welche Beziehungen im einzelnen zwischen einem Gen und seinen Produkten bestehen. Die Biologen glauben, daß man im Laufe der Zeit alle Zwischenstufen herausarbeiten kann. Vermutlich müssen dazu nicht unendlich viele Kombinationsmöglichkeiten ausgetestet werden, denn wenn einmal ein allgemeiner strategischer Plan sichtbar geworden ist, lassen sich vernünftige Experimente ausdenken, die dann zur Aufklärung der noch fehlenden Glieder führen. Wenn dieser Tag gekommen ist — man wird dazu sicherlich auf die schnellrechnenden Computer angewiesen sein —, dann wird man wahrscheinlich Programme für einen ganzen Organismus schreiben können, genauso wie wir heute schon Programme für die Herstellung eines bestimmten Werkzeugteiles aufstellen. 

Wenn man dann die Programme bereits existierender Organismen kennt (d. h. im Grunde eigentlich nur die komplexe DNS-Sequenz), dann könnte man auch darangehen, Programme für Eigenschaften aufzustellen, die es bis dahin noch nicht in der Natur gegeben hat, und mit Hilfe einer künstlichen Embryoaufzucht völlig neuartige Organismen schaffen. Solche Methoden würde man zweifelsohne zunächst an sehr einfachen Organismen versuchen, beispielsweise an Bakterien, um dann zu Pflanzen und Tieren überzugehen, die für die Landwirtschaft interessant sind. Das Ende würde der Supermensch sein, ein wirklicher Übermensch, so weit über den Menschen hinausgewachsen, daß wir heute noch keinen rechten Namen dafür haben. Wir werden gleich sehen, daß die »Konstruktion« geeignet programmierter DNS nicht unmöglich ist.


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Viel schwieriger wird es werden, diese DNS in die Keimzellen einzufügen, in denen sie ihr Programm ausführen kann. Aber grundsätzlich ist auch dies möglich; schon Averys Experiment, das wir weiter oben besprochen haben, zeigt, daß Zellen — in diesem Falle einfache Bakterien — DNS aufnehmen können, wenn man sie in eine DNS-haltige Lösung bringt. Die Frage ist nur, gelingt dies auch mit Zellen höherer Organismen, vor allem mit Zellen von Säugetieren.

Seit den zwanziger Jahren gab es allerdings nur sehr grobe Methoden, um die genetischen Informationen zu verändern. Mit chemischen Substanzen, sogenannten Mutagenen, und mit einer kräftigen Dosis von Röntgenstrahlen — beides schädigt die DNS — können wir solche Veränderungen zuwege bringen, von denen aber die meisten unerwünscht und viele sogar tödlich sind. (Daher natürlich auch die Furcht vor nach Atombombenversuchen freigesetzten Strahlungen.)

Die Landwirtschaft profitiert heute schon von der routinemäßigen Auslösung solcher künstlicher Mutationen. Die Strahlung einer radioaktiven Kobaltquelle beispielsweise wird benutzt, um bei einer bestimmten Pflanze ein weites Spektrum von Mutationen zu erzeugen, von denen die meisten unbrauchbar sind; gelegentlich kommen aber doch Verbesserungen heraus. In Indien wollte man die Bauern dazu überreden, sich von ihrem traditionellen Weizen auf eine rostfreie Variante mit höheren Ernteerträgen umzustellen. Der Traditionsweizen aber hatte an jedem Korn eine besonders lange Granne, die nach Meinung der Bauern die Vögel davon abhielt, diese Körner aufzufressen. Obwohl es keinerlei wissenschaftliche Unterlagen für diese Meinung gab, gelang es nicht, die Bauern zu veranlassen, grannenlosen, rostfreien Weizen zu pflanzen. 

Wissenschaftler an der Atomenergie-Forschungsstation bestrahlten daher rostfreien »bartlosen« Weizen so lange, bis schließlich eine »bärtige« Version auftauchte, die die Bauern akzeptierten. Beim Menschen kann man es sich natürlich nicht leisten, die unbrauchbaren Varianten wegzuwerfen. Besonders interessante Eigenschaften wie Intelligenz oder auch die Widerstandsfähigkeit gegenüber bestimmten Krankheiten können wir leider erst am erwachsenen Organismus diagnostizieren; zu einer Früherkennung, sozusagen noch in ovo, fehlen uns völlig die geeigneten Methoden. Aber gerade solche komplexen Eigenschaften würden uns beim Menschen besonders interessieren. Mittlerweile gibt es aber andere faszinierende Möglichkeiten.


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   2  Spiel mit dem Erbgut   

Im Jahre 1959 hörten die Biologen von einem aufregenden, ja unglaublichen Experiment dreier französischer Wissenschaftler in Straßburg. Sie hatten dazu zwei Entenrassen, Khaki Camp-bells und White Pekins, benutzt, hatten DNS aus Zellen der Khaki Campbells isoliert und diese dann in White-Pekin-Enten injiziert. Die Idee war, daß die Nachkommen vielleicht einigt Eigenschaften der Khaki Campbells zeigen könnten. Zu ihrem Erstaunen veränderten sich die Enten, denen sie die DNS-Präparation injiziert hatten, selber. Ihre weißen Federn dunkelten nach, und ihre Hälse begannen, die für Khaki Campbells charakteristische Biegung anzunehmen. Anden Genetiker waren ungläubig, aber nicht ungläubig genug, da? Experiment zu wiederholen. Doch alle späteren Versuche — auch an Kaninchen und anderen Tieren — schlugen fehl; selbst die Straßburger Forscher konnten ihre Ergebnisse nicht wiederholen. Wie es damals zur »Straßburger Ente« kam, blieb ein Geheimnis.

Aber sieben Jahre später berichteten A.S. Fox und S.B. Yoor, von der Universität von Wisconsin über eine echte -Transformation, offensichtlich die erste ihrer Art, abgesehen von den schon länger bekannten Bakterientransformationen. Sie behandelten einen bestimmten Stamm der Fruchtfliege — dem Haustierchen der Genetiker — mit DNS, die sie aus einem anderen Fruchtfliegenstamm gewonnen hatten. Die Nachkommen einiger dieser Fliegen unterschieden sich genetisch von ihren Eltern; die Variante vererbte sich über weitere sieben Generationen, danach verschwand sie wieder.

Nach dieser Ankündigung brachte sich Professor Serge Gershenson, Direktor der Virologischen Abteilung am Zabolotny Institut für Mikrobiologie und Virologie in der Ukrainischen Akademie der Wissenschaften, in Erinnerung. Er hatte schon vor dreißig Jahren die Dro-sophila mit Kalbsthymus-DNS behandelt und dann 1939 seine Ergebnisse veröffentlicht. (Damals glaubte man noch, daß alle DNS gleich seien, und er hatte nur deshalb DNS aus Kalbs-thymus verwendet, weil sie besonders leicht zugänglich ist.) Er hatte gefunden, daß durch diese Behandlung stabile Mutanten entstehen, aber im Gegensatz zu röntgeninduzierten Mutanten gab es nur wenige Varianten, im wesentlichen nur Veränderungen der Flügelstruktur. Die Behandlung schien nur ein einziges Segment eines Chromosoms in Mitleidenschaft zu ziehen.

Damals hatte man dafür noch keine Erklärung, und der Krieg unterbrach schließlich seine Arbeiten. Heute ist es leichter, eine Erklärung zu finden.


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Vermutlich assoziieren sich die Segmente der injizierten DNS mit Teilsträngen der Wirts-DNS, die ihnen weitgehend ähnelt, und dann, wenn die Wirts-DNS in diesem Bereich auf Aktion schaltet, könnte die Fremd-DNS »ein Wörtchen mitreden«. Natürlich bekommen Kühe keine Fliegenflügcl, und man wird wohl annehmen müssen, daß sich nur sehr kurze DNS-Stücke genügend gleichen, um eine Assoziierung von Wirts- mit Fremd-DNS zu ermöglichen. Es ist auch denkbar, daß die Bruchstücke der Kalbs-DNS, die sich nun im Fliegengen befinden, ihre eigentlichen Anfangsstellen verloren haben und daher einen ganz anderen »Text« ergeben als ursprünglich im Kalbsthymus.* Darüber hinaus wissen wir heute, daß die Vermehrung der Viren gerade darauf beruht, daß der Zelle die Virus-DNS untergeschoben wird und daß dadurch die Zelle gezwungen wird, Viren zu produzieren und nicht das, was sie normalerweise produzieren würde. In den fünfziger Jahren erkannte man, daß Viren sogar Teile der Wirts-DNS miteinpacken und diese »vagabundierenden Genstückchen« dann beim Eindringen in eine neue Wirtszelle abladen können — ein Vorgang, den man als Transduktion bezeichnet. Ein Virus überträgt also zusätzlich genetische Eigenschaften seines früheren Wirtes auf sein neues Opfer.

Diese Arbeiten eröffnen zahlreiche Aspekte. Man kann heute damit rechnen, daß DNS aus verschiedenen Quellen in vielen Arten eine ganze Reihe verschiedener Mutationen erzeugt. Im Westen gelang bisher nur an der Drosophila der Nachweis, daß durch fremde DNS Mutationen ausgelöst werden können. Professor Gershenson jedoch berichtete davon, daß es ihm gelungen sei, auch beim Seidenspinner eine Transduktion zu erreichen, wobei er einen Virus als DNS-Träger benutzte. In der Zwischenzeit ist es allerdings in Zellkulturen gelungen, die Widerstandsfähigkeit gegenüber bestimmten Arzneimitteln von einer Maus-zell-Linie auf eine andere mit Hilfe von DNS-Präparationen zu übertragen. In den nächsten Jahren werden wir sicher von sehr vielen solcher Experimente hören, und die Möglichkeiten werden sich ohne Zweifel noch wesentlich erweitern. »Wenn die Grundlagen stimmen, werden sich«, wie Professor Gershenson meint, »neue Perspektiven eröffnen, um die Mutationsprozesse unter Kontrolle zu bekommen.«

Jedoch glauben viele Wissenschaftler, daß man, um fremde DNS in eine Wirtszelle einzuschmuggeln, zuerst weniger plumpe Methoden entwickeln muß, als sie lediglich in .eine DNS-Lösung einzutauchen. Und es scheint fast so, als ob eine solche Methode schon gefunden wäre. Im Jahre 1966 gab Dr. Teh Ping Lin aus San Francisco bekannt, daß es ihm gelungen sei, in befruchtete

Anmerkung des Übersetzers: Man weiß inzwischen, daß Veränderungen des Anfangspunktes, von dem aus die genetische Botschaft abgelesen wird, zumeist zu »Unsinn« führen, der dann nicht in Proteine »übersetzt« werden kann.


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Mäuseeier winzige Mengen von Rinderserumglobulin einzuspritzen, ohne die Entwicklung der Eier zu stören. Die Mikroinjektion in Eier von Nicht-Säugern war schon früher gelungen, aber bis dahin war es niemandem mit Säugereiern geglückt, weil sie eine besonders zähe äußere Membran besitzen. Darüber hinaus sind die Eier von Säugetieren sehr klein: ein Mauseei ist für das bloße Auge unsichtbar — es mißt nur ein Zehntel des Durchmessers eines menschlichen roten Blutkörperchens. Dr. Teh brachte es fertig, das Ei in einer Kapillarpipette festzuhalten, die einen Durchmesser von nur 15 Tausendstel eines Millimeters hatte. Die eigentliche Injektion erfolgte dann mit einer zweiten, noch feineren Pipette. Dies alles mußte natürlich unter dem Mikroskop und mit Hilfe eines Mikromanipulators erfolgen.

Die Eier wurden dann in Albinomäuse implantiert, die sich schon gepaart hatten, um eine möglichst korrekte hormonale Umgebung zu garantieren. Nach der Geburt ließen sich implantierte und eigene Nachkommen leicht an der Augenfarbe voneinander unterscheiden. Ungefähr 15 Prozent der implantierten Eier entwickelten sich völlig normal.

Dr. Teh hatte das Globulin als eine harmlose Substanz gewählt, um nachzuweisen, daß die eigentliche Injektionstechnik keinen ernsten Schaden für die Zelle bedeutet. Offensichtlich wird es diese Technik ermöglichen — sobald sie einmal »eingefahren« ist —, viele andere Agenzien in eine Eizelle einzuführen, um ihren Einfluß auf die Entwicklung des Embryos zu studieren. Die Wissenschaft der Embryologie wird daraus sicher sehr großen Nutzen ziehen.

Zweifellos wird man Hormoneffekte studieren wie auch die Wirkung von Substanzen, die einen erwiesenen Einfluß auf die Entwicklung des Embryos nehmen, beispielsweise Contergan, und man wird vermutlich auch mit DNS-Präparationen »herumspielen«.

Ein Jahr zuvor hatte Professor Henry Harris vom >Sir-William-Dunn-Institut für Pathologie< an der Universität Oxford über eine weitere Technik berichtet, die sowohl für die Embryologie als auch für die Genetik neue Ansatzpunkte bringen könnte.

Professor Harris hatte die Idee gehabt, Zellen der verschiedensten Arten miteinander zu verschmelzen, wobei die »Erbmassen« zusammengelegt wurden, aber auch die ganze übrige Ausstattung der Zellen. Er verwendete Zellen von verschiedenen Tieren, etwa von Mäusen und Kaninchen, aber auch Zellen aus verschiedenen Organen des gleichen Tieres. Solche Zellverschmelzungen kennt man aus dem Pflanzenreich, wo sie gelegentlich vorkommen, vor allem bei Pilzen. Die Chance, daß auch tierische Zellen miteinander eine Riesenzelle bilden, ist


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nach den Worten von Professor Harris »recht klein«, denn tierische Zellen enthalten hochspezialisierte Mechanismen, »fremdes« Material zu erkennen und »abzustoßen«. Professor Harris' Trick bestand darin, daß er die Zellen mit einem bestimmten Virus infizierte. Dieser Virus wird unter dem Namen Sendai (einem Ort auf Malaya, wo er zum erstenmal beobachtet wurde) in den Akten der Virologen geführt. Er ist als Erreger einer grippeähnlichen Erkrankung bekannt, doch wurde herausgefunden, daß er auch bestimmte Krebszellen zur Fusion veranlassen kann. Harris bewies, daß sich normale Zellen ebenfalls auf diese Art verschmelzen können. Zu diesen Experimenten wurden keine lebenden Viren verwendet — denn diese hätten die Situation durch zellschädigende Effekte nur kompliziert —, sondern Viren, die durch ultraviolettes Licht abgetötet worden waren.

Allein die Tatsache, daß solche Bastardzellen ihre normalen Funktionen aufrechterhalten, zeigt schon, daß die DNS bei allen Lebewesen nach einem sehr ähnlichen Plan aufgebaut ist. Professor Harris meinte: »Vielleicht sind alle weiteren Ergebnisse, die an solchen Bastardzellen gewonnen werden, nicht mehr so aufregend wie die ursprüngliche Entdeckung, daß solche Verschmelzungen überhaupt möglich sind.«

Das ist vermutlich falsche Bescheidenheit. Wenn man Zellen aus verschiedenen Geweben mit jeweils sehr spezialisierten Aufgaben miteinander zur Verschmelzung bringt, kann man sicher viel darüber lernen, wie die einzelnen Informationen in den einzelnen DNS-Molekülen in den verschieden spezialisierten Zellen verschieden »abgelesen« werden. Die Embryologen beginnen damit, diese Technik für ihre Fragestellungen auszubeuten, es gibt aber bisher noch keine Berichte darüber, daß Zellverschmelzungen auch zur Übertragung genetischer Informationen, vor allem auch bei Eizellen, eingesetzt wurden. Aber die Bedeutung für eine mögliche Anwendung durch die »Geningenieure« liegt auf der Hand. Gerade die Tatsache, daß tierische Zellen zäh genug sind, solche »mörderischen« Prozeduren wie Zellverschmelzungen zu überstehen, und daß sie keine entscheidenden »Einwände« gegenüber fremder DNS haben, läßt uns hoffen, daß die Bemühungen in dieser Richtung nicht ohne Erfolg bleiben werden. 

 

  3  Gen-Chirurgie   

 

Es läßt sich heute noch nicht vorhersehen, was die Zukunft als erstes bringen wird: die Ausschaltung unerwünschter Gene, den Ersatz fehlender Gene oder die Veränderungen zahlreicher Eigenschaften en bloc. Professor Edward Tatum prägte für diese drei Möglichkeiten die Ausdrücke: Gen-Zerstörung (Gen-Deletion), Gen-Ersatz (Gen-Insertion) und Gen-Chirurgie.


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Physikalische Methoden ermöglichen eine Mikrochirurgie an der DNS. Feingebündelte Strahlen (Laser- oder auch pulsierende Röntgenstrahlen) könnten benutzt werden, um an einer gewünschten Stelle das DNS-Molekül zu treffen oder durchzuschneiden, wodurch bestimmte Sequenzen und damit auch bestimmte spezifische genetische Defekte ausgemerzt werden könnten. Auf der anderen Seite könnten »Repressor-Moleküle« gefunden werden, die Bereiche der DNS blockierten und so zur Untätigkeit verurteilten.

Einige Wissenschaftler halten mehr davon, genetische Informationen über einen Virusträger in eine Zelle einzuführen. Aber vielleicht wird die sequenzgerechte künstliche Synthese erwünschter DNS solche umständlichen Prozeduren überflüssig machen. Dann würde es genügen, das erforderliche Stück der DNS als Ganzes einzufügen; eventuell müßte nur die von Dr. Teh erprobte Technik weiterentwickelt werden. Im Laboratorium gelang es bereits, proteinähnliche Aminosäureketten aufzubauen. Allerdings kann man bis heute die genetische Information nicht wirklich manipulieren. Der Molekularbiologe ähnelt einem Telegraphisten, der noch keine Nachrichten weitergeben kann: er kann lediglich einen bestimmten Buchstaben beliebig oft oder eine willkürliche Reihenfolge von Buchstaben übermitteln. Es wird aber nicht mehr sehr lange dauern, bis die Molekularbiologen auch richtige »Wörter«, sprich Enzyme, übermitteln können.

Professor Tatum machte auf einer Konferenz im Jahre 1966 den Vorschlag, maßgeschneiderte Gene dadurch zu synthetisieren, daß man das erwünschte Genmaterial isoliert und dann von Enzymen je nach Bedarf kopieren läßt. Er erwog auch die Verwendung sogenannter Suppressorsubstanzen, um unerwünschte Gene auszuschalten, und meinte, daß man sogar daran denken könne, ganze Zellkerne aus gesunden Zellen in kranke Zellen einzupflanzen. Zwar habe man bei der Behandlung von Keimzellen mit Schwierigkeiten zu rechnen, doch arbeite man heute schon daran, an Säugetieren alle diese Möglichkeiten auszuprobieren. Der >New Scientist< faßte damals die Pläne von Professor Tatum folgendermaßen zusammen: »Er deutete damit an, daß die Kultur von Embryonen im Laboratorium durchgeführt werden wird und daß sich aus ihnen erwachsene Organismen entwickeln würden, deren physikalische und wohl auch geistige Qualitäten zuvor von den Genetikern festgelegt worden waren.«

Eine aufregende Variation dieses Themas sei noch erwähnt, bevor die weiteren Konsequenzen dieser Entwicklung diskutiert werden können.


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Es scheint keinen wesentlichen Grund dafür zu geben, warum die DNS nicht auch aus einem Ei isoliert werden kann, um damit ein anderes Ei zu befruchten, entweder durch die vorläufige Unterbringung dieser DNS in einem Spermatozoon oder aber durch direkte Injektion. Es gilt jedoch einige technische Schwierigkeiten zu überwinden: Das Eindringen einer Samenzelle in ein Ei setzt eine ganze Kette von Reaktionen in Gang, die erst am Ende dazu führen, daß die beiden Zellkerne miteinander verschmelzen. Aber diese Reaktionen könnte man sicher auch mit bloßen Spermatozoon-Hüllen auslösen. Auf diese Art würde eine Frau sich selbst befruchten, ein Vorgang, den Professor Rostand »Selbst-Ehebruch« genannt hat. Eine solche Frau würde ein Kind austragen, das völlig ihr eigenes wäre. Der Ehemann, falls er existiert, könnte wohl mit Recht einwenden, daß dieses Kind nicht sein eigenes wäre, und ihm beispielsweise sein Erbe verweigern, ja sogar den Unterhalt ablehnen.

Die logische Weiterentwicklung dieser Vorschläge würde zur völligen Eliminierung der Männer führen und zur Schaffung einer echten Amazonenrasse. Auf dieser Erde werden die Dinge sicher nicht so weit ins Extreme gehen, aber auf einem anderen Planeten könnte es möglicherweise die Kolonisierung erleichtern.

Schon heute gibt es sehr viel mehr Männer, als zur Arterhaltung notwendig sind. Der Samen eines Mannes würde ausreichen, alle Frauen eines Landes zu befruchten. Wahrscheinlich könnte ein einziger Mann — mit Hilfe künstlicher Besamung und geeigneter Lagerungsmethoden — sogar alle Frauen auf dieser Erde befruchten, auch wenn für die jeweilige Befruchtung ein großer Überschuß an Samenzellen erforderlich ist. Der englische Physiologe Professor A. S. Parkes machte einmal die Bemerkung: »Die Frauen fangen an, den Seltenheitswert zu bekommen, den bisher die Männer besaßen. Biologisch gesprochen, gibt es allein in diesem Lande etwa eine Million Tonnen überflüssiger männlicher Biomasse.« Dies ist in der Tat höchst unwirtschaftlich, und wenn die Männer nichts Besonderes zu bieten haben außer ihrem Geschlecht, dann könnte eine Verschiebung im Verhältnis der Geschlechter zueinander mit den diskutierten Methoden durchaus zu erwägen sein. Einige Wissenschaftler sind allerdings sehr skeptisch, inwieweit diese Methoden wirklich in die Praxis umgesetzt werden können. So sagte Dr. Max Perutz, der für seine Arbeiten über die Proteinstruktur mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde, einmal einem Reporter: »Ich vermag mir nicht vorzustellen, wie man am genetischen Apparat eines Menschen chirurgische Eingriffe machen kann. ... In einer einzigen menschlichen Keimzelle liegen etwa 1000 Millionen Nucleotid-Basenpaare, auf 46 Chromosomen verteilt. Wie könnten wir ein spezifisches


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Gen eines bestimmten Chromosoms auslöschen oder hinzufügen oder ein einziges Nucleotidpaar ausbessern? Es scheint mir kaum realisierbar.« Aber wir haben gesehen, daß das Problem nicht derart kompromißlos dargestellt werden muß, und auch Perutz selber macht die Einschränkung, daß »möglicherweise Methoden der Transduktion zur Verfügung stehen werden. Warum sollten wir nicht harmlose Viren finden, die die Genreparaturstücke mitschleppen? Auf diese Weise könnten ganze Genstücke in Patienten, denen sie fehlen, überführt werden.«

Nobelpreisträger Marshall W. Nirenberg, ein führender Biochemiker, der als einer der ersten eine Bresche in den genetischen Code schlug, ist wesentlich zuversichtlicher. Unter Hinweis auf die Tatsache, daß genetische Chirurgie bei Bakterien eine Routinemethode geworden ist, erklärt er: »Ich habe kaum Zweifel, daß die Schwierigkeiten eines Tages überwunden werden können. Die einzige Frage ist, wann. Ich würde vermuten, daß es schon innerhalb der nächsten 25 Jahre gelingt, Zellen mit synthetischen genetischen Informationen zu programmieren. Würden die Anstrengungen in dieser Richtung intensiviert, könnte man damit rechnen, daß schon innerhalb der nächsten fünf Jahre Bakterien programmiert werden.« Und er fügt hinzu: »Allerdings muß man wohl besonders betonen, daß es den Wissenschaftlern gelingen könnte, menschliche Zellen mit synthetischen Informationen zu programmieren, lange bevor man in der Lage sein wird, die Konsequenzen solcher Veränderungen auf längere Zeit abzuschätzen und vernünftige >Richtlinien< zu formulieren, also die ethischen und moralischen Probleme zu lösen.«

Professor Tatum denkt ähnlich: »Wir können optimistisch sein, was die Therapiemöglichkeiten auf lange Zeit angeht, soweit es sich um die Konstruktion und die Herstellung neuer Gene oder Genprodukte und ihre Einfügung in Zellen defekter Organe handelt.« Joshua Lederberg vom >California Institute of Technology< gab in einer Rundfunkvorlesung zu Protokoll daß wir bei einiger Anstrengung innerhalb der nächsten zehn oder zwanzig Jahre in der Lage sein würden, unsere Erbmasse zu manipulieren.

Das ist keine lange Spanne, und die Frage, wie wir die neuen Möglichkeiten nutzen sollen — sofern wir es überhaupt wagen werden —, müßten wir jetzt schon bedenken. Die moderne Biologie eröffnet praktische Möglichkeiten, vor denen heute noch unsere Phantasie zurückschreckt. Cloning-Methoden — das heißt, die Neuaufzucht aus einer einzigen Zelle — könnten Derby-Gewinner beliebig oft vervielfachen, und die genetische Chirurgie könnte sie so auf Geschwindigkeit trimmen, daß sie gar nicht mehr wie Pferde ausschauen.


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Dadurch würden sportliche Wettkämpfe innerhalb der Tierwelt ad absurdum geführt, und von dort wäre es nur ein kleiner Schritt, dies auch für den Humansport zu erreichen. Sport würde dann zu einem Wettkampf der Genetiker, wobei jeder Genetiker »seine« DNS mit möglichst vielen und guten athletischen Eigenschaften ausstatten will. Würden die optimalen Athleten nach der cloning-Methode vermehrt, dann könnten wir uns denken, daß die erbgleichen Sprinter die Ziellinie alle im gleichen Augenblick passieren. Und das sind erst die physischen Aspekte. Das Personalbüro der Zukunft wird mit Genkarten operieren und seine Mitarbeiter ab ovo planen. 

Professor Lederberg glaubt, daß der erste Schritt darin bestehen wird, menschliche Zellkerne in tierische, sagen wir einmal Affenzellen, zu implantieren und auf diese Weise Bastarde zu erzeugen. Beim nächsten Schritt werden dann menschliche Organe oder Gliedmaßen in Tiere eingefügt werden. Diese Tierexperimente würden, meint er, nur »schrittweise so weit geführt werden, wie es die Biologie erlaubt«, denn es besteht ganz offensichtlich »eine gewisse Zurückhaltung, mit menschlichem Material zu hantieren«. Er stellt klar, daß er solche Experimente nicht befürwortet, aber er befürchtet, daß sie ausgeführt werden, »ohne eine adäquate Berücksichtigung menschlicher Wertvorstellungen, ganz zu schweigen von einer völlig unzureichenden Kenntnis der menschlichen Genetik überhaupt«. Daher muß man sich im voraus Gedanken über die möglichen Konsequenzen machen, sonst könnte man leicht von den ersten vollendeten Tatsachen »überfahren« werden. Die öffentliche Meinung würde ungerechtfertigterweise davon beeinflußt werden, ob die ersten solcher »Auch-Menschen« attraktiv oder scheußlich aussehen. Wahrscheinlich wird an diesem Punkt der Laie mit Sir Mac-farlane Burnet sagen, »daß es gefährlich ist, wenn man wissen will, was man nicht wissen sollte«. Der >New Scientist< bemerkte einmal in einem ähnlichen Zusammenhang: »Regeln oder sogar Gesetze werden erforderlich, um beispielsweise zu ermöglichen, daß ein mißgebildetes Kind behandelt werden kann, ohne daß dadurch die Versuchung gefördert wird, die menschliche Natur ganz allgemein in sozial unerwünschten Richtungen zu >verbessern<.«

Der >menschenbildende< Biologe — um Professor Rostands Ausdruck zu verwenden — wird die umstrittenste Gestalt der nächsten Zukunft werden. Schon heute stehen wirkungsvolle Maßnahmen zur Verfügung, um in die Vererbung einzugreifen: die Lagerung von Keimzellen, die künstliche Inovulation und die Möglichkeit, in vito, d. h. im Reagenzglas, den Befruchtungsvorgang durchzuführen (siehe Kapitel 2). Eugenik ist Plötzlich ein realistisches Programm geworden.


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    4  Die neue Eugenik   

 

Einige Wissenschaftler meinen, daß man diese neuen Techniken ohne Verzögerung anwenden sollte. Der verstorbene Herman J. Muller, einer der Pioniere der modernen Genetik an der Universität Indiana, machte sich zum engagierten Fürsprecher: »Heute verfügen wir über die Mittel, eine umfangreiche, rasche und bedeutende Verbesserung unserer Bevölkerung zu erreichen. Diese Mittel heißen einfach: konsequente Ausnutzung der Selektion. Die ausgeklügelten Methoden des 21. Jahrhunderts zur Manipulation des Erbgutes können kaum wirkungsvoller sein.« 

Eugenik wird gelegentlich eingeteilt in »negative« und »positive Eugenik«. Negative Eugenik besteht in der Eliminierung unerwünschter Eigenschaften, vor allem solcher biochemischer Defekte, von denen man weiß, daß sie durch einzelne beschädigte Gene weitergegeben werden. Außer der bekannten Bluterkrankheit gibt es mehrere andere schwere Erbkrankheiten; viele von ihnen bedeuten ein solches Handikap, daß sie sich weitgehend selbst ausrotten. So gibt es Kinder, die ohne die Fähigkeit geboren werden, Gamma-Globuline zu produzieren, die für die Immunabwehr infektiöser Erkrankungen unerläßlich sind. Solche Kinder sind nicht in der Lage, mit der trivialsten Infektion fertig zu werden, und bevor man Antibiotika zur Verfügung hatte, starben sie in den ersten Lebenswochen unbarmherzig an irgendeiner Infektion. 

Andere Kinder können beispielsweise die Aminosäure Phenylalanin, die in vielen proteinhaltigen Nahrungsmitteln vorkommt, nicht abbauen. Ohne Behandlung werden sie zu Idioten, die sich weder ernähren noch sauberhalten können und die kaum so weit heranwachsen, um selber Kinder zu bekommen. Heute kann man diese Erbkrankheit frühzeitig entdecken, und wenn man diese Kinder mit einer phenylalaninfreien Diät ernährt, entwickeln sie sich normal und erwerben sogar die Fähigkeit, Phenylalanin in kleinen Mengen zu tolerieren. Ganz ähnlich gibt es auch Kinder, für die bestimmte natürlich vorkommende Zuckerarten tödlich sind.

Gerade weil solche Kinder heute überleben, können sie ihre defekten Gene auch an Nachkommen weitergeben. Defekte dieser Art können sich ziemlich rasch in einer Bevölkerung ausbreiten — die Ausbreitung des Huntingtonschen Veitstanzes auf dem nordamerikanischen Kontinent ist ein Beispiel dafür. Diese Erkrankung — es handelt sich hier um einen erblichen Veitstanz — bricht erst nach dem Fortpflanzungsalter aus und wird daher keineswegs automatisch ausgemerzt wie alle Erbkrankheiten, bei denen der Patient nicht das Fortpflanzungsalter erreicht. Sie führt zu fortschreitenden Muskel- und Gehirnschäden im Verlaufe von zehn bis zwanzig Jahren und endet mit


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einem schrecklichen Tod. Im 17. Jahrhundert kamen sechs Personen mit dieser Krankheit nach Nordamerika. Als man 1916 eine statistisch-geographische Untersuchung veranstaltete, konnte man 962 Fälle identifizieren, inklusive jener, die mittlerweile verstorben waren. Dabei gelang es, den Weg der Gene über den Kontinent von Ost nach West über die Generationen hinweg zu verfolgen. Keines der 962 Opfer hätte leiden müssen, wenn es gelungen wäre, die ursprünglichen Genträger zu veranlassen, sich nicht fortzupflanzen.

Der Versuch, Personen mit bekannten genetischen Defekten von der Fortpflanzung abzuhalten, ist sicher wünschenswert. Würde er konsequent durchgeführt, so könnte schon nach einer Generation ein defektes Gen aus dem allgemeinen Genvorrat verschwinden. Das Problem dieser Erbkrankheiten wäre gelöst; vielleicht könnten gelegentlich neue Fälle auftauchen als Ergebnis neuer Mutationen, denen man auf die gleiche Art begegnen müßte. Im Grunde wird es aber keine Erbdefekte mehr geben. 

Mit sublimen Testmethoden werden heute die meisten Erbschäden frühzeitig erkannt; daher ist eine entsprechende Eheberatung durchaus ratsam, wie sie einige zivilisierte Länder auf freiwilliger Basis schon durchführen. Einige Fälle können natürlich der Aufmerksamkeit der Ärzte entgehen. 

Der Fall liegt einfach, wenn der Defekt klar erkennbar ist und »gute« Gene nicht berücksichtigt zu werden brauchen. Es wäre aber sicher schwer zu entscheiden, ob man einen Einstein oder einen Bach nur deswegen von der Fortpflanzung ausschließen sollte, weil sie an Phenylketonurie (»Intoleranz gegen Phenylalanin«) oder Bluterkrankheit litten. Die Entscheidung wird um so schwerer, wenn wir allgemeinere Defekte, beispielsweise niedrige Intelligenz, betrachten, die wohl auf dem Zusammenspiel mehrerer Gene beruhen, von denen sicher einige auch mit wünschenswerten Erbmerkmalen verknüpft sind. Oder sollten wir einem Poeten wie Rimbaud ausreden, sich fortzupflanzen, bloß weil wir Einwände gegen seinen Charakter haben? 

Mit dieser Frage gehen wir auf das Gebiet der positiven Eugenik über, denn, die Weitergabe niedriger Intelligenz einzuschränken, bedeutet zugleich die Förderung hoher Intelligenz. Die Verwendung der neuen Techniken ist deshalb so schwierig, weil wir keine Methoden kennen, geistige Eigenschaften zu messen, außer Intelligenz im engeren Sinne. Aber gerade daran wären wir besonders interessiert. Auch wissen wir wenig darüber, wie die einzelnen Eigenschaften miteinander gekoppelt sind, und so könnte uns passieren, daß wir eine unerwünschte Eigenschaft herauszüchten und dabei eine ebenso unerwünschte, wieder hineinzüchten. 

In einer sicher erfundenen Geschichte schlug die Tänzerin Isadora Duncan dem Dichter George Bernard Shaw vor, gemeinsam ein Baby zu haben: »Denken Sie, ein Kind mit meinem Körper und Ihrem Verstand.« Aber der Dichter lehnte ab: »Nehmen Sie mal an, es bekäme meinen Körper und Ihren Verstand.« Tier- und Pflanzenzüchter können ihre Fehlprodukte wegwerfen, mit Menschen ist es nicht so einfach.


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Bis einmal Gen-Chirurgie möglich ist, wird Eugenik ein risikoreiches Geschäft bleiben. Doch auch unter diesen Umständen könnte es für ein Land durchaus vorteilhaft sein, eine vernünftige Selektion zu fördern, denn subjektive Bewertungen sind nicht völlig nutzlos, und im ganzen würde das genetische Niveau sicher steigen. Manche meinen sogar, daß dieses Niveau heute sinkt, weil Leute mit schlechtem Erbgut sich stärker vermehren als solche mit brauchbaren Anlagen. Dr. William Shockley, der Erfinder des Transistors, meint, daß diese ständige Erbgutverschlechterung nach Krieg und Hunger das Weltproblem Nummer drei ist. Wir können das Gesamterbgut nicht messen, noch einzelne Erbmerkmale wertmäßig miteinander vergleichen, so daß sich diese Behauptung kaum beweisen läßt. Träfe sie aber zu, dann wären eugenische Maßnahmen um so notwendiger.

Es ist jedoch unwahrscheinlich, daß irgendein westliches Land Zwangsmaßnahmen in dieser Richtung einführen wird. Noch ist es wahrscheinlich, daß man sich in naher Zukunft mit freiwilligen Maßnahmen anfreunden wird. Wenn starke Emotionen angesprochen werden, mag kein demokratisches Regime das Risiko eingehen, potentielle Wähler zu verschrecken, bevor erwiesen ist, daß die Mehrheit der Wähler eine solche Politik befürwortet. Schon die Vorschläge, die Geburtenrate in verschiedenen sozialen Gruppen verschieden zu steuern, sind auf heftige Ablehnung gestoßen.

Die plausibelste Lösung, die Herman Muller immer wieder dringlich empfahl, besteht in einer, wie man sagt, bewußten »Keimwahl«. Die Errichtung von Keimzellbanken wird vorgeschlagen, in denen verschiedene Samenzelltypen auf Lager gehalten werden. Der Kunde wendet sich an die Bank mit einem klar umrissenen Wunsch, wie seine Nachkommen aussehen sollen; die Bank stellt dann den Samen zur Verfügung, der von Spendern gewonnen wurde, die den gewünschten Charakteristiken am nächsten kamen. »Um die Wahl zu erleichtern, würden Kataloge zur Verfügung stehen, in denen eine möglichst umfassende Dokumentation über den Spender angegeben ist. Die betreffenden Paare würden außerdem noch von Spezialisten beraten werden (Genetikern, Psychologen, praktischen Ärzten, Spenderspezialisten und Koordinatoren).« Die Spender blieben natürlich anonym, am besten wären sie bereits tot, damit Personenkult und persönliche Komplikationen vermieden würden.


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Eine Anzahl fortschrittlicher Personen würde solche Möglichkeiten wohl nutzen, um wenigstens einige ihrer Kinder zu „Janen«, auch wenn sie selbst völlig normal und fruchtbar sind. Der Wunsch, überdurchschnittliche Kinder zu haben, und eine »positive« öffentliche Einstellung sind als wichtigste Triebfedern zu nennen. Zunächst würden sich die Dinge ohne Zweifel nur langsam entwickeln, aber wenn es sich nach einer Generation herausgestellt hat, daß solche »voradoptierten Kinder« _ um Sir Julian Huxleys Ausdruck zu verwenden — wirklich überdurchschnittlich wären, dann würden diese Methoden sicher rascher an Beliebtheit gewinnen.

Die Idee der Keimwahl ist etwa 30 Jahre alt — früher war sie auch unter dem recht abschreckenden Namen Eutelegenese bekannt. Viele haben versucht, Listen wünschenswerter Eigenschaften aufzustellen. Müller zum Beispiel nannte: moralischen Mut, kooperative Fähigkeiten, Naturliebe und Ausdrucksfähigkeit. Aber gerade diese Listen zeigen, daß sie mindestens ebensosehr ein Produkt der Umgebung wie des Erbmaterials sind. Heute neigt man weniger zum Zuraten als zur Vorsicht. Lederberg zum Beispiel fürchtet, daß man übereilte Entscheidungen treffen und recht unüberlegt irgendwelche Persönlichkeiten ablehnen oder anerkennen könnte, die sich zu solchen eugenischen und anderen biologischen Projekten zur Verfügung stellen würden.

Dr. Bronowski machte einen grundsätzlichen Einwand: »Die bevorzugte Fortpflanzung aller derer, die wir für besonders geeignet halten, hat wenig Einfluß auf rezessive Eigenschaften« — also auf die Gene, die sich nur auswirken können, wenn sie von beiden Eltern kommen. Lange zuvor hatte J. B. S. Haidane das gleiche Argument verwendet, um zu zeigen, daß die Sterilisierung »ungeeigneter Personen«, über die man damals diskutierte, niemals die beanstandeten Eigenschaften aus der Welt schaffen würde.

Professor Luria sagte vor zwei Jahren auf einem Biologentreffen, er glaube keineswegs, daß uns die Genetik entweder ein tausendjähriges Paradies oder aber totale Versklavung verspricht: »Was wir in Erwartung der auf uns zukommenden neuen Möglichkeiten tun können, ist der Versuch, einen Mechanismus in Gang zu setzen, der die rationale und offene Diskussion der sozialen Konsequenzen unserer Arbeiten ermöglicht, so daß alle wichtigen Entscheidungen über irgendwelche Anwendungen von einer informierten und gut beratenen Öffentlichkeit getroffen werden können. Ich halte es nicht für verfrüht, wenn Jetzt schon die UN oder auch die Nationale Akademie der Wissenschaften der Vereinigten Staaten beispielsweise Komitees einsetzen würden, die sich über die Manipulation menschlichen Gen-Materials Gedanken machen.«


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Bis jetzt hat keine dieser beiden Organisationen erkennen lassen, daß sie den Hinweis aufgreifen will.

Aber der einfache Plan einer Keimauswahl kann die Probleme nicht wirklich lösen, wie Dr. Lederberg einmal meinte. Eim Veränderung des genetischen Materials ist ein langwierigem Geschäft; es müßte uns daher viel mehr die Frage interessieren, welche Gene wir in Zukunft brauchen, und nicht, welche wir heute zu haben wünschen. Um ein recht grobes Beispie! anzuführen: die Evolution hat dem Menschen wirksame Ver teidigungsmechanismen gegen bakterielle Infektionen verschafft, dagegen überhaupt keine Möglichkeit, chemische Attacken abzuwehren. Aber in unserer modernen Welt mit ihren Antiseptika, Antibiotika und anderen Pharmaka werden Infektionen immer weniger wichtig. Auf der anderen Seite gewinnt die chemische Verseuchung unserer Umgebung mehr und mehr an Bedeutung. Der Geningenieur müßte es sich eigentlich überlegen, ob er nicht ganz neue Merkmale einführen sollte, um diesen Gefahren zu begegnen.

Die Evolution setzt Fortpflanzung voraus, und sie begünstigt alle Personen, die die besten Chancen haben, das fortpflanzungsfähige Alter zu erreichen. Von einigen Ausnahmen abgeseher, ist es für die Evolution ohne Belang, was die einzelnen Individuen nach dem Fortpflanzungsalter tun und unter welchen Einflüssen sie dann stehen. Dies ist einer der Gründe, warum wir so schlecht für die Heimsuchungen des Alters gerüstet sind. Für unsere moderne Welt, in der wir erst knapp die Hälfte unseres Lebens erreichten, wenn wir für Nachkommen gesorgt haben, ist dies keineswegs tolerierbar. Wir müssen daher den Menschen mit neuen Genen ausstatten, die ihm in seiner »zweiten Lebenshälfte« nützen; der Bedarf an solchen »Altersverschönerungsgenen« wird sicher ständig zunehmen.

Lederberg eröffnet in dieser Hinsicht Zukunftsperspektiven einer kontrollierten menschlichen Evolution, von der man früher nicht einmal träumen konnte, als es noch keine Aussichten auf eine praktische Genchirurgie gab. Nachgerade muß es nun als rückständig erscheinen, einer konventionellen Eugenik mißtrauisch gegenüberzustehen; erfolgreiche Experimente am Tier werden wohl auch hier den Weg zur Anwendung beim Menschen ebnen. 

 

  5  Familienplanung  

 

Der Vorschlag, jetzt schon eine konsequente Gen-Politik zu betreiben, wirft natürlich eine ganze Reihe sozialer Fragen auf die von Genetikern wie Muller abgetan oder gar völlig igno riert wurden. Professor Kingsley Davis von der Universität Berkeley in Kalifornien hat dagegen einen Katalog derartiger fragen treffend formuliert.


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Ein staatliches oder nationales »Stammbaumkomitee« hätte darüber zu entscheiden, wer als Spender in Frage kommt. Der natürliche Wunsch der meisten Menschen, ihre eigenen Kinder aufzuziehen, würde zu einem Schwarzhandel von Spermien und Eiern führen und, wenn das ganze Programm wirklich funktionieren soll, müßte man wahrscheinlich die Nichtspen-der — und das wären die weitaus meisten Männer — sterilisieren. Frauen mit einer guten hormonellen Konstitution würden als Träger (»Adoptivmütter«) verwendet werden, denen man die fertig befruchteten Eier implantiert. Ob es die Menschen lernen werden, diese halb-künstlichen Kinder als ihre eigenen anzuerkennen, ist eine offene Frage.

Vermutlich würde man den Spendern zugestehen, auch auf normalem Weg Nachkommen zu zeugen, und sie so zu einer Elitegruppe machen. Es wäre dann eine Frage des Prestiges, ihr anzugehören, und Bestechung, Umgehung der gesetzlichen Bestimmungen und Samen-Austauschaktionen wären die sichere Folge. Auch ist die Frage zu stellen, ob alle Paare wirklich geeignet wären, Kinder aufzuziehen; die Erziehung sollte daher nicht mehr dem Zufall überlassen bleiben, denn zur Rolle des Erbgutes tritt — wie Psychologen, Anthropologen und Soziologen versichern — entscheidend der Einfluß der Umwelt. Darüber hinaus wird man nur schwer begreifen, warum sterilisierte Individuen weiterhin monogam bleiben oder diejenigen, die als ungeeignet für die Aufzucht erkannt wurden, überhaupt die Mühsal eines häuslichen Lebens auf sich nehmen sollen. Die Familie wurde schon durch die Intervention von Staat und Schule unterminiert, die perfekte Familienplanung könnte ihr vollends den Gnadenstoß geben.

Dr. Robert S. Morison von der Cornell Universität formulierte es so: »Wenn einmal Sex und Fortpflanzung voneinander getrennt sind, dann wird die Gesellschaft sich sehr bemühen müssen, die zwischenpersönlichen Beziehungen neu zu definieren, die keine langfristigen sozialen Verpflichtungen bedeuten. Man wird neue Wege suchen müssen, um den Kindern eine ausreichende Fürsorge zu garantieren; neue Gefühlswerte müssen an die Stelle des biologischen Zwangs treten.« Diese Formulierung ist ein wenig abstrakt, aber worum es hier geht, ist eminent wichtig.

Fest steht, daß — heute jedenfalls — den Menschen sehr viel am Fortbestehen der Familie gelegen ist; sie ist für die meisten eine wichtige Quelle der Sicherheit. Man kann also nicht damit rechnen, daß irgendwelche Pläne zur Abschaffung der Familie auf große Gegenliebe stoßen werden. Um wieder Kingsley Davis zu zitieren: »Ein wirkungsvolles System eugenischer Kontrollen


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würde einen tiefen Eingriff in das Gewebe der zwischenmenschlichen Beziehungen bedeuten, die das persönliche Leben des modernen Menschen prägen. Über den Haufen geworfen würde nicht nur unser gegenwärtiges System emotionaler Strafen und Belohnungen, sondern auch unsere ganze heutige Einstellung zur Wirklichkeit und die durch die Familie gegründeten Beziehungen zwischen persönlichem und sozialem Status.« Er zieht daraus den Schluß, daß die Einführung eugenischer Kontrollen in der näheren Zukunft zwar theoretisch möglich, aber keineswegs wahrscheinlich ist.

Aber die Geschichte ist damit noch nicht zu Ende. Der Fortschritt der Medizin bringt uns einer Bevölkerungsexplosion immer näher, deren Ausmaße noch nicht einmal allgemein begriffen wurden. Viele glauben, daß neue wissenschaftliche Methoden der Landwirtschaft — beispielsweise Meeresfarmen und Umwandlung anorganischer Materialien wie Petroleum in Proteine — ausreichen würden, um die vielen zusätzlichen Münder zu füttern. Selbst wenn wir die sozialen Konsequenzen einer übermäßigen Bevölkerungsdichte und die möglichen Störungen durch eine völlig neuartige Ernährung außer acht lassen, so bleibt doch die Tatsache bestehen, daß wir die Gesamtbevölkerung nicht ernähren können. Mitte 1967 erhielt Präsident Johnson alarmierende Nachrichten, denen zufolge weltweite Hungerkatastrophen unvermeidlich sind, auch wenn die Nahrungsproduktion später wieder den Bedarf decken kann. Die Frage, ob das Recht auf Fortpflanzung gegebenenfalls zu reglementieren ist, muß immer wieder (und unabhängig von 'eugenischen Überlegungen) gestellt werden. Heute empfindet man die Vorstellung, Lizenzen für Fortpflanzung auszustellen, durchaus noch als lächerlich. Unsere Gesetze, aber auch unsere Moral, haben sich in einer Zeit entwickelt, als die Vermehrung der Bevölkerung oberstes Gebot war. Die Bibel fand dafür die bekannten Worte: »Seid fruchtbar und mehret Euch.« Abtreibung ist nicht nur eine theologische Sünde, sondern in den meisten Ländern auch ein Verbrechen. Geburtenkontrolle — wenn überhaupt gestattet — wird als ein persönliches Mittel zur privaten Bequemlichkeit zugestanden, keineswegs aber als öffentliche Maßnahme einer staatlichen Politik. Die Ehe ist ein »unbegrenzter Freibrief zur Fortpflanzung«.

Heutzutage sind viele korrigierende »Naturkräfte« ausgeschaltet, die in der Vergangenheit zu einer Auslese starker Individuen geführt hatten. Wir leben nur noch vom »Kapital« dieser früheren Selektionen.

Es ist so gut wie sicher, daß ein Nichtanerkennen der biologischen Realitäten, die uns die moderne Medizin beschert hat, früher oder später zu einer Katastrophe führt, die dann allerdings eine plötzliche Änderung der Politik auslösen wird.


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Sobald einmal das Recht, Kinder zu gebären, gesetzlich geregelt ist, wird man auch relativ einfach erreichen, die genetischen Eigenschaften anzuheben, anstatt sie ständig verschlechtern zu lassen. Unser heutiges Partnerwahlsystem, das auf zufälligen Bekanntschaften und sexueller Attraktion beruht, zeitigt keineswegs solche überragenden Erfolge, daß es nicht durch ein besseres ersetzt werden könnte. Früher oder später, so kann man vereinfachend schließen, ist eine rationalere Behandlung genetischer Probleme zu erwarten. Das bedeutet aber nicht, daß man in England, den USA, Deutschland oder überhaupt in Europa vorderhand damit zu rechnen hat. Es scheint wahrscheinlicher, daß ein Land des östlichen Lagers mit einem solchen Experiment beginnen wird — es könnte sehr wohl China sein. Wenn dort diese Programme erfolgreich ablaufen, dann werden auch die mit sozialen Experimenten zurückhaltenderen Länder dem Beispiel folgen.

Es ist nicht ohne Reiz, daran zu erinnern, daß der Philosoph J, E. Renan in seinen »Dialogen« der Eugenik eine »transzendente« Möglichkeit zuschrieb. Schon 1871 notierte er: »Eine weitreichende Anwendung der Physiologie und vor allem des Selektionsprinzips könnte zur Schaffung einer überlegenen Rasse führen, deren Recht zu herrschen nicht nur auf ihren wissenschaftlichen Errungenschaften beruhen wird, sondern ganz grundsätzlich auf der Überlegenheit ihres Blutes, ihrer Gehirne und ihrer Nervensysteme.« Es wäre eine reine Freude, sich ihnen zu unterwerfen, meinte er, denn sie wären »die Inkarnation des Göttlichen«. Vielleicht werden schließlich die Franzosen die ersten sein, die positive eugenische Methoden praktizieren.

Es gibt darüber hinaus auch weniger spektakuläre Möglichkeiten, in das Genmaterial einzugreifen, die dafür aber wohl eher den Weg in die Praxis finden könnten. 

 

  6  Ausschaltung genetischer Defekte  

 

Müssen Leute mit genetischen Defekten resignieren und auf Kinder verzichten, wenn sie der Öffentlichkeit gegenüber verantwortungsbewußt handeln wollen? Gibt es keine Aussichten, wenn schon nicht die ganze DNS, so doch Teilbereiche auszutauschen, mit Methoden, wie wir sie oben kennengelernt haben? Die Chancen sind so schlecht nicht.

Da ungefähr bei 4 %> aller Geburten Zeichen genetischer Defekte auftreten — das entspricht etwa 160 000 pro Jahr allein in den Vereinigten Staaten —, handelt es sich hier durchaus um ein gewichtiges Problem.


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Nehmen wir an, ein Paar mit einem genetischen Defekt wünscht sich fortzupflanzen und man könnte ihre Eier und Spermien isolieren, um die Befruchtung im Reagenzglas vorzunehmen. Die befruchteten Eier ließe man heranwachsen, bis es möglich wäre festzustellen, ob ein Defekt vorliegt. Die defekten Eier würden dann zerstört. Eines der normalen Eier dagegen würde man in die Gebärmutter der Mutter implantieren und normal austragen lassen. Gegenwärtig stehen allerdings noch keine brauchbaren Methoden zu einer Frühdiagnose genetischer Defekte zur Verfügung. Vermutlich müßte man den Embryo zu einer bestimmten Größe heranwachsen lassen, bis man dann gefahrlos einige wenige Zellen für eine enzymatische Analyse entnehmen könnte. Wahrscheinlicher wäre jedoch folgendes: man ließe das Ei sich einmal teilen und würde die beiden Tochterzellen voneinander trennen und separat aufwachsen lassen. Später, wenn genügend Zellen gebildet ^wären, zöge man den einen Zwilling zur Analyse heran, das heißt, man würde ihn homogenisieren und seine Enzyme studieren, der andere Zwilling könnte dann gegebenenfalls zum Austragen gebracht werden.

Daß man aus einem Ei auch ohne schädliche Nebeneffekte Zwillinge machen kann, ist bekannt. Zweifelhaft ist lediglich, ob der Embryo, wenn er eine bestimmte Größe in dem Reagenzglas erreicht hat, immer noch in die Gebärmutter implantiett werden kann. Wenn nicht, müßte man wahrscheinlich den Zwilling, der nicht zur Analyse herangezogen wurde, so lange an der Weiterentwicklung, zum Beispiel durch Kühlen, hindern, bis der andere untersucht wurde.

Die Notwendigkeit, Embryonen mit nachweislichen Defekten zu zerstören, fällt in vielen Ländern noch unter Abtreibung, und man wird daher mit Widerständen rechnen müssen. Länder, in denen eine Keimzerstörung erst nach dem fünften Monat der Schwangerschaft oder später als Abtreibung angesehen wird, wären dann im Vorteil.

Wegen dieser Überlegungen wäre es günstiger, wenn man die unbefruchteten Eier und Spermien nach gesunden und defekten sortieren könnte, genau wie ein deutscher Winzer aus seinen Trauben nur die besten für seine Beerenauslese auswählt. Die ausgesuchten Keimzellen könnten dann im Reagenzglas befruchtet und der Embryo anschließend implantiert werden, oder aber man könnte unbefruchtete Eier implantieren und dann in situ künstlich befruchten. Doch sind leider keine Methoden in Sicht — soweit ich es überblicken kann —, um fehlerhafte Keimzellen zu erkennen. Zu den Analysen braucht man mehr Material, als diese winzigen Zellen hergeben. Der Weg über die »Auslese-Embryos« dagegen ist offensichtlich gangbar. 

Die Veränderung der Keimzellen und damit der gesamten


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Ceimbahn« ist aber nicht die einzige Möglichkeit, genetische efekte zu beseitigen: Korrekturen können auch am schon Ge-arenen vorgenommen werden, wenn man mit dem »Genmate-ial der Körperzellen herumspielt«. Die Methoden einer sollen Beeinflussung wurden Euphenik benannt im Gegensatz ar Eugenik. So könnte man einem Mann mit einem angebogen Leberschaden — seine Leberzellen können beispielsweise an bestimmtes Enzym nicht produzieren — eine oder zwei seiner Leberzellen entnehmen, sie mit der »richtigen« DNS iifizieren und sie dann wieder implantieren, nachdem na-rlich der Rest der Leber fast ganz entfernt wurde. Da die ^eber eine bemerkenswerte Fähigkeit zur Regeneration be-itzt, könnte innerhalb kurzer Zeit eine fehlerlose Leber nachwachsen.

siehe Techniken dürften dann schließlich auch auf andere rankheiten ausgedehnt werden, beispielsweise Mongolismus, rbenblindheit, cystische Pankreasfibrose und ein Dutzend derer. Professor Tatum gibt diesen Methoden die größte hance.

ijese Forschungsrichtung könnte sehr rasch auf die Liste vorrangiger Projekte kommen: es braucht nur die Radioaktivität der Luft zuzunehmen — sei es durch steigenden radioaktiven Abfall (»fall-out«) nach Atombombenexplosionen oder durch die Explosionen selber. Professor Bentley Glass stellte fest: »Alle genetischen Experimente, die bisher angestellt wurden, einschließlich meiner eigenen, zeigen deutlich, daß es eine direkte Beziehung zwischen der Strahlendosis und der Häufigkeit der Mutationen gibt.« Mit anderen Worten, es gibt keine untere Schwelle, unterhalb deren Strahlungen wirkungslos blieben. Die Mutationsrate, d. h. die Häufigkeit, mit der Mutationen entstehen, steigt bei jeweils 60 Röntgen auf das Doppelte. Der schon »ausgefallene Fall-out« hat diese natürliche Mutationsrate bereits um ein Viertel erhöht. Auf der ganzen Welt werden jährlich — nach einer groben Schätzung — zehntausend geschädigte Kinder geboren als direkte Folge der Atombombenexplosionen. Die Hälfte von ihnen kommen in Indien zur Welt, einem Land, das selbst überhaupt keine Atombombenexperimente macht. Aber der Regen fällt auf Gerechte und Ungerechte.

Im Falle eines Krieges, auch eines begrenzten Krieges, würde die Mutationsrate steil ansteigen. Wir dürfen uns nichts vormachen: »saubere« Bomben gibt es nicht. Es trifft zwar zu, daß Wasserstoffbomben weniger kurzlebiges, hartstrahlendes radioaktives Material produzieren — wie Strontium-90, Jod-*3i, Caesium-137 —, diese Bomben erzeugen aber wesentlich mehr Kohlenstoff-14, der über Tausende von Jahren existiert und schließlich in die Grundmaterialien eindringt, aus denen alles Leben besteht. Prominenten Genetikern zufolge wird das heute schon ausgeschüttete C-14 in späteren Generationen doppelt so viele Defekte erzeugen wie die kurzlebigen Isotope.


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Es gibt keine Ethik, die solche Ungeheuerlichkeiten rechtfertigen könnte: getroffen werden nicht nur unschuldige Zuschauer, sondern vor allem auch kommende Generationen. Das wenigste, was eine Nation, die sich mit solchen Versuchen abgibt, tun kann, ist die Intensivierung der Forschungen, wie man die Strahlenschäden wieder reparieren kann, koste es, was es wolle. Bis jetzt aber hat der Funke noch nicht gezündet. Hier werden die Folgen einer Politik deutlich, die blind ist gegenüber den Erkenntnissen der biologischen Forschung.

 

  7  Das Gespenst des genetischen Völkermords   

Professor Tatum sieht in der Genreparatur auch eine entscheidende therapeutische Maßnahme gegen den Krebs. Mit ihm waren die meisten Biologen im Grund optimistisch über die möglichen Anwendungen der Gentechnik. Professor Luria vom MIT sprach dagegen seine Befürchtungen aus: »Ich kannte kein Gefühl des Optimismus, sondern empfand eine tiefe Furcht vor den potentiellen Gefahren, die eine Gentechnik am falschen Ort zur falschen Zeit in sich birgt, wenn sie erst einmal technisch möglich geworden ist.« Er weist darauf hin, daß auch eine »negative« Genchirurgie entwickelt werden könnte. Zum Beispiel können Fruchtfliegen mit einem Virus infiziert werden, der ihre Konstitution derart verändert, daß sie nun hochempfindlich gegen einfaches Kohlendioxyd reagieren. Plötzlich ist dieses Gas für sie tödliches Gift.

Wie könnte man mit einer ähnlichen Situation beim Menschen fertig werden, fragt Professor Luria: Jemand brauchte nur ein Virus, das den Menschen gegen irgendeine chemische Substanz sensibilisiert, zu züchten und ohne viel Aufhebens auf die ganze Weltbevölkerung loszulassen. Wenn dann jeder, ohne es zu wissen, infiziert worden wäre, hätte der Aggressor nur sein Attentat bekanntzugeben und mit der Freigabe der nun gefährlichen chemischen Substanzen zu drohen. Alle außer seinen eigenen Leuten wären in Gefahr, und jede seiner Forderungen müßte erfüllt werden.

»Irgend jemand könnte eine gewaltige Kontrolle über die Menschheit ausüben, wenn er ein solches Projekt erfolgreich durchgeführt hat, und er würde über Leben und Tod sehr vieler Menschen entscheiden können.« Man muß hinzufügen: für eine beliebig lange Zeit. »Dies ist natürlich ein sehr extremes und schreckliches Beispiel — eigentlich Stoff für eine gruselige


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Science-fiction-Geschichte —, aber es zeigt deutlich die Gefahren, an die ich denke, wenn ich mir über die Möglichkeiten "einer Genchirurgie und Gentechnik Gedanken mache.«

Die Gesellschaft und mit ihr die Genetiker sind nicht in der age, mit einer solchen Situation fertig zu werden. Kann die esellschaft aber lernen, den »Aggressionstrieb« unter Konolle zu bringen, bevor derartige Gefahren Realität werden? Nur .enige werden so optimistisch sein, daran zu glauben, arüber hinaus müssen wir bei unseren Überlegungen das oderne Konzept eines »nichterklärten Krieges« berücksichtigen. a dieser Ausdruck nicht allzu geläufig ist, mögen einige er-lärende Bemerkungen vorausgehen. 

Die beste Art, einen Krieg zu führen, ist für die modernen Strategen diejenige, die den Gegner überhaupt nicht erkennen läßt, was geschieht. Wenn man zum Beispiel das Wetter in einer Weise kontrollieren könnte, daß der Gegner nur schlechte Ernten einbringen kann, man selber aber gut im Korn steht, so wird an im Laufe der Jahre die eigene Position im Vergleich zu der des Gegners verbessern. Man könnte in aller Heimlichkeit einige Pflanzenkrankheiten einführen — ein kleiner Anstieg der natürlichen Krankheiten, ganz undramatisch, so daß niemand Verdacht schöpft. Und warum soll man sich mit Pflanzen- und Nutztierkrankheiten zufriedengeben, eine kleine menschliche Epidemie wird sicher sehr hilfreich sein. Ein simpler Schnupfen hält die Leute bereits von der Arbeit ab. Es kann zehn Jahre und mehr dauern, bis es den staatlichen Gesundheitsbehörden dämmert, daß sie sich wirklich allzusehr mit harmlosen Er-rankungen hatten herumschlagen müssen. In der Zwischen-eit werden die eigenen Statistiken etwas gefälscht, so daß eine gehässigen Vergleiche möglich sind. Dies ist natürlich nur ie biologische Seite. Industrieverflechtungen, Wirtschafts-ämpfe, Versicherungsverluste, Abwanderung von Fachkräften d tausend andere Dinge würden dazu beitragen, die Lebens-ähigkeit eines Landes stetig zu untergraben. Ein engstirniges egime kann an seinem eigenen Untergang arbeiten, eine interwäldlerische Religion kann den Fortschritt eines Landes verhindern. Und solche »Eigentore« können durchaus von _ußen gesteuert worden sein. Wer weiß, ob dies bloße Speku-ation ist? Vielleicht gibt es Nationen, die diese modernen Kriegs-lethoden schon heute anwenden.

. diesem Zusammenhang sieht man, wie wichtig es wäre, nicht ur die genetischen Eigenschaften des eigenen Volkes zu ver-"ssern, sondern die des Gegners zu verschlechtern. Natürlich dürfte man nicht mit der Tür ins Haus fallen: »Agenten« mit genetischen Defekten, die ins Feindesland eingeschleust würden, um eine neue Erbkrankheit in der feindlichen Population zu verbreiten, könnten zu leicht entdeckt werden. Doch gibt es feinere Methoden: beispielsweise intelligente und geschickte Leute von der Fortpflanzung abzuhalten.

Aber auch ein regelrechter Genkrieg ist möglich. Wenn Viren neues Genmaterial in eine Zelle einschleppen können, dann wäre es denkbar, daß man mit dem genetischen Material des Gegners »herumspielt«, ohne daß er es merkt. In den Geschichtsbüchern würde es später heißen, daß ein Volk zur Macht gelangte, während andere Völker »ins Grab der Geschichte« versanken.

Mit dieser düsteren Vision sei der Überblick über diese Perspektiven der Genetik abgeschlossen.

Als sich französische Philosophen 1954 in Grenoble trafen, diskutierten sie darüber, wieweit der menschliche Körper zum Gebrauchsgegenstand geworden ist, zum bloßen Besitzstück wie ein Auto oder ein Fernsehgerät. Der Jurist Aurel David faßte das Problem in folgende Sätze: »Auf welche Prinzipien sollen wir uns berufen, wenn wir entscheiden müssen, was wünschenswert ist, was zuverlässig ist und was noch akzeptiert werden kann? Mit welchen Kriterien, mit welchen Entscheidungen wollen wir unsere Zukunft bestimmen? Wie können wir die schrecklichen Möglichkeiten, die uns die Wissenschaft in die Hand gibt, mit einem Minimum an Anstand und Würde nutzen?«

Für diese Fragen haben wir heute noch keine befriedigenden Antworten.

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