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2.  Globale Technik  

Taylor-1970

Wasserwirtschaft — 2 Die ErdbebenmacherAtomare Landschaftsgärtner — 

Gehen wir Eiskappen schmelzen am Pol — 5  Laßt doch diesen Baum stehen

 

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Ein neuer Fachausdruck verschafft sich Eingang in unsere Umgangssprache: globale Technik oder auch planetarische Technik. Er spiegelt die Vorstellung wider, daß die moderne Ingenieurskunst jedermann auf dieser Erde in Mitleidenschaft ziehen kann, denn zumeist beeinflussen heute die technischen Wunder­werke, beabsichtigt oder unbeabsichtigt, unser Klima oder zumindest Teile unseres Klimas. 

Gelegentlich schichten sie aber auch unsere Erdkruste um und verursachen dabei nichts weniger als Erdbeben. Man plant, Flüsse umzupolen, kontinentale Seen zu schaffen, man will sogar die Meeresströmungen umlenken, die polaren Eiskappen einschmelzen, Kontinente voneinander trennen oder auch zusammen­fügen, Inseln aus dem Meer stampfen und sie wieder verschwinden lassen, das Wetter regulieren, die Zusammensetzung der Atmosphäre ändern und die Temperatur der Erde erhöhen. 

Alle diese Pläne werden natürlich, sollten sie realisiert werden, drastische ökologische Konsequenzen haben.

In weiterer Zukunft liegen Projekte, die Atmosphäre des Mars und das Klima der Venus zu verändern, um sie bewohnbar zu machen — so hoch­fliegend ist bereits der menschliche Ehrgeiz geworden. 

Man denkt daran, die Kleinplaneten (Planetoide) einzufangen und an die Erde zu fesseln oder sie auch zum Bau eines neuen Planeten heranzuziehen. Man möchte den Jupiter völlig auseinandernehmen und wieder zusammensetzen; Professor Freeman Dyson von der Cornell-Universität kam auf diese Idee.

Diese Pläne gediehen schon so weit, daß man im März 1968 ein Symposium organisierte, für das das Ministerium des Inneren und der Nationale Forschungs­rat der Vereinigten Staaten gemeinsam verantwortlich zeichneten — der Staatssekretär für Wissenschaftliche Programme im Innenministerium,  Fred Singer, hatte den Vorsitz übernommen. »Wir bewegen uns auf das Zeitalter planetarischer Technik zu«, erklärte er in seiner Eröffnungsansprache, »und es ist jetzt Zeit, Vorschläge und ihre Konsequenzen zu diskutieren, bevor solche Projekte dringend erforderlich werden.« 

Stewart L. Udall, damaliger Innenminister, warnte in seiner Ansprache, in der er das Thema des Kongresses umriß, seine Zuhörer davor, daß unsere mannig­faltigen technischen Veränderungen der Erdoberfläche doch recht unerwünschte ökologische Konsequenzen haben könnten.

 wikipedia  Stewart_Udall  1920-2010 

Werfen wir also einen Blick auf einige der in Frage kommenden Projekte. Viele von ihnen betreffen die Hydrologie unseres Planeten — mit anderen Worten den Wasserhaushalt. 

Wasser verdampft aus dem Meer, fällt über dem Festland als Niederschlag und wird dort teilweise festgehalten, teilweise läuft es über die Flüsse wieder zurück ins Meer. Ein Teil sammelt sich in unterirdischen Reservoirs, ein Teil gelangt in Pflanzen oder Tiere und verdunstet dort. Der Mensch greift in jede dieser Phasen ein.

Die Beschränkung des Abflusses durch den Bau von Staudämmen ist eine alte Geschichte. Das Wiederauffüllen unterirdischer Vorratsseen wurde in den letzten Jahren üblich. Die Bemühungen, den Niederschlag, sei es als Schnee oder als Regen, zu vermehren, sind immer noch im Experimentierstadium. Kürzlich hat man in Wintersportgebieten in der Schweiz, in Österreich, in Italien und auch in Schottland Schneegeneratoren eingesetzt, indem man Sprühvorrichtungen mit Kühlanlagen koppelte. Im Westen der Vereinigten Staaten und auf Hawaii fährt man mit elektrischen Berieselungsanlagen über die Felder, um einen echten Regenfall nachzuahmen. In Chile verwandelte Dr. C. Marangunic mit Erfolg Schnee in Wasser: Vier Flugzeuge hatten den Coton-Gletscher in den Anden mit Ruß eingestaubt. Diese Aktion produzierte 8 Millionen Liter Wasser pro Tag, und nach 81 Tagen waren die Erschließungs­kosten schon wieder eingeflossen.


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Aber die Hydrologen haben noch viel ehrgeizigere Pläne. Dr. Chorley und Dr. More sind davon überzeugt, daß es möglich sein müßte, mehr Wasser in die Atmosphäre zu schaffen, damit die Regenmacher es mit ihrer Arbeit leichter hätten. Man müßte einfach die Verdampfungs­geschwindigkeit erhöhen. Dies ließe sich »mit chemischen Methoden, durch Erwärmen des Oberflächenwassers, durch Erhöhung der Windgeschwindigkeiten und ähnliches« erreichen. Warum man es bis heute noch nicht versucht hat, liegt ihrer Meinung nach daran, daß man bisher keine genauen Daten über Meerestemperaturen und ihre Beziehungen zur Verdampfungs­geschwindigkeit hat. »Messungen mit Hilfe von Satelliten könnten diese Lücke bald schließen, und so wären praktische Versuche möglich.«

In anderen Teilen der Erde wird man die Verdunstung lieber herabsetzen wollen, aber auch dies läßt sich offensichtlich erreichen, indem man beispielsweise »riesige Mengen von Staub in Umlaufbahn um die Erde bringt«. Dadurch würde die Meerestemperatur unter dieser gigantischen Wolke fallen und die Verdunstung abnehmen.

Noch gottähnlicher könnte man auch den Lauf der Stürme ändern, und noch »kühnere Projekte lassen es als wahrscheinlich erscheinen, daß man Hurrikane unterdrücken oder zumindest besänftigen kann, indem man Kondensationskeime in die aufsteigende Luft des Sturmauges einsät und dadurch den Ring von Kondensation und Aufwind aufweitet«. Dadurch würde die Drehgeschwindigkeit des Hurrikans verringert und die Wind­geschwindigkeiten herabgesetzt werden. Zusätzlich ließe sich die Meeresoberfläche unmittelbar vor dem Sturmgebiet mit einem Ölfilm überziehen, der die Verdunstung reduziert und so den Hurrikan von seiner Energiezufuhr abschneidet. Die wirtschaftliche Bedeutung solcher Maßnahmen ist ganz offensichtlich: 30 Prozent des August­niederschlages in Texas und der Septemberregenfälle in Louisiana und Connecticut stammen von Hurrikanen, und die Gegend um Atlantic City in New Jersey erhält ebenfalls 40 Prozent ihres Septemberniederschlages aus dieser Quelle. Aber beide Autoren geben zu, daß »solche unmittelbar wohltätig erscheinenden Maßnahmen potentiell gefährlich sind, denn schließlich spielt man ja mit der globalen Wasserwirtschaft«.


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Der erste Versuch, einen Hurrikan zu zähmen, wurde im Jahre 1969 unternommen. Man hatte den Hurrikan Debbie mit Silberjodkristallen angeimpft, und schon nach fünf Stunden sanken die Windstärken um 31 Prozent. Am nächsten Tag unterließ man zunächst die Impfung, und die Windstärken nahmen wieder zu, so daß man sich zu einer Wiederholung entschloß. Daraufhin fielen die Winde wieder um 15 Prozent. Der Direktor dieses Projektes, Dr. R. Cecil Gentry, erklärte nach einer viermonatigen Analyse der aus dem Experiment gewonnenen Daten: »Die Meßwerte legen es nahe, daß wir tatsächlich den Hurrikan verändert haben.«

Sowjetische Wetterspezialisten haben den Hagelschaden beträchtlich reduzieren können, indem sie Granaten mit Silberjodid in Hagelwolken hinaufschossen. Auch Versuche, Blitze zu unterdrücken, hatten schon einigen Erfolg. Die Nebelvernichtung in der Nähe von Flughäfen wird bald zur Routine werden — und man wird schließlich auch Hunderte von Quadratkilometern <aufklären> können. Thomas F. Malone, Forschungsdirektor bei der Travelers Versicherungs­gesellschaft, die ein ausführliches Programm zur Umweltforschung laufen hat, meinte dazu: »Wir werden mit hoher Wahrscheinlichkeit im letzten Drittel unseres Jahrhunderts eine zunehmende Perfektion sinnvoller lokaler Wetterkontrolle erleben.« Er glaubt allerdings nicht daran, daß wir allzugroße Chancen haben, die Hurrikane zu bändigen.

Die US-Regierung betreibt ein 13-Millionen-Dollar-Projekt zur Regulierung des Regenfalles (SKYWATER), und die Russen sollen in das gleiche Geschäft in noch größerem Umfang eingestiegen sein. Physiker haben vorgeschlagen, man solle doch Wüsten mit Teer überdecken oder sie mit schwarzen Partikeln überstäuben und dadurch ihr Speicherungsvermögen für die Sonnenwärme erhöhen.

Hierdurch würde die Luft erwärmt, die erwärmte Luft würde hochsteigen, einen sogenannten <Hitzeberg> bilden, und so käme es schließlich zur Wolkenbildung. Der Regenfall würde dann die Abwinde weiter verstärken. Auch hier wieder mahnen More und Chorley zur Vorsicht.

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»Die unbekannten Gefahren, die mit solchen großräumigen Experimenten mit den delikaten Wassergleichgewichten unserer Erde verbunden sind, sollten uns veranlassen, alle Pläne so lange aufzuschieben, bis wir über die theoretischen und mathematischen Modelle verfügen, die es uns erlauben, das gesamte Wettergeschehen zu simulieren, denn nur dann können wir auch mögliche Nebeneffekte unserer Eingriffe vorhersagen.«

Die Verwendung von Computern eröffnet tatsächlich neue Perspektiven. Malone sagt daher: 

»Ganz sicher werden wir in der nächsten oder übernächsten Dekade rechnerische Methoden zur Verfügung haben, mit denen wir Wettervorgänge simulieren und eine fast unbegrenzte Zahl von willkürlichen Eingriffen durchspielen und sie auf ihre Möglichkeiten und Grenzen prüfen können.«

Meine eigene, etwas bescheidenere Voraussage wäre die, daß wir nie alle möglichen Effekte mit absoluter Sicherheit voraussagen können und daß wir uns deswegen früher oder später Katastrophen globalen Ausmaßes einhandeln werden, wenn wir so weit gehen.

Doch glaube ich nicht, daß Wetterkontrollen größeren Maßstabes vor Ende dieses Jahrhunderts unternommen werden. In diesem Kapitel möchte ich über einige Projekte berichten, die sehr viel näher liegen und von denen einige schon in den nächsten zehn Jahren in die Tat umgesetzt werden könnten. Besonders hervorstechend sind dabei die phantastischen Pläne, riesige Dämme zur Stauung ungeheurer Inlandseen zu errichten. Die Ingenieure verstehen sich heute schon recht gut aufs Dämmebauen, und auch die finanziellen Seiten solcher Projekte lassen sich gut überschauen, so daß wir sicher sein können, daß einige dieser Pläne tatsächlich verwirklicht werden.

 

   1  Wasserwirtschaft   

»Dämmt doch diesen Fluß ein und sprengt den Berg in die Luft«, brüllte der General, als man ihm mitteilte, daß seine Armee wegen natürlicher Hindernisse nicht vorrücken konnte. Und so geschah es auch. Der gleiche kraftvolle Glaube an den Fortschritt scheint sowohl die russischen wie die amerikanischen Planer infiziert zu haben.


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Die Russen hatten eine Zeitlang verschiedene Pläne durchgespielt, um Zentralasien zu bewässern und dabei auch noch elektrische Energie zu produzieren. Nach den letzten Vorstellungen, die die Billigung des wissenschaftlichen und technischen Beirates des Ministeriums für elektrische Energie der UdSSR fanden, soll ein Riesendamm — 78 Meter hoch und nicht weniger als 60 Kilometer lang — am Zusammenfluß der beiden großen Ströme Ob und Irtysch, die beide in Richtung Arktis fließen, gebaut werden. Dieser Damm wird den Irtysch und seinen Nebenfluß, den Tobol, zurückstauen; mit Hilfe eines 920 Kilometer langen Kanals wird die Wasserscheide überwunden werden und das Wasser dann zum Aralsee fließen. Dieser wird um mehrere Meter steigen, bis er schließlich ein altes Flußbett wieder eröffnet und zum Kaspischen Meer weiterströmt. Gleichzeitig wird dadurch ein Inlandsee entstehen, dessen Fläche so groß sein wird wie Großbritannien. 90 Prozent des überfluteten Gebiets sind heute unzugängliches Sumpfland.

Unglücklicherweise wird diese Aktion das Wasser von den letzten 1000 Kilometern des Ob abziehen, wo heute Schiffe beträchtlicher Größe verkehren. Daher soll ein anderer Damm am Jenissei, einem der größten Ströme der Welt, ein 200 Meilen langes Reservoir schaffen, das durch einen weiteren Kanal in den jungen Ob eingespeist werden soll. Ein dritter Tiefwasserkanal wird dann dieses ganze System an den Baikalsee anschließen, der 500 Meilen östlich liegt, und dadurch wird eine 500 Meilen lange Tiefwasserverbindung vom Kaspischen Meer zum Baikalsee geschaffen. Zusätzlich werden 12.900 Megawatt elektrischer Energie geliefert werden.

Ein Grund, warum die UdSSR so brennend an diesem Projekt interessiert ist, ist die Tatsache, daß das Kaspische Meer langsam verschwindet — sozusagen ein Stück ungeplanter Globaltechnik von allerdings spektakulärer Größenordnung, denn das Kaspische Meer ist mit seinen 150.000 Quadratmeilen der größte See der Erde. In den letzten 20 Jahren fiel sein Wasserspiegel um 2 Meter, und zwar weil das untere Wolgatal intensiv industrialisiert und zahlreiche Dämme zur Erzeugung elektrischer Energie gebaut worden waren. Hunderte von Fischerdörfern, die 1939 noch aktiv waren, liegen heute zehn oder sogar 100 Meilen vom Seeufer entfernt. Sowjetische Hydrologen sagen voraus, daß bis 1980 der See um weitere 2 Meter fallen wird.


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Der gigantische Plan, für dessen Ausführung man 20 Jahre ansetzt, wird wahrscheinlich das Klima des westlichen Sibirien mildern und so der Landwirtschaft erlauben, sich nach Norden auszubreiten. Einige sowjetische Wissenschaftler sind allerdings skeptisch; sie glauben, daß die Abkühlung der Luftmassen über dem künstlichen See auf die fruchtbaren Steppen im Süden einen ungünstigen Einfluß ausüben würde. Andere halten es für möglich, daß die unter dem See liegenden Erdschichten das zusätzliche Gewicht von Millionen Tonnen Wasser nicht tragen können. Das Ob-Becken könnte den ganzen Grundwasserspiegel heben und dabei mehr Sumpfgebiete neu entstehen lassen, als unter dem künstlichen See versinken würden. Der durch das vermehrte Einströmen von Süßwasser verringerte Salzgehalt des Aralsees und in gewissem Maße auch des Kaspischen Meeres könnte die Fischerei beeinträchtigen. Das Eis, das im Winter die Mündungen des Jenissei und des Ob versperrt, würde erst spät im Frühsommer schmelzen. Die Untersuchung dieser Probleme wird fortgesetzt.

Der <Erfinder> dieses Superprojekts in seiner gegenwärtigen Form ist ein sowjetischer Ingenieur, M. M. Davidow, der ein Projekt weiterentwickelte, das vor mehr als einem halben Jahrhundert von einem Russen namens Demtschenko noch zu Zeiten des Zaren zur Umleitung des Ob ersonnen worden war.

Aber auch diese großen Pläne erblassen, wenn man sie mit dem Plan vergleicht, den das amerikanische Hudson-Institut vorbereitet, um den Amazonas einzudämmen und so einen Inlandsee zu schaffen, der ein Drittel der Größe Frankreichs erreichen soll. Der Amazonas ist der größte Fluß der Welt. Er befördert ein Fünftel all des Wassers, das von allen Flüssen dieser Erde insgesamt transportiert wird, und die Schlammassen, die er ins Meer trägt, färben die See noch 200 Meilen von der Küste entfernt. Wenigstens zehn seiner Nebenflüsse sind größer als der Mississippi. Aber seine Strömungsgeschwindigkeit ist wegen seines geringen Gefälles nur sehr schwach, und der Inlandsee wird daher nur 30 Meter über dem Meeresspiegel liegen. 


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Es gibt eine <natürliche Stelle> für diesen Damm in der Nähe von Obidos, etwa 1000 Meilen landeinwärts, denn dort fließt der Fluß zwischen zwei Hügellinien, die 40 Meilen voneinander entfernt sind. Der Damm müßte daher zwar lang, aber nicht hoch sein. Je nach der Höhe des Wasserspiegels würden zwischen 120.000 und 180.000 Quadratkilometer überflutet werden — so die Angaben des Hudson-Instituts. Nach meinen Schätzungen muß mindestens mit dem Doppelten gerechnet werden.

Außerdem beabsichtigt man, zusätzliche Nebenseen in den Nebenflüssen durch die Errichtung billiger Erddämme zu schaffen; einige von diesen würden 200 Meilen lang und 10 Meilen breit sein, also viel größer als irgendein heute existierender Stausee, und es gäbe 25-40 Seen davon. Die Baukosten für den Hauptdamm hat man auf 800 Millionen Dollar veranschlagt, für die Nebendämme rechnet man mit 250 Millionen Dollar. Die Ausrüstung der Dämme mit Kraftwerken für die Erzeugung elektrischer Energie würde zwischen 5 und 6,5 Milliarden Dollar kosten. Natürlich werden auch später die Indianerstämme des Amazonas keine Großabnehmer für Strom werden, und so wird man Hochspannungsleitungen nach den größeren Städten wie Rio de Janeiro, Montevideo, Sao Paulo und Buenos Aires bauen müssen. Ein Teil der Elektrizität könnte dazu verwendet werden, um aus Bauxit Aluminium zu machen, ein Verfahren, zu dem billiger Strom benötigt wird. Heute wird ein Viertel der Weltproduktion an Bauxit in Surinam und Guayana gewonnen, aber nach Gebieten transportiert, wo es billigen Strom gibt, wie nach Kittimat oder dem Volta-See.

Dieses Projekt hat einige Nachteile, und man sollte sie nicht verschweigen. Wieviel Menschen im Amazonasbecken leben, weiß man nicht genau, aber die Annahme zwischen einer halben und einer ganzen Million dürfte nicht allzu falsch sein. Die meisten von ihnen leben entlang des Flusses, dem wichtigsten Verbindungsweg zwischen den einzelnen Siedlungen. Würde das Projekt verwirklicht, so müßten viele von ihnen ihre Häuser, ihre Felder und ihre Jagdgründe verlassen, und sie würden wohl in den nächstgelegenen Städten schlichtweg verhungern. Wollte jemand den Vorschlag machen, 100.000 Quadratmeilen im mittleren Westen oder in Kanada zu überfluten, so würden sicher einige der Betroffenen an ihren Kongreßabgeordneten schreiben. 


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Praktischerweise haben die Stämme am Amazonas keine Abgeordneten. Sicher wäre das durch den Staudamm verursachte menschliche Elend das wichtigste Problem; dennoch sollten auch <kleinere Sorgen> bedacht werden, beispielsweise die Tatsache, daß es sich um Stämme handelt, die noch weitgehend unerforscht geblieben sind und von denen wir wichtige Einzelheiten über menschliches Verhalten lernen könnten.

Die Befürworter dieses Plans geben zu, daß eine »beträchtliche Störung des ökologischen Gleichgewichts dieser Gegend« möglich ist und daß in einem derart riesigen Land »einige Überraschungen wahrscheinlich sind«. Sie gestehen zu, daß dieser riesige Inlandsee das Klima beeinflussen und daß das Zurückhalten der nährstoffreichen Schlammassen die Fischerei vor Florida in Mitleidenschaft ziehen könnte. (Die Fischerei vor Brasilien könnte noch viel stärker betroffen sein, aber das wird von der amerikanischen Planungsgruppe ignoriert.) Was wird aus den Milliarden von Bäumen? Viele werden noch aus dem 30 Meter tiefen Wasser herausragen, einige werden eine ständige Gefahr für die Schiffe bleiben. Das Hudson-Institut hofft, daß man sie <ausziehen> kann; sie würden dann unter Wasser liegen bleiben und langsam zerfallen und dabei das Wasser eutrophieren. Dies würde bedeuten, daß der See zu viele Nährstoffe enthält, so daß die Algen übermäßig wachsen und die Fische aussterben.

Kein Fisch könnte es so lange im Amazonassee aushalten, bis die Bäume endgültig verschwunden sind. Die Fachleute erwarten allerdings nicht, daß diese Aussichten den Dammbau blockieren werden, denn in der Vergangenheit haben derartige Überlegungen auch wenig Berücksichtigung gefunden. Als wollten sie noch einmal ihre zynische und menschenfeindliche Haltung unterstreichen, fügten sie hinzu, daß es viel zu teuer wäre, genaue Karten dieser Gegend anzufertigen, die bis heute kaum in Einzelheiten kartiert wurde. Wäre es aber wirklich unwesentlich, wenn die Flut einige Indianerstämme mit sich reißt, die man eigentlich auf höher gelegenem Terrain vermutet hatte? Stört es niemand, wenn einige Waldarten ausgelöscht werden? 

In einem späteren Kapitel werde ich die ökologischen Folgen bei Operationen dieser Art genauer beschreiben.


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Noch vermessener war das Projekt, das H. Sergal vorgeschlagen hat: zwei Inlandseen in Afrika zu schaffen, den Tschadsee und den Kongosee. Sie würden 10 Prozent der afrikanischen Landmasse unter sich begraben. Niemand glaubt im Augenblick an die Verwirklichung dieser Pläne, aber >kleinere Pläne<, wie beispielsweise die Sahara zu wässern, sind keineswegs zu den Akten gelegt. Der klassische Vorschlag sieht vor, das Mittelmeer in die Quattara-Senke einzuleiten; dadurch entstünde zwar ein Salzsee, aber die von dort verdunstende Feuchtigkeit würde unweit wieder als Regen niederfallen und so Teile der Wüste fruchtbar machen. In jüngerer Zeit wurde ein detaillierter Plan von Professor Torki aufgestellt, um die Gegend westlich von Gabes zu kultivieren. Zur Zeit der alten Griechen gab es dort einen See — bekannt als der Pallas-See, der der letzte Überrest eines großen Inlandsees (1500 Quadratmeilen) aus dem Quartär war. 43 vor Christus, als Pomponius Melas darüber schrieb, war er nur noch Legende. Melas schildert Fischskelette, Muscheln, polierte Steine und alte Anker, die man weitab vom Seeufer gefunden hatte und die bewiesen, daß auch hier einmal See gewesen war. Er berichtet auch, daß man riesige Baumstümpfe aufgefunden habe, die auf eine einst üppige Vegetation schließen lassen.

Professor Torki untersuchte hier im Juni 1964 die Möglichkeiten, nach Uran zu schürfen, und er stieß dabei auf die Ruine eines römischen Landhauses mitten in einer unwirtlichen und sumpfigen Gegend. Wohlerhaltene Mosaiken zeigen Bauern- und Jagdszenen, und man kann noch heute den Spruch erkennen: »Oh, Land der Glückseligkeit.«

Die Expansion der Sahara schreitet weiter fort mit einer Geschwindigkeit von 30.000 Hektar pro Jahr. Die jährliche Niederschlagsmenge nimmt weiter ab — seit 1910 um 30 Prozent —, und die Temperaturen steigen. Würde man die Gegend überfluten, so würde nach Professor Torki der Vormarsch der Wüste gestoppt. 65.000 Tonnen Fisch könnten gefangen werden, und die Gegend würde zum Touristenzentrum avancieren. Ferner könnte man Kernenergie­kraftwerke bauen, den See entsalzen und Frischwasser in Kanälen durch die Sahara leiten. Die Fläche des Sees würde sich auf 62 Millionen Hektar belaufen: Es wäre die Ostsee Afrikas. Dagegen wurde eingewendet, daß die rasche Verdunstung den Grundwasserspiegel senken und der Salzgehalt des Bodens ansteigen könnte.


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Australien hat seit langem mit ähnlichen Plänen gespielt. Schon 1902 hat Professor J. W. Gregory von der Universität Melbourne vorgeschlagen, einen Kanal vom Spencer-Golf bis zum Eyre-See zu bauen. Der Eyre-See ist eine riesige Senke in Südaustralien, die noch unter dem Meeresspiegel liegt. Man hoffte, daß es durch Verdunstung in dieser trockenen Gegend zu vermehrten Niederschlägen kommt. Dreißig Jahre später schlug dann ein australischer Ingenieur vor, man solle doch verschiedene Flüsse, die nach Süden und Osten fließen, ablenken, auf diese Weise die Innengebiete bewässern und damit das Klima ändern. Aber das Gutachtergremium war nicht überzeugt. Kürzlich hat Ian B. Kiddle den alten Plan Gregorys wieder aufgegriffen und ihn mit neuen meteorologischen Erkenntnissen untermauert. Er argumentiert, daß die feuchtigkeitsgesättigten Luftmassen, die über den See streichen, ihre kostbare Ladung nur dann abgeben, wenn sie über Erhebungen aufsteigen und sich dabei ausdehnen.

Wichtig ist auch, daß die ankommende Luft nicht schon wasser-dampfgesättigt ist. Diese Überlegungen lassen es verstehen, warum beispielsweise das Rote Meer in den angrenzenden Wüstengebieten keinen Regen hervorruft.

Auch hier wieder sind australische Experten skeptisch, ob Kiddles Vorschlag irgendeinen Nutzeffekt hat. Kiddle selber meint, daß sich die 50 Millionen Pfund durch den Verkauf von Wasser aus Bewässerungsgräben amortisieren ließen. Doch ist man nicht allzu enthusiastisch, denn die meterologischen Folgen lassen sich nicht so recht überblicken.

Kanada hat ebenfalls Pläne, den Wasserspiegel des südlichen Indianersees — 500 Meilen nördlich von Winnipeg — anzuheben und dabei eine Fläche zu überfluten, die dem Viertel des Ontariosees entspricht.


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    2  Die Erdbebenmacher   

 

Wir müssen heute mit der Möglichkeit rechnen, daß Menschen in der Lage sind, Erdbeben nach Belieben auszulösen, wenn es wahrscheinlich auch nur versehentlich geschieht. Die Kräfte, die der Mensch heute freisetzen kann, reichen aus, um die häufig recht delikaten Gleichgewichte in der oberen Erdkruste zu stören. So kommt es zum Beispiel am Kaspischen Meer zu einem solchen instabilen Gleichgewicht, denn dort fällt das 6000 Meter hohe Elbrusgebirge steil in den 300 Meter tiefen See ab. Man vermutet, daß die verheerenden Erdbeben, die 1957 und 1966 den Iran und die Türkei heimgesucht haben, durch eine Veränderung des Wasserspiegels des Kaspischen Meeres verursacht wurden.

Dies ist natürlich nur eine Vermutung, wenn auch eine mit soliden geologischen Argumenten; doch gibt es ähnliche Fälle, wo die Zusammenhänge über jeden Zweifel erhaben sind. Ein jüngeres und auch sehr ernstes Beispiel ist ein schweres Erdbeben, das am 10. Dezember 1967 ganz Indien heimsuchte und in der Stadt Koynanagar, 150 Kilometer südöstlich von Bombay, mehr als 200 Menschenleben forderte. Man ist sich heute darüber einig, daß dieses Beben durch das Auffüllen des Koyna-Staubeckens ausgelöst wurde. Der Koyna-Damm ist 105 Meter hoch, und das Wasserbecken kann 80 Millionen Kubikmeter Wasser speichern. 1964 hatte man Wasser mit einem Gewicht von einer Million Tonnen eingelassen. 

Schon beim Auffüllen waren die ersten Erdstöße bemerkt worden; dabei waren damals — 1962 — erst insgesamt 25 Millionen Kubikmeter eingeströmt. 1965 erfolgte dann ein stärkerer Stoß. 1967 gab ein Erdbebenexperte vor dem Kongreß einen Bericht und meinte, daß die Serie von Erdstößen eine Folge des Zurechtrückens der Erdkruste sei, doch würden sie wahrscheinlich im Laufe der Jahre abnehmen und schließlich ganz verschwinden. Diese Hoffnung war trügerisch. Das Dezemberbeben hatte eine Stärke von 6,4 nach der internationalen Erdbebenskala (das Alaska-Erdbeben rangiert auf dieser Skala mit 8,6). Vor dem Bau des Koyna-Dammes war das Gebiet um Bombay und Koyna frei von Erdbeben gewesen.


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Die gleiche Geschichte hatte sich schon einmal am Kariba-Damm in Rhodesien abgespielt. Dort war der größte künstliche See der Welt mit 175.000 Millionen Kubikmeter Wasser entstanden. Im Mai 1960 hatte man mit dem Füllen begonnen, und schon im Januar und Februar 1962 registrierte man die ersten Beben, die nachweislich ihren Ausgangspunkt in Kariba hatten. Im März gab es innerhalb von nur fünf Tagen 30 Erdstöße. Im September 1963 erreichten dann die Stöße ihr Maximum mit Stärken von 5,7 und 6,1. Wenig später folgten weitere starke Stöße mit 5,8, 5,5 und 6,0. Mit diesen Beben hatten zum ersten Mal künstliche Erdbeben eine Stärke von 6 erreicht. Auch hier waren vor dem Dammbau keine Erdbeben beobachtet worden.

Glücklicherweise liegt Kariba in einer nur dünn besiedelten Gegend. Von vielen Staudämmen kann man das nicht sagen, und auch sehr kleine Wasser­reservoirs können beachtliche Erdbeben auslösen, wenn sie in einer ohnedies instabilen Gegend angelegt werden. So faßt der Staudamm bei Monteynard in den französischen Alpen ganze bescheidene 275 Millionen Kubikmeter. Aber fünf Tage, nachdem man ihn gefüllt hatte, kam es zu einer ganzen Reihe von Beben, von denen eines die Stärke 5 erreichte. Seither kam es immer wieder zu Erdstößen. Die Gegend dieses Staubeckens galt — im Gegensatz zu den gerade behandelten — als geologisch instabil.

Ganz ähnlich verursacht auch der künstliche Kramasta-See in Griechenland — mit 4700 Millionen Tonnen Wasser — viele Erdlawinen und Felsabbrüche: 480 Häuser stürzten ein, 12.000 wurden stark beschädigt, eine Person getötet und 60 schwer verletzt. Sobald der See gefüllt war, kam es zu einem Erdstoß der Stärke 6,2; schwächere Beben waren diesem Stoß vorausgegangen.

Die Idee, daß der Mensch die Kräfte der Erdkruste beeinflussen könnte, war den Wissenschaftlern erst 1945 gekommen. Damals machte D. S. Carder auf den Fall des Boulder-Dammes in den Vereinigten Staaten aufmerksam. 15 Jahre lang vor dem Dammbau hatte es in diesem Gebiet keine Beben gegeben. 1935 begann sich der Mead-See (der durch den Boulder-Damm zurückgestaut wird) langsam zu füllen. Im September 1936 kam dann der erste Erdstoß, und im Jahre 1937 wurden über 100 Stöße registriert. Der See war damals 120 Meter tief, und das zusätzliche Gewicht des eingeflossenen Wassers betrug 19 Milliarden Tonnen. 


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Etwas besorgt installierten die Behörden rund um den See Seismographen, um herauszufinden, ob der See wirklich an den neuerlichen Beben schuld sei. Als der See schließlich seine volle Tiefe von 143 Meter erlangt hatte und damit die Wasserbelastung auf 25 Milliarden Tonnen anstieg, erreichten die Erdstöße ein Maximum. In den folgenden Jahren kam es zu weiteren Beben, wenn der See besonders voll war. Alles in allem wurden innerhalb von zehn Jahren 600 Erdbeben registriert, das heftigste mit Stärke 5. Der Fall war sonnenklar, und die Phantasie schreckt doch etwas davor zurück, sich auszumalen, welche Folgen der Bau des riesigen Inlandsees im Amazonasgebiet mit seinen 150 Milliarden Wassertonnen haben könnte.

Es scheint allerdings, daß man gar keine Milliarden Tonnen Wassermassen braucht, um ein Erdbeben zu produzieren; dazu reichen sehr viel kleinere Massen. Auf dieses <Geheimnis> kam man, als die US-Armee versuchte, ihre Giftabfälle loszuwerden, die sich in Fort Detrick, einer Einrichtung der chemischen und biologischen Kriegführung, angesammelt hatten. Die Nervengase hatte man in Stahlfässern gelagert, um sie dann, wie erst später bekannt wurde, im Meer zu versenken. Andere kaum weniger unangenehme und tödliche Abfälle pumpte man in ein 4000 Meter tiefes Bohrloch, das man eigens zu diesem Zweck in der Nähe des Rocky-Mountain-Arsenals außerhalb von Denver, Colorado, gebohrt hatte. Seit 1962 pumpte man etwa 570 Millionen Liter dort hinunter mit einer Minutengeschwindigkeit bis zu 800 Litern. Es hagelte Proteste; man unterbrach das Verfahren von September 1963 bis September 1964 und gab es dann im September 1965 schließlich ganz auf. Zu den Protesten war es gekommen, weil während dieser Zeit 710 Erdbeben ausgebrochen waren, von denen 18 die Stärke 3 und mehr besaßen. In den achtzig Jahren zuvor hatte es ganze drei Beben in diesem Gebiet gegeben.

Die Wissenschaftler waren überrascht, daß bloße 675.000 Tonnen Wasser derart große Effekte hervorrufen konnten. Dann aber fand ein Geologe der Bergakademie von Colorado, David Evans, eine Erklärung. Die Flüssigkeit war in durchlässige und brüchige Felsmassen eingepumpt worden. 


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Wenn der Druck in solchen Schichten steigt und so den Druck der darüberliegenden Schichten erreicht, kann es zum Gegeneinandergleiten der Schichten kommen. Dieser Theorie zufolge müssen sich Felsmassen, die unter Spannung stehen, >entladen< lassen, das heißt zum Gleiten gebracht werden, wenn man Wasser hinein- oder herauspumpt, je nachdem ob das durchlässige Felsmaterial zu wenig oder zu viel Wasser enthält. Man könnte daher vielleicht größere Erdbebenkatastrophen vermeiden, .wenn man die Felsmassen dazu bringen könnte, langsam übereinander wegzugleiten. Natürlich könnte man auf diese Weise auch ungewollt ein großes Erdbeben auslösen, zumindest solange man die genauen Arbeitsbedingungen noch nicht kennt. Trotz aller möglichen Gefahren scheint es wahrscheinlich, daß man sich noch vor Ende dieses Jahrhunderts darum bemühen wird, Erdbeben unter Kontrolle zu bringen.

In der Zwischenzeit wird die Verwendung tiefer Bohrlöcher zur Beseitigung gefährlichen Abfalls immer populärer. Es gibt heute mehr als 80 Substanzen, die man in 150 tiefen Löchern in über 19 Staaten auf diese Weise beseitigt, ganz abgesehen von den 40.000 bis 50.000 kleineren >Abfallöchern<, deren sich die Ölindustrie zur Beseitigung ihrer Abfälle bedient. Alle diese Unternehmungen könnten Erdbeben auslösen.

 

Viel gefährlicher als diese <harmlosen> Versuche ist die rücksichtslose Planung unterirdischer Atombombenexplosionen. Die Wissenschaftler machten sich keine allzugroßen Sorgen, solange man diese Explosionen in stabilen Salzschichten auslöste. 

Die Sorgen begannen erst, als die Atomenergiekommission eine Explosion unterhalb der Amchitka-Insel in den Aleuten plante, die ganz in der Nähe der San-Andreas-Störzone liegt. Es stellte sich zwar heraus, daß kein Schaden entstanden war, aber eines Tages könnten sich die Experten der Atomenergie­kommission verrechnen oder es könnte Störzonen geben, von denen man bislang keine Ahnung hatte.

Professor Gordon MacDonald von der Universität von Kalifornien meinte, daß die Gefahr keineswegs von nur lokaler Bedeutung ist. »Es wurde in den letzten Jahren klar, daß die Aktivitäten des Menschen die Bedingungen in den oberflächennahen Schichten der Erdkruste verändert haben«, erklärte er.


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Diese Veränderungen führten zur Freisetzung elastischer Energien, die in geologischen Zeiträumen durch tektonische Kräfte aufgebaut worden sind. Die freigesetzten Energien sind in einigen Fällen groß genug, um in einer hochindustrialisierten Gegend beträchtlichen Schaden anzurichten. Mit anderen Worten heißt das, daß sich die Erde keineswegs nur ein bißchen unter der zusätzlichen Last zurechtrückt. Ganz im Gegenteil: Wir laden den berühmten Strohhalm auf den Rücken des Kamels und setzen so Kräfte frei, die sich über Milliarden Jahre angestaut haben. Es ist geradeso, wie wenn ein einziger Flintenschuß eine Schneelawine auslöst. Wenn es in einer bestimmten Gegend keine Erdbeben gab, warnt Professor MacDonald, so bedeutet das bei dem >kurzen Gedächtnis< des Menschen gar nichts. Es bedeutet gewiß keine Garantie, daß hier die Erdkruste ohne Streß ist.

 

Offenbar scheint es für das Zustandekommen von Erdbeben mehrere Möglichkeiten zu geben. Denkt man sich eine Felsmasse, die eigentlich an einer zweiten Felsmasse entlanggleiten will, weil sie unter seitlichem Druck steht, so könnte sie dadurch am Gleiten gehindert werden, da die Reibungskräfte zu groß sind. Eine einfache Erhöhung des seitlichen Drucks würde aber genügen, um die Reibungskräfte zu überspielen. Es kommt dann zum Gegeneinandergleiten der Schichten. An einer Fehlstelle könnte auch ein Versteifungshaken liegen, wie ein riesiger Bolzen oder Nagel, der die vom Gleiten bedrohten Schichten noch festhält.

Dann kann jede Aktion, die diesen <Sicherheitshaken> schwächt — auch eine vom Menschen in Gang gesetzte —, die Bewegung der Erdmassen auslösen. Schließlich könnte das Eindringen von Flüssigkeit wie ein Schmiermittel wirken, das die Reibung der Erdschichten gegeneinander herabsetzt. Vielleicht hatte das Einpumpen der Abfälle bei Denver einen solchen unerwarteten Schmiereffekt.

Wenn die Spannung durch ein Beben gelöst wurde, kommt es meist zu neuen Spannungen, die dann oft die ursprünglichen Spannungen übertreffen. Daher ist bei natürlichen Erdbeben der erste Stoß selten der schlimmste. So folgte beim Erdbeben von Chile 1960 auf den Eröffnungsstoß der Stärke 7,5 nach 33 Stunden ein Stoß mit 8,5, das heißt ein zehnmal stärkeres Beben.


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Schließlich, erklärt MacDonald, beeinflussen die Erdbeben ohne Zweifel die Spannungsfelder unseres gesamten Planeten. Beispielsweise führte das Beben in Alaska zu dauernden Verspannungen in der Gegend um Hawaii, gute 2500 Meilen entfernt.

Was MacDonald beunruhigt, ist vor allem die Tatsache, daß die größeren Erdbeben (auf der Skala 8,5 und mehr) offensichtlich aus einer Reihe kleinerer Beben bestehen (Stärke 6-7). So setzte sich das Alaskabeben — das offiziell als ein 8,6-Beben eingestuft wird — nach den Untersuchungen der beiden Geologen Wyss und Brune aus einer raschen Abfolge von Beben der Stärke 6,8 zusammen. Heute erreichen die <selbstgemachten> Erdbeben durchaus diese kritische Größenordnung, und »es ist daher gar nicht so sehr unwahrscheinlich, daß menschliche Eingriffe auch eine Erdbebenkatastrophe in Gang setzen können«. Unsere heutige komplexe Gesellschaft macht uns außerdem um so verwundbarer. Würde San Francisco noch einmal vom gleichen Erdbeben heimgesucht wie 1902, so würden zehnmal mehr Menschen getötet, und der Schaden beliefe sich auf Milliarden und nicht auf Millionen Dollar.

Aber damit noch nicht genug, meint MacDonald, können Beben den Grundwasserspiegel absenken und dem Menschen so mehr Wasser entziehen, als er je in den gigantischsten Reservoirs wieder aufzufangen vermag.

Er beschwört uns daher, die lächerlichen Summen zu erhöhen, die wir bisher zum Verständnis dieser Prozesse ausgegeben haben. Nur nach sorgfältigsten Studien sollte man größere Bauvorhaben angehen oder Atomexplosionen einsetzen. Aber zunächst ist es vor allem wichtig, die Bevölkerung über die Risiken aufzuklären. Ich möchte hinzufügen, daß sich keine Nation einseitig mit großräumigen technischen Projekten befassen sollte, die andere Nationen oder gar die ganze Erde in Mitleidenschaft ziehen können, ohne zuvor weltweites Einverständnis einzuholen. 

Die Explosion unter Amchitka — um nur ein Beispiel wieder aufzugreifen — gehört ebenso dazu wie die Seestern-Explosion in der Atmosphäre, die den Van-Alien-Gürtel um die Erde schwächte, oder wie die unseligen <Nadelexperimente>, die die Radioastronomen so aufgeregt haben.


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     3  Atomare Landschaftsgärtner   

 

Es war Harold Brown, der Direktor des Livermore-Laboratoriums in Berkeley, Kalifornien, der zum ersten Mal die Idee äußerte, man könne doch atomare Sprengsätze zum Kanalbau einsetzen. Das war im Jahre 1956, und der Israelisch-Arabische Krieg hatte den Suez-Kanal gerade gesperrt. Brown meinte, daß man der Weltschiffahrt die Umwege über das Kap der Guten Hoffnung ersparen könnte, wenn man einen neuen Kanal durch die Sinaihalbinsel graben würde, der vom Golf von Akaba zum Mittelmeer führen sollte. Mit nuklearen Sprengstoffen müßte es einfach sein, einen Graben durch die Wüste zu sprengen.

Obwohl diese Idee politisch undurchführbar war, wurde der Gedanke aufgegriffen, nukleare Atomexplosionen als Riesenbagger einzusetzen, um rasch große Erdmassen zu bewegen. Die Atomenergiekommission — immer ängstlich bemüht, eine neue Rechtfertigung für ihre Existenz zu finden — setzte eine Arbeitsgruppe ein mit dem Namen <Projekt Pflugschar>. Einer der Pläne, von denen diese Gruppe träumte, war ein Hafen, den man bei Kap Thompson graben wollte. Die Zeitschrift <Environment>, die vom amerikanischen Komitee für Umweltforschung herausgegeben wird, hat kurz und bündig die Risiken zusammengefaßt: 

»Es gab keine zwingenden ökonomischen Gründe für diesen Hafen, und die Eskimos von Alaska hatten ohnedies schon mehr Radioaktivität in ihrer täglichen Nahrung als andere Leute. Die Eskimos essen Rentiere, Rentiere essen Flechten, und die Flechten konzentrieren Caesium-137 und Strontium-90 aus dem <Abfall> (fallout) von Atombombenexplosionen.«

Die Eskimos, aber auch andere Leute protestierten heftig gegen die Strahlungsgefährdung, und so ließ man den Plan wieder fallen.

Die Amerikanische Atomenergiekommission (AEC) bevorzugt die Bezeichnung geographical engineering (geographische Ingenieurskunst) für ihre Aktivitäten nach Art der <Pflugscharprojektgruppe>

»Geographische Ingenieurskunst meint den Gebrauch nuklearer Sprengstoffe, um die Geographie unseres Planeten zu verändern«, heißt es in einer Broschüre, die ihre Informationsabteilung herausgibt, 


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»wie beispielsweise das Bauen von Kanälen zwischen Ozeanen, das Abräumen tauben Gesteins über tiefliegenden Minerallagerstätten, das Einschneiden von Autobahnen und Eisenbahnen durch Berge, die Erschaffung von Häfen und Seen, wo es vorher keine gab, und auch das Verändern von Wasserscheiden, um eine bessere Verteilung der Wasservorräte zu erreichen. Die Vorschläge für eine friedliche Nutzung der Kernsprengstoffe erschöpfen sich allerdings nicht mit Erdbewegungsarbeiten im großen Maßstab. Anvisiert wird die Konstruktion unterirdischer Wasserströme. Schließlich könnte man auch die Energie von Kernexplosionen verwenden, um unter der Erde Meerwasser zu entsalzen, Dampf zu produzieren und Grundchemikalien direkt aus den Minerallagerstätten herzustellen.« 

Sie erwähnen die Art von Bergwerksaktionen, die ich schon beschrieben habe, und sie fügen hinzu: »Die mit nuklearen Explosionen verbundenen Erschütterungen und die freigesetzte Wärmemenge könnten eines Tages die Ausbeutung von Erdöllagern in Sand- und Schieferformationen ermöglichen, die heute noch zu unwirtschaftlich ist.«

Die Atomenergiekommission macht keine Angaben darüber, wieviel Radioaktivität bei all diesen Prozeduren freigesetzt wird, und wahrscheinlich weiß sie es auch gar nicht. Aber man darf wohl annehmen, daß es nicht wenig sein wird. Sie gibt zu, daß es gefährlich wäre, wenn man nicht richtig aufpaßt, und sie erwähnt auch mögliche Risiken durch Erschütterung, Erdverschiebungen und Druckwellen. Erdbeben werden allerdings verschwiegen.

Die erste nukleare Explosion, die innerhalb des Pflugscharprogramms tatsächlich ausgeführt wurde, war das Projekt Gnom, das 2200 Tonnen Felsen zum Schmelzen brachte und eine Höhle von beinahe 40.000 Kubikmeter unter der Erdoberfläche zurückließ. Man wollte prüfen, ob es möglich wäre, die dabei entwickelte Hitze als Energiequelle auszunützen. Wasser sollte in die glühendheiße Höhle hinuntergepumpt und dort in Dampf umgewandelt werden, der dann im Prinzip Dynamos antreiben oder andere Arbeit leisten könnte. Gnom war ein bloßer 3,1-Kilotonnen-Schuß und erwies sich eher als Enttäuschung. 


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13.000 Tonnen kältere Felsmassen stürzten in die Höhle nach, das geschmolzene Material kühlte plötzlich wieder ab, und die Hitze verteilte sich auf eine sehr große Masse. Daher ließ sich die freigesetzte Wärmeenergie nicht in nennenswerten Ausbeuten wiedergewinnen. Darüber hinaus stellte man fest, daß der Dampf sehr stark korrodierend wirkte. Auch die AEC zog daher den Schluß, daß seine Verwendung sich nicht wirtschaftlich rentiere.

Sieben Monate nach Gnom unternahm man ein noch ehrgeizigeres Projekt (Sedan). Man ließ eine 200-Kilotonnen-Atombombe detonieren. »Die Wirkung der Sedan-Explosion war schrecklich.« Obwohl die Ladung mehr als 200 Meter tief unter der Erdoberfläche gezündet worden war, sprengte sie einen 400 Meter breiten Krater mit einem Volumen von 5,5 Millionen Kubikmeter. Das Verteidigungsministerium half 1962 mit zwei weiteren Bomben aus: Projekt Hardhat und Danny Boy. Hardhat produzierte so wenig Radioaktivität, daß man glaubte, nukleare Sprengköpfe hätten ihren Platz in der erdbewegenden Industrie erobert.

In seinem Buch Projekt Pflugschar erwähnt Ralph Sanders zahlreiche Ideen, wie etwa neue Häfen an der Westküste Afrikas oder in Südamerika gesprengt werden könnten. Diese Häfen würden so tief sein, daß sie von viel größeren Schiffen als heutzutage üblich angelaufen werden könnten,- die Schiffstransportkosten würden beträchtlich sinken. »Ideenreichtum und Mühe sollte man beim Pflugschar-Programm nicht scheuen«, schließt die Atomenergiekommission ihren Bericht mit unermüdlichem Eifer.

In der Zwischenzeit kam die Idee auf, im Norden Australiens beim Kap Keraudren einen Hafen zu sprengen. Diese Gegend ist reich an natürlichen Bodenschätzen wie Nickel und Eisen, aber da es im Umkreis von tausend Meilen keinen großen Hafen gibt, ist der Transport sehr mühsam. Der Hafen von Port Hedland liegt allerdings nur 100 Meilen entfernt; er ist jetzt schon darauf eingerichtet, Erze zu verladen, und könnte vergrößert werden. Eine Untersuchung über die Realisierbarkeit des Planes wurde von Australiern und Amerikanern gemeinsam gestartet (1966). Es war vorgesehen, fünf 200-Kilotonnen-Bomben vor der Küste zur Explosion zu bringen. 


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Alles ging gut, und man faßte 1970 als Zeitpunkt für die Aktion ins Auge, als die Japaner, die wichtigsten Abnehmer dieser Erze, durchblicken ließen, daß ihrer Meinung nach der Preis dafür zu hoch sei. Dies war durchaus berechtigt, denn die knappe Zeitspanne vor den Sprengungen hätte es nicht erlaubt, irgendwelche Studien anzufertigen, inwiefern die Umwelt und vor allem die Menschen in Mitleidenschaft gezogen würden. Man hatte sich nie öffentlich darüber geäußert, wie viele Menschen in Gefahr kommen könnten und wie viele evakuiert werden müßten. Es gibt einfach keine nuklearen Sprengungen, ohne daß etwas Radioaktivität freigesetzt wird. Auch wurde über die möglichen Auswirkungen auf Schafe und Kühe — eine wichtige Existenz­grundlage Australiens — nichts verlautbart. 

Ebenso gilt es herauszufinden, ob irgendwelche Pflanzen sowie Flechten radioaktives Caesium oder andere Nuclide speichern und inwiefern kontaminierter (radioaktiv verseuchter) Boden auch in großen Entfernungen sich absetzen würde. Im trockenen und heißen Norden Australiens ist diese Gefahr viel größer als in der Arktis. Bevor die Japaner mit ihren Bedenken herausrückten, hatten drei australische Wissenschaftler von der Universität Sydney, Professor A. E. Alexander, ein Physiochemiker, Professor L. C. Birch und Professor N. A. Walker, beide Biologen, dazu aufgerufen, eine zweijährige ökologische Untersuchung der betroffenen Land- und Seegebiete zu starten und deren Ergebnisse von einer unabhängigen Gutachterkommission prüfen zu lassen. In der Zwischenzeit haben die amerikanischen und australischen Atomenergiekommissionen angekündigt, andere Stellen dieses Gebiets zur Installation >nuklearerBagger< zu erforschen.

Die Bergwerksgesellschaften waren nicht bereit, die reichen Eisenlagerstätten liegen zu lassen, und kamen mit einem neuen Plan: Sie wollen jetzt die Erze in eigener Regie mit nuklearen Explosivstoffen gewinnen. Dieses Mal will man drei bis fünf 10-Kilotonnen-Sprengköpfe 280 Meter tief, also 150 Meter unterhalb des Erzlagers, zünden. Die Sprengköpfe sollen auf Zwischenraum gesetzt werden. Man hofft, auf diese Weise etwa 45 Millionen Tonnen Erz zu zerschlagen. Nach sechs Monaten, sofern die Radioaktivität etwas abgeklungen ist, könnte man mit der Arbeit starten. Man wiegt sich in dem Optimismus, daß ein großer Teil der Radioaktivität in der glasigen Masse kurzzeitig geschmolzener Felsen eingeschlossen bleibt. 


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Gegen diesen Plan — er wurde der Wittenoom-Plan genannt — kann man sicher viel weniger vorbringen als gegen den Hafen; die Einwände sind aber auch hier ernst, und man sollte gründliche ökologische Studien anstellen und sie von unabhängigen Gremien prüfen lassen.

In den USA hat Kennecott Copper in Zusammenarbeit mit der AEC ein ähnliches Projekt entwickelt. In diesem Fall soll in Safford, etwa 150 Meilen nordöstlich von Tucson, Arizona, das Metall chemisch aus den Lagerstätten herausgelöst werden, wobei vermieden werden könnte, daß Arbeiter mit radioaktiven Resten untertage in Kontakt kommen.

In der Zwischenzeit verfiel man auf eine noch grandiosere Idee. Man will einen Graben durch die Landenge von Panama graben, der so tief sein soll, daß er den Meeresspiegel erreicht. Dadurch werden kostspielige und zeitraubende Schleusenanlagen, wie sie der jetzige Panamakanal hat, entbehrlich. Als man den alten Kanal 1914 eröffnete, schienen seine 30-mal-300-Meter-Schleusen groß genug. Heute sind sie für die 500 größten Schiffe der Welt, zum größten Teil Mammutöltanker, zu klein geworden.

1964 setzte Präsident Johnson eine Kanalstudienkommission ein, die Notwendigkeit, Kosten und Verlauf eines solchen Kanals überprüfen sollte.

Obwohl die Kommission ihren Bericht bereits 1968 liefern wollte, wurde er auf Dezember 1970 verschoben.

Währenddessen begann die AEC mit Testexplosionen unter solchen beruhigenden Namen wie Sulky (Brummkopf) und Palanquin (Sänfte). Da etwa dreißig verschiedene Routen für den Kanal vorgeschlagen wurden, ist es unmöglich, genau zu sagen, wieviel Sprengstoff eingesetzt werden muß. Für die Route 17 — die wahrscheinlichste nach den bisherigen Überlegungen — würde man insgesamt 166 Megatonnen brauchen, falls eine kürzlich aufgestellte Rechnung stimmt. (Als Vergleichshilfe: Das San-Francisco-Erdbeben entsprach etwa einer 100-Megatonnen-Explosion.) Da bisher zur Kratererzeugung nur 100-Kilotonnen-Bomben benutzt werden — also iooomal weniger —, kann die AEC nur raten (extrapolieren ist das höflichere Wort), welche Konsequenzen eine so phantastische Abfolge von Sprengungen haben wird. Ein Fachmann meinte, daß große Explosionen weniger wirkungsvoll seien als mehrere kleinere, so daß man eine 50-Megatonnen-Sprengung und drei zu 25 Megatonnen zusammen zünden sollte, während viele kleinere die Lücken zu schließen hätten.


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Ein Team des Amtes für Umweltforschung wurde delegiert, um die meteorologischen Konsequenzen zu studieren. Sie fanden ein sehr komplexes Windsystem vor, und E. A. Martell, ein Mitglied des Teams, sieht »eine ausgedehnte, west-östliche radioaktive Wolke voraus, deren fallout über weite Gebiete niedergehen würde. Doch lassen sich Zeitpunkt und genauer Ort nicht im einzelnen vorherbestimmen. Gebiete, die stark betroffen sein könnten, wären Costa Rica, Panama, das nördliche Kolumbien und der Nordwesten Venezuelas.« Und er fährt fort: »Die Tatsache, daß Mittelamerika ein ausgesprochenes Erdbebengebiet ist, erhöht die Schwierigkeiten, irgendwelche Effekte vorauszusagen. Es gibt eine echte Möglichkeit, daß diese Detonationen bis auf weite Entfernungen Erdbeben auslösen.« Ferner sei es schwierig vorauszusagen, welchen Schaden die Druckwelle und die plötzlich auftretende Flutwelle selbst in Entfernungen von mehreren hundert Meilen anrichten könnten.

Professor LaMont Cole von der Cornell-Universität geht noch einen Schritt weiter. Er hat ausgerechnet, daß das Caesium des fallout, des radioaktiven Niederschlages also, für jedermann auf dieser Erde das Fünfundzwanzigfache der >erlaubten< Grenzdosis liefern würde, denn das Caesium würde in die Nahrungskette eingeschleust und so überall auftauchen. Man fürchtet, Hurrikane hervorzurufen und ihre Wanderwege zu beeinflussen; die Fischerei könnte ruiniert werden; eine Umlenkung oder gar >Zerstörung< des Golf Stromes ist nicht ausgeschlossen. Vielleicht ist das Bild zu pessimistisch, doch verschärft es die Frage, ob es einer einzigen Nation erlaubt sein darf, die ganze übrige Welt derartigen Risiken auszusetzen.

Es würde zu weit führen, technische und andere damit verbundene Probleme gründlich auszudiskutieren, aber zumindest sollte etwas über die Menschen gesagt werden, die evakuiert werden müssen. »Vorläufige Evakuierungspläne rechnen damit, daß über 30.000 Menschen aus Gebieten längs der Routen 17 und 25 für ein paar Jahre umgesiedelt werden müssen.« 


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Falls die radioaktive Wolke anderswo unerwartet ihre Ladung abgibt, müßten dort zusätzliche Notevakuierungen in aller Eile durchgeführt werden. Im Falle der Route 17 wären die Cuna-Indianer auf der karibischen Seite, die Choco-Indianer im Innern und im Süden des Landes betroffen, ferner verschiedene kolumbianische Einwanderergruppen aus dem zentralen und westlichen Panama. Martell machte die Bemerkung, daß die Konstruktion des Kanals entlang der Route 17 »die Cuna-Indianer und ihre Kultur so gut wie ganz zerstören würde«. Einige Indianer würden sich im Dschungel verbergen und bei der Sprengung umkommen, aber auch die vorsichtigeren könnten nie wieder zurückkehren, da ihr Land für Verteidigungs- und Versorgungsanlagen benötigt würde.

Schließlich gibt es auch ökologische Risiken. Da die Flutwellen auf der pazifischen Seite viel größere Höhen erreichen als auf der atlantischen, würden starke Strömungen durch den Kanal fließen, viele Fischarten würden mit herübergetragen werden, und vielleicht würde sich das Karibische Meer abkühlen. Ira Rubinoff, zweiter Direktor der Abteilung für Meeresbiologie am Smithsonian-Institut für Tropenforschung in Baiboa in der Panamakanalzone, sagte, daß bisher bekanntlich nur ein einziger Fisch durch den Kanal gekommen ist und auf der anderen Seite gelaicht hat. Das eigentliche Hindernis sind nicht die Schleusen, sondern der Frischwassersee in der Mitte des Kanals. Ähnlich wirken beim Suezkanal die salzigen Bitterseen wie eine Barriere. Rubinoff fügte hinzu, daß bei der Kreuzung zweier Arten beide ausgelöscht werden können, sofern die resultierenden Kreuzungen den elterlichen Linien unterlegen sind.

Als der Welland-Kanal zu den Großen Seen eröffnet wurde, fand das Neunauge dort Eingang. Fast ein Jahrhundert später >explo-dierte< die Neunaugenpopulation, so daß die Weißfische und Forellen stark dezimiert wurden. Die Fischindustrie verlor Millionen Dollar; die USA und Kanada mußten 16 Millionen Dollar herausrücken, um die Misere zu lösen. Rubinoff meint dazu: 

»Wie spektakulär einige dieser Fälle auch gewesen sein mögen, es waren <kleine Fische> im Vergleich mit den Katastrophen, die durch den Bau eines Kanals auf Meeresniveau in Panama heraufbeschworen werden könnten. Pazifische und atlantische Organismen würden sich viel rascher und weitgehender durchmischen, und sehr viel mehr Arten wären beteiligt. Die Konsequenzen würden alle bisherigen biologischen Veränderungen weit in den Schatten stellen.«


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Bedenkt man, daß es sich hier nur um den ersten zahlreicher weiterer Pläne handelt, kann man nur seine Forderung unterstützen, eine unabhängige Kommission zur Kontrolle von Umweltveränderungen ins Leben zu rufen, die, mit ausreichenden Mitteln ausgestattet, über die Macht verfügt, alle Eingriffe in unsere Umgebung weltweit zu überprüfen. Im Spätjahr 1969 folgte die Nationalakademie der Wissenschaften der USA diesen und anderen Protesten und setzte ein Komitee für ökologische Forschungen ein, das auf Ersuchen der Kanalstudienkommission die Probleme analysieren sollte — ein erster Schritt in richtiger Richtung!

Als man im neunzehnten Jahrhundert zum ersten Male den Plan eines Panamakanals vorschlug, argumentierten einige, daß ein solches Unterfangen gegen Gottes Willen sei, der ja offensichtlich den Atlantik vom Pazifik getrennt haben wolle, denn sonst hätte er nicht diesen schmalen Landstreifen zwischen den beiden Amerikas stehen lassen. Heute wird der westliche Mensch nicht mehr von solchen Skrupeln geplagt, er fühlt sich, ganz im Gegenteil, jenen gegenüber erhaben, die es, weniger arrogant, lieber sehen würden, wenn unser Planet so bliebe, wie er ist. Menschlicher Ehrgeiz macht nun aber nicht halt bei der Vermischung von Ozeanen, er möchte auch die polaren Eiskappen abschaffen.

 

   4  Gehen wir Eiskappen schmelzen am Pol   

 

Der Mensch verfügt heute über die Mittel, die Topographie seines Planeten zu ändern. Einer der ehrgeizigsten Pläne dieser Art kommt aus Rußland und sieht vor, das Klima der Arktis und damit das der gesamten nördlichen Hemisphäre zu verändern. Der Moskauer Meteorologe Borisow schlägt vor, einen Damm durch die Beringstraße zu bauen, die Rußland von Alaska trennt, und dann damit anzufangen, das kalte arktische Wasser abzupumpen. 


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Danach würde relativ warmes Wasser aus dem Atlantik nachfließen. Er hat berechnet, daß in nur drei Jahren das gesamte arktische Eis geschmolzen und eine Wassertemperatur von 8° C erreicht sein müßte. Durch den darauf folgenden Anstieg der Lufttemperatur würden weite Gebiete in Nordkanada und Nordrußland, die heute unter einer ewigen Eisdecke liegen (Permafrost), riesige Weidegebiete ergeben, und manches zusätzliche Rind könnte hier fett werden. Das Wolga- und das Donbecken würden subtropisch, England würde wärmer und feuchter, und in den USA würde es wohl recht ungemütlich heiß werden. Noch in Afrika, glaubt Borisow, könnte man die Auswirkungen spüren. Gras würde in der Sahara wachsen, da durch die Verdunstung aus dem arktischen Wasser mehr feuchte Luft herantransportiert würde.

»Wir können nicht exakt voraussagen, wo und wie die vorgeschlagenen Eingriffe durch den Menschen die natürlichen Verhältnisse umkrempeln werden«, sagt er mit alarmierender Sorglosigkeit. »Denn theoretische Berechnungen sind eine Seite, praktische Erprobung eine ganz andere.« 

So laßt es uns probieren und sehen, was passiert!

Eine der möglichen Konsequenzen, mit der sich M. Borisow nicht befaßt, ist die, daß der nördliche Pazifik und die Beringsee sehr viel kälter werden, und man kann sich leicht ausmalen, was dann mit den Gummiplantagen in Malaysia und den Reisfeldern in Japan geschieht. Eine weitere Folge wäre ein Anstieg des Meeresspiegels durch das schmelzende Eis. M. Borisow denkt, daß die Ozeane nur um 10 Zentimeter ansteigen werden, andere Berechnungen ergaben aber meterhohe Veränderungen. Das arktische Eis schwimmt vorwiegend, wenn auch etwa 20 Prozent davon über Grönland und zahlreichen Inseln fixiert liegen. Wenn schwimmendes Eis schmilzt, trägt nur ein Siebtel davon zur wirklichen Erhöhung des Wasserspiegels bei; bei über Land gelegenem Eis wird dagegen genauso viel Wasser dem Meer zugefügt, wie Eis geschmolzen ist. Das antarktische Eis ist, anders als das arktische, überwiegend Landeis. Es stellt sich daher auch die Frage, inwiefern das Abschmelzen der nördlichen Eiskappe irgendwelche Auswirkungen auf die südliche Eiskappe haben könnte. 


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Die verfügbaren Daten legen es nahe, daß es eine gewisse Symmetrie in der weltweiten Luftzirkulation gibt, und es ist eine unbestrittene Tatsache, daß nach Atombomben­explosionen auch in der <anderen> Hemisphäre radioaktiver Niederschlag vom Himmel fällt. Jedermann kann sich daher selber seinen Vers darauf machen, ob die südliche Eiskappe schmelzen würde oder nicht. Würde sie völlig wegschmelzen, stiege der Meeresspiegel um 120 Meter; Moskau würde zum Seehafen, und kaum abzuschätzende Landflächen würden überflutet. Auch eine Erhöhung um nur 6 Meter würde London, New York und viele andere Gebiete unter Wasser setzen, so daß diese Überlegungen keineswegs müßig sind.

Das Alarmierende an diesem Plan ist die Tatsache, daß er durchaus durchführbar ist. Obwohl die Beringstraße 74 Kilometer breit ist, so ist sie doch nur 58 Meter tief. Dies bedeutet so etwas wie einen natürlichen Damm, der durch einen künstlichen nur ein wenig erhöht werden müßte. Auch wissen wir, daß vor nur 5000 Jahren das arktische Becken ganzjährig eisfrei war, und daher liegt die Vermutung nahe, daß seither nur verhältnismäßig kleine Veränderungen der Wasserzirkulation eingetreten sind.

Dieser Plan ist übrigens nur der letzte in einer ganzen Reihe von Plänen, die Arktis aufzuwärmen. Besonders Russen haben solche Pläne geschmiedet, denen die Überflutung von London und New York offensichtlich als geringer Preis erscheint, wenn es gilt, Sibirien bewohnbar zu machen. So schlug V. N. Stepenow 1963 vor, Teile aus der Thomsonschwelle südwestlich den Färöer herauszuhauen, was sich seiner Ansicht nach mit unterseeischen Atom­explosionen auf bequeme Art und Weise durchführen ließe. Damit, meinte er, könnte das kalte arktische Wasser aus dem Nordmeer in den Atlantik fließen. Andere, unter ihnen wiederum ein Russe, G. Veksler, propagierten, schwarzes Pulver über den arktischen Schnee auszustreuen. Dadurch würde Sonnenlicht absorbiert und nicht nur reflektiert, und das Eis würde schmelzen. Voraussichtlich aber würde es bald wieder schneien, und man hätte die ganze Gegend von neuem einzustauben. Andere Pläne beabsichtigten, die Wolken über der Arktis aufzulösen, indem man sie mit geeigneten Kondensationskeimen animpft (S. 29), oder man möchte die arktischen Meeresströmungen in die Kara-See umlenken. 


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In letzter Zeit haben die Chemiker Substanzen produziert, die über Wasseroberflächen ausgebreitet werden können und dabei Schichten bilden, die nur so dick sind wie ein Molekül. Dadurch wird die Verdunstung des Wassers unterbunden. Wiederum ein Russe, M. I. Budyko, war schnell bei der Hand, den Gebrauch dieser Substanzen für die Arktis vorzuschlagen. Glücklicherweise scheinen jedoch diese Schichten aufzubrechen, wenn die überdeckte Fläche ein paar hundert Quadratmeter überschreitet, und man kann sie nicht einmal anwenden, um in Wüstengebieten die Verdunstung aus Bewässerungskanälen zu verhindern. Stürmische Ozeanoberflächen sind noch ungeeigneter.

J. O. Fletcher von der RAND-Corporation wies darauf hin, daß damit die Geschichte keineswegs zu Ende ist. Die Eisdecke über den Ozeanen übt einen gewaltigen Einfluß auf die Atmosphäre aus, denn sie verhindert, daß die eisbedeckten Teile über Winter Wärme in die darüber liegenden Luftschichten abgeben. In der Arktis beträgt die Lufttemperatur unmittelbar über dem Eis im Durchschnitt —300 Celsius, das Wasser unter dem Eis dagegen nur —20 Celsius. Im Sommer fällt dieser Effekt noch mehr ins Gewicht. Die Eisschicht reflektiert zwei Drittel der einfallenden Sonnenstrahlung. Ohne Eisdecke würde das arktische Meer 90 Prozent absorbieren.

Diese Fakten verdeutlichen folgendes: Wenn eine Eisdecke da ist, kühlt sich die Atmosphäre im Winter stärker ab, während sie sich im Sommer stärker aufwärmt. Da aber die großräumige Luftzirkulation durch die Temperaturdifferenzen zwischen Pol und Äquator >angetrieben< wird, würde das Wetter weltweit beeinflußt werden.

Man muß allerdings darauf hinweisen, daß sich Fletcher für diese Berechnung nicht etwa deswegen interessierte, die Menschheit vor solchen <Einmischungen> zu warnen, sondern er wollte einfach nachweisen, daß die polaren Eismassen, sind sie einmal geschmolzen, auch geschmolzen bleiben. Die Eisschicht ist nur 2-3 Meter dick, und wenn man erreichen könnte, daß sie alle verfügbare Sonnenenergie absorbiert, würde sie wahrscheinlich schmelzen. Fletchers eigener Vorschlag war der, von Flugzeugen aus Aerosole in der Stratosphäre zu versprühen. Dadurch würde der Wärmeverlust durch infrarote Strahlen reduziert, ohne daß die einfallende Sonnenstrahlung merklich abgeschwächt würde.


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In der Zwischenzeit hat T. Y. Lin, Professor für Hoch- und Tiefbau an der Universität von Kalifornien, berechnet, daß es möglich wäre, eine Brücke über die Beringstraße mit einem Kostenaufwand von ungefähr 1 Milliarde Dollar zu bauen. Professor Lin ist führender Fachmann in Spannbeton; er bevorzugt die Idee einer Brücke von der Seward-Halbinsel über eine Inselkette hinüber nach Sibirien. Er rechnet damit, daß man fünf Jahre für die Planung und weitere fünf Jahre für den Bau benötigen würde. Er schlägt vor, Piers zu versenken, wie sie auch für die Bohrtürme auf hoher See verwendet werden. Vorgefertigte Brückenteile würden dann an die entsprechenden Stellen transportiert und hochgehoben werden. Würde man heute diese Brücke bauen, wäre es erforderlich, sie so solide zu bauen, daß sie den Anstürmen der Eisberge gewachsen wäre. Hätte man aber die Arktis aufgetaut, so wäre eine leichtere und natürlich auch billigere Konstruktion möglich.

 

    5   Laßt doch diesen Baum stehen !    

 

Es gibt viele Möglichkeiten, unsere Welt massiv und unwiederbringlich zu ruinieren: Eine besondere Rolle wird aber dabei aller Voraussicht nach der Ausverkauf unserer Wälder spielen. 

Heute sind etwa 28 Prozent der Landoberfläche von Wäldern bedeckt; doch hat der Mensch natürlich schon jetzt gewaltige Kahlschläge auf dem Gewissen mit zumeist verheerenden Folgen. Wenn Regen auf Wälder fällt, tropft er langsam auf den Boden, der durch die Wurzeln der Bäume und Sträucher fest zusammengehalten wird. Das Regenwasser vereinigt sich schließlich mit dem Grundwasser, es kommt als Quelle wieder zum Vorschein oder aber es kann als Brunnen angebohrt werden.

Fällt dagegen Regen auf offenes Land, dann wäscht er die oberste Humusschicht weg, gräbt tiefe Rinnen und Schrunden in die Landschaft und schafft so die Voraussetzung, daß in Trockenperioden der Wind den staubigen Boden wegbläst. Wenn keine Bäume den Wind abbremsen, können Wanderungsgeschwindigkeiten bis zu mehreren Zentimetern pro Jahr erreicht werden. 

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Zusätzlich wirken die Wälder wie natürliche Klimaanlagen. Die Hitze wird tagsüber von den Bäumen aufgesammelt und langsam über Nacht wieder abgegeben. Jeder, der sich an einem heißen Tag in einen Wald zurückgezogen hat, weiß, wieviel kühler es dort ist. Die Feuchtigkeit, die aus den Blättern abdampft, übt den eigentlichen Kühleffekt aus, denn dabei wird die Verdampfungswärme der Umgebung entzogen.

Die Überschwemmungen des Arno machen immer wieder Schlagzeilen. Erst 1967 haben sie weite Teile von Florenz unter einer Schlammschicht begraben. Man kennt diese Katastrophen seit dem 14. Jahrhundert, da man die Wälder um Florenz abzuholzen begann, um Weideland für Ziegen und Schafe zu gewinnen. Die Tiere knabberten die Gräser so kurzstielig, daß das Gras abstarb und der Boden sich in sterilen, zusammengebackenen Lehm verwandelte. Bäche und Quellen trockneten aus. Im 18. Jahrhundert mußten die Wollweber von Florenz Wolle und Haare importieren. Die erste Flutkatastrophe, von der wir einen genauen Bericht haben, fand im Jahr 1333 statt, doch mag es schon früher welche gegeben haben. Damals stürzten die Stadtmauern ein, und drei der vier Brücken über den Arno brachen zusammen; dreihundert Einwohner wurden getötet. Ein Florentiner, Vico del Cilento, drängte auf eine Wiederaufforstung, aber man hörte nicht auf ihn. Seit damals erlebte Florenz alle 24 Jahre eine Überschwemmung, in jedem Jahrhundert wurde die Katastrophe größer. Aber auch heute wird noch nicht wieder aufgeforstet.

Die alten Griechen verstanden etwas von der Bedeutung der Wälder, zumindest Platos Kritias

»Es sind nun aber, wie bei kleinen Inseln, gleichsam, mit dem damaligen Zustand verglichen, die Knochen des erkrankten Körpers noch vorhanden, indem nach dem Herabschwemmen des fetten und lockeren Bodens nur der hagere Leib des Landes zurückblieb. In dem damaligen noch unversehrten Lande aber erschienen Berge wie Erdhügel, die Talgründe des jetzt sogenannten Phelleus waren mit fetter Erde bedeckt, und die Berge bekränzten dichte Waldungen, von denen noch jetzt augenfällige Spuren sich zeigen. Denn jetzt bieten einige der Berge nur den Bienen Nahrung; vor nicht gar langer Zeit aber standen noch die Bedachungen von zum Sparrwerk tauglichen, dort für die größten Bauten gefällten Bäumen unversehrt. Auch trug der Boden viele andere, hohe Fruchtbäume und bot den Herden höchst ergiebige Weide; vorzüglich aber gab ihm das im Laufe des Jahres vom Zeus entsandte Wasser Gedeihen, welches ihm nicht, indem es wie jetzt bei dem kahlen Boden in das Meer sich ergoß, verlorenging; sondern indem er viel Erde besaß, in sie es aufnahm und es in einer schützenden Tonschicht verteilte, entließ er das von den Höhen eingesogene Wasser in die Talgründe und gewährte allerwärtshin reichliche Bewässerung durch Flüsse und Quellen, von welchen auch noch jetzt an den ehemaligen Quellen geweihte Merkzeichen zurückgeblieben sind, daß das wahr sei, was man jetzt davon erzählt.«

Vor dreitausend Jahren war China mit Wäldern bedeckt. Dann wurden die Wälder gerodet, um landwirtschaftliche Nutzflächen zu gewinnen, und seither kennt man dort die riesigen Überschwemmungen des Gelben Flusses und anderer Ströme ebenso wie die sommerlichen Dürreperioden. Der ausgewaschene Boden machte die niedriger gelegenen Ebenen fruchtbar, aber dadurch, daß er auch die Flußbetten auffüllte, wurden die Überschwemmungen häufiger. Viele Pläne, dort wieder Wälder aufzuforsten, schlugen in der Vergangenheit fehl, weil zu viele Leute vom Land leben wollten. Heute allerdings wird berichtet, daß die Kommunisten planen, entlang der ganzen Chinesischen Mauer einen Waldgürtel anzulegen.

Die gleiche Geschichte kennt man in ganz Europa. Die schottischen Wälder wurden abgeholzt, um den Eisenwerken Brennstoff zu liefern. England mußte schließlich Bauholz aus Norwegen importieren, als es durch die spanische Armada bedroht wurde. Die Karstlandschaften an der Adria sind ebenfalls durch übermäßiges Roden entstanden. Die Neue Welt wurde noch rücksichtsloser behandelt. Neuseeland holzte 6 Millionen Hektar ab, und das einzigartige Waldimperium der Vereinigten Staaten ist heute nur noch eine wehmütige Erinnerung. 

Viele paradiesische Inseln wurden nach dem gleichen Rezept ruiniert, seien es die Kap-Verde-Inseln oder die Seychellen. Bei den Kanarischen Inseln hat man das Land durch die gleichen Fehler nahezu um sein Existenzminimum gebracht. Aber niemand lernt aus diesen Fehlern. Nach dem Zweiten Weltkrieg drängten die Amerikaner die Japaner, sie sollten doch Wälder in Ackerland umwandeln.


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Die Japaner hatten diesen Fehler schon einmal gemacht. In der Meiji-Periode wurden die Wälder gerodet, und man hatte sich damals verheerende Flut­katastrophen eingehandelt. Die Japaner hatten sich deswegen sehr strenge Gesetze zum Schutz der Wälder gegeben, und sie konzentrierten ihre Landwirtschaft auf kleine Flächen, deren Erträge allerdings wesentlich über dem europäischen Standard liegen. Trotzdem zwang man sie 1945, Wälder abzuholzen, wiederum mit den gleichen Resultaten: Überschwemmungen und Bodenerosion. Sehr bald aber setzten die Japaner ihre alten Waldschutzgesetze erneut in Kraft.

Gegenwärtig werden an vielen Plätzen Wälder rücksichtslos niedergeschlagen. So wurden zum Beispiel innerhalb einer Generation große Teile Brasiliens — vor allem im Nordosten des Landes — kahlgeschlagen. 1900 bestand die Gegend noch zu 40-50 Prozent aus Wäldern; heute ist der Waldanteil auf unter 5 Prozent gesunken. Es überrascht nicht, daß es auch hier zu großen Überschwemmungen kam, und man gibt heute 2000 Millionen Dollar aus, um sie zu bändigen und zur Bewässerung auszunützen. Im Kongo hatte das Bäumefällen eine andere Konsequenz: die Bodentemperaturen stiegen im Sommer derart an, daß Bodenbakterien und Bodenwürmer getötet wurden.

In England konnte man die nachteiligen Folgen der Rodung weitgehend vermeiden. Weitblickende Landbesitzer hatten sehr oft Waldinseln stehen lassen, Zierwälder angelegt und Bäume als Windbrecher benutzt. Vor allem aber ließen sie an den Begrenzungen ihrer Felder kleine Hecken stehen, in denen mancher Baum eingeschlossen war. Heute allerdings graben einige Bauern ihre Hecken aus in dem bedauerlichen Versuch, amerikanische Methoden nachzuahmen, und das britische Landwirtschaftsministerium, das sich nie besonders klug verhalten hat, ermutigt diesen Unsinn noch, indem es dafür Zuschüsse zahlt. Man rechnet damit, daß 10.000 Meilen Hecken in einem Jahr verschwinden. Bodenerosion, vor allem oberhalb der Heckenlinie, wird die unvermeidliche Folge sein. Außerdem wird schweres landwirtschaftliches Gerät den Boden weiter beanspruchen. In fünfzig Jahren werden sich die Folgen dieser kurzsichtigen Politik nur allzu deutlich zeigen.


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Vermutlich weiß das Landwirtschaftsministerium nichts davon, daß in Schleswig-Holstein die Hecken um 20 Prozent zugenommen haben. Im nördlichen Europa haben Hecken und Schutzgürtel die Verdunstung um etwa ein Drittel des jährlichen Regenfalles herabgesetzt. Es verwundert daher eigentlich kaum, wenn englische Bauern, die gerade ihre Hecken entfernt haben, kurz darauf nach künstlicher Bewässerung rufen. Natürlich geht durch die Hecken und Schutzgürtel nutzbare Bodenfläche verloren, doch wird dieser Verlust durch höhere Erträge weit überkompensiert: Man rechnet mit einem 4,5 fach höheren Ertrag pro Gesamtfläche (laut Europäischem Verband für Landschaftsschutz).

In Deutschland hat es sich gezeigt, daß die Kartoffelerträge dank der Schutzgürtel um 25 Prozent höher liegen; Rußland hat ähnlich gute Erfahrungen bei Hafer gemacht, und sogar einfaches Weideland wird besser. Es ist eine ironische Tatsache, daß der Mensch, der mehr Wälder rodet, um mehr Nahrungsmittel zu produzieren, gerade dadurch weniger produziert als vorher.

Heute ist eine neue Fußnote zu dieser alten Tragödie hinzuzufügen: In Vietnam werden Wälder in großem Maßstab durch >Defolianten< zerstört, das heißt durch Versprühen von Chemikalien, die zum Abfallen der Blätter führen. Fred Tschirley vom USA-Landwirtschaftsforschungsdienst hat eine Untersuchung an Ort und Stelle durchgeführt: »Das Defoliationsprogramm hat zu ökologischen Veränderungen geführt. Ich glaube zwar nicht, daß diese Veränderungen irreversibel sind, aber eine völlige Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes könnte eine sehr lange Zeit in Anspruch nehmen. Bäume vom Mangrovetyp werden mit einer einzigen Behandlung abgetötet. Man schätzt, daß zur Wiederherstellung eines Mangrovenwaldes 20 Jahre benötigt werden.« Zweifellos werden wir in den nächsten dreißig Jahren nicht nur in Vietnam von <Entblätterungsaktionen> hören.

Ebenfalls am Horizont zeigen sich Riesenprojekte wie der <Mittel-Kanada-Entwicklungskorridor>. Das Gros der kanadischen Bevölkerung drängt sich entlang der südlichen Grenze zusammen, wo es wärmer ist und die Wachstumsperiode länger dauert. Der Fläche nach ist Kanada das zweitgrößte Land der Erde, aber nur 20 Millionen Menschen leben dort, von denen wiederum 89 Prozent auf 15 Prozent der Fläche leben.

In den ganzen Nordwest-Gebieten leben nur 23.000 Leute. Die Firma Acres Ltd., eine Planungsgruppe in Toronto, hat nun den Plan veröffentlicht, große Teile auch der kälteren Bezirke <bewohnbar> zu machen. Mit 1,5 Milliarden Dollar plant man, eine Eisenbahn zum Großen Sklaven-See und darüber hinaus zu bauen. Dazu käme noch eine Trans-Kanada-Autobahn für 1,75 Milliarden Dollar. Hafenanlagen, neue Städte und so weiter sollen die Summe auf ganze 5 Milliarden Dollar aufrunden. 

Die neuen Städte sollen dem Musterplan russischer <All-Wetter-Städte> wie Jakutsk folgen. Da die UdSSR in Sibirien Städte bis 250.000 Einwohner unterhält und auch in der Arktis Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern errichtet hat, glaubt man, daß auch die Kanadier zäh genug sein werden. Für kurzfristige Ausbeutung begrenzter Bodenschätze zum Beispiel denkt man an steckdosenfertige, vorfabrizierte Behausungen, die an eine <Energieleiste> (Wasser, Wärme, Klimaanlagen und Müllschlucker) angeschlossen werden. Man spricht hier gelegentlich vom Konzept der <Wegwerfstadt>.

Sollten sich diese Städte bewähren, wird man wahrscheinlich auch die Antarktis, Grönland und andere unwirtliche Regionen einbeziehen. Die von solchen Siedlungen erzeugte Wärme wird sicherlich das ewige Eis schmelzen, wenn sie nicht gar das Wetter ändern wird. Kernkraftwerke werden ihren Beitrag zur Verschmutzung der Atmosphäre leisten, und fester Schmutz wird sich dann auch hier in der Umgebung sammeln.

Heute nutzt die Welt diese abgelegenen Gegenden als Lungen, die den Schmutz der dichter bevölkerten Gebiete entweder verdünnen oder sogar reinigen. Wie wird es bei uns aussehen, wenn unsere Lungen selber Schmutzerzeuger geworden sind? Wie sehr wir diese Lungen brauchen, werde ich in Kapitel 5 genauer beschreiben.

Zuerst aber sei noch einiges mehr über das Klima gesagt. Denn wenn der Mensch auch davon träumt, das Klima willentlich zu verändern, so tut er doch heute schon Dinge, die es unbeabsichtigt verändern, und zwar in einem Ausmaß, das sich zumindest als sehr unangenehm, wenn nicht gar als katastrophal herausstellen könnte.

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Zukunft oder Untergang der Menschheit - Taylor-1970