Klimabuch         Start    Weiter 

3 - Eiszeit oder Hitzetod?     Taylor-1970

1 Es wird kälter    2 Zunehmend bewölkt    3 Klima-Umschwung    4 Hitzetod

 

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Als ich im April 1969 über den Atlantik flog, sah ich Eisberge, soweit das Auge reichte. Die offizielle Statistik bestätigte den flüchtigen Eindruck: Die Eisbe­deckung hatte im Vergleich zu den letzten 60 Jahren zugenommen. Dies scheint kein Zufall zu sein. Etwas Merkwürdiges ist mit unserem Klima passiert. Ist nur die Sonne schuld, oder sind die Menschen dafür verantwortlich?

Dank der guten Buchführung unserer Vorfahren können wir in die Vergangenheit sehen und dabei feststellen, daß es ungefähr vor hundert Jahren anfing, wärmer zu werden, und daß diese Entwicklung um 1900 ganz offenkundig geworden war. Dr. C. E. P. Brooks, ein Experte für die Wechselbeziehungen zwischen Klima und Gletschern, berichtete 1949: »Seit Beginn des 20. Jahrhunderts sind die Gletscher hinweggeschwunden, rasch, gelegentlich sogar katastrophal rasch.« Der Muir-Gletscher in Alaska ging ganze 2 Meilen in 10 Jahren zurück. 

Vor 15 Jahren beschrieben zwei Gletscherforscher, P. Baird und R. Sharp, den Rückzug der alaskischen Gletscher als <alarmierend> und bemerkten, daß an der Pazifikküste Amerikas, aber auch in Europa das Gletscherschmelzen »zunehmend heftiger fortzuschreiten scheint«. Im folgenden Jahr wurde berichtet, daß die im Polarmeer driftenden Eisschollen wegschmolzen und das Polarmeer <offen> zu werden schien. Steigende Temperaturen ließen die Schneegrenze in den Gebirgen weltweit ansteigen. In Peru zum Beispiel stieg sie in 60 Jahren um 900 Meter.

Als direkte Folge verschiebt sich die Verteilung der Vegetation. Einige Bäume fangen an, die trostlosen Leeren der subpolaren Tundren in Kanada und Rußland zu beleben. Man hat dies an sehr weit voneinander entfernt liegenden Plätzen festgestellt: in Alaska, in Labrador und in Sibirien. In den kanadischen Prärien rückte die Getreidegrenze zwischen 50 und 100 Meilen nordwärts, denn die Wachstumsperiode ist jetzt dort etwa 10 Tage länger als früher. Entsprechend sind kälteliebende Bäume wie Birken und Rottannen in weiten Gebieten des östlichen Kanadas und Neuenglands ausgestorben. Schweden meldet, daß die Baumgrenze in den Bergen seit 1930 um 20 Meter bergaufwärts gewandert sei.

Auch die Verbreitung der Tiere wurde betroffen. Viele europäische Arten wandern nordwärts nach Skandinavien. 1950 berichteten Biologen von 25 neuen Vogelarten in Grönland, die es 1918, als das Land zum letzten Mal gründlich durchforscht worden war, noch nicht gegeben hatte. In den Vereinigten Staaten wanderten beispielsweise der Kardinal, die Haubenmeise und der Truthahngeier nach Norden. Das Opossum, ein wärmeliebendes Tier, kann man jetzt bis hinauf nach Kanada antreffen. Thunfische gibt es heute an der Küste von Neuengland, und fliegende Fische sieht man jetzt oft auf der Höhe von New Jersey.

Entlang der Küste von Grönland gaben die Eskimos die Seehundjagd auf und fischen jetzt nach Kabeljau, denn der Kabeljau hat den Seehund ersetzt. Bis zum Jahre 1946 waren die Kabeljaufänge auf 12.000 Tonnen angestiegen — 1913 hatte man ganze 5 Tonnen verschifft.

Die trockenen und nüchternen Zahlen der Meteorologen belegen diese flüchtigen Eindrücke. In den USA sind die mittleren Jahrestemperaturen zwischen 1920 und 1954 um 2,7°C gestiegen. 1953 stellte das US-Wetteramt fest, daß 40 der 48 Staaten zwischen 1931 und 1952 mittlere Temperaturen verzeichneten, die zumeist über dem langjährigen Durchschnitt der vorhergegangenen Jahre lagen. Der Effekt kommt weiter nördlich noch deutlicher heraus: In Spitzbergen, das nur 10-12 Breitengrade vom Pol entfernt liegt, stiegen die durchschnittlichen Wintertemperaturen seit 1910 sogar um 7°C. Die Häfen blieben dort sieben Monate im Jahr für die Schiffahrt frei, vor fünfzig Jahren waren es nur drei Monate im Jahr. Die Temperaturen in der Antarktis stiegen in den ersten fünfzig Jahren dieses Jahrhunderts um 2,5°C.

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Ein wärmeres Klima ist natürlich für fast alle — von Wintersportfanatikern abgesehen — eine angenehme Sache, aber wie weit wird dieser Trend gehen? Der Meeresspiegel ist mit ständig zunehmender Geschwindigkeit gestiegen, weitgehend dank dem Schmelzen der Gletscher — so nimmt man jedenfalls an. Zwischen 1930 und 1948 stieg er um 15 Zentimeter. Erling Dorf, dessen Aufstellungen ich die meisten dieser Angaben entnehme, hat berechnet, daß der Meeresspiegel heute viermal rascher ansteigt als während der letzten 9000 Jahre, das heißt seit der letzten Eiszeit. Mitte der zwanziger Jahre stieg die Geschwindigkeit der Zunahme sogar auf das Sechsfache. 

Es ist natürlich nicht immer leicht, den Anstieg des Meeresspiegels exakt zu messen; wie kann man unterscheiden, ob das Meer steigt oder das Land absinkt? Satelliten ermöglichen aber in Zukunft sehr genaue Übersichtsmessungen. Trotzdem hat man heute schon den Eindruck, als ob es einen Trend gäbe, der die Höhe der Ozeane in einem einzigen Jahrhundert um gut einen Meter anheben könnte, vorausgesetzt, der Trend hält an. Wenn es stimmt, würden viele Küstengebiete drastischen Veränderungen unterworfen, und viele wichtige Häfen, wie London oder Amsterdam, wären von Überflutung bedroht.

Merkwürdigerweise blieben die Tropen von diesen Veränderungen verschont; andere abgelegene Gegenden haben sogar Abkühlung registriert. Solche Gegenden sind beispielsweise die Hudson Bay, Indonesien, Nordost­australien, Mitte und äußerster Süden Südamerikas und die einsamsten Gebiete Zentralasiens. Dieses <Kontrastprogramm> legt die Vermutung nahe, daß die Ursache des Wärmetrends nicht eine Erhöhung der Sonnen­einstrahlung sein kann, denn dann würde man erwarten, daß der ganze Planet überall aufgeheizt wird. Da alle kühler werdenden Gegenden fernab von ausgedehnten Industrie­gebieten liegen und nur dünn besiedelt sind, kann man schon auf den Gedanken kommen, daß der Mensch bestimmte Dinge tut, die zu einer Erhöhung der Temperatur führen, sogar entgegen einer allgemeinen Abkühlungstendenz.


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Nun, eine Antwort auf diese Frage wurde 1930 von einem britischen Wissenschaftler, G. S. Callender, gegeben. Schon 1861 hatte der englische Physiker John Tyndall gemeint, daß die Welttemperaturen von der Menge Kohlendioxid abhängen, die es in der Atmosphäre gibt.

Kohlendioxid hat die Eigenschaft, die längeren Wellenlängen der Wärmestrahlung zu absorbieren. Das gleiche macht auch Glas, weswegen Gewächshäuser aus Glas gebaut werden. Die Wärme kommt als relativ kurzwellige Strahlung an, sie wird von Gegenständen absorbiert, die sie mit einer längeren Wellenlänge wieder abgeben, ohne jedoch wieder durch das Glas herauszukommen. Dadurch heizt sich das Gewächshaus auf. Das Kohlendioxid in der Atmosphäre übt nun einen ähnlichen <Gewächshauseffekt> aus, und daher müssen sich die Temperaturen ändern, wenn sich die Kohlen­dioxid­konzen­trationen verändern. Callender meinte also, daß die allgemeine Aufheizung dadurch zustande kam, daß der Mensch die Atmosphäre mit zusätzlichen Kohlendioxidmengen versorgt.

Wie es so oft geschieht, niemand beachtete diese Theorie.

Daß der winzige Mensch etwas tun könnte, was die ganze Erde beeinflußt, dieser Gedanke war 1938 noch zu ungeheuerlich, als daß man ihn für wahrscheinlich halten konnte. Zwanzig Jahre später wiederbelebte Gilbert Plass von der Johns-Hopkins-Universität diese Theorie mit neuen Informationen. Er hatte die Wirkung von Wasserdampf, Kohlendioxid und Ozon auf die Infrarot-Wärmestrahlung in der Atmosphäre untersucht. Bis dahin hatte man noch über sehr wenig genaue Daten verfügt, aus denen sich entnehmen ließ, wie sehr der Kohlendioxidspiegel gestiegen war. Jetzt machten neue Messungen wahrscheinlich, daß er seit 1900 um wenigstens 10 Prozent, wenn nicht sogar um 14 Prozent gestiegen war, was einer Zunahme von 290 ppm (= parts per million = ein millionster Teil) auf 330 ppm oder mehr entspräche. Das war aufregend, und die Wissenschaftler begannen, darüber zu diskutieren, ob es wirklich einen <Gewächshauseffekt> gibt. 


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Zu dieser Zeit organisierte man das große wissenschaftliche Gemeinschaftsprogramm, das unter dem Namen »Internationales Geophysikalisches Jahr« bekannt wurde. Sorgfältige Messungen der Kohlendioxidmengen über der ganzen Erde wurden in das Programm einbezogen. Innerhalb der nächsten fünf Jahre, von 1958 bis 1963, gelang es, die Zunahme pro Jahr genau zu messen: 5 Milliarden Tonnen wurden ermittelt, und diese Zahl paßt gut zu den früheren groben Abschätzungen. Die Messungen ergaben auch starke lokale Schwankungen, mit denen eigentlich niemand gerechnet hatte, aber gerade damit ließen sich die lokalen Temperaturschwankungen, von denen wir eben gesprochen haben, erklären. Das Problem war nun, herauszufinden, woher das Kohlendioxid kam. Die erste Quelle, an die man denkt, sind fossile Brennstoffe, vor allem Kohle und Öl. Diese Brennstoffe werden seit etwa einem Jahrhundert intensiv ausgenützt, und man hat ausgerechnet, daß wir in dieser Zeit etwa 360 Milliarden Tonnen zusätzliches Kohlendioxid in die Atmosphäre gejagt haben: durch Kohleöfen, Autos und Motorschiffe, durch Gaswerke und Flugzeuge. In jüngster Zeit steigt die Zunahme steil an.

Andere meinen allerdings, daß das Kohlendioxid aus ausgetrockneten Sümpfen kommt. Je wärmer es wird, um so mehr Sumpfgebiete trocknen aus, und so schaukelt sich dieser Prozeß hoch. Edward Deevey hat berechnet, daß die Sümpfe etwa 366 Milliarden Tonnen Kohlendioxid enthalten, das freigesetzt würde, wenn die Sümpfe verschwänden. Dies wäre etwa die gleiche Menge, die der Mensch durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe bisher beigesteuert hat. Bis jetzt sprechen die Indizien für eine Zweidrittelbeteiligung der Sümpfe an der zusätzlichen Kohlendioxidbelastung der Atmosphäre.

Wenn dem so ist, stimuliert sich dieser Prozeß selber, denn je wärmer es wird, um so mehr Sümpfe trocknen aus, und je mehr Sümpfe austrocknen, um so wärmer wird es. Die Kybernetiker sprechen hier von einer <positiven Rückkoppelung>. 

Damit verbunden führt jede Umwandlung von Weideland in Ackerland und alles Roden von Wäldern zu einem erhöhten Nachschub an Kohlendioxid.


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Schätzungen werden dadurch so sehr erschwert, weil die Verwitterung von Gestein sehr viel größere Mengen Kohlendioxid freisetzt. Man schätzt diesen Kohlendioxidvorrat auf 2,5x 10h17 Tonnen, also etwa das Millionen­fache der bescheidenen menschlichen <Zutaten>. Gleichzeitig nehmen die Pflanzen Kohlendioxid wieder aus der Luft, das sie assimilieren, um ihre Substanz aufzubauen. Vermutlich tun sie das mit der gleichen Geschwindigkeit, mit der Kohlendioxid nachgeliefert wird, denn es gibt keine Hinweise auf irgendwelche drastischen Veränderungen über längere Zeiträume.

Es bleibt eine betrübliche Tatsache, daß wir heute nur mehr oder weniger gescheite Vermutungen anstellen können: Wir verfügen kaum über ausreichend genaue Daten, diese großräumigen Prozesse voll und ganz zu analysieren. Zu allem kommt noch erschwerend hinzu, daß wir nicht verstehen, auf welche Weise und wie rasch Kohlendioxid zwischen der Atmosphäre und den Weltmeeren ausgetauscht wird. Nur eines steht außer Zweifel: Die Kohlendioxid-konzentrationen steigen, und sie steigen immer rascher.

Wenn man die Kohlendioxidkonzentrationen und Temperaturen aufzeichnet, sieht es so aus, als ob die durchschnittlichen Temperaturen um wenigstens 5°C bis 1990 ansteigen würden. Dies erscheint zunächst als nicht allzu viel, denn wir sind an die 40°C-Schwankungen zwischen sommerlichen Maxima und winterlichen Minima gewöhnt. Im Mittel bleiben aber die Jahrestemperaturen bis auf ein oder zwei Grad konstant. Ein Abfall um 3 Grad würde ausreichen, um die ganze Landwirtschaft zu verändern. Die Wachstumsperioden werden so kurz, daß bestimmte Pflanzenarten nicht mehr angebaut werden können.

Die Erwärmung, die zwischen 1920 und 1950 in den USA zu beobachten war, belief sich auf nur 3,5° C. Wenn diese geringe Erhöhung schon ausreichte, um Spitzbergen, das bis dahin nur drei Monate eisfrei war, für sieben Monate eisfrei zu halten, dann müßte es am Ende dieses Jahrhunderts ganzjährig offen sein. Über kurz oder lang müßte die gesamte Arktis schiffbar sein; die alaskischen und sibirischen Tundren würden auftauen: Bäume würden wachsen, und man könnte dort Vieh züchten. Aber kaum hatten die Wissenschaftler die außergewöhnlichen Möglichkeiten erkannt, als sich die Situation änderte.


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   1  Es wird kälter   

 

Mitte der fünfziger Jahre bemerkte man, daß die Temperaturen gar nicht ständig anstiegen, sondern daß sie angefangen hatten, zu fallen. 1958 begann das arktische Packeis deutlich zuzunehmen. Es kamen kältere Winter und zugleich kältere und feuchtere Sommer. H. H. Lamb vom britischen Meteorologischen Amt — vielleicht der führende Experte für Langzeit-Klimaschwankungen — meinte, daß die Wachstumsperiode seit 1950 in England um zwei Wochen kürzer geworden und daß es, jedenfalls in den meisten Inlanddistrikten, doppelt so oft zu einer zusammenhängenden Schneedecke gekommen sei.

Ein britischer Spezialist für die Zusammenhänge von Klima und Landwirtschaft, J. A. Clark, sieht die Sache so:

»Die ersten vier Dekaden unseres Jahrhunderts waren außergewöhnlich mild, und wir hatten Wintertemperaturen, die im Durchschnitt etwa 1°C höher lagen als vergleichbare Werte am Ende des 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts. In den letzten beiden Jahrzehnten jedoch sind die durchschnittlichen Januartemperaturen bereits um 1°C unter die Temperaturen der milden Jahrgänge, die für die zwanziger und dreißiger Jahre charakteristisch waren, gefallen. Seit 1940 hatten wir fünf Winter, in denen während eines ganzen Monats die Durchschnittstemperaturen unter dem Gefrierpunkt blieben. Während der Zeit von 1896 bis 1939 hatte es keine solchen strengen Winter gegeben, eine Tatsache, die britische Architekten dazu verleitete, Installationsanlagen außer Haus zu verlegen. Viele Leute wissen zwar, daß der Winter 1962 bis 1963 der schlimmste Winter seit 1740 war, aber sie sind sich nicht darüber im klaren, daß gleich harte Winter etwa alle 20 Jahre während der vorangegangenen Jahrhunderte zu verzeichnen waren. Wenn die Themse nicht zufror — wie sie es allein im 17. Jahrhundert achtmal tat —, lag es nur daran, daß die Kühlwässer der Kraftwerke zusätzliche Wärme einspeisten. 1963 drifteten Eisschollen in der Straße von Dover, und ein schmales Küstenmotorschiff blieb im Weiland River für mehrere Wochen im Eis gefangen.«


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1969 war Eis im Nordatlantik weiter verbreitet als in den ganzen 60 Jahren zuvor. Zwischen 1920 und 1965 hatte man in der Nähe von Island kaum je Treibeis gesichtet, aber 1965 blockierte es die Häfen an der Nordküste Islands und legte den Fischfang lahm. Dies wiederholte sich 1968 und noch ausgeprägter 1969. Infolge der reduzierten Fischindustrie wertete Island nicht weniger als dreimal seine Währung ab, bis diese schließlich nur noch die Hälfte ihres ursprünglichen Wertes besaß. Auch die Ernten waren katastrophal niedrig, und die Leute begannen davon zu reden, daß man vielleicht sogar die Insel evakuieren müsse. In Island fallen die Ernteausbeuten um 15 Prozent, wenn die durchschnittliche Sommertemperatur nur um 1°C absinkt. Eine Konferenz aus Naturwissenschaftlern und anderen Fachleuten wurde einberufen, um die katastrophalen Veränderungen zu diskutieren.

Der Winter 1968/69 war ausnehmend hart in vielen Teilen der Vereinigten Staaten von Amerika, und auch England hatte seinen kältesten Februar seit 1909. Russische Meteorologen machten darauf aufmerksam, daß seit 1960 die Bewegungsmuster der polaren Kaltluft sich auf einen Typ umgestellt hatten, der zu Beginn unseres Jahrhunderts üblich war. Als weitere Konsequenz kam es zu vermehrten Regenfällen in zentralen kontinentalen Gebieten — für Indien ein besonderer Glücksfall, denn dadurch wurden hier sehr gute Reisernten erzielt im Gegensatz zu den kümmerlichen Ernten der vorausgegangenen Jahre, die jeweils zu Hungerkatastrophen geführt hatten.

Einige Meteorologen glauben, daß sich das Klima in komplizierten Rhythmen verändert, mit jeweils verschieden langen Perioden, und sie sahen auch in diesem Umschwung nichts weiter als ein neues Beispiel für alteingefahrene Prozesse. Wir werden sogleich etwas näher auf diese Meinung eingehen. Aber auch zyklische Schwankungen müssen irgendwelche Ursachen haben,- es gab daher auch Meteorologen, die nach spezifischen Gründen suchten und nicht einfach die Klimaveränderungen allgemeinen Prozessen anlasteten, die wir ohnedies nicht verstehen können.

Einer von ihnen war Professor Reid Bryson, Direktor des Meteorologischen Institutes an der Universität von Wisconsin. Er hatte mehrere Reisen nach Indien gemacht, um die riesige Rajastan-Wüste zu studieren. Dieses ehemals fruchtbare Gebiet von 250.000 Quadratmeilen war erst durch menschliche Mißwirtschaft zur Wüste geworden, und man hoffte, er könne Vorschläge machen, wie sich der Schaden wieder beheben ließe.

 wikipedia  Reid_Bryson  (1920-2008)

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Auf seinen Flügen nach Indien war ihm immer wieder aufgefallen, daß ein gleichmäßiger bläulicher Dunst über dem ganzen Kontinent zu hängen schien; gelegentlich reichte er bis in eine Höhe von 6 Kilometern über der Erdoberfläche. Die Sichtweite betrug nur etwa 7 Meilen, und auf dem Weiterflug nach Saigon nahm sie kontinuierlich bis auf anderthalb Meilen ab. Ganz klar war: Keine Industrie produzierte diesen Dunst. Zum Teil schien er von landwirtschaftlichen Feuerstellen zu stammen, zum Teil aus aufgewirbeltem Wüstenstaub zu bestehen. Es leuchtet unmittelbar ein, daß ein solcher Dunstschleier einen guten Teil der Sonneneinstrahlung wegfiltern muß, weil er wie ein Spiegel die Strahlen zurückreflektiert. Dadurch mußte zwangsläufig die Erdoberfläche darunter kühler werden. Luftaufnahmen zeigten ähnliche blaue Dünste über Brasilien und Zentralafrika. Der blaue Dunst ist so konstant anzutreffen, daß Meteorologen ihn einfach in ihre Kalküle einbeziehen. Er liegt im allgemeinen zwischen 1 und 3 Kilometer Höhe und enthält 600 bis 800 Gramm festes Material pro Quadratmeile.

Neugierig geworden, sah sich Bryson auch anderswo um. Eine weitverbreitete Quelle für atmosphärische Eintrübung fand er in Ölfeldern, auf denen Rückstände und Erdgas abgebrannt wurden. Eine ausgedehnte dunkelbraune Decke erstreckt sich ostwärts vom Persischen Golf und anderen Ölzentren, vor allem auch in einigen Teilen Chinas. Die Atmosphäre kann viel länger große Mengen feiner Partikeln mit sich herumtragen, als man gemeinhin annimmt. Mit unseren irdischen Problemen beschäftigt, vernachlässigen wir im allgemeinen den Dunst über unseren Köpfen, es sei denn, er fällt uns auf den Kopf. 1968 senkte sich roter Staub über weite Teile Englands. Es stellte sich heraus, daß er von der Sahara herantransportiert worden war, und man schätzte seine Gesamtmenge auf eine Million Tonnen. Während des Zweiten Weltkrieges fiel Staub auf das Karibische Meer, der nachweislich aus Nordafrika stammte, wo er durch Panzerschlachten in der Wüste aufgewirbelt worden war.


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Könnte nicht, so fragte sich Bryson, auch der Mensch solche Staubmengen in die Atmosphäre hochjagen, so daß die Temperatur der ganzen Erde gesenkt würde?

Nicht an allzuviel Plätzen wurden bisher Trübungsmessungen der Atmosphäre durchgeführt, aber dort, wo man es tat, findet man eine rasche Zunahme seit den dreißiger Jahren. Eine solche Meßstelle ist Washington; dort stieg die >Trübung< um 57 Prozent von 1900 bis 1964. Ein anderer Meßplatz ist der Luftkurort Davos — viel besucht von Lungenkranken. Hier verzeichnete man eine 80prozentige Zunahme. 

Auf der Hawaii-Insel Mauna Loa begann man im Jahre 1957 mit Messungen. Schon nach zehn Jahren war das Staubniveau um 30 Prozent angestiegen. Dies war besonders unerfreulich, denn Mauna Loa liegt weitab von industrialisierten Gegenden — es mußte sich also um ein weltweites Phänomen handeln. Die vielleicht eindrucksvollsten und sicher die längsten Untersuchungsreihen kommen aus Rußland. Aus Staubproben von gefrorenen Schneeproben aus dem Kaukasus können die russischen Meteorologen die Entwicklung seit 1790 verfolgen. Sie finden eine langsame Zunahme während des 19. Jahrhunderts, aber dann einen verblüffend steilen Anstieg seit Beginn der Industrialisierung Rußlands. Nach 1930 stieg der Staubpegel auf unglaubliche 1900 Prozent.

Die meisten Staubmessungen werden in Städten durchgeführt, in denen die Industrie eine merkliche Luftverschmutzung verursacht. Auch diese Berichte bestätigen den Trend. So hatte Chicago vor 1930 20 <Rauchtage> pro Jahr, während diese Zahl schon 1948 auf 320 angestiegen war.

Bryson glaubt, daß die Zunahme der Trübung den Gewächshauseffekt überspielt hat. »Es gibt keine Anzeichen, daß sich dieser Trend umkehren wird; vielmehr gibt es gute Gründe anzunehmen, daß die künstliche Verschmutzung in Zukunft an Bedeutung weiter zunehmen wird.« Er errechnete, daß eine Abnahme von nur 3 bis 4 Prozent der Durchlässigkeit der Atmosphäre die Oberflächentemperatur um 0,4 Prozent senken müßte.


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Brysons Arbeiten inspirierten einen englischen Berater der Weltraumbehörde, Dr. Jim Lovelock, zu einigen weiteren Berechnungen, die Hinweise geben sollten, wie sich der Aufheizeffekt durch Kohlendioxid und der Kühleffekt durch Staub ausbalancieren könnten. Der Aufheizeffekt ist proportional zum Quadrat der Partikelmasse. Der Kühleffekt sollte daher rasch an Bedeutung zunehmen. Nach seinen vorausberechneten Temperatur­kurven hätte 1963 der Aufheizeffekt ausbalanciert sein müssen; für 1970 ergäbe sich eine Abkühlung um 1,5°C, für 1975 um 4°C und für 1977 sogar um 5°C und so weiter — was den Gedanken nahelegt, daß noch vor 1980 eine neue Eiszeit vor der Tür steht. (Man schätzt, daß die letzte Eiszeit auch nur wegen einer Temperaturdifferenz von 5 oder 8°C gegenüber der heutigen Norm zustande kam.)

Lovelock machte darauf aufmerksam, daß es verschiedene positive Rückkoppelungsmechanismen gibt, die den Temperaturabfall eher noch beschleunigen. Einen davon haben wir schon erwähnt: das Austrocknen von Sümpfen. In dem Maße, wie das Klima wieder feuchter und kälter wird, in dem Maße werden die Sumpfgebiete zunehmen und dadurch wieder Kohlendioxid einfangen. Ein anderer Verstärkungsmechanismus beruht auf der Tatsache, daß Schnee und Eis mehr Sonnenenergie reflektieren als Land oder Meer. Daher wird weniger Wärme gespeichert, wenn die Eisflächen bei zunehmender Abkühlung sich ausdehnen.

In bestimmten Gegenden könnten die sich ergebenden Veränderungen der Wetterabläufe besonders gravierende Auswirkungen haben — und gerade unsere sogenannten gemäßigten Zonen, in denen die meisten Menschen der westlichen Welt leben, erscheinen als besonders gefährdet. In den nördlichen Meeren gibt es eine recht scharfe Trennungslinie zwischen kaltem Wasser, das vom schmelzenden Polareis südwärts strömt, und warmem Wasser vom Äquator auf nördlichem Kurs. Dort, wo sich die Wassermassen treffen, sinkt das kältere Wasser ab, weil es dichter und damit schwerer ist, und fließt dann unter dem wärmeren weiter. Auf der südlichen Halbkugel liegen die Verhältnisse natürlich gerade spiegelverkehrt.


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Es ist eine erwiesene Tatsache, daß auf der nördlichen Halbkugel diese Nahtstelle südwärts wandert, wenn das Klima kälter wird. Der Grund dafür liegt darin, daß zwei Effekte das Wasser schwerer machen: Einmal Abkühlung, zum anderen aber auch höherer Salzgehalt, und die Balance dieser beiden Effekte ist wichtig. Es scheint, daß die Warm-Kalt-Nahtstelle schon bis auf die Höhe von Island südlich gewandert ist. Nur einige wenige Grad geringerer Wassertemperatur könnten die Trennlinie auf die Höhe der britischen Inseln weiter absenken. Ganz offensichtlich wird jedes Land nördlich der Nahtstelle beträchtlich kälter sein als ein Land südlich davon, auch dann, wenn die beiden Länder nur sehr wenig voneinander entfernt sind.

 

    2  Zunehmend bewölkt  

 

Staubpartikeln reflektieren nicht nur die einfallende Sonnenstrahlung, sie beeinflussen das Wetter auch als Kondensationskeime für Wasserdampf; kurz, sie machen Wolken. Die Auswirkungen der Trübung auf die Temperaturen der Erdoberfläche sind daher komplizierter, als ich es bisher dargestellt habe.

Interessant ist in diesem Zusammenhang vor allem die Atmosphäre über den Ozeanen, in der im Normalfall solche <Konden-sationskeime> viel seltener sind als über Land. Wolken reflektieren natürlich auch eine ganze Menge Wärme, die von der Erde abgestrahlt wird, wie jedermann an schwülen Tagen mit einer durchgehenden Wolkendecke feststellen kann. Aber gleichzeitig schirmen sie die einfallende Sonnenstrahlung ab. Daher können die Auswirkungen des Luftstaubes sich ganz verschieden auswirken, je nachdem, ob die Wetterlage zu Wolkenbildung neigt oder nicht. 

Zwei amerikanische Meteorologen, Manabe und Wetherald, haben 1967 berechnet, daß eine einprozentige Zunahme der niedrigen Wolkendecke um die ganze Erde zu einer Temperatursenkung von 0,8°C führen könnte — dies entspräche dem Vierfachen des Temperaturabfalles der letzten 2,5 Jahre. Sollte die Bedeutung dieses kleinen Rechenexempels noch nicht genügend klar sein, dann können wir noch etwas weiter <rechnen>. Gegenwärtig sind im Durchschnitt etwa 31 Prozent der Erdoberfläche von niedrigen Wolken bedeckt. Angenommen nun, daß die Wolkendecke um 36 Prozent zunähme — auf den ersten Blick würde man es wahrscheinlich kaum merken —, dann würde die durchschnittliche Oberflächentemperatur um 4°C sinken. Demnach sollte man es sich sehr wohl zweimal überlegen, zusätzliche Staubmengen in die Atmosphäre zu jagen, es sei denn, man ist außergewöhnlich an Wintersport interessiert.


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Im kleinen Maßstab kann man die Auswirkungen einer staubigen Atmosphäre am Unterschied zwischen Stadt- und Landklima sehen.

Englische Untersuchungen hatten schon früher gezeigt, daß Industriestädte mehr Wolken- und Regentage verzeichneten als das <flache Land> windaufwärts. Stanley Changnon Jr. von der Illinois-Wasserkontrollbehörde verfertigte 1969 eine ausführliche Studie über vier Städte des mittleren Westens zusammen mit New York und Washington. Er fand, daß in den Städten die Niederschlagsmenge und die Zahl der Regentage bis um 16 Prozent, die Zahl der Sommergewitter um 20 Prozent höher lagen als im umgebenden <flachen Land>. In La Porte, 30 Meilen windabwärts vom Chicago-Gary-Komplex mit seinen riesigen Stahlwerken und anderen Industrieanlagen, stiegen Regen und Gewitter auf schwindelerregende 246 Prozent. Eine weitere Konsequenz staubgeladener Luft über Großstädten ist natürlich die größere Häufigkeit von Smog. Eine — dem Kenner sehr einprägsame — Illustration der nebelbildenden Fähigkeiten von Kondensationskeimen liefert der Morgantown-Flughafen in West Virginia, der sehr oft wegen eines nahe gelegenen Kühlturmes geschlossen werden muß. Oder — um ein beliebiges weiteres Beispiel zu zitieren —: In Edmonton, Ontario, kann man einen Nebelgürtel sehen, der durch das Abbrennen von Erdgas einer Erdölquelle erzeugt wird.

Im sommerlichen Dunst findet man oft Ammoniumsulfat, was den Gedanken nahelegt, daß Schwefel einen wesentlichen Beitrag zur Lufttrübung leistet. Die Verbrennung von Kohle und Öl führt zu Schwefelverbindungen. Der Weltverbrauch an Schwefel steigt ungeheuer rasch, teilweise auch infolge der Verwendung von Ammoniumsulfat als künstliches Düngemittel. Dadurch wird deutlich, warum Sommerdunst sich auch über dem flachen Land bildet, ganz ohne Beteiligung von <Abwinden> aus Industriegebieten.


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Reid Bryson hält die Temperaturveränderungen nicht für die wichtigste Wirkung der Lufttrübung. Entscheidender scheint ihm die Veränderung des Temperaturabfalles zwischen Polen und Äquator zu sein, denn davon ist die Windzirkulation abhängig. Trübung dürfte dieses Gefälle und damit auch die Westwinde abschwächen. Hubert Lamb hat nachgewiesen, daß während der sechziger Jahre die Westströmungen tatsächlich nachließen.

Eine der wichtigsten Ursachen für die Lufttrübung sind die Auspuffgase der Autos und Flugzeuge, wobei vor allem die Flugzeuge eine besondere Rolle spielen, weil sie die Partikeln hoch oben in der Atmosphäre absetzen. Bryson hat eine Rechnung aufgestellt, die einem wirklich das Blut in den Adern stocken läßt. Er geht davon aus, daß sich an einem durchschnittlichen Tag etwa 3000 Düsenflugzeuge in der Luft befinden, von denen die Hälfte Kondensstreifen produzieren. Diese Kondensstreifen bleiben im Durchschnitt für eine Stunde bestehen und breiten sich auf einen Durchmesser von knapp einem Kilometer aus. Daraus folgt eine fünf- bis zehnprozentige Zunahme der Zirrusbewölkung über den meistbeflogenen Gebieten, das heißt über den USA, dem Nordatlantik und Europa.

Eine solche Berechnung erhebt natürlich keinen Anspruch auf große Genauigkeit: sie zeigt aber, mit welchen Größenordnungen wir hier zu rechnen haben. Die Aussichten erscheinen noch bedrückender, wenn wir an das Überschallzeitalter denken. Man behauptet zwar, daß sich bei den beabsichtigten Flughöhen keine Kondensstreifen bilden werden, aber müßten die Flugzeuge aus irgendwelchen Gründen doch tiefer fliegen, sähe die Geschichte ganz anders aus. Sollten sie in der Nähe der Tropopause operieren — das heißt also in dem Gebiet, in dem die Temperatur mit steigender Höhe nicht weiter abnimmt, sondern wieder ansteigt —, würden doch Kondensstreifen entstehen. In dieser Höhe wären die künstlichen Wolken sehr stabil und könnten über Stunden einen Durchmesser von mehr als zwei Kilometern erreichen. Dies würde genügen, um über dem überflogenen Gebiet eine hundertprozentig geschlossene Wolkendecke aufkommen zu lassen.


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Man hat ausgerechnet, daß die Bewölkung über dem Atlantik wegen des Luftverkehrs heute schon um 10 Prozent zugenommen hat. Für das Ende dieses sogenannten Überschalljahrhunderts hat man eine Steigerung um 3000 Prozent vorausgesagt. Es ist daher wahrscheinlich, daß schon lange vorher der Nordatlantik zusammen mit großen Teilen Nordamerikas und Europas ständig unter Wolken sein werden. Bryson kommentiert trocken: »Wir wünschten eigentlich unseren Enkelkindern, daß sie einen blauen Himmel öfter als nur an ihrem Geburtstag erleben.« Soweit es mich betrifft, schließe ich mich diesem Wunsch an.

In Boulder, Colorado, hat die Nationale Klima- und Atmosphärenforschungsgruppe neulich Beobachtungen gemacht, die bestätigen, daß Kondensstreifen von Düsenflugzeugen die Bildung von Zirruswolken über größeren Gebieten stimulieren und daß diese vermehrte Bewölkung durchaus die Strahlungsbilanz verändern kann.

Bryson fügt hinzu, daß er froh wäre, wenn seine Berechnungen sich als falsch herausstellten, aber wenn seine Zahlen auch nur annähernd richtig sind, ist das Problem viel zu wichtig, als daß man es einigen wenigen Freizeit­forschern überlassen dürfte. Es scheint allerdings, daß irgendeine Nation allein kaum etwas tun kann, um diesen Trend umzukehren, und wir müssen uns daher wohl auf eine bewölkte Zukunft einstellen, auch ohne Überschall­flugzeuge.

 

   3 Klima-Umschwung   

 

Als ich Professor Bryson besuchte, studierte er gerade die Daten, die ein dänisch-amerikanisches Team über die Temperaturänderungen der letzten 100.000 Jahre veröffentlicht hatte. Die einzelnen Schichten des Polareises stellen ein Protokollbuch über die Temperaturen der Vergangenheit dar, denn die relative Häufigkeit der Sauerstoffisotope 16 und 18 im Eis hängt von der Temperatur des Regens oder Schnees ab, die das Eis einmal gebildet haben. Ein Team der Universität von Kopenhagen war zum Century-Luftwaffenstützpunkt auf Grönland gereist und hatte dort mit amerikanischer Unterstützung ein Loch in den Eismantel gebohrt. Die herausgezogene <Eisstange> war 139 Meter lang und enthielt Eisproben, die bis zu 100.000 Jahre alt waren.


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Als man die Temperaturen graphisch aufzeichnete, konnte man viele rasche Verschiebungen, aber auch allmähliche Temperaturveränderungen erkennen. Eine der zyklischen Veränderungen wiederholte sich alle 13.000 Jahre, und sie ist eindeutig mit der Präzessionsbewegung der Erdachse verknüpft. Andere Zyklen von nur 120 und 940 Jahren sind offensichtlich von Veränderungen der Sonnenstrahlung abhängig, denn diese Schwankungen lassen sich mit anderen Methoden erfassen. Bryson stellte fest, daß die Erdatmosphäre offensichtlich in mindestens zwei relativ stabilen Zuständen existiert und daß zwischen diesen Zuständen recht rasche Übergänge möglich sind. Nach einem Umschlag neigt die Atmosphäre dazu, in der neuen Lage zu verbleiben, statt wieder zurückzuschwingen, zumindest so lange, bis ein neuer Anstoß einen erneuten Umschwung auslöst. Was für Anstöße kämen in Frage? Niemand weiß darüber Genaueres, aber man kann sich eine große Zahl solcher Auslöser vorstellen, angefangen vom Ausbruch riesiger Vulkane bis zum Einschlag eines großen Meteoriten.

Bryson betont, wie außerordentlich schnell solche Veränderungen aufeinander gefolgt sein müssen, wenn man sich die Isotope des Polareises genauer ansieht. Als die letzte Eiszeit hereinbrach, am Ende des Pleistozäns, wurden zahllose Mammuts in ganz Europa einschließlich Englands und Rußlands tiefgefroren. Viele hatten noch wohlerhaltene Haare und Haut, manche standen noch auf ihren vier Beinen. Einige hatten noch unverdautes Gras in ihrem Magen und Grasreste zwischen den Zähnen. Als man einen solchen Mammut in gefrorenem Boden Anfang dieses Jahrhunderts auffand, war das Fett noch gelb und das Fleisch in einem solch tadellosen Zustand, daß einige unerschrockene Naturforscher sich ein Mammutsteak zubereiteten. Man hat daher den Eindruck, als ob diese Tiere >schockgefroren< wurden. Die einzige Erklärung ist wohl die, daß ein heftiger Schneesturm sie damals völlig begraben hat und daß darauf kein Sommer folgte, in dem der Schnee wegschmolz. Dies legt nahe, daß hier ein fast unvorstellbar abrupter Klimaumschwung stattfand.


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Aus diesen Tatsachen muß man die Schlußfolgerung ziehen, daß das Klima der Erde von einem stabilen Zustand in einen anderen mit unerhörter Geschwindigkeit umwechseln kann, wenn der richtige Auslöser da ist, sozusagen der richtige Knopf gedrückt wird. Wir wissen zwar nicht, um was für einen Knopf es sich hier handelt, doch könnten wir ihn sehr wohl bedienen. Wie ernst man derartige Gedanken zu nehmen hat, vermögen selbst Wissenschaftler nicht zu sagen. Auf der einen Seite meinen sie, daß man solche monströsen Überlegungen eigentlich nicht zur Kenntnis nehmen sollte, auf der anderen Seite haben sie aber doch das Gefühl, daß man nur auf eigenes Risiko die logischen Schlußfolgerungen aus wissenschaftlichen Daten verdrängt.

Einige Meteorologen glauben, daß nicht nur eine Reduktion der gesamten einfallenden Strahlung, sondern auch kleine Verschiebungen zwischen kurz- und langwelligen Anteilen zu dramatischen Veränderungen der Konvektion in der Atmosphäre führen kann, mit anderen Worten, die Bewegungen der warmen Luftmassen könnten dadurch entscheidend verändert werden. Aber wir wissen noch zu wenig, um vorhersagen zu können, ob eine bestimmte Veränderung die Temperatur erhöhen oder erniedrigen wird. Sie vermuten aber, daß solche Veränderungen in den gemäßigten Zonen am größten sind, und sie rechnen damit, daß eine zehnprozentige Verminderung der einfallenden Strahlung die Oberflächentemperaturen um etwa 7,5° C erniedrigen würde.

Lange Zeit wurde das Dogma gepredigt, daß die Ozeane wie stabilisierende Schwungräder wirken: Sie können zuzeiten sowohl Wärme absorbieren, als auch später wieder Wärme abgeben und so Wärme­schwing­ungen direkt dämpfen. Auch glaubte man, daß sie über längere Zeiträume indirekt stabilisieren können, indem sie beispielsweise überschüssiges Kohlendioxid aufnehmen oder abgeben, je nach dem Angebot der Atmosphäre. Solche Mechanismen gibt es ganz sicherlich, aber sie könnten viel zu langsam reagieren. Gilbert Plass meint daher, daß man etwa 1000 Jahre warten müßte, bis die Ozeane erst die Hälfte des überschüssigen Kohlendioxids absorbiert haben, die der Mensch in den letzten hundert Jahren in die Atmosphäre gejagt hat.


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Orthodoxere Meteorologen sehen in der gegenwärtigen Abkühlung nur einen natürlichen <Rückschwingprozeß>, der eben auf eine Wärmeperiode folgt, die im frühen 19. Jahrhundert begann. Die dänischen und amerikanischen Wissenschaftler, die auf Grönland Eisproben erbohrt hatten, prophezeien, daß der gegenwärtige Kalt-Trend bis etwa 1995 andauern wird. Dagegen haben erst 1960 viele Klimaforscher behauptet, daß der allgemeine Trend nach wärmeren Temperaturen für mindestens zwei oder drei Jahrhunderte weitergehen würde und daß die neuerliche Abkühlungsepisode nur bis 1965 reichte.

Die Temperaturschwankungen der letzten 10.000 Jahre sind nun recht genau kartiert. Jüngere Studien über Eisschmelzvorgänge von Dr. Nils Morner von der Stockholmer Universität haben die Entwicklung nach der letzten Eiszeit (etwa 12.000 v.Chr.) mit einer bisher nicht gekannten Präzision erfaßt. Dr. Morner untersuchte Pollenkörner, die im Bodenschlamm der Ostsee eingeschlossen worden waren, und er verglich damit Art und Herkunft der Sedimente, die von Gletschern dorthin verschleppt worden waren. Die Pollen und andere Pflanzenreste waren zuvor von den Gletschern konserviert worden.

 

Zwischen 10.350 und 10.300 v. Chr. scheint es ein kurzes, kaltes Intermezzo gegeben zu haben, dem wieder eine wärmere Periode folgte. Die Ostsee war weitgehend von Eis bedeckt, und Skandinavien lag unter Gletschern. Erst 7730 v. Chr. stieg dann wieder der Meeresspiegel, und Meerwasser strömte in die Ostsee ein. Zwischen 5000 und 2000 v. Chr. lag wiederum eine Wärmeperiode — eine sogenannte Hypsithermale —, darauf folgten erneut sinkende Temperaturen, die ihr Minimum etwa um 500 v. Chr. erreichten. Der sich anschließende Anstieg hatte um 1000 n. Chr. sein Maximum und blieb dort bis etwa 1300 stehen. Während dieser Zeit baute man Wein in England bis hinauf nach York an, und die Wikinger kolonisierten Grönland und pflanzten dort Getreide und züchteten Schafe und Kühe. Von 1600 an jedoch wurde das Klima wieder kühler, und die Gletscher rückten wieder vor. In den Alpen wurden ganze Talsiedlungen <überrannt>; es kam zur <Kleinen Eiszeit> zwischen 1650 und 1850. Diese Eiszeit machte auch Politik: In Schottland gab es Fehlernten, viele Leute verhungerten, und dies trug entscheidend dazu bei, daß die Bewohner Schottlands der Vereinigung mit England zustimmten. Allerdings tat dann England sehr wenig, um seinen neuen Bürgern zu helfen. 


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Zwischen dem elfjährigen und den Langzeitzyklen liegen andere. Die Ursachen dieser Verschiebungen sind völlig unbekannt: Man denkt an Veränderungen der Energieabstrahlung der Sonne, aber auch Veränderungen in der Wärmekapazität der Ozeane könnten eine entscheidende Rolle spielen. Wir wissen nicht einmal, was die Eiszeiten verursachte. Sowohl verstärkte als auch reduzierte Sonnenstrahlung hat man verantwortlich gemacht. Vermehrte Sonneneinstrahlung — so argumentierte man — könnte mehr Wasser aus den Ozeanen zur Verdunstung bringen, was schließlich als Schnee wieder zurückfiele. Danach wären die Eiszeiten weniger kalt als naß gewesen, aber die Untersuchungen, die gerade in Afrika durchgeführt werden und bei denen die Schichtung des Untergrundes einiger Seen analysiert wird, scheinen Hinweise darauf zu geben, daß die Eiszeiten doch trocken waren, denn man fand viel eher Pollen von Gräsern als irgendwelche Spuren tropischer Regenwälder.

Einige dieser Veränderungen sind sicher zyklisch. Der Einfluß der elfjährigen Sonnenfleckenzyklen ist eindeutig nachweisbar, und es scheint auch noch einen Zweiundzwanzigjahrezyklus zu geben. Einige Meteorologen, vor allem H. Lamb, glauben, daß eigentlich alle Veränderungen zyklisch sind. Die Mehrzahl allerdings hält an der Meinung fest, daß, wenn es auch sicher einige Zyklen gibt, viele meteorologische Veränderungen zufällig erfolgen beziehungsweise durch Zufallsereignisse hervorgerufen werden, wie beispielsweise Vulkanausbrüche, Eruptionen auf der Sonnenoberfläche oder das Auftreffen energiereicher Weltraumstrahlung und dergleichen mehr.

Sie weisen darauf hin, daß Messungen der Sonneneinstrahlung, die man in großen Höhen vorgenommen hat, keineswegs Schwankungen von 10 Prozent ergeben haben, die zur Erklärung neuerlicher Klimaänderungen notwendig waren. Andererseits scheint der Kohlenstoffzyklus, der die Energie der Sonne liefert — jedenfalls nach unseren heutigen Vorstellungen —, ein sehr stetiger »Verbrennungsvorgang« zu sein.


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Andere Wissenschaftler halten wiederum nichts von der Staubtheorie und gründen ihre Zweifel darauf, daß nach dem Ausbruch des Krakatau im Jahre 1889 kein Kälteeinbruch stattfand. In Wirklichkeit aber gab es damals viel zu wenig Meßstationen, und die wenigen waren zu weit verstreut, um eine solche Schlußfolgerung zu rechtfertigen. Als der Krakatau seine 13 Kubikmeilen Fels, Staub und Asche in die Atmosphäre schleuderte, dauerte es drei Monate, bis die Staubwolke auch Europa erreichte und den Mond blau bis purpur anfärbte. Einige Gebiete unter der Staubwolke scheinen sich abgekühlt zu haben, andere dagegen nicht; daher wären exakte Messungen über den zeitlichen und örtlichen "Verlauf der Temperaturschwankungen entscheidend wichtig. Als der Katmai auf den Aleuten 191a ausbrach, fiel die Sonnenstrahlung in Algerien tatsächlich um so Prozent. Es könnte durchaus sein, daß diese Unterschiede die Großraum-Luftzirkulation verändern und so schließlich auch das Wetter beeinflussen.

Heute wissen wir auch mehr über die Bildung von Eiskeimen auf Staubpartikeln, wenn die Lufttemperatur unter dem Gefrierpunkt liegt. Vincent J. Schaefer hat gezeigt, wie vulkanische Asche gute Kondensationskeime abgibt und so zur Wolkenbildung führt. In den frühen fünfziger Jahren hat daher Harold Wexler vom amerikanischen Wetterdienst die Vulkantheorie neu belebt. Man wandte dagegen ein, daß man in gesicherten Kälteperioden in der fernen Vergangenheit keine geologischen Spuren von vulkanischem Staub gefunden hatte, aber Wexler meint, daß Staubmengen, die ausreichen, das Klima zu beeinflussen, immer noch zu klein seien, um als geologische Sedimente zu >imponieren<. Dem entgegengesetzten Einwand, daß einige Vulkanausbrüche nicht mit einer Abkühlung verbunden waren, konterte er damit, daß in diesen Fällen wohl nicht genügend Partikeln hochgeschleudert wurden oder daß sie zu groß waren, um längere Zeit oben zu bleiben.

In jüngster Zeit hat Dr. Murray Mitchell, ebenfalls vom amerikanischen Wetterdienst, diese Theorien weitergeführt. Er behauptet, daß die weltweite Abkühlung in den sechziger Jahren durch eine Serie von Vulkanausbrüchen verursacht wurde, die im Jahre 1947 einsetzte.


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Eines zeigen diese Beobachtungen und Überlegungen — daher meine so ausführliche Darstellung —, daß nämlich das Klima keineswegs so stabil ist, wie wir gewöhnlich annehmen. Das Klima schwankt, und es ist wahrscheinlich nicht allzu schwer, es aus dem Gleichgewicht zu bringen. Ganz in diesem Sinne warnte kürzlich Walter Roberts, Präsident der <Vereinigung amerikanischer Universitäten zur Atmosphärenforschung>, in einem Vortrag vor Mitgliedern des Verteidigungs­ministeriums: »Ein sehr delikates Gleichgewicht scheint hier vorzuliegen, dessen Störung durch irgendeines von mehreren geophysik­alischen Phänomenen ausgelöst werden kann.«

 

   4  Hitzetod   

In zunehmendem Maße betrachten die Wissenschaftler die ganze Erde mit ihren Landmassen, ihren Meeren und ihrer Atmosphäre als ein einziges System, in dem Stoffe und Energie über große Entfernungen und mit verschiedenen Geschwindigkeiten ausgetauscht werden. Stoff- und Energie­austausch bleiben auf längere Sicht in etwa ausbalanciert. Interessant ist nun, daß sich eine Gleichgewichtslage eingestellt hat, die Leben ermöglicht.

Es bedürfte keiner sehr großen Veränderung irgendeiner Variablen, um Leben, wie wir es kennen, unmöglich zu machen. Würde zum Beispiel der Sauerstoff­gehalt der Atmosphäre fallen, so könnten nur noch ein paar hochspezialisierte Organismen, die auch ohne Sauerstoff auskommen (anaerobe Bakterien zum Beispiel), existieren. Auf der anderen Seite würde eine Erhöhung der Sauerstoffkonzentration um nur 5% die Feuergefahr so erhöhen, daß trockene Wiesen und Wälder dauernd Feuer fangen würden. Wie ungewöhnlich rasch die Entflammbarkeit zunimmt, wenn der Sauerstoffgehalt steigt, macht man sich selten klar. Der grausige Unfall während des Apolloprogramms, bei dem 1967 drei Astronauten verbrannten, demonstrierte es auf eine sehr spektakuläre Weise.

Dazu kämen weitere Effekte: Würde die Vegetation dauernd brennen, so würden die Kohlendioxidkonzentrationen in der Atmosphäre ansteigen, aber auch die Trübung der Luft würde zunehmen. Beide Effekte würden die Temperatur beeinflussen, sei es im Sinne einer Erhöhung oder einer Erniedrigung, wer weiß.


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Als die Physik der Erde als Ganzes in den Mittelpunkt des Interesses rückte, begannen die Geophysiker, die fundamentalste aller dieser Fragen zu stellen: Mit welcher Geschwindigkeit wird diesem System Energie zugeführt und mit welcher Geschwindigkeit wird sie ihm wieder entzogen? Wie kommt das Wärmegleichgewicht zustande, wie steht es um die Dynamik des Energieaustausches? Ganz offensichtlich müssen sich Wärmeabgabe und Wärmeaufnahme exakt kompensieren, wenn die Erde nicht kälter oder wärmer werden soll. Aber gerade darüber fehlen uns verläßliche Meßdaten.

Die Sonneneinstrahlung war bisher nur sehr schwer zu messen, denn sie wird teilweise von der Atmosphäre reflektiert, bevor sie den Erdboden und dort installierte Meßgeräte erreicht. Satelliten geben uns eine erste exakte Vorstellung davon, wieviel reflektiert wird. Aber erst wenn wir auf dem Mond Instrumente installieren, werden wir die Sonneneinstrahlung genau messen können, die sehr wahrscheinlich größeren Schwank­ungen unterliegen wird.

Natürlich bewegt sich die Erde auf ihrer jährlichen Umlaufbahn einmal näher und einmal weiter von der Sonne entfernt. Rund gerechnet jedoch beträgt die ankommende Energie — die sogenannte Solarkonstante — etwa 2 Kalorien pro Quadratmeter und Minute, bezogen auf eine mittlere Entfernung von der Sonne. Etwa ein Drittel dieser Energie wird reflektiert. Das Verhältnis zwischen eingestrahlter und abgegebener Energie bezeichnet man als Albedo; die Astronomen des 19. Jahrhunderts hatten diesen Begriff geprägt (albedo lateinisch gleich Weiße). 

Die Albedo der Erde schwankt sicherlich im Rhythmus der Jahreszeiten: Schnee und Eis sind die besten Reflektoren, daher steigt die Albedo im Winter. Aber auch der Mensch verändert die Albedo auf längere Zeit. Beton und Asphalt absorbieren die Wärme ganz anders als Gras, und auch Wüsten und Wälder unterscheiden sich beträchtlich. Wenn wir Wälder roden, wenn wir großräumige Landwirtschaft betreiben wie in den USA, wenn wir Stauseen anlegen, wenn wir Autobahnen und Flugplätze, vor allem aber wenn wir Städte und Metropolen bauen, immer ändern wir die Albedo.


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Obendrein fügt der Mensch seiner Umgebung Wärme zu, wenn er irgendwelche Brennstoffe - seien es fossile oder atomare - verbrennt. Über unseren Städten ist die Lufttemperatur um mehrere Grade höher als im Umkreis. Atomkraftwerke produzieren enorme Mengen an <Abfallwärme> — etwa hundertmal mehr als ein herkömmliches Kraftwerk vergleichbarer Kapazität, das auf Kohlebasis arbeitet. (Daher kommt übrigens auch der immense Bedarf an Kühlwasser.) Atomenergie aus Kernverschmelzungen und nicht aus Kernspaltungen wie bisher — Physiker hoffen, diese Methode bis zum Ende unseres Jahrhunderts in den Griff bekommen zu haben — liefert noch mehr Wärmeabfälle. Wenn sich darüber hinaus die Bevölkerung verdoppelt haben wird, werden sich auch alle diese wärmeabgebenden Prozesse verdoppeln, vielleicht sogar verdreifachen in Anbetracht der zunehmenden Industrialisierung.

Einige Wissenschaftler fragten sich bereits, ob wir nicht jetzt schon mehr Wärme in unsere Umwelt hineinpumpen, als sie diese in den Weltraum wieder abstrahlen kann. Wenn dem so ist, dann wird die Temperatur der Erdoberfläche steigen; die Abstrahlung wird ebenfalls zunehmen (das heißt die Albedo wird sich verändern), bis sich schließlich ein neuer Gleichgewichtszustand eingestellt hat. Man hat ausgerechnet, daß unser Wärmehaushalt merklich gestört werden kann, wenn nur 1 Prozent der normalen Einstrahlung zusätzlich hinzukommt, und dies könnte bis 1975 durchaus der Fall sein.

Nach dem großen russischen Meteorologen Budyko liefert die <thermische Verseuchung> (thermal pollution) durch den Menschen bisher nur einen kleinen Beitrag, der etwa dem zweitausend­fünf­hundertsten Teil der gesamten Albedo entspricht.

Aber andere Berechnungen legen die Vermutung nahe, daß die Albedo massive 4 Prozent pro Jahr zunimmt. Würde die einfallende Strahlung um 10 Prozent zunehmen, so erhöhten sich die durchschnittlichen Oberflächen­temperaturen auf der Erde um 10-20°C, und wir haben gesehen, daß schon sehr viel kleinere Zunahmen das Klima vollständig verändern können. Die Polgebiete wären so heiß wie heute die Tropen, und die heutigen Tropen wären für Warmblütler unbewohnbar; sie wären einzig und allein noch Eidechsen und Insekten zugänglich. Die meisten Seefische würden zugrunde gehen. 


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Wenn man diesem Fachmann glauben will, wäre innerhalb von nur 25 Jahren bei der bisherigen Entwicklung eine Veränderung dieser Größenordnung zu erwarten. In etwa 70 Jahren wäre dann unser Planet entschieden zu heiß für irgendwelches Leben: Der Hitzetod wäre eingetreten. Vorsichtigere Schätzungen geben uns noch eine Gnadenfrist von 150 Jahren, bevor wir alle in planetarischer Hitze verschmoren.

Als Musterbeispiel wissenschaftlicher Untertreibung sprach Professor Gordon MacDonald von der <Nationalen Akademie der Wissenschaften> der USA davon, daß die thermische Verseuchung »in den kommenden Dekaden von großer Bedeutung sein wird«.

 

Die Schwierigkeit all dieser Prophezeiungen liegt vornehmlich in unserem Unverständnis der komplizierten Beziehungen zwischen Ursache und Wirkung. Auch verfügen wir über zu wenig verläßliche Daten, um die einzelnen Elemente gegeneinander abwägen zu können. Ich habe zwei Prozesse beschrieben, die letztlich die Temperatur erhöhen, und einen, der sie erniedrigt: Wie werden sie sich auf die Dauer ausbalancieren? Einiges, was der Mensch unternimmt, dürfte die Albedo erhöhen, zum Beispiel Straßen- und Städtebau. Da Wüsten eine höhere Albedo besitzen als Grasflächen, tragen beispielsweise die Ausweitung der Sahara und die zunehmende Bodenerosion in weiten Gebieten der Erde ebenfalls zu einer Erhöhung der Albedo bei; zusätzliche Bewässerungen und die Urbarmachung früherer Wüstengebiete reduzieren wiederum die Albedo.

Experten des amerikanischen Wetteramtes rechnen damit, daß eine Erhöhung der Albedo um eine Einheit die Oberflächentemperaturen um 1°C absinken läßt. Um die Situation noch weiter zu komplizieren: Auch Veränderungen der <Rauhigkeit> der Erdoberfläche beeinflussen die Geschwindigkeit, mit der Wärme an die Luft abgegeben wird. Die Tatsache ist einfach die, daß wir nicht einmal wissen, ob die Albedo insgesamt zu- oder abnimmt. Es kann sehr wohl sein, daß die Zunahme durch Städte- und Straßenbau im großen und ganzen durch die thermische Verseuchung kompensiert wird. Wenn dem so ist, dürften wir uns glücklich schätzen und nur hoffen, daß dieses Gleichgewicht auch in Zukunft erhalten bleibt.


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Die Wissenschaftler wissen recht wenig, inwiefern die Weltmeere in diese Prozesse regulierend eingreifen und als Stabilisatoren wirken. Vielleicht haben uns die Meere dank ihrer riesigen Wärmespeicherkapazität vor einer wirklichen thermischen Verseuchung bislang bewahrt. Aber so schwierig es ist, ein schweres Schwungrad auf Touren zu bringen, so schwierig ist es auch, es wieder abzubremsen. Sollten wir — zu spät — herausfinden, daß wir die Meeres­temperaturen verändert haben, müßten wir mit dieser neuen Situation fertig werden. 

Wir wissen zum Beispiel, daß Ölfilme den Wärmeübergang zwischen Meer und Luft auf mehrere Arten stören können. Diese Filme vermindern die Verdunstung und erniedrigen die Wärmeabstrahlung des Wassers, aber sie glätten auch die Dünung. Professor MacDonald sagt es unverblümt: 

»Wir wissen nicht, ob die Verschmutzung unserer Ozeane bei Klimaänderungen eine wichtige Rolle spielt. Genaue Meßdaten über das Ausmaß der Ölverschmutzung der Ozeane, die Lebensdauer eines Ölfilms auf der Meeresoberfläche sind nicht verfügbar. Auch wissen wir nicht, was die Ölfilme im einzelnen für Auswirkungen haben. Wir können nicht einmal etwas über die Vorzeichen sagen, da wir nicht wissen, ob die Temperatur durch die Meeresverschmutzung steigt oder sinkt.«

Wasserdampf transportiert Wärme, aber man weiß nicht genau, wie sehr sich <nackter> und pflanzenbedeckter Boden in bezug auf die Geschwindigkeit der Wasserabgabe unterscheiden. Der Meteorologe H. Landsberg sagte einmal über den Wasserkreislauf, daß »wir kaum angefangen haben, etwas von diesem wichtigen Teilprozeß des Energiehaushaltes der Atmosphäre zu verstehen«.

Aus diesen Überlegungen ergibt sich immerhin eine solide Erkenntnis: 

Der Mensch ist heute so zahlreich, und er hat mit seiner Technologie einen derart großen Einfluß, daß seine gesamte Umwelt in Mitleidenschaft gezogen wird. In welcher Richtung sich seine Aktivitäten auswirkten, läßt sich nicht sagen; wir wissen nur, daß ihr Einfluß derart groß ist, daß sie sich in der einen oder anderen Richtung katastrophal auswirken könnten. Vielleicht werden sie sogar das Leben, wie wir es kennen, auslöschen.


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Professor MacDonald, dessen Vortrag über diese Probleme auf dem Kongreß der <Amerikanischen Vereinigung zur Förderung der Wissenschaften> im Dezember 1968 Aufsehen erregte, wurde emphatisch. Die ungeheure Zunahme der Bevölkerung, der Urbanisierung und der modernen Landwirtschaft führten dazu, daß das, »was wir einst als kleinere Übel betrachteten, zu weltweiten Problemen geworden ist«. Schlimmer noch, wir wissen zwar heute genug, um diese Veränderungen zu konstatieren, unser Verständnis dieser Vorgänge ist aber »viel zu primitiv, als daß wir mit einiger Sicherheit vorhersagen könnten, welche Konsequenzen der Mißbrauch unseres Planeten durch den Menschen haben wird«

Es ist daher einigermaßen schockierend, daß Forschungen auf diesen Gebieten unter den Wissenschaftlern nicht als sehr attraktiv gelten und daß die Regierungen ihr nur eine geringe Priorität zugestehen wollen und sie mit dementsprechend sparsamen Stipendien und Forschungsaufträgen unterstützen. MacDonald überläßt das Problem nicht anderen, sondern schlägt selber ein Vier-Punkte-Aktionsprogramm vor, das mir so vernünftig erscheint, daß man sich wundern muß, daß bisher noch nichts geschehen ist.

 

Als dieses Kapitel in Druck ging, gab Dr. Earl Barrett vom <Amt für Umweltforschung> einen noch pessimistischeren Bericht: Er erklärte, daß unsere gesamte Umwelt durch menschliche Tätigkeit verändert wird — präziser, sie wird vielleicht unwiderruflich zerstört. Vor der internationalen Sonnenenergie­konferenz in Melbourne, Australien, berichtete er, daß 50 Millionen Tonnen zusätzlicher Staubteilchen in der Atmosphäre ausreichen würden, um die mittlere Temperatur an der Erdoberfläche von den heutigen 15°C auf 4°C abzusenken — eine Temperatur, bei der die meisten Pflanzenarten nicht überleben könnten. Er schätzt, daß dies nur etwa zehn- bis zwanzigmal mehr Staub ist, als sich jetzt schon in der Atmosphäre befindet. 

Weltweite Untersuchungen sind unerläßlich, um endlich Daten über die zunehmende atmosphärische Verstaubung zu gewinnen. In der Zwischenzeit hat das <Weltatmosphären-Forschungsprogramm> es versäumt, systematische Messungen von Staubdichten und damit zusammen­hängende Größen in ihr Projekt aufzunehmen.

Die Menschheit verändert nicht nur die physikalischen Gleichgewichte ihrer Umwelt. Sie ist auch dabei, die Gleichgewichte zwischen den Lebewesen zu verschieben, und auch diese Veränderungen können Probleme schaffen, von denen einige katastrophale Folgen haben werden. 

Wir wollen uns nun diesen Fragen zuwenden, die letzten Endes wieder mit unserer eigenen Umwelt zusammenhängen.

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 Das Selbstmordprogramm (1970)  Zukunft oder Untergang der Menschheit - Gordon Rattray Taylor