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11 - Laßt die Erde ganz!

 

 

1 Internationale Umweltbeobachtung und globale Umweltplanung? —   2 Was kann der einzelne tun? — 3 Wir zahlen bereits die Zeche

4 Worauf niemand achtet    5 Versagen die Regierungen?    6 Worauf niemand achtet   

 

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Die Warnungen der Wissenschaftler scheinen gerechtfertigt. Die Welt steht vor einem Problem, das ihr bisher gänzlich unbekannt war. Gelingt es nicht, damit fertig zu werden, so wären die Folgen bestenfalls unangenehm, schlimmstenfalls jedoch katastrophal. Was tun?

Es wäre natürlich schön, wenn es auf diese Frage eine einfache Antwort gäbe, ein Patentrezept, das alle Probleme löst. Doch das Leben ist nicht so; die Hebel müssen an vielen Stellen angesetzt werden.

An der Spitze der Dringlichkeitsskala steht gewiß die Aufgabe, das Wachstum der Weltbevölkerung einzudämmen. Da derzeit auf der Erde eine zentrale Planung nicht möglich ist, bedeutet das zweifellos, daß jedes Land isoliert die Probleme angehen muß. Daß man das tun kann, zeigt der Fall Japan. 

Amerika, England und Westeuropa müssen dem Beispiel Japans folgen, obwohl ihre Geburtenziffern noch verhältnismäßig niedrig sind. Hoffen wir, daß die wahrhaft explodierenden Länder wie die des Mittleren Ostens oder Südamerikas die Gefahr erkennen werden. In den Vereinigten Staaten existiert bereits eine Organisation mit dem Namen <Zero Population Growth>, die sich aktiv für das Ziel der Konstanthaltung der Bevölkerung einsetzt und Unterstützung verdient.

Hält man für die USA eine Bevölkerungsdichte von 23 Personen pro Quadratkilometer für wünschenswert, so müßte man, um in Großbritannien auf diesen Stand zu kommen, die gegenwärtige Einwohnerzahl auf weniger als ein Zehntel reduzieren, das heißt auf 4,7 Millionen. Doch eine solch niedrige Zahl brächte große wirtschaftliche Probleme mit sich, und der Schrumpfungsprozeß selbst wäre schmerzlich und verlustreich.

Seine Bevölkerung zu halbieren oder, sagen wir einmal, eine Zahl von 30 Millionen in 50 Jahren anzustreben, wäre für England ein realistisches Ziel. Dann kämen auf einen Quadratkilometer 121 Menschen, wobei Schottland, Irland und Wales eingeschlossen wären; diese Zahl ist immer noch viel zu hoch, und der Reduzierungsprozeß müßte weiter gehen, es sei denn, die Gesamtsituation hätte sich irgendwie verändert. 

Westdeutschland sollte sich ein ähnliches Ziel setzen; es hat etwa die gleiche Flächenausdehnung — wobei vielleicht ein etwas geringerer Anteil unbewohnbar ist — und eine etwas größere Einwohnerzahl. Um eine ähnliche Bevölkerungsdichte wie die Englands oder Westdeutschlands zu erreichen, könnte Frankreich seine Einwohnerzahl noch um zirka 40 Prozent steigern; es wäre jedoch besser beraten, wenn es so rasch wie möglich für einen Wachstumsstillstand sorgen würde. Italien liegt mit 176 Personen pro Quadratkilometer zwischen England und Frankreich. Doch Süditalien ist trocken und unwirtlich; eine beträchtliche Reduktion auf, sagen wir, 30 Millionen wäre daher sinnvoll. 

Diese Zahlen sind natürlich nur grob über den Daumen gepeilt; jedes Land sollte seine Ressourcen überprüfen und seine Zielvorstellungen danach richten.

Die Schwierigkeit wird darin liegen zu verhindern, daß Interessengruppen der Wirtschaft und die Regierungen die sozialen, psychologischen und moralischen Aspekte dieser Frage herunterspielen, die kaum in Zahlen zu fassen sind; beide, Staat und Wirtschaft, bevorzugen, wie ich gezeigt habe, eine große, eher noch wachsende Bevölkerung. 

Eine Hoffnung sehe ich nur dann, wenn die Diskussion darüber öffentlich geführt wird. 

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Die Bildung einer Geheimkommission — nur zufällig drang etwas über ihre Tätigkeit an die Öffentlichkeit — durch die britische Regierung zur Bearbeitung dieser Fragen zeigt, wie man den demokratischen Meinungsprozeß zur Farce macht; aber dies ist kaum noch überraschend. Das Nest kann nur ausgeräuchert werden, wenn man eine öffentlich tagende Kommission einsetzt und die Mitglieder repräsentativ auswählt. Die Bürger anderer Staaten tun gut daran, in den Hinterhöfen ihrer Regierungen nach ahnlichen Erscheinungen zu suchen.

Wie ich bereits angedeutet habe, ist es ein Trugschluß zu meinen, daß die Zugänglichkeit von Kontrazeptiva oder die Legalisierung von Schwangerschafts­unterbrechungen von selbst schon zur Reduktion der Bevölkerung führen. Das einzige Mittel, das die Population zu verkleinern vermag, ist die Entscheidung für weniger Kinder und diese später und mit größerem Abstand zu bekommen; besonders die ersten beiden Maßnahmen sind wichtig.

In Japan hat man es so weit gebracht, daß es geradezu peinlich ist, eine große Familie zu haben. Solche Verhaltensweisen müssen anerzogen werden, durch die Schule wie auch durch die Massenmedien. Gleichzeitig sollten die Regierungen mehr mit Anreizen anstatt wie zur Zeit mit Erschwernissen arbeiten. Eine sich anbietende Möglichkeit wäre die Zahlung einer Prämie für jedes Jahr zwischen Hochzeit und dem ersten Kind. Andere Regelungen ähnlicher Art sind vorstellbar. 

Es ist zu überlegen, ob man nicht eine Zusatzsteuer fürs Kinderkriegen einführen sollte; heute gewähren viele Länder einen Steuernachlaß, meist in Form von Kindergeld. Dieses Kindergeld dient dem Zweck, den Kindern angemessene Ernährung und Versorgung zu sichern; doch erfüllt es diesen Zweck nicht notwendigerweise, da die Eltern nach Belieben über das Geld verfügen können. Daher muß dieses System durch direktere Methoden ersetzt werden. Dann könnte man auch die Kinder besteuern und diese Steuer nach dem zweiten Kind drastisch anheben. 

Inwieweit solche Maßnahmen die Menschen beeinflussen würden, ist natürlich ungewiß. Doch wenn man solche Mittel nicht entschlossen einsetzt oder wenn sie sich als unwirksam erweisen sollten, werden wir eines Tages gezwungen sein, Lizenzen für Kinder auszugeben. Da diese Maßnahmen jedoch so unpopulär wären, würden die Regierungen sie erst in allerletzter Not treffen. Ich glaube, daß sich die Regierungen selbst um die Kindersteuer herumdrücken werden, so daß sich unsere


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Situation verschlechtern wird. Die größten Schwierigkeiten werden natürlich in katholischen Ländern (und in Teilen des Mittelostens) auftreten. Doch am schlimmsten wird es in Ländern wie Kanada werden, wo es eine deutliche Spaltung zwischen Protestanten und Katholiken gibt und die letzteren ihren Einfluß durch bewußt starke Vermehrung zu vergrößern suchen. Ich habe wenig Hoffnung, daß nationalistische oder sektiererische Gruppen ihre Ambitionen dem Gesamtbedürfnis einer Geburtenregelung unterordnen werden; zweifellos wird es zu erbitterten Auseinandersetzungen kommen.

 

   1  Internationale Umweltbeobachtung und globale Umweltplanung?   

 

Da das Einpendeln der Population auf eine bestimmte Größe, selbst wenn man es versucht, nur langsam vonstatten gehen wird, müssen wir uns notwendiger­weise intensiv dem Problem der übermäßigen Verschmutzung widmen. Dies sollte auf mindestens sechs Hauptgebieten geschehen. 

Erstens muß die Frage als weltweites Problem erkannt werden — weltweit nicht nur in dem Sinn, daß sich jedes Land um seinen Schmutz kümmern sollte, sondern auch in dem Sinn, daß die Abfälle eines jeden Landes das Klima und die Gesundheit anderer Länder oder gar der gesamten Welt beeinträchtigen können oder beeinträchtigen. Dazu bedarf es sicherlich einer internationalen Organisation, obwohl ich nicht gerade vernarrt bin in internationale Organisationen, von denen einige, wie ich meine, mit Hilfe einiger Industrieberater auskämen. Die erste Aufgabe einer solchen Organisation wäre es, das Ausmaß der Umweltverschmutzung festzustellen. Zu einer solchen Aktion gehört es, die Daten aus den verschiedenen Ländern zu sichten und den Aufbau eines Systems zur Umweltbeobachtung voranzutreiben, wo dieses trotz dringender Notwendigkeit noch nicht existiert. 

Die zweite Aufgabe wäre der gegenseitige Erfahrungsaustausch über Methoden, mit denen man das Verschmutzungsproblem angeht. Und die dritte Aufgabe läge in dem Aufbau einer wirksamen internationalen Kontrolle.


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Dazu müßte man sich über geeignete Standards und Zielsetzungen einigen; auch sollte man bedürftigen Ländern finanzielle Hilfe und Fachberatung, soweit nötig, gewähren. Bei alledem verwende ich den Ausdruck >Verschmutzung< im weitesten Sinn: Wärme, Lärm, Staub, Pestizide, Radioaktivität etc. Darüber hinaus meine ich damit auch klimatische Auswirkungen und ökologische Ungleichgewichte. 

Der Ruf geht daher nach einer engen Zusammenarbeit mit meteorologischen Stationen, mit Landwirtschafts-, Forst-und Wasserämtern, mit Behörden, die sich bereits mit Fragen der Bodenerosion, der Waldrodung und ähnlichem beschäftigen. Wenn das Leben der Vögel und anderer Organismen bedroht ist, so ist dies oft ein frühes Warnsignal für eine Gefahr, die dem Menschen droht. Schließlich muß eine, wie ich es nennen möchte, weltweite technische Generalstabsplanung< aufgebaut werden. Als Arbeitstitel einer solchen Organisation könnte man den Namen <Internationale Umweltbeobachtung> einführen, während die weitergehenden Funktionen von einer — wie ich vorschlage — <Globalen Umweltplanungsorganisation> übernommen werden sollten.

Als nächstes ist es unbedingt erforderlich, die Forschungen auf diesem Gebiet sowohl qualitativ als auch quantitativ um viele Größenordnungen auszuweiten. Immer wieder enden Berichte über Gegenstände dieser Art mit der Schlußfolgerung: »In Wirklichkeit wissen wir aber noch sehr wenig darüber.« Besonders dringend sind Untersuchungen über a) ökologische Vorgänge, besonders über Bevölkerungsexplosionen; b) Methoden zur Vermeidung der Verschmutzung oder zur Reinigung; c) die Auswirkungen von Abfallprodukten und überhaupt von allen neuen Substanzen auf die Gesundheit; d) die psychologischen Folgen des Lebens in beengten Verhältnissen, die Art des Stresses sowie die Folgen des Lärms; e] die sozialen Auswirkungen des Eingepferchtseins, einschließlich Kriminalität und allgemeiner Sozialpathologie; f) das Klima und das Wetter; g) die wirtschaftlichen Aspekte, besonders die Quantifizierung sozialer, psychologischer und anderer Faktoren, die man gerne vergißt oder unterschätzt; h) die psychosozialen Aspekte, insbesondere die Gewohnheiten der verschiedenen sozialen Schichten. Dies sind alles große Forschungsgebiete mit vielen Auffächerungsmöglichkeiten.


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Uns sollte bewußt sein, daß es sich hier um Vorhaben vom Umfang des Wettlaufs zum Mond oder noch größer handelt. Jener verschlang 5 Prozent des Haushaltes der Vereinigten Staaten; ein riesiger Forschungsapparat und immense Versuchsanlagen wurden errichtet. Wir sollten uns auch an einen ebenso strikten Zeitplan halten: Sauberkeit und Sicherheit der Umwelt im Jahr 2000. Dies gilt für jedes andere Land.

Drittens: entschiedene Anstrengungen zur Erziehung der Menschen sind vonnöten. Kurz nach dem Krieg verabschiedete Polen strenge Umweltschutzgesetze; gleichzeitig erging ein Erlaß an alle Schulen, die Schüler über das Verhältnis zu ihrer Umgebung aufzuklären. Wenn auch verspätet, so sollten andere Nationen doch wenigstens diesem bewundernswerten einvierteljahrhundertalten Beispiel folgen. Damit sind nicht ein paar unverbindliche Schulstunden über Ökologie gemeint, sondern ein planmäßiger Versuch, dem Schüler eine Vorstellung über die Stellung des Menschen in der Gesamtheit der Dinge zu vermitteln. Um nur ein Beispiel zu nennen, der Schüler sollte auf jeden Fall die Gefahren einer Situation verstehen, wie ich sie im nächsten Kapitel unter dem Stichwort >die Allgemeinheitx schildern werde. Es sollte zu jeder Erziehung gehören, daß man sich mit der Frage des Zusammenlebens der Menschen untereinander auseinandersetzt, weiter mit der Frage, wie die Menschen mit dem übrigen Teil der Natur zusammenleben. Zur Zeit hat die Erziehung ihre wahre Aufgabe, nämlich den Menschen eine Hilfe für die Bewältigung ihres Daseins zu bieten, weniger im Auge als vor 500 Jahren.

Viertens: Wir müssen das Problem der heutigen Umweltverschmutzung angehen. Die große Gefahr besteht darin, daß die Maßnahmen nur partiell und ineffektiv durchgeführt werden, um die öffentliche Kritik zum Schweigen zu bringen, während in Wirklichkeit die eigentliche Problematik überhaupt nicht angegriffen wird. Man braucht die Verhältnisse in England oder den USA nicht genau zu kennen, um sagen zu können, daß viel zu viele Körperschaften sich mit den verschiedenen Seiten des Problems beschäftigen. Um die Umweltverschmutzung in Schach zu halten, bedarf es einer strafferen Organisation. Auf die meisten anderen Länder wird das gleichfalls zutreffen.


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Darüber hinaus erschwert die relative Machtlosigkeit der Bundesregierung die Situation in den USA; die verschiedenen Bundesstaaten sind sehr empfindlich, wenn es darum geht, daß ihre Rechte beschnitten werden sollen. Aber welche Schwierigkeiten einer besseren Lösung auch immer entgegenstehen, es gibt keine Rechtfertigung für die obsolete Praxis, die Flüsse der Aufsicht der Berufsgenossenschaft der Ingenieure zu unterstellen, einer Körperschaft, die zwar schöne Dämme bauen mag, doch ihrer Zusammensetzung nach unmöglich die gesamte Umwelt im Auge behalten kann. Auch sollte man die Flüsse nicht dem Wasserversorgungsamt zuordnen, wie es in England der Fall ist, obwohl der Gedanke gut ist, die Verantwortung für die Wasservorratsgebiete in einer Hand zu vereinigen. Eine vernünftige Lösung wäre die Einrichtung von Landschaftsämtern, denen man die Wasserversorgungsämter unterstellt; Fachleute für Dammbau könnten, sofern nötig, hinzugezogen werden. Auch Atomenergiebehörden sollten sich nicht selbst überwachen; sie müssen einer unabhängigen Dienstaufsicht unterliegen.

Ich weiß, man kann ganze Bücher über Strukturen und Organisationen schreiben, doch das ist nicht meine Sache. Ich möchte nur darauf hinweisen, daß man die Umweltverschmutzung nicht dadurch erfolgreich unter Kontrolle halten kann, indem man, wie man so häufig glaubt, einfach neue Gesetze erläßt. Der erste unabdingbare Schritt besteht darin, eine effektive Organisation zu schaffen und sie mit einem klar definierten Mandat und den nötigen Mitteln zu versehen.

Fünftens schließlich, obwohl die Aufzählung noch weiter fortgesetzt werden könnte, weise ich auf die Notwendigkeit hin, sich viel gründlicher über annehmbare Normen zur Reinhaltung von Wasser, Luft und Boden, auch bezüglich der Radioaktivität, Gedanken zu machen. Wie ich im einzelnen schon gezeigt habe, genügt es nicht, nur auf unmittelbare, bereits erkennbare Krankheitssymptome zu achten. Die Wirkung auf die Lebensdauer muß studiert werden, ebenso das Auftreten von Krankheiten, deren Zusammenhang mit irgendwelchen Umweltverunreinigungen noch nicht bekannt ist; Latenzzeiten bis zu 25 Jahren müssen in Betracht gezogen werden


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Hierzu bedarf es einer Umerziehung derer, die auf lokaler Ebene für das Gesundheitswesen verantwortlich sind; man muß die Berichterstattung hierüber neu und gründlicher organisieren; Umweltbeobachtungsämter und Gesundheitsbehörden müssen enger zusammenarbeiten.

All dies muß international in weltweitem Maßstab geschehen. Als die <New York Times> im Juli 1968 einen Aufsatz von Andrej Sacharow, dem Vater der russischen H-Bombe, unter dem Titel <Fortschritt, Koexistenz und geistige Freiheit> veröffentlichte, konnte man erstmals den Ansatz einer künftigen Zusammen­arbeit erahnen. Sacharow legte ohne alle konventionellen Denkschemata dar, daß die menschliche Zivilisation durch die Bedrohung eines Atomkrieges, des Hungers, einer degenerierenden Massenkultur und des bürokratischen Dogmatismus gefährdet sei. (Ich verstehe gut, was er damit meint.) Unter solchen Umständen, so meint er, wird »nur universale Zusammenarbeit die Zivilisation bewahren«

Er wies besonders auf das Problem des Hungers und der Übervölkerung hin und schlug vor, die entwickelten Nationen während der nächsten 15 Jahre mit einer Einkommensteuer von 20 Prozent des Volks­einkommens zu belegen, um ein gewisses Gleichgewicht herzustellen. Das Stillschweigen, mit dem diese Empfehlung begrüßt wurde, konnte man rund um die Welt hören. 

 

    2  Was kann der einzelne tun?    

 

Die größte Hoffnung erweckt die wachsende Zahl von Beispielen individuellen Engagements. So hat Karl Stehle, ein Schweizer Apotheker, durch persönlichen Einsatz eine gemeinsame Aktion zur Säuberung des Bodensees in den drei Anliegerstaaten Schweiz, Österreich und Deutschland angekurbelt. Tausende von Tonnen Unrat wurden von den Seeufern und den anliegenden Gebieten entfernt; ein Spezialbagger wurde gebaut, um die seichteren Stellen zu reinigen. Als die französische Armee ein Kontingent Soldaten zur Mithilfe entsandte, wurde daraus ein Vier-Völker-Unternehmen.


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Der stellvertretende Polizeichef von Dortmund startete eine Anti-Lärm-Kampagne mit dem Erfolg, daß Dortmund heute für seine Größe eine der leisesten Großstädte der Erde ist. In Schweden werden unter der Leitung des Limnologischen Institutes der Universität Lund elf Seen neu belebt. Auf der britischen Insel ist eine bemerkenswerte Rettungsaktion in Süd-Wales im Gange; dort werden von der Industrie zerstörte Landschaften wieder grün gemacht. Nach dem Unglück von Aberfan im Jahre 1966 wurde in Cardiff ein Amt für Ödland eingerichtet, das bis heute 61 Sanierungsprogramme für 3,1 Millionen Pfund genehmigt hat. Der Leiter dieses Amtes, John Price, der selbst in der Nähe von Aberfan geboren ist, schätzt, daß 5200 Hektar saniert werden müßten; dies würde weitere 20 Jahre in Anspruch nehmen. »Aber gut über 560 Hektar haben wir schon geschafft — da wir erst 1966 damit anfingen, kein schlechter Start«, sagt Price enthusiastisch.

Für etwa 10.000 Pfund kann man 4 Hektar Abraumhalden von Kohlebergwerken abtragen und in Wiesen mit Baumgruppen umwandeln. An der Universität von Leeds, wo kürzlich ein Symposion über Brachland stattfand, hat man eine Schnellmethode entwickelt, Brachland vom Flugzeug aus zu sichten.

Ein weiteres Zeichen für individuelles Bemühen ist das wachsende Interesse der Studenten an ökologischen Fragen. Vor kurzem trafen sich an der Universität Stanford 200 Studenten von 40 Hochschulen und gründeten eine Studentenvereinigung für Umweltfragen; diese Vereinigung soll die Arbeit der bereits bestehenden studentischen Körperschaften wie >Student für eine bessere Umwelt< koordinieren und als Zentralstelle für den Austausch von Informationen dienen. Hoffentlich werden auch Studenten in anderen Ländern diesem Beispiel folgen. Solche Aktivitäten müssen nicht auf Petitionen und Proteste beschränkt bleiben. Von der Universität von Indiana, wo der Zustand des Jordan Gegenstand einer Kontroverse war, untersuchten daraufhin 210 Mikrobiologie-Studenten in wochenlanger Arbeit den Fluß auf Abfallprodukte; sie konnten nachweisen, daß das Wasser tatsächlich mit Kot menschlichen und tierischen Ursprungs verunreinigt war, obwohl man das Gegenteil versichert hatte. 


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Die Unterzeichnung des Gesetzes zum Schutze der Umwelt durch Präsident Nixon ist ein ermutigendes Zeichen; ebenso sein Bericht zur Lage der Nation, in welchem er das »umfassendste und teuerste Programm« fordert, das jemals in Amerika zum Kampf gegen die Umweltverschmutzung erstellt worden ist. Allerdings weckt die Bestellung eines ölindustriellen zum Sonderbeauftragten für Umweltfragen einige Zweifel — insbesondere, wenn man an die ökologischen Gefahren denkt, die mit der ölförderung an der Nordküste verbunden sind. Doch soll der Kongreß allein für den Kampf gegen die Verschmutzung der Gewässer 10 Milliarden Dollar genehmigen, das ist immerhin doppelt soviel, wie für die Weltraumforschung auf ihrem Höhepunkt ausgegeben wurde. Dagegen sehen die Anstrengungen Englands und der anderen europäischen Länder etwas dürftig aus, selbst wenn der Kongreß von den 10 Milliarden noch einiges wegstreichen sollte.

In Japan, wo die Umweltverschmutzung ein noch größeres Problem darstellt als in den USA, haben sich verschiedene Organisationen zum Schutz gegen »öffentliche Gefahren« gebildet. Sie schlössen sich nun zu einer nationalen Körperschaft zusammen, um stärkeren Druck auf die Regierung ausüben und wirkungsvoller legale Aktionen durchführen zu können. In jeder Präfektur wird ein Rat für die Bekämpfung öffentlicher Gefahren eingesetzt; in einigen Orten existieren bereits entsprechende Behörden. 1969 erließ der Magistrat von Tokio eine Verordnung zum Schutze der Allgemeinheit. Damit wurde zum ersten Mal das Problem umfassend angegangen, denn bislang hatte es nur jeweils getrennte Erlasse für Lärm, Rauch und Gefahren am Arbeitsplatz gegeben. In der Präambel wird das Recht des einzelnen auf ein Mindestmaß an gesunden und zivilisierten Lebensbedingungen betont, ein ganz neuer Ausgangspunkt für derartige Verordnungen. Jeder Bürger ist verpflichtet, »destruktive Aktivitäten« zu verhüten, die die Allgemeinheit in Gefahr bringen könnten. So muß bei jedem Fabrikneubau nachgewiesen werden, daß alle Einrichtungen vorhanden sind, um die Abgabe von Gestank, Rauch, giftigen Gasen und verschmutztem Wasser nach außen sowie die Belästigung der Umgebung durch Lärm und Vibrationen zu verhindern. Die Genehmigungsvorschriften sind streng einzuhalten, auch soll eine Kommission zur laufenden Überprüfung eingesetzt werden.


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Derlei Maßnahmen gehen weiter als alles, was man bisher in den USA oder Großbritannien geplant hat. Allerdings hat Dr. Nicholas Golovin von Harvard ein sogenanntes Golovin-Gesetz vorgeschlagen, das die Beweislast (im Falle von Arzneien, Pestiziden und ähnlichen Produkten) dem Unternehmer anstatt dem Staat oder einer Behörde auferlegt.

Für Tokio liegt das Problem darin, daß die Stadt nicht in der Lage ist, seine Bürger vor dem Unrat von Kawasaki, das auf der anderen Seite des Flusses liegt, zu schützen. Jedenfalls wird das Ministerium für Welthandel entsprechende Maßnahmen verhindern, da diese dem Export schaden würden. Außer im Falle von Schwefeldioxyd hat sich die japanische Regierung diesbezüglich als handlungsunfähig erwiesen. Doch konnte sie immerhin durchsetzen, daß der Kohlenmonoxidgehalt der Auspuffgase von Kraftfahrzeugen nur noch maximal 2,5 Prozent anstatt 3 Prozent wie zuvor betragen darf. 

 

    3   Wir zahlen bereits die Zeche    

 

Früher oder später wird irgend jemand die Frage stellen: Wer soll denn eigentlich die Kosten für die Reinhaltung der Umwelt bezahlen? Unternehmer versichern allgemein, sie würden konkurrenzunfähig, wenn sie zusätzliche Kosten zur Verhinderung der Umweltverschmutzung aufzubringen hätten, und sie würden dann aus dem Geschäft aussteigen. Sie fordern daher, daß die Regierung die Ausgaben dafür in Form von Subventionen tragen müsse.

Ein Teil dieser Proteste beruht einfach auf mangelndem Vertrauen in die Möglichkeiten der Technik. So wird zum Beispiel behauptet, daß es zusätzliche Kosten bereiten würde, den Schwefel aus Kohle und öl zu extrahieren und damit die Abgase von Heizkraftwerken frei von Schwefeldioxyd zu halten. Bei einem Schwefelgehalt von 3,6 Prozent im Heizöl kostet die Entfernung des Schwefels aus den Abgasen 4600 Dollar pro Megawatt; nach dem japanischen Kijoura-Verfahren jedoch kann man diesen Betrag bis auf 600 Dollar wieder voll hereinholen; der Schwefel wird in Form von Ammoniumsulfat als Düngemittel zu 32,20 Dollar je Tonne verkauft. 


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Bei einer geringen Preiserhöhung für Schwefel würde sich sogar ein Gewinn ergeben. Auch das amerikanische Penelec-Monsanto-Verfahren, das nach einem ähnlichen Prinzip arbeitet, liefert beachtliche Mengen Schwefel. Und jüngst kündigte das wissenschaftliche Labor der Lockheed-Werke in Palo Alto die Entwicklung eines elektrochemischen Verfahrens zur Herstellung von Schwefelsäure aus schwefel-dioxydhaltigem Abwasser an; die Kosten des Verfahrens werden durch den Preis der Schwefelsäure vollkommen gedeckt.

In Wahrheit weiß die Industrie bislang gar nicht richtig, was man mit den wertvollen Chemikalien alles anfangen kann, die einfach zum Abfall gekehrt werden. Trotzdem kann man bei der Abwasserreinigung nur in einigen Fällen Profit erwarten. Eine tatsächliche Beantwortung der Kostenfrage erfordert gründlichere Überlegungen: Wir müssen uns die Kostenrechnung einmal genauer ansehen.

Man hat geschätzt, daß jede Familie in den USA neben ihrer Stromrechnung jährlich unbewußt 80 Dollar bezahlt, um damit die Auswirkungen der Luftver­schmutzung zu beheben, die wiederum eine Folge der Stromerzeugung ist; dazu gehören die Kosten für die Reinigung von Kleidern und Vorhängen, die Heilkosten für die immer häufiger auftretende Bronchitis und so fort. Es ist ganz offensichtlich, daß die Reinigung der Abluft, bevor sie die Kamine verläßt, weniger als 80 Dollar pro Familie kosten würde; die Umstellung würde sich schon rein finanziell lohnen — ganz abgesehen von den Mühen, Leiden und zusätzlicher Arbeit am Waschzuber, die man damit einsparen könnte. Die Zahl von 80 Dollar hält einer strengen wissenschaftlichen Prüfung natürlich nicht stand — wahrscheinlich liegt sie zu niedrig —, doch macht sie klar, daß wir die Zeche für die Umweltverschmutzung bereits bezahlen. Die Frage ist nur, ob wir lieber die Kosten zur Verhütung dieser Verschmutzung oder für das Aufputzen der Schweinerei ausgeben wollen. Nach einer anderen Rechnung belaufen sich die Kosten der Luftverunreinigung in den USA auf 200 Dollar pro Person im Jahr. In Großbritannien sind es 64 Pfund.

Man kann wissenschaftlich belegen, daß es immer wirtschaftlicher ist, eine Schweinerei zu verhüten, als sie hinterher wieder zu beseitigen; letzteres ist außerdem manchmal gar nicht mehr möglich.


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Man kann verhindern, daß ein Ei zerbricht, indem man es gut verpackt; wenn es einmal kaputt ist, kann man es nicht wieder zusammensetzen. Und man kann jemanden, der an Bronchitis gestorben ist, nicht dadurch wieder zum Leben erwecken, daß man die Arztrechnungen für ihn bezahlt. Jeder Physiker kennt den Entropiesatz, der besagt, daß es teurer kommt, eine Organisation wieder aufzubauen, als sie zu zerstören, genau so wie es leichter ist, ein Kleidungsstück zu verschmutzen, als es zu reinigen. Doch die Menschen sind alles andere als vernünftig; sie geben mehr auf die Erhöhung der Stromkosten acht, die sie wahrnehmen, als auf ein Absinken der Bronchitiserkrankungen. Eine Bronchitis, die man nicht bekommt, nimmt man ebensowenig wahr wie die Seife, die man nicht benötigt.

Das Vernünftigste wäre, daß jedes Unternehmen alle Kosten für die bei ihm hergestellten Produkte zunächst selbst trägt und sie dann über den Verkaufspreis wieder hereinholt. Bis jetzt haben zahlreiche Unternehmen von einer >freien< Müllabfuhr profitiert, die jedoch dafür die Allgemeinheit belastet. Sie haben kein Recht auf diesen ungleichen Wettbewerbsvorteil. Wirtschaftsfachleute haben diese falsche Vorstellung noch dadurch verstärkt, daß sie solche Kosten als vermeidbar und von außen auferlegt bezeichneten. Doch man kann den Preis nicht wegmogeln; irgend jemand muß ihn bezahlen. Wird das Prinzip eingeführt, daß sämtliche anfallenden Kosten zu bezahlen sind, dann wird der Preis für manche Dinge (wie zum Beispiel für Strom) geringfügig steigen; dafür aber werden die Kosten in anderen Fällen (wie zum Beispiel für ärztliche Behandlung) um einen wesentlich größeren Betrag fallen.

Für die Regierung besteht kein Grund, betroffene Unternehmer zu unterstützen und auf diese Weise den ungleichen Vorteil zu verewigen, von dem diese bisher schon genug profitiert haben. Eine Schwierigkeit ist hier jedoch zu bedenken; sie betrifft die Industriezweige, die ihre Waren in Länder exportieren, die noch keine ähnliche Regelung bezüglich der >sachfremden< Kosten haben, so daß die exportierenden Industrien benachteiligt würden. Das gleiche passiert, wenn innerhalb eines Landes der eine Bundesstaat sich an die Grundsätze hält, der andere aber nicht. Hier könnte man so lange Subventionen zahlen, bis sich eine vernünftige Regelung überall durchgesetzt hat.


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Ich selbst vermute, daß in den Vereinigten Staaten, wo die Öffentlichkeit zu der Ansicht neigt, daß zu allerletzt die Industrie behindert werden dürfe, und wo die Industrie einen starken Druck auf die Regierung ausübt, die Entwicklung dahin gehen wird, daß die Bundesregierung zum mindesten einen Teil der Kosten für die Reinhaltung der Umwelt aufzubringen hat, entweder durch Kapitalhilfe für die nötigen Investitionen oder durch direkte Subventionen. In Japan könnte es ebenso laufen. In Europa jedoch wird man wohl die Kosten der Industrie aufbürden. Auch ist zu hören, daß große und verantwortungsvolle Firmen bereit wären, Maßnahmen zur Eindämmung der Umweltverschmutzung zu ergreifen, wenn sie nur die Gewähr hätten, daß ihre Konkurrenten, zu Hause oder im Ausland, ähnliches tun würden. Wenn dem so ist, bedarf es nur einer konzertierten Aktion der Regierung.

Trotz alledem, der Grundsatz, daß die Menschen die Verantwortung für ihre Taten akzeptieren sollten, ist richtig; daher stimme ich mit Dr. Ray Dasmann von der Stiftung Naturschutz in Washington überein, der sagte: »Ich glaube nicht, daß langfristig das Problem der Umweltverschmutzung gelöst werden kann, bevor die Verschmutzer mit den Folgen ihrer Taten konfrontiert werden.« Man könnte beispielsweise auch vorschlagen, Leute und Konzerne zusätzlich zu besteuern, die ihr Land verkommen lassen.

Fred Singer wies auf der letzten Tagung der AAAS 1969 auf die wichtige Tatsache hin, daß die Kosten, die die Umweltverschmutzung mit sich bringt, exponentiell ansteigen; das heißt bei doppeltem Verschmutzungsgrad vervierfachen sich die Kosten. Es gibt daher für jedes Land einen kritischen Punkt, jenseits dessen die Ausgaben auf diesem Gebiet untragbar werden. Ein immer größerer Anteil der nationalen Aufwendungen wird dazu dienen müssen, den Unrat wegzuschaffen. Es sieht so aus, als wären die USA, Großbritannien, Japan und vielleicht Westdeutschland bereits an diesem kritischen Punkt angelangt oder nicht mehr weit davon entfernt. Schätzungen gehen dahin, daß die USA von heute bis zur Jahrhundertwende 275 Milliarden Dollar für Bemühungen ausgeben werden, die Umweltverschmutzung in Grenzen zu halten. Die anderen oben genannten Länder tun gut daran, ähnliche Pläne vorzulegen.


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Zu den Kosten für die Eindämmung der Umweltverschmutzung können wir sehr wohl noch die Kosten infolge überfüllter Straßen, die Ausgaben für das Gesundheitswesen, die sich aus dem schlechten körperlichen und geistigen Gesundheitszustand in den Großstädten ergeben, sowie die wachsenden Kosten für Gefängnisse, Polizei und andere Maßnahmen als Resultat gesteigerter Kriminalität zählen. Der Großteil dieser Ausgaben wird selbstverständlich durch Steuererhöhungen getragen werden. Doch eines Tages werden hohe Steuersätze die Unternehmer entmutigen und die Ansammlung von Kapital verhindern; dies wird die Wirtschaft hemmen und den Lebensstandard senken. Auf diese Weise führt die Umweltverschmutzung zu wirtschaftlichen Schranken und Stillstand. Der einzige Ausweg besteht in einer Eindämmung der Umweltverunreinigung.

 

    4  Erste Fortschritte  

 

Seit dem Beginn der Niederschrift dieses Buches stieg das öffentliche Interesse an Fragen der Umweltverschmutzung besonders in den USA und in Großbritannien sprunghaft an. Allmählich scheint man zu erkennen, daß das Problem über die Umweltverschmutzung hinausgreift und Zweifel an unserem gesamten Lebensstil aufkommen läßt. Auch in Japan, dem Land mit der schlimmsten Umweltverschmutzung der Welt, gibt es Zeichen einer verstärkten Aktivität in dieser Richtung. Doch abgesehen von Schweden, das auf diesem Gebiet seit langem vorne liegt, und Polen räkelt sich das übrige Europa nur in seinem Schlaf.

Die USA waren auf diesem Gebiet spät dran. Zahlreiche Gesetzesvorlagen wurden in den dreißiger Jahren niedergestimmt, und das Gesetz zur Reinhaltung der Gewässer von 1948 war der erste Schritt einer Gesetzgebung zum Schutze der Umwelt. Während der vergangenen fünf Jahre gab es eine Flut neuer Gesetze: 


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Das Wasserschutzgesetz von 1965, in dessen Folge eine Bundeswasserschutzbehörde eingerichtet wurde; das Gesetz zur Wiederherstellung reiner Gewässer von 1967, das größere Geldmittel freisetzte; das Gesetz über die Müllbeseitigung von 1965, das zustande kam, nachdem der Kongreß einen erschreckenden Zustand< festgestellt und angeprangert hatte; und dann noch das Gesetz über die Reinhaltsnormen der Luft von 1967, welches das Gesetz zur Reinhaltung der Luft von 1963 ergänzte. Dies sind nur die wichtigsten Gesetze auf diesem Gebiet. Nach dem Gesetz über die Reinheitsnormen der Luft kann eine Firma zu einer Geldstrafe von 1000 Dollar verurteilt werden, wenn es ihr nicht gelingt, innerhalb von 60 Tagen, nachdem ihr eine entsprechende Mitteilung zugegangen ist, die gesetzlich vorgeschriebenen Standards zu erfüllen. Die Bishop Processing Co. in Selbyville, Delaware, hatte die zweifelhafte Ehre, 1967 als erste Firma von dem Ministerium für Gesundheit, Erziehung und Wohlfahrt eine solche Ordnungsstrafe zu bekommen.

In New York ging der Schwefeldioxydgehalt der Luft innerhalb von zwei Jahren um 25 Prozent zurück, nachdem sich die Consolidated Edison widerstrebend auf schwefelarme Brennstoffe umgestellt hatte.

Unglücklicherweise steht das Geld für diese bewundernswerten Projekte nicht zur Verfügung. Dabei hatte der Kongreß weit größere Summen genehmigt, als schließlich den einzelnen Stellen zugewiesen wurden. Und selbst diese Gelder sind, gemessen an dem Bedarf, noch zu wenig. Was öffentlicher Druck jedoch auszurichten vermag, zeigt die Geschichte eines Antrags der Regierung auf 214 Millionen Dollar zum Bau von Müllbeseitigungsanlagen; dabei hatte der Kongreß für 1969 700 Millionen Dollar und für 1970 1000 Millionen Dollar genehmigt. Auf Drängen des Kongresses und des Bürgerkreuzzuges für sauberes Wasser wurde der Antrag zunächst auf 450 Millionen Dollar erhöht; der Zuweisungsausschuß hob die Summe dann auf 600 Millionen Dollar. Als die Angelegenheit vor das Plenum kam, wurde ein Antrag, den Betrag auf eine volle Milliarde zu erhöhen, mit einer Mehrheit von nur zwei Stimmen abgelehnt. Schließlich, nachdem auch der Senat 1 Milliarde Dollar vorgeschlagen hatte, wurden 800 Millionen Dollar freigegeben.

Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig es ist, daß besorgte Bürger Regierung und Industrie unter Druck setzen, wenn irgend etwas erreicht werden soll.


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In den USA hat man es immerhin so weit gebracht, daß die Politiker dadurch Wählerstimmen fangen zu können glauben, wenn sie auf der Anti-Umweltver­schmutzungswelle reiten. Es wird darauf ankommen, daß sie sich an ihre Versprechungen halten. Jedermann sollte daher Organisationen unterstützen, die sich für den Umweltschutz einsetzen, und die Organisationen sollten gemeinsam vorgehen und Rivalitäten vermeiden.

Andere Länder könnten sich das amerikanische Gesetz über die Reinheitsnormen der Luft zum Vorbild nehmen, öffentliche Hearings müßten abgehalten werden, bevor Standards für die Luftreinheit akzeptiert werden. Als zum Beispiel die Luftverschmutzungskommission des Staates Pennsylvania als Standard einen jahresdurchschnittlichen Staubteilchengehalt von ioo Mikrogramm pro Kubikmeter vorschlug, führte der öffentliche Druck dazu, die Zahl auf 65 zu senken. Ähnlich war es in Chicago; dort wurde für den Schwefeldioxydgehalt eine kritische Größe von 0,05 ppm und für den Gehalt an Staubpartikeln 80 Mikrogramm vorgeschlagen; die Werte mußten jedoch auf 0,02 ppm beziehungsweise 60 Mikrogramm herabgesetzt werden.

Großbritannien neigt, was Fragen der Umweltverschmutzung anlangt, zur Selbstzufriedenheit, und zwar vorwiegend aus zwei Gründen: Die Luft über London ist heute weitaus sauberer und klarer als noch vor 10 Jahren; der einst so vertraute Nebel ist vollkommen verschwunden. Der zweite Grund ist das Wieder­auftreten von Fischen in der unteren Themse; nachdem früher Heringe höchstens bis zum Pool von London akzeptable Lebensbedingungen fanden, kommen sie heute manchmal bis in die Höhe von Richmond, wo das Stauwehr sie nicht mehr weiterläßt.

So erfreulich diese Fortschritte auch sein mögen, so ist Selbstzufriedenheit doch wenig angebracht. In dem Gesetz zur Reinhaltung der Luft von 1956 werden die lokalen Behörden aufgefordert, rauchfreie Zonen zu bestimmen, in denen nur Brennstoff verbrannt werden darf, der keinen Rauch macht; doch beschränkt sich das Gesetz allein auf dunklen Rauch und besagt überhaupt nichts über Abgase, außer daß die Schornsteine entsprechend hoch sein müssen. Es ist eine traurige Tatsache, daß zwar die Verschmutzung durch Rauch nach 1956 beachtlich unter den damaligen Wert von 2,5 Tonnen abgesunken, der Gehalt an Schwefeldioxyd jedoch seitdem weit über die 5,5 Tonnen von 1956 angestiegen ist.


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Darüber hinaus fand das Beispiel Londons nicht überall Nachahmung. Es gibt immer noch zahlreiche lokale Behörden, die nichts gegen die Verrußung zu tun gedenken, während andere wiederum die Vollmachten nur teilweise ausnützen, die ihnen das Gesetz an die Hand gibt. 1969 sank die Anzahl der Bezirke, die eine planmäßige Rauchkontrolle durchführten, von 355 auf 308. Es verwundert auch, warum Nordirland das gleiche Gesetz erst acht Jahre später erhielt, als man es für die Hauptinsel für notwendig erachtet hatte.

Mit Ausnahme des Rauchverbotes muß nach dem Gesetz die Schädlichkeit erst bewiesen und gar gezeigt werden, daß das betroffene Gebiet bewohnt ist. Fauna und Flora können schweren Schaden erleiden (und tun dies auch oft); und daß es zu einer Gesamtverschlechterung der Atmosphäre kommen kann, wird völlig ignoriert. Immer noch wird vorausgesetzt, daß die Atmosphäre Giftstoffe in unbegrenztem Maße verdünnen und verteilen kann. Die Vorschriften verlangen, daß die Kamine hoch genug gebaut und die Abgase in solcher Höhe abgegeben werden, daß die Menschen nicht belästigt werden. (Dies funktioniert aber nicht immer: Abwinde drücken die Abgase manchmal auf den Boden herab, und selbst bei Windstille kann die Verpestung einen Grad annehmen, der nicht ohne Wirkung auf die Gesundheit bleibt.) Doch selbst wenn die örtliche Bevölkerung durch derlei Maßnahmen verschont bliebe, wäre die Lösung völlig unzufriedenstellend. Sämtliche Gase, die zu giftig sind, um unterhalb einer Höhe von 200 oder 300 Meter über dem Boden abgeblasen zu werden, sind auch zu giftig, um überhaupt in die Atmosphäre gelassen zu werden.

Peter Gregory untersuchte eine ehemalige >Gartenstadt<, Haverton Hill, die in der Nähe des großen Werkes der Imperial Chemical Industries (ICI) von Billingham liegt; dieses Werk ist eine der größten Industrieanlagen im Lande. Jeden Monat fallen 100 Tonnen Staub und Asche auf Haverton Hill herab, und der Regen enthält Schwefelsäure. Der Boden ist ausgelaugt; die ganze Stadt liegt unter einer Staubschicht, es gibt keinen Baum. 


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Die Instandhaltung eines Hauses kostet hier zwischen 20 und 33 Prozent mehr als woanders. Gregory sagt in seinem Bericht: »Pflanzliches Leben verkümmert oder wird ganz zerstört, Metalle korrodieren, Gebäude verwittern rasch, und gewöhnlich stinkt es.« In dem Bezirk ist eine dauernde >Aufbruchstimmung< — die Bewohner ziehen weg, sobald es ihre wirtschaftliche Lage gestattet.

Auch Amerika besitzt seine verfluchten Landstriche, besonders dort, wo die Kupferhütten stehen, die mit ihren Fluoriden in kilometerweitem Umkreis die Vegetation vergiften und die Haustiere gefährden; die Kühe bekommen weiche Knochen. Ich erwähne Haverton nur, um klarzumachen, wie wenig Veranlassung zur Selbstzufriedenheit besteht. Doch nicht nur Fabriken, sondern Ziegelöfen, Kalkbrennereien, Verschrottungsanlagen und andere Betriebe, die unter freiem Himmel arbeiten, tragen ihr Teil zur Verschmutzung bei; Sprühanlagen, Schutzschilde und Filter könnten hier Abhilfe schaffen. Robert Arvill kritisiert vorsichtig: »Es ist manchmal nicht einfach, einen Unternehmer zum Einsatz solcher Einrichtungen zu bringen.« Es ist >nicht einfach«, solange die gesetzliche Handhabe für solche Sanktionen fehlt.

Bezüglich der Verschmutzung der Flüsse sieht die Lage kaum anders aus. Die Themse mag sauber sein, der Trent ist es ganz gewiß nicht. Zu einem großen Teil ist er kaum mehr als ein industrieller Abwasserkanal. Nur im Schneckentempo sind die lokalen Behörden dabei, Vorschriften zu erstellen, und manchmal sitzt der Umweltverschmutzer mit im Gemeinde- oder Kreisrat, wo die Regelungen durchgesetzt werden sollen.

1966 kam heraus, daß die Abflüsse von drei Fünftel aller öffentlichen Kläranlagen in Großbritannien unter der geforderten Norm liegen. Die Lage ist 1970 unverändert. Die Strafen sind so niedrig, daß die Verschmutzer diese lieber bezahlen und weiter ihre Schweinereien machen. Ein Redner im Oberhaus hat es offen ausgesprochen, daß die Regierung ja die Richtung gewiesen habe: nicht nur daß die Strafen geradezu lächerlich sind, die Flußbehörden haben auch keine Befugnis zur Inspektion. Warum dies so ist, erklärte der Vorsitzende der Gesellschaft zur Erhaltung der Themse: Es gibt im Abwasser keine Wählerstimmen. Wir können das ändern!


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    5  Versagen die Regierungen?   

 

Es gibt viele Gründe, warum sich die Regierungen nur so zögernd an das Verschmutzungsproblem heranmachen. An erster Stelle steht ihre kurze Lebensdauer. Sie kümmern sich weit mehr um die Verluste von heute als um die der Zukunft. Bei der unmittelbaren Gefahr eines Stromausfalls unternimmt die US-Regierung alles, um dies zu verhindern, ungeachtet eines gesteigerten Gesundheitsrisikos und eines Opfers an Gemütlichkeit. 

Ähnlich wird die britische Regierung eher Dartmoor oder den Lake-Distrikt opfern als zulassen, daß in den Wohnungen die Wasserhähne trocken laufen. Zweitens, die Regierungen sind auf einen ausgeglichenen Haushalt bedacht; sie halten dies unter den Bedingungen wirtschaftlicher Expansion oder gar der Inflation für einfacher. Drittens liegt ihnen viel an einem außenwirtschaftlichen Gleichgewicht, und wenn sie gezwungen sind, die Wahl zwischen einem gesunden und humanen Leben und industriellen Aufschwung zu treffen, so werden sie sich immer für die letztere entscheiden. Viertens gibt es heutzutage in den Städten mehr Wählerstimmen als auf dem Lande — diese Wählerstimmen sind besonders für sozialistische Regierungen von Wichtigkeit —, so daß das Interesse der Regierungen an Problemen und Gewohnheiten des Landes immer mehr abnimmt.

Wenn es um rein materielle Bedürfnisse geht, sind die Regierungen schnell dabei, all ihre sonstigen Überlegungen und selbst ihre Ehre über Bord zu werfen. Ein schlagendes Beispiel dafür ist die unverzeihliche Aktion des amerikanischen Pionierkorps der Armee, den Seneca-Indianern ihr Reservat wegzunehmen, indem man 4000 Hektar ihres bewohnbaren Landes unter Wasser setzte. Dabei brachen die Pioniere ohne Bedenken den ältesten, noch gültigen Vertrag der Bundesregierung, der 1794, zu einer Zeit, da Amerika ihre Freundschaft benötigte, mit den Senecas und fünf anderen Indianerstämmen abgeschlossen und seither immer wieder durch feierliche Erklärungen des Präsidenten bekräftigt worden war. Was die Senecas noch mehr kränkte als die Überflutung ihres Landes, war die Entfernung eines Denkmals ihres früheren Häuptlings, des <Kornbauern>, samt dessen Gebeinen und denen vieler seiner Stammesgenossen vom Totenfeld der Senecas — <unserem Arlington>*, wie eine Seneca-Frau unter Tränen protestierte.

* Nationalfriedhof der Vereinigten Staaten bei Washington.


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Man könnte annehmen, daß Regierungen der Linken, die doch behaupten, daß sie sich der Anliegen der kleinen Leute annehmen, mehr für den Umweltschutz tun würden als die Regierungen der Rechten — Konservative und Republikaner—, die vermutlich mehr auf der Seite des Großkapitals stehen. Doch gelten Konservative eher als Anhänger der Vergangenheit oder zumindest des Status quo, während man von den Sozialisten eine Steigerung des materiellen Lebensstandards und eine zukunftsorientierte Politik erwartet. Anders ausgedrückt, die Sozialisten sind Optimisten, die Konservativen Pessimisten, die meinen, daß alles vor die Hunde gehen wird.

Zumindest in Großbritannien haben die Sozialisten den Problemen der Umweltverschmutzung nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Als man Exminister Anthony Crosland aufforderte, Umweltfragen mit in seinen Verantwortungs­bereich zu nehmen, bestätigte er mit seinen Ausführungen genau unsere obige Analyse: Er wies auf die Bedeutung eines wirtschaftlichen Wachstums hin und unterstrich die Forderungen der Städte zu Lasten des Landes; akute Besorgnisse über die Lage tat er als >hysterisch< ab. Wenig später zeigten die Sozialisten ihre ganze Mißachtung für den Naturschutz, als sie ankündigten, daß zwei Täler in Dartmoor, einem Naturschutzgebiet, zur Bildung von Wasserreservoiren überflutet werden sollten, und dies trotz starker örtlicher Widerstände. Der Zeitpunkt dieser Bekanntmachung fiel genau mit der Versammlung des Europäischen Naturschutzjahres zusammen. Die Maßnahme wurde damit gerechtfertigt, daß die Bedürfnisse der Städte vor denen des Landes rangieren und daß die Ansiedlung neuer Industrie in diesem Gebiet zur Regierungspolitik gehöre.    wikipedia  Anthony_Crosland 1918-1977

Soweit ich das beurteilen kann, führten auch in Rußland optimistische Zukunftsbetrachtungen und Produktionszwang dazu, daß die Behörden trotz des Protestes einzelner Privatpersonen den Naturschutz vernachlässigt haben. Es wird daher von Interesse sein, welchen Weg Amerika in der nahen Zukunft einschlagen wird.


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Ich vermute, daß die Republikanische Partei versuchen wird, den Naturschutz auf ihre Fahnen zu schreiben, und dabei von großen Vereinigungen beachtliche Unterstützung erhalten wird, während die Widerstände vermutlich mehr von <progressiven> Gruppen kommen werden.

Dies mag zutreffen oder nicht, Regierungen zögern immer mit derartigen dringend notwendigen Entscheidungen. Der Opportunismus der Regierungen in diesen Fragen kommt in einem Vorschlag zum Ausdruck, der mehr als einmal gemacht wurde: Erweisen sich die geltenden Strahlenschutzbestimmungen beim Aufbau einer Atomindustrie als hinderlich, so setze man die >Toleranzgrenzen< einfach etwas höher. Mit anderen Worten heißt das: »Wir brauchen Strom. Wenn uns das zusätzlich 50.000 Fälle von Leukämie im fahr einträgt, so ist das allerdings schlimm.«

Entscheidungen dieser Art sind bereits gefallen: Richtlinien wurden erlassen, Proteste wurden laut. Man hat Bestimmungen über den Sauberkeitsgrad von Luft und Wasser und über das Versenken von radioaktivem Material im Meer herausgebracht. Es ist höchste Zeit, daß solche Fragen öffentlich diskutiert werden.

So sagte der Herzog von Edinburgh kürzlich: »Ich denke, man müßte unverschämter sein und die Regierungen direkt angreifen.« Die Engländer sind ihrem Wesen nach darauf bedacht, jedes Aufkommen einer Panik zu vermeiden; dabei gehen sie meist bis ins andere Extrem, nämlich zur völligen Tatenlosigkeit über, was andere Nationen wiederum in Erstaunen versetzt. So kam es, daß es bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges im ganzen Land nicht mehr als vier Flakgeschütze gab. Aufrüstung wäre ja ein Zeichen von Panik, wenn nicht gar der Hysterie gewesen. Ähnlich werden sie wahrscheinlich den Tod durch Leukämie vorziehen und so ihre Fähigkeit demonstrieren, daß sie eher die Zähne zusammenbeißen, als ihre Besorgnis über die Existenz der Radioaktivität zu verraten. 

Diese Nationaleigenschaft wird durch das Establishment noch unterstützt; auch dieses glaubt, daß die Existenz eines Problems zugeben schon das Eingeständnis eines Fehlers bedeute.


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Als Beweis, daß dies kein unfairer Vorwurf ist, hier ein einleuchtendes Beispiel: <The Economist>, ein geachtetes britisches Meinungsorgan, stellte vor kurzem fest, daß es keinen Grund zur Besorgnis über das Kohlenmonoxid in den Straßen der Großstädte gebe, denn bisher fehle jeder Hinweis dafür. Doch die Fakten sehen anders aus. 

Kohlenmonoxid bildet mit dem Hämoglobin des Blutes einen Komplex und verhindert dadurch die Sauerstoffaufnahme; auch stört es die Abgabe des einmal aufgenommenen Sauerstoffs. Bei einem Gehalt von 50 ppm wird die Fähigkeit zur Abschätzung von Zeitintervallen drastisch reduziert; es wurde gezeigt, daß Autofahrer, die einen Verkehrsunfall verursacht hatten, in ihrem Blut hohe Konzentrationen an komplexiertem Hämoglobin (COHb) besaßen. Verkehrspolizisten sind in ähnlichem Maße betroffen. In den USA ist gegenwärtig eine Kohlenmonoxidkonzentration von 50 ppm über acht Stunden erlaubt — der Wert war 1964 von 100 ppm herabgesetzt worden. In den meisten Großstädten der Vereinigten Staaten liegt der Kohlenmonoxidgehalt darüber. 

Der Effekt ist um so größer, je höher man sich über dem Meeresspiegel befindet; besonders gefährdet sind Kinder, Besatzungen von Unterseebooten, Personen mit zirkulatorischen Störungen des Gehirns oder Herzinfarkt sowie Patienten mit Hyperthyreose oder Anämie. Untersuchungen an Tieren zeigten fettige Degeneration und Narbenbildungen der Herzmuskulatur. Jedes Auto bläst bei einer Geschwindigkeit von 40 Stundenkilometern 75 Gramm Kohlenmonoxid in die Luft; bei 15 Stundenkilometer liegt der Wert doppelt so hoch. In den Vereinigten Staaten gehen jährlich 94 Millionen Tonnen von diesem Zeug in die Atmosphäre, drei Viertel davon stammen von Autos. In New York geben die Kraftfahrzeuge täglich etwa 1500 Tonnen ab. Doch ebenso wie in Großbritannien wurde auch in den Vereinigten Staaten versichert, daß »es keine deutlichen Hinweise für eine Gefährdung der Gesundheit durch atmosphärisches Kohlenmonoxid gibt«. 

Derlei Versicherungen erinnern an die beruhigenden Erklärungen über Radioaktivität, die man später zurücknehmen mußte. So verkündete Präsident Eisenhower 1956: »Die Fortsetzung der Wasserstoffbombenversuche im derzeitigen Maßstab bedeutet nach wohlüberlegtem und verantwortungsvollem, wissenschaftlichem Urteil keine Gefahr für die Gesundheit der Menschen.« 


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Präsident Johnson räumte 1964 jedoch ein, daß »die tödlichen Spaltprodukte von Atomexplosionen unseren Boden und unsere Speisen, die Milch, die unsere Kinder trinken, und die Luft, die wir alle atmen, vergiften ... Radioaktive Gifte haben begonnen, die Sicherheit der Menschen überall auf der Welt zu gefährden.« 

Ähnlich war es mit anderen Behauptungen: 1953 stellte die Atomenergiekommission fest, daß der radioaktive fallout sich gleichmäßig über die Erde verteile (1958 als falsch bewiesen), daß der fallout sich so langsam herabsenken würde, daß er bis zum Auftreffen auf der Erde wieder zerfallen sei (1962 als falsch eingestanden) und daß der fallout weit unter der Menge liege, die zu genetischen Schäden führen kann (1957 als falsch erwiesen; ein Beratungsgremium der Atomenergiekommission errechnete, daß 2500 bis 13.000 Fälle von schweren Erbgutschäden zu erwarten seien). 

Soviel zu amtlichen Versicherungen.

Wir brauchen eine kleine Katastrophe, um die Regierenden aus ihrer schwerhörigen Selbstzufriedenheit aufzurütteln. Vielleicht bekommen wir sie in den Großen Seen. Es scheint so, als würde die Masse des Schmutzes im Bodenschlamm durch Eisen im zweiwertigen Zustand festgehalten. Kommt einmal Sauerstoff in diese Tiefen, dann wird das Eisen leicht in den dreiwertigen Zustand überführt; der ganze angesammelte Unrat wird dann freigesetzt, er steigt nach oben und verwandelt das ganze Gebiet in eine Art faulenden Sumpf. Das würde das Gerede von der >Hysterie< verstummen lassen.

In Ermangelung eines solchen Warnsignals müssen wir die Regierungen durch permanenten starken Druck und durch die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zum Handeln zwingen. In den meisten Ländern werden wie in Amerika private Körperschaften dringend benötigt, die die Geschehnisse registrieren und veröffentlichen. Dies ist um so mehr nötig, als beim Kampf gegen die sichtbaren Erscheinungen der Umweltverschmutzung andere, weniger sichtbare Arten leicht übersehen werden.


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   6  Worauf niemand achtet   

 

Abgesehen von der Radioaktivität, die wir bereits diskutiert haben, stehen wir jetzt vor dem am allermeisten unterschätzten Problem, dem der thermischen Verunreinigung oder, auf deutsch, der Hitze. 

In großen Teilen der Vereinigten Staaten, besonders im Nordwesten, wird die Kapazität der Umgebung zur Wärmeaufnahme zum limitierenden Faktor beim Einsatz der Kernenergie; in ein oder zwei Jahren wird man Beschränkungen einführen müssen, wenn bis dahin keine Lösung gefunden wird. Die für 1980 projektierten Elektrizitätsmengen werden die Hälfte des Flußwassers der USA als Kühlwasser benötigen außer in den vier Monaten, da die Flüsse Hochwasser führen. Doch im Durchschnitt wird es so aussehen: In manchen Industriegebieten werden mehr als 100 Prozent des Wassers durch die Wärmeaustauscher der Kraftwerke fließen, das heißt ein Teil des Wassers läuft zweimal hindurch.

In der Chesapeake Bay werden durch die dort geplanten Kernkraftwerke in einer Minute 14 Millionen Liter Kühlwasser gepumpt werden; das ist mehr als das Wasser aller drei Flüsse in dem gesamten Chesapeake-Gebiet. Hitze ist, so J. Mihursky, »ein sehr bedeutender, letaler, bestimmender und beherrschender Faktor im Lebensraum Wasser«. Wo die Hitze nicht tödlich wirkt, verändert sie die Geschwindigkeit von Stoffwechselvorgängen. Bei einer Wasser­temperatur von 32°C beginnen die Eier vieler Arten, einschließlich der Austern, auszusterben. 

Bei 34°C »wurde nach einer Inkubationszeit von 1 bis 8 Stunden nur noch wenig oder gar kein Überleben mehr festgestellt«. Man weiß von Fällen, wo das Kühlwasser einen Fluß noch 8 Kilometer flußabwärts bis auf über 34°C erwärmt, während man in der Nähe des Kraftwerks eine Temperatur von 46°C messen kann. Viele kleine Organismen werden durch die Wärmeaustauscher der Kraftwerke gespült, wo die Verlustquote dank des Chlors, das man zur Verhinderung von Fäulnis zugesetzt hat, auf 100 Prozent ansteigt.

Die Pläne, das Warmwasser zur Förderung von Pflanzenwachstum zu verwenden, mag für Gemüse vielleicht ganz aussichtsreich sein (wenn man die Kontamination mit Tritium außer acht läßt), doch tragen sie nichts zur Lösung des Hitzeproblems bei, da die Wärme nur im Winter gebraucht werden kann.


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Und gerade im Sommer führen die Flüsse wenig Wasser, die Außentemperaturen sind so hoch, daß es zum Engpaß kommt. Auch wird es unvorhergesehene Effekte geben. So werden Haifische bei Southampton bereits heute von der Wärme bis in die Küstengewässer angezogen. Nach Aussage von Fachleuten der Rutgers-Universität könnten in den USA manche Flüsse im Jahre 1980 zu kochen anfangen; im Jahre 2010 wären sie dann völlig eingedampft.

Auch das Lärmproblem schiebt man gern leichthin eher als Belästigung denn als echte Bedrohung vom Tisch. Doch gibt es Hinweise dafür, daß Lärm sich auf Herz und Kreislauf, auf die Atmung, auf Drüsen und auf das Nervensystem auswirkt. Deutsche Stahlarbeiter, die bei der Arbeit starkem Lärm ausgesetzt sind, zeigen einen anormalen Herzrhythmus; und die Russen berichten, daß unter Arbeitern der lauten Kugellagerfabriken Herz-Kreislauf-Komplikationen gehäuft auftreten. Zahlreiche Webereiarbeiter in Italien, die in einer lauten Umgebung ihre Arbeit verrichteten, zeigten überaktive Reflexe, und ihr Elektroenzephalogramm ähnelte dem von Patienten mit einer gebrochenen Persönlichkeitsstruktur. Dr. K. Farr von der Fakultät für Gesundheitswesen an der Universität von Texas in Houston glaubt, daß Lärm als Auslöser für Geschwüre, Allergien und Geisteskrankheiten in Frage kommt.

Häufig ist die Lärmbelästigung ganz unnötig: Nur wenige Fabriken werden dahingehend überprüft, ob man die Arbeit nicht leiser gestalten kann. In einem Fall wurden Stahlkugeln aus metallenen Behältern auf einen Metalltisch geschaufelt und in einen Metalltrichter geschüttet. Als man die Metallteile mit Holz oder Leder abdeckte und die Unterseite der Tische mit schallschluckendem Material verkleidete, fiel der Lärm auf einen erträglichen Pegel ab.

Für die meisten Menschen sind Luft- und Straßenverkehr die wesentlichen Belastungen. Mark Abrams, ein englischer Soziologe, kommt zu dem Schluß, daß im übervölkerten Großbritannien 36 Prozent der Bevölkerung zu Hause durch Lärm belästigt werden. Das Gesetz zur Verminderung der Lärmbelästigung von 1960 bezieht weder Kraftfahrzeuge, Flugzeuge noch staatliche Unternehmen wie die Eisenbahn ein.


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Außerdem verteidigt man sich damit, daß die besten Mittel zur Lärmbekämpfung bereits eingesetzt seien. 1983 werden britische Verkehrsmaschinen 30 Millionen Passagiere befördern gegenüber 12 Millionen im Jahre 1967; »über den Städten und Vorstädten von Großbritannien wird der Flugzeuglärm nicht mehr aufhören«.

Schließlich vermute ich, daß die volle Gefahr der Luftverunreinigung in den Städten und für die Allgemeinheit trotz aller Publizität immer noch unterschätzt wird. Die Ärzte wissen praktisch nichts über die Wirksamkeit verschiedener, gleichzeitig vorhandener Umweltgifte; sie erwarten jedoch, daß sich die Effekte eher multiplizieren als einfach addieren (Synergismus). So steht zum Beispiel die Häufigkeit von Krankheiten bei Arbeitern sowohl mit der Schwefeldioxid­konzentration wie mit der Staubmenge in Beziehung. Wie aus einer amerikanischen Studie hervorgeht, führt Schwefeldioxid in der sehr niedrigen Konzentration von 0,5 ppm bei gesunden Leuten zu einer Beeinträchtigung der Lungenfunktion; eine italienische Untersuchung zeigte, daß sich Abwesenheit von der Schule und der Staubgehalt der Luft miteinander korrelieren lassen. Mehrere Studien ergaben, daß die körperliche Leistungsfähigkeit des Menschen durch die Einwirkung von oxidierenden Agenzien herabgesetzt wird.

Was wir bisher wissen, beruht meist auf kurzen Einwirkungszeiten ; doch bei längerer Einwirkungsdauer könnten schon weit niedrigere Konzentrationen gefährlich sein. Stickoxyde können nach längerer Einwirkungsdauer zu einer ernsthaften Verminderung der Transportkapazität des Blutes für Sauerstoff führen. (Die Affinität des Blutes zum Stickstoffoxid ist 300.000mal größer als die zum Sauerstoff.) Nach Professor Albert F. Bush von der Universität von Kalifornien in Los Angeles wird das Abwehrsystem des Körpers durch lang anhaltende Belastungen geschwächt.

Erhebungen, die die amerikanische Bundesregierung durchgeführt hat, ergaben, daß die Häufigkeit von Bronchitis und Lungenkrebs ansteigt, wenn die Konzentration von Schwefeldioxid in der Luft einen Wert von 0,04 ppm erreicht. Doch in Philadelphia hatte die Luft 0,08 ppm und in Chicago gar 0,116 ppm an Schwefeldioxid, was der doppelten beziehungsweise dreifachen Gefahrendosis entspricht.

Von allen Arten der Luftverunreinigung kennen wir Ozon am wenigsten. Wir wissen, daß das Einatmen von Luft mit dem winzigen Ozongehalt von 0,026 ppm für den Menschen schon tödlich ist. Und in Santa Barbara wurde gelegentlich schon ein Wert von 0,023 ppm über eine Stunde lang erreicht. Desgleichen wissen wir, daß eine kleine Dosis über eine lange Periode hinweg ebenso schädlich sein kann wie eine größere Menge kurze Zeitlang. Im Gegensatz zu dem weitverbreiteten Glauben besitzt Ozon keinen Eigengeruch, so daß sich eine gefährliche Konzentration nicht warnend bemerkbar macht.

Manchmal wird Ozon vom Geruch von Stickoxyden begleitet, doch dieser wird nach kurzer Zeit nicht mehr bemerkt. Abgesehen von seiner unmittelbaren Gefährlichkeit für die Gesundheit reagiert Ozon auch noch mit anderen Komponenten der Luftverunreinigungen und bildet so den Smog; es reagiert mit Öl, das immergrüne Pflanzen ausscheiden, und verursacht damit einen Dunstschleier — der berühmte Dunstschleier der North Carolina Smokies kommt auf diese Weise zustande. Ozon schadet auch zahlreichen Pflanzen: 1959 ging durch Ozon an einem einzigen Wochenende Tabak von Deckblattqualität im Wert von 25 Millionen Dollar verloren.

Trotz dieser blinden Flecke läßt sich sicherlich ein neuer Kampfgeist gegen Umweltverschmutzung feststellen. Doch werden die bislang erwähnten Maßnahmen die Umweltverschmutzung soweit einschränken können, daß eine ökologische Katastrophe nicht länger als Gefahr existiert? Und wenn ja, wie lange noch? Denn die Technik wächst und wächst, die Industrialisierung breitet sich aus, und die Bevölkerung wird im Laufe der nächsten Jahrzehnte weiter ansteigen. Es gibt gute Gründe für die Ansicht, daß die beschriebenen Mittel das Problem nur hinausschieben, nicht aber lösen werden. 

So werden die Maßnahmen, die man zur Entgiftung der Abgase vorgeschlagen hat, zwar zunächst zu einem Absinken der Luftverpestung führen; doch im Jahre 2000 wird man den alten Stand des Jahres 1970 wieder erreicht haben dank der bis dahin gestiegenen Zahl an Kraftfahrzeugen. Und werden diese Maßnahmen die Landschaft schützen und zufriedenstellende Lebensverhältnisse gewährleisten? 

Grundlegende Schwierigkeiten sowohl technologischer als auch verwaltungstechnischer Art sind umfassend und objektiv zu bedenken.

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  Gordon Rattray Taylor (1970) Das Selbstmordprogramm