12. Alptraum Technik
1 In den Fängen der Technik — 2 Profit auf Kosten der Allgemeinheit — 3 Bankrott der freien Marktwirtschaft —
4 In der Tretmühle der Technik — 5 Die Anwälte der Technik — 6 Die Liebe zur Natur — 7 Die dreifache Krise
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-354Nach all dem, was wir dargelegt und besprochen haben, handelt es sich eigentlich nur um zwei Probleme, die allerdings zusammenwirken: einmal das Massenproblem und zum anderen die zerstörerische Kraft der modernen Technik.
Die Technik erst ermöglicht die Existenz solcher Massen, und die Masse wiederum macht die Technik so gefährlich. Die Lösung besteht in einer Begrenzung der Bevölkerungszahl oder in einer Begrenzung der Technik; oder wir müssen beides einschränken.
Der Glaube ist weit verbreitet, daß wir dem Dilemma entgehen könnten. Die Technik müsse nicht beschränkt, höchstens ein bißchen gezähmt werden, während die Bevölkerung in Grenzen zu halten ist. Man glaubt, daß wir in der Lage sind, die durch die Einwirkung des Menschen auf seine Umwelt entstandenen Probleme zu lösen, wenn wir uns nur erst darum kümmern; die technischen Möglichkeiten seien gegeben, die Regierungen müßten nur darauf dringen, daß man sich ihrer bedient.
Stimmt das tatsächlich?
In den USA befindet man sich gerade in einer Sackgasse: Die für die allgemeine Stromversorgung Verantwortlichen erklären, sie könnten nicht wirkungsvoll weiterarbeiten, da sich immer wieder Opposition mit Argumenten des Umweltschutzes gegen die Errichtung neuer Kraftwerke erhebt. Gegen Kohle- und Ölkraftwerke wird die Luftverschmutzung ins Feld geführt. Gegen Kernkraftwerke argumentiert man mit Überhitzung und dem Hinweis auf die Gefahr einer radioaktiven Verseuchung. Außerdem verschandeln Wasserkraftwerke die Landschaft.
Die Verantwortlichen meinen, daß auf Grund dieser Proteste zahlreiche wichtige Stromnetze ohne genügende Reserven seien und in der Stromversorgung bald akute Engpässe auftreten würden. In Kürze wird es keinen Ausweg mehr geben. Es sieht so aus, als könnten die Amerikaner nicht beliebig viel Elektrizität und gleichzeitig eine Landschaft nach Wunsch haben.
Ist diese Situation typisch? Fragen wir ganz allgemein: Wie weit ist es wirklich möglich, der Technik, wie wir sie derzeit benützen, die Nachteile zu nehmen?
Meiner Ansicht nach können zahlreiche Probleme in der uns zur Verfügung stehenden Zeit nicht mehr wirkungsvoll angegangen werden, während andere Probleme weitgehend ökonomischer, administrativer oder politischer Natur sind. Es gibt Fragen der Umweltverschmutzung, des Raumes, aber auch die eines schönen Lebens.
1 In den Fängen der Technik
Die Reinigung industrieller Abwässer und Abgase ist wohl noch die leichteste Aufgabe, mit der sich abzugeben wir von der Technik erwarten. Dies bedeutet nicht, daß wir bereits überall eine Antwort parat haben. Wir besitzen recht wirkungsvolle Methoden, den Rauch, bevor er den Schlot verläßt, von Staub- und Ascheteilchen zu reinigen; auch sind unsere Mittel zur Entfernung von Gasen, zum Beispiel von Schwefeldioxid, durch Extraktion einigermaßen effektiv. Doch es ist schon schwieriger, den Abgasen der Schmelzöfen die Fluoride zu entziehen.
Kommen wir zu den Abwässsern, so ist es ähnlich: Festes und organisches Material können wir entfernen, bei Phosphaten ist dies schon schwierig und bei Nitraten völlig unmöglich, während aus Desinfektionsmittel stinkende Chlorphenole freiwerden. (Kläranlagen bauen die Abwässer in ihre Bestandteile, vor allem in Phosphate und Nitrate, ab, die für die hohe Düngekraft verantwortlich sind.)
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Immerhin sind das Arbeiten, die den Chemikern vertraut sind, und wenn wir der Forschung auf diesem Gebiet und dem Bau entsprechender Anlagen ebenso großzügig Geld zur Verfügung stellten wie für den Wettlauf zum Mond, hätten wir zweifellos bald annehmbare Lösungen.
Kommen wir zum Luftverkehr und zu den Kraftfahrzeugen, so ist das zum Teil aus wirtschaftlichen Gründen schon schwieriger. Zum Beispiel könnten wir auf Bleitetraäthyl verzichten, wenn wir uns mit einem geringeren Wirkungsgrad der Benzinmotoren begnügen oder Alternativen zu einem höheren Preis finden würden. Doch in diesem Falle wäre der Gehalt von Stickoxyden in den Auspuffgasen noch höher. Eines Tages werden wir Motoren akzeptieren, die >sauber< laufen und keine unerwünschten Oxyde abgeben werden.
Oder nehmen wir die immer ernster werdende Frage, wie man mit dem Schutt fertig wird. In den Vereinigten Staaten werden jährlich 7 Millionen Autos weggeworfen, 30 Millionen Tonnen Papier und 48 Milliarden Konservendosen, ganz zu schweigen von Flaschen, Kunststoffen und so fort. Ein Teil des häuslichen Abfalls kann verbrannt werden; in London, Paris und anderswo liefern Müllverbrennungsanlagen beachtliche Strommengen. Doch die Müllverbrennung führt zu weiterer Verschmutzung, und Kunststoffe können bei der Verbrennung gefährliche Chloride und Fluoride ergeben. Gummiartige Stoffe verstopfen die Anlagen und führen manchmal zu Explosionen. Manche Fachleute bezweifeln, daß die Stromerzeugung aus Müll wirklich praktikabel ist; schließlich müssen Glas und andere unverbrennbare Stoffe von Hand wieder ausgeräumt werden. Die Japaner ziehen es vor, ihren Abfall zu kompakten Klumpen zusammenzupressen und im Meer zu versenken. Auch hier sind die Probleme sehr ernst, doch nicht völlig unlösbar.
Die Misere besteht darin, daß die Beseitigung von Müll wiederum neue Probleme schafft, da Materie nicht vernichtet werden kann. Eine endgültige Lösung wäre der Abbau von Abfallprodukten in ihre atomaren Bestandteile und der Neuaufbau nützlicher Substanzen. Man hat bereits vorgeschlagen, die Wasserstoffbombe so umzubauen, daß sie als Fusions-Brenner dienen könnte, der den Abfall in Atome zerlegt. Doch wurde nicht erklärt, wie man ohne Einsatz unvertretbarer Energiemengen die Atome wieder zusammensetzen soll.
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Noch schwieriger ist die Wiederbelebung von Seen und Flüssen. In der Tat glauben manche Wissenschaftler, daß der gegenwärtig ablaufende Prozeß nicht umkehrbar sei. In Schweden laufen mehrere Versuche, kleine Seen wieder zu reinigen. Einer dieser Seen ist der Trummen-See in Smlland. Hier sind Wissenschaftler von der Universität Lund dabei, in einem 11 Jahre dauernden Unternehmen den See wieder neu zu beleben. Dazu müssen sie zuerst eine 50 Zentimeter dicke Schicht Ablagerungen vom Seeboden abtragen. Alles in allem besitzt die Sedimentschicht eine Dicke von nahezu 5 Metern; der Hauptteil der Giftstoffe liegt jedoch in den obersten 50 Zentimetern. Dies mag bei einem See mit einer Fläche von einer Million Quadratmetern möglich sein, doch beim Erie- oder Michigan-See wäre eine solche Operation kaum durchführbar. Die Kosten des schwedischen Projekts betragen etwa 1,5 Millionen Mark.
Während diese Probleme relativ schwierig sind, haben wir für andere überhaupt noch keine Lösung in Aussicht.
An erster Stelle rangiert hier die Überhitzung. Wärme ist eine Energieform; und Energie kann nicht vernichtet werden. Sie kann nur in eine andere Form umgewandelt werden. Nun kennen wir zwar Methoden, Energie, die in Brennstoffen fossiler oder auch atomarer Natur gespeichert ist, freizusetzen, doch wir wissen nicht, wie wir sie ohne den Preis von noch mehr Energie wieder binden können.
Es gibt daher grundsätzlich keine Möglichkeit, Energie loszuwerden, außer sie ins Universum abzustrahlen. Wir werden zwar zu einem gewissen Preis mit örtlichen Wärmekonzentrationen fertig, indem wir zum Beispiel das Kühlwasser eines Kraftwerkes über eine bestimmte Strecke irgendwohin pumpen, wo es unschädlich, ja vielleicht sogar nützlich ist. Verschwendete Wärme ist endgültig verloren, und es wäre sicher kein Schaden, Möglichkeiten einer effektiveren Ausnutzung zu erforschen; doch auf lange Sicht muß die Verheizung von Brennstoff zu einer Aufheizung der Umwelt führen.
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Sicherlich können wir den Hitzetod hinausschieben, indem wir mit der überschüssigen Wärme das Meer aufheizen oder die Eiskappen zum Schmelzen bringen; grundsätzlich ist das realisierbar, wenn wir auch noch lange nicht die technischen Möglichkeiten dazu haben.
Früher oder später werden wir jedoch damit beginnen müssen, Wärme abzustrahlen, so daß wir uns vielleicht mit einer begrenzten Trübung unserer Atmosphäre werden abfinden müssen. Vielleicht werden wir eines Tages genau abgewogene Mengen an Staub abblasen, um auf diese Weise die Temperatur der Erde in dem Maße herabzudrücken, wie sie durch die Verbrennungen heraufgesetzt wird. Doch Lösungen dieser Art sind reine Zukunftsmusik. Heute ist es jedenfalls so: Wir wissen nicht, wohin mit der überschüssigen Wärme aus unseren Kraftwerken.
Auch wissen wir bislang nicht, wie man Giftstoffe aus den Nahrungsketten heraushält. Würde man zum Beispiel heute vollkommen damit aufhören, Quecksilberprodukte zu verstreuen, so würde es noch 10 bis 100 Jahre dauern, bis die Fische quecksilberfrei wären. Auch können wir nicht verhindern, daß die Unmengen an eingeschlossenem Wasser Erdbeben verursachen.
Auch die Radioaktivität würde ich zu den Fragen zählen, für die die Technik keine wirkliche Lösung anbieten kann. Es gibt Notbehelfe; einige davon habe ich bereits beschrieben. Wir können das Zeug an einem Ort aufbewahren, wo es keinen Schaden anrichtet, doch entgiften können wir es nicht. Da jedoch das Aufheben sehr teuer kommt, hat man gute Gründe, das radioaktive Material in die Umgebung abzugeben und sich darauf zu verlassen, daß die Verdünnung es genügend unschädlich macht. Doch wie wir schon gesehen haben, wird dieser Zustand immer unbefriedigender, je länger wir so weitermachen. Auch können wir nicht vermeiden, daß ein gewisser Anteil der Aktivität unvorschriftsmäßig beseitigt wird. Gerade das Kühlwasser besitzt einige Aktivität, ebenso wie die Abgase, ganz zu schweigen von Unfällen, die mit mathematischer Sicherheit auftreten werden.
Erschreckend aber ist etwas anderes, nämlich der Verlust dessen, was man mit dem unpräzisen und wenig attraktiven Ausdruck <schönes Leben> bezeichnet. David Brower, der Vorsitzende des Sierra-Clubs, formulierte es kurz und bündig: Wir wissen wohl, wie man die freie Natur auseinandernimmt, doch haben wir kein Rezept, nach dem wir sie wieder zusammensetzen können.
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Warum lebt es sich in einem hübschen Tal weniger >schön<, wenn sich dort eine Zementfabrik oder eine Kohlengrube oder gar ein großer Damm befindet? Es ist eine unumstößliche Tatsache, daß der Mensch die unregelmäßigen Gestalten der Natur vorzieht, um hier wenigstens frei zu sein von den regelmäßigen Formen, die er selbst erstellt hat. Ein Damm mag für sich selbst schön sein, eine Fabrik gut geplant, doch die Anwesenheit eines solchen >Kunstwerkes< zerstört die Eigentümlichkeit der Landschaft. Daß man Landschaften <verschönern> kann, in dem Sinne, daß die Menschen das Ergebnis ästhetisch attraktiv finden, sieht man an dem Beispiel der großen englischen Landschaftsgärtner. Wildnis ist nicht die einzige, wenn auch sehr wichtige Eigenschaft; doch meine ich etwas anderes: Unser gegenwärtiges Problem rührt daher, daß es nur noch wenig Land gibt, wo der Mensch nicht eingegriffen hat. Nach Brower ist nur noch ein Zehntel des Landes auf der ganzen Welt wirklich unberührt.
Hier gibt es keine technische Lösung. In kleinem Umfang gelingt es, verschandelte Gegenden wieder zu sanieren. Durch Neubepflanzung kann verwehter Boden wieder verbessert werden. Vom Tagebau hinterlassene Abhänge können wieder aufgefüllt und mit Rasen besät werden; Gebäude und Einrichtungen können abgerissen und verbrannt werden und so weiter. Doch die Kosten sind hoch. Bis heute hat noch niemand versucht, unerwünschte Häfen zuzuschütten, abgegrabene Abhänge wieder aufzufüllen oder unnötig gewordene Dämme wieder abzureißen. Im großen und ganzen ist Landschaft etwas Unersetzliches.
Wenn es überhaupt ein noch dringlicheres Problem gibt, dann ist es das des elementaren Raumbedarfes. Raum kann man nicht aus dem Nichts hervorzaubern, und mehr Menschen bedeuten daher notwendigerweise weniger Platz für jeden einzelnen. Wie ich schon dargelegt habe, bedeutet auch die größere Mobilität eine Einschränkung des Platzes für den einzelnen, wenn man >Platz< als die Freiheit von unerwünschter gegenseitiger Belästigung auffaßt. Für Übervölkerung gibt es keine technische Lösung.
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Auf lange Sicht bleibt als einzige Maßnahme gegen die Übervölkerung die Limitierung der Bevölkerung. Wenn wir nicht auf die Straße gehen und dort jeden Fünften abschießen wollen, ist die Limitierung der Bewohnerzahl als die auf der Hand liegende technische Lösung ein langer Prozeß, selbst wenn eine entsprechende Politik diesen vorantreiben wird; dabei gibt es immer noch zahlreiche Länder auf der Welt, die expansive Bevölkerungspolitik betreiben.
Während die Politiker noch auf ein technisches Wunder hoffen, setzen die Techniker, in Erkenntnis ihrer eigenen beschränkten Möglichkeiten, ihre Hoffnungen auf wirtschaftliche oder politische Maßnahmen. Wie sind die Aussichten auf diesem Gebiet?
2 Profit auf Kosten der Allgemeinheit
Professor Garrett Hardin von der Universität von Kalifornien, bekannt als Entdecker des Prinzips gegenseitiger Ausschließung durch Wettbewerb, verursachte 1968 eine kleine Sensation mit einer Veröffentlichung unter dem Titel <Die Tragödie des kleinen Mannes>. Er zog eine Parallele zwischen dem exzessiven Abgrasen des öffentlichen Graslandes im 18. Jahrhundert und dem Verschwinden von Annehmlichkeiten, wie zum Beispiel saubere Luft heutzutage.
Ein gegebenes Stück Land kann nur eine bestimmte Zahl Vieh ernähren; läßt man mehr Tiere darauf weiden, so wird das Gras schneller weggefressen, als es nachwachsen kann; das Gras verkümmert, und am Ende nährt das Land überhaupt kein Vieh mehr. Der einzelne Viehbesitzer, der ein überzähliges Stück Vieh auf die Grasfläche treibt, zieht fast den vollen Nutzen aus der Tatsache, daß er ein Stück mehr grasen läßt, das er verkaufen oder selbst schlachten kann; der Nachteil aus dem exzessiven Abgrasen des Landstückes verteilt sich jedoch gleichmäßig auf alle Nutznießer, deren Tiere alle ein wenig unterernährt sein werden. Hardin legt dar, daß auf die gleiche Weise der Ausbeuter, der Luft und Wasser verschmutzt, bei unbedeutendem eigenen Nachteil den ganzen Gewinn einer freien Abfallbeseitigung einkassiert; so geht die Ausbeutung weiter, bis der gesamte Allgemeinbesitz für jedermann, auch für die Profitler selbst, ruiniert ist.
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Das Allgemeinwohl kann auch auf andere Weise bedroht werden, wenn zum Beispiel das Land jedem frei verfügbar ist. Die Nutznießer können das Land auslaugen und dann weiterziehen, wie es die amerikanischen Farmer im 19. Jahrhundert machten und wie es zahlreiche Waldbenutzer heute noch machen. In diesem Falle lassen sich die Nachteile einer exzessiven Ausbeutung so lange hinausschieben, wie das freie Land reicht; da jedoch die Landmenge nicht unbegrenzt ist, kommt der Tag immer näher, an dem diese Politik aufgegeben werden muß. Bei wachsender Bevölkerung werden die Kosten der Ausbeutung zudem auf die kommenden Generationen abgeschoben. Unser Wirtschaftssystem hat sich angesichts eines derartigen Verhaltens als unfähig erwiesen.
Wie lassen sich diese Gefahren begegnen?
Im 18. Jahrhundert hat man das Land eingezäunt und es einem einzigen Besitzer übergeben; man verließ sich darauf, daß er vernünftig genug sein werde, es so beweiden zu lassen, daß die Grasnarbe erhalten bleibt. Eine ähnliche Lösung versuchen wir heute, wenn wir Gebiete von besonderer landschaftlicher Schönheit einer Parkkommission oder einer ähnlichen Behörde unterstellen, die dieses Land dann für die Öffentlichkeit pflegen soll. Das Einkommen der Beamten hängt dann nicht von der Rentabilität des Unternehmens ab, sondern allein davon, wie sie nach dem Urteil der Öffentlichkeit ihre Aufgabe, nämlich die Erhaltung der Landschaft, verrichten.
Häufiger setzen wir lieber eine Agentur mit einer gewissen Wachhundfunktion ein, die die Nutzung der Ressourcen zu regulieren hat, indem sie Lizenzen ausgibt, Vorschriften aufstellt, für ihre Einhaltung sorgt und so weiter. Doch mehrere Untersuchungen haben ergeben, daß solche Körperschaften eines Tages in Abhängigkeit von Interessengruppen geraten, auf die sie eigentlich selbst aufpassen sollten; es kann vorkommen, daß die leitenden Personen aus den Reihen derer ausgewählt werden, die eigentlich überwacht werden müßten.
Dr. Beryl L. Crowe von der Staatsuniversität von Oregon meint: »In den Sozialwissenschaften ist inzwischen zur Genüge festgestellt, daß die Frage, wer die Verwalter des öffentlichen Besitzes überwacht, am zutreffendsten so beantwortet wird: diejenigen, die sich am öffentlichen Eigentum schadlos halten.«
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Der Glaube, daß die Regierung eine Körperschaft einsetzen kann, die das öffentliche Eigentum wirkungsvoll verwaltet, ist aus verschiedenen Gründen naiv. Gesetze sind nur dann wirksam, wenn eine Mehrheit der Bevölkerung ohne Zwang bereit ist, sie zu befolgen; die Polizei kann nur gegen einzelne Gesetzesbrecher eingesetzt werden. Wächst jedoch die Zahl der Gesetzesbrecher, dann kann die Polizei dieser Aufgabe nicht mehr nachkommen; die Mobilität macht das Problem noch schwieriger. Der Glaube, daß äußere Autoritäten durch innere Kontrollen — früher bezeichnete man sie als Gewissen — ersetzt werden könnten, ist einer der letalen Irrtümer unseres Zeitalters.
Wendelil Berry, ein amerikanischer Dichter, der am Kentucky River, einem Nebenfluß des Ohio, lebt, beschreibt in einem Artikel (<Ein Fluß wird konsumiert>), wie immer mehr Menschen mit Motorbooten den Fluß bevölkern, laut ihre Radios spielen lassen, die Ufer mit ihrem Abfall verunzieren und auf vielerlei Art gerade das zerstören, was sie eigentlich genießen möchten; ja, sie zerstören es sogar im physikalischen Sinne des Wortes, denn die Wellen ihrer Boote spülen die Uferböschungen weg. Keine Behörde kann ein solches Verhalten wirkungsvoll regulieren; und selbst wenn sie es könnte, wäre es nur eine unvollkommene Lösung, da gerade Ruhe und Abgeschiedenheit die Besucher zu dem Fluß gelockt haben.
Die Vergnügungen zahlreicher Menschen sind gleichermaßen destruktiv wie ihre Arbeit. Man nimmt an dem Fluß nur die >Szenerie< wahr,- sein Leben wird weder verstanden noch gewürdigt. Der Fluß wird einfach konsumiert. Wenn zu viele Besucher kommen, wird unweigerlich die Einsamkeit zerstört, das Wild durcheinandergebracht und das Gras zertrampelt. Die einzige Lösung liegt in einer Limitierung der Besucherzahl, und wie ist dies bei Flüssen und freier Natur anders durchzuführen als durch abgeschlossene Naturschutzparks?
Die einzige Kontrollmöglichkeit, die wir heute besitzen, ist die Schaffung von Sonderkommissionen für jeweils spezifische Fragen, sei es Wasserversorgung, Atomenergie oder die Überwachung von Luftströmungen. Wir können nur hoffen, daß die Exekutive in der Lage ist, die Arbeit dieser Sonderkommissionen irgendwie zu koordinieren. Wie groß der Erfolg hierbei ist, zeigt ein Beispiel, das ich an anderer Stelle bereits erwähnt habe, nämlich die Tatsache, daß die Muttermilch amerikanischer Frauen so viel DDT enthält, daß man Babies nicht damit füttern sollte.
2 Profit 332
Mit anderen Worten: Die landwirtschaftlichen Fachleute nahmen sich ihrer Aufgabe der Nahrungsmittelproduktion so intensiv an, daß sie mit ihrer Arbeit die Ernährung der Kinder durch die Mutter selbst in Gefahr brachten. Doch die Reinheit der Muttermilch ist nicht ihr Problem.
Ein anderes Beispiel: Die Atomenergiebehörde konzentriert ihre Anstrengungen auf die Produktion von Kernenergie; doch sie kümmert sich nicht sonderlich darum, welche tiefgreifenden Folgen ihre Arbeit für das Leben der Fische in den Flüssen und für die Häufigkeit der Leukämie beim Menschen haben kann. Das <Corps of Engineers> ist für die Wasserversorgung zuständig, doch ist es nicht seine Sorge, ob dabei landschaftliche Schönheit geopfert wird und so weiter. Integrierte Planung von ganzen Bezirken nach allen möglichen Gesichtspunkten tut not; doch niemand scheint in der Lage zu sein, dies in die Wege zu leiten. Das ganze Problem hat seinen Ursprung in einer zu hohen Bevölkerungsdichte und in einem daraus resultierenden Mangel an Richtlinien.
Die Regierungen sind nicht nur außerstande, viele Gemeinschaftsaufgaben anzugehen, sondern stehen ganz allgemein Versuchen in dieser Richtung nur widerstrebend gegenüber.
3 Bankrott der freien Marktwirtschaft
Konservative sagen gern, daß jedes Gut seinen Preis besitze und daß die Regulierung allein dem Markt überlassen bleiben solle ohne Eingriffe von außen. Die Umweltverschmutzung stellt für diese Doktrin eine Herausforderung dar, denn sie ist die Folge fehlender Regulation. Die Wirtschaftstheorie legt dar, wie die Bedürfnisse der Menschen nach bestimmten Waren befriedigt werden: Die Nachfrage übersteigt das Angebot; die Verkäufer erhöhen die Preise, bis die ärmeren Käuferschichten ausscheiden; die Gewinne gehen in die Höhe, die Produktion wird gesteigert, neue Unternehmen steigen in das rentable Geschäft ein. Mit steigendem Angebot fallen jedoch die Preise und damit die Gewinne; dies geht so lange, bis eine weitere Expansion sich nicht mehr auszahlt.
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Dieses Prinzip ist recht vernünftig bei Gütern, die man produzieren und zum Verkauf anbieten kann. Doch es gibt Bereiche, wo ein solcher Mechanismus kaum oder gar nicht funktioniert. Der freie Markt kann keine Dinge anbieten, die man nicht verpacken und zu einem bestimmten Preis verkaufen kann, wie zum Beispiel frische Luft. (Man versucht, der Lage durch das Angebot von Ersatzgütern, zum Beispiel Klimaanlagen, gerecht zu werden; doch radikaleren Lösungen geht man aus dem Wege.)
Ein anderes Gut, das nicht produziert werden kann und für welches doch eine große Nachfrage besteht, ist Grund und Boden. Hier können die Preise, die auf Grund erhöhter Nachfrage gestiegen sind, nicht durch ein gesteigertes Angebot gedrückt werden. Aus diesem Grunde führen steigende Grundstückspreise zu sozial nicht zu rechtfertigenden Profiten, und daher greifen zahlreiche Regierungen dagegen ein. Die Ökonomen haben versucht, Grund und Boden in ihr System einzuführen, indem sie ein unbegrenztes Angebot an Grund und Boden mit unterschiedlichem Wert für den Menschen annahmen; mit steigender Nachfrage sollte demnach immer mehr von diesem Land der Nutzung zugeführt werden. Doch ist man inzwischen so weit, daß dieses >unbegrenzte Angebot« ausgeht. Das Argument war schon immer dürftig, denn unbewohntes Land in Kamtschatka nützt nichts, wenn Los Angeles immer größer wird; und die Grundstückspreise in Kalifornien werden nicht durch die Existenz von freiem Land in Schranken gehalten, das Tausende von Kilometern entfernt ist.
Doch das Versagen der freien Marktwirtschaft ist dort am schlimmsten, wo es um die Erhaltung von Werten geht, die nur ein einziges Mal vorhanden sind und von der Natur umsonst zur Verfügung gestellt werden. So groß die Nachfrage nach landschaftlicher Schönheit auch sein mag, keine Industrie kann sie produzieren und verkaufen; keine Industrie ist in der Lage, saubere Flüsse und reine Luft herzustellen und zu verkaufen. Es kommt hinzu, daß diesen Werten kein Preis zugeordnet werden kann, so daß sie, wenn sie mit Gütern mit einem definierten Preis in Konkurrenz treten, stets nur die zweite Rolle spielen.
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So lassen sich die ökonomischen Vorteile eines Bergwerkes, eines Dammbaues oder der Kultivierung von Land berechnen, die wirtschaftlichen Verluste, die aus der Zerstörung der Landschaft folgen, dagegen nicht. Kurz, es liegt in diesem Wirtschaftssystem, daß Werte, deren Preis nicht bestimmbar ist, von vornherein benachteiligt sind. Um so notwendiger wird Planung.
Die Tatsache, daß Menschen bereit sind, Geld für die Erhaltung von Dingen zu spenden, die sie möglicherweise nie zu sehen bekommen und die sie weder im juristischen noch wirtschaftlichen Sinne >genießen<, zeigt, daß die bloße Existenz dieser Dinge bereits einen Wert an sich darstellt. John Krutilla hat dargelegt, daß die Eliminierung einer >Ressource< wie der freien Natur oder einer Spezies einen Verlust bedeutet, dessen Wert man nicht einfach durch Aufsummieren des Wertes der einzelnen Teile ermitteln kann. Weiterhin haben wir bei der Zerstörung einmaliger Ressourcen nicht nur darauf zu achten, welchen Wert nicht nur wir, sondern auch die kommenden Generationen ihnen zumessen. Die Lebensumstände ändern sich, neue Arten von Erholung entstehen,- wir haben das beim Camping und beim Wasserskisport erlebt. Noch vor einem Jahrhundert war das Skilaufen außerhalb Skandinaviens unbekannt, und der Wert der Berghänge in den Alpen oder den Appalachen war praktisch gleich Null.
Im großen und ganzen sieht die Lage so aus, daß die Techniker von den Politikern Lösungen politischer oder administrativer Art erwarten, während die Politiker hoffen, daß den Technikern eine Patentlösung einfällt.
Eine drastische Reduktion der Bevölkerung würde einen Ausweg aus dieser Sackgasse bieten; sind wir dazu jedoch nicht in der Lage, so bleibt uns nichts anderes übrig, als die Entwicklung unserer Technik zu beschränken. In der Tat müssen wir beides tun. Die Technik läßt weiter die Möglichkeiten des Menschen, Schaden anzurichten, ins Unermeßliche steigen. Ein einzelner kann mit einem Lautsprecher den Frieden von Tausenden zerstören. Ein einziger Saboteur kann das Licht für Millionen zum Erlöschen bringen oder noch größeres Unheil anrichten. Doch kann er auch unwissentlich andere schädigen. Die Landwirte von Utah hatten nicht vor, die Fische in Schottland umzubringen. Der Nutznießer des Atomstroms beabsichtigt nicht, daß jemand anders deswegen an Leukämie erkrankt. Am allerwenigsten möchte er, daß er selbst das Opfer wird. Während wir physisch immer mehr aufeinander angewiesen sind, werden wir psychisch immer vereinsamter. Wir werden unseren ganzen Lebensstil zu ändern haben.
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4 In der Tretmühle der Technik
Die Futurologen führen uns vor Augen, wie in 50 Jahren die Menschen auf der Welt wie verrückt umherfliegen; doch sie schweigen wie eine Sphinx, wenn es um die hier angeschnittenen Fragen geht. Die Vorhersagen hören sich an, als seien sie Zukunftsromanen einer Jugendzeitschrift entnommen. Die Redaktion von <The Wall Street Journal> meint, daß sich das Leben in >Vierfamilienwohnungen< >automatisch< abspielen werde. Die Ernährung besteht danach hauptsächlich aus >Analog-Speisen<, die aus Sojabohnen hergestellt werden; und die Menschen werden in der Lage sein, sich mit allen nur vorstellbaren Vorschriften nahrungstechnischer, religiöser, ethnischer oder geographischer Art abzufinden.
Wer jedoch hartnäckig auf einem richtigen Essen besteht, für den werden automatische Küchen auf Mikrowellenherden nach Rezepten von der Lochkarte jede beliebige Speise zubereiten. »Selbstverständlich bleiben noch einige Probleme zu lösen. So gibt ein Mikrowellenherd der Speise nicht die gewohnte Färbung; ein gut gebratenes Steak sieht immer noch roh aus. Die Ernährungsexperten sind überzeugt, daß derlei Schwierigkeiten drastische Veränderungen in der Küche nicht verhindern werden.« Ein Sprecher von <Swift and Company> sagte mit sichtlichem Behagen: »Bis zum Jahre 2000 haben wir Pfanne und Kochtopf abgeschafft.«
Die <Foreign Policy Association> prophezeit für das Jahr 2018, daß »mehr Menschen an mehr Orte reisen werden«, obwohl der Wunsch dazu nur schwer verständlich sei, »da doch das Fernsehen die Welt mit elektronischer Kultur absättigt«. Wir werden aus dem tiefsten Dschungel nach Hause telefonieren können mit Hilfe von Satelliten, während 1000sitzige Überschallflugzeuge über unsere Köpfe hinwegdonnern. Die <Verhaltenstechnik> wird sicherstellen, daß wir diesen technischen Alptraum genießen, und die computermäßige Erfassung aller wird gewährleisten, daß niemand versagt.
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Was an diesen Zukunftsvisionen so erschüttert, ist der Ton eines unbegrenzten Optimismus, in dem sie verfaßt sind.
»Zu einem Computer kann man ein freundschaftliches Verhältnis haben, ein Lehrer hätte dazu keine Zeit«, sagt G. Callahan von der <American Telephone and Telegraph>. Man wird Straßen und Plätze hell erleuchten und »so die Verbrechensquote herunterdrücken«. (Ich möchte wetten, daß die Kriminalität dadurch gesteigert und nicht gesenkt wird.)
Der Patient wird von einem weitentfernten Arzt aus großer Distanz seine Depression diagnostiziert bekommen. »Bis zum Jahr 2000 wird man so ziemlich jede Tätigkeit elektronisch durchführen können, außer Händeschütteln oder das Küssen der Ehefrau.« (Letzteres ließe sich doch sicherlich auch ermöglichen?) Nur mit einer einzigen Bemerkung werden Zweifel angedeutet: »Die Reichen werden reicher und die Armen im Verhältnis dazu noch ärmer sein.« Oder ist vielleicht auch das ein Vorteil?
Wie viele Menschen glauben eigentlich im Ernst, daß ein solches Leben den Preis wert ist, ja selbst umsonst sich lohnen würde?
Als Teenager las ich diese Art von Zukunftsbeschreibungen mit Vergnügen und größter Begeisterung. Tempo, Spannung und Kraft sind allgemein die Träume eines Schuljungen. Mit fortschreitender Reife erkennt man, daß es sich hierbei nicht um segensreiche Träume, sondern um einen Alptraum handelt.
Unglücklicherweise sehnen sich noch immer manche Leute, und nicht nur solche mit geringer Intelligenz, nach diesen unmenschlichen Phantasiezuständen. Gerade wegen ihres starken Dranges zum Handeln erreichen sie vielfach Schlüsselpositionen in Industrie und Politik, wo sie auf die Verwirklichung ihrer Träume hinwirken können. Daß andere, wahrscheinlich die Mehrheit, eine solche Welt nicht wünschen, das zu glauben fällt ihnen schwer. Wieviel sind denn die Träume der Techniker bestenfalls wert?
Andre Maurois warnte: »Eine übervölkerte Erde wird Generationen mit geringer Intelligenz hervorbringen, denn für die Kultur bedarf es der Muße und der Ruhe; diese Güter sind jedoch verlorengegangen.« Ist das Weisheit oder Hysterie eines alten Mannes?
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Der Techniker würde wahrscheinlich das letztere sagen, da ihm nicht viel an Muße und Stille oder an einer Kultur im Sinne Mau-rois' liegt. Sein Irrtum besteht in dem Glauben, alle Menschen seien nach seiner Vorstellung geschaffen. Doch zeigten Studien über die Persönlichkeit, daß es viele Typen von Menschen gibt und viele Lebensstile, die alle, soweit man sich ein Urteil erlauben kann, gleichwertig sind. Manche Menschen leben gern ein Leben der Kontemplation, zurückgezogen von der Welt; manche ein Leben der Erfüllung und manche ein Leben des stillen Genießens. Der Techniker erwägt diese Möglichkeiten nicht ernsthaft.
Es gehört zu den gesichertsten Grunderkenntnissen der Ökonomie, daß man, je mehr man von einer Sache besitzt, desto weniger Befriedigung von weiterem Besitz erhält. Dies ist auch bekannt als das Gesetz der begrenzten Rückwirkung. Ein Auto kann das Leben seines Besitzers ziemlich verändern; das vierte Auto gibt ihm gerade noch die Möglichkeit zu wählen, ob er in der Limousine oder im Cabriolet fahren will. Eine Kruste Brot mag einen Menschen vor dem Verhungern retten,- iooo Brotkrusten wären nur ein Abfallproblem. Im Detail hat man diesen Mechanismus sehr wohl begriffen, doch hat man immer noch nicht erkannt, daß er auch auf die Gesamtheit der materiellen Güter anwendbar ist.
In den Anfangsstadien der Industrialisierung waren die Vorteile hinsichtlich der tatsächlichen Befriedigung groß. Fließendes Wasser und elektrisches Licht erleichtern das Leben beträchtlich. Ein Heim, ausreichende Kleidung sowie gutes Essen sind von grundlegender Bedeutung. Doch die Industriegesellschaften haben einen Punkt erreicht, wo die Mehrheit der Bevölkerung Güter zur Befriedigung von Scheinbedürfnissen konsumiert. Wir haben mehr Kleider als notwendig, wir wechseln die Kleidung, wenn die Mode sich ändert, und werfen die alten Kleider, lange bevor sie wirklich abgetragen sind, weg. Wir wissen, wie man Massenkonfektion produzieren kann, und wir passen uns an. Doch die Befriedigung dabei ist gering. Vielmehr fürchten wir als altmodisch verschrien zu werden, als daß wir wirklich Spaß daran hätten. Leute, die ein zurückgezogenes Leben führen, kümmern sich nur selten um Mode.
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Wie lange werden Menschen diesen Trend noch mitmachen? Bis zum Jahre 2020 soll das Einkommen in den USA um das Fünffache gestiegen sein. Ich für meinen Teil spüre kein Bedürfnis, das Fünffache meines derzeitigen Einkommens auszugeben. (Selbstverständlich könnte man das tun.)
Ein weiterer Grund, warum die Technik nicht in diesem Tempo weitermachen kann, liegt in der Begrenztheit der Weltrohstoffquellen. Die Bewohner Nordamerikas, etwa 7V2 Prozent der Weltbevölkerung, verbrauchen ungefähr die Hälfte der Grundrohstoffe der Erde. Im Jahre 2000 würden sie, wenn man es zulassen würde, alles selbst verbrauchen.
Wie Professor Preston Cloud dargelegt hat, besitzen die USA praktisch kein Mangan, Quecksilber, Chrom oder Zinn, und für ihre Aluminiumproduktion müssen sie den größten Teil des Bauxits einführen. Es wäre daher unmöglich, die gesamte Welt auf den gegenwärtigen amerikanischen Konsumstand zu bringen.
60 Milliarden Tonnen Stahl, 1 Milliarde Tonnen Blei, 700 Millionen Tonnen Zink und mehr als 50 Millionen Tonnen Zinn müßten laufend produziert werden, was etwa dem 200- bis 400fachen der derzeitigen Weltproduktion eines Jahres entspräche. Wenn überhaupt jemals, so ist eine derartige Produktionssteigerung sicherlich nicht bis zum Ende dieses Jahrhunderts möglich. Der Soziologe Philip M. Hauser meint, daß nach dem derzeitigen Lebensstandard der USA nur etwa eine halbe Milliarde Menschen auf der Erde leben könnten. Derweilen geht man in den Vereinigten Staaten weiter davon aus, daß der Lebensstandard noch um das Drei- oder gar Vierfache gesteigert werden kann. Viele Amerikaner erstreben die immer stärker urbanisierte Konsumgesellschaft nicht nur für sich, sondern möchten diese Verhältnisse auch auf die unterentwickelten Länder ausdehnen. Dies ist einfach Unsinn.
Die technisierte Gesellschaft mit ihren hohen Menschenzusam-menballungen ist nicht nur unmenschlich, sondern sie birgt auch Gefahren, wie der Stromausfall in New York gezeigt hat. Den Landbewohnern vor 50 Jahren konnte ein Schneesturm nichts anhaben; die moderne Stadtbevölkerung dagegen ist abhängig von der Versorgung mit Strom und Nahrungsmitteln, vom Funktionieren des Verkehrs, des Nachrichtenwesens, der Müllabfuhr und der Kanalisation.
Der Ausfall eines einzigen dieser öffentlichen Dienste für zwei Wochen würde bereits zu einer Krise führen; der totale Ausfall für vier Wochen wäre eine Katastrophe.
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Ich vermute, daß eine solche Zukunft nicht nur schwer erreichbar, sondern auch unmöglich sein wird, sofern wir nicht bereit sind, einen enormen Preis an gesundheitlichen Schäden, Komplikationen und Unannehmlichkeiten zu zahlen; wir würden damit gewaltige Risiken einer akuten Katastrophe auf uns nehmen. Bedenkt man das Glück der Menschen und die Bedingungen, die es garantieren, so ist dieser Preis unannehmbar.
Mehr und mehr erweist sich, daß das Leben in einer Gesellschaft, die darauf ausgerichtet ist, möglichst viel zu produzieren, der Mehrheit keine Befriedigung im elementaren Sinne des Wortes, also Glück, beschert. Daß so viele Menschen unglücklich sind, zeigt sich an der zunehmenden Zuflucht zu Alkohol und sexuellen Übersteigerungen, zu Drogen und anderen Rausch- und Betäubungsmitteln; die große Häufigkeit von Depressionen und die hohe Selbstmordrate zeugen ebenso von Mangel an Glück. Oft sind aktuelle Vorkommnisse die Ursache solcher Depressionen, doch ebenso oft liegt der Grund darin, daß die Menschen ihr ganzes Leben als unbefriedigend und frustrierend empfinden.
Für manche Leute ist es außerordentlich schwierig, sich klarzumachen, daß der Mensch neben den Alltagsbedürfnissen noch mehr zum Leben braucht. So findet man heutzutage in den wohlhabenden Ländern ein leidenschaftliches Interesse an nutzlosen Gegenständen, die jedoch mit geschickter und liebevoller Hand gemacht wurden,- dies reicht von alten Spinnrädern bis zu Modelleisenbahnen und Antiquitäten. Wenn aber irgend jemand den Vorschlag macht, den industriellen Fortschritt rückgängig zu machen, um das Handwerk neu zu beleben, wird er als unrealistischer Reaktionär angesehen.
In Ländern, wo noch ein Großteil der Menschen am Allernot-wendigsten Mangel leidet, ist es absurd, wenn man sich für eine absichtliche Verringerung der Effektivität der Industrie zugunsten einer besseren Sozialstruktur und einer größeren Befriedigung bei der Arbeit einsetzt. Ich möchte so etwas auch nicht vorschlagen.
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Ich meine nur, daß eine derartige Neubelebung sich in Ländern, die es sich leisten können, riesige Mengen von kümmerlichem Tand zu fabrizieren und aus bloßer Langeweile Dinge wegzuwerfen, lange bevor sie ausgedient haben, lohnen würde, um dem Leben einen Teil seiner elementaren Befriedigungen zurückzugeben.
Dies ist ein weites Feld, und ich bin an anderer Stelle {Conditions of Happiness, 1949) im Detail darauf eingegangen. Hier möchte ich nur darauf hinweisen, daß ein großer Teil an Frustration in der industriellen Entwicklung selbst begründet liegt, die inzwischen dahin gelangt ist, ihre riesige Organisation mehr nach den Gesichtspunkten technischer Effektivität als nach denen der Befriedigung für die arbeitenden Menschen auszurichten. Vor kurzem beschäftigte sich Professor Harold L. Wilensky von der Universität Berkeley in Kalifornien in einer Untersuchung mit diesen Fragen. Er kam zu dem Schluß, daß Menschen, deren Arbeit nur wenig persönlichen Einsatz erfordert, ein allgemeines Unbehagen in ihrer Freizeit empfinden und nur schwer mit dieser Freizeit etwas Vernünftiges anzufangen wissen. Im Gegensatz dazu sind Menschen mit anspruchsvollen Berufen auch in ihrer Freizeit schöpferisch tätig. Darüber hinaus bemerkte Wilensky, daß Menschen der ersten Gruppe geradezu besessene Fernsehzuschauer sind. Sie haben zwar ein schlechtes Gewissen dabei und würden gerne etwas anderes tun, doch »sie kommen einfach nicht von dem Kasten los«. Sie finden an dem meisten, was sie sehen, nicht einmal Gefallen. Die zweite Gruppe sieht zwar auch fern, wählt aber nach dem Programm aus und genießt dann auch, was sie sich anschaut. Ich bin ziemlich sicher, daß die Fernsehbesessenheit die Menschen davon abhalten soll, über die Nutzlosigkeit ihrer Existenz nachzudenken. Wilensky drückt es anders aus: Entfremdung bei der Arbeit bedeutet auch Entfremdung vom Leben. Beiläufig zeigt sich hier, wie falsch der allgemein verbreitete Glaube ist, daß dank verkürzter Arbeitszeit eine vermehrte Freizeit dem Menschen ein erfüllteres Leben bringen werde. In Wirklichkeit ist dies nur für jene der Fall, die ihr Leben bereits zu ihrer Zufriedenheit gestaltet haben.
4 Tretmühle 341
An anderer Stelle habe ich im einzelnen auseinandergesetzt (in <Hemmende Strukturen in der heutigen Industriegesellschaft>, 1969), daß die Industrie eine ganze Menge tun könnte, um die Arbeit interessanter zu machen: Sie würde dadurch die Produktivität eher steigern, da größere Arbeitsmotivation und weniger Streiks und Abwesenheit von der Arbeit die Folge wären. In einer Fabrik in England ließ man zwei Männer einmal am Tag ihre Arbeit tauschen; die Produktivität stieg dadurch um 12 Prozent; ließ man sie zweimal am Tag wechseln, betrug die Steigerung 17 Prozent.
Wir wollen hier nicht übertreiben. Nehmen wir einmal an, die Industrie könnte nur auf Kosten der Effektivität im engeren wirtschaftlichen Sinn so reorganisiert werden, daß die Menschen wieder soziale und persönliche Befriedigung finden. Im allgemeinen wird es wohl so sein, denn die Herstellung von alltäglichen Produkten geringer Qualität gibt wenig Befriedigung. (Es ist wohl kaum Zufall, daß Rolls-Royce weit weniger Streiks hat als Autofabriken mit Massenproduktion.) Würde sich eine solche Reorganisation nicht doch lohnen?
Die intuitive Erkenntnis einer solchen Möglichkeit ist meiner Ansicht nach Ursache für den Wunsch vieler Studenten, das ganze System umzustoßen. Dies verstehen sie unter Leistungszwang und nicht einfach nur den immerwährenden Kampf um Aufstieg und Fortkommen in vielen Zweigen des Wirtschaftslebens. Denn neben der physischen Umweltverschmutzung gibt es in der Industriegesellschaft auch eine >psychische Verschmutzung«.
Ein einfallsreicher Spielwarenproduzent aus New York verpackte vor kurzem Minitonbandgeräte mit einem kurzen Endlosband mit menschlichem Lachen in Papiertüten und verkaufte sie zu einem Preis von 4,50 Dollar. Zu seiner Freude und seinem nicht geringen Erstaunen bekam er Aufträge für eineinhalb Millionen Stück — die Zahl liegt heute fraglos weit darüber. So wurden in diesem Fall sage und schreibe 7 Millionen Dollar wenn nicht noch mehr zum Fenster hinausgeworfen. Dieser Spaß ist gewiß harmlos. Aber die Gesellschaft könnte auf solche Gags ebensogut verzichten,- ja sie wäre gut beraten, wenn sie statt dessen das Geld lieber in sauberere Luft, klareres Wasser, größere Waldflächen und dergleichen mehr investieren würde. Auch sollte man den inneren Frieden nicht dabei vergessen.
4 Tretmühle 342
In einer Gesellschaft, wie wir sie heute haben, ist es vollkommen legitim, sich für ein bißchen Spaß zu entscheiden, selbst wenn man das Geld besser für Zwecke größerer sozialer Dringlichkeit einsetzen würde. Doch gibt es einen Punkt, an dem wir nicht mehr als Individuen entscheiden können: die Verbesserung unserer Umwelt und eine befriedigendere Lebensweise.
Es liegt im Wesen der Industriegesellschaft, daß sie sich eines Tages selbst zerstört: Man kann nicht mit Mitteln, die selbst Unbehagen schaffen, immer mehr Güter produzieren und glauben, daß diese Güter Zufriedenheit bringen werden. Kein Mensch weiß, wie man sich aus dieser Entwicklung heraushalten kann. Man muß Werbung betreiben und sich immer neue Moderichtungen ausdenken, damit der Konsum der Produktion auch gesichert bleibt. Werbeagenten verteidigen ihre Tätigkeit wortreich: Wir müssen neue Märkte erschließen, um Arbeitslosigkeit zu verhindern. So kommen wir dahin, zu konsumieren, damit wir produzieren können, statt umgekehrt. Das bezeichne ich als die Tretmühle der Technik, denn wir scheinen nicht in der Lage zu sein, uns daraus zu befreien; doch eigentlich gleicht sie eher einer Rolltreppe, die schneller nach unten fährt, als wir die Stufen hinaufsteigen können; irgendwann werden wir abgeworfen werden.
Diesen vielfach diskutierten Gedanken möchte ich hier nicht weiter verfolgen. Vielmehr geht es mir darum, aufzuzeigen, inwiefern im Grunde alles mit dem Umweltproblem zusammenhängt. Um dieses zu lösen, bedarf es nicht nur einer drastischen Reduzierung der Bevölkerung, sondern einer ebenso drastischen Reduzierung der industriellen Fortentwicklung.
Der Grund, warum Regierungen das Umweltproblem nicht wirkungsvoll anzupacken vermögen, liegt darin, daß weder die Regierungen noch die Bevölkerung, die sie vertreten, die Notwendigkeit solch drastischer Umorganisation verstehen oder akzeptieren. Der Grund, warum viele Studenten die heutige Gesellschaft revolutionieren möchten, resultiert gerade aus diesem Versagen.
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5 Die Anwälte der Technik
Wenn man auf die Notwendigkeit einer Neuorganisation nach dem Muster einer vorindustriellen Gesellschaftsstruktur zur Wiederherstellung <klassischer Zufriedenheit> hinweist, wird man oft als Gegner der Technik und Luddist* angeklagt. Doch darum geht es nicht. Eine sozialer strukturierte Gesellschaft könnte und müßte natürlich vom technischen Fortschritt Gebrauch machen.
In meiner Jugend lebte ich in Schottland ohne elektrisches Licht und einige Zeit auch ohne fließendes Wasser. Ich weiß es noch heute zu schätzen, daß ich das Wasser in kalten Nächten nicht mehr selbst hochpumpen und die Lampen nicht immer wieder auffüllen und säubern muß. Ich finde nur, daß man sich der Technik mit kritischem Verstand und mit Maßen bedienen sollte, so wie David Brower es gesagt hat: »Von nun an genügt es nicht mehr, nur zu fragen, ob der Mensch etwas Bestimmtes machen kann; sondern wir müssen fragen, ob er es überhaupt machen soll.«
Der Physiker und Nobelpreisträger Murray Gell-Mann wies jüngst auf den gleichen Punkt hin. Auf einem Symposium, das mit Unterstützung des John-Muir-Institutes für Umweltprobleme in San Francisco veranstaltet wurde, bezeichnete er die Möglichkeit des Menschen, die Umwelt dank seiner Technik zu zerstören, als einen der drei Faktoren dieses Problemkreises. Er sagte unter anderem:
»Bis jetzt war es wohl immer so, daß die meisten Dinge, die technisch möglich waren, auch gemacht wurden ... Ganz gewiß darf und kann das in Zukunft nicht mehr so sein. In dem Maße, in dem unsere Fähigkeiten in jeder Hinsicht wachsen und in dem auch die Maßstäbe selbst immer riesiger werden — in vielen Fällen haben wir bereits planetarische Größenordnungen erreicht —, in dem Maße werden wir versuchen müssen, unsere Möglichkeiten zu einem immer kleiner werdenden Bruchteil auszuschöpfen. Ein wesentliches Element unserer Planung wird daher künftig die richtige Auswahl sein müssen ... Stellen wir uns vor, kein Überschallflugzeug würde mit Überschallgeschwindigkeit Land überfliegen, so wäre dies ein Beispiel dafür, daß wir etwas tun können und es aus Gründen der Umwelterhaltung doch nicht tun. Wenn es überhaupt keine Überschallflugzeuge gäbe, so wäre dies vielleicht noch besser.«
* Die Luddisten waren eine organisierte Gruppe, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Nottingham und Umgebung Textilmaschinen stürmten.
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Nachdem man mich vor zwanzig Jahren auf Grund solcher Vorschläge ausgelacht hatte, freue ich mich über die neue gewichtige Unterstützung. Doch wir neigen immer noch zu der Ansicht, daß, wenn der >Lebensstandard< in den Vereinigten Staaten dreißigmal höher ist als der in Bengalen, die Amerikaner auch dreißigmal glücklicher sind als die Bengalesen.
W. H. Ferry, der 10 Jahre lang Vizepräsident des Zentrums für das Studium demokratischer Einrichtungen in Santa Barbara war, ging so weit, für technische Neuerungen ein zweijähriges Moratorium sowie die Schaffung eines Bundesamtes für Ökologie zu fordern.
Auch der Luddismus ist nicht einmal so schlecht, wie er immer dargestellt wird. Man verwendet diesen Ausdruck, als ob man die damit verbundenen Vorwürfe nicht näher begründen müßte. Wer diesen Ausdruck verwendet, meint damit Kurzsichtigkeit, Phantasielosigkeit und Naivität. Doch es ist das Recht eines jeden, sich auch für ein einfaches Leben zu entscheiden. Als Lord Leverhulme sich anschickte, in Stornoway eine Fischräucherei zu errichten, um den dort ansässigen Kleinbauern Arbeit zu verschaffen, hielten diese eine Versammlung ab; der Sprecher der Inselbewohner lehnte das Angebot freundlich ab und legte dar, daß sie das Leben im alten Stile, ein Leben in Freiheit mit geringem Einkommen, einem Leben in Wohlstand, der auf Knechtschaft beruht, vorziehen würden. Hatten sie wirklich unrecht?
Immer wieder wird behauptet, daß das alles unrealistisch sei; das Rad der Geschichte lasse sich nicht zurückdrehen. Das stimmt in der Tat. Niemand möchte zum Beispiel auf Antibiotika oder Anästhetika verzichten. Doch das heißt nicht, daß man die Vorteile der Vergangenheit nicht mit den Vorteilen der Technik verbinden sollte. Dabei wird häufig unterstellt, daß man sich mit dem Hinweis auf die Vergangenheit eine <exakte Reproduktion der Vergangenheit> wünsche, die bis in alle Einzelheiten gehen müsse.
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Der Vorschlag, daß man die Wünsche und die Entwicklung der Technik irgendwie einschränken solle, ruft immer wieder Kritik und starke Widerstände hervor. Die Opposition kommt zumeist aus den Reihen der Naturwissenschaftler und der Techniker selbst. Ihre Kommentare sind gewöhnlich heftig und entrüstet und nicht immer vernünftig. Sie schreien, wir sollten mit Nachdruck weitermachen und uns darauf verlassen, daß die Technik ihre eigenen Probleme schon irgendwie selbst lösen wird.
Doch man sollte einmal der Frage nachgehen, warum die Anwälte der Technik sich so stark emotionell engagieren. Die Antwort wird, so meine ich, wie folgt ausfallen. Es ist immer wieder gesagt worden, und Sir Peter Medawar hat es in seinem Essay über <Die Durchsetzung aller Möglichkeiten> erneut dargelegt: Der Zusammenbruch des mittelalterlichen Glaubens an die göttliche Ordnung führte zu einem moralischen Vakuum, in welchem alles sinnlos war und der Mensch nicht mehr darstellte als eine Null. Daraus entsprang ein Gefühl der Verzweiflung.
Dieser Zusammenbruch wurde durch den Aufstieg des Rationalismus gebannt; die Vernunft war damit nicht nur notwendig, sie genügte auch als Legitimation. Die begeisternde Aufgabe des Menschen bestand in dem Versuch, den Kosmos zu verstehen; seine persönliche Würde ergab sich aus seinen glänzenden Erfolgen in dieser Richtung. So nahmen der Rationalismus im allgemeinen und die Naturwissenschaft im besonderen den bisherigen Platz der Religion ein — oder, wenn man die Religion als einen Mythos definieren möchte, der dem Leben des Menschen einen Sinn verleiht, dann war die Naturwissenschaft Religion. Später kam zu dieser Vorstellung noch der Gedanke, daß der Rationalismus das irdische Los des Menschen bessern würde. Der Glaube der Kommunisten an die unbeschränkte Macht des Menschen, sich seine Umwelt zu formen, stellt lediglich eine weiterreichende Neufassung des Optimismus der Weltverbesserer des 19. Jahrhunderts dar.
Heute ist der Glaube an die Religion noch weiter geschwunden, nicht zuletzt unter Naturwissenschaftlern, während sich das Gefühl menschlicher Ohnmacht und Nichtigkeit verstärkt hat. Die Verrücktheiten und Grausamkeiten des Menschen versteht man heutzutage besser; Bildung und steigender Lebensstandard haben keine neue Rasse von freundlichen und vernünftigen Menschen geschaffen, wie der Rationalismus erwartet hatte.
5 Anwälte 346
Das Sozialgefüge ist unstabiler geworden. So wurde es immer notwendiger, an die geistige Aufgabe des Menschen zu glauben und an die Gewißheit, daß er ein besseres Leben auf Erden ermöglichen werde. Der Optimist kann seinen Glauben nicht fahrenlassen, ohne auch seinen Optimismus aufzugeben und in Verzweiflung zu fallen. Darüber hinaus möchte niemand in einem chaotischen System leben. Die Naturwissenschaft liefert mit ihrem geistigen System einen festen Bezugsrahmen, in welchen sich alle Erscheinungen einordnen lassen. (Daraus erklärt sich auch die Neigung vieler Naturwissenschaftler zur Vereinfachung und ihr Horror vor allem, was nach Aberglauben riecht.)
Professor Manfred Stanley von der Universität von Syracuse hat dies den >technizistischen Standpunkt< genannt. Er spiegelt den Wunsch nach Ordnung um ihrer selbst willen wider und wird heute als einzige Basis für eine Verständigung angesehen. Wie Stanley ausführt, wird dieses Phänomen von technikgläubigen Optimisten genau entgegengesetzt interpretiert als von den Pessimisten, die in der rationalistischen Doktrin nichts anderes als ein Hilfsmittel sehen, Individuen in riesigen Organisationen zusammenzuhalten, die allein zur Erhaltung des Systems dienen. Menschen werden so zu Werkzeugen verkrüppelt, zu Werkzeugen der Systemerhaltung.
Diese Verkrüppelung des Menschen tritt häufig unverhohlen zutage, etwa wenn Werbeleute davon reden, daß neue Märkte geschaffen werden müssen, damit die Produktion auch abgesetzt werden kann. Ähnlich erwartet man in sozialistischen Staaten, daß die Bedürfnisse des Volkes sich nach denen der Bürokratien zu richten hätten und nicht umgekehrt.
Stanley verweist auf vier verschiedene Erscheinungen, die gleichermaßen positiv und negativ ausgelegt werden können. So bedeutet die aus verschiedenartigen Gruppen zusammengesetzte pluralistische Gesellschaft für den Optimisten erhöhte Spontaneität und die Möglichkeit für jeden, sich sein Milieu auszusuchen. Der Pessimist sieht darin Stammesrivalitäten und Sektiererei. Der Optimist meint, daß das menschliche Verlangen nach Gemeinschaft durch die Existenz eines alle umfassenden, auf Informationsaustausch basierenden Humanismus befriedigt werden kann.
5 Die Anwälte 347
Der Pessimist wiederum sagt, daß durch Propaganda für ehrfurchtheischende Symbole und Abstraktionen ein falsches Gemeinschaftsgefühl hervorgerufen werde und daß die gesellschaftliche Organisation einem kybernetischen System gleiche, in welchem die Menschen zu hilflosen Einrichtungen degradiert seien.
Schließlich hoffen die Optimisten, daß die sozialen Probleme durch maßgeschneiderte Techniken angegangen werden können. Der Pessimist wiederum fürchtet, sofern er überhaupt technische Lösungen für möglich hält, daß diese von einer elitären Gruppe von Technokraten dem Volk auferlegt werden, das weder an den Entscheidungen teilnehmen noch diese verstehen kann.
Medawar zählt sich eindeutig zu den Optimisten; er sieht in dem gegenwärtigen Unbehagen an der Technik nicht das Ergebnis eines Zusammenbruchs des Mythos Technik, sondern nur das Zeichen einer temporären Schwäche. »Die Beeinträchtigung der Umwelt durch die Technik ist ein technologisches Problem; die Technik hat dafür Lösungen gefunden, sie findet derzeit Lösungen, und sie wird weiter Lösungen finden.«
Bedauerlicherweise wird die Technik neben der Entdeckung solcher Lösungen auch neue Probleme schaffen. Die entscheidende Frage ist, ob Lösungen ebenso schnell gefunden werden können, wie Probleme geschaffen werden, und wie groß der zeitliche Abstand zwischen beiden ist. Es könnte sein, daß wir alle schon tot sind, bis der Technik etwas gegen die Strahlung eingefallen ist. Gleichermaßen entscheidend ist es, daß man sich der Mittel auch bedient. Ich habe bereits die Gründe dargelegt, warum die Reaktion der Politiker völlig unangemessen sein könnte. Das fragwürdige Argument, die >Technik ziehe sich an den eigenen Haaren wieder heraus<, schiebt den Schwarzen Peter notwendig den Politikern zu. Dies ist ein weiteres Beispiel für die Flucht vor der Verantwortung, auf die ich am Anfang des Kapitels schon eingegangen bin.
Medawar scheint selbst einige unausgesprochene Zweifel zu hegen, denn er bietet daneben noch die hoffnungsvolle Alternative an, daß der Mensch ja Zehntausende von Jahren hätte, um sich von irgendwelchen Irrtümern zu erholen. Für den römischen Bürger, der aus der geplünderten Stadt fliehen mußte, wäre es ein schwacher Trost gewesen, wenn er gewußt hätte, daß tausend Jahre später eine neue vergleichbare Zivilisation auf den Ruinen der alten errichtet sein würde. Diese Aussicht hätte ihn kaum davon abgehalten, bei Gelegenheit nicht doch einen Goten oder Hunnen umzubringen.
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6 Die Liebe zur Natur
Die gegenwärtige Begeisterung für die Umweltkontrolle hat die Interessen zahlreicher unterschiedlicher Gruppen von den Fischern bis zu den Hypochondern vereinigt; zu ihnen zählen auch die Naturschützer. Doch muß man sich im klaren sein, daß der Naturschutz nur ein Einzelgebiet im weiten Feld der Umweltkontrolle darstellt. Ich schränke hier die Bedeutung des Ausdrucks <Naturschutz> ein auf die Erhaltung unberührter Gebiete und ökologischer Systeme; weiter unten werde ich auf diese Definition detaillierter eingehen.
Die Erhaltung der Landschaft ist jedoch weit schwieriger an den Mann zu bringen als der Kampf gegen die Umweltverschmutzung. Viele Leute mögen keine schmutzigen Abfallhaufen, einfach deshalb, weil sie ihnen eklig sind. Viele Leute sind gegen verdreckte Flüsse, in denen man weder schwimmen noch fischen kann und die stinken. Jedermann ist gegen Dämpfe, die in den Augen schmerzen, und jedermann ist gegen Abfälle, die die Gesundheit bedrohen. Doch die gleichen Leute rührt es kaum, wenn sie hören, daß in einem entlegenen Tal, das sie vielleicht nie besuchen werden, ein Staudamm gebaut wird; es kümmert sie kaum, wenn eine Pflanzen- oder Tierart ausgerottet oder eine vortechnische menschliche Kultur vernichtet wird.
Wie ich in Kapitel 10 auseinandergesetzt habe, beruht das tiefe Gefühl des Einsseins mit der Landschaft und mit allen Lebewesen, das so viele Dichter und Schriftsteller und orientalische wie christliche Mystiker beschrieben haben, auf einem psychologischen Vorgang, in welchem das Ich, das Bewußtsein des eigenen Selbst, sich auflöst. Okkulte Lehren des Orients und die daraus entstandene westliche Mystik sehen den Ursprung des Individuums in einem göttlichen Urgrund, dem Atman.
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Durch die Mauern seines Ich ist der Mensch davon ausgeklammert; mit dem Tod verschwinden diese Mauern, der einzelne verliert seine Individualität und geht wieder in der letzten Wirklichkeit auf. So gesehen, ist das mystische Naturerlebnis von höchster Religiosität, es kommt etwa den Erfahrungen eines Plotin und eines Heiligen Johannes vom Kreuz gleich. Im Gegensatz dazu ist der Puritaner stark individualistisch ausgerichtet; er fühlt sich von Gott verstoßen und fern von ihm und versucht, durch ein frommes Leben wieder angenommen zu werden.
Ich weiß nicht, wie weit heute noch mystische Naturerlebnisse dieser Art verbreitet sind. Doch vermute ich, daß sie in der modernen Welt in der Minderheit, in weniger hochentwickelten Ländern jedoch häufiger anzutreffen sind. Der Animalismus der Primitiven gibt dem Gefühl Ausdruck, daß Pflanzen und die unbeseelte Natur bis zu einem gewissen Grade dem Menschen gleichwertig sind. Der moderne Rationalismus hat dieses Gefühl ausgerottet. Eine durch die Technik geprägte Gesellschaft wird sich weder auf jenen Erfahrungsbereich zurückbesinnen noch bereit sein, ihn anzuerkennen. Was wir bisher in unterentwickelten Ländern, die jetzt allmählich industrialisiert werden, gesehen haben, läßt vermuten, daß diese nur allzu leicht Appetit auf billige Oberflächlichkeiten entwickeln.
Doch mag es sein, daß jeder Mensch die Fähigkeit zur Naturerfahrung in sich trägt, die allein durch Erziehung oder die frühen, das eigene Ich formenden Erfahrungen verlorengegangen ist. In diesem Fall könnte eines Tages ein allgemeines Verlangen nach einer Erneuerung unserer Beziehung zur Natur aufkommen. Sollte dann jedoch die Natur bereits zerstört sein, wäre etwas Unverzeihliches geschehen.
Noch eines ergibt sich daraus: Wenn alle Dinge Ausdruck einer universalen Wirklichkeit oder eines Atman sind, dann sind sie alle gleichwertig und haben alle gleichermaßen das Recht auf Existenz und Anerkennung. Genau dies ist die Haltung des animalistischen <Wilden> (wie wir ihn zu nennen belieben). Wenn er einen Baum fällen muß, entschuldigt er sich bei diesem und pflanzt darüber hinaus zum Ersatz einen neuen. Tabus verhindern die übermäßige und verschwenderische Ausbeutung wichtiger Ressourcen, besonders des Wildbestandes; das gängigste Schlacht- oder Jagdtier ist normalerweise gleichzeitig auch das Totemtier. Der <Wilde> sieht sich in einer ununterbrochenen Beziehung zur Natur.
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Der Mensch der Moderne meint dagegen, daß die Natur zu seiner Verfügung da sei. Er erhebt den Anspruch, sie zu <beherrschen>, <auszubeuten> oder zu <zähmen>. Er spricht von <Naturschätzen>, als ob Öl und Metalle nur zu seinem Gebrauch da wären. Verschiedene Autoritäten haben jüngst dargelegt, daß die Erhaltung der Natur nur dann möglich sei, wenn der Mensch diese arrogante Haltung aufgebe und sich als einen Teil der Natur erkenne. Diese Haltung ist eine Form des Anthropozentrismus: Genau so wie einst der Mensch glaubte, daß die Erde Mittelpunkt des Universums im physikalischen Sinne des Wortes sei, so fühlt er sich heute als Mittelpunkt im soziologischen Sinne.
Das mittelalterliche Christentum hat in beachtlichem Maße zu dieser Vorstellung beigetragen. Gott gab dem Menschen die Herrschaft über »die Fische des Meeres, über die Adler in den Lüften, über das Vieh, die ganze Erde und über alles, was auf der Erde fleucht und kreucht«. Meiner Ansicht nach ist nicht das Christentum schuld an dieser Entwicklung; die Bibel lieferte nur bequeme Argumente, um ein Verhalten zu rechtfertigen, das in der Persönlichkeitsstruktur des Puritaners begründet liegt. Wie üblich findet man in der Bibel auch entgegengesetzte Argumente: »Die Erde ist des Herrn«, und des Menschen Pflicht ist es, sein Eigentum zu schützen, das er nur zum Lehen hat. Der Puritaner ignorierte diesen Standpunkt lieber.
Einer der größten Radikalen in der Geschichte der Christenheit war der Heilige Franz von Assisi; er verwarf die Vorstellung von der Ameise als einem Beispiel für den Faulenzer ebenso wie das Symbol der Flammen für das Streben der Seele nach Gott. Für ihn »preisen Bruder Ameise und Schwester Feuer den Schöpfer in ihrer eigenen Art genauso, wie es der Mensch auf die seine tut«. Der heilige Bonaventura, Staatsmann und Kirchenfürst, der die Lehren des Heiligen Franz übernahm und durchzusetzen versuchte, sowie spätere Interpreten erklärten, daß er den Vögeln gepredigt habe, um die Menschen zu tadeln, die nicht hören wollten. Doch dem war nicht so: Er »hieß die kleinen Vögel Gott loben, und sie waren ganz hingerissen, vor Freude schlugen sie mit ihren Flügeln und zwitscherten«. Professor Lynn White von der Universität von Kalifornien, den ich hier zitiere, schlug vor, den Heiligen Franz zum Schutzpatron der Ökologen zu machen.
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Was immer die Rolle des Christentums gewesen sein mag, ganz sicher ist, daß wir die militärisch-aggressive Haltung der Natur gegenüber aufgeben und lernen müssen, etwas demütiger zu werden. »Ich kann mich an Geschichten in meiner frühen Jugend erinnern«, schrieb Sherwood Anderson seinem Freund Waldo Frank vor vielen Jahren, »die meinen Glauben bestärkten, daß früher ein tiefer, halbreligiöser Einfluß die Menschen formte. ... Und ich kann mich an alte Genossen in meiner Heimatstadt erinnern, die gerührt von einem Abend erzählten, den sie in der großen weiten Ebene verbracht hatten. Das machte ihre Stimme ganz sanft; sie hatten den Reiz der Stille kennengelernt.« Stewart Udall zitiert diese Worte und meint dazu: »Ein halbes Jahrhundert danach haben wir den Reiz der Stille vergessen und vollkommen verloren.«
Die Erhaltung der Natur hängt in erster Linie von unserer Bereitschaft ab, unsere Politik der Ausbeutung durch eine Politik des Zusammenlebens zu ersetzen. Der große Ökologe Charles Elton hat drei Gründe für die Erhaltung der Natur aufgezählt: einmal, das System der Natur ist interessant und selbst schon eine Quelle der Freude; zweitens ist der Naturschutz aus praktischen Gründen wichtig; und drittens — bei Elton steht dieses Motiv an erster Stelle — gibt es religiöse Gründe: andere Lebewesen haben auch ein Existenzrecht, und wir haben nicht das Recht, sie zu verfolgen oder zu vernichten.
Albert Schweitzer sagte einmal, daß der große Fehler aller Ethiken bis zum heutigen Tag darin liege, daß sie meinten, sie hätten sich nur mit dem Verhältnis von Mensch zu Mensch zu beschäftigen. Er hätte allerdings seine Anklage auf die Ethiken der westlichen Welt beschränken müssen, denn einige orientalische Religionen, zum Beispiel die Jainas, halten an dem Recht der Tiere auf Leben, selbst wenn es nur Insekten sind, fest. In vielen Kreisen hat man das noch immer nicht kapiert. Nach Elton besteht die Aufgabe des Naturschutzes darin, daß »der Mensch in kluger Weise mit der Natur zusammenlebt, selbst wenn dazu ein etwas veränderter Mensch und eine etwas veränderte Natur nötig sind«.
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Man hat der Natur weniger und nicht immer mehr Gewalt anzutun; man sollte die Natur einen Teil der Arbeit vollbringen lassen, an der sich Ingenieure, Chemiker und angewandte Biologen mit wahnsinnigem Eifer versuchen. Wir alle nehmen allzu leicht hin, daß wir uns beispielsweise zwischen einer ertragreichen Landwirtschaft und einer ästhetisch schönen Landschaft zu entscheiden hätten. Doch behaupten Experten, daß dies keineswegs der Fall sei.
Wenn die Gesellschaft nur wollte, könnte man zumindest derartige Vorschläge diskutieren und prüfen. Doch es sieht nicht danach aus, als ob in dieser Richtung etwas geschehen würde; statt dessen verteidigen die Wissenschaftler mit ihren Schriften <die Rechte des Menschen> gegen die Rechte der Natur. Doch hier geht es weniger um eine praktische als um eine moralische Frage.
7 Die dreifache Krise
Alles in allem befindet sich der Mensch in einer dreifachen Krise. Erstens stehen wir in einer Krise unseres gesamten Wertsystems; zwei Haltungen stehen sich diametral gegenüber, wenn es darum geht, wie der Mensch leben sollte. Bis heute sah es danach aus, als ob sich der materialistische Standpunkt, der gleichermaßen von den Parteien der Rechten wie der Linken gestützt wird, durchsetzen würde.
Doch deutet sich plötzlich an, daß der materialistische Standpunkt nicht siegen kann. Die Alternative heißt nur noch, sich bei den Errungenschaften auf eine kluge Auswahl zu beschränken und diese zur Bereicherung des menschlichen Daseins zu verwenden oder Selbstmord zu begehen. Das Gefühl der Verzweiflung und der Ohnmacht, das heutzutage viele Menschen befällt, hängt eng damit zusammen, daß alle Parteien in den westlichen Ländern dem Materialismus gleichermaßen verfallen sind.
Wie der Lemming sieht auch der Mensch nur das ferne Ufer des Flusses. Er ist nicht zum Selbstmord aufgelegt. Doch ist er klug genug, umzukehren?
Die Geschichte lehrt uns jedoch, daß der Mensch niemals Katastrophen vermeidet; er verbringt seine Zeit gerade damit, sich von ihnen wieder zu erholen. Zweifelsohne wird sich die Geschichte auch künftig wiederholen.
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Zum zweiten befinden wir uns in einer Krise hinsichtlich der Zusammenarbeit. Ein britischer Beobachter sagte es kürzlich so:
»Wie verrückt kann die Welt eigentlich noch werden? Wären die Menschen vernünftig, so würden sie sich doch nicht die Bedingungen dazu schaffen, daß ihre eigene Nahrung und ihr Wasser vergiftet, daß ihre eigenen Kinder verletzt oder gar umgebracht werden und daß die gesamte Umwelt in jeder Hinsicht immer unansehnlicher wird. Dies alles geschieht dabei nicht etwa durch Fehler, sondern mit voller Absicht dank des sogenannten Fortschrittes. - Gewiß, mancher hat es eilig, um zu seinem Wochenendhobby, etwa der Gartenarbeit, zu kommen. Aber er würde deshalb nicht gleich seine Kinder umrennen. Oder man stelle sich vor, daß man durch übermäßiges Düngen des Krautbeetes das eigene Trinkwasser verschmutzt; man würde deshalb nicht gleich ein Forschungsprogramm zur Bekämpfung dieser Gefahr starten, sondern man würde weniger düngen, weniger Kohl ernten und sich lieber ein wenig mehr ausruhen.«
Die Crux liegt darin, daß die Gesellschaft zu groß und daher zu unpersönlich und zerrissen ist. Eine effektive Regulierung ist nicht möglich. Alfred Korzybski, der sich sein Leben lang mit dieser Frage beschäftigt hat, wies darauf hin, daß bei einer Verdoppelung bürokratischer Maßnahmen für den einzelnen sich für diesen die Probleme mit den Bürokratien um ein Vielfaches multiplizieren würden. Die Zahl der möglichen Beziehungen zwischen fünf Individuen und einem Beamten ist hundert; bei zehn Menschen beträgt die entsprechende Zahl 5210.
Letztlich handelt es sich hier um eine Krise der Verantwortlichkeit.
Der Mensch steht an einem Wendepunkt in seiner Geschichte. Bis jetzt lebte er in einer Umgebung, die sich selbst optimal regulierte. Natürliche Vorgänge versorgten ihn mit Sauerstoff und Wasser, sie stellten ihm fruchtbaren Boden, Raum für Bewegungsfreiheit und sogar ästhetische Genüsse; um all das brauchte er sich selbst nicht zu kümmern.
Nun ist er an einem Punkt angelangt, wo diese autonomen natürlichen Prozesse seine Wünsche nicht mehr befriedigen können. Es stellt sich ihm nicht länger die Frage, ob er kontrollierend eingreifen will oder nicht, er ist dazu gezwungen. In Zukunft wird er zu entscheiden haben, wie warm oder wie kalt er sich das Klima wünscht, wie sauber das Wasser und die Luft, wie fruchtbar der Boden und wie hoch die Krankheits- und Sterblichkeitsziffern sein sollen und vieles andere mehr.
Diese Verantwortung ist schwer. Es ist keineswegs klar, ob der Mensch das Wissen und die politische Vernunft besitzt, seine Macht sachgemäß einzusetzen, so daß die Menschen ein mindestens ebenso erfülltes Leben leben können wie unter den früheren Verhältnissen. Es ist in der Tat nicht ausgeschlossen, daß er seine Möglichkeiten falsch ausnützt und eine Katastrophe heraufbeschwört.
Nur wer ein ganz naives Vertrauen in die menschliche Natur besitzt, wird sich lieber auf des Menschen Vernunft als auf das langbewährte, sich selbst optimierende System verlassen, das die Entwicklung des Lebens möglich gemacht hat.
Wenn der Mensch jedoch alles zugrunde gerichtet hat, dann wird wenigstens niemand mehr dasein, der sagen könnte: »Ich hab's ja gesagt.«
Es geht um die Zukunft der gesamten Menschheit.
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Ende
Das Selbstmordprogramm (1970) The Doomsdaybook: Can the world survive?