10 - Finanzkatastrophen
Es gibt kein raffinierteres Mittel, die Grundlagen einer bestehenden Wirtschaft zu erschüttern, als die Korrumpierung der Währung. (-Keynes, Economic Consequences of the Peace-)
1 Inflationäre Zukunft
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Die Inflation geht rund um die Welt und wird immer bedrohlicher. Die 10% Währungsverfall, die Westeuropa in einem Jahr hinnehmen mußte, sind schlimm genug. Während ich dies niederschreibe, liegt die Inflationsrate der USA bei 16%. Japan, das wirtschaftliche Wunderland, meldet einen allgemeinen Preisanstieg von 23%. Auf der europäischen Liste liegt Italien mit 25% in Führung. In der Dritten Welt zerfrißt der Preisanstieg alle Entwicklungspläne, vor allem in Indien, Pakistan und Vietnam, wo jährliche Preissteigerungen von 65% erfolgt sind.
In einigen Ländern Südamerikas haben die Preissteigerungen die 1000%-Grenze überschritten und sind schon gar nicht mehr genau festzustellen. (Diese Zahlen werden natürlich bereits von noch ungünstigeren überholt sein, ehe dieses Buch in den Druck geht.) Das ist nicht mehr die Art von Inflation, wie wir sie aus den 1950er und 1960er Jahren kennen. Dies ist eine weltweite Inflation, die sich über alle Länder erstreckt. Versuche, sie zu stoppen, könnten einen weltweiten Zusammenbruch herbeiführen.
Früher oder später brennt jede Inflation in einer Wirtschaftskrise aus, und eine massive, weltweite Inflation brennt eben in einer massiven, die ganze Welt betreffenden Wirtschaftskrise aus. Wenn es so weitergeht wie bisher, dann könnte bis zum Ende unseres Jahrhunderts eine solche Dauerbelastung die westliche Gesellschaft zum Zusammenbruch zwingen.
Die Geschichte lehrt uns stets, daß eine nicht unter Kontrolle zu bringende Inflation zur politischen Katastrophe führt. Daher haben wir die Inflation nach der gegenwärtigen zu fürchten. Es gibt unter uns noch Zeugen der verheerenden deutschen Inflation von 1923, als die Mark jede halbe Stunde um die Hälfte ihres Wertes verfiel und die Menschen ihre Löhne in Aktentaschen abholten, in denen die Scheinbündel schon fast wertlos geworden waren, ehe sie noch die Geschäfte erreichten.
Am 20. November jenes Jahres erreichte die Mark, die 1914 noch 4,20 Dollar wert gewesen war, einen Gegenwert von 4,2 Billionen (1012) pro Dollar. Die Bankrotte häuften sich. Die Arbeitslosigkeit erreichte ein unerhörtes Ausmaß. Der Kommunismus nahm an Einfluß rapide zu. Es kam zu Aufständen. In ihrer Verzweiflung sahen sich die Leute nach einem Führer um, der ihnen die Wiederherstellung der Ordnung versprechen konnte — und dies dann auch tat. Dadurch war weiß Gott bewiesen, daß Inflation behoben werden könne, was den verzweifelten Ausruf John Dunlops Lügen straft, der an der Spitze des amerikanischen <Cost of Living Council> bekannt hatte: «Ich glaube nicht, daß heute zweifelsfrei behauptet werden kann, die Menschheit wisse, wie man mit der Inflation zu Rande kommt.»
Eine Inflation wie die von 1923 ist unwahrscheinlich — keine Regierung, die weiß, was heute über diese Prozesse bekannt ist, würde so unbedenklich die Notenpressen betätigen wie damals die Deutschen. Aber eine Inflation, die das Geld in absehbarer Zeit um die Hälfte entwertet, ist schon schlimm genug. Wenn man darstellen will, was zu ihrer Verhinderung not tut, muß man sich ins Feld der Wirtschaftswissenschaften vorwagen, denn dieser Fragenkomplex ist mit schweren Mißverständnissen vorbelastet. Wer auf die Radikalkur der Diktatur nicht versessen ist, dem sollten die grundsätzlichen Ablaufmechanismen vertraut sein, damit sich dann auch die nötigen Maßnahmen treffen lassen. Dies gilt vor allem für Großbritannien und Italien, wo der Zusammenbruch mit größter Wahrscheinlichkeit seinen Anfang nehmen wird.
Es hat in der Weltgeschichte bereits eine Reihe von Inflationen gegeben, aber die gegenwärtige ist insofern ein Novum, als von ihr alle Staaten der Welt ergriffen sind. Ganz klar sollte sein, daß gegenwärtig die Inflation nicht als das Ergebnis von Fehlplanungen einer einzelnen Regierung verstanden werden kann. Alle Länder spüren, daß diese Inflation an Tempo gewinnt. In Italien war es 1969 losgegangen. Bis zu diesem Jahr hatte Italien eine der niedrigsten Inflationsraten in Europa. Dann kam es zu einer Reihe von Lohnerhöhungen, verbunden mit Regierungsausgaben, und die Preise stiegen um 20% pro Jahr. Bis Februar betrug die Steigerung 12% in 12 Monaten. In Amerika begann der Währungsverfall unter Präsident Lyndon Johnson, der die Steuern nicht hoch genug angehoben hatte, um für den geldverschlingenden Vietnam-Krieg die nötigen Mittel hereinzubekommen. Im Jahr 1971 gelang es Präsident Nixon allerdings, die Inflationsrate durch ein Einfrieren der Lohn-Preis-Relationen von 5% auf 3% zu drücken. Doch als er diese Kontrollen im Januar 1973 aufhob, gingen die Preise wieder in die Höhe, und im Februar 1974 betrug die Inflationsrate über 16%. (Sie lag damit um 9,7% höher als in den vorausgegangenen zwölf Monaten.)
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Der Inflationsvirus ist aber keineswegs auf die kapitalistische Welthälfte beschränkt. Jugoslawien, das allerdings marktwirtschaftliche Elemente in seiner Wirtschaftsstruktur besitzt, flattert mit 22 % im Jahr ziemlich weit voran. Selbst die Schweiz, dieses Musterland finanziellen Wohlverhaltens, muß sich mit einer Preissteigerungsrate von fast 11 % im Jahr herumschlagen.
Bei den Inflationen früherer Zeit, die jeweils nur immer auf ein einzelnes Land beschränkt waren, konnte ein in Schwierigkeiten geratenes Land sich von einem finanziell ungeschwächten unterstützen lassen. Die Entwicklung von Welthandel und Weltgeldverkehr haben ein viel weniger stabiles System entstehen lassen, das zwischen größeren Extremen schwankt.
Was müßte eine massive Inflation in der Zukunft bedeuten? Es ist angebracht, die Folgen im einzelnen ins Auge zu fassen, um so mehr, als versucht worden ist, sie gänzlich abzuleugnen.* Doch die Konsequenzen all der im nachstehenden aufgezählten Folgen sind in ihrem Zusammenwirken verheerend:
1. Wenn die Löhne steigen, so tun sie dies nicht gleichmäßig, wodurch manche Enttäuschung und Ungerechtigkeit entsteht. Die starken Gewerkschaften drücken Lohnsteigerungen durch, die mit den steigenden Preisen Schritt halten, während schwächere Gewerkschaften hierin weniger erfolgreich sind. Menschen mit festgelegten Bezügen — Pensionen oder Trennungsabfindungen — werden sogar noch härter betroffen. Ein reales Beispiel aus dem Leben möge dies verdeutlichen: Mrs. X, die 1967 einen Unterhalt für sich und ihre drei Kinder festgesetzt erhielt, verfügt heute über ein Drittel weniger Geld als damals. Alte Menschen, die von kargen Pensionen ihr Leben fristen, sind mittlerweile schon unter die Armutsgrenze abgesunken. Soldaten und Offiziere klagen, daß sie mit dem Sold immer mehr haushalten müssen. Leibrenten sind im Wert gesunken. Wenn aber die Leute mit ihrem Geld nicht mehr auskommen, verlieren sie den Mut. Die Folge wird zunehmende soziale Unruhe sein.
2. Das Sparen für größere Ausgaben wie etwa für den Kauf eines Hauses wird immer schwieriger: Hat man das Geld zusammen, das man nötig zu haben glaubt, kostet das Haus auch schon wieder mehr. Das bedeutet, daß die Leute ohne Dinge auszukommen suchen, die sie sich vielleicht gern gekauft hätten, daß aber dann, wenn sie ihr Erspartes schließlich auf den Tisch legen, sie viel weniger dafür bekommen, als sie sich vom Munde abgespart haben. Ganz eindeutig sind sie da betrogen worden; es ist im Grunde auch nichts anderes, als wenn man ihnen von Anfang an einen überzogenen Preis abverlangt hätte. Gleiches gilt für Lebensversicherungen und Darlehen. Die Münze, in der zurückgezahlt wird, ist weniger wert als jene, die zuvor eingezahlt wurde.
* So wird in einem jüngst erschienenen Buch, das sich an breitere Leserschichten wendet («Economics of the Real World», Penguin Press 1973), die kühne Feststellung getroffen, daß das Gerede über Inflation «Humbug» sei. Der Autor, ein Universitätsdozent, behauptet, daß die Inflation nichts zu bedeuten habe, da beim gleichzeitigen Ansteigen von Löhnen und Preisen letztlich doch alles beim alten bleibe.
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3. Weil die Menschen mehr ausgeben müssen, damit sie ihren Lebensstandard beibehalten, sparen sie auch weniger, investieren sie weniger. In der Folge wird nicht mehr soviel Geld zum Ausleihen verfügbar sein, und die Zinssätze steigen. So sieht sich ein Mann, der eine Hypothek auf seinen Grund aufnehmen möchte, damit er bauen kann, vor große Schwierigkeiten gestellt, und die Industrie scheut die Anschaffung neuer Maschinen oder steht der Einführung neuer Herstellungsverfahren und Projekte, die ja alle Geld kosten, zurückhaltend gegenüber. Die Rücklagen zur Modernisierung des Inventars sind angesichts der gestiegenen Kosten nicht mehr ausreichend. Dadurch erfährt das wirtschaftliche Wachstum des Landes eine Verlangsamung, mit schlechten Auswirkungen auf jedermann. Gewiß wird die Schuldenrückzahlung erleichtert, was für einige Leute sicher ein Vorteil ist, aber dies begünstigt auch etablierte Firmen gegenüber jüngeren Gründungen, was insgesamt nicht sehr wünschenswert sein kann.
4. Da ein Überhang an Kaufkraft besteht, kommt es zu Verknappungen. Das führt zu Verzögerungen im Produktionsprozeß, wodurch die Zinsbelastung wächst und Liefertermine nicht eingehalten werden können. Wiederum wirkt sich dies auf die industrielle Leistungsfähigkeit aus, und alle sind betroffen.
5. Die Industrie sieht sich zunehmend belastet durch die hohen Zinskosten bei Krediten für Modernisierung oder neue Entwicklungen oder für die Überbrückung zwischen Auslieferung und Bezahlung. Teuer kommt auch Kapital, das in Vorräten oder Material oder gar in den auf Lager liegenden Fertigprodukten gebunden ist. Wenn es möglich ist, reduziert daher die Industrie ihre Verbindlichkeiten. Zu erwarten sind somit häufigere Bankrotte, häufigere Inanspruchnahme von finanzieller Unterstützung durch die Regierung und ein merkbarer Rückgang der geschäftlichen Tätigkeit, die nun ihrerseits wieder zu einer Arbeitslosigkeit führt, vielleicht sogar zu einem drastischen Abschwung in eine Depression.
6. Nicht weniger müssen wir eine schwere Belastung der internationalen Finanzsituation durch den verheerenden Effekt auf die Handelsbilanzen erwarten. Wenn die Löhne steigen, werden die ausländischen Waren relativ billiger, während die Produkte des eigenen Landes sich für ausländische Käufer verteuern. Der Import wird dadurch den Export überschreiten, und nun muß man die Wechselkurse verändern, um das zu korrigieren. Wenn alle Handelspartner sich in einer inflationären Entwicklung befinden, dann heben sich ihre diesbezüglichen Schwierigkeiten natürlich gegenseitig auf.
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Bei der gegenwärtigen weltweiten Inflation werden jene Länder mit hohen Inflationsraten bald in Schwierigkeiten mit ihrer Zahlungsbilanz geraten, während Länder mit geringerer Inflationsrate in dieser Hinsicht unbesorgt sein können. Nicht zuletzt aber hat die Inflation eine verheerende Auswirkung auf die Länder der Dritten Welt. Die Preise für Stahl und Kunstdünger haben sich in etwas mehr als einem Jahr verdoppelt, der Weizenpreis hat sich verdreifacht.
Der junge, unverheiratete Mann wird in der Regel mit der Inflation am besten zu Rande kommen. Stärker betroffen sind Ehepaare, die noch für Kinder zu sorgen haben, am stärksten aber ältere Menschen. Die Mittelklasse ist stärker betroffen als die Gewerkschaften und die Arbeiterschaft, härter auch als die Reichen, die über Sachbesitz verfügen. Da aber die Industrie durch die Inflation stark behindert ist, wird eigentlich jeder ärmer, als er es auf lange Sicht ohne Inflation wohl hätte erwarten können.
Das hier Gesagte bezieht sich auf die normale Inflation. Eine Superinflation, bei der die Preise von Woche zu Woche fühlbar steigen, erschüttert jegliches Vertrauen. Niemand möchte da geschäftlich noch irgend etwas unternehmen, weil einfach die Situation zu unsicher ist. Es wird unter solchen Bedingungen ja bereits ein Auslandsurlaub zum Risiko, wenn etwa plötzlich Beschränkungen für die Ausfuhr der eigenen Währung erlassen werden; um wieviel mehr Risiko birgt dann die Neuausstattung einer Fabrik, die Errichtung eines neuen Geschäfts. Die Leute greifen schließlich zu verzweifelten Maßnahmen, um sich vor dem Ruin zu bewahren. Denis Healey, der britische Schatzkanzler im Kabinett der Labour Party von 1974, warnte daher: «Wenn es uns nicht gelingt, die sich beschleunigende Inflation in unserer Wirtschaft einigermaßen zu bremsen, dann könnten die politischen und sozialen Auswirkungen unsere demokratischen Institutionen vor eine allzu schwere Belastungsprobe stellen.» Kurz darauf war vom Vorsitzenden des US Federal Reserve Board, Dr. Arthur Burns, eine ganz ähnliche Warnung zu hören: «Sollte die Inflation auch weiterhin nur entfernt in einem ähnlichen Maße zunehmen wie bisher, so wären damit die Grundfesten unserer Gesellschaft bedroht.» Dieser Satz muß nicht deshalb schon falsch sein, weil er ein Klischee ist.
Die Ungerechtigkeiten im Gefolge der Inflation, meinte Burns weiter, würden das Vertrauen in die freie Wirtschaft untergraben. «Ich glaube kaum», so Burns, «daß es übertrieben ist zu sagen, daß im Endeffekt die Inflation einen merklichen Rückgang der wirtschaftlichen und politischen Freiheit für das amerikanische Volk mit sich bringen wird.»
Zuletzt zeigt dann die Inflation die Tendenz zur Selbstzerstörung. Da die Menschen sich gegenüber dem gehobenen Konsum zurückhalten und nur das absolut Notwendige kaufen, das dazu noch länger im Gebrauch bleiben muß, verschwinden die Hersteller des gehobenen Konsums durch ihre Preisgestaltung vom Markt.
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Ist das Klima ohnehin nicht von Vertrauen gekennzeichnet, so bekommen das auch die Produzenten von Industriegütern zu spüren. Es kommt nun zu Bankrotten, zu Massenentlassungen. Dadurch sinkt die Kaufkraft breiter Schichten. Weitere Firmen verlieren Geld und entlassen Mitarbeiter. Der Zusammenbruch der Wirtschaft ist dann bereits da.
Dies ist also unsere Perspektive in eine gar nicht mehr ferne Zukunft: galoppierende Inflation, die zum Zusammenbruch der Wirtschaft führt. Was aber sind die Ursachen einer Inflation, und was läßt sich dagegen unternehmen?
2 Warum Inflation?
Verschiedene Faktoren gehen in das Ansteigen der Preise ein, und nicht alle sind in des Wortes strenger Bedeutung als «inflatorisch» zu bezeichnen. Wenn die Preise steigen, weil die realen Kosten nach oben gehen, dann ist dies ein normaler Vorgang. So sind etwa die Preise für viele Rohstoffe auf dem Weltmarkt gestiegen (aus Gründen, die ich später noch erörtern möchte), und dies hat in den Industrieländern, die solche Rohstoffe benötigen, die Preise hochgetrieben. Vielleicht bis zu einem Drittel mag der gegenwärtige Preisanstieg darauf zurückzuführen sein, wenngleich dieser Anteil von Land zu Land schwankt.
Die anderen zwei Drittel sind zweifellos inflatorisch. Das heißt: Die Menschen haben mehr Geld zum Ausgeben, als nötig wäre, um die verfügbaren Nahrungsmittel zu kaufen. Die Händler sehen sich also in der Lage, die Preise zu erhöhen (wodurch natürlich ihr Profit steigt), und dadurch wird der Nachfrageüberschuß aufgezehrt. Wenn nun aber die Löhne erhöht werden, um die Verteuerungen auszugleichen, wiederholt sich der ganze Prozeß nochmals.
Trotz aller Bestreitungsversuche von Seiten der Gewerkschaften ist es I doch klar, daß eine Erhöhung der Löhne, sofern ihr nicht auch eine Erhöhung der Produktionskapazität entspricht, die Inflation anheizen muß und wenigstens in dieser Richtung mit anderen Faktoren zusammenwirkt, wie sehr aus sozialen Gründen Lohnerhöhungen auch gerechtfertigt sein mögen. Eine Begrenzung der Löhne, der Dividenden und der Pensionen hätte einen bremsenden Einfluß auf die Inflation. Aber zu einer Inflation trägt mehr bei als nur dies, und ehe wir Gegenmaßnahmen erwägen, wird es nötig sein, sich doch noch eingehender mit der Materie zu befassen. Es gibt da nämlich noch zwei andere Faktoren, die oft vernachlässigt werden. Der eine mag etwas überraschen. In der Vergangenheit befanden sich die einzelnen Nationalwirtschaften nicht im gleichen Rhythmus. Wenn das eine Land gerade einen Aufschwung hatte, erfuhr das andere eine Rezession. Solche Bedingungen haben sich
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gegenseitig bis zu einem gewissen Grad ausgleichen können. Das in Depression befindliche Land beschnitt seinen Import aus dem im Aufschwung begriffenen Land, wodurch die Warenmenge verringert und die Inflation verlangsamt wurde. Heutzutage liegen die Dinge anders. Durch das Wachstum des Welthandels, die ausgewogene Geschäftspolitik der multinationalen Konzerne und die Schaffung gemeinsamer Märkte und anderer Integrationsfaktoren befinden sich die Länder der Welt allesamt in einem ziemlich gleichen wirtschaftlichen Rhythmus, weshalb die Inflation im einen Land die im anderen Land noch verstärkt. So etwa haben alle Länder ihre Nachfrage nach Rohstoffen vor wenigen Jahren zur gleichen Zeit erhöht, wodurch die Rohstoffpreise in die Höhe gingen. Alle Länder brauchten gleichzeitig Kapital, wobei sie sich auf dem internationalen Geldmarkt und im internationalen Transportgeschäft die nötigen Bedingungen sicherten. Das ist eine ganz neue Erscheinung, mit der wir nun zu leben haben werden. Sie verlangt in viel höherem Maße nach internationaler Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Wirtschaft, als bislang üblich gewesen ist. Denn darauf ist Verlaß: Eine koordinierte weltweite Depression wird noch schwerer erträglich sein als ein weltweiter Boom.
Doch mag dies auch die Intensität und Universalität der Inflation erklären, so erklärt es doch nicht deren Ursache. Viele Erklärungen sind für die Inflation schon gegeben worden, und es ist auch gesagt worden, daß niemand die eigentlichen Gründe für die gegenwärtige weltweite Verteuerung anzugeben vermag. Aber so schlimm steht es nun auch wieder nicht, denn über die Entstehung der Inflation können wir in Keynes' Standardwerk «The general Theory of Employment, Interestand Money» (deutsch: «Die allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes») nachlesen, das vor vier Jahrzehnten geschrieben wurde. Letztlich kommt es darauf an, daß zwischen den Ausgaben der Leute und ihren Ersparnissen ein Gleichgewicht besteht. Wenn die Leute mehr ausgeben als zurücklegen, dann entsteht ein Boom: Die Preise steigen, und die Hersteller vergrößern ihre Produktion, um der Nachfrage zu genügen. Aber es mangelt dann bald an Kapital, und so steigen die Zinssätze immer mehr. Umgekehrt besteht bei einer Neigung zur Geldhortung ein Abwärtstrend in der wirtschaftlichen Entwicklung, aber das Geld wird auf dem Geldmarkt mit niedrigem Zinssatz ausgeliehen.
Keynes ging es darum, den Wirtschaftszyklus zu erklären, und so befaßte er sich hauptsächlich mit den Gründen, die den Großindustriellen dazu veranlassen, auf die Reserven zurückzugreifen, um neue Anlagen zu erstellen, wodurch ja wieder neue Arbeitsplätze geschaffen werden, welche die Kaufkraft erhöhen und einen neuen Aufschwung einleiten. Letztlich ist dies eine Frage der Zukunftszuversicht. Sobald der Unternehmer Profit winken sieht, hat er auch mehr Vertrauen hinsichtlich seiner Teilnahme an neuen Projekten. Aber dies galt alles für jene
2 Warum 177
Zeit, in der die Regierungen noch nicht genug von der Wirtschaft wußten, um selbst in sie einzugreifen. Heutzutage wird der von Keynes beschriebene Zyklus zu einer Abfolge von sprunghaften Umschaltungen von «Halt!» auf «Gehen!». Denn die Regierungen versuchen Einfluß auf die Ausgaben zu nehmen. Und weitere Faktoren kommen hinzu. Allerdings bleibt die Relation von Sparen und Ausgeben immer noch grundlegend. Zweifellos wird heute zuviel ausgegeben und zuwenig gespart, doch um die mangelnde Ausgewogenheit als einen langfristigen Prozeß von weltweitem Ausmaß zu erklären, bedarf es noch anderer Anhaltspunkte.
Tatsächlich besteht nun eine langfristige Entwicklung, die selten genauer in Augenschein genommen wird: Die Anzahl der Menschen, die, ohne Güter oder verkäufliche Dienste zu produzieren, doch Einkommen erhalten, nimmt stetig zu. Darunter fällt die gesamte Verwaltungsbürokratie, vom Steuereinnehmer bis zum Regierungsmitglied. Darunter fällt der gesamte Erziehungssektor, Stipendien eingeschlossen, in England auch das Gesundheitswesen. Dazu zählt ferner alles, was mit der Verwaltung von Gemeinden zu tun hat, eingeschlossen öffentliche Bibliotheken und Sozialarbeiter, des weiteren Armee und Polizei und die Justizverwaltung bis zu den Gefängniswärtern, schließlich aber auch wissenschaftliche Forschungsarbeit (mit Ausnahme der ganzen technologischen Forschung, nicht aber der medizinischen).*
Im Verlauf der Jahre haben in fast jedem Land die öffentlichen Dienstleistungen erheblich zugenommen. Arbeitsgebiete wie Städte- und Landschaftsplanung, vor einer Generation noch gar nicht existent, beschäftigen heute ziemlich hoch bezahlte Mitarbeiterstäbe. Auch psychiatrische Betreuung auf Kosten der Allgemeinheit hat es früher nicht gegeben. Wissenschaftliche Forschung geschieht heute in ganz anderen Größenordnungen als ehedem. Die staatlichen Pensionszahlungen für Ruheständler werden stetig ausgebaut und erhöht. Und wenn auch die Streitkräfte gegenwärtig einen geringeren Mannschaftsstand aufweisen mögen, so ist doch ihre Ausrüstung ungleich reichhaltiger und verschlingt ein weitaus höheres Maß an Arbeitszeit für Herstellung und Wartung als je zuvor. Das gilt im Grunde für jede Nation.
Weil das ja alles auch bezahlt werden muß, wird das Geld über Steuern und Abgaben aufgebracht. Wenn die Bevölkerung Städteplaner, Radarsuchschirme und Hochschulstipendien haben will, dann muß sie dafür auch zahlen, muß dafür auf eine entsprechende Menge von Konsumgenuß verzichten. Aber das Geld, das auf diese Weise dem einzelnen entzogen wird, verringert nicht notwendigerweise den persönlichen Verbrauch.
* Erstmals in der britischen Geschichte sind die Ausgaben der Regierung höher als die der privaten Hand, von der über die Hälfte der Einkünfte in Form von Steuern und Sozialabzügen genommen werden. Und hierbei sind noch nicht einmal die Abgaben eingerechnet, die von lokalen Behörden erhoben werden.
2 Warum 178
Wenn die Steuern erhöht werden, dann muß ja ein Reicher nicht gleich Einschränkungen in seinem persönlichen Lebensstandard in Kauf nehmen. Auch eine Firma mag sich nicht unbedingt zur Beschneidung ihrer Dividenden entschließen; sie kann es vorziehen, mit der Anschaffung neuer Maschinen und Werkzeuge noch etwas zu warten. Und wer eine Erbschaft verzehrt, kann einfach mehr davon ausgeben und weniger zurücklegen. Wenn dies aber so ist, dann ist Inflation unvermeidbar. Die Regierung müßte eigentlich zur Verhinderung der Inflation über Steuern und Abgaben mehr Geld aus dem Verkehr ziehen, als sie tatsächlich zur Begleichung ihrer Verpflichtungen braucht. Tatsächlich aber ziehen die Regierungen meist weniger aus dem Verkehr, bleiben dann mit defizitären Budgets sitzen und versuchen die Finanzlücke durch Geld aus der Notenpresse zu stopfen. (Da aber heute Papiergeld mehr in Form von Schecks umläuft, ist ihnen auch die Mühe des Banknotendruckens erspart.)
Zusammenfassend: Das Verhältnis von Sparen und Verausgaben gerät also aus dem Gleichgewicht wegen der Art und Weise, in der die Leute auf das Anwachsen der öffentlichen Dienstleistungen reagieren. Eigentlich sollte immer, sobald ein öffentlicher Dienst neu gegründet oder erweitert wird, der Bürger zu sich selber sagen: «Ich muß jetzt meine Ausgaben einschränken, damit ich die Summen wettmache, die der Staat aus meinem Geld für mich ausgibt!» Wer macht das schon? Jedermann erwartet doch vielmehr, daß sein Lebensstandard noch zunimmt.
Die Regierung subventioniert die Industrie und die Landwirtschaft (die hierfür aufgewendeten Summen betragen in Großbritannien über 3 Milliarden Pfund Sterling jährlich), und auch hiervon gehen inflationsördernde Wirkungen aus. Die Regierungen scheinen das nicht zu durchschauen und führen oft ins Feld, daß die Stützung der Preise geeignet sei, diese niedrig zu halten. Nun stimmt zwar, daß dadurch die Preise der jeweils subventionierten Güter niedrig gehalten werden — also Brot etwa oder Düngemittel —, aber weil der Käufer so nur anderweitig Gelegenheit bekommt, sein an dem subventionierten Produkt gespartes Geld in Umlauf zu bringen, drücken Subventionen generell die Preise nach oben.
Unter Einbeziehung dieser Tatsachen in unsere nachfolgenden Überlegungen wollen wir nun wieder zur Frage der Löhne zurückkehren.
3 Die Reichen aussaugen
In der Diskussion um Löhne und Gehälter werden alle möglichen Argumente ins Feld geführt. Da wird dann von einem «anständigen Lohn, um anständig leben zu können» gesprochen. Da heißt es dann: «Wer bei Kunz schafft, hat immer mehr bekommen, als wer bei Hinz schafft, und wenn die von Hinz aufgebessert werden, dann müssen auch die von Kunz nachziehen!» (Das wird dann als «Wahrung der branchenspezifischen Lohnabstände» bezeichnet.)
3 Die Reichen 179
Nun ändert sich freilich die Vorstellung ständig, wieviel der Mensch zum Anständig-leben-Können nötig habe — und sie ändert sich immer nach oben. Es ist ein verständlicher Wunsch, wenn viele einen Farbfernseher, Teppichböden oder ein Wochenendhäuschen auf dem Land haben möchten. Es ist gleichfalls verständlich, den Wunsch zu hegen, daß auch anderen Menschen solche Annehmlichkeiten (früher war das Luxus) zukommen — vor allem dann, wenn sich dadurch Schuldgefühle wegen eigener Privilegiertheit abschwächen lassen.
Die zentrale Frage bleibt aber, ob das Land in der Lage ist, genug solcher Güter herzustellen oder verfügbar zu machen, daß auch jeder einzelne in ihren Genuß kommt. Sollte dies nicht möglich sein, so nützt es gar nichts, die Kaufkraft zu verteilen, die dazu dienen könnte, sie zu kaufen.
Weil ein Teil der Bevölkerung über großen Luxus verfügt (und entsprechende Einkünfte erhält), hat sich die Meinung festgesetzt, daß man nur diese Einkünfte kräftig beschneiden und gleichzeitig eine entsprechende Anhebung in den Masseneinkünften bewirken müsse, damit eine Erhöhung des allgemeinen Lebensstandards dadurch schon gesichert sei. An den Fakten gemessen ist dieser weitverbreitete Glaube jedoch falsch. Eine Umverteilung der Einkünfte mag aus Gründen sozialer Gerechtigkeit wünschenswert sein, und ich werde auch diesen Aspekt noch in Erwägung ziehen, aber unter dem Gesichtspunkt einer Vermeidung der Inflation wäre eine solche Umverteilung jedenfalls der Produktion nicht förderlich.
In Wahrheit ist die Zahl der wirklich reichen Leute so gering, daß die Verteilung ihres Reichtums nur eine sehr geringfügige Wirkung auf die allgemeine Lage hervorrufen könnte. Für England ist so ausgerechnet worden, daß bei einer Verteilung aller Nettoeinkommen über 5000 Pfund pro Jahr dies für jeden Engländer bloß 30 Pence pro Woche Mehreinnahmen erbrächte*; und selbst wenn alle Nettoeinkommen über 2000 Pfund pro Jahr auf diese Weise unter die Leute gebracht würden, kämen auch nicht mehr als 1,56 Pfund pro Woche zusätzlich in jedermanns Geldbeutel. Ein Jahresnettoeinkommen von 2000 Pfund, entsprechend einem Wochenlohn von 40 Pfund, ist aber bereits weniger, als manch ein Mann im blauen Overall nach Hause trägt. Tatsächlich gab es in ganz Großbritannien 1970/71 nicht mehr als 99.000 Menschen, die im Jahr ein Nettoeinkommen von über 5000 Pfund für sich verbuchen konnten, und nur 600 verdienten über 10.000 Pfund netto im Jahr. Seit diesem Jahr — dem letzten, aus dem Daten vorliegen — dürfte die Inflation viele Leute in höhere Steuerklassen gebracht haben, aber prinzipiell ändert dies nichts. Zudem wird der Abstand zwischen reich und minderbetucht noch durch die Sozialleistungen verringert.
* Laut dem <Economist> wären damit nur 3,3 Pence pro Person gewonnen.
3 Die Reichen 180
Das zentrale Faktum aber, sowenig erfreulich es auch für manche sein mag, ist aber dies: Eine Bevölkerung kann als Ganzes nicht einen Lebensstandard haben, der über dem Durchschnitt liegt, und dieser Durchschnitt ist geringer, als viele denken. Im Jahr 1971 betrug das Durchschnittseinkommen pro Haushalt in Großbritannien ziemlich genau 2000 Pfund im Jahr. Wenn also die Kaufkraft absolut gleichmäßig im ganzen Land verteilt werden sollte, müßten viele britische Arbeiter und Werkmeister feststellen, daß ihre Löhne sich verringert hätten. So ist die Wurzel der Inflation eine unrealistische Vorstellung über die Menge des Reichtums, den das Land produziert. Schuld daran haben verbreitete Annahmen über die Produktivität einer Industriegesellschaft, wie sie vor allem durch die Werbung und durch Medienberichte über das Leben der Reichen genährt werden, die den Eindruck verbreiteten Reichtums erwecken.
Wie wenig die Regierungen der Linken mit diesen Fakten rechnen, wird gut illustriert durch die Versprechungen der 1973 gewählten Labour-Regierung, die Zusagen machte, deren Einlösung 2,5 Milliarden Pfund gekostet hätte. Wenn aber alle Einkommen, die nach Abzug der Steuern eine Höhe von über 2000 Pfund erreichen, konfisziert würden, so erbrächte dies doch nur 1,629 Milliarden Pfund. Selbst durch eine Einkommenskonfiszierung könnte also die Diskrepanz nicht beseitigt werden — dies vermag allein eine Inflation. Selbstverständlich hatte die Regierung nicht die Absicht, irgend etwas durch derart drakonische Maßnahmen zu erreichen; am allerwenigsten hätte sie die Absicht haben können, die jährlichen Nettoeinkommen zwischen 2000 und 3000 Pfund anzutasten, von denen über 1 Milliarde Pfund der 1,629 Milliarden zu gewinnen wären. So mußten ihre Pläne eine scharfe Inflation einkalkulieren. Tatsächlich wäre eine Inflation von 17,5 % pro Jahr in der Lage, die benötigte Summe einzubringen.
So sehen wir, daß neben den Lohnerhöhungen auch die Ausgabenfreudigkeit der öffentlichen Hand die Inflation wesentlich vorantreibt. Ein unausgewogener Jahreshaushalt ist inflationstreibend, und selbst ein ausgewogener vermag dies zu sein, wenn man sich bei der Ausgleichung darauf verläßt, daß die Inflation ihren Teil dazu beitragen werde.
Es wird aber häufig argumentiert, daß aus Gründen der Gerechtigkeit eine gleichmäßigere Verteilung der Einkommen anzustreben sei — wiewohl dies ja nicht unbedingt große Lohnsteigerungen rechtfertigen müßte. Aber da gibt es nun eine weitere Schwierigkeit: Angleichung der Einkommen würde das Verhältnis von Sparen und Ausgeben durcheinanderbringen. Da arme Bürger einen viel kleineren Teil ihres Einkommens sparen als reiche, würde durch eine Gleichverteilung nicht nur die Nachfrage nach Waren ansteigen — auch die Spareinlagen würden zurückgehen.
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Dadurch würden die Zinssätze steigen, und Geld wäre teuer. 1 Die Industrie wäre dadurch abgeschreckt, neue Projekte zu starten, denn 1 nur wenn diese außergewöhnlich viel Profit abwerfen könnten, würden sie auch die fälligen hohen Zinsen für das geliehene Kapital einbringen. Es kommt hinzu, daß nun die Rücklagen der Firmen an Wert verloren haben, so daß die Unternehmen keine neuen Pläne ohne geliehenes Geld verwirklichen können. So erhalten wir die in der Wirtschaftsgeschichte neue Kombination von industrieller Stagnation und Inflation — die sogenannte Stagflation—, die in England bereits zur «Katastroflation» wird.
Hält sich eine Inflation innerhalb gewisser Grenzen, so wirkt sie fördernd auf die gesamte Wirtschaft, denn dann werden die Rohstoffe auf einem bestimmten Preisniveau eingekauft, die Fertigwaren aber auf einem höheren Preisniveau wieder weiterverkauft. Die allgemein herrschende Prosperität gleicht aber den geringen Schwund des gesparten Geldes wieder aus. Eine «Stagflation» hingegen ist für alle Bürger nachteilig.
Mit alldem soll mitnichten gesagt sein, daß die sehr hohen Einkommen einer Minderheit gerechtfertigt seien, gleich, ob es sich um Fußballstars oder Finanzgrößen handelt. Noch weniger akzeptabel erscheinen die hohen Spekulationsgewinne und die Profite aus Manipulationen auf dem Geldmarkt. Es ist nur natürlich, daß schlecht bezahlte Angestellte sauer reagieren, wenn sie lesen müssen — wie das erst jüngst der Fall war —, daß ein Mann 5 Millionen Pfund Sterling in wenigen Monaten zusammenraffte. Die praktische Frage, die bislang noch niemand zu beantworten versucht hat, lautet aber: Welcher Grad von Ungleichheit reicht eben noch aus, um erstens den nötigen Anreiz für hartes Arbeiten und das Eingehen von Risiken zu geben; zweitens die Stufungen zu markieren, die Unterschiede in Fähigkeiten, Erfahrung und Verantwortlichkeit zum Ausdruck bringen sollen; und drittens die angemessene Ausgewogenheit zwischen Geldausgaben und Geldersparnissen zu garantieren?
Gegenwärtig scheint Großbritannien diesen Prozeß am weitesten vorangetrieben zu haben: Es gibt nur sehr wenige Einkommen, die über dem Vierfachen des nationalen Durchschnittseinkommens liegen, und nur sehr wenige, die unter die Hälfte dieses Betrags fallen. (Man vergleiche dagegen das entsprechende Verhältnis Rußlands von 40:1.) Dieser Wandel ist sehr schnell herbeigeführt worden. Kein Wunder, daß viele der strebsamsten und schöpferischsten Menschen das Land verlassen. Es wird lehrreich sein, welche Auswirkungen dies auf lange Sicht haben wird und ob andere Länder dieses Beispiel nachzuahmen versuchen.
Geht eine Gesellschaft in ihren egalitären Bestrebungen allzu weit, so entmutigt sie jene, die für viele Jahre bereit sind, sehr eingeschränkt zu leben, stets hoffend, der schließlich sich einstellende Erfolg werde schon für alles, was ihnen bis dahin entgangen war, entschädigen — eine Haltung, die für nicht wenige Künstler und Schriftsteller zutrifft, aber auch
3 Die Reichen 182
für Erfinder, Ärzte, Bergwerksgesellschaften und Unternehmer, die neue Produkte auf dem Markt einführen wollen. Da ihre Anstrengungen den Kuchen vergrößern, von dem die ganze Gesellschaft zehrt, dürfte es in jedermanns Interesse sein, daß vor den Nasen dieser Leute zumindest das Hoffnungsbild eines besonders großen Kuchenstücks baumelt, das ihr Eigentum zu werden verspricht.
Heutzutage aber verrennen wir uns immer mehr in den unproduktiven Disput darüber, wie die Größe der einzelnen Stücke des Sozialkuchens festzusetzen sei, anstatt daß wir darum bemüht sind, den Kuchen im ganzen zu vergrößern. Wie weit dieser Futterneid gehen kann, wurde deutlich durch eine Meinungsumfrage, in der die Leute gefragt wurden, was ihnen lieber wäre: daß jedermann 4 Pfund pro Woche mehr erhalten solle oder daß der Befragte 5 Pfund mehr erhalten solle, jeder andere aber 6 Pfund. Die meisten der befragten Einwohner Großbritanniens entschieden sich für 4 Pfund Lohnerhöhung bei gleichen Bedingungen für alle. Lieber schneidet man sich ins eigene Fleisch, als daß der andere etwas dicker wird.
Wie sollen wir da die Inflation aufhalten können?
4 Ist Inflation kurierbar?
Es gibt eine Richtung in der Wirtschaftswissenschaft — in den USA ist sie recht einflußreich —, die behauptet: Preise und Löhne können gar nicht steigen, wenn das Geld nicht da ist. Daraus ziehen sie den Schluß, man müsse bloß den Geldhahn zudrehen, und alles sei bestens. Mr. Burns vom Federal Reserve Board vertritt, während ich dies schreibe, einen derartigen Standpunkt. Es gibt sogar Leute, die gehen so weit, zu behaupten, daß die Vermehrung des Geldes allein die Ursache der Inflation sei. Das mag seine Richtigkeit gehabt haben in Zeiten, als Gold die alleinige Währung war; heutzutage aber ist das reiner Unsinn. Die Banken sind bereit, Kredite zu geben, aber es geschieht ja so lange nichts, bis die Kunden von draußen dann auch tatsächlich mit Kreditwünschen an die Banken herantreten. Das ist häufig genug vorexerziert worden, wenn Regierungen, um einen Abschwung aufzufangen, die Kreditbremsen lockerten. Zwar stimmt es, daß durch Verknappung der Geldzufuhr ein Boom in eine Rezession umkippen kann. Aber das sind viel zu grobe Methoden. Wer über den Geldhahn die Wirtschaft regulieren möchte, ruft nichts weiter hervor als eine Reihe von Schluckaufs.
Es ist der Irrtum der Männer mit der Geldspritze, daß sie glauben, es gebe eine bestimmte Menge Geld — nicht zuviel, nicht zuwenig —, die allein schon wirtschaftliche Stabilität garantiere: also Vollbeschäftigung bei stabilen Preisen. Leider, leider liegen sie falsch. Noch ehe man nämlich die Inflation zum Abebben gebracht hat, hat man auch schon die
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Wirtschaft auf Talfahrt geschickt und ist fest dabei, die Arbeitslosigkeit l hochzutreiben. So erhält man auf dem Punkt des Gleichgewichts eben die «Stagflation» — eine stagnierende Wirtschaft mit anhaltender Inflation. Es fließt zuwenig Geld in die Rücklagen, weil das Verhältnis von Ausgaben und Ersparnissen falsch ist. Die peinliche Wahrheit ist eben, daß ein kapitalistisches System nur dann funktioniert, wenn die Einkommen ziemlich ungleich verteilt sind. Eine größere Annäherung an gleichmäßige Verteilung wäre nur dann möglich, wenn die Einkommensempfänger mehr sparen und weniger ausgeben.
Da dies so ist, kann durch Regulierung des Geldmarkts ein Inflationsstillstand bloß um den Preis der Arbeitslosigkeit erzielt werden. Aber auch das geht heute nicht mehr so einfach wie früher, da ja ein Arbeitsloser bis zu zwei Drittel seines Verdienstes an Unterstützungsgeldern erhält. Dadurch reduziert er seinen Aufwand für Lebenshaltung und Konsum auch nicht derart scharf, wie das früher der Fall sein mußte. Daraus folgt, daß die Arbeitslosigkeit breitere Bevölkerungskreise betreffen muß, ehe sie sich inflationsdämpfend auswirkt. Kaum eine Regierung ist aber bereit, eine entsprechende Arbeitslosenzahl hinzunehmen, weil sie wahrscheinlich unter diesen Umständen auch nicht sehr lange an der Macht bleiben könnte.
Die Geschichte Deutschlands lehrt uns, daß heute die Völker nicht mehr bereit sind, still und gottergeben vor sich hin zu hungern. Sie laufen vielmehr hinter jedem Führer her, der ihnen in Aussicht stellt, die Ordnung wieder zu festigen, wie hoch der Verlust an Freiheit auch dabei sein mag. Zudem können wir heute beim Knappwerden von Lebensmitteln und Brennstoffen mit einem ungleich größeren Ausmaß an Gewaltanwendung rechnen. Wenn in Amerika bereits Fernlastfahrer ihre Arbeitskollegen, Wagenbesitzer ihre Tankstellenwarte erschossen, weil sie ihnen kein Benzin zur Weiterfahrt gaben, dann werden noch ganz andere Dinge passieren, sobald erst einmal Essen, Trinken und Heizwärme zu Mangelwaren geworden sind.
Die Frage stellt sich, ob die daraus resultierende öffentliche Unruhe schließlich in völlige Anarchie ausarten wird, wieweit eine solche Situation dann von politischen Gruppen ausgenutzt werden mag und ob schließlich charismatische Führerfiguren erscheinen, um eine Lösung zu erzwingen.
Wenn zuletzt eine Regierung der starken Männer die Inflation gebannt haben wird, dann erhebt sich ein neuer Boom schon bald aus der Asche des alten. Die Opfer, die Arbeitslosigkeit für viele Menschen mit sich bringt, wären vielleicht noch erträglich, sofern dadurch eine Ein-für-allemal-Lösung herbeigeführt werden könnte. Dem ist aber nicht so. Also wird die Geschwindigkeit nur verringert, indem man in Abständen auf die Bremse steigt, anstatt daß man lediglich das Gas wegnimmt.
Auch das Einfrieren von Löhnen und Preisen führt nicht zum Erfolg.
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Das Einfrieren von Preisen bewirkt gar nichts, sofern die Kaufkraft doch weiter ansteigt; es gibt dann eben einen schwarzen Markt. Hinzukommt erschwerend, daß hierdurch viele Firmen bankrott gehen, da sie bei hohen Löhnen billig verkaufen müssen. Ebenso können die Löhne auch nur vorübergehend für ein paar Wochen eingefroren werden, denn lange halten die Gewerkschaften ja nicht still, weil ein dauerndes Einfrieren sie um ihre Existenzberechtigung brächte. Außerdem müßten Lohneinfrierungen die bestehenden Ungerechtigkeiten verewigen und eine Anpassung an wechselnde Bedingungen verhindern. Industrien, die nicht über genügend Arbeitskräfte verfügen, wären dann auch nicht in der Lage, die fehlenden Kräfte durch höhere Lohnangebote herbeizulocken.
Unlogisch sind auch Bestrebungen, die Löhne in eine feste Relation zum Lebenshaltungskostenindex zu bringen, weil dadurch die Kaufkraft nur erhöht wird, die doch gerade mittels des Preisanstiegs reduziert werden sollte. Aber es ist verständlich, daß die Wähler auf Preissteigerungen bei Lebensmitteln besonders empfindlich reagieren, weil ja jeder essen muß und gerade hier schärfere Einschränkungen nicht möglich sind. Wenn also auf dem Weltmarkt die Lebensmittelpreise steigen, wird die Forderung, hier müsse jetzt endlich etwas getan werden, nicht mehr abzuweisen sein. Subventionen und Preiskontrollen geben dann wenigstens den Anschein, daß die Politiker ein Augenmerk auf dieses Problem haben und damit fertig zu werden versuchen, auch wenn auf weite Sicht alles damit nur noch schlechter wird.
In einer Welt, die allein von rationalen Gesichtspunkten sich leiten ließe, würde zweifellos eine Lohnpolitik ausgearbeitet werden — flexibel für künftige Entwicklungen, versteht sich —, die alles in allem darauf abgestellt wäre, die verfügbare Kaufkraft in ein Gleichgewicht zu den angebotenen Gütern zu bringen. In einer rational geordneten Welt müßten es die Gewerkschaften als ihre Aufgabe ansehen, untereinander auszuhandeln, wie die einzelnen Anteile an dem insgesamt verfügbaren Kuchen zu verteilen wären. Schwierig wäre dies gewiß, unmöglich ist es nicht. Die Schwierigkeiten liegen in der Natur des Menschen. Jeder Gewerkschaftsführer müßte sich im eigenen Interesse einer solchen Lösung widersetzen, weil er ja in den Augen seiner Gefolgsleute so keine Existenzberechtigung mehr hätte, also befürchten müßte, schleunigst abgewählt und durch aggressivere Funktionäre ersetzt zu werden, die etwas für ihre Gruppe herauszuholen verstehen, ganz gleich, wie die Auswirkungen für andere sind.
Das logische Gegenstück zu einer Einkommenspolitik oder irgendwelchen Maßnahmen in dieser Richtung wäre dann, die Leistungsfähigkeit durch höchst augenfällig wirksame und keine Kosten verursachende Schritte anzuspornen: also Abschaffung des Krankfeierns, der Drückebergereien, der Kompetenzpalaver, der Unpünktlichkeit und all der anderen geheiligten Mittel zur Verringerung der Leistungsfähigkeit.
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Der Wunsch, einmal innegehabte Positionen sich auch zu bewahren, ist völlig natürlich, und jeder wird verstehen können, daß ein Mensch es als bitter empfindet, wenn seine Fähigkeiten nicht mehr gefragt sind. Aber die Gewerkschaften haben sich gegen diskutable Verfahrensweisen gesträubt, mit denen die Anwerbung neuer oder die Umschulung älterer Arbeitskräfte reduziert werden sollte, und ebenso gegen die Frühpensionierung. Daß ein Hersteller elektrischer Lokomotiven einen Heizer durchzieht, wiewohl dieser nur in kühler Luft stochern könnte (und dazu einen Elektriker, der die Sicherungen wieder reindrücken kann, die der Lokomotivführer eventuell rausspringen läßt), ist schlechterdings grotesk. Wo mehr Effizienz und wirkliche Produktivität herrschen, wirkt sich dies inflationshemmend aus.
Dabei darf man nicht außer acht lassen, daß die Regierungen ja selbst mitverantwortlich für die Inflation sind, da ihre Haushaltspolitik oft genug die Balance von Rücklagen und Ausgaben stört. Und mit Mißerfolgen kämpfende Regierungen, vor allem solche der Linken, sind keineswegs der Inflation so abhold, wie sie im allgemeinen zu sein vorgeben. Und da liegt der Hund begraben.
Selbst Regierungen der Rechten verhalten sich ziemlich lau gegenüber der Inflation, denn dort werden die Bürger einfach in höhere Steuerklassen befördert, was natürlich das Steueraufkommen erhöht und die Haushai tsschaukel sanfter schwingen läßt. Und auch sie gewähren Konzessionen wie höhere Pensionen oder Steuererlässe bei der Einkommensteuer! So läßt sich billig Popularität erhaschen, während doch alle Gruppen darunter zu leiden haben.
Doch schlimmer noch: Linksregierungen bedienen sich freizügigst der Inflation als eines Mittels zur stillschweigenden Vermögensenteignung der Reichen. Daß sie dabei auch die kleinen Sparguthaben von Herrn Jedermann auszehren, ist unerheblich, wenn nur ererbter Wohlstand zusammenschmilzt. Tatsächlich ist ja die Mittelklasse am stärksten betroffen, denn die ganz reichen Leute verfügen über Grundbesitz, kostbare Gemälde und andere Wertobjekte, die vom Währungsverfall nicht berührt werden. Wer wirklich zu klagen hätte, ist der Mann mit einer ausgesetzten Leibrente oder mit fester Versicherungssumme. Von Gerechtigkeit nun einmal abgesehen, trifft die Inflation ja vor allem den Sparer, nicht den fröhlichen Geldausgeber. Dadurch werden jene geschwächt, die am meisten für die Zukunft Vorsorgen. Leider wird von den Regierungen privater Verantwortungssinn für die Zukunft nicht respektiert, weil sie lieber selber die Zukunft bestimmen wollen.
Zuletzt sei noch darauf hingewiesen, daß den Kommunisten die Inflation ins Konzept paßt, weil sie sich davon das allgemeine Chaos erhoffen, in dem sie zur Macht kommen könnten. So verbinden sich Kommunisten und Sozialisten zu einer unheiligen Allianz.
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Inflation läßt sich dadurch unterdrücken, daß man die Arbeitslosenzahl ansteigen läßt. Ohnehin ist schon klargeworden, daß wir in einer parlamentarischen Demokratie nicht gleichzeitig Vollbeschäftigung, freies Aushandeln von Löhnen und stabile Preise haben können. Will die Regierung die Preise kontrollieren, so muß sie auch die Löhne kontrollieren; wenn sie das aber versucht, ist sie die längste Zeit Regierung gewesen. Da aber niemand, am wenigsten in Großbritannien, auf eine der drei Möglichkeiten zu verzichten gewillt ist, so muß daraus gefolgert werden, daß entweder die Demokratie geopfert werden muß oder die Inflation weitergeht.
Wer überleben will, muß also entweder in eine starke Gewerkschaft eintreten oder Selbständiger sein, oder so rasch wie möglich das Zeitliche segnen, sobald ihn seine Kräfte verlassen.
5 Der Betrug mit dem Gold
Wenn dies auch beileibe keine wirtschaftswissenschaftliche Abhandlung sein möchte, weshalb ich auch hier nur einige Lichter aufgesetzt habe, welche die Situation schlagartig beleuchten, so muß hier doch noch einiges über die Auswirkungen der Inflation auf die Handelsbilanz gesagt werden. Eine der ungünstigsten Nebenwirkungen der Inflation ist nämlich, daß sie Importe ins Land zieht aus anderen Ländern, die weniger unter Inflation leiden, weshalb die Exporte entsprechend teuer werden. Dies führt dazu, daß sich die Handelsbilanz verschiebt. Das Einfuhrland muß den Unterschied mit Gold bezahlen; nur wenige Länder haben genug Gold, um das lange durchzustehen. Hält diese Situation weiter an, so müssen sie sich aufs Schuldenmachen verlegen, wie Großbritannien dies gegenwärtig tut. Eines Tages aber ist der gute Wille der Gläubigerstaaten erschöpft; im Falle Italiens war es bereits soweit.
Wenn ein Land mit negativer Handelsbilanz es fertigbringt, eine Deflation vorzunehmen, so wird dadurch die Importfreudigkeit verringert. Aber — und dies wird von vielen Autoren bei der Behandlung finanzieller Probleme übersehen —: Wenn die Verbraucher irgendeine besondere Ware haben möchten, die nur ein anderes Land ihnen liefern kann, so bedürfte es schon einer ganz schweren Deflation, um sie zuverlässig vom Kaufen abzuhalten — einer so schweren Deflation, wie ich meine, daß sie einem Zusammenbruch der binnenländischen Wirtschaft gleichkäme. Ein Land, dessen Herstellungsmethoden nicht rationell sind, das Produkte mit schlechtem Design verkauft oder unzuverlässige und altmodische Erzeugnisse, wird Schwierigkeiten beim Export haben, während die Verbraucher des eigenen Landes lieber die ansprechendere Importware kaufen als Dinge eigener Produktion, selbst wenn dies teurer kommt. Allzuoft versuchen Politiker den Export durch finanzielle Manipulationen zu beleben, übersehen aber dabei diese mehr grundsätzlichen Gegebenheiten.
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Befindet sich ein Land in einer solchen Sackgasse, so hat es die Möglichkeit, seine Importe auf bestimmte Quoten zu begrenzen; aber eine solche Maßnahme provoziert leicht Gegenmaßnahmen der Exportländer, und zudem lassen vielfach die Handelsabkommen vor allem in Europa solche Schritte nicht zu. Nun ließe sich noch die Parität der Währung ändern, aber auch dies ist unpopulär und macht die Rohstoffe teurer.
Wenn aber die Rohstofflieferanten nicht mehr bezahlt werden können, werden sie ihre Lieferungen auch bald einstellen, wodurch das Importland in Arbeitslosigkeit, Bankrotte und wirtschaftlichen Zusammenbruch getrieben wird.
In der Tat besteht hier eine Zwickmühle. Läßt man die Inflation Wiederaufleben, um die Nachfrage zu sichern und eine Depression abzuwenden, dann kippt die Handelsbilanz und auch die Währungsparität. Wird nichts unternommen, dann ist gleichwohl die Inflation mit allen ihren Problemen da. Besonders gefährlich ist in einer solchen Situation der Umstand, daß für die Abwicklung des Welthandels nur erstaunlich geringe Goldbestände zur Verfügung stehen. Heute gleichen viele Länder Firmen mit unzureichendem Handelskapital. Außer einigen Finanzexperten machen sich nur wenige Leute klar, wie gering in Wirklichkeit die für den Welthandel verfügbaren Goldreserven sind, wenn man sie mit dem gesamten Handelsvolumen vergleicht. So hatte zum Beispiel Frankreich größere Goldbestände als die meisten Länder, doch überstieg sein Handelsdefizit im Jahr 1974 die gesamten Reserven. Nun kann ein Land zwar ein schlechtes Jahr durchstehen (selbst drei oder vier schlechte Jahre), aber eine Kette schlechter Jahre führt in die Pleite.
Es kommt hinzu, daß der Welthandel stärker expandiert als die Goldförderung, so daß die Nationalwährungen sich zunehmend an einem steigenden Goldstandard zu messen haben. Anders gesagt: Der Goldpreis geht fortwährend in die Höhe, was jenen Ländern nur recht sein kann, die wie Rußland und Südafrika selbst Gold gewinnen.
Im Jahr 1973 wurde durch die gemeinsame Aktion der Ölförderungsländer (OPEC) ein Schraubenschlüssel in diese verletzliche Maschinerie geworfen. Sie hoben die Ölpreise beträchtlich an, wodurch sie den Rest der Welt in ein Defizit schlittern ließen. Wenn das System des globalen Geldumlaufs weiter funktionieren soll, so ist es unerläßlich, daß die ölländer das Gold wieder in den Kreislauf einspeisen, entweder durch Investitionen oder durch Ankäufe. Wichtig ist, auf welche Weise sie dann die Wahl zwischen beiden Alternativen treffen, da hiervon das Verhältnis zwischen Rücklagen und Ausgaben berührt wird. Kaufen sie wild drauflos, so könnte dies in den Ländern, in denen sie einkaufen, zu einer Inflation führen. Legen sie alles Geld zurück, wäre eine Depression die Folge.
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Da die Finanzminister der Industrieländer nicht wissen, nach welcher Seite das Ölgeld letztlich rollen wird, wissen sie auch nicht recht, ob sie jetzt auf Inflation oder auf Deflation schalten sollen. Das ist ein Spiel, bei dem ein einziger Spieler fast alle Trumpfkarten in der Hand hält.
Im 19. Jahrhundert befand sich Großbritannien als Lieferant der ganzen Welt in einer ähnlichen Position. England scheffelte Gold, lieh es aber prompt wieder an seine Kundenländer aus, wodurch diese fleißig weiterkaufen konnten. Natürlich waren die riesigen Schuldsummen, die so nach und nach aufliefen, in den Kamin zu schreiben — ganz klar, denn die unterentwickelten Länder konnten Großbritannien nicht mit Importen überschwemmen und so mit tatsächlichen Gegenwerten für ihre Einfuhren aufwarten. Zweifellos werden auch die arabischen Darlehen eines Tages verfallen.
Ich werde später noch Gründe für die Erwartung anführen, daß andere Länder mit ebenfalls begehrten Gütern versuchen könnten, den arabischen Schachzug zu wiederholen, wodurch der Welthandel noch schwieriger würde.
Mittlerweile sehen sich die westlichen Länder mit negativen Handelsbilanzen konfrontiert. Da ihre Einwohner mehr für das Öl ausgeben müssen (gleichgültig, ob sie es nun direkt kaufen oder über die erhöhten Preise anderer Waren), bleibt weniger Geld für andere Dinge übrig. Wenn nun die Araber hier nicht einspringen, um Waren in entsprechendem Umfang zu kaufen, könnte der Effekt deflationistisch sein. Versuchen sie aber die Lücke zu füllen, kaufen dabei aber jedoch Waren anderer Art — mehr Flugzeuge und Lokomotiven als Geschirrspülmaschinen und Fernsehapparate —, dann werden die Industrieländer zu aufwendigen und mühseligen Strukturwandlungen in ihrer Wirtschaft gezwungen sein.
Schließlich ist klar , daß es für jedes Land mit günstiger Handelsbilanz ein Partnerland mit ungünstiger Handelsbilanz geben wird. Wenn daher von Politikern Export um jeden Preis gefordert wird, wie das gegenwärtig populär ist, so tanzt man damit auf des Messers Schneide. Denn massive Exporte setzen ein Land einem nicht geringen Risiko aus, da ein Anhalten der Nachfrage nicht garantiert werden kann. Solange die Welt so zersplittert ist wie heute, wäre es sinnvoller, sowohl Exporte als auch Importe nach Möglichkeit einzuschränken.
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6 Weltweiter Kollaps — was dann?
«Schlittert die Welt wieder in eine Wirtschaftskrise wie die von 1929?» fragte die <Financial Times> Mitte 1974, während der <Economist> schlicht die «bevorstehende Depression» ankündigte. Die Wirtschaftsfachleute empfehlen, auf eine Zunahme der Bankrotte ein Augenmerk zu haben.
Aber nationalisierte Industrien können selbstverständlich gar nicht bankrott gehen, und die Regierungen sehen es auch sonst nicht gern, daß wichtige Firmen zusammenbrechen, die viele Arbeitnehmer beschäftigen oder die für das Nationalprestige von Bedeutung sind. Wenn solche Firmen um Hilfe bitten, dann sind die ersten Warnlampen schon angegangen. Wenn aber der Staat es nicht mehr vermag, ihnen aus der Patsche zu helfen, dann schrillen bereits die Alarmglocken.
Etwa ein Jahr nach dem defizitären Abschluß größerer Firmen — so lehrt uns die Wirtschaftsgeschichte — beginnt das Bruttosozialprodukt abzufallen. Ein weiteres Jahr danach beginnt die Arbeitslosigkeit zuzunehmen. Im März 1974 stellte der <Economist> fest, daß die Defizite zunahmen und gegen Ende des Jahres die Anzahl der Bankrotte ein Maximum erreicht hatte. Andere Firmen hatten sich an die Regierung gewandt mit der Bitte um Unterstützung angesichts drohenden Ruins. Für viele Länder zeichnen sich trübe Perspektiven ab.
Gewiß, Depressionen kommen und gehen auch wieder vorüber, aber eine große weltweite Depression im Stil von 1929 ist doch etwas ganz anderes. Schon haben die Börsenwerte einen Kursabfall erleben müssen, der über Wertverluste des Jahres 1929 hinausgeht. Damals aber brach zehn Jahre nach den großen Kursstürzen der Zweite Weltkrieg aus. Sollte sich Geschichte exakt wiederholen — was sie natürlich nicht tut —, dann stünde uns bereits für das Jahr 1984 ein dritter Weltkrieg ins Haus. Mag dieses Datum auch nicht verläßlich sein, so bleibt doch aber das Risiko eines weltweiten Kriegs im Gefolge der weltweiten Depression.
Wie ich bereits ausgeführt habe, wird der kommende Rutsch nach unten möglicherweise auch wieder in eine neue Aufwärtsentwicklung übergehen können, sofern nur ein Krieg und die Ausbreitung des Kommunismus verhindert werden.
Doch wenn sich die Katastrophe in der ersten Runde noch vermeiden läßt — eine Garantie für den weiteren Verlauf gibt es nicht.
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Gordon Rattray Taylor 1975 Zukunftsbewältigung