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Verdammt, was, um Himmels willen, habe ich mir da eingebrockt? Wie löse ich diese Wahnsinnsaufgabe? Die Vorstellung, mich mit euch über die Zukunft der heutigen Welt zu unterhalten? Wie schaffe ich das bloß? Ich habe nicht die leiseste Ahnung, und ihr auch nicht.

Ich weiß nur, wie alles angefangen hat. Und jetzt, wo die Sache in Gang gekommen ist, läuft sie mit solcher Macht, dass ich die Bewegung nicht mehr aufhalten kann. Es ist wie ein Strudel, der mich mit sich reißt, etwas, das mich rigoros drängt fortzufahren, ohne mich nach meiner Meinung zu fragen. Obwohl ich mir ja durchaus vorstellen kann, dass ihr viel lieber einen unterhaltsamen kleinen Krimi von mir hättet. Später, versprochen. Aber nicht jetzt, ich kann nicht. Eine Art gnadenlose Notwendigkeit zwingt mich, erst dieses Buch zu schreiben.

Ja, ich weiß noch, wie es angefangen hat — mit einer Kleinigkeit. Ich hatte vor zehn Jahren einen ganz kurzen Text zum Umweltschutz geschrieben. Kaum der Rede wert. Von Freunden erfuhr ich wenig später, dass Auszüge daraus in China und in Brasilien auf T-Shirts gedruckt worden waren, ja sogar als Vorlage für Theaterstücke gedient hatten. Das hatte mich verwundert und auch amüsiert. Aber dabei blieb es nicht. Als ich in tiefer, stiller Nacht — o Pardon, ich bin im falschen Satz gelandet, also noch mal.

Als man mich Tag für Tag von allen Seiten informierte, dass dieser erstaunlich unverwüstliche Text sich mittlerweile auf Facebook herumtrieb und durch die ganze Welt wanderte ... Also bitte! Ich hatte nichts damit zu tun, das könnt ihr mir glauben. Dann teilte man mir schließlich mit, dass er auf der Weltklimakonferenz im Dezember 2018 von Charlotte Gainsbourg gelesen werden würde. Ein zehn Jahre alter Text! Immerhin, bei dem Tempo, in dem die UN-Klimakonferenzen aufeinander folgen, ohne einen einzigen Fortschritt zu erbringen, waren meine schlichten Sätze noch immer aktuell. Und da fasste ich in tiefer Nacht (diesmal stimmt es) den Plan (welcher Teufel hatte mich bloß geritten?), einen Text der gleichen Art zu verfassen, nur ein bisschen länger, so an die fünfzig Seiten, nicht mehr, um den Leser nicht zu erschlagen, über die Zukunft unseres Planeten, der lebenden Welt, der Menschheit. Nicht mehr.

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Hier unterbreche ich die Entstehungsgeschichte dieses unmöglichen Buches und füge jenen kleinen Text mit dem so merkwürdigen Schicksal ein, damit ihr auch begreift, wie unscheinbar der Anfang war, von dem alles ausging, und bei welcher Ungeheuerlichkeit ich gelandet bin. Der Text trägt das Datum des 7- November 2008:

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Da sind wir nun, da sind wir angekommen.

Seit fünfzig Jahren lauert diese Katastrophe in den Hochöfen der Sorglosigkeit der Menschheit, jetzt ist sie da. Wir sind gegen die Wand gefahren, wir stehen am Rande des Abgrunds, das haben wir mit einer Bravour hingekriegt, zu der einzig der Mensch in der Lage ist, der die Wirklichkeit erst dann wahrnimmt, wenn sie ihm weh tut.

Wie die gute alte Grille aus der Fabel von La Fontaine, der wir sogern unsere Unbekümmertheit zuschreiben: Wir haben gesungen, getanzt. »Wir«, damit meine ich ein Viertel der Menschheit, während der Rest sich abrackern musste.

Wir haben uns das bessere Leben geschaffen, wir haben unsere Pestizide in die Flüsse und ins Meer geleitet, unseren Qualm in die Luft geblasen, wir sind drei Autos gefahren, haben die Minen ausgebeutet, wir haben Erdbeeren vom anderen Ende der Welt gegessen, wir sind kreuz und quer über den Globus gereist, wir haben die Nächte hell gemacht, wir tragen Turnschuhe, die bei jedem Schritt blinken, wir sind dick geworden, wir haben die Wüste unter Wasser gesetzt, den Regen sauer gemacht, Klone gezüchtet, ehrlich, wir haben uns echt amüsiert.

Wir haben einfach fantastische und dabei ziemlich komplizierte Sachen vollbracht wie das Packeis zum Schmelzen zu bringen, genetisch veränderte Tierchen in die Erde zu buddeln, den Golfstrom in seinem Lauf zu verändern, ein Drittel aller lebenden Arten zu vernichten, das Atom zu spalten, unseren radioaktiven Müll still und leise in der Erde zu vergaben. Weiß Gott, wir haben uns amüsiert. Wir haben es voll ausgekostet. Und wir würden gern so weitermachen, denn es leuchtet ja ein, mit blinkenden Turnschuhen in ein Flugzeug zu steigen ist entschieden lustiger ab Kartoffeln zu hacken. Das auf jeden Fall.

Aber nun sind wir angekommen.

Bei der Dritten Revolution. Die sich insofern sehr von den beiden ersten (der Neolithischen und der Industriellen

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Revolution, falls ihr's vergessen habt) unterscheidet, ab wir sie uns nicht ausgesucht haben.

»Sind wir denn gezwungen, diese Dritte Revolution zu machen?«, werden jetzt ein paar unwillige, missmutige Gemüter fragen.

Ja. Wir haben keine Wahl, sie hat schon begonnen, sie hat uns nicht nach unserer Meinung gefragt. Mutter Natur hat es so entschieden, nachdem sie uns freundlicherweise jahrzehntelang mit ihr hat spielen lassen. Mutter Natur, inzwischen erschöpft, beschmutzt und blutleer, dreht uns den Hahn zu. Kein Erdöl, kein Gas, kein Uran, keine Luft, kein Wasser mehr.

Ihr Ultimatum ist eindeutig und gnadenlos: Rettet mich, oder ihr geht gemeinsam mit mir unter (mit Ausnahme der Ameisen und der Spinnen, die uns überleben werden, weil sie sehr widerstandsfähig und außerdem nicht sonderlich erpicht sind aufs Tanzen).

Rettet mich oder geht mit mir unter. So nüchtern ausgesprochen, versteht man natürlich, dass man keine Wahl hat, man macht sich unverzüglich ans Werk, und falls noch Zeit ist, entschuldigt man sich sogar erschrocken und beschämt. Auch wenn es ein paar Traumtänzer gibt, die versuchen, einen Aufschub auszuhandeln, um sich mit dem Wachstum noch ein Weilchen zu amüsieren.

Verlorene Mühe. Es wartet ein Haufen Arbeit auf uns, mehr ab die Menschheit je hatte. Den Himmel aufräumen, das Wasser reinigen, den Dreck von der Erde schrubben, sein Auto abschaffen, die Atomkraftwerke abschalten, die Eisbären einsammeln, das Licht ausmachen, wenn man aus dem Haus geht, über den Frieden wachen, die Gier einschränken, Erdbeeren in seiner Nähe pflücken, nicht auch noch in der Nacht

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rausgehen, um sie alle zu sammeln, auch dem Nachbarn noch welche lassen, die Segelschiffahrt wiederbeleben, die Kohle da lassen, wo sie ist — Achtung, die Versuchung liegt nahe, aber lassen wir die Kohle in Ruhe —, Pferdeäpfel sammeln, auf die Felder pinkeln (des Phosphors wegen, der knapp geworden ist, wir haben alle Phosphatminen ausgebeutet und uns trotzdem gut dabei amüsiert).

Uns anstrengen. Sogar nachdenken. Ja, selbst auf die Gefahr hin, euch mit einem altmodischen Begriff zu nerven: solidarisch sein.

Solidarisch mit dem Nachbarn, mit Europa, mit der Welt.

Ein gewaltiges Programm, diese Dritte Revolution. Und kein Ausweg, machen wir uns also an die Arbeit. Wobei Pferdeäpfel sammeln — und jeder, der's mal gemacht hat, weiß es — ist eine zutiefst befriedigende Tätigkeit. Die einen nicht mal hindert, abends auch noch tanzen zu gehen, beides ist durchaus nicht unvereinbar. Vorausgesetzt, es herrscht Frieden, vorausgesetzt, wir verhindern die Rückkehr der Barbarei, eine andere große Spezialität des Menschen, und jene vermutlich, in der er es am weitesten gebracht hat.

Zu diesem Preis wird uns die Dritte Revolution gelingen. Zu diesem Preis werden wir am Ende auch wieder tanzen, sicherlich anders, aber wir werden tanzen.

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Ihr seht, nichts Besonderes, dieser kleine Text, nichts, was einen vom Hocker reißt. Und so kam mir in tiefer Nacht der Gedanke eines Büchleins von gleicher Art und erschien mir als durchaus machbar, vergnüglich, ja sogar als erregende Aufgabe, wenn es noch dazu irgendwie nützlich sein könnte. Machbar insofern, weil ich mich in Umweltfragen

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ja auszukennen meinte, denn schon im Alter von zwanzig Jahren hatte ich mich damit beschäftigt. Natürlich war mir klar, dass ich noch ein paar Dinge würde recherchieren müssen, aber als Forscherin hatte ich darin ja Erfahrung, es beunruhigte mich nicht. Und vom Schreiben verstand ich schließlich auch ein bisschen was.

Gleich am nächsten Tag stürzte ich mich frisch-fröhlich und ein wenig aufgeregt in die Phase der Dokumentation, für die ich naiverweise eine Woche veranschlagte. Aber eine Woche nach der anderen verging, ein Sujet ergab das nächste, ein Thema das andere, alle waren sie unentbehrlich, von der Sardine bis zum Lachgas über das Erdgas und die Packeisschmelze. Ich arbeitete wie besessen, vergaß die Uhrzeit, das Einkaufen, das Wäschewaschen e tutti quantiy nicht allerdings das Essen, das ich hastig und spät runterschlang. Fieberhafte Wochen, in denen mir klar wurde, dass ich in Wahrheit fast nichts wusste außer, wie jedermann, die oberflächliche Erscheinung der Dinge. Die Umwelt, Tier- und Pflanzenwelt, die Menschheit, sie offenbarten sich mir unter gänzlich neuen, düsteren Aspekten, mit vielfältigen, sehr komplexen und miteinander verwobe-nen Facetten, die ich so weit wie möglich erforschte — denn das ist meine Archäologen-Natur. Und in diesen Höhlen, das kann ich euch sagen, habe ich oft schlimme Augenblicke erlebt, sturmumbranst und leichenblass, das Haar zerwühlt (ein Zitat des großen Victor Hugo, kann nie schaden, so was), oder nüchterner ausgedrückt, ich saß verloren auf meinem Küchenstuhl und starrte entgeistert vor mich hin. Aber Achtung, selbst in solchen Augenblicken habe ich keine Sekunde aufgehört, gleichzeitig wie wild — ja ge-

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radezu neurotisch, nennen wir es ruhig so — nach Aktionen zu suchen, die schon in Gang waren oder angestoßen werden konnten oder sich doch als Möglichkeit am Horizont abzeichneten. Denn auch das ist meine Natur, immer energisch Lösungen anzustreben. Im Kriminalroman ist nichts einfacher als das, denn da schummele ich, ich kenne das Verbrechen ja schon, es fällt mir also nicht schwer, die Lösung zu finden. Aber was alles Lebende auf dieser Erde angeht, stand ich auf einmal fassungslos vor dem gigantischsten Verbrechen, das man sich je hat ausdenken können. Noch wage ich nicht, es zu nennen, noch schrecke ich davor zurück, denn — wie mein Vater sehr zu Recht sagte — nichts existiert, bevor es nicht benannt wurde. Nachdem ich euch also die dreihundert Tentakel dieses entsetzlichen Verbrechens beschrieben und benannt haben werde, werdet ihr sie nicht mehr vergessen, denn dann existieren sie, und knallhart vermutlich. Doch als Gegenstück werde ich euch auch alle uns möglichen Aktionen beschreiben und sie benennen, und auch die werdet ihr nicht vergessen. Die existieren dann ebenfalls, und fortan werden wir uns im Winter nicht mehr auf die pestizidverseuchten Erdbeeren stürzen, die unter großem Treibstoffverbrauch vom anderen Ende der Welt zu uns geflogen werden.

Und, verdammt, wir werden es nicht zulassen, dass dieses ungeheuerliche Verbrechen geschieht! Jedenfalls nicht in dem Ausmaß, das alle Wissenschaftler voraussehen angesichts der unglaublichen Tatenlosigkeit unserer Regierenden, die seit vierzig Jahren genauestens darüber informiert sind, welche Katastrophe auf die Erde zurollt. Und sie sind besser darüber informiert als wir. Laut dem Kyoto-Protokoll von

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1997 haben die Kämpfe der letzten dreißig Jahre gegen die Klimaerwärmung nicht mal bewirkt» die Kurve der Treibhausgas-Emissionen umzukehren! Ja, sie nicht mal zu stabilisieren! Von COP zu COP, von Gipfel zu Gipfel, von einer Konferenz zur nächsten sind eine Menge Versprechen geleistet und (unverbindliche!) Verpflichtungen eingegangen worden, während die Temperatur weiter unaufhörlich stieg und die Lebensbedingungen von Tier- und Pflanzenwelt sich in zunehmendem Tempo verschlechterten! Reden wir doch mal ein bisschen über diese unglaubliche und rätselhafte Tatenlosigkeit unserer Regierenden.

Viel zu lange haben wir geglaubt, dass sie in Bewegung geraten sind, dass sie sich bemühen. Viel zu lange haben wir ihnen vertraut. Viel zu lange haben wir geglaubt, »dass SIE etwas tun würden« und dass unsere Angelegenheiten schon irgendwie in Ordnung kämen. Viel zu lange haben wir unser Schicksal in ihre untätigen Hände gelegt. Ihre Hände?

Genau. Vergessen wir nicht, dass die Regierenden Hand in Hand mit den multinationalen Konzernen vorgehen — von ihnen gelähmt werden? — und mit den mächtigsten Lobbys der Welt, der Lobby der Lebensmittelindustrie, der Lobby der Verkehrswirtschaft, der Agrochemie, der Textilindustrie und so weiter, ihr kennt sie nur zu gut. Die sich gegen jeden Angriff auf ihre ungeheure Macht wehren, das heißt, und das ist das Schlüsselwort der Katastrophe, gegen jeden Angriff auf das GELD, auf immer mehr GELD. Ihres, nicht unseres. Und damit das Geld weiter in ihre Kassen strömt und ihre Milliarden und Abermilliarden mehrt, die nahezu steuerfrei oder in Steueroasen gut

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gebunkert sind, braucht es das WACHSTUM, und das ist der zweite Schlüsselbegriff. Damit dieses Wachstum anhält und zunimmt, müssen die Leute kaufen, müssen sie konsumieren, alles und egal, wie, doch immer mehr.

Ich trenne klar zwischen »IHNEN« (»SIE«, »Die da oben«) — dazu gehören unsere scheinbar machtlosen Regierenden und die milliardenschweren Industriellen an der Spitze der Lobbys, die sie unter ihrer Fuchtel halten —, zwischen IHNEN und UNS, den LEUTEN, den kleinen Leuten wie den größeren, den mittleren, den Bourgeois, den Linken, den Rechten, egal, also uns, den Leuten. Und für SIE (»Die da oben«) scheinen die LEUTE so etwas wie eine anonyme Masse darzustellen und nicht das, was wir wirklich sind: die Summe von Milliarden verschiedener und denkender Individuen. Seit vierzig Jahren und obwohl sie sehr wohl wissen, was auf dem Spiel steht, verheimlichen SIE uns, was wir hätten wissen müssen, sodass wir weiterhin blindlings, ahnungslos und vertrauensselig durchs Leben gelaufen sind.

Sie verheimlichen es uns, sie behalten die vielfältigen Details vom Zustand der Welt ftir sich, und ich weiß, ehrlich gesagt, nicht, ob sie es wissentlich tun, um keine Angst (oder Panik?) zu schüren, die ein Schrumpfen des Marktes und einen Bankencrash auslösen würde, oder ob es das Ergebnis einer Unbeweglichkeit, einer Lähmung, einer Art Anästhesie ist, wie sie einem weltkapitalistischen System eigen ist, von dem sie sich nicht loszureißen wissen. Beides vermutlich. Jedenfalls ist diese — willentliche oder passive — Desinformation der Leute überall in der Welt ein schwerer Fehler. Oder finden wir etwa in unseren Briefkästen oder

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in unserer Mailbox vom Staat herausgegebene Broschüren, die uns warnend auf diesen oder jenen Aspekt der Weltsituation hinweisen und uns zu bestimmtem Verhalten raten? Nie, und dieses unglaubliche Schweigen ist unhaltbar.

Gewiss, der französische Premierminister Edouard Philippe hat in aller Öffentlichkeit (2017 vor der Nationalversammlung) und mehrfach auch 2018 (am 28. Juni in Chälons-en-Champagne oder am 4. Juli im Museum für Naturgeschichte) von einem seiner Lieblingsbücher gesprochen, keinem geringeren als Kollaps von Jared Diamond', das die Frage nach der Veränderung der Welt stellt. Dasselbe Thema wird von Präsident Emmanuel Macron am 24. März 2018 in einem Video auf YouTube angesprochen. Doch wenn unsere Regierenden (in Frankreich) ganz offensichtlich von den Problemen wissen, von ihnen betroffen und sogar beunruhigt sind und dies auch aussprechen (obwohl man solche Äußerungen im Netz suchen muss)2, haben sie keinen Plan, keine Maßnahmen genannt, um diese Veränderung einzuleiten, die so schnell wie möglich erfolgen muss — sodass der Eindruck entsteht, bis jetzt läuft alles weiter wie bisher ...

Natürlich könnten die Leute stundenlang das Internet durchforsten oder sich durch Fachzeitschriften oder populärwissenschaftliche Literatur wühlen, bei Vereinigungen, Instituten, Universitäten nachfragen, die solche Daten veröffentlichen. Aber wer macht das? Und wo nähmen sie auch die Zeit dafür her?

Gewiss, wenn man lange genug gräbt, und auch gerechtigkeitshalber sei gesagt, auf den Websites des Gesundheitsministeriums und des Ministeriums für Umwelt und

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nachhaltige Entwicklung findet man Informationen, die sich häufig auf schon ältere Daten beziehen und wiedergeben, welche Beschlüsse seitdem gefasst wurden. Beispielsweise folgendes Resümee zum Thema Treibhausgas-Emissionen: »Der Treibhauseffekt, ein Phänomen natürlichen Ursprungs, hat sich seit Beginn des Industriezeitalters verstärkt durch die Verbrennung fossiler Energien (die C02 freisetzen), die intensive Tierhaltung (Quelle von Methan und Nitraten), die Produktion von Halogenkohlenwasserstoffen für die Kältetechnik ... Die Konvention orientiert die Vereinten Nationen auf den Klimawandel, das Kyoto-Protokoll, den europäischen Emissionshandel, den nationalen Klimaplan, der darauf abzielt, die Treibhausgas-Emissionen auf dem gegenwärtigen Stand zu halten oder zu reduzieren.«3 Voilä, das ist alles. Danach muss man sich die Mühe machen, sich in den auf der Website angebotenen Unterthemen wie »Schlüsselzahlen zum Klima in Frankreich, in Europa, in der Welt« genauere Informationen zu suchen. Nun gut, man hofft. Beispiele: »Wie weltweit, so zeigt die Entwicklung der Jahresdurchschnittstemperaturen auch im französischen Mutterland seit 1900 eindeutig eine Erwärmung. Diese Erwärmung verlief in wechselndem Rhythmus, mit einer auffälligen Steigerung seit den achtziger Jahren. 2016 ist erneut ein warmes Jahr, das mit 0,5 °C über dem Durchschnitt der Zeitspanne von 1981 bis 2010 liegt, dennoch aber im nationalen Maßstab nichts Ungewöhnliches darstellt und auf Platz 10 und damit weit hinter dem Wert von 1914 rangiert.«4 Ein wenig Selbstbefriedigung und vor allem keine Panikmache, findet ihr nicht?

Die Sorge, die Leute könnten beunruhigt

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werden, scheint diese Darlegungen zu prägen.

Es folgt eine ziemlich platte Erinnerung an die Prognosen des IPCC, des Intergouvernmental Panel on Climate Change (datiert von 2014!, in einem ministeriellen Dokument von 20181), wo es heißt: »Diese Profile ergeben sich aus den mehr oder weniger großen Anstrengungen, die weltweit zur Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen unternommen wurden. Ausgehend von Letzteren wurden Klimasimulationen und sozioökonomische Szenarien ausgearbeitet.« Ja, das wussten wir schon. Aber was für Szenarien, und mit welchen Daten? Über die Gletscherschmelze findet man eine Schlussfolgerung, die ausweichender nicht sein könnte: »Trotz zahlreicher Fortschritte in den letzten Jahren weisen die Prognosen der Eisschmelze noch immer große Unsicherheitsspannen auf.« Wir aber werden sehen, verlasst euch drauf, was es mit diesen vermeintlichen »Unsicherheiten« auf sich hat.5

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In diesem langen ministeriellen Dokument — dessen Lektüre die meisten von uns in Anbetracht seiner Gehaltlosigkeit bald abbrechen würden —, in dem im Wesentlichen von den Treibhausgasen die Rede ist, finden sich nur zwei, drei Zeilen über industrielle Landwirtschaft, keinerlei Darstellung der Gesamtheit aller Treibhausgase und vor allem keine Angaben zum Erwärmungsfaktor jedes einzelnen noch ihrer Verweildauer auf der Erde! Letzdich also Texte von erstaunlicher Leere, aus denen wir rein gar nichts über die ungeheuren Risiken erfahren, die auf die lebende Welt in naher Zukunft zukommen.

Nichtssagende Fakten und Kurven ohne alle Bedrohlichkeit (alerte), ohne den mindes-

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ten konkreten Hinweis auf die Auswirkungen der pessimistischsten Zukunftsszenarien des Weltklimarats.

Es ist einfach nicht zu glauben. Aber noch gebe ich nicht auf, ich mache einen Abstecher in den so maßgeblichen Bereich der Viehzucht und der Landwirtschaft: nichts. Verblüffend, was? Ich gebe »Ministerium« und »Methan« ein: auch hier nichts außer einer einzigen Website, auf der die Vorzüge der Methanisierung gerühmt werden.6 Ein letzter Blick auf die schrecklichen Fluorgase. Ah, hier ein Dokument, das immerhin (wenn auch sehr kurz) auf ihre Gefährlichkeit hinweist und eine Zahl nennt: Die fluorierten Treibhausgase, für die wir uns interessieren (PFC, SFö und HFC), sind verantwortlich für die Klimaerwärmung. Beispiel: »Die Verklappung von einem Kilo HFC-134 in der Atmosphäre hat den gleichen Ein-fluss auf das Klima wie 1300 Kilo CO2 oder eine Autofahrt über eine Strecke von 10000 km.« Und schon geht es weiter zu internationalen und nationalen Regelungen und zum »Ersatz von Fluorkohlenwasserstoffen«. Wieder hofft man, sucht weiter, aber wird mehr als enttäuscht: »Es gibt schon zahlreiche Alternativen, einschließlich seit Langem bekannter Fluide wie Kohlenstoffdioxid (CO2), Kohlenwasserstoff, Ammoniak (NH3) ...« Diese bedeutsamen Auslassungspunkte stammen nicht von mir, und die erwähnten Substanzen sind durchaus nicht ökologisch. Das ist alles. Ein Rat wird dennoch gegeben (wenn man auch noch weitergraben muss, bevor man ihn findet):

»Das Umweltministerium hat eine Broschüre herausgegeben, um die Besitzer von Kühl-/Klimatisierungsanlagen zu informieren und Hersteller auf geeignete

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Alternativmöglichkeiten hinzuweisen.«7

Sehr gut, das mache ich, ich bin ja eine brave Staatsbürgerin. (Aber wer, frage ich mich, wer wird sich die ganze Mühe machen, wenn er am Ende keinerlei konkrete Zukunftsvision erhält? Wer wird sich auf die Suche nach diesen Websites begeben und das ganze Zeug lesen? Ich finde ein langes, ziemlich hermetisches Dokument, aus dem ich erfahre, dass »die F-Gas-Verordnung für die EU zwangsläufig zur Annahme umweltfreundlicher Technologien bei der Herstellung neuer Ausrüstungen und Produkte bis 2030 führen wird«, dass »die schrittweise Beschränkung der Verwendung von Fluorkohlenwasserstoffen einen fast vollständigen Übergang zu neuen Anlagen ohne HFC in fast allen Bereichen bis 2030 zur Folge haben wird« und dass »die Entscheidungen über die weitere Reduzierung ab 2030 weit vor dem Jahr 2030 fallen werden«.8 Das ist alles. Keine einzige konkrete Angabe zu diesen »neuen Ausrüstungen und Produkten«, und wieder einmal nichts über die Auswirkung dieser Gase auf die Zukunft unserer Welt.

Ich fasse es nicht. Pardon für diese langen und überaus langweiligen Auszüge aus ministeriellen Dokumenten, aber ich musste es redlicherweise tun. Ich habe auch Begriffe wie »Ministerium / Dringlichkeit / Ökologischer Übergang / Gefahren Umwelt« usw. eingegeben. Resultat: null. Und wir stehen da wie blöd. Ich hatte nicht ganz unrecht, wenn ich von »Desinformation« sprach, von der ich, wie gesagt, nicht weiß, ob sie Absicht ist oder einer Funktionsweise immanent, gegen die man nichts vermag. Ich muss sagen, ich war ziemlich niedergeschmettert nach der Lektüre dieser

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offiziellen Websites und bin verblüfft über den dort praktizierten Umgang mit Präzision auf der einen Seite und Verschwommenheit auf der anderen.

Zu dieser Desinformation kommt der enorme Druck einer aufdringlichen, ununterbrochenen Werbung, der niemand entgeht. Die Werbung bombardiert uns, sie belagert uns, sie erschlägt uns. Und was wiederholt sie in einem fort? Kaufe dies, kaufe jenes, und ihr werdet glücklich sein. Sagt, habt ihr in den letzten vierzig Jahren jemals auch nur eine Werbung gesehen, die uns zur Mäßigung aufgefordert hätte? Habt ihr ein einziges Mal gelesen: »Geht sparsam mit dem Wasser um«, »Esst weniger Fleisch«, »Benutzt nicht so viel Plastik«? Nie! Ein Schluck Kaffee dagegen entfuhrt euch auf der Stelle in ein feenhaftes Reich, in dem es goldene Pailletten regnet; ein Tropfen Parfüm verwandelt euch in eine begehrenswerte Schönheit, der die Männer zu Füßen liegen. Und der Typ da in seinem schicken Auto? Den kennt ihr doch auch, er taucht in ein Universum der Glückseligkeit ein, sobald er am Steuer sitzt. Und ihr werdet bemerkt haben, er fährt immer allein auf leerer Straße, in einer traumhaften Landschaft, und steht keineswegs seit zwei Stunden in irgendeinem Stau. So geht es mit allen Werbungen, sie verkaufen uns einen unwirklichen, unerreichbaren Traum. Nicht dass wir daran glaubten. Wir sind ja denkende Wesen. Doch im Übermaß gesättigt von diesen Bildern, versuchen wir diesem Traum nahezukommen, indem wir kaufen und kaufen und dabei hoffen, dass dieses bestimmte Shampoo unser Haar fülliger und glänzender macht (gebt mir Bescheid, wenn euch das gelungen

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ist), dass jene Frühstücksflocken uns den Motgen versüßen — wähtend sie in Wahrheit schadstoffbelastet sind, abet das wissen wir nicht, und offensichtlich sollen wir es auch um keinen Preis erfahten. Verblödet, wie wir sind. Denn die Werbebotschaft hat bekanntlich eine perverse Seite, die bewirkt, dass wir unbewusst das Glück mit den angepriesenen materiellen Gütern verwechseln, dass einer sich »lächerlich«, »deklassiert« oder sogar als »Versager« fühlt, der ein bestimmtes Auto, ein Parfüm, das neueste Smartphone nicht besitzt. So werden wir desinformiert, dumm und zu leichtgläubigen, willigen Automaten, und indem sie uns einreden, wie nötig dieses sakrosankte Wachstum ist, bringen sie unser Leben — Milliarden von Leben — in Gefahr, und sie wissen es.

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Mit »Desinformation« will ich nicht sagen, dass wir nichts wissen. Jeder weiß heute, dass es der Erde schlecht geht, und während die »Ökofreaks« vor Kurzem noch häufig belächelt wurden, gibt es heute kaum noch Klimaskeptiker mehr (ausgenommen Donald Trump, der hartnäckig auf seiner aberwitzigen Leugnung des Klimawandels beharrt). Wir wissen alle, dass die globale Temperatur steigt, dass das Eis schmilzt, die Ozeane verdreckt sind, die Umweltverschmutzung uns über den Kopf wächst, Arten sterben, dass Pestizide und Schwermetalle unsere Nahrung belasten und unseren Organismus schädigen. Doch über dieses allgemeine und sehr undifferenzierte Wissen hinaus, was wissen wir noch? Wirklich nicht viel, das könnt ihr mir glauben. Das heißt, nichts Genaues. Was uns in den hochentwickelten Ländern und sogar in den Entwicklungsländern

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erlaubt, weiterhin sehr gelassen durchs Leben zu gehen, als ob nichts wäre. Als ob alles sich am Ende arrangieren würde. Und gegen diese unverantwortliche Desinformation möchte ich mit meinen bescheidenen Mitteln kämpfen. So werdet ihr endlich Bescheid wissen über die Zukunft, die uns sehr bald erwartet, und zwar genau. Glaubt nicht, ich hätte mehr gewusst als ihr. Ich habe nur gesucht, ich habe gearbeitet, und am Ende habe ich erreicht, was ich erreichen musste: Ich habe erfahren. Und was ich erfahren habe, das muss ich mit euch teilen, denn nur gemeinsam können wir den Schock mildern, auf den unsere Erde und alles Leben auf ihr zutreiben.

Ich will, wenn ich »SIE« von »UNS« trenne, nicht in den klassischen Fehler des Menschen verfallen, der bei einer Tragödie die Verantwortung dafür auf andere schiebt. Wir hätten sehr viel wachsamer sein können, sein müssen, WIR, in Wirklichkeit haben wir einen Mangel an Urteilsvermögen und eine maßlose Leichtgläubigkeit bewiesen, aber auch — und eines erklärt hier das andere — einen eindeutigen Hang zur Verdrängung, zu dem unbestimmten Wunsch, nicht zu viel wissen zu wollen, womit wir instinktiv unsere Psyche vor einer Angst schützen, die uns verunsichern könnte. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Ein Schutz, der uns erlaubt hat, weiterzuarbeiten, unsere Kinder zu erziehen, einfach — zu leben. Und wir haben uns lieber an die Hoffnung geklammert, die von dieser dichten Folge von UN-Klimakonferenzen und Gipfeln ausging, eine Hoffnung, von der wir heute wissen, wie vergeblich sie war. Dennoch sind SIE, die zwar informiert, aber einem gewinnorientierten Gesellschaftsmodell verhaftet sind, an das sie

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nicht rühren wollen — oder können —, da auch sie einer Art Verweigerung erliegen, sind SIE in all den zurückliegenden Jahrzehnten die Hauptverantwortlichen der Situation gewesen, in der wir uns heute befinden. Verantwortlich, da sie von uns just dafür gewählt wurden und die Verantwortung schlicht die Basis ihres Amtes ist. Ihre Aufgabe war es also seit Langem, an eine Veränderung unserer Produktionsund Konsumptionsmodelle heranzugehen, selbst auf die Gefahr hin, damit einen Sturm der Entrüstung unter den Lobbys auszulösen, die uns die Hände binden.

Wen ich ausschließen möchte, zwar nicht von »uns LEUTEN« schlechthin, doch von den vertrauensseligen Leuten, die wir gewesen sind, das sind die Forscher, die ja unentwegt ackern. Die Menge der Innovationen der letzten Jahre ist beeindruckend, seien sie nun von Bestand gewesen oder nicht. Sicher, die meisten dieser Forschungen waren durch Geld motiviert, nicht für die Forscher selbst, doch für die Konzerne oder Labore, für die sie arbeiten: Das erste Unternehmen, das eine leistungsstarke und umweltschonende Batterie, ein System für die Speicherung erneuerbarer Energien, einen effizienten CCh-Messfuhler usw. entwickeln wird, dem gehören die Märkte dieser Welt. Das ist nicht wenig. Aber die Forscher, sie seien gegrüßt, die brauchen wir wie das liebe Brot. Es gibt auch unabhängige Forscher, Männer und Frauen, die aus eigenem Antrieb erfinden. Auch sie seien gegrüßt.

Trotz der massiven Desinformation sind wir uns schon seit Jahren in zunehmendem Maß bewusst, dass eine schreckliche Gefahr auf uns zukommt. Und heute sind wir es noch mehr. Denn das große Geheimnis sickert auf dem

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Weg über die Medien endlich durch und verbreitet sich jeden Tag mehr. Aber da wir formbar wie Brotteig geworden sind, lassen wir auch jetzt wieder voll Fatalismus die Arme sinken, und erfüllt von einem lähmenden Gefühl der Ohnmacht, sagen wir uns von vornherein: >»DIE< werden schon etwas finden.« Nein, glauben wir vor allem das nicht mehr.

Und ich, ich sage: WIR, die LEUTE, sollten ohnmächtig sein? Aber mitnichten. Denn wie viele sind sie denn schließlich in der Welt, die Regierenden und die Multimil-liardäre? Ein paar tausend? Zweitausend? Und WIR, die LEUTE, wie viele sind wir? Über siebeneinhalb Milliarden. Ich glaube, ich behaupte nicht zu viel, wenn ich feststelle, dass das Kräfteverhältnis eindeutig zu unseren Gunsten ausfällt, also nutzen wir es, stürzen wir uns drauf. Und da SIE nichts tun, denn auch die letzte UN-Klimakonferenz ist, wie vorauszusehen war, gescheitert, ist es an uns, den LEUTEN, mit Unterstützung von NGOs und anderen Vereinigungen, die Dinge in die Hand zu nehmen und vor IHNEN zu handeln.

Dieses neuerliche Scheitern der Weltklimakonferenz hat dazu geführt, dass erstmals in der Geschichte dieses laufenden Verbrechens Umweltschützer eine Petition an die Adresse des französischen Staates gerichtet haben, in der sie gerichtlich Klage erheben gegen dessen Untätigkeit angesichts des Klimawandels, eine Petition mit dem Titel Die Jahr-hundertaffare, die in wenigen Tagen und bis zu dem Moment, wo ich dies schreibe, von zwei Millionen Menschen unterzeichnet wurde. Verdammt, das nenne ich gewachsene Stärke, so was hat's noch nicht gegeben. Und wir sind nicht allein. Überall in der Welt kommt es zu Manifestationen:

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Die Leute haben aufgehört, an die da oben zu glauben, das Zeitalter des Gehorsams der Völker geht zu Ende. Jetzt werdet ihr mir sagen: »Aber außer Petitionen unterzeichnen können wir eh nichts tun!« Doch. Wir können sogar so viel tun, dass wir in der Lage sind, wir allein, manches Gleichgewicht in der Welt zu erschüttern und manche mächtige Lobby in die Knie zu zwingen. Schon morgen. Oder, wenn euch das lieber ist, schon nächsten Monat. Ich sage zu euch nicht, dass wir in unserer Garage eine grüne Batterie oder einen CCh-Messfuhler basteln können, aber wir haben die Möglichkeit, ihr werdet es sehen, in vielen anderen Bereichen in entscheidendem Maß tätig zu werden. Wir haben eine Menge Arbeit vor uns. WIR, die LEUTE.

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Wartet, das ist noch nicht alles: 82 Prozent des Reichtums in der Welt konzentrierten sich im vergangenen Jahr in den Händen von 1 Prozent der Weltbevölkerung, während die ärmere Hälfte (genau 3>7 Milliarden Menschen) nichts davon erhielt. Und das Vermögen dieser Multimilliardäre ist in zehn Jahren um 13 Prozent gestiegen! Für die Entwicklungsländer bedeutet die Steuerflucht einen jährlichen Verlust von 170 Milliarden Dollar!9 Glaubt ihr nicht, dass dieser Geldsegen ausreichen würde, in einigen afrikanischen Ländern die Gebäude zu isolieren, den Landwirten finanzielle Hilfen zukommen zu lassen, die Infrastruktur des Wasserleitungssystems zu erneuern, das so veraltet ist, dass 70 Prozent des Wassers im Boden versickern? Die Bewohner mit Trinkwasser zu versorgen? In diesen sonnigen Ländern riesige Solarenergieparks anzulegen? Die Forschung noch weiter zu fördern? (Ah, ich vergaß, Bill Gates ein paar

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Minuspunkte zu verpassen. Man weiß um sein Engagement für das Klima, das darüber hinaus andere große Vermögen nach sich zieht. Dennoch hat die »Bill & Melinda Gates Foundation«, die größte Privat-Stiftung der Welt mit einem Budget von 43 Milliarden Dollar, im Jahr 2013 für 1,4 Milliarden Dollar in Unternehmen investiert, die fossile Brennstoffe abbauen.'0 Ein eklatanter Widerspruch.)

Und weiter: Allein auf Ebene der 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union »gehen jährlich etwa 1000 Milliarden Euro durch Steuerflucht und Steuerhinterziehung verloren«, so schätzt das Europaparlament.11 Habt ihr eine Vorstellung, was man damit alles unternehmen könntet Im Kontrast dazu die schockierende Feststellung der COP24: »Auf Finanzierungsebene sind wir erst bei der Hälfte der im Jahr 2010 von den Industrieländern versprochenen 100 Milliarden für die Unterstützung der schwächsten Länder, wobei diese Summe erst noch aufgetrieben werden und ab 2020 einsatzbereit sein muss.«12 Wir hätten also nur 50 Milliarden Hilfsgelder zu unserer Verfügung — während Europa jährlich 1000 Milliarden durch Steuerflucht verloren gehen! Ihr werdet mit mir einer Meinung sein, wenn ich sage, das Ding geht nicht, aber ganz und gar nicht!

Außerdem, laut Europäischer Kommission beträgt der Steuersatz auf die Gewinne der größten Technologiekonzerne in Europa (Steuerbetrug nicht einbegriffen) im Schnitt 9 Prozent.13 Zahlt ihr, ihr kleinen oder auch großen bürgerlichen Haushalte, 9 Prozent Steuern? Glaube ich nicht, nein. Für Staaten aber ist es lebenswichtig, dass sie dieses unterschlagene Geld bekommen. Dann nämlich wird die Welt in der Lage sein, die Wende zu finanzieren.

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Was heißt »Wende«? Es geht um eine radikale und zügige Veränderung. Eine Veränderung unseres Denkens, unseres Verhaltens, unserer Lebensweise. Eine dringend gebotene.

Noch immer, ich weiß, habe ich die tragischen Worte nicht ausgesprochen, die uns auf direktem Weg zu diesem Umbruch führen werden. Ich schiebe den Moment noch ein wenig hinaus, aber ich komme dahin.

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Ich sehe, ich habe schon gut zwanzig Seiten geschrieben, und angesichts der Dokumentation, die ich angelegt habe und die über fünfhundert Seiten umfasst, fürchte ich, die fünfzig Seiten zu überschreiten, die ich mir vorgestellt hatte. Okay, ich riskiere, ein wenig darüber hinauszugehen, um euch alles sagen zu können, denn wir müssen wissen, wenn wir handeln wollen. Außerdem habe ich schon gar keine Wahl mehr. Doch als Erstes werde ich einen kleinen diktatorischen Apparat an meinen Rechner anschließen, der mir helfen wird, die Abschweifungen zu vermeiden, zu denen ich für gewöhnlich neige. Es handelt sich um einen Integrierten Schreibzensor (ISZ), der jede Zeile überwacht, die ich eingebe. Vorher muss ich ihn programmieren: Nichts, was nicht zum Thema gehört; Vorsicht mit allzu vielen Fachausdrücken; Quellenangaben nicht vergessen und umgangssprachliches Vokabular nur im Rahmen des allgemein Zulässigen. So, ich schalte ihn ein. Und nun sage ich euch die unsagbaren Dinge. Es wird hart werden, ich sagte es. Aber vergesst bei alledem nicht, dass es die Möglichkeit zum Handeln gibt, und vergesst auch diesen finanziellen Segen nicht, den wir um jeden Preis für uns zurückgewinnen müssen. Los geht's.

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Die UNO nennt ja die Dinge beim Namen. Ich beginne mit dem alarmierenden Appell, den ihr Generalsekretär Antonio Guterres auf dem Weltwirtschaftsforum von Davos im Januar 2019 an die dreitausend Mächtigen aus Wirtschaft und Politik gerichtet hat. »Der Klimawandel läuft uns davon [...], das könnte zu einer Katastrophe für den Planeten werden.« »Der politische Wille ist nicht da [...], obwohl der Klimawandel das allerwichtigste Problem ist, mit dem die Menschheit konfrontiert ist.« »Die Realität ist schlimmer, als vorauszusehen war [...], weshalb es absolut zwingend geworden ist, dass wir die Tendenz umkehren.« »Wir subventionieren weiterhin fossile Energien, was überhaupt keinen Sinn macht.«14 Bereits auf der COP24, der Klimakonferenz im Dezember 2018 in Katowice, hatte er die Weltöffendich-keit alarmiert: »Schon ist es für viele Menschen eine Frage von Leben oder Tod, und darum ist es schwer verständlich, warum wir, und zwar kollektiv, noch immer nur so langsam vorankommen, und sogar in der falschen Richtung.«15

So viel, damit ihr sicher seid, dass ich euch nicht irgendeinen Quark einer hysterischen Umweltaktivistin erzähle, o nein.

»Von Leben oder Tod.« Die Worte sind ausgesprochen. Von der UNO.

Die mittlere Erdtemperatur ist bereits um 1°C gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter gestiegen und steigt weiterhin. Wenn nichts geschieht, »dürften sich die Temperaturen im Lauf des Jahrhunderts um durchschnittlich 4 bis 5 °C erhöhen.« (Zitat aus der Zeitschrift Proceedings ofthe National Academy of Sciences)}6 Einige Leute sprechen sogar von 7 oder 8 °C.

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Ah, mein Schreibzensor meldet sich schon mit einem Piepton und weist mich darauf hin, dass der Begriff »Quark« zwar nicht den Rahmen des umgangssprachlichen Vokabulars sprengt, aber doch ausgesprochen vulgär ist. Okay, ich habe es zur Kenntnis genommen.

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Das Schlimmste ist noch nicht gesagt, denn all das haben »SIE« uns verbrecherischerweise verschwiegen, das kann ich nur unaufhörlich wiederholen. Und wenn »SIE« sich vor vierzig Jahren, oder auch noch vor fiinfundzwanzig Jahren, an dieses Problem herangemacht hauen, dann wären wir heute gut gerüstet. Genau das sind wir nicht, aber ganz und gar nicht. Und das bringt mich dermaßen in Rage ...

Biep: Ihre »Rage« hat hier nichts zu suchen. Hat mit dem Thema nichts zu tun. Kommen Sie wieder zur Sache.
Jaja, schon gut.

Jetzt aber — schnallt euch an und haltet euch fest. Es schrillen die Alarmglocken: Eine neue Studie der Universität Hawaii bestätigt die Ergebnisse einer gleichen Untersuchung des Weltklimarats, wonach, wenn die C02-Emissio-nen nicht drastisch gesenkt werden, 75 Prozent der Bewohner unseres Planeten bis zum Jahr 2100 Opfer mörderischer Hitzewellen geworden sein könnten, da wir dann eine Steigerung von + 3,7°C (IPCC) bis + 4,8 °C im Vergleich zum Zeitraum 1986—2005 erreichen könnten.17 Das heißt, im Klartext gesprochen: dass sie umgekommen sein könnten. 75 Prozent, begreift ihr, was das bedeutet? Drei Viertel der

Menschheit ... Und da erschauern wir noch bei dem Gedanken an das Gespenst der Pest im Mittelalter, die bei ihrem ersten Ausbruch »nur« ein Drittel der damaligen Menschheit forderte. Drei Viertel aller Menschen in Lebensgefahr — das ist es, worauf wir heute zusteuern. Und seit mindestens vierzig Jahren lassen die Regierenden es zu, dass dieses tödliche Rennen sich ungebremst fortsetzt. Wobei man wissen muss, dass + 4 °C Lufttemperatur + 10 °C auf dem Festland bedeuten?* und eine derart karge, ausgedörrte und aufgeheizte Erde unbewohnbar für alle geworden sein wird.

Nach einer anderen neueren Studie'9 sind schon jetzt 30 Prozent der Weltbevölkerung zwanzig Tage im Jahr oder länger potenziell tödlichen Hitzewellen ausgesetzt. Solche gefährlichen »Hundstage« sind sehr viel häufiger, als wir denken, und töten jedes Jahr Menschen in über sechzig Regionen des Globus. In Indien und Pakistan haben die Temperaturen vorletztes Jahr eine Rekordhöhe von 53 »5 °C erreicht. 2019 haben sie in Australien die 50-°C-Marke gestreift.20

Eine internationale Forschergruppe hat über dreißigtau-send Publikationen analysiert, nach denen in 1949 Städten oder Regionen die Todesfälle festgehalten wurden, die durch einen starken Temperaturanstieg ausgelöst worden waren. Mörderische Hitzewellen hatte es in New York, Washington, Los Angeles, Chicago, Toronto, London, Peking, Tokio, Sydney und Säo Paulo gegeben. Und siebzigtausend Tote in Europa im Jahr 2003 > zehntausend in Moskau 2010, siebenhundert in Chicago im Jahr 1995-21

Die südlichen Länder werden am stärksten betroffen....

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