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Günter WallraffDer Aufmacher
Der
Mann, der bei (1977)
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wikipedia.Autor *1942 DNB.Autor Bing.Autor detopia: |
2020 Günter Wallraff: Denk' ich an deutschland.... Audio 11min
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Ihr da oben - wir da unten (1973)DNB.Buch Bing.Buch Audio 1974 "Ihr da oben, wir da unten" bei Kalbfuß in der Europawelle - Fragen an den Autor
heise.de/tp/features/Ihr-da-oben-wir-da-unten-3399901.html
2013 von Alex Dill
Der 1973 erschienene Bestseller "Ihr da oben - wir da unten" wurde zur Bibel der bundesdeutschen Gesellschaftskritik. Die Autoren Bernt Engelmann (gestorben 1994 in München) und Günter Wallraff, so die damalige Verlagswerbung von Kiepenheuer&Witsch, "haben sich in diesem Buch zusammengetan, um die bundesdeutsche Gesellschaft vereint in die Zange zu nehmen". Was das 380-Seiten dicke Buch bis heute auszeichnet, ist die detaillierte Schilderung der Lebensverhältnisse der Reichen wie der ihrer Domestiken. "Teilnehmende Beobachtung" nennt man diese Form von Sozialwissenschaft, die in Literatur und Reportage übergeht. Was ist aus den damals geschmähten und entlarvten Reichen geworden? Wie aktuell sind die damaligen Thesen von Günter Wallraff? Günter Arzberger, Möbelhändler Als damals modernstes Beispiel für kapitalistische Ausbeutung und Konsumterror galt für Wallraff der Möbel-Versandhändler Günter Arzberger. Wallraff schlich sich in die Schulungen des Strukturvertriebs ein und zitierte die Schulungsmaterialien und Reden von Direktoren, die offen dazu aufriefen, an der Haustür keinen Widerspruch zuzulassen. Die persönlichen Daten der Kunden hatten sie aus öffentlichen Registern erhalten. "Kalte Akquise", heißt das. Das Möbel-Versandhaus Arzberger war mit einem Umsatz von bis zu 250 Millionen Mark angeblich Europas größter Möbelversender. 1974 berichtete das ARD-Magazin "Monitor" über die fragwürdigen Führungspraktiken in Arzbegers MöbelStrukturvertrieb. wikipedia Bernt_Engelmann *1921 in Berlin bis 1994
Christian Linder (Hrsg.) In Sachen Wallraff (1975 ff) Von den Industriereportagen bis Ganz unten Berichte, Analysen, Meinungen u. Dokumente 1975 bis 1986 -- 175 bis 375 Seiten
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Renegatenjournalismus
Günter Wallraffs Reportagen über die BILD-Zeitung
Von Joachim Weiner (aus "In Sachen Wallraff", 1986)
336-353
Als Günter Wallraff 1977 seinen Report über die üblen Praktiken der BILD-Zeitung publizierte, waren die Rezeptionsbedingungen für seine Form von Wirklichkeitsbeschreibung und Gesellschaftskritik wesentlich ungünstiger als noch zur Zeit seiner Industriereportagen.
Die von der Protestbewegung beschworene grundlegende Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse hatte nicht stattgefunden, und von der politischen Aufbruchstimmung zu Beginn der 70er Jahre war bereits so gut wie nichts mehr zu spüren. Stattdessen mehrten sich die Anzeichen für eine tiefgreifende Restauration.
Die erst wenige Jahre zuvor von den Sozialdemokraten unter dem Druck der außerparlamentarischen Opposition widerwillig und halbherzig in Gang gesetzte Reformpolitik war ins Stocken geraten, und die Demontage der wenigen Fortschritte in einigen Bereichen der Sozial- und Bildungspolitik hatte bereits begonnen.
Angesichts steigender Arbeitslosenzahlen und der schon damals zu erwartenden Rationalisierungseffekte durch das Vordringen der modernen Elektronik in alle Wirtschaftsbereiche nahmen auch die Gewerkschaften schrittweise Abschied von ihrer kämpferischen Haltung, mit der sie Ende der 60er Jahre viele Reformansätze unterstützt hatten. Die auf dem Höhepunkt der studentischen Unruhen in Deckung gegangenen Erzkonservativen sahen wieder Chancen für die Durchsetzung ihrer politischen Vorstellungen und gingen in die politische und publizistische Offensive.
Die außerparlamentarische Linke stellte bereits seit Mitte der 70er Jahre keine entscheidende politische Kraft mehr dar. Wer sich nicht in der hermetischen Atmosphäre kleiner K-Gruppen auch jetzt noch die Revolution des Proletariats imaginierte oder sich längst aus der politischen Szene zurückgezogen hatte, suchte nach neuen, oft sachlich und regional begrenzten Formen politischer Praxis im Bereich der Öko- und Friedenspolitik.
Andere, die auch darin keine Möglichkeit für sich sahen, mit ihrer Enttäuschung fertig zu werden, suchten ihr Heil in der Psychotherapie.
Überdies hatten die politischen Morde der RAF an Drenkmann, Buback, Ponto und Schleyer ein Klima geschaffen, in dem alle linken Positionen umstandslos in Terroristennähe gerückt wurden. Bespitzelung, Überwachung und Berufsverbot waren die probaten Mittel, mit denen der institutionelle Staatsapparat unterschiedslos jede Kritik von links bekämpfte. In der damaligen paranoiden Atmosphäre stand Gesellschaftskritik, sofern sie nicht von konservativ-reaktionärer Seite unter dem Schlagwort der »geistigen Erneuerung« vorgetragen wurde, apriori in dem Verdacht, nicht mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung unseres Landes vereinbar zu sein.
Diese grobe und vereinfachende Skizze der gesellschaftlichen und politischen Situation Ende der 70er Jahre mag ausreichen, um zu verdeutlichen, unter welch ungünstigen Rahmenbedingungen Wallraff seine Aktion bei der BILD-Zeitung durchführte. Durch seine früheren Reportagen und Aktionen eine der bekanntesten Figuren der linken Szenerie, mußte er angesichts der damals herrschenden Terroristenhysterie damit rechnen, daß die Gegenseite nichts unterlassen würde, um seine Enthüllungen über die BILD-Zeitung als kommunistische Hetzpropaganda zu diffamieren.
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Das um so mehr, als er es diesmal mit einem Gegner zu tun hatte, der nicht nur für seine publizistische Skrupellosigkeit bekannt war, sondern darüberhinaus über die größte Publikationsmaschinerie der Bundesrepublik verfügte, mittels derer er in der Nachkriegszeit einen nur noch krankhaft zu nennenden Antikommunismus in unserem Land geschürt hatte. Durch eine perfide Berichterstattung in seinen Publikationsorganen hatte es Springer verstanden, auch die demokratischen Gruppierungen zu kriminalisieren, die für eine gewaltlose Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse eintraten. Daß auch ein großer Name keinen ausreichenden Schutz gegen Springers Attacken und die nicht zuletzt durch sie legitimierten polizeilichen Übergriffe bot, bekamen selbst Persönlichkeiten wie Heinrich Böll und Peter Brückner zu spüren.
Aber Wallraff, sicher nicht der Prototyp eines strahlenden Kämpfers für eine andere Gesellschaftsordnung, ist damals nicht wie viele seiner kaum weniger prominenten Zeitgenossen und Kollegen in Deckung gegangen. Bei aller berechtigten Kritik, die man an seiner Aktion bei der BILD-Zeitung üben kann, sollte man im Auge behalten, daß er in einer Zeit des Rückzugs und der Resignation offensiv und beharrlich an seiner politischen Praxis festgehalten hat: an der Aufdeckung und Veröffentlichung der skandalös undemokratischen Praktiken und Methoden derer, die in unserer Gesellschaft in den Zentralen der Macht entscheidenden Einfluß ausüben.
Das hat ihm von seinen Kritikern, auch und gerade von solchen aus dem eigenen Lager, oft den Vorwurf eingebracht, er laboriere nur an den Symptomen des Kapitalismus herum, anstatt dem wahren Gegner, dem System, den Kampf anzusagen. Sicherlich wird keiner bestreiten, am wenigsten er selber, daß er sich in seinen Arbeiten immer abseits einer theoretisch-systematischen Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse bewegt hat. Aber vielleicht ist es gerade die Beschränkung auf die anklagende, aus der eigenen Betroffenheit heraus geleistete Beschreibung extremer, aber gleichwohl symptomatischer Mißstände unserer kapitalistischen Gesellschaft, die es ihm erlaubte, auch dann noch seine Arbeit fortzuführen, als die restaurativen Tendenzen das politische Feld zu beherrschen begannen.
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Durch seine konkreten Erfahrungen, die er mit Arbeitern in mehreren Industrieunternehmen und Angehörigen verschiedener Randgruppen gemacht hat, weiß er mehr als die meisten akademisch geschulten Gesellschaftstheoretiker von den ungeheuren Schwierigkeiten, linke Positionen und Vorstellungen denen nahezubringen, auf die es nach traditionellem linken Verständnis beim Prozeß der gesellschaftlichen Veränderung ankommt. Arbeiter und Angestellte lassen sich nicht durch brillante akademische Theorien überzeugen, sondern bestenfalls durch eine kritisch-anschauliche Beschreibung von ihnen selbst als unerträglich empfundenen Lebens- und Arbeitsbedingungen.
Die Adressaten
Wer Wallraffs BILD-Report einer kritischen Analyse zu unterziehen trachtet, sollte nicht vergessen, daß seine primäre Zielgruppe nicht die kulturell und politisch gebildeten Intellektuellen sind, sondern Arbeiter und Angestellte, die aufgrund ihres Arbeits- und Lebenszusammenhanges faktisch von den vorhandenen Möglichkeiten zur politischen Bildung abgeschnitten sind. Ihnen, die angesichts der unüberschaubaren und widersprüchlichen Informationsflut, mit der sie täglich von den Massenmedien überschüttet werden, kaum eine Chance haben, zwischen politischer Lüge und wahrheitsgemäßer Berichterstattung zu unterscheiden, hat Wallraff seine Reportage über das Springerblatt und seine Opfer zugedacht. Schließlich stammen aus ihren Reihen jene Millionen, die ihre Informationen und politischen Vorstellungen weitgehend der BILD-Zeitung entnehmen.
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Für eine nicht unbeträchtliche Zahl der etablierten Literaturkritiker schien dies ein so unsinniges Ansinnen zu sein, daß es in ihren Stellungnahmen völlig unberücksichtigt blieb. Stellvertretend für die vielen Kommentare zum BILD-Report, deren Verfasser in ihrem elitären Selbstverständnis und ihrer Borniertheit davon ausgehen, daß alle wichtigen Publikationen sich ausschließlich an Intellektuelle ihresgleichen richten, seien an dieser Stelle zwei signifikante Beispiele angeführt.
Da schrieb Ulrich Greiner in der FAZ vom 22.12.77:
»Die Verselbständigung der Methode fällt mit einer weiteren charakteristischen Änderung in Wallraffs Arbeit zusammen: War es das Kennzeichen der früheren Reportagen, bisher unbekannte und verschwiegene Formen des Unrechts zu erkunden, so ist der Neuigkeitswert der jüngsten Aktionen vergleichsweise gering. Über den Charakter der griechischen Obristen oder der BILD-Zeitung gab es keinen Zweifel, während etwa die Nachforschungen Wallraffs über den Werkselbstschutz einer breiten Öffentlichkeit unbekannte Informationen vermittelten.«
In die gleiche Richtung zielte auch Heinz Verführt im Kölner Stadtanzeiger vom 5.10.77:
»Wer weiß denn immer noch nicht in Deutschland, daß Axel Cäsar Springers Verlagskonzern rechtslastig ist? Für wen ist noch überraschend, daß diese politische Richtung unter den Bedingungen der BILD-Zeitung besonders rüde unter die Leser gebracht wird? Für wen ist es noch erstaunlich, daß CDU-Politiker in den Springerblättern besser wegkommen als SPD-Politiker?«
Wenn die beiden »sensationshungrigen Bescheidwisser« recht hätten, dann wäre Wallraffs aufwendiges Gastspiel in der Hannoveraner BILD-Redaktion eine überflüssige und fragwürdige Angelegenheit gewesen. Bloß eine Variante der bei Unterprivilegierten so beliebten David-Goliath-Konstellation, besäße seine BILD-Aktion weder Aufklärungs- noch Erfahrungswert.
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Zwar mag es durchaus zutreffen, daß Wallraff sich in der Rolle des kleinen David nicht nur selbst sieht, sondern auch wohlfühlt — andere aus der Literaturszene spielen oft weit weniger sympathische Rollen. Dennoch ist seine BILD-Reportage mehr als nur die spektakuläre Aktion eines Schriftstellers, der sich als Rächer der Unterdrückten und Ausgebeuteten aufspielt. Ihre zynisch anmutende Insiderperspektive verleitet Greiner und Verführt zu einer unzutreffenden Einschätzung des Informationsstandes der breiten Öffentlichkeit hinsichtlich der Praktiken und Methoden der BILD-Zeitung.
Zwar wissen viele Leute, darunter nicht wenige regelmäßige BILD-Leser, daß Springers Hauspostille Geschichten erfindet und die Realität verdreht, aber dieses Wissen bleibt ihnen äußerlich und abstrakt, zumal es eher den Charakter eines unbestätigten Verdachts als den einer durch überprüfbare Erfahrungen abgesicherten Gewißheit hat. Überdies wird das ohnehin nur schwach ausgeprägte Mißtrauen gegenüber dem Wahrheitsgehalt der reißerischen BILD-Stories in hohem Maße von einem psychosozialen Bedürfnis nach einer derart manipulierten Realität aufgesaugt, so daß es nicht als Hemmschwelle funktionieren kann. Eher das Gegenteil ist der Fall.
Gerade weil viele glauben, über den Charakter der BILD-Zeitung Bescheid zu wissen, wähnen sie sich gegen jede massive Beeinflussung gefeit und erlauben sich bedenkenlos die Befriedigung ihres voyeuristischen Bedürfnisses nach Spektakeln jeder Art. Solange sie aber die Ursachen und Gründe ihres wider allen besseren Wissens vorhandenen Bedürfnisses nach einer derart aufgemachten Zeitung nicht reflektieren, sind sie dem massiven Einfluß von Bild ausgeliefert.
Weitaus wirksamer und beängstigender als die kaum verhüllte Propaganda des Springerblattes für konservative Politiker und deren reaktionäre politischen Vorstellungen ist die permanente Bestätigung und Verstärkung meist unreflektiert übernommener Vorurteile gegen Ausländer, Frauen, politische Minderheiten usw. sowie der dazugehörigen Vorstellungen von »Recht und Ordnung«.
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Überdies ist anzunehmen, daß auch skeptische Leser der BILD-Zeitung und selbst erklärte Gegner des Massenblattes bei weitem das Ausmaß der Verdrehungen und Fälschungen der Realität unterschätzt haben, die von BILD-Reportern mit Billigung ihrer Chefredakteure täglich produziert werden. Auch viele von denen, die längst nicht alles glauben, was Bild ihnen täglich als Wahrheit serviert, vermuten noch hinter der unwahrscheinlichsten Story einen wahren Kern. In dem oft zu hörenden »Es muß doch etwas Wahres dran sein, sonst würden die das gar nicht drucken« schwingt bei aller vorhandenen Skepsis ein Rest von unerschüttertem Vertrauen in die Integrität auflagenstarker Presseerzeugnisse mit.
Für einen, der es nicht selbst erlebt hat, ist allerdings das Ausmaß, in dem eine so große Tageszeitung wie Bild Nachrichten fälscht oder in ihrem Sinne verdreht, nur schwer vorstellbar. Schon deshalb, weil jeder, der mit einem nur durchschnittlichen Rechtsempfinden ausgestattet ist, es für unmöglich halten muß, daß jahrzehntelang die größte deutsche Tageszeitung in der von Wallraff beschriebenen Weise produziert werden konnte, ohne massiv mit den Rechtsorganen zusammenzustoßen.
Der Aufklärungswert
Die Relevanz des BILD-Reports besteht weniger darin, daß Wallraff anhand konkreter Beispiele die Muster und Strategien aufdeckt, nach denen Bild seine verlogenen Geschichten produziert — das haben andere, oft noch detaillierter als er, auch schon getan —, sondern in der Beschreibung der unvorstellbar skrupellosen Methoden, mit denen BILD-Journalisten ihre Opfer gefügig machen und sie bedenkenlos den oft verheerenden Konsequenzen ihrer Berichterstattung aussetzen.
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Seine Tätigkeit als BILD-Reporter und seine Recherchen bei einigen BILD-Geschädigten erbrachten stichhaltige Beweise dafür, daß Springerjournalisten auf der Jagd nach Sensationen weder vor Einbruch noch vor erpresserischen Drohungen zurückschrecken, auch daß ihre tägliche Rufmordpraxis Menschen bisweilen in den Selbstmord treibt und die Existenz ganzer Familien ruiniert. Die Beschreibung des Redaktionsalltags im Aufmacher zeigt dem Leser, mit welchen innerbetrieblichen, von der Konzernleitung stillschweigend abgesegneten Terror- und Erniedrigungsmechanismen Springerjournalisten bei der Stange gehalten werden. Sie erfahren die zynische Brutalität und Kälte, mit der sie in der Regel gegen ihre Opfer vorgehen, bis zur völligen moralischen Abstumpfung täglich am eigenen Leibe.
Da wird auf eine widerwärtige Weise ein Reporter vom Chefredakteur gezwungen, für eine der üblichen sexistischen BILD-Stories vor der Kamera zu posieren, obwohl er schon einmal wegen einer ähnlichen Geschichte in seinem ganzen Bekanntenkreis der Lächerlichkeit preisgegeben worden war. Und das nur, weil sich dieser Mann in seiner täglichen Arbeit noch einen Rest von Skrupelhaftigkeit bewahrt hat, der ihn in den Augen des Chefredakteurs als journalistischen Schwächling erscheinen läßt. Zu den erschütternsten und eindringlichsten Partien des Aufmachers aber zählt die, in der Wallraff berichtet, wie einer der Kollegen einem am BILD-Telefon Hilfe suchenden Selbstmörder mehrfach nahelegt, doch endlich Schluß zu machen.
Wer derartige Vorgänge, wie der Quick-Redakteur Eugen Georg Schwarz in der Ausgabe vom 14.11.78, nur »als in der Tat merkwürdige Praktiken von BILD-Reportern« empfindet, muß entweder von weitaus übleren Praktiken im Boulevardjournalismus wissen, oder selbst zu der abgestumpften Garde von Zynikern gehören, die um einer Story willen vor nichts zurückschrecken.
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So unwahrscheinlich es ist, daß die Praktiken und Methoden der Springerjournalisten bereits vor Wallraffs Report der Mehrheit der Bevölkerung bekannt gewesen sind, so wenig kann davon ausgegangen werden, daß die breite Öffentlichkeit eine angemessene Vorstellung davon hatte, auf welch unwürdige Weise sich Institutionen, Politiker und Prominente aus Wirtschaft und Industrie auf der Jagd nach unbezahlter Publicity oder materiellem Gewinn bei BILD-Journalisten anbiedern.
Nicht nur, daß sie ihre Auskünfte und Stellungnahmen gleichsam BILD-gerecht vorstrukturieren, sie geben auch bisweilen, wenn es ihnen nützlich erscheint, ihr O.K. zu völlig frei erfundenen Nachrichten. Auch wenn Wallraff in seinem BILD-Report, wie ihm einige seiner Kritiker vorgehalten haben, keine ausreichende Erklärung dafür liefert, warum so viele Menschen die BILD-Zeitung täglich wie eine Droge konsumieren, so kommt ihm doch unzweifelhaft das Verdienst zu, für viele andernorts bereits geäußerte Vermutungen das fehlende Beweismaterial geliefert zu haben.
Allein das würde schon ausreichen, um seine aufwendige Aktion bei BILD zu rechtfertigen. Ich glaube allerdings, daß er mit seiner Reportage noch mehr erreicht hat. Immerhin gibt es Anzeichen dafür, daß es ihm gelungen ist, bei vielen noch nicht völlig blind und unansprechbar gewordenen Bild-Lesern das Mißtrauen gegenüber dem Wahrheitsgehalt der reißerischen BILD-Geschichten beträchtlich zu verstärken.
Da nicht anzunehmen ist, daß alle 1,5 Millionen verkauften Exemplare seiner drei BILD-Bücher* nur Kennern der Verhältnisse bei Bild in die Finger gefallen sind, dürfte Wallraff mit seinen drei Büchern mehr zur Ausbildung und Stärkung einer kritischen Haltung gegenüber Blättern wie Bild beigetragen haben, als seine überschlauen Kritiker wahrhaben wollen.
* »Der Aufmacher«, »Zeugen der Anklage«, »Bild-Störung«
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Wallraffs Darstellung der Zusammenhänge und Geschehnisse bei Bild ist trotz aller berechtigten Einwände, die man gegen sie erheben kann, anschaulicher und von daher eindringlicher als die meisten wissenschaftlichen Analysen, die sich ohnehin primär an ein akademisches Publikum wenden. Sicherlich operiert Wallraff in seinem BILD-Report stellenweise mit Klischees, die die BILD-Jornalisten als monströse und stereotype Akteure in einem schlechten Action-Film erscheinen lassen. Und zweifellos wäre es für den Leser auch durchaus von Interesse gewesen, einiges mehr über die Motive und Umstände zu erfahren, die Journalisten dazu bewegen, bei einem Blatt wie Bild zu arbeiten.
Eine adäquate Beschreibung der wahrscheinlich erschreckenden Normalität der meisten BILD-Reporter hätte dem Leser die Gefährlichkeit der Leute weitaus eindringlicher bewußt gemacht als Wallraffs Charakterskizzen. Das Gleiche gilt auch für seine Selbstbeschreibung. Ich teile nämlich nicht die Meinung vieler Kritiker des Aufmachers, Wallraff habe seinen Report dadurch entwertet, daß er diesmal seine eigene Person zu sehr in den Vordergrund gerückt und seinen Gegenstand nicht mit der ihm angemessenen Objektivität behandelt habe. Im Gegenteil.
Es wäre sicher ein Gewinn für das Buch gewesen, wenn der Leser mehr über das Ausmaß erfahren hätte, in dem sich im brutalen Klima der BILD-Redaktion seine eigenen Verhaltens- und Denkweisen zu verändern begannen. Aber Wallraffs Unwillen oder Unfähigkeit zur Beschreibung psychologischer Strukturen und Prozesse ändert nichts an der Beweiskraft des von ihm recherchierten und vorgelegten Materials. Ihm, wie der ehemalige Regierungssprecher Konrad Ahlers, späterer Chefredakteur der Hamburger Morgenpost, auch gelegentlicher BILD-Gastkommentator, in der Bremer Morgenpost vom 6.10.77 deshalb und wegen der Täuschungsmanöver, die er veranstalten mußte, um nicht frühzeitig enttarnt zu werden, vorzuwerfen, er wende selbst BILD-Zeitungsmethoden an, ist eine nicht mehr entschuldbare journalistische Entgleisung.
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Derartige Äußerungen verfolgen nur einen Zweck: von den skrupellosen Praktiken der BILD-Zeitung abzulenken und auf eine ekelhaft subtile Art die Glaubwürdigkeit Wallraffs in Frage zu stellen. Diese Strategie hat schon oft bei politischen Skandalen zum Erfolg für die Angeklagten geführt. Zwar hat Wallraff seinen Arbeitgeber getäuscht und während seiner Arbeit bei Bild wie seine Kollegen Geschichten erfunden und die Realität verdreht, aber er hat seine Täuschungsmanöver in seinem Report nicht nur aufgedeckt, sondern auch die Tatsachen richtig gestellt. Wenn die BILD-Zeitung ebenso verfahren würde, bestände jede zweite Nummer nur aus Widerrufen und Richtigstellungen.
Man mag die Legitimität und die Notwendigkeit seiner Praxis bei der Bild-Zeitung in vielen Punkten in Zweifel ziehen, aber seinen Versuch, über die Machenschaften der BILD-Zeitung aufzuklären, mit den Volksverdummungsabsichten und der täglichen Hetzpropaganda des Springerblattes auf eine Ebene zu setzen, ist schlicht Realitätsverdrehung. Überhaupt entwickeln viele Kritiker gegenüber den Praktiken des linken Schriftstellers Wallraff eine moralische und rechtliche Sensibilität, die in einem krassen Gegensatz zu ihrem großzügigen und abwiegelnden Urteilen über die Methoden der BILD-Zeitung steht.
Obwohl die meisten Kritiker und Leser wahrscheinlich den Aufmacher als das sensationellere Buch empfinden, ist der zweite Band des BILD-Reports, Zeugen der Anklage, nicht nur informativer, sondern auch weniger angreifbar. Offenbar nicht mit der gleichen Hektik wie der Aufmacher geschrieben, ist die Fortsetzung der BILD-Beschreibung im wesentlichen eine sorgfältig recherchierte Dokumentation über die Schicksale einiger Opfer des Renegatenjournalismus der BILD-Reporter.
Sie wird sinnvoll ergänzt durch einige signifikante Beispiele der sich auf Stammtischniveau bewegenden Erfindungsgabe der BILD-Reporter. Die Berichte über die Opfer zeichnen ein deprimierendes Bild der Ohnmacht und Hilflosigkeit derer, auf deren Kosten das Springerblatt täglich die fragwürdigen Bedürfnisse seiner Leser befriedigt.
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Nicht nur, daß die meisten Opfer in Rechtsstreitigkeiten gegen den juristisch optimal vertretenen Springerkonzern schon wegen ihrer oft unzureichenden finanziellen Ausstattung keine nennenswerte Chance haben, sie verfügen auch selten über genügend Kraft und Durchhaltevermögen, den Haß oder den Hohn ihrer durch Bild »informierten« Nachbarschaft zu ertragen. Zeugen der Anklage macht deutlich, wie gering bisweilen in unserem Land die durch das Grundgesetz gewährleistete und von Politikern so häufig beschworene Würde des Menschen geachtet wird, wenn es sich nicht um die von Politikern und anderen Prominenten handelt.
Wallraffs Recherchen weisen nachdrücklich auf die Notwendigkeit hin, unser Presserecht zumindest dahingehend zu reformieren, daß ein derart massiver Mißbrauch der Pressefreiheit, wie er bei Bild und einigen anderen Presseorganen üblich ist, strafrechtliche Konsequenzen für die Täter und eine angemessene Entschädigung für die Opfer zur Folge hat. Solange allerdings die Mehrzahl der Politiker aus Feigheit vor Pressegiganten wie Springer zu Kreuze kriechen oder gar mit ihnen aus eigennützigen Motiven gemeinsame Sache machen, ist auch in Zukunft in dieser Richtung wenig zu erwarten.
Wie groß der Einflußbereich des kapitalkräftigen Springerkonzerns bereits ist, hat sich im merkwürdigen Gebahren des WDR gezeigt, der plötzlich und mit fadenscheinigen Begründungen der Herren Loch, Hübner und von Sell einen bereits vorfinanzierten Film Wallraffs über die BILD-Aktion aus dem Programm nahm.
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Nebenwirkungen
Wie schon so oft, erschöpfte sich auch im Falle seiner Attacke gegen die BILD-Zeitung der Aufklärungs- und Informationswert von Wallraffs Aktion nicht in der bloßen Veröffentlichung des recherchierten Materials. Die verschiedenen Reaktionen und Wirkungen, die seine Veröffentlichung bei der konservativen Presse und der Justiz hervorgerufen hat, sind mindestens ebenso bezeichnend für den Stand des demokratischen Bewußtseins in der Bundesrepublik wie die Ergebnisse seiner Recherchen bei der BILD-Zeitung.
Die Stellungnahmen der meisten konservativen Publikationsorgane zum BILD-Report belegen in einer deprimierenden Weise den nach der Lektüre des Aufmachers naheliegenden Verdacht, daß nicht nur die BILD-Zeitung systematische Volksverdummung und Realitätsverdrehung betreibt. Zwar mögen die meisten anderen konservativen Presseorgane zurückhaltender in der Informationsbeschaffung und der Erfindung von Nachrichten sein als die BILD-Zeitung, aber wenn es gegen linke Positionen und deren Repräsentanten geht, schrecken auch sie vor Denunziationen und Zynismen jeder Art nicht zurück.
Um jedem Mißverständnis engegenzutreten, möchte ich betonen, daß es mir nicht darum geht, pauschal alle Journalisten des Schmierenjournalismus zu bezichtigen, die für konservative politische Positionen Partei ergreifen. Bedrückend ist nur, wieviele von ihnen bereit sind, gegen alle Regeln eines halbwegs fairen Journalismus zu verstoßen, wenn es gegen linke oder auch nur linksliberale Positionen geht. Gleichgültig, ob es sich um friedliche Proteste von Atomkraftgegnern, gesellschaftskritische Stellungnahmen von Schriftstellern und Wissenschaftlern oder um terroristische Aktionen linker Splittergruppen handelt, meist rangieren Ressentiments und Hetzparolen vor der sachlichen Auseinandersetzung mit den Fakten und Ursachen.
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So auch im Falle Wallraff, über den es z.B. in der Aachener Volkszeitung vom 4.10.77 heißt:
»Es gibt viele Meinungsmachenschaften in Funk und Presse zu entlarven, auch manches Intendanten und Verlegers Anmaßung zurechtzurücken. Aber Wallraff ist nicht der »Aufmacher« dafür. Sein verkrochenes Unwesen und kriechendes Wesen in Bild ist nicht dazu angetan, das zweifellos umstrittene Ansehen und den schweren Beruf des freien Journalisten erträglicher zu machen. Oder wollte der auf Sozialisierung der freien Meinung gedopte Schrift- und Fallensteller gerade das: anhand eines Randbeispiels die Pressefreiheit verhunzen? Darauf mag abschließend die Behauptung erlaubt sein: Wäre Bild so links manipuliert wie Stern und Spiegel, Wallraff hätte nicht seine Visage (so sein eigenes Wort) polieren müssen. Er hätte Bild links liegen gelassen.«
Ebenso signifikant auch der Kommentar in der Deutschen Tagespost vom 30.11.79: wikipedia Die_Tagespost
»Er hat wieder zugeschlagen, der Mann, der sich seinerzeit bei Bild in Hannover eingeschlichen hatte. Wallraff widmet sich nach seinem Skandalbuch Der Aufmacher nunmehr, wie es in der Verlagsankündigung heißt, <der Struktur und journalistischen Praxis eines unserer größten und mächtigsten Medienkonzerne>. Das ist, falls einige von Wallraffs aufgegriffenen Beispiele stimmen sollten, mitunter eine keineswegs zu billigende journalistische Praxis. Doch darum geht es ja Wallraff auch vordergründig gar nicht. Er setzt die seinerseitige Aktion <Enteignet Springer> ... fort. Ein Pressekonzern, der auch noch in einem Boulevardblatt täglich die freiheitliche Demokratie verteidigt, kann natürlich nicht der Sympathie eines Untergrundkommunisten gewiß sein.«
Derartige journalistische Ergüsse bedürfen keines weiteren Kommentars. Die zum Teil an die antisemitische Hetzpropaganda der nationalsozialistischen Presse erinnernden Diffamierungen Wallraffs und die Vermeidung jeglichen Sacharguments sprechen für sich selbst.
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Leider sind die Beispiele keine Einzelfälle. Wie zur Bestätigung der Vorwürfe und Anschuldigungen Wallraffs haben alle Springerblätter eine derart unflätige, sich über mehrere Monate hinziehende Diffamierungskampagne gegen den Kölner Schriftsteller durchgeführt, daß selbst die keineswegs auf seiner Seite stehende FAZ die Befürchtung äußerte, Wallraff werde zum journalistischen Freiwild.
Verbissen darum bemüht, ihrer Leserschaft die Unglaubwürdigkeit Wallraffs zu beweisen, bedienten sich die BILD-Reporter all der Methoden und Praktiken, die im BILD-Report so eindringlich beschrieben sind. Sie setzten Detektive auf ihn an, überrumpelten seine Mutter und wühlten in seinem Privatleben und seiner Schulzeit herum, immer auf der Suche nach einem winzigen Anhaltspunkt, der es ihnen erlaubt hätte, aus Wallraff einen kriminellen Kommunisten oder einen pathologischen Störenfried zu machen.
Die Zurückhaltung vieler Presseorgane und auch des deutschen Presserates angesichts der von blindem Haß und Menschenverachtung zeugenden Reaktionen der Springerblätter unterstreicht nachdrücklich die Bedeutung der Aktion Wallraffs für eine realistische Einschätzung der deutschen Presselandschaft. Neben anderen wichtigen Statuten des Presserechts scheint auch der Grundsatz von der Sorgfalt der Berichterstattung in der journalistischen Praxis zunehmend an Bedeutung zu verlieren.
Sind die Reaktionen eines großen Teils der Presse auf den BILD-Report dazu geeignet, jeden halbwegs demokratisch denkenden Menschen mit einem tiefen Mißtrauen gegenüber Presseerzeugnissen jeder Art auszustatten, dann muß ihn, sofern er keine einflußreiche Persönlichkeit ist, das Verhalten der Justiz in diesem Fall das Fürchten lehren.
Die verschiedenen offensichtlich parteiischen Gerichtsurteile zum Aufmacher, die fraglose Hinnahme etlicher unglaubwürdiger eidesstattlicher Erklärungen von BILD-Mitarbeitern und ein unglaubliches Desinteresse an den Anschuldigungen, die Wallraff gegen Bild erhebt, zwingen zu der Annahme, daß die im Grundgesetz garantierte Gleichheit aller vor dem Gesetz bei deutschen Gerichten nicht in jedem Fall Grundlage der Rechtsprechung ist.
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Die Urteilsbegründungen in den Verfahren, die das Springerblatt gegen Wallraff und seinen Verlag Kiepenheuer&Witsch anstrengte, um die Verbreitung des Aufmachers zu behindern, lassen an parteiischer und zynischer Interpretation bestehender Paragraphen nichts zu wünschen übrig. Da wurde Wallraff etwa durch ein Hamburger Gerichtsurteil untersagt, ein von ihm selbst als BILD-Reporter erstelltes Manuskript, das der damalige Redaktionsleiter in der üblichen BILD-Manier handschriftlich verfälscht hatte, weiterhin zu veröffentlichen. Obwohl die Korrekturen ein beweiskräftiges Dokument der täglichen Realitätsfälschung bei Bild sind, heißt es in der Urteilsbegründung des Gerichts:
»Auch für die Wiedergabe dieser Manuskriptseiten (kann) kein ins Gewicht fallendes Öffentlichkeits-Interesse geltend gemacht werden ... insbesondere ist diese Urkunde für sich genommen nicht dazu geeignet, den Nachweis dafür zu erbringen, daß in diesem konkreten Fall oder allgemein von den Mitgliedern der BILD-Zeitungs-Redaktion in Hannover journalistisch unredlich gehandelt worden wäre.«
Nicht nur, daß unklar bleibt, woher das Gericht seine Kenntnisse über das Ausmaß des öffentlichen Interesses bezogen hat. Mit fadenscheiniger Begründung wurde auch dem Interesse der BILD-Zeitung an der Nichtveröffentlichung derart entlarvender Dokumente Rechnung getragen. Ebenso fragwürdig ist auch ein anderes Hamburger Urteil, durch das Wallraff unter Hinweis auf den Schutz des Persönlichkeitsrechts untersagt wird, über einen zumindest halbdienstlichen Besuch bei seinem damaligen Redaktionsleiter zu berichten. Hätte sich das Gericht nur halb so intensiv um die Wahrung der Persönlichkeitsrechte von Opfern des BILD-Journalismus bemüht, dann hätte es diesen Redaktionsleiter in mehreren Fällen rechtskräftig zur Verantwortung ziehen müssen.
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Außerdem muß es für die Gerichte offensichtlich gewesen sein, daß die meisten Beanstandungen der BILD-Juristen an Wallraffs Reportage nur ein Ziel hatten: die juristisch abgesicherte Zermürbung Wallraffs und die ökonomische Vernichtung seines Verlegers. Auch wenn alle Verfahren im Fall Wallraff juristisch korrekt durchgeführt worden sind, bleibt der Verdacht bestehen, daß sich deutsche Gerichte, wie schon so oft zuvor, auch in diesem Fall zu Handlangern von Großkonzernen und prominenten Persönlichkeiten gemacht haben. Die Strategie der Justiz in den Verfahren gegen Wallraff ist von anderen, ähnlich gelagerten Fällen her bekannt. Seine beweiskräftigen Vorwürfe gegen die BILD-Zeitung kamen in den Verhandlungen entweder gar nicht zur Sprache oder wurden als nicht zum Verfahren gehörig zurückgewiesen.
Die BILD-Zeitung dagegen wird wie eine unschuldige Privatperson behandelt, an der der »linksradikale« Schriftsteller systematisch Rufmord betrieben hat. Obwohl es in den meisten Verfahren gegen Wallraff um Partien des BILD-Reports geht, durch deren Streichung dieser nichts an politischer Brisanz verliert, reichen ein paar verlorene Prozesse aus, um in der Öffentlichkeit wirkungsvoll Zweifel an der Glaubwürdigkeit des gesamten BILD-Reports zu wecken.
Eine derartige Indienstnahme der Gerichte durch kapitalkräftige Kläger verstößt zwar nicht gegen bestehende Gesetze, aber doch gegen jedes demokratische Rechtsempfinden. Das durch etliche ähnlich gelagerte Fälle in den Jahren zuvor bereits beträchtlich ramponierte Ansehen der Justiz hat durch die Urteile gegen den Aufmacher noch einmal mehr gelitten.
Wenn man sich daneben auch noch das lasche Vorgehen und die angestrengte Suche nach entlastenden Erklärungen der Strafverfolgungsbehörden vergegenwärtigt, als es um das illegale Abhören des Telefons von Wallraff durch die BILD-Zeitung ging, kann man alle Appelle der Politiker an das Vertrauen des Bürgers in den Rechtsstaat nur noch mit einem Lachen quittieren. Die Reaktionen der Justiz auf Wallraffs Enthüllungen der oft illegalen und auch kriminellen Praktiken der größten deutschen Tageszeitung machten noch einmal deutlich, daß Gesetzesverstöße von Großkonzernen und prominenten Persönlichkeiten in der Bundesrepublik oft auch dann nicht geahndet werden, wenn eindeutige Beweise vorliegen.
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