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Passiert ist gar nichts - Die lähmende Hektik

Ein Vorwort von Hubert Weinzierl 1985

 

11-12

Die Flut von Veröffentlichungen über Natur- und Umweltschutz kostet wahrscheinlich mehr Bäume das Papier-Leben, als mit den hehren Erklärungen gerettet werden. Wozu also ein weiteres Buch schreiben, wozu die Stapel ungelesener Schriften um einen Titel vermehren?

Meine Absicht war es, ein »Gegenbuch« zu schreiben, ein Phänomen unserer Tage aufzuzeigen: Während nämlich alle – vom Minister bis zum Taxifahrer, von der Haus­frau bis zum Universitätsprofessor – von Naturschutz reden, und während Umwelt­politik das Thema von Gemeinderäten und inzwischen von Staatsoberhäuptern geworden ist – passiert gar nichts!

Diese lähmende Hektik habe ich bei Hunderten von Veranstaltungen, Verhandlungen oder Gesprächen im Jahre 1984 protokolliert, um aufzuzeigen, daß wir mit unserer linearen Denkweise »in kleinen Schritten« niemals den Wettlauf gewinnen können, den uns unerbittliche Naturgesetze mit ihren exponentiellen Abläufen vorgeben.

Die Aufzeichnungen sollen die Kluft verdeutlichen, die sich zwischen unseren Worten und Werken ständig vergrößert, obwohl das Umweltbewußtsein angeblich weiter an­steigt!

Dabei will ich keine Gruppe, nicht »die Politik« oder »die Industrie« oder »die Autofahrer« verteufeln, sondern allenfalls auf unsere gemeinsame falsche Denk­weise, auf die unsolidarische Atmosphäre gegenüber der Schöpfung aufmerksam machen.

Zu Beginn des Orwell-Jahres 1984 hat mir ein hoher Politiker gesagt: »Werden's sehen, passieren tut gar nichts!«

Er hat recht behalten, auch wenn er es anders gemeint hat: Während wir viele Programme vorlegen, zerreißt das Netzwerk des Lebens. Während wir Arbeitsplätze für Menschen fordern, verselbständigen sich die Maschinen. Während das Umweltbewußtsein wächst, schwindet die Umwelt. Während die Schar der Waldfreunde anwächst, stirbt der Wald. Wo gestern noch drei Bauern gepflügt haben, steht heute die Agrarfabrik.

Der Trend ist eindeutig: Das Umwelt­bewußtsein steigt weiter, aber verklungen sind Wachtelruf und Grillenlieder, verdorrt das Sonnen­röschen und erstickt die Tanne. Nur der Trend stimmt!

Wie kann es geschehen, daß wir uns so sehr an das Sterben der Mitgeschöpfe gewöhnen? Müssen wir nicht den Sinn des Seins und unsere Werte neu überdenken? Was ist Reichtum? Was ist uns »Schwester Tanne« noch wert?

Reich sind wir zwar an siebenundzwanzig Millionen Autos, aber arm an dreihundert todgeweihten Weißen Störchen. Reich sind wir an zwölftausend Megawatt Atomstrom, aber arm an köstlichem Quellwasser, das nur noch zu drei Prozent genießbar ist.

Wir sind reich an Kampfflugzeugen und Panzern, aber arm an Sumpfdotterblumen, Schmetter­lingen und Kindermärchen. Wir haben den vollen Mond erobert, aber wir stehen hilflos vor den sterbenden Wäldern, hinter denen er aufgeht ...

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Hubert Weinzierl, 1985

 

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Hubert Weinzierl - Passiert ist gar nichts - Eine deutsche Umweltbilanz - 1985