5 Abgestorbene Wälder - Wissenschaftler als Totengräber
Widener-1970
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In den frühen fünfziger Jahren beobachteten kalifornische Forstbeamte eine Phantomkrankheit, die erbarmungslos in den Bergen von San Bernardino und San Gabriel oberhalb der Los-Angeles-Senke wütete. Zwei Feststellungen beschäftigten die Förster: Die Berge sind die Heimat der schönsten und bedeutendsten Wälder ganz Kaliforniens; und es gab niemand, der auch nur einen Hinweis geben konnte, was die unheimliche Krankheit verursachte. Sie sprachen deshalb einfach von der »Krankheit X«.
Am härtesten befiel sie die großen, stattlichen Ponderosa-Pinien. Die Bernardino-Berge sind ihr südlichster Standort in Kalifornien. Hier haben sie schon gestanden, bevor Amerika eine Nation wurde, und hier haben sie bisher den wildesten Stürmen getrotzt. Jetzt begannen sie zu kränkeln und in wenigen Jahren zu verdorren. Ihre riesigen braunen Skelette waren überall auf den grünen Flanken der Berge zu sehen. Die »Krankheit X« war in Wirklichkeit nicht schwer zu erklären. Als man sich erst einmal mit ihr befaßte, waren die Symptome unverkennbar; der Ablauf der Krankheit folgte einem Gesetz, das bald jedem Forstmann schrecklich vertraut wurde. Zuerst entwickelte sich auf den Nadeln ein gesprenkelter gelblicher Farbton; anstatt vier bis fünf Winter lang zu wachsen, hörten sie schon im ersten Herbst damit auf. Nach einer gewissen Zeit sahen die Bäume aus, als seien sie behaart: Alle Nadeln krallten sich nach oben. Schließlich begann das verzweigte Wurzelsystem der Pinien zu degenerieren - und dann ging es rasch mit den Bäumen zu Ende.
Der Verlust der Ponderosa-Pinie - und einer Reihe weiterer Bäume und Sträucher dieser Landschaft - war eine Katastrophe. Die Ökologie (das gemeinsame Leben der Tier- und Pflanzengesellschaften), aber auch die Wirtschaft und schließlich die Fremdenindustrie waren abhängig von den Bäumen, die eine stabile Wasserscheide darstellen, wertvolles Holz liefern und den Hintergrund eines Erholungszentrums bilden, zu dem 1968 fast neun Millionen Besucher strömten. Die San-Bernardino-Berge trennen die weiten, fruchtbaren Küstenstriche von der trostlosen Mojave-Wüste. Millionen Kalifornier zwischen San Diego und Los Angeles betrachten sie als einen der schönsten Aussichtspunkte der Natur. Im Winter schneit es dort, im Sommer sind die Wälder kühl; jede Art der Erholung ist hier zu finden, vom Skiausflug bis zur Wanderung - und das alles ist über eine Autobahn von Los Angeles und vom San-Fernando-Tal in zwei Stunden erreichbar.
Da die Bäume so wichtig waren, wurde die Forschung im Labor und auf freier Wildbahn beschleunigt, um den Erreger der »Krankheit X« zu isolieren und seine Tätigkeit zu bremsen. Der erste Erfolg zeichnete sich bereits 1962 ab. Im Plant Disease Reporter erschien ein wissenschaftlicher Beitrag, in dem zwei Pathologen und ein Beamter der Forstverwaltung von Arrowhead die Ergebnisse ihrer Untersuchungen veröffentlichen: Kein normaler Erreger und auch kein Insekt war an der »Krankheit X« beteiligt. Oder, in der Sprache der Biologen: »Es gab keinen Nachweis für die dauernde Anwesenheit eines pathogenen Organismus« - sprich: eines krankheitserregenden Schädlings. Statt dessen vertraten die Verfasser die Ansicht, »Dürre und Luftverschmutzung, oder genauer, eine Kombination der beiden Faktoren« sei schuld an dieser Katastrophe.
Andere Biologen nahmen die Witterung auf. Seit zehn Jahren wußte man, daß Smog die Pflanzen im San-Bernardino-Tal schädigt. War es denkbar, daß verschmutzte Luft nun auch in die höheren Bezirke der Landschaft vorstieß, und zwar in einem solchen Ausmaß, daß durch sie Baume getötet wurden? Man entwarf ein Programm, um die Frage zu klären.
Nadeln der Ponderosa-Pinie wurden ozonhaltiger Luft ausgesetzt, während andere Kiefernnadeln gefilterte Luft erhielten.
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Innerhalb weniger Tage entwickelte sich in dem Gefäß, das 5 ppm Ozon enthielt (fünf Millionstel der Luft bestanden aus Ozon) die vertrauten gelben Flecke der »Krankheit X«. Die Nadeln in der gefilterten Luft blieben ungefleckt. Weitere Untersuchungen bestätigten die Theorie und machten für den Untergang der Ponderosa-Pinien eindeutig die verschmutzte Luft verantwortlich. Im Jahr 1967 erweiterte man die Forschung. Was bisher von einer »Forst-Versuchsanstalt im Südwestpazifik« betrieben worden war, ging nun an das Statewide Research Centre der Universität Kalifornien in Riverside über. Leiter des Programms wurde Dr. Paul Miller, ein Pflanzenpathologe. Miller und seine Mitarbeiter begannen mit äußerster Konzentration die Empfindlichkeit verschiedener Pflanzenarten gegenüber Smog zu messen, stellten die Schäden fest, die dabei angerichtet wurden, studierten aber zugleich andere Umweltbedingungen wie Bodenbeschaffenheit und Feuchtigkeit; sie versuchten auch herauszufinden, ob es Unterarten dieser Pinie gibt, die gegen den Smog unempfindlich sind.
Zur Stunde kennt man kein wirksames Mittel, das imstande wäre, diese grauschwarze Pest in den Pinienwäldern, die fast täglich die Hänge hinaufkriecht, aufzuhalten oder auch nur zu verlangsamen. Die verschmutzte Luft kommt, wie sie will; sie tötet, was immer sie erreicht.Rund zwei Drittel des Ponderosa-Bestands in diesen Bergen sind inzwischen abgestorben oder werden demnächst verdorrt sein. Dr. Miller, der den größten Teil seiner Zeit auf dem Berg neben Lake Arrowhead verbringt, wo er das Massaker aus nächster Nähe miterlebt, spricht in bitteren Wendungen von dem Vorgang - wie ein Mann, von dem erwartet wird, daß er einen Kavallerieangriff mit einer Hutnadel aufhält. Während eines friedlichen Gesprächs bei einem Glas Limonade am Lake Arrowhead gab er mir zu verstehen, daß wenig Aussicht bestehe, auch nur eine einzige Ponderosa-Pinie zu retten. »Wenn einer dieser Bäume einmal von Ozonluft erreicht wird«, sagte er, »dann stirbt er.
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Nur die Zeit spielt dabei noch eine Rolle; es gibt keine Abhilfe, kein Mittel. Wir haben alles versucht, was uns einfiel. Man müßte sämtliche Bäume in ein Gartenhaus stellen und die Luft durch ein Kohlenstoff-Filter reinigen, um überhaupt Erfolg zu haben.«
Er wies mit der Hand auf die toten und die sterbenden Bäume am Berghang. »Wenn sie ein einziges Mal geschädigt werden - nur ein bißchen geschädigt -, ist der Schaden hundertprozentig. Uns bleibt nur übrig, durch die Wälder zu wandern und die Leichen zu zählen. Ich bin kein Pflanzenpathologe mehr, ich komme mir eher wie ein Totengräber für Pinien vor. Nur wenn es uns gelingt, den Smog aufzuhalten, werden wir ein weiteres Sterben verhindern. Und das ist das ganze Problem.«
Den Verlust einer solchen Pinie am Verkaufswert ihres Holzes zu messen, ist sinnlos. Diese Bäume sind mehr wert als der Preis, den die nächste Holzfabrik bietet. Man muß ihren Wert errechnen aus dem Verlust an landschaftlicher Schönheit und diesen Verlust wiederum umschlagen auf sämtliche Investitionen, die in dem Gebiet gemacht wurden. Wenn die Schönheit verschwindet, verschwinden auch die Touristen. Die Bäume sind außerdem notwendig, um die Feuchtigkeit zu erhalten, die als Schnee und Regen auf die Berge fällt. Sterben die Bäume, geht das Wasser verloren. Es strömt jetzt über nackte Hänge, Erosion und Flutgefahr sind unvermeidbar. Außerdem muß, wer heute in diesen Bergen Grundstücke kauft, damit rechnen, daß eines Tages keine Bäume mehr auf ihnen stehen. Er muß die finanzielle und ästhetische Einbuße selbst tragen; keine Versicherung zahlt ihm einen Heller für den Untergang von Bäumen durch Luftverschmutzung.
Ein Psychologe könnte viel Zeit auf das Studium der Reaktionen von Leuten verwenden, die plötzlich das Wort air pollution, Luftverschmutzung, hören. Die schlimmsten Seiten der menschlichen Natur werden dann sichtbar; die meisten ziehen vor, über Smog gar nicht erst zu diskutieren. Als wir versuchten, Geschäftsleute und Grundbesitzer im Bezirk von Lake Arrowhead für einen Dokumentarfilm zu interviewen,
Smog als eine Art gesellschaftliche Krankheit 77
der im Fernsehprogramm von Los Angeles gezeigt werden sollte, machte keiner den Mund auf. Wir trafen auf Menschen, die verkniffen, furchtsam oder wütend waren, doch die meisten schienen einfach verlegen. Sie sprachen vom Smog, als sei er eine Art gesellschaftliche Krankheit, sie schienen dabei zu empfinden, was ich als kleiner Junge empfand, als meine Klassenkameraden feststellten, daß ich Krätze hatte. Eine Dame, Mitglied des örtlichen Hausbesitzer-Vereins, erklärte, vom Smog-Problem gehört zu haben, fügte aber hinzu, im Hausbesitzer-Verein habe man dieses Problem niemals diskutiert. Ein Mitglied der Handelskammer meinte, es gebe wohl ein wenig Schaden durch Smog, aber »die Kerle da im Wald, die Forstleute, die kümmern sich schon darum«. Keiner wünschte auf dem Bildschirm zu erscheinen, jeder gab uns den gleichen Rat. »Vielleicht fragen Sie einmal Joe, ein Stück die Straße runter ...« Aber Joe wollte auch nichts sagen.
Richtigen Ärger hatten wir dann mit dem Verkaufschef der Arrowhead Entwicklungs-Gesellschaft, die wiederum der Boise Cascade Company untersteht, welch letztere Lake Arrowhead gekauft hat und nun dabei ist, das Land zu parzellieren und zu verkaufen. Zu Beginn des Gesprächs war er äußerst freundlich, doch als die Rede auf sterbende Bäume und Smog kam, explodierte er geradezu. Er gab mir in ausgesuchten Wendungen zu verstehen, daß seine Gesellschaft »grün und sauber« verkaufe, daß es keinen Smog gebe und daß deshalb auch keine Bäume sterben könnten. Er fügte drohend hinzu, solche Behauptungen könnten mich - und meine Sendestation - teuer zu stehen kommen. Er würde uns verklagen und »unseren letzten Penny« fordern. Ich war natürlich äußerst geschmeichelt über seine Worte und teilte seine Drohungen meinen Kollegen mit. Meiner Bank sagte ich nichts davon. Sie würde es vermutlich mit Humor getragen haben. Auf gar keinen Fall wünschte dieser Mann interviewt zu werden, das kam gar nicht in Frage; denn »unser Hauptquartier in Chikago sagt, wir sollten keinen Kommentar über den Smog abgeben.«
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»Nicht einmal die Wörtchen >Kein Kommentar<?« - »Nein.«
Die letzten Verkaufsprospekte der Lake-Arrowhead-Entwicklungs-Gesellschaft lesen sich dementsprechend immer noch äußerst angenehm. Sie versprechen »klare Bergluft ... Pinienwälder ...« Doch wir wissen genau, daß der Smog nach wie vor in der Luft hängt, daß die Bäume weiter sterben, und daß die Wissenschaftler immer noch die Leichen zählen.
Einzelheiten über den Smog, wie sie Dr. Miller 1969 gab, sind äußerst aufschlußreich; wir empfehlen ihr Studium Lesern, die immer noch an dem Ernst der Tatsachen zweifeln, die hier mitgeteilt wurden. In der Tabelle werden die durchschnittlichen täglichen Maximalwerte von Oxiden aller Art in der Luft angegeben, und zwar in »Teilen pro hundert Millionen« (pphm). In der zweiten Zeile der Tabelle steht die Zahl der Tage, an denen der vom Staat festgesetzte »Standardwert« von 15 pphm überschritten wurde. Der staatliche Standard stellte die Obergrenze dar, jenseits der Pflanzen und Material durch Oxide geschädigt werden; also etwa Bäume, Sträucher, Autoreifen. An mehreren Tagen stieg der pphm-Wert der Oxide im Distrikt Arrowhead so stark an, daß er fast die Grenze der »Alarmstufe« erreichte.
In der Tabelle werden die Arrowhead-Werte mit denen von Riverside, 1500 Meter tiefer gelegen, verglichen:
Arrowhead- Mai Juni Juli Aug. Sept. Okt.
Distrikt
Oxide aller Art
in pphm: 20,4 23 20,8 19,4 22 15
Zahl der Tage,
an denen der
staatl. Standard 9 23 24 23 15 8
überschritten wurde
Riverside
Oxide aller Art
pphm 18,4 13 20,6 19 26 24
Wie unter schwerem Artilleriefeuer 79
Daß Pflanzen und Bäume durch verschmutzte Luft geschädigt werden, ist zwar nicht neu. Neu und überraschend aber ist, daß der Mensch sagt, es sei ihm gänzlich gleichgültig, ob Bäume eingehen oder nicht. Noch vor einem Jahrhundert gab es in Amerika große jungfräuliche Wälder. Man schlug sie um und baute Holzhütten oder rodete ein Stück Wald, um den Boden zu beflanzen. Die bebauten Felder dienten wieder den Indianern; diese verbargen sich hinter den Kulturpflanzen und warteten darauf, daß der Farmer ihnen nahe genug käme, um skalpiert zu werden. Mit der Industrie aber kam ein Feind der Wälder, schrecklicher als irgendein Grenzer oder Siedler. Stinkende Fabrikschornsteine, Hüttenwerke und chemische Anlagen können eine Landschaft zerstören, ohne daß ein Axtschlag fällt. Beispiele dafür gibt es genug. Ein Mitteilungsblatt der Regierung berichtet von einer Metallschmelzerei in British Columbia, die im Umkreis von 80 Kilometern das gesamte Pflanzenleben erstickte; sie hatte einen monatlichen Ausstoß von 18 000 Tonnen giftiger Schwefelverbindungen. (Das vernichtete Gebiet entsprach der Größe des deutschen Bundeslands Hessen A. d. U.) Die Verwüstung im Einzugsgebiet der Hütte war total; man hatte den Eindruck, das Land habe unter schwerem Artitleriefeuer gelegen. Es fällt schwer, zu errechnen, welchen Schaden ökologischer oder ästhetischer Art die Luftverschmutzung anrichtet, wenn sie derartige Wunden schlägt. Doch wir können versuchen, den Verlust einfach in Geld auszudrücken. Darin ist der Mensch immer besonders erfinderisch.
Die finanziellen Verluste, die uns durch die Vernichtung von Pflanzen und Bäumen zugefügt werden, sind fürchterlich. Im Jahr 1968 machte sich Dr. Seymour Calvert daran, Schäden und die daraus erwachsenden Unkosten oder Verluste systematisch zu erforschen. Calvert ist der Direktor des bereits genannten Statewide Air Pollution Center in Riverside. Nach seinen Aufstellungen entgehen den Zitrus-Pflanzern (Orangen, Zitronen, Grapefruit) im Los-Angeles-Becken jährlich 33 Millionen Dollar.
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Versuche haben ergeben, daß Zitrusbäume im Smog 30 Prozent ihrer Blätter verlieren und oft nur die halbe Menge reifer Früchte produzieren, die an Bäumen in sauberer Luft wachsen. Calvert schätzt außerdem, daß der Staat Kalifornien durch Verlust an Zierpflanzen (in Gärten wie in Gärtnereien) weitere 192 Millionen Dollar jährlich draufzahlt.
Geschätzte jährliche Kosten, verursacht durch Schädigung von Pflanzen durch »fotochemischen Smog« (Kalifornien).
augenblicklich Mio. Dollar (us)Gemüse 10,0
Zitrusfrüchte (Süd-Kalifornien) 32,5
Blumen 2,0
Zierpflanzen (nur Los Angeles) 144,0
Zierpflanzen (Rest Kalifornien) 48,0
Bäume (Lake-Arrowhead-Distrikt) 12,0
Zwischensumme 248,5
ZU ERWARTEN
Grapefrüchte, Baumwolle, Alfalfagras,
Tomaten (San Joaquino) 60,0
Zitrusfrüchte (San Joaquino) 96,0
Salat, Sellerie, Tomaten (Saunas) 7,0
Zwischensumme 163,0
Gesamtschaden 411,5Während eines Gesprächs über diese Zahlen warnte Dr. Calvert vor potentiellen Schäden in den reichen Tälern von San Joaquin und Salinas. »Es stimmt, daß im Salinas-Tal bisher keine signifikanten Schäden an Pflanzen aufgetreten sind«, sagte er; »doch ein Zwischenfall, der sich am 25. Juli 1967 ereignete, deutet an, daß die Luftverunreinigung in dem Tal zunimmt und wir in nächster Zeit auch dort mit schweren Schädigungen rechnen müssen.«
Milliardenverluste an Baumbeständen 81
Sogar die Farmer, die Christbäume pflanzen und verkaufen, haben das zu spüren bekommen. Etwa 30 Prozent ihrer Bäume sind neuerdings beschädigt, 10 Prozent unverkäuflich. Bäume, bei denen der Schaden nicht so offenkundig ist, lassen sich reparieren: man spritzt grüne Farbe oder künstlichen Schnee drüber und verkauft sie doch.
Die jährliche Einbuße am Gemüseanbau und der Verlust an Baumbeständen im Lake-Arrowhead-Distrikt schließlich erhöhen das Schuldkonto des fotochemischen Smog in Kalifornien auf insgesamt fast eine Viertelmilliarde Dollar jährlich, und der Betrag wächst weiter an. Geschätzte zukünftige Verluste im San Joaquin- und Salinas-Tal bringen die Totalverlustsumme auf 411 Millionen Dollar.
Zur Ermittlung von Schäden, die den Landbesitzern zugefügt werden, wählte Dr. Calvert als Beispiel Lake Arrow-head. Seine Rechnung sieht folgendermaßen aus. Der Grund am See kostet heute zwischen 50000 und 60000 Dollar pro acre (was einem Preis von 50 bis 60 Mark pro Quadratmeter entspricht. A. d. Ü.) Handelt es sich um Land mit Baumbestand, liegt der Preis nochmals 5000 bis 7000 Dollar höher. Calvert schließt: »Es gibt in diesem Distrikt heute mindestens 8000 Hektar Bauland mit Baumbestand, der von Ozon in der Luft schwer geschädigt wird. Der Verlust allein dieser Bäume kostet die Grundbesitzer 120 Millionen Dollar.« Fast eine halbe Milliarde Mark, auf einem winzigen Fleck Erde allein durch den Schaden an Bäumen! Die Zahlen liegen vor, aber der Mann auf der Straße ist unfähig, sie zu begreifen. Einen Schaden von 11 Milliarden Dollar, rund 40 Milliarden Mark, hat der Smog innerhalb der letzten 20 Jahre in Südkalifornien angerichtet. Die Summe ist bis auf wenige Millionen genau errechnet. Stellt man die Frage, wie groß der Schaden ist, den verunreinigte Luft alljährlich in den gesamten usa anrichtet, kommt man nochmals auf den gleichen Betrag. Nur ein Schweizer Bankier kann solche riesigen Summen überhaupt begreifen. Wir verlieren Milliarden, geben aber nur ein paar Millionen alljährlich aus, um air pollution
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zu bekämpfen. Wir gehen in diesen Kampf mit der Unbefangenheit eines Bauern, der im teuersten Hotel der Großstadt absteigt und nur zwei Dollar in der Tasche hat. Herr Onassis würde vergleichsweise mehr für ein Austernfrühstück ausgeben als wir für Forschung.
Doch aufs Ganze gesehen spielt eine solche Rechnung leider keine Rolle. Ganz gleich, wieviel Geld wir (durch Luftverschmutzung) verlieren und wieviel wir für Forschung (gegen Luftverschmutzung) freiwillig ausgeben, die Zeit ist schon zu weit fortgeschritten. Wir müssen unsere Umwelt retten, koste es, was es wolle, und wenn wir dabei den letzten Heller verlieren. Die Zeichen, manchmal noch etwas undeutlich, sind heute schon überall zu sehen. Man liest darüber, leider nur auf den letzten Seiten der Zeitung. Doch wer Augen hat, entdeckt die Signale trotzdem.
Da sind etwa die Engländer. Auch sie haben Schwierigkeiten mit der Luft. Ihre alten Eichen müssen nicht nur wachsenden Großstädten weichen, sondern vor allem der verunreinigten Luft. Die Engländer gehen das Problem wissenschaftlich an, in einer Weise, die seit alters bewährt ist: man könnte sagen, durch die Hintertür! Anstatt sich mit air pollution herumzuschlagen, suchen sie ganz einfach nach Bäumen, die trotz der Verschmutzung wachsen. Wer an kurzfristigen Erfolgen interessiert ist, wird dieses Verfahren einfacher finden. Die Ursache der Verschmutzung bekämpft man dadurch allerdings nicht.
Eine Untersuchung jüngsten Datums zeigt, daß inzwischen auch die Weintrauben Opfer des Smog wurden. Schlechte Luft setzt den Zuckergehalt der Traube herab, vergilbt vorzeitig die Blätter, läßt die Reben verdorren. Das Publikum wird sich voraussichtlich mit sauren Trauben von verkümmerten Weinstauden zufriedengeben, und die Robin-Hood-Filme werden in Zukunft vor Büschen stattfinden, deren Blätter man zuvor grün gespritzt hat.
Genug Anzeichen sprechen dafür. Wir befinden uns in einem Prozeß der Anpassung und Unterwerfung - der bekanntlich aus den Mitteldeutschen längst »zufriedene Gefangene« gemacht hat. Wir sehen, wie die Schatten immer tiefer sinken, wir sind erstaunt, doch wir beruhigen uns wieder. Denn schließlich leben wir ja doch in einer fortgeschrittenen Gesellschaft, umgeben von Chromleisten und Komfort. Wir leben wie jener halbstarke Motorradfahrer, der vor einigen Jahren in Wiener Kabaretts sang: »I hob zwar ka Ahnung, wo i hin--fohr - aber dafür bin i g'schwinder durt!«
Wer sich die Zeit nimmt, zwischendurch einen Blick auf die ökologischen Karten zu werfen, weiß, wohin die Reise geht. Aber um seine Worte kümmert sich niemand. Protestiert er laut dagegen, daß wir blindlings das einzige, was in unserer Welt noch Wert hat, totschlagen, dann sagt man achselzuckend: »Ein verrückter Vogelbeobachter, ein Naturfreund!« Offensichtlich versteht ein Naturfreund nichts von den wahrhaft bedeutenden Problemen unserer Zeit - etwa von der Notwendigkeit, Öl zu bohren und es dann in Motoren zu verbrennen.
Selbst wenn Wissenschaftler von untadeligem Ruf ihre warnende Stimme erheben, verbannt man ihre Aussagen auf die letzten Seiten der Zeitungen. Sex gehört vorne hin, air pollution nicht. So geschah es erst kürzlich: Professor E. F. Watt erschien vor einem Ausschuß des amerikanischen Repräsentantenhauses, der sich mit den sozialen Leiden der Zeit befaßt. »Im Jahr 2000«, sagte Watt, »werden Bäume etwas sein, an das sich die Einwohner der USA nur noch dunkel erinnern.« Er warnte: Es ist möglich, daß in den USA die Anbaufläche knapp wird, ebenso der Wald, falls es nicht gelingt, Verstädterung und Übervölkerung unter Kontrolle zu bringen. Wenn wir keinen Ersatz finden, meinte der Professor, werden wir nur noch 84 Prozent des zur Ernährung erforderlichen fruchtbaren Bodens besitzen - wohlgemerkt, zur Ernährung von 311 Millionen Bewohnern, die dann unser Land füllen. Er fügte hinzu, zuerst würden wohl die Urlaubs- und Touristengebiete wieder in Farmland verwandelt werden.
Watt deutete eine Gefahr an, die sich zur Zeit noch hinter dem Smog verbirgt: Es könnte sein, daß dieser Dunst das Sonnenlicht so sehr dämpft, daß eine neue Eiszeit kommt. Wer sich für diese Theorie nicht erwärmen kann, drehe die Münze um: Wird - wie andere Wissenschaftler meinen - immer mehr Sonnenhitze durch den sogenannten »Treibhauseffekt« des Smog-Schleiers eingefangen, dann steigt die irdische Temperatur immer weiter an. Im Verlauf der Entwicklung beginnen die Eiskappen der Pole zu schmelzen und die Ozeane treten über ihre Ufer. Sie überfluten die wichtigsten Seehäfen der Welt - und schaffen in New Mexiko (oder am Alpenrand) neue Meeresküsten.
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