8 - Blei - Ein Fluch aus der Antike kehrt zurück
109-
Blei, dieses uralte Metall mit dem unromantischen Namen, hat eine eigene Geschichte. Sie ist voll von Romantik, aber auch Intrigen, Abenteuern und voll von Neid. Kriege wurden wegen des Metalls gefochten. Ein Bleifigürchen, fast 5000 Jahre alt, steht im Britischen Museum. Die Chinesen kannten Bleimünzen 2000 Jahre vor der Zeitwende. Assyrer und Ba bylonier schätzten Bleiornamente hoch. Etwa 2500 v. Chr. begann man die Metalle Blei und Silber voneinander zu trennen.
Die Römer nutzten das Blei für viele Zwecke, vor allem für Wasserleitungen. Die Römischen Bäder von Bath in England arbeiten immer noch mit Bleirohren, die 2000 Jahre alt sind. Damals stellte man solche Wasserleitungen her, indem man eine Bleifolie zusammenrollte und die Ränder verschmolz. Zisternen und Wasserbehälter wurden mit Blei aus gekleidet, ebenso die Abwässerkanäle. Schiffe beschlug man mit Blei, Töpfe erhielten einen Bleiüberzug.
Griechen und Römer finanzierten ihren Aufstieg zur Macht mit Silber, das sie in den Bleiminen Spaniens und Attikas gewannen. Doch trotz dieser ruhmreichen Vergangenheit scheinen Elend, Schmerzen und Tod unlösbar verbunden mit der Geschichte dieses weltweiten, mächtigen Metalls. Es gibt eine Theorie, derzufolge das Römische Reich nicht aus den Gründen zerfiel, die man in den Geschichtsbüchern findet, sondern durch seinen Kontakt mit Blei … das, wie die Macht, den korrumpiert, der mit ihm in zu enge Verbindung tritt.
Die Könige vergangener Zeiten ließen andere als Sklaven in Bergwerken sterben, um selber Gewinn aus dem Blei zu ziehen. Merkwürdig genug, man entdeckt ganz ähnliche Züge in diesem, dem zwanzigsten nachchristlichen Jahrhundert.
Einige Historiker glauben nämlich, daß die Römer nicht wußten, welch tödlichen Effekt Blei auf den menschlichen Organismus haben kann. Unser Körper verträgt nur die winzigsten Dosen dieser Substanz – 0,5 bis 0,8 ppm, oder Teile pro Million, im Blut. Was darüber hinausgeht, verursacht die klassische Bleivergiftung, die Gehirn und Nerven schädigt und schließlich den Tod herbeiführt. Nach der bereits erwähnten Theorie nahmen die Römer soviel Blei zu sich (durch ständige Berührung, in Lebensmitteln, Wasser und Wein), daß Krankheit und Degeneration des Gehirns schließ lich den Sturz der Weltmacht herbeiführten.
Trotzdem muß man den Römern etwas zugute halten. Ihr Kontakt mit dem Blei rührte aus Dummheit und Unkenntnis her, was verzeihlich ist. Unser Kontakt mit Blei hat seine Ursachen in der menschlichen Gier nach Profit. Und das ist unverzeihlich.
Die erste Warnung, daß wir Mitmenschen zu Krankheit, Verkrüppelung und Tod durch Bleivergiftung verdammen, kam 1965, als der Geochemiker Dr. Claire C. Patterson in den Archives of Environmental Health (Bd. II, Sept. 1965) einen brillanten Beitrag über kontaminierte und natürliche Bleiumwelt des Menschen veröffentlichte. Während der Vorarbeiten zu dem Beitrag fand Patterson heraus, daß die Abgabe von Blei durch Industrieanlagen eine deutliche Wirkung hat, und zwar »auf den Bleigehalt der Ozeane und der Atmosphäre über der nördlichen Erdhalbkugel«.
Die stärkste gegenwärtig nachweisbare Quelle einer ständigen Bleivergiftung unserer Umwelt ist das mit Benzin angetriebene Automobil, dessen Hochdruckmaschinen ein »Anti Klopf-Mittel« im Treibstoff benötigen. Dieses Mittel heißt Bleitetraäthyl. Man braucht etwa 60 Gramm dieses Zusatzes für einen Tank voll Treibstoff.Die Ungeheuerlichkeit dieser Vergiftung kann man anhand einer einfachen Rechnung darlegen. Eine Großstadt wie Los Angeles hat etwa vier Millionen Autos. Jeder Kraftwagen hat einen Tank, der für eine Fahrstrecke von etwa 400 Kilometern ausreicht. Jeder Besitzer fährt im Jahr etwa 16000 Kilometer, muß also seinen Tank vierzigmal füllen lassen.
Ein Bericht explodiert wie eine Bombe -- 111
Da man pro Tank zwei Unzen des Bleizusatzes braucht, er geben sich daraus 8,96 Millionen Kilogramm Bleitetraäthyl – und wenn man das Blei aus dieser Verbindung löst, dann kommt man auf einige Millionen Pfund Blei, die alljährlich in die Luftglocke über Los Angeles abgeblasen werden. Dr. Pattersons Arbeit, die manche für das bedeutendste Dokument halten, das jemals über das Thema »Blei« geschrie ben wurde, explodierte wie eine Bombe. Vier Jahrzehnte lang hatte man sich auf diesem Gebiet mit Annahmen, halben Wahrheiten, politischer oder propagandistischer Blindheit zufriedengegeben. Natürlich erregte seine Schlußfolgerung, »daß der Durchschnittsamerikaner schwersten Schädigungen durch Blei ausgesetzt ist«, sofort mehr Aufsehen als ein Alligator im Swimming-pool.
Der ehrliche Patterson hatte das amerikanische Gesundheitsministerium genau dort getroffen, wo es weh tat. Diese im posante öffentliche Dienststelle hatte bisher immer den allgemeinen Standpunkt vertreten, daß das Blei in der Umwelt des Amerikaners »sich durchaus im Rahmen dessen befände, was nach der gegenwärtigen Auffassung von Menschen ver tragen werde, und daß nichts auf eine drohende Bleivergif tung hinweise …«
Patterson jedoch hängte seiner These drei weitere Beobachtungen an: Die bestehende Belastung des (menschlichen) Körpers mit Blei ist etwa hundertmal so groß wie die natürliche Belastung. Die gegenwärtige Aufnahme von Blei liegt etwa dreißigmal höher als die natürliche Aufnahme.
Unter den bestehenden Bedingungen trägt das in der Atmosphäre verteilte Blei wesentlich dazu bei, daß (von Menschen) Blei aufgenommen und absorbiert wird – wählend unter natürlichen Verhältnissen atmosphärisch verteiltes Blei über haupt keine Rolle spielt.
Der Verfasser trat kräftig ins Fettnäpfchen, als er sich einer Lieblingsthese der Gesundheitsschützer zuwandte, derzufolge
112
das im Menschen nachweisbare Blei »normal und daher sicher oder natürlich sei«. Diese Annahme, bemerkte der Wissenschaftler, gehe »von der Voraussetzung aus, ›natürlich‹ und ›sicher‹ seien identische Begriffe. Doch eine solche Annahme könne auf einem verhängnisvollen Irrtum beruhen.«
Er argumentiert folgendermaßen. Die übliche Konzentration von Blei in menschlichem Blut beträgt heute 0,25 ppm.
»In Vergangenheit und Gegenwart wurde dieser Wert mit einer ganz unbegründeten Zufriedenheit betrachtet. In Wirklichkeit liegt er aber irgendwo zwischen der natürlichen Konzentration von 0,002 ppm und dem akut toxischen Schwellen wert von 0,5 bis 0,8 ppm. Das deutet aber unmißverständlich an, daß der Durchschnittsbewohner der Vereinigten Staaten längst einer schweren chronischen Bleibelastung ausgesetzt ist.«
Pattersons detaillierter Bericht war wie der berühmte Griff ins Wespennest. Es hagelte Widersprüche. »Das Echo dieser Auseinandersetzung und das erneute Interesse an der Biochemie des Bleis«, sagte Patterson, »beendete eine Ära, die vierzig Jahre gedauert hat und in der die Industrie den Ärzten vorschrieb, was sie von Bleivergiftung wissen mußten.«
Um zu verstehen, warum Pattersons Bericht viele Leute wütend machte, muß man einen Blick zurück auf die zwanziger Jahre werfen; damals begannen die großen Werke Automobilmotoren mit höherer Verdichtung zu bauen, was Treibstoffe mit höherer Oktanzahl erforderlich machte, um das »Klingeln« oder »Klopfen« der Motoren zu verhindern. Als ich mich im Sommer 1969 mit Dr. Patterson über die Frage »Blei im Benzin« unterhielt, erfuhr ich, daß dieser Zusatz hauptsächlich von der Ethyl-Corporation an die großen Erdölfirmen geliefert wurde. Doch lesen Sie selbst: Frage: »Wie wurden die Sicherheits-Normen für Blei entwickelt?«
Antwort: »Sie stammen fast ausschließlich von einem einzigen Mann, der damals für die Ethyl Corporation arbeitete –