9 - H2O und andere Unbekannte
Widener-1970
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Im April vergangenen Jahres zapfte ein Bewohner der Stadt Pasadena ein Glas Trinkwasser aus der Leitung – und verspürte momentan Brechreiz. Das Wasser war lebendig, kleine Würmer (so glaubte er) schwammen drin herum. Als er das städtische Wasserwerk anrief, hörte er, daß sich schon zahl reiche andere Bürger von Pasadena beschwert hatten. Auch sie erhielten Würmer durch die Wasserleitung.
wikipedia Pasadena_(Kalifornien)
Sofort erschien eine amtliche Verlautbarung in der örtlichen Zeitung Pasadena-Star-News, die die Befürchtungen der Wasserkonsumenten zerstreuen sollte. Die Stadt und der Direktor der Wasserwerke, John Behner, versicherten den Bürgern, was sie im Trinkwasser sähen, seien nicht Würmer, sondern »Mückenlarven«. Der Direktor fügte hinzu, »das Wasser sei auf jeden Fall trinkbar, und die Stadt bemühe sich, die Situation zu meistern«. Nach Behners Darstellung stammten die Larven aus dem Arroyo-Seco-Flußbett, dessen Rinnsal ins Windsor-Wasserreservoir gepumpt wird.
Behner versprach, daß sofort neue Filter am Einfluß des Be hälters angebracht werden sollte, verriet aber den Star-News, es werde wohl einige Tage dauern, bevor man die ganze Trinkwasserversorgung von den Larven gereinigt habe. Das Wasser aus dem Flußbett, sagte er, sei inzwischen abgeleitet worden, doch die Larven seien nun einmal in dem System, und der ganze Komplex von Leitungen müsse entleert, durch gespült und gereinigt werden.
In der Zwischenzeit aber, verkündete er nicht ohne Genugtuung, »würden Forellen angekauft und in der Nähe des Einflusses ins Becken ausgesetzt«. Der zugrundeliegende Gedanke war wohl, daß die Forellen fressen sollten, was die Einwohner von Pasadena übriggelassen hatten.
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Die Geschichte beweist, genau genommen, nur, daß Wissenschaft und Technologie in Ruhestand getreten sind und mich, zusammen mit unzähligen Wasserkonsumenten, im Stich gelassen haben. Ich verstehe noch nicht einmal die neue wissenschaftliche Terminologie … etwa die Geschichte, daß es »nur Mückenlarven« sind. Als ich ein Junge war, nannte man diese wurmartigen Dinger »Maden«, Nun lerne ich, daß wir in den Mülltonnen immer nur »Larven« hatten. Wir hatten auch keine Ahnung, daß sie gut eßbar sind. Eine völlig neue Welt tut sich auf.
Ich will nicht auf Pasadena und seinen Larven herumreiten.
Die Stadt hat andere Vorzüge, etwa die berühmte »Rose Bowl« und das noch berühmtere »Caltech«, die Technische Hochschule von Kalifornien. Und sie hat wahrscheinlich so gar eines der besten Trinkwasser-Systeme der ganzen Vereinigten Staaten. Doch gerade das stimmt mißtrauisch. Was geht in Gemeinden vor, die nicht ganz so wohlhabend sind?
Wenn schon die Einwohner von Pasadena Maden kauen, wie sieht dann das Menü anderswo aus?
Es gibt mehr Leute, darunter Wasserexperten, die sich über diese Frage ihre eigenen Gedanken machen. Dr. Roger O. Egeberg zum Beispiel, Stellvertreter des Gesundheitsministers, erzählte einer Gruppe von Naturschützern kürzlich, das Wasser in städtischen und ländlichen Gemeinden sei zumeist von unbekannter Qualität und fügte hinzu, rund 58 Millionen Amerikaner, die in 19000 Gemeinden leben, würden mit Trinkwasser versorgt, das keineswegs den Richtlinien des Gesundheitsministeriums entspreche.
Dr. Egebergs Sorge scheint mehr als gerechtfertigt, wenn man die vorläufigen Ergebnisse einer Regierungsuntersuchung zur Trinkwasserversorgung betrachtet. Charles C. Johnson, Verwalter des amerikanischen »Verbraucherschutzes« und der »Umweltgesundheitsdienste«, teilte kürzlich mit, erste Untersuchungen hätten eine überaus hohe Konzentration von Bakterien ergeben, dazu ein »sehr häufiges Auftreten« von Pflanzenschutzmitteln im Trinkwasser. Die Untersuchung betraf Tests in 1100 Gemeinden, in denen über 20 Millionen Amerikaner leben. In 76 von 79 Wasserproben wurden Pestizide (Pflanzenschutzmittel) entdeckt.
Anstatt im winterlichen Schnee tummeln sich spielende Kinder in Schaumbergen.
Chemische Substanzen in Waschmitteln, die durch die zahlreichen Kläranlagen des Ruhrgebiets nicht absorbiert werden können, geraten in das Ruhrwasser
Er fügte zwar beruhigend hinzu, keine der Proben habe mehr Pestizide enthalten, als der öffentliche Gesundheitsdienst erlaubt. Doch er warnte, daß »das überaus häufige Vorkommen [solcher Stoffe im Trinkwasser] und unsere Unkenntnis über die Langzeit-Effekte der Chemikalien gebieterisch Kontrollen
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und Forschung erforderlich machten, und daß dieses Problem von staatlichen und örtlichen Gesundheitsämtern stärker be achtet werden müsse«.
Untersucht wurden im vorliegenden Fall Gebiete in den Staa ten Vermont, New York, Westvirginia, Missouri, Louisiana, Kalifornien und Kolorado. Wenn die Untersuchung dem nächst im Druck erscheint, werden sich einigen Ärzten die Haare sträuben, und die Trinker werden enthaltsam wer den … zumindest, was das Wasser betrifft.
Wer in unserem Kontinent viel herumreist, für den ist es längst kein Geheimnis mehr, daß die Qualität des Trinkwas sers unterschiedlich ist – um das mindeste zu sagen. Florida und andere Regionen klagen über den starken Schwefelge halt des Wassers. In anderen Gebieten herrschen Schlamm und Schwebeteilchen vor.
Einige Ortschaften wundern sich über die schaumige Qualität des Trinkwasser, die es wie Spül wasser erscheinen läßt. In meiner Heimatstadt Northridge (Kalifornien) sieht Wasser aus der Leitung oft gestreift aus, als habe man es gerade durch gebrauchte Socken filtriert.
Besitzer von Swimmingpools wissen Bescheid. Als wir unser Becken mit dem Schlauch aus der Trinkwasserleitung füllten, konnten wir nur zwanzig Zentimeter tief in die Brühe hinein sehen. Nach mehreren Tagen einer kräftigen Behandlung mit Säuren und Chlorsalzen wurde es klar, schmeckte besser als das Trinkwasser, roch besser und sah auch viel besser aus.
Mit jenem natürlichen Gefühl für Hygiene, das beim Tier oft stärker ausgebildet ist als beim Menschen, verzichteten unsere Katzen und Hunde sofort auf eine weitere Inanspruchnahme der Flüssigkeit des Kraft- und Wasserwerks von Los Angeles. Sie tranken fortan immer aus dem Swimming-pool. Erst in der letzten Zeit haben wir angefangen, unser Trink wasser genauer zu betrachten. Plötzlich wird jedem schmerz lich klar, daß wir uns zu wenig um eine Substanz gekümmert haben, die neben der Luft zum Leben unentbehrlich ist. Jahr für Jahr nehmen wir etwa eine Tonne Wasser pro Person zu uns, als Getränk oder in Nahrungsmitteln. Mehr als zwei