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12.   Luftfahrt - Düsen statt Alligatoren

 

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Um ein Haar hätten die Vereinigten Staaten vor zwei Jahren das letzte ihrer unbezahlbaren Naturschutzgebiete verloren – den düsteren, schönen Everglades National Park in Florida. Die Gefahr drohte nicht von Hurrikanen, Feuer oder Dürre, sondern vom Menschen.

In einer jener klassisch sinnlosen Planungen, motiviert durch Profitgier, die auf »Notwendigkeiten« pocht und sich als fortschrittlich tarnt, verlangte die Flughafenbehörde von Dade County, Florida, daß eine 250 Quadratkilometer gro ßer Flugplatz für Düsenmaschinen im Großen Zypressen Sumpf (Big Cypress Swamp) gebaut werde, nur 14 Kilometer von der Nordgrenze des National Parks entfernt. Warnun gen der verzweifelten Naturschutzbeamten in dem Park, daß ein solcher Flughafen den Everglades den Todesstoß ver setzen würde, wurden von den Bürokraten des Flughafens vom Tisch gefegt. Ihr Interesse, sagten sie, gelte der Luft fahrt, nicht Alligatoren.

Die Herren in Florida arbeiteten nicht auf eigene Faust, sondern mit der nachdrücklichen Unterstützung mehrerer Fluggesellschaften, die den Platz zum Training von Düsen piloten benutzen wollten. So hieß es zunächst. Dann hörte man, daß er zu einem Fracht-Flughafen ausgebaut werden solle, und schließlich, daß er um 1980 eine gigantische kom merzielle Luftbasis darstellen würde. Um nicht von dem Wettlauf der Ignoranten ausgeschlossen zu werden, mischte auch die Bundesregierung in Washington kräftig mit. Das Verkehrsministerium bot 750000 Dollar zur Arbeitsauf nahme an der ersten Piste.

Als die Nachricht von dem Flughafen und dem drohenden Untergang der Everglades die Redaktionen erreichte, bil dete sich eine öffentliche Front gegen das Projekt. Von Naturfreunden angegriffen, von der Presse scharf getadelt, 172 Luftfahrt: Düsen statt Alligatoren angesichts einer Front wütender Bürger, die sich dem Plan entgegenstemmten, gab die Regierung in Washington nach.

Im Spätherbst 1969 wurde die Einstellung der Bauarbeiten vom Innenministerium angeordnet und die Suche nach einem passenderen Standort für den Lufthafen aufgenommen. Das sieht zunächst nach einem Sieg aus, und die großartigen Eyerglades scheinen für immer in dem Zustand, in dem sie 1947 zum Naturschutzgebiet der Nation erklärt wurden, zu bleiben. Die weiten Flächen des Sumpfzypressen-Waldes hätten – wenn der Flugplatz gebaut worden wäre – ein erst klassiges Multi-Millionen-Dollar-Objekt für Grundstücks spekulanten abgegeben. Die labile Ökologie der Everglades ist aber bereits gefährdet, weil die Armee unbedingt einen Kanal durch sie hindurchziehen möchte, der dann die lebens wichtige Wasserverbinidung zwischen Sumpf und Park ab schneiden würde. Der Flughafen würde zahlreiche Menschen angezogen haben, natürlich auch Geschäfte, und die Ever glades wären nach wenigen Jahren von der Landkarte ge wischt worden.

Doyle Grabarck, Präsident der nordamerikanischen Ha bitat Society, drückt es unmißverständlich aus: »Die privaten Interessenten denken gar nicht daran, ihre Hoffnungen auf den Flugplatz und alle die schönen Grundstücksgeschäfte, die damit verbunden gewesen wären, aufzugeben. Sobald sich die Aufregung gelegt hat, werden sie wieder anfangen, zu bohren. Wenn die Sache nicht vor Gericht ausgetragen vund dabei ein Verbot vom Richter ausgesprochen wird, sind die Everglades in 10 Jahren verschwunden.«

Verschiedene Vorfälle deuten darauf hin, daß Grabarck mit seiner Prognose ins Schwarze getroffen hat. Im vergangenen Sommer machte ein Beamter des National Parks eine Reise, die ihn am Haus eines Bekannten in Homestead, dicht neben dem Park, vorbeiführte. Er beschloß, ihn zu besuchen; doch der Mann war nicht in seinem Laden, sondern, wie er erfuhr, zu einem Treffen in einem Café. In dem Café traf er den Freund, der sich mit Nachbarn über

Grundstückshaie in Aktion 173

eine Landkarte des Parks beugte. Die Männer zeichneten Parzellen ein. Als der Beamte mit mäßigem Interesse zusah, hörte er, wie einer der Männer sagte: »Dieses Stück will ich haben, Bill; du kannst dir das Grundstück neben mir nehmen.«

Neugierig beugte er sich über die Karte und rief erstaunt: »Was macht Ihr denn da, um Gotteswillen? Das ist der Everglades National Park, Leute! Da könnt Ihr doch keine Grundstücke erwerben.«

»Na, daß es ein Park ist, wissen wir selbst«, sagte einer der Männer und grinste. »Aber er ist es nicht mehr lange. Wir wissen Bescheid!«

Nach dem Bauverbot durch das Innenministerium flüsterten ein paar Leute hinter vorgehaltener Hand, daß sie die Everglades trotzdem kriegen würden, so oder so. Ein Mitglied des National Park Service erzählt von einer Gruppe, die ernsthaft plante, große Mengen Treibstoff in der Nachbarschaft des Flughafens zu lagern. Das Benzin sollte dann zu fällig von einem Blitz entzündet werden und in die Everglades laufen. Das würde ihre totale Zerstörung besiegelt haben – und dann hätten die Grundstückshaie freie Bahn ge habt.

Kurzsichtige Profitgier hat aus Amerikas Landschaft gemacht, was sie heute ist: einen Krüppel, der bis zur Unkenntlichkeit zusammengeschlagen worden ist. Immer wieder geschah es, im ganzen Land, quer durch den Kontinent.

Heute treten Gruppen auf, darunter möglicherweise Regie rung und Großindustrie, denen die natürliche Landschaft der USA völlig gleichgültig ist. In vergangenen Zeiten gab es in den USA so viel Raum, daß man Naturschönheit als. selbst verständlich betrachtete. Wenn irgendwo Wasserlöcher ver giftet, das Land verwüstet und das Wild ausgerottet waren, konnte man einfach über die Hügel ins nächste jungfräu liche Revier ziehen. Das ist jetzt leider nicht mehr möglich. Ein Bericht, der kürzlich vom Innenministerium heraus gegeben wurde: »Folgen eines Düsenflughafens im Großen

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Zypressen-Sumpf auf die natürliche Umwelt«, erzählt die Geschichte der Everglades und beschreibt die gefährliche Situation, in der sie sich befinden. Die riesige, wasserdurchzogene Wildnis, in der Sumpf und Everglades sich ergänzen, liegt im südlichsten Teil Floridas. Ihr größter Teil ist heute noch so unberührt wie im Jahr 1000 vor Christi Geburt: eine Landschaft des Friedens, der Einsamkeit, des Schweigens. Sumpf und Sumpfwald gehören zusammen, als Teile einer ausgeglichenen ökologischen Ge meinschaft, ebenso die Pflanzen- und Tierwelt.

Wasser ist unabdingbar, wenn die Everglades mit ihrem viel fältigen Leben im National Park erhalten bleiben sollen. Menge, Tiefe und Qualität des Wassers kennzeichnen die botanische Eigenart dieses wässerigen Wunderlands. Zahl und Typ der Pflanzen, die hier wachsen, bestimmen wieder, wie viele Fische, Vögel und andere Tiere dort leben können. Der Wassernachschub für den Großen Zypressen-Sumpf und die Everglades kommt seit über 500 Jahren aus Lake Okeechobee, einem See, der an seinem Südufer gelegentlich über tritt. Dann sickert sein Wasser in die Everglades ein und  durchquert in unzähligen Rinnsalen, die täglich nicht mehr als einen Kilometer zurücklegen, das völlig flache Land, in dem sich eine weit ausgedehnte, dünne Wasserschicht bildet.

Aufzeichnungen verraten, daß schon in der frühen Kolonialgeschichte Amerikas die Spanier daran dachten, die Everglades durch einen Kanal zu drainieren; der Gedanke hat seither viele Menschen beschäftigt. Der Mensch erkannte, daß er einen Riesennutzen haben würde, wenn es ihm gelänge, die Region urbar zu machen. Alte Karten zeigen sogar Kanäle an, doch niemand hat diese vom Menschen gezogenen Gräben wiederfinden können.

Im Jahr 1881 wurde der erste komplette Plan zur Entwässerung der Everglades vorgelegt. Er sah vor, Lake Okeechobee und andere Seen im Einzugsgebiet des Kissimmee Flusses tiefer zu legen; das würde, sagte man, den Zufluß zu den Everglades südlich des Sees verringern. Das Projekt

Entwässerungspläne für die Everglades 175

wurde in Angriff genommen. Kanäle entstanden, 15 Meter breit, 3 Meter tief, die vom Caloosahatchee-Fluß zum Flirt Fluß führten, von dort nach Lake Hicpochee und schließlich zum Okeechobee. Diese Drainage zum Caloosahatchee ver ursachte die erste Senkung des Wasserspiegels in den Ever glades.

Glücklicherweise wurde der Anschlag, die Everglades zu ent wässern und dadurch trockenes Land zu gewinnen, zu einem kompletten Reinfall. Doch mit ungeminderter Begeisterung und der gleichen Stupidität dekretierte die Volksvertretung von Florida im Jahr 1905 einen »Everglades-Drainage Distrikt« und begann sofort mit einem Zwanzigjahresplan, in dem wiederum Gräben gezogen und Dämme gebaut wur den. Diesmal gelang es dem Menschen, das lebenspendende Wasser von den Everglades etwas erfolgreicher fernzuhalten.

Zwei Kanäle entstanden, die historische Wasserwege kreuz ten und große Mengen von Süßwasser direkt in den Ozean leiteten. Noch mehr Schaden wurde angerichtet, als Dämme am Südufer des Okeechobee entstanden, die sich ebenfalls als notwendig für die Trockenlegung der Everglades erwiesen.

Sie hatten zur Folge, daß die Torfschichten in dem Sumpf land jetzt einige Fuß aus dem Wasser herausragten. Doch die Dämme am See waren schlecht gebaut worden, und als im Sommer 1926 ein tropischer Sturm durch die Land schaft raste, brachen sie zusammen. Schwere Überschwem mungen folgten, verbunden mit Verlusten an Menschenleben und Eigentum. Kaum waren die Fluten vorüber, wurde ein »Bundes-Was ser-Kontroll-Programm« ins Leben gerufen, und die Inge nieure rekonstruierten die alten Dämme. Diesmal hielten sie, und der uralte Pfad des Wassers, das die Everglades am Leben hält, war jetzt blockiert – mit weitreichenden Konse quenzen.
Da die große Wasserfläche, die vom Südufer des Okeechobee in die Marsch der Everglades hineinwandert, sehr seicht ist – nur einige Zoll tief an den meisten Stellen –, mußte jedes

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weitere Senken des Pegels kritisch wenden und Tausende von  Hektar Boden betreffen. Nun, der Pegel ging nach unten, und weite Gebiete, deren Wassernachschub man jetzt direkt in den Atlantik und den Golf von Mexiko leitete, begannen auszutrocknen – mit weitreichenden Konsequenzen.

Große Teile des Big Cypress Swamp und der Everglades sind mit meterhohen Torfschichten bedeckt. Diese Schichten brauchten Jahrtausende, um sich aus zerfallender Vegetation im stehenden Wasser zu bilden; der Torf schützte die Ever glades und erhielt zugleich ihre Feuchtigkeit, indem er Was ser aufsog und nur langsam wieder abgab. Was Torf ist, und welche Bedeutung ihm ökologisch zukommt, wurde von den besessenen Kanal- und Dammbauern offensichtlich nicht be achtet. Hatten sie damals nur einen Blick in eines der üb lichen Konversationslexika geworfen, würden sie den Satz gefunden halben: »Um aus Torf einen geeigneten Brennstoff zu machen, muß man ihm durch einen Trockenprozeß das Wasser entziehen, das bis zu neun Zehntel seines Gewichts ausmacht.«

In den vierziger Jahren rasten schwere Wildfeuer durch die Everglades. Der Torf war jetzt seines Wassers ledig und bil dete »einen geeigneten Brennstoff«. Natürliche Feuersbrünste haben im ökologischen System der Everglades zwar immer eine Rolle gespielt, weil sie dafür sorgten, daß es dort genug baumlose »nasse Prärie« gab. Doch mit der Hilfe des Men schen und seiner Drainagesysteme nahmen die Wildfeuer jetzt bedrohliche Züge an. Früher brannten diese Feuer, die meist vom Blitz entzündet worden waren, nur über der Erde. Torf dagegen brennt, wenn er einmal richtig trocken ist, tief in den Grund hinein, wenn man ihn nicht löscht.

Früher gab es Grundwasser, das aufgesaugt wurde, oder steigende Wasserflächen, die den Brand wieder löschten. Doch da die Kanäle des amerikanischen Ingenieurkorps ihren Zweck erfüllten, gab es jetzt nichts mehr, was die Tie fenbrände löschte. Und was nicht verbrannte, wurde vom Wind verweht.