Giorgio Agamben"Biopolitik" Wenn das Haus brennt : Vom Dialekt des Denkens / 120 Seiten Homo sacer (1995) Die souveräne Macht und das nackte Leben.
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Stasis,
der Bürgerkrieg |
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wikipe Autor
*1942 dnb Name (300) dnb Nummer (150) detopia |
detopia-2024:
Ich denke mal: Dieser Meister ist für detopia+Detopia im Moment nicht wichtig.
Das liegt auch daran, wenn uns ein Meister keine Kurzfassung seines Gesamtdenkens
auf 100 Seiten mitteilen kann.
Und es es liegt auch daran, wenn wir ähnliche-gleiche Denker haben, die nur die
Hälfte unserer Zeit versenken.
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2023 Dauerkrise-als-Mittel-der-Transformation-Agambens-gefaehrliche-Gedanken tp
aus wikipedia 2021 Werke auf deutsch -
Bartleby oder die Kontingenz gefolgt von: Die absolute Immanenz. Merve, Berlin 1998 Mittel ohne Zweck. Noten zur Politik. Diaphanes, Zürich 2001 Homo Sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben. Suhrkamp 2002 Was von Auschwitz bleibt. Das Archiv und der Zeuge. Suhrkamp 2003 Das Offene. Der Mensch und das Tier. Suhrkamp 2003 Die Idee der Prosa. Carl Hanser 1987 und Suhrkamp 2003. Die kommende Gemeinschaft. Merve, Berlin 2003 Ausnahmezustand. Suhrkamp. Frankfurt am Main 2004 Kindheit und Geschichte. Zerstörung der Erfahrung und Ursprung der Geschichte. Suhrkamp 2004. Profanierungen. Suhrkamp 2005 Nymphae. Merve, Berlin 2005. Die Zeit, die bleibt. Ein Kommentar zum Römerbrief. Suhrkamp 2006. Stanzen. Das Wort und das Phantasma in der abendländischen Kultur. Aus dem Italienischen übersetzt von Eva Zwischenbrugger. Diaphanes, Zürich, Berlin 2005 (3. Auflage 2010), Die Sprache und der Tod. Ein Seminar über den Ort der Negativität. Suhrkamp 2007. Die Beamten des Himmels. Über Engel. Verlag der Weltreligionen, Frankfurt am Main 2007, Was ist ein Dispositiv? Diaphanes, Zürich-Berlin 2008, Signatura rerum. Zur Methode. Suhrkamp 2009. Einleitende Bemerkung zum Begriff der Demokratie. Aus dem Französischen übersetzt von Tilman Vogt. In: Giorgio Agamben, Alain Badiou, Daniel Bensaïd u. a. (Hrsg.): Demokratie? Eine Debatte. Suhrkamp, Berlin 2012, Das Sakrament der Sprache. Eine Archäologie des Eides. Aus dem Italienischen von Stefanie Günthner. Suhrkamp, Berlin 2010, Herrschaft und Herrlichkeit. Zur theologischen Genealogie von Ökonomie und Regierung (= Homo sacer. Bd. 2.2). Aus dem Italienischen übersetzt von Andreas Hiepko. Suhrkamp, Berlin 2010,
Opus Dei. Archäologie des Amts. Übersetzt von Michael Hack. S. Fischer, Frankfurt am Main 2013. 215 S. Die Macht des Denkens. Gesammelte Essays. Übersetzt von Francesca Raimondi. S. Fischer, Frankfurt am Main 2013, Leviathans Rätsel. Lucas-Preis 2013. Herausgegeben von Friedrich Hermanni. Mohr Siebeck, Tübingen 2014. Pilatus und Jesus. Matthes & Seitz, Berlin 2014 Das Geheimnis des Bösen. Benedikt XVI. und das Ende der Zeiten. Aus dem Italienischen übersetzt von Andreas Hiepko. Matthes & Seitz, Berlin 2015 Stasis. Der Bürgerkrieg als politisches Paradigma. S. Fischer 2016. Wenn die grausame Religion des Geldes die Zukunft verschlingt. In: Profanierungen, hg. v. Toni Hildebrandt, kunst und kirche 1, 2017, S. 6 (Original in: la Repubblica am 16. Februar 2012) Die Erzählung und das Feuer. S. Fischer 2017. Pulcinella oder Belustigung für Kinder. Schirmer/Mosel, München 2018. Das Abenteuer. Der Freund. Matthes & Seitz 2018. Geschmack. Merve, Leipzig. 2020. Der Gebrauch der Körper. S. Fischer 2020. Was ist Wirklichkeit? Das Verschwinden des Ettore Majorana. Matthes & Seitz 2020. An welchem Punkt stehen wir? Die Epidemie als Politik. Turia + Kant, Wien 2021 |
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Homo sacer (lat. heiliger Mensch) ist ein Rechtsbegriff im römischen Strafrecht. wikipedia Homo_sacer (Begriff)
Das Geheimnis des Bösen Der italienische Philosoph Agamben diagnostiziert einen todbringenden Leerlauf der Kirche, aber seine Kritik reicht weiter "Wer sich von der heutigen Kirche einen Begriff machen will, muss erkennen, dass sie in allen Bereichen den entfesselten Tendenzen [der] profanen Welt folgt …" (Giorgio Agamben) 28. März 2016 – Arno Kleinebeckel heise.de/tp/artikel/47/47804/1.html 2016
Agamben ist inzwischen einer der meistdiskutierten Philosophen der Gegenwart. Dabei hat er erst seit Mitte der 1990er Jahre internationale Aufmerksamkeit erzielt. Kennzeichnend für sein Selbstverständnis scheint zu sein, dass er sich nicht auf die Rolle als akademischer Philosoph oder Literaturwissenschaftler festlegen lässt. Vielmehr nimmt er – ähnlich wie seinerzeit Adorno – ebenso kritisch wie engagiert zu Themen der Zeit Stellung. Immer wieder provozierend ist dabei vor allem sein direkter Zugriff auf aktuelle rechtlich-politische Fragen, besonders im Zusammenhang mit bioethischen und biotechnologischen Aspekten ("Biopolitik"). (Aus Wikipedia 2011) homo sacer Ein Mensch mit dem Rechtsstatus des Homo sacer galt einerseits als vogelfrei und durfte straffrei getötet werden. Andererseits galt er auch als heilig. Aufgrund seiner Heiligkeit durfte er nicht geopfert werden, da er einer bestimmten Gottheit gehörte. Diese Rechtsfigur kam nach einem Eidesbruch zum Zuge. Der Eidesbrecher gehörte dadurch der Gottheit, in deren Namen der Eid abgelegt wurde. Wenn er dann getötet wurde, wurde dies als Rache der Gottheit - die ja offensichtlich getäuscht wurde - gesehen. Nach dem Zwölftafelgesetz (8,21) wird ein Patron, der seine Klienten täuscht, als sacer und damit als vogelfrei und friedlos gebannt. Die damit verbundene Form der willkürlichen Arretierung existierte in ganz Europa bis 1679, als in England die Habeas Corpus Akte eingesetzt wurde, nach der jeder Gefangene innerhalb einer Frist von drei Tagen in personam vor Gericht gestellt werden muss. Rezeption In dem Versuch des italienischen Philosophen Giorgio Agamben, das Phänomen totalitärer Ideologien in der Moderne zu entschlüsseln und die Theorie der Biopolitik Michel Foucaults unter dem Aspekt des Ausnahmezustandes weiterzuentwickeln, verwendet er die Figur des Homo sacer als Grundlage für die Betrachtungen seiner rechtsphilosophischen Genealogie. Agamben bezieht sich hier auf das Lexikon von Sextus Pompeius Festus. Enzo Traverso sieht im Anschluss an Hannah Arendt und mit Bezug auf Agamben in der Gestalt des Recht- und Staatenlosen als eines wiedererstandenen Homo sacer eine emblematische Figur der europäischen Krise, die 1914 ausgebrochen sei und sich zu einem Zweiten dreißigjährigen Krieg ausgeweitet habe.
Ausnahmezustand: Homo sacer II.1
Taschenbuch: 128 Seiten Verlag: Suhrkamp Verlag; Auflage: 5 (29. März 2004) Sprache: Deutsch ISBN-10: 3518123661 ISBN-13: 978-3518123669 Perlentaucher.de Buchnotiz zu : Die Zeit, 01.07.2004 Eine "äußerst dichte" Theorie hat der Italiener Girogio Agamben, gelernter Jurist, Philosoph und mit der Debatte um sein Werk "Homo sacer" endlich in deutsches Blickfeld gerückt. Die amerikakritische Studie, die sich mit den Dunkelzonen des Rechts innerhalb von Demokratien beschäftigt, hat Rezensent Thomas Assheuer dennoch nicht überzeugt. Zwar findet er es völlig legitim, dass sich Agamben weigert, "in den Chor derer einzustimmen", die in Terror- und Kriegszeiten die eigene Gesellschaft nicht mehr zu kritisieren wagen. Doch in der Art, wie der Autor kritisiere, werde er "Opfer seiner Vorentscheidungen", da er in Folterskandalen und Rechtsbrüchen das "innerste Un-Wesen" des Rechts sieht. Dabei, so findet der Rezensent, sind Skandale wie die von Abu Ghraib und Guantanamo "Amerikas Schande, nicht seine Norm." Die übermächtigen Zweifel Agambens, der "virtuos" die Begrifflichkeiten Carl Schmitts verwendet - allerdings mit einer völlig anderen Intention - und sich von "Heideggers Schicksalstremolo durchzucken" lässt, ließen keinen Platz für die grandiose Leistung, die Realisierung individueller Freiheit, die das Recht erbringt. Agambens Sinn für die Dialektik von Recht und Leben sei "bewundernswert" - die analytische Leistung dieses Buchs dagegen fragwürdig. Kurzbeschreibung Nach Homo sacer und Was von Auschwitz bleibt - Teil 1 und Teil 3 von Giorgio Agambens vieldiskutiertem Homo-sacer-Projekt - folgt nun mit Ausnahmezustand der in sich geschlossene erste Band des zweiten Teiles. Der Ausnahmezustand, d. h. jene Suspendierung des Rechtssystems, die wir als Provisorium zur Aufrechterhaltung der Ordnung in Krisensituationen zu betrachten gewohnt sind, wird vor unseren Augen zu einem gängigen Muster staatlicher Praxis, das in steigendem Maße die Politik bestimmt. Agambens neuestes Buch ist der erste Versuch einer bündigen Geschichte und zugleich Fundamentalanalyse des Ausnahmezustandes: Wo liegen seine historischen Wurzeln, und welche Rolle spielt er - in seiner Entwicklung von Hitler bis Guantanamo - in der Gegenwart? Wo der Ausnahmezustand zur Regel zu werden droht, sind die Institutionen des demokratischen Rechtsstaats und das verfassungsgemäße Gleichgewicht der Gewalten gefährdet, und die Grenze zwischen Demokratie und Diktatur verschwimmt. In Auseinandersetzung mit verschiedenen theoretischen Annäherungen an das Phänomen des Ausnahmezustands - zu nennen sind in erster Linie Walter Benjamin, Carl Schmitt und Jacques Derrida - vermißt Agamben das von den meisten Theoretikern gemiedene Niemandsland zwischen Politik und Recht, zwischen der Rechtsordnung und dem Leben und wirft ein neues Licht auf jene verborgene Beziehung, die das Recht an die Gewalt bindet. Insofern der Ausnahmezustand zur Regel zu werden droht, sind die Institutionen des demokratischen Rechtsstaats und das verfassungsgemäße Gleichgewicht der Gewalten gefährdet, und die Grenze zwischen Demokratie und Diktatur verschwimmt. In Auseinandersetzung mit verschiedenen theoretischen Annäherungen an das Phänomen des Ausnahmezustands - zu nennen sind in erster Linie Walter Benjamin und Carl Schmitt, aber auch Autoren wie Theodor Mommsen, Adolphe Nissen und Jacques Derrida - vermißt Agamben das von den meisten Theoretikern gemiedene Niemandsland zwischen Politik und Recht, zwischen der Rechtsordnung und dem Leben und wirft ein neues Licht auf jene verborgene Beziehung, die das Recht an die Gewalt bindet.
Ein Weg zur Gerechtigkeit durch Deaktivierung des Rechts? Agambens provokante Thesen zum Ausnahmezustand 2006 Von H. Gebauer (Berlin) Vorausgesetzt, es existierte im Denken eine Schwierigskeitsskala, die von der 1 hoch bis zur 10 reichen würde, dann hätte sich dieser Band eine glatte 11 verdient. Agamben musste sich dann auch von einem französischen Kritiker anhören, dass der Band permanent auf der Stelle trete, ohne je zu einem greifbaren Ergebnis zu kommen. So als wäre dies nicht das größte Kompliment für einen philosophischen Text. In diesem Sinne sollte man sich nicht von der Schwierigkeit dieses Buches erschrecken lassen. Manche Lektüre dauern eben länger als andere. Und einfache Antworten haben in der Philosophie sowieso noch nie zu etwas geführt. In dem für Agamben so typischen Stils des subtilsten Auf-der-Stelle-Tretens wird hier in 6 Abschnitten, die Problematik der traditionellen Definition des Ausnahmezustands ausgeschritten. Der Ausnahmezustand steht für Agamben für ein Spannungsfeld unserer Kultur, in der zwei entgegengesetzte Kräfte wirken: eine, die einrichtet und setzt, und eine, die deaktiviert und ent-setzt. Der Ausnahmezustand ist der Punkt ihrer höchsten Spannung und zugleich das, was sie, indem sie mit der Regel zusammenfallen, ununterscheidbar zu werden droht. Leben im Ausnahmezustand, heißt deshalb für Agamben, die Erfahrung beider Möglichkeiten zu machen (p. 103) und dennoch im Versuch nie abzulassen, das Funktionieren der Maschine zu unterbrechen, die den Okzident derzeit in den weltweiten Bürgerkrieg führt (ebd.) Eingestiegen wird in die Problematik des Ausnahmezustands - wie es sich gehört - mit Carl Schmitts klassischer Definition aus der Politische Theologie von 1922: Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet. Agamben beschließt diesen Abschnitt mit den Worten: Es sieht ganz danach aus, als enthielte das Recht einen wesensmäßigen Bruch, der zwischen Norm und Anwendung verläuft und der im Extremfall nur per Ausnahmezustand gekittet werden kann, also durch Schaffung einer Zone, in der die Anwendung des Rechts suspendiert wird, aber das Gesetz als solches in Kraft bleibt (p. 40). In den weiteren Abschnitten geht es nun darum, diese Zone hier genauer zu erfassen, ohne die onto-theologische Strategie (p 72) zu verfolgen, die darauf aus ist, das reine Sein im Logos einzufrieden, um die Beziehung zwischen anomischer Gewalt und Recht im Ausnahmezustand zu gewährleisten (p. 72). Agamben diskutiert in den folgenden Abschnitten viele klassische Texte angefangen etwa von Walter Benjamins Text Zur Kritik der Gewalt, den Derrida schon in seinem Text Force de loi, auf so unnachahmliche Weise traktiert hatte, über Überlegungen zum Zusammenhang von Fest, Trauer und Anomie ausgehend von einem wichtigen Text von H.S. Versnel, über Franz Kafka, dessen Figuren für Agamben soviel mit der gespenstischen Form des Ausnahmezustands zu tun haben (p.77). Er wirft in dem Abschnitt Gigantomachie rund um eine Leere die folgende (und für das Buch entscheidende) hochbrisante Frage auf: Was passiert mit dem Gesetz nach seiner messianischen Erfüllung? Und antwortet. Es handelt sich natürlich nicht um einer Übergangsphase, die nie zu ihrem Ende gelangt, und ebensowenig um den Prozess einer unendlichen Dekonstruktion, der das Recht in einer gespenstischen Welt aufrechterhält und zugleich nicht mehr mit ihm zu Rande zu kommen vermag. Entscheidend ist hier, dass das nicht mehr praktizierte, sondern studierte Recht nicht Gerechtigkeit ist, sondern nur die Pforte, die zu ihr hinführt. Einen Weg zu Gerechtigkeit zu bahnen heißt nicht Auslöschung, sondern Deaktivierung und Untätigkeit des Rechts also einen anderen Gebrauch vom Recht zu machen. (...) Eines Tages wird die Menschheit mit dem Recht speln wie Kinder mit ausgedienten Gegenständen, nicht um sie wieder ihrem angestammten Gebrauch zuzuführen, sondern um sie endgültig von ihm zu befreien. Die Befreiung ist die Aufgabe des Studium oder des Spiels. (p. 76-77). Abschließend kann man sagen, dass das Buch vor allem für souveräne Leser geeignet ist, die sich nicht durch provokante Thesen - wie die über die Deaktivierung des Rechts - schockieren lassen. Und Leser, die die Geduld aufbringen, sich lange mit einem kleinen aber mächtigen Buch zu beschäftigen.
homo sacer II.2 »Seine Ausführungen konzentieren sich dabei von Anfang an auf den Begriff der Ökonomie im aristotelischen Sinne, also der Entgegensetzung von Staatsmann und König. In aller Ausführlichkeit ergründet Agamben Wesen und Vorstellung dieses göttlichen Konzepts. ... Diese Auseinandersetzung ist hoch spannend...« (Thoman Hummitzsch Zeitschrift für Kultur und Weltanschauung ) »Kühn gesehene Parallelen zwischen theologischer Tradition und politischer Macht. Anspruchsvolle, geniales, ungemein gelehrtes Buch« (Ulrich Greiner Die Zeit ) »Es ist gut möglich, dass Agamben mit seinem langen und verschlungenen Anlauf hier etwas gefunden hat, von dem aus eine Kritik der Moderne radikaler und grundsätzlicher zu leisten ist, als wir das bisher gewohnt sind. « (Christoph Fleischmann Kommune ) Kurzbeschreibung Die genealogische Erforschung der Macht, die Giorgio Agamben 1995 mit Homo sacer begonnen hat, nimmt mit diesem Buch eine entscheidende Wendung: Warum hat in der westlichen Welt die Macht die Form der Ökonomie angenommen? Und: Weshalb bedarf sie der Herrlichkeit, also jenes liturgisch-zeremoniellen Aufwands, der seit jeher um sie betrieben wird? Um den Monotheismus mit den »drei Personen« zu vereinbaren, entwarfen die Kirchenväter die Trinitätslehre als »Ökonomie« des göttlichen Lebens: als eine Frage der Führung und Verwaltung sowohl des himmlischen als auch des irdischen »Hauses« (griech.: oikía). Agamben zeigt, daß grundlegende Kategorien der modernen Politik – von der Gewaltenteilung bis zur militärischen Doktrin des Kollateralschadens, vom Liberalismus der »unsichtbaren Hand« bis zum Ordnungs- und Sicherheitsdenken – auf dieses theologisch-ökonomische Paradigma zurückgeführt werden können. Die zeremoniellen Aspekte der Macht sind nicht bloß Überreste vergangener Zeiten, sondern bilden – noch immer – ihr Fundament: eine bislang übersehene Genealogie, die die Funktion des Konsenses und der Medien in den modernen Demokratien in einem neuen Licht erscheinen läßt.
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DNB.Buch 1998d 192s Nacktheiten Das neue Buch von Giorgio Agamben umkreist in kurzen, literarisch-philosophischen Denkbildern den Körper in seiner Entblößung, in seiner Nacktheit: von der Bulimie zu den glorreichen Körpern der Heiligen, die weder essen noch lieben, von den verborgenen theologischen Implikationen der Nacktheit zu den neuen Formen unpersönlicher Identität, welche die biometrischen Dispositive der Menschheit auferlegen. Zielpunkt aller Überlegungen ist die Untätigkeit, nicht als Muße oder Trägheit, sondern als Paradigma menschlicher Handlung und einer neuen Politik. "Die Mode ist der profane Erbe der Theologie des Kleides, die marktgängige Sekularisierung des paradiesischen Zustandes vor dem Fall." (Agamben) Von Helga König www.rezensionen.co (TOP 10 REZENSENT) 2010 Dies ist das erste Buch des Denkers Giorgio Agamben, das ich bisher gelesen habe. Es enthält neun Essays, die Anleihen in der Bibel nehmen, um Gedankenbilder, die bis in die heutige Zeit hineinreichen, sehr wortreich aufzudröseln. Zunächst hatte ich einige Schwierigkeiten, mich in die barocken Satzgebilde einzufinden, die mich an Satzgebilde von Sloterdijk erinnern und meiner Neigung für Schlichtheit im sprachlichen Ausdruck, wie der Philosoph André Comte-Sponville sie beherrscht, leider zuwider laufen. Agamben reflektiert zunächst den Begriff Prophet im Sinne von Vermittler, der bis zum heutigen Tage aus der abendländischen Kultur nicht verschwunden ist, wobei heute allerdings niemand mehr die Position des Propheten vorbehaltlos für sich reklamieren kann (vgl. S.8 ff). Höchst interessant finde ich seine Überlegungen zur Zeitgenossenschaft. Agamben hat mir mit seinem Essay "Zeitgenossenschaft" klar gemacht, dass ich den Begriff bislang nicht richtig angewandt habe. Er definiert: "Der Gegenwart zeitgenössisch, ihr wahrhaft zugehörig ist derjenige, der weder vollkommen in ihr aufgeht noch sich ihren Erfordernissen anzupassen sucht." Das bedeutet, dass der Zeitgenosse stets unzeitgemäß ist, gleichwohl diese Abweichung es ihm erlaubt, seine Zeit wahrzunehmen und zu erfassen. Zeitgenossenschaft sei, so der Philosoph, ein spezielles Verhältnis zur Gegenwart. Dieses Verhältnis macht es erforderlich, dass man seinen Blick auf seine Zeit richtet, um nicht deren Glanz, sondern vielmehr deren Finsternis wahrzunehmen (vgl. S. 26). Zeitgenosse ist demnach derjenige, der die Zeit, in der er lebt, kritisch betrachtet. Agamben erläutert, dass unsere Zeit, die Gegenwart, die fernste Zeit sei und für uns letztlich absolut unerreichbar ist. Wir vermögen uns ihr gedanklich nur bedingt zu nähern und nur dann zeitgenössisch zu sein, wenn wir die Dunkelheit der Gegenwart erkennen und ihr unerreichbares Licht als Tatsache begreifen. Soweit ich Agambern verstanden habe, ist ein Zeitgenosse letztlich derjenige der mit dem Zeitbegriff spielt, ihn zerlegt und transformiert und indem er ihn überwindet, es schließlich schafft, Zeitgenosse des Jetzt, das Vergangenheit und Zukunft impliziert, zu sein. Es ist unmöglich im Rahmen der Rezension alle Essays zu beleuchten. Der Essay "Nackheit" allerdings ist wohl der wichtigste im Buch und entstand aufgrund einer Performance von Vanessa Beecroft am 8.4.2005. Die Künstlerin hatte Hunderte nackte, hauptsächlich strumpfhosentragende Frauen in militärischer Geschlossenheit bekleideten Betrachtern gegenübergestellt. Agamben nimmt das Event zum Anlass, den Begriff Nacktheit zu überdenken und hält fest, dass in unserer Kultur besagte Nacktheit eine unauslöschlich theologische Signatur trägt (vgl. S. 97). Der Autor konstatiert, dass es vor dem Sündenfall wohl eine Unbekleidetheit gab, jedoch das Unbekleidetsein noch keine Nackheit war. Obschon Nacktheit Unbekleidetheit vorraussetzt, ist sie mit dieser keineswegs identisch. Adam und Eva konnten vor dem Sündenfall ihre Nacktheit nicht sehen, so Agamben. Der Grund hierfür scheint die Gegebenheit gewesen zu sein, dass sie in eine Art Gnadenkleid der Anmut gehüllt waren. Bei nicht obszönem Unbekleidetsein, wie Beecrofts Modellen, sind die Frauen im Grunde nicht nackt, sondern tragen wie Adam und Eva das Gnadenkleid der Anmut. Agambens Reflektionen im Hinblick auf Nacktheit münden in Überlegungen, wie der Mensch fernab von Sündenfall und Gnadenkleid und damit verbundener Scham, mit seinem nackten Körper umgeht. Vielleicht wird er durch die Befreiung von der theologischen Signatur tatsächlich erst wirklich frei. Sehr bemerkenswerter Lesestoff, der zum Nachdenken anregt.
Lesebericht 2010 Nackheiten dlf der-mensch-wird-auf-biometrische-daten-reduziert
Der Mensch wird auf biometrische Daten reduziert - Giorgio Agamben: „Nacktheiten“, S. Fischer Verlag
Ein düsteres Bild zeichnet der italienische Philosoph Giorgio Agamben in seinem neuen Werk „Nacktheiten“. Die Menschen verlieren sich mehr und mehr in einer anonymen Masse und werden von nichts anderem bestimmt von seinen biometrischen Daten. Von Werner Köhne
Giorgio Agamben findet die moderne Gesellschaft auf einem verhängnisvollen Weg: In einer unheilvollen Allianz zielen die Wirkkräfte Politik, Recht, Medien und angewandte Wissenschaft auf die Zersetzung unserer personalen Identität. Wir werden vor allem auf biometrisch erfasste Wesen reduziert, auf eine jederzeit gerichtlich verwertbare nackte Tatsache, objektiviert an Hand von Fingerabdrücken, medizinischen Daten und der DNS. Es mutet beklemmend an, wenn eine Untersuchung über Nacktheit so beginnt, denken wir dabei doch erst ein Mal an den nackten Körper, der in uns Gedanken an Schönheit, Schutzbedürftigkeit und Begehren weckt. Agamben findet diese menschlichen Regungen indes überwuchert von einer Bio-Politik, die uns bis ins Mark trifft. „Die Reduktion des Menschen auf nacktes Leben ist mittlerweile so weit fortgeschritten, dass auch die Identität, die der Staat seinen Bürgern zuerkennt, auf ihm beruht. Wie der nach Auschwitz Deportierte keinen Namen und keine Nationalität mehr hatte und nur noch Nummer war, die ihm auf den Arm tätowiert wurde, so wird der sich in der anonymen Masse verlierende, als potentieller Verbrecher behandelte Bürger unserer Tage von nichts anderem bestimmt als seinen biometrischen Daten und letzten Endes von etwas, das noch undurchschaubarer und unverständlicher ist, als das antike Fatum war, seiner DNA.“ Für Agamben tragen diese Fehlentwicklungen eindeutig eine theologische Signatur, die auf die biblische Genesis zurückgeht: Adam und Eva schämen sich nach dem Sündenfall ihrer Nacktheit. Für den Kirchenlehrer Augustinus bot dieses Ereignis Anlass für eine folgenschwere Interpretation: Das nackte Paar habe vor dem Sündenfall ein Gnadenkleid Gottes getragen. Nach dem Sündenfall sei ihnen dieses Gnadenkleid entzogen worden. So blieben sie nackt zurück, gezwungen in eine Natur, die das Böse in sich trägt, weil sie sich mit der Libido verbündet und dem Willen nicht fügt. Agamben zeigt allerdings noch eine andere theologische Interpretation des Geschehens auf. „Der Sündenfall ist kein Sündenfall des Fleisches, sondern einer des Geistes; die verlorene Unschuld und die Nacktheit betreffen keine Form der Sexualität, sondern Hierarchie und Modalitäten der Erkenntnis.“ Der Mensch – so hat man das zu verstehen – erkennt sich im Paradies plötzlich als ein Mängelwesen. Er tauscht die behäbige Kontemplation im Garten Eden mit der neuen Fähigkeit des Erkennens ein. Eine ebenso folgenreiche Entscheidung, denn nun wird Nacktheit in mehrfacher Weise Thema der menschlichen Geschichte: sie bezeichnet den dümmlichen Zustand vor aller Erkenntnis, setzt selbst als nackte Erkenntnis Impulse für die Zukunft. Vor allem aber wird der nackte Mensch fortan Objekt der Erkenntnis und später der Wissenschaften. Leider entwickelt Agamben diese Überlegungen nicht zwingend weiter an dieser Stelle. Stattdessen springt er unvermittelt in eine Beschreibung der Gegenwart. Da dominiert plane Verfügung, was die Politik des nackten Körpers betrifft : der Kampf um den richtigen Körper führt zu stählernen Konstruktionen oder körperfeindlicher Bulimie: der entblößte Mensch gerät ins Blickfeld der Gerichtsbarkeit , der Medizin, und der Mode: Mannequins verweigern jede Anmutung von Individualität und Verletzbarkeit, sie sehen nackt genau so angezogen aus wie bekleidet. Es ist, als ob das coole Zur-Schau-tragen des Körpers dem alten Gnadenkleid Gottes entspräche. Der entblößte Mensch wird aber auch ein entrechteter Mensch kraft einer Doktrin, die das nackte Leben vom bedeutsamen Leben absondert. Zur Einstimmung in diese Analyse liefert Agamben die Exegese eines Kafka-Textes. In der Erzählung „Der Prozess“ ist K in eine juristisch verwaltete Welt geworfen, die ihm keinen anderen Ausweg gestattet als sich selbst zu verleumden und anzuklagen. Damit will K nach Meinung Agambens indes vermeiden, ein Schuldbekenntnis abzulegen und so in den Wahrheitsanspruch der juristischen Welt einzuwilligen. Der verzweifelte Versuch, ein Stückchen Autonomie zu bewahren. Dies ist eine recht eigenwillige Interpretation, die den radikalen Ansatz verdeutlicht, mit dem Agamben der Geschichte begegnet. Eine Radikalität, die er auch für seine Position als kritischer Autor beansprucht. Hier sieht er sich in der Tradition der unzeitgemäßen Denker, die ihre Zeit in Gedanken erfassen konnten. Bei all diesen methodischen und metaphorischen Ausuferungen des Themas bleibt eine Frage offen: Lässt sich überhaupt eine Nacktheit denken jenseits der zivilisatorischen Verzerrungen?
Die Forderungen führen Agamben auf das schwierige Feld der engeren philosophischen Diskussion um Schönheit und Erhabenheit , die besonders in Deutschland geführt wurde. Am stärksten fühlt er sich hier Walther Benjamin verwandt. Jenem Benjamin, der in seinen späteren Jahren darum bemüht war, einen marxistischen Blick auf die Phänomene mit einem Messianismus der Erlösung zu vereinen. Auf die Nacktheit bezogen besagt dies: Wie Benjamin möchte Agamben die schöne Nacktheit als Vorschein der Erlösung deuten – fern aller Ideologie von Theologie und gesellschaftlicher Zurichtungen.
Agamben will so die Nacktheit humanisieren. Höchst fragwürdig erscheint indes der männliche Blick, den er gelegentlich dabei einnimmt. Da tritt ihm etwa die Frau vor Augen, die ihre Schönheit selbst kalt abtut und so den intellektuellen Mann erst verrückt macht; und da ist der Knabe, der in seinem absichtslos schönen Gesang im Manne die Anmutung von nackter Reinheit hervorruft. Warum ist es nicht ein Mädchen? Sollte hier ein Subtext angelegt sein, in dem die Nacktheit mit der Libido kämpft – einer Libido, die Agamben ansonsten ausblendet? An deren Stelle tritt bei ihm eine ganze Philosophie der Nacktheit. Sie reiht sich auf zu einer Kette aus lauter Nichts: Mit Nacktheit gibt der Mensch sich eine positive Blöße, verweigert sich der Macht, gesteht seine Ohnmacht und sein Nichtkönnen ein. All dies erinnert stark an Adornos „Negative Dialektik“ beeinträchtigt aber den konkreten Gewinn, den man durchaus aus diesen Untersuchungen ziehen kann. Giorgio Agamben: „Nacktheiten“, Übersetzung von Andreas Hiepko, S. Fischer Verlag 2010, 192 Seiten, 19,95 Euro
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aus wikipedia-2021
Giorgio Agamben, dessen Nachname aus dem Armenischen stammt,[2] studierte Jura an der Universität La Sapienza in Rom. Sein Studium beendete er mit einer Arbeit über die französische Philosophin Simone Weil. Während seiner Studienzeit pflegte Agamben freundschaftliche Beziehungen zu Elsa Morante, Alberto Moravia, Giorgio Manganelli, Sandro Penna und Ingeborg Bachmann sowie zum Regisseur Pier Paolo Pasolini. In dessen im Jahr 1964 produziertem Film Il vangelo secondo Matteo (Das 1. Evangelium – Matthäus) spielte Agamben die Rolle des Apostels Philippus.[3]
In den Jahren 1966 und 1968 nahm Agamben durch Vermittlung seines Poetenkollegen Dominique Fourcade an den Seminaren teil, die Martin Heidegger aufgrund einer Initiative von René Char in Le Thor veranstaltete.[4] In den beiden Seminaren ging es thematisch um die Philosophen Heraklit und Hegel. Ihren Niederschlag findet die Begegnung mit Heidegger in Agambens 1970 erschienenem ersten Werk L’uomo senza contenuto. Im selben Jahr trat er in Kontakt mit Hannah Arendt, die ihn in Macht und Gewalt zitiert.[5]
Von 1978 bis 1986 war Agamben – im Auftrag des Verlegers Giulio Einaudi (1912–1999) – Herausgeber der italienischen Ausgaben der Schriften von Walter Benjamin, wobei er seinerzeit verloren geglaubte Manuskripte Benjamins wiederentdeckte.
Von 1986 bis 1992 war Agamben der Directeur de Programme am Collège international de philosophie in Paris. 1988 erhielt er eine Professur für Ästhetik an der Universität Macerata. Ab 1993 lehrte er Philosophie an der Universität in Verona. Seit 2003 ist er Professor für Ästhetik an der Facoltà di Design e Arti della IUAV in Venedig.
Ab 1994 übernahm Agamben regelmäßig Gastprofessuren in den USA. Im Wintersemester 2005/2006 hatte er eine Gastprofessur an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf[6] und 2007/08 die Albertus-Magnus-Professur an der Universität zu Köln inne.[7] 2008 war Agamben Fellow des Kollegs Friedrich Nietzsche.[8]
Werk
Agamben, der ab Mitte der 1990er Jahre internationale Aufmerksamkeit erhielt, ist inzwischen einer der meistdiskutierten Philosophen der Gegenwart. Er lässt sich nicht auf die Rolle als akademischer Philosoph oder Literaturwissenschaftler festlegen, sondern nimmt zu Themen der Zeit Stellung. Immer wieder provozierend ist sein direkter Zugriff auf aktuelle rechtlich-politische Fragen, besonders bioethischer und biotechnologischer Aspekte („Biopolitik“).
In der Rezeption von Agambens Texten wird häufig die Materialfülle und vermeintliche Uneinheitlichkeit seiner Bezugspunkte angesprochen. Tatsächlich denkt und schreibt er aus der Auseinandersetzung heraus. Dennoch liegen zentrale Intentionen klar zutage: so etwa die Wiederbelebung ästhetischer Erfahrung, die kulturkritische Gegenüberstellung von „Konsum“ und „Gebrauch“, die zunächst noch vornehmlich sprachphilosophische Analyse der Negativität, die Formulierung eines „Lebensform“-Konzeptes oder die (von Walter Benjamin inspirierte) Neuaufnahme der Kategorie des Messianischen. Bemerkenswert ist auch der geistesgeschichtliche Horizont seiner Argumentation, der von antiken philosophischen und juristischen Begriffsprägungen bis zu einem anspruchsvollen romantischen Neo-Marxismus reicht.
Marx und Heidegger
In seinem ersten Werk L’uomo senza contenuto (1970) geht Agamben von Hegels Ästhetik aus und konstatiert eine Trennung zwischen Kunstwerk und ästhetischer Wahrnehmung: Durch die Reflexion auf Kunst entstehe eine kaum überbrückbare Trennung zwischen dem Künstler einerseits und dem Rezipienten andererseits. Eine Rezeption ist nämlich auch auf die Kriterien der Kunstphilosophie und Kritik angewiesen. Agamben verbindet hier schon die verschiedenen Terminologien des Dialektischen Materialismus und die Heideggers in Sein und Zeit. Den Versuch einer Synthese greift Agamben in seinem Werk Infanzia a storia (1978) wieder auf.
Die Bewegung des Gedankens erinnert an Heideggers Klage über die von ihm konstatierte Entfremdung zwischen Sein und Seiendem. Stil und Methode sind an Heidegger geschult, vor allem das etymologische Zurückwenden von Begriffen der modernen Ästhetik auf die Begriffe der griechischen Philosophie.
Warburgs Bildatlas
In den Jahren 1974 und 1975 arbeitete Agamben am Londoner Warburg Institute. Aus der Zeit datiert sein Buch Stanze. La parola e il fantasma nella cultura occidentale (1977). Agamben versucht in dieser Studie, die Imagination und die Urerfahrungen des Menschen mit Hilfe der Montage von Bildern zu bewahren – analog zu Aby Warburgs Bilder-Atlas Mnemosyne (Bilderreihe zur Untersuchung der Funktion vorgeprägter antiker Ausdruckswerte bei der Darstellung bewegten Lebens in der Kunst der europäischen Renaissance). Bei Agamben wie bei Warburg ist unterstellt, dass der Gebrauch der Sinne zunehmend pragmatisch diszipliniert wird.
In seinem Essay Noten zur Geste aus dem Buch Mezzi senza fine (1996, deutsch: Mittel ohne Zweck. Noten zur Politik), der in der internationalen Filmkritik und im Tanztheater diskutiert wird, greift Agamben auf Warburg zurück. Die Geste gilt seit Warburg zu Recht als verkörpertes Archiv. Ihr Vollzug zeigt die Teilhabe an einem kollektiven Symbolbestand an. So wie Agamben sich mit seinem performativen Stil als Teilhaber der Formgesinnung klassischer Moderne zu erkennen gibt. Allerdings deutet er die Geste als Befreiung des Bildes aus seiner Zuordnung zu einem Sinn, den es sonst zu repräsentieren hat.
In der ästhetischen Differenz, dem durch Konvention noch nicht oder nicht mehr gebundenen Ausdruck, sucht Agamben die Spur der selbst verschiedenen historischen Subjekte. In dieser Erfahrung findet er ein Potential des Möglichen, im wirklichen Leben Verstellten, das die Lektüre und Auslegung befreien und gegen erneutes Vergessen verteidigen kann.
Hauptwerk Homo sacer?[Bearbeiten]
1995 (in deutscher Übersetzung 2002) erschien das Buch Homo sacer. Es bildete den Auftakt eines auf vier Bände angelegten Werkes, welches jedoch insgesamt neun Bände erreichte und nicht in Reihenfolge erschien: I: Homo sacer. Die Souveränität der Macht und das nackte LebenII.1: AusnahmezustandII.2: Stasis. Der Bürgerkrieg als politisches ParadigmaII.3: Das Sakrament der Sprache. Eine Archäologie des EidesII.4: Herrschaft und Herrlichkeit. Zur theologischen Genealogie von Ökonomie und RegierungII.5: Opus Dei. Archäologie des AmtsIII: Was von Auschwitz bleibt. Das Archiv und der ZeugeIV.1: Höchste Armut. Ordensregeln und LebensformIV.2: Der Gebrauch der Körper Agamben geht aus von einer rechtlich verfassten Spaltung der Identität in ein vergesellschaftetes Wesen (b?os politikós) und das bloße Leben (nuda vita). Diese Spaltung führt er auf Aristoteles’ folgenreiche Unterscheidung zwischen bios und zoé in der Nikomachischen Ethik zurück; sie kennzeichne das politische Denken des Westens bis heute (Homo sacer, S. 11f.).
Agamben greift in dem „Homo sacer“-Projekt dezidiert politische und staatsrechtliche Fragen auf. Ständige Bezugspunkte sind dabei die Theorien von Walter Benjamin, Carl Schmitt, Martin Heidegger, Hannah Arendt und Michel Foucault. Agamben zeichnet ein Bild der heutigen Menschen und ihrer Lebensformen in einer globalisierten Welt. Im Zentrum der jüngeren Schriften steht dabei eine Kulturgeschichte der politischen Gefangennahme im Sinne einer Einschließung sowie der Ausschließung als soziale Ausgrenzung. Die Kritik einer Tendenz, die in permanenter Intensitätssteigerung rechtsfreie Räume schafft und den Menschen auf sein „nacktes Leben“ reduziert, ist das zentrale Thema des „Homo sacer“-Projektes.
Als Beleg für die Entwicklung seiner Thesen dienen Agamben vor allem die nationalsozialistischen Konzentrationslager: Demnach streben die Machthaber seit der Antike nicht nur die Kontrolle der Individuen als gesellschaftliche Wesen an, sondern auch die Vereinnahmung ihres biologischen Lebens. Die Folge ist eine latente, für ständig wachsende Teile der Weltbevölkerung auch offene, staatsrechtlich erzwungene Spaltung der Existenz in Mensch und Zugehörigkeit. Wie vor ihm Benjamin, Jacob Taubes und Jacques Derrida erkennt Agamben die konsequente Ausformung im Freund-Feind-Denken Carl Schmitts.
Die Figur des Homo sacer aus dem römischen Recht dient der Unterscheidung zwischen bios und zoé. Agamben geht aus von dem Doppelsinn des Worts sacer: heilig und ausgestoßen („gebannt“), nämlich vogelfrei. So sieht er in diesem Konzept einen Raum jenseits von Recht und Kultus, der nicht erst mit der Ausstoßung bzw. Verbannung des bloßen, des fremden und des anderen Lebens beginnt, sondern in die Geschichte der westlichen Selbsterfahrung eingeschrieben ist.
Diese Entwicklung bezeichnet Agamben in Anlehnung an Foucault als Biopolitik (Homo sacer, S. 127f.): Es entsteht ein totalitärer Zugriff auf jeden Einzelnen, wovor auch Demokratien nicht gefeit sind. Im Gegenteil: Als Antwort auf globale Fluchtbewegungen und Terror werden Grund- und Freiheitsrechte außer Kraft gesetzt. Als Beispiel dafür sieht Agamben die Flüchtlingscamps in der Europäischen Union und das US-Gefangenenlager Guantanamo Bay auf Kuba. Der Ausnahmezustand wird zum neuen Paradigma des Regierens. Er wird in diesem Schreckensszenario neben Staat, Territorium und Nation zum vierten Element der politischen Ordnung.
Als weiterer Band der Homo sacer Folge erscheint 2016 in deutscher Übersetzung Stasis, Der Bürgerkrieg als politisches Paradigma, in dem er den modernen Menschen in einen Weltbürgerkrieg verwickelt sieht. Agamben hat in zwei Seminaren 2001 an der Princeton University sich dem Bürgerkrieg vor dem Hintergrund des Terrorismus zugewandt und begreift ihn als einen weltumspannenden Bürgerkrieg.[9]
Zeugen suchen, Zeuge sein?[Bearbeiten]
Agamben betrachtet das „bloße Leben“ zuallererst von seiner formalen – und damit auch ästhetischen – Seite her: also nicht als zivilisatorisch unterentwickelt, nicht als freigegeben zur Vernichtung, sondern als wesentliche Voraussetzung kultureller Selbstbestimmung. Gegen den Totalitarismus der Bio-Politik sucht Agamben Zeugen, die er in den Künsten, aber auch im Poetischen selbst findet: Sein Anspruch ist es, Zeugen zu finden und als Schriftsteller selbst Zeuge zu sein für das „bloße Leben“.
Mit seiner stark individualisierten Schreibweise klagt Agamben das Recht des „bloßen Lebens“ auf Selbstbehauptung ein. Die Form des Essays erlaubt Agamben im Horizont der Künste eine mutige Verschränkung von historischer Vergegenwärtigung und politischen Schreckens-Bildern, Prognosen und dezidierten Wünschen. Dazu kommt eine Vernetzung der Philosophie mit der Entwicklung der Wissenschaften und der Künste.
Rezeption in Deutschland?[Bearbeiten]
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Die deutsche Rezeption Agambens, der zuvor wenig bekannt war, setzte 2002 mit einer plötzlichen Fülle von Übersetzungen ein.
Agambens Gedankendichtung und sein Verfahren der Genealogie gaben Anlass zu Missverständnissen, die er in Diskussionen und Interviews aber erklären kann: Es gehe ihm nicht etwa darum, Ereignisse mit den Ortsnamen Auschwitz oder Guantánamo gleichzusetzen, sondern Ereignisse und Gegebenheiten der Gegenwart auf ihre historische Genese zurückzuführen. Agamben beabsichtigt mit seiner Kritik des westlichen Rechtsstaats auch nicht, diesen selbst zu destabilisieren. Vielmehr hat seiner Ansicht nach der Westen die Falle, die ihm der Terrorismus gestellt hat, noch gar nicht erkannt, wenn er die gültige Rechtsordnung aufheben will, um ebendiese Ordnung zu sichern.
Im Frühjahr 2013 erregte Agamben mit einem Aufsatz über die Schaffung eines lateinischen Reiches als Bund Frankreichs mit Spanien und Italien Aufsehen.
Den Vorstoß gegen eine „germanische“ Dominanz in Europa, der in mehrere Sprachen übersetzt wurde, bezeichnete Wolf Lepenies als Traum der französischen Linken.[10]
Im Mai 2013 sagte er in einem Interview unter anderem:
„Wenn wir heute von Europa sprechen, haben wir es mit der gigantischen Verdrängung einer peinlichen und dennoch offenbaren Wahrheit zu tun: die sogenannte Verfassung Europas ist illegitim. Über den Text, der unter diesem Namen durchgehen sollte, wurde nie von den Völkern abgestimmt. Oder wenn er zur Wahl stand wie in Frankreich oder Holland im Jahr 2005, dann wurde er frontal abgelehnt. Juristisch betrachtet, geht es hier also nicht um eine Verfassung, sondern im Gegenteil um einen Vertrag zwischen Regierungen: internationales Recht, kein Verfassungsrecht. Erst jüngst hat der hochangesehene deutsche Jurist Dieter Grimm daran erinnert, dass einer europäischen Verfassung das grundlegende, das demokratische Element fehlt, weil die europäischen Bürger nicht darüber entscheiden durften. Und nun hat man das ganze Projekt der Ratifizierung durch die Völker stillschweigend auf Eis gelegt.[11]“
Giorgio Agamben